Das goldene Pentagramm - Peter Wender - E-Book

Das goldene Pentagramm E-Book

Peter Wender

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Beschreibung

Der Astrophysiker Dr. Kai Stern entdeckt bei der Begutachtung eines Teleskops in einem Museum ein ominöses Buch. Es trägt die Aufschrift „Pythagoras“ und ist voller verschlüsselter Botschaften und Rätsel. Rat suchend wendet sich Kai an einen Experten, der ihn drängt, das Buch zu vernichten. Denn Kai befindet sich in Gefahr. Nicht nur er interessiert sich für das Buch, auch ein Geheimbund sucht danach. Der rothaarige Silvio, Mitglied der Gruppe, heftet sich ihm an die Fersen. Unbeirrt reist Kai nach Frankreich zur Kathedrale von Chartres und besucht das Ulmer Münster, um die Rätsel der heiligen Geometrie zu lösen. Doch die Vorfälle häufen sich: Kai landet im Kerker, hat einen mysteriösen Unfall. Seine Freundin Sarah wird entführt. Die Spur führt ins italienische Sorrent. Ein Fels, markant wie ein Löwenkopf, das Zeichen des Pentagramms und eine geheimnisvolle Höhle. Hat Pythagoras Kai den Weg zum Ziel seiner Suche gezeigt?

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Prolog

Erster Teil

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

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12

13

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Zweiter Teil

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Anmerkung

Peter Wender

Das goldene Pentagramm

Roman

AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG

FRANKFURT A.M. • LONDON • NEW YORK

Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit. Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

©2018 FRANKFURTER LITERATURVERLAG

Ein Unternehmen der

FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE

GMBH

Mainstraße 143

D-63065 Offenbach

Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

E-Mail [email protected]

Medien- und Buchverlage

DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

seit 1987

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

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Dieses Werk und alle seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

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Lektorat: Dr. Annette Debold

ISBN 978-3-8372-2125-1

Was wir wissen, ist ein Tropfen. Was wir nicht wissen, ist ein Ozean.

Isaac Newton

Prolog

Am schwachen Schimmer, welcher aus dem Schlüsselloch zu ihm drang, erkannte Kai, dass es wieder Tag war – der dritte. Seither saß er in diesem dunklen Kerker. Er hatte seit drei Tagen nichts gegessen und mit niemandem gesprochen. Da von der Decke in regelmäßigen Abständen Wasser tropfte, konnte er dieses in der hohlen Hand auffangen und so zumindest etwas Flüssigkeit aufnehmen.

Der Raum war nicht sehr groß. Auf einer Seite befand sich ein schmaler, etwa zehn Meter langer abschüssiger Gang, an dessen Ende ein Schacht nach unten führte. Aus der Tiefe hörte man das Geräusch fließenden Wassers, vielleicht handelte es sich um einen Abwasserkanal.

Seine wichtigste geistige Tätigkeit bestand darin, sich immer wieder den gleichen Text aufzusagen, einen Text, den er auf keinen Fall vergessen durfte, denn das wäre möglicherweise sein Todesurteil gewesen.

Mehrfach schon hatte er geglaubt, Geräusche wahrzunehmen, aber immer hatte er sich getäuscht. Diesmal jedoch nicht. Draußen waren Schritte zu hören, aber die Tür wurde nicht geöffnet. Durch den schmalen Spalt unter der Tür wurde ein Zettel geschoben. Obwohl seine Augen seit Tagen an die Dunkelheit gewöhnt waren, konnte er nur mit großer Mühe lesen, was auf dem Zettel stand:

Wo ist das Buch?

Erster Teil

1

Das Telefon klingelte. Kai kam gerade aus dem Bad und nahm den Hörer ab. Eine Dame meldete sich.

„Mein Name ist Müller von der Stadtverwaltung. Sind Sie der Astrologe Dr. Kai Stern?“

„Astrologe? Nein, ich ganz bestimmt nicht! Woher haben Sie denn meine Telefonnummer?“, fragte er, leicht amüsiert.

„Ich habe die Universitätsverwaltung angerufen, weil ich jemanden suche, der sich mit Teleskopen auskennt. Dort wurde ich dann mehrfach verbunden, bis mir schließlich jemand Ihre Nummer gab und mir sagte, dass Sie Astrologe sind.“

„Ich bin Astronom, genauer gesagt, Astrophysiker. Aber worum geht es denn genau?“

„Wie Sie vielleicht schon gehört haben, müssen wir unser Museum in der Oststadt wegen Baufälligkeit schließen, das Gebäude muss abgerissen werden. Auf dem Museumsdach befindet sich eine kleine Sternwarte, und wir wissen noch nicht genau, was wir mit dem Teleskop anfangen sollen, ob es noch den Ansprüchen einer heutigen Sternwarte genügt. Wäre es möglich, dass Sie das Teleskop fachmännisch überprüfen?“

„Ich habe viel mit Teleskopen gearbeitet und kenne mich schon aus. Wann kann ich mir das gute Stück denn ansehen?“

„Möglichst bald, da wir bereits dabei sind, die Exponate aus dem Museum zu transportieren. Zum Glück haben wir schon neue Räume erhalten, das Museum soll aber völlig umgestaltet werden.“

Kai wollte keine Details über die Neugestaltung des Museums erfahren.

„Ich könnte am Freitag um fünf Uhr nachmittags in der Sternwarte sein. Dann würde ich zunächst bei Tageslicht das Teleskop überprüfen, allerdings müsste ich noch die Dunkelheit abwarten. Nur so kann ich den Zustand des Teleskops bewerten. Das Wetter ist ja gerade sehr gut für Himmelsbeobachtungen geeignet.“

„Das ist wirklich nett von Ihnen. Ich werde den Museumsleiter informieren, er erwartet Sie dann. Vielen Dank!“

Der Museumsleiter führte Kai die Treppe zur Sternwarte hinauf. Er schloss die Tür auf, dann betraten sie einen kleinen, fensterlosen Raum, der aber durch die geöffnete Kuppel genügend Tageslicht erhielt.

„Entschuldigen Sie, dass wir hier so viele Dinge aus dem Museum abgestellt haben, aber wir brauchten den Raum einfach als Zwischenlager. Ich hoffe, es stört Sie nicht.“

„Das ist für mich kein Problem“, beruhigte ihn Kai.

„Die Sternwarte ist schon seit längerer Zeit aus Sicherheitsgründen geschlossen. Deshalb haben wir auch das Teleskop abgedeckt.“

Umständlich entfernte der Museumsleiter die Schutzplane. Was dann zum Vorschein kam, überraschte Kai. Er sah ein kunstvoll verziertes Instrument, sicher eine Einzelanfertigung. Es handelte sich um ein Spiegelteleskop feinster Bauart, welches nach einer gründlichen Reinigung ein Schaustück in jedem astronomischen Museum darstellen würde. An der Seite war ein winziger, golden eingravierter Stern mit fünf Zacken zu sehen.

„Wissen Sie etwas über die ehemaligen Besitzer?“, fragte Kai und deutete auf die Gravur.

„Wir wissen eigentlich nur, dass dieses Teleskop aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts stammt. Mitglieder einer vermutlich astronomischen Vereinigung haben sich hier vor und auch noch während des Zweiten Weltkrieges getroffen. Es wird sogar spekuliert, dass es sich um einen Geheimbund gehandelt haben soll. Leider gibt es darüber weder Unterlagen noch Aufzeichnungen.“

Er wurde unterbrochen, da vier Arbeiter keuchend die Treppe hochkamen.

„Wir sind unten fertig. Wir sollen hier noch einen Schrank abholen.“

An einer Wand stand ein großer Holzschrank, der mit kunstvollen Einlegearbeiten verziert war. Trotz ihrer speziellen Tragegurte hatten die Arbeiter große Mühe, den schweren Schrank nach unten zu transportieren.

„Der Schrank stammt noch aus der gleichen Zeit wie das Teleskop“, erklärte der Museumsleiter. „In ihm waren astronomische Instrumente und Sterntafeln untergebracht.“

Der Museumsleiter schien in Eile zu sein.

„Ich denke, Sie kommen allein zurecht. Bitte lassen Sie mir einen kurzen Bericht über Ihre Ergebnisse zukommen. Und vergessen Sie nicht, Ihre Arbeitszeit zu notieren. Das ist wichtig für Ihre Bezahlung.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich von Kai.

Kai war nun allein in der Sternwarte und begann mit seinen Untersuchungen. Er richtete das Teleskop auf den blauen Himmel und drehte an den Stellschrauben. Nach einiger Zeit erblickte er einen blassen Stern. Auch der Tageshimmel ist vollständig von Sternen überdeckt, die jedoch von der Helligkeit überstrahlt werden und deshalb nicht mit dem bloßen Auge, sondern nur durch das Teleskop zu sehen sind.

Der blasse Stern verschwand sehr schnell aus dem Blickfeld. Kai klopfte mehrmals leicht gegen das Teleskop, schließlich war der Stern wieder sichtbar.

„Da scheint die Nachführung etwas zu klemmen“, sagte er zu sich selbst.

Wegen der Erddrehung muss ein Teleskop ständig nachgeführt werden, da sonst bei diesen starken Vergrößerungen die Himmelsobjekte nur sehr kurze Zeit im Blickfeld bleiben.

Kai prüfte das Teleskop systematisch und machte sich Notizen. Als es zu dämmern begann, öffnete er aus Gewohnheit die Kuppel, damit sich das Teleskop der Außentemperatur anpassen konnte, da Temperaturunterschiede im Teleskop dieses leicht verziehen können und so die Präzision des Instrumentes beeinträchtigen.

Er musste jetzt auf die Dunkelheit warten. Viel Platz war nicht im Raum, aber die Stelle, an welcher vorher der Schrank stand, war groß genug, um hier einigermaßen bequem auf dem Hocker, den er an die Wand schob, sitzen zu können. Die Wände bestanden aus Natursteinen, und der Schrank hatte an dieser Wand in den letzten Jahrzehnten seine Spur in Form einer deutlich helleren Stelle hinterlassen.

Kai setzte sich auf den Hocker und begann, seinen Bericht zu schreiben. Soweit er es bisher beurteilen konnte, war das Teleskop leider doch nur noch ein Museumsstück. Modernen Anforderungen, insbesondere der Fotografie oder sogar der Spektralanalyse, genügte es nicht mehr. Aber als Glanzstück eines Museums konnte es immer noch dienen. Kai hatte sich einen Vordruck angefertigt und füllte diesen gewissenhaft aus.

Draußen war es bereits dunkel. Kai legte seinen Bericht auf den Boden, rieb sich die Augen und lehnte sich an die Wand. Ein Stein knirschte leicht. Kai drehte sich um und bemerkte, dass dieser Stein nicht fest saß. Er wunderte sich, als er sah, dass der Stein perfekt eingepasst war.

Merkwürdig. Alle anderen Steine sind einbetoniert, nur dieser nicht.

Er holte sein Taschenmesser und begann, diesen Stein vorsichtig herauszulösen. Schließlich konnte er ihn mit beiden Händen aus der Wand ziehen und auf den Boden legen.

Hinter dem Stein befand sich ein Hohlraum. Kai leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein und sah, dass sich ein Gesteinsbrocken der Mauer gelöst hatte und in dem Hohlraum lag.

Aber unter diesem Stein sah er etwas liegen!

Vorsichtig tastete Kai das Innere der kleinen Höhle ab. Schließlich bekam er den Gegenstand, welchen er gesehen hatte, zu fassen. Mit etwas Gewalt konnte er ihn von dem Gesteinsbrocken, der auf ihm lag, befreien. Vorsichtig zog er seine Hand, die schon aufgeschürft war, aus der Wandöffnung.

„Geschafft!“, keuchte er.

Mit einer Hand wischte er den gröbsten Staub ab und betrachtete nun genauer, was sich in dem Versteck in der Mauer verborgen hatte.

Es war ein Buch.

Der Ledereinband war leicht beschädigt und ließ keinerlei Beschriftung erkennen. Er öffnete das Buch. Auf der ersten Seite stand nur ein Wort:

Πυθαγορας

Darunter befand sich die Zeichnung eines merkwürdigen Sternes mit elf Zacken, welche unregelmäßig angeordnet waren.

Kai hatte in seiner Schulzeit an einer Griechisch-AG teilgenommen und konnte mit etwas Mühe das Wort entziffern: Pythagoras.

Bei dem Versuch, die Seite umzublättern, bemerkte Kai, dass die meisten Seiten zusammengeklebt waren, ein Feuchtigkeitsschaden, wie er vermutete. Er war sich unschlüssig, was er mit dem Buch machen sollte. Schließlich wickelte er es in Zeitungspapier ein und verstaute es in seiner Umhängetasche.

Dann schob er den am Boden liegenden Stein wieder in die Wandöffnung und brachte ihn in seine ursprüngliche Position. Der zusätzliche Staub fiel auf dem ungereinigten Boden nicht weiter auf, und so deutete nichts mehr darauf hin, dass Kai hier ein Versteck ausfindig gemacht hatte.

„Das Buch wäre ohne mich der Abrissbirne zum Opfer gefallen“, murmelte Kai vor sich hin. Vielleicht würde er es auch dem Museumsleiter übergeben, dachte er. Aber er war doch sehr gespannt zu erfahren, was er entdeckt hatte.

2

Der grauhaarige, elegant gekleidete Herr war am Ende seines Vortrages angekommen. Die Entwicklung der Firma im laufenden Jahr konnte er als sehr positiv darstellen, was nicht zuletzt auch sein Verdienst als Geschäftsführer war.

„Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Abend“, verabschiedete er sich von der Vollversammlung.

Nachdem der lang anhaltende Applaus abgeklungen war, ergriff schließlich der Versammlungsleiter kurz das Wort. Er bedankte sich bei Herrn Dr. Schneider für den Vortrag und löste die Versammlung auf.

Vor dem Firmengebäude standen noch viele Teilnehmer in Grüppchen zusammen und unterhielten sich. Dr. Schneider musste mehrfach Hände schütteln, man beglückwünschte ihn zu seinem Erfolg.

„Ich muss nach Hause“, entschuldigte er sich schließlich, setzte sich in sein Auto und fuhr los.

Nach einigen Minuten, als er sich sicher war, dass ihm kein anderes Auto folgte, wechselte er die Richtung. Sein Ziel befand sich am anderen Ende der Stadt. Dort angekommen, stellte er seinen Wagen in einer Tiefgarage ab und fuhr mit dem Aufzug in das zwölfte Stockwerk eines Hochhauses.

Das Ein-Zimmer-Appartement, welches er betrat, wirkte durch seine stilvolle Einrichtung sehr einladend. Schwere Ledermöbel waren um einen großen Tisch gruppiert. Dr. Schneider öffnete eine Flasche Wein, stellte vier Gläser auf den Tisch und füllte sie jeweils zur Hälfte mit dem erlesenen Getränk.

Er musste nicht lange warten. In kurzen Abständen erschienen drei weitere Herren. Zuerst kam der Älteste. Er stellte seinen Stock in eine Ecke und humpelte zu dem großen Tisch. Danach traten gleichzeitig ein untersetzter Herr mittleren Alters ein sowie Silvio, ein jüngerer Mann mit rotem Haar. Silvio, ein Neffe von Dr. Schneider, galt in seiner Kindheit als etwas zurückgeblieben. Er absolvierte eine Schlosserlehre, war aber, nach Schneiders Ansicht, ziemlich clever und bekam in Schneiders Firma eine Stelle im handwerklichen Bereich.

Dieses Treffen war vorher nicht vereinbart. Aber Dr. Schneider hatte seinen Vortrag zuvor nicht, wie üblich, mit den Worten „Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen einen schönen Abend“ beendet. Er sprach von einem wunderschönen Abend. Was wie eine launige Formulierung klang, war in Wirklichkeit das verabredete Zeichen für ein Treffen dieser vier Männer, ein Treffen, welches geheim gehalten wurde.

Die Männer nahmen in den Ledersesseln Platz und prosteten sich zu. Dann kam Schneider sehr schnell zur Sache.

„Nachdem wir bei unserer Suche zunächst erfolgreich waren, treten wir ja, wie ihr wisst, seit einigen Jahren auf der Stelle. Der letzte Hinweis, den wir herausgefunden hatten, hatte den Wortlaut:

Die Sterne weisen den Weg.

Damit konnten wir, trotz aller Bemühungen, bisher nichts anfangen. Jetzt habe ich zufällig etwas entdeckt, was uns möglicherweise weiterhelfen könnte.“

Schneider stand auf, ging zu seiner Tasche und kam mit einer Zeitung zurück. Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, nahm er eine Seite aus der Zeitung, knickte sie um und legte sie auf den Tisch, direkt unter das Licht einer Schreibtischlampe. Der Zeitungsartikel hatte die Überschrift:

„Oststadtmuseum und Sternwarte werden geschlossen.“

Darunter erschien eine Fotografie der Sternwarte, auf welcher deren „Schmuckstück“, wie es in dem Zeitungsartikel hieß, das Teleskop aus der Vorkriegszeit, groß abgebildet war.

Die Anwesenden sahen sich den Zeitungsausschnitt an und überflogen den Artikel.

Schneider, der zwischenzeitlich ein Vergrößerungsglas auf den Tisch gelegt hatte, forderte die anderen auf, das Bild des Teleskops genauestens zu betrachten.

Zunächst konnte keiner etwas Auffälliges entdecken.

„Seht ihr diese dunkle Stelle an der Seite?“, fragte Schneider.

„Das sieht aus wie ein winziger Stern“, meinte einer der Männer.

„Was für ein Stern ist es genau, was meint ihr denn?“, wollte Schneider wissen. Offenbar war ihm sehr daran gelegen, zunächst die Meinung der anderen zu hören.

Nacheinander untersuchten die Männer das Bild mit und ohne Vergrößerungsglas.

„Es sieht aus wie ein Stern mit fünf Zacken.“

Plötzlich wurden die Männer aufgeregt. Denn schließlich gab es keine Zweifel mehr:

Es handelte sich um einPentagramm!

„Hier also haben sie sich getroffen“, ergriff Schneider das Wort.

„Die Sterne weisen den Weg. Dieser Satz bekommt jetzt einen Sinn, sogar einen doppelten.“

„Das bedeutet aber, dass wir dort suchen müssen, in dieser Sternwarte“, meinte der Älteste. „Und zwar möglichst bald, denn das Gebäude soll demnächst abgerissen werden“, ergänzte er.

3

Am Samstag, morgens um acht Uhr, läutete ein Monteur in Arbeitskleidung an der Tür des Oststadtmuseums. Er wartete, läutete ein zweites Mal und machte sich dann kurz an der Tür zu schaffen, öffnete sie und trat mit seinem Werkzeugkoffer ein. Danach drückte er die Tür, welche außen keine Klinke hatte, wieder zu.

Er ging hoch zur Sternwarte. Auch hier war die Tür verschlossen, aber auch diese öffnete er ohne Mühe. Er nahm seinen Werkzeugkoffer und legte eine Zange und mehrere Schraubenschlüssel auf den Boden. So konnte er eine Reparatur vortäuschen, falls überraschend jemand erscheinen sollte. In seiner Hosentasche befand sich sogar ein zerknitterter Reparaturauftrag.

In Wirklichkeit hatte er aber etwas anderes vor. Zu diesem Zweck ergriff er einen Gummihammer und begann damit, den Raum systematisch abzuklopfen. Zuerst klopfte er mehrfach auf jeden Stein des Fußbodens. Dazu musste er immer wieder abgestellte Gegenstände umstellen.

Nicht nur der Fußboden sah ähnlich aus wie ein Kopfsteinpflaster. Auch die Wände bestanden aus Natursteinen. So arbeitete er gezielt weiter, Stein für Stein. Er musste immer wieder auf einen Hocker steigen, um auch die oberen Steine zu erreichen. Aber er führte diese Tätigkeit sehr gewissenhaft aus. Zwischendurch unterbrach er sein Klopfen. Dann nahm er seine Mütze ab, wischte sich den Schweiß von seinem Gesicht und von seinen roten Haarspitzen und lauschte auf Geräusche, aber er schien der Einzige in diesem Gebäude zu sein.

Er hatte sich nun bis zu einer hellen Fläche in der Mitte einer Wand vorgearbeitet. Hier musste wohl ein Schrank gestanden haben. Er beklopfte weiterhin jeden Stein und wollte eben eine Pause einlegen, als sich die Klopfgeräusche plötzlich anders anhörten. Er klopfte ein weiteres Mal auf diesen Stein.

Es klang hohl!

Er drückte auf diesen Stein – der Stein gab nach!

Nun hebelte er langsam den Stein aus der Mauer. Schon im Tageslicht konnte er in das Loch in der Mauer blicken. Mit einer Taschenlampe suchte er den Hohlraum gründlich ab. Er sah nur einen in der Höhle liegenden Stein. Er brach einen weiteren Stein aus der Mauer, zog den innen liegenden Stein aus dem Hohlraum und schaufelte hektisch mit beiden Händen den Schutt aus der Höhle.

Es war nichts zu finden!

Er setzte sich auf den Boden, nahm sein Taschentuch und wischte sich Schweiß und Staub aus dem Gesicht. Da fiel sein Blick auf ein kleines Stück Papier, welches auf dem Schutthaufen lag. Er nahm den Papierfetzen und betrachtete ihn. Das Papier sah aus wie die herausgerissene Ecke einer Buchseite, genauer gesagt waren es zwei zusammenklebende Ecken. Das konnte nur eins bedeuten:

Jemand war ihm zuvorgekommen!

4

Das Wetter an diesem Sonntagmorgen war alles andere als einladend, der Dauerregen ging teilweise in Schnee über. Der April hatte sich bisher nur kurz von seiner schönen Seite gezeigt.

Kai freute sich darauf, den heutigen Tag in seiner Wohnung zu verbringen. Seine Dachgeschosswohnung hatte zwei Zimmer, ein Bad und eine winzige Küche, der ein Abstellraum angeschlossen war. Die Möblierung stammte noch aus seiner Studentenzeit. Der geräumige Schreibtisch war meistens mit Büchern, Zeitschriften und Papieren überfüllt. Auch unter der Dachschräge stapelten sich alle möglichen Arbeitsmaterialien. Die beiden Bücherregale konnten seine vielen Bücher kaum noch fassen. Ihm fehlte allerdings der Platz für ein weiteres Regal. Er war jedoch der Ansicht, dass dieses Chaos zu ihm passe, und er fühlte sich ganz wohl dabei.

In dem Raum befand sich neben dem Fernsehgerät ein Sofa, auf welchem Kai die Stapel zwischenlagerte, die sich auf seinem Schreibtisch türmten, wenn er an diesem, so wie heute, arbeiten musste.

Kai hatte vor, einen bereits begonnenen Artikel für eine Fachzeitschrift zu beenden. Aber er konnte sich nicht richtig konzentrieren, der Gedanke an seinen Fund ließ ihn nicht los. So holte er schließlich das Buch aus seiner Verpackung und begann damit, den Umschlag mit einem feuchten Tuch zu reinigen. Dann klopfte er Sand und Staub aus dem Buchinneren und reinigte die Seiten, so gut es ging, mit einem Malerpinsel. Nachdem er das Buch zum Trocknen hingestellt hatte, machte er sich einen Kaffee.

Zehn Minuten später saß er mit dem Buch an seinem Schreibtisch. Mit einem Messer löste er behutsam die zusammengeklebten Seiten. Trotz aller Vorsicht konnte er kleinere Beschädigungen an den Seiten nicht vermeiden. Als alle Seiten frei waren, ging er in die Küche und klopfte noch einmal den restlichen Sand aus dem Buch.

Dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch, trank einen Schluck seines inzwischen lauwarm gewordenen Kaffees und begann damit, die Öffnung des Buches zu zelebrieren.

Πυθαγορας

Die erste Seite mit diesem Wort und dem merkwürdigen, elfzackigen Stern kannte er bereits. Er schlug Seite für Seite auf, sah sich alles genau an, verstand aber kaum etwas. Das Papier war, wie er bereits vermutet hatte, in altgriechischer Sprache bedruckt. Er sah kurze Texte, teilweise nummeriert, möglicherweise handelte es sich um Buchauszüge oder um Aphorismen. Mit seinen wenigen Kenntnissen der griechischen Sprache konnte er zumindest die Namen Pythagoras und Epikur entziffern.

Er blätterte weiter und sah einen Text, dessen erste fünf Wörter ihm nicht so schwierig erschienen. Am Tag zuvor hatte er sich ein Altgriechisch-Lexikon besorgt und begann damit, diesen Text zu übersetzen.

Εν αρχη ην ο λογος

Dieser Satz stammte aus der Bibel! Im Anfang war das Wort. Johannes, 1,1. So beginnt das Johannesevangelium. Er fragte sich nun, wer dieses Buch besessen haben könnte, und vor allem, warum sich der Besitzer so viel Mühe gemacht hatte, das Buch zu verstecken. Die Texte, zumindest die aus der Bibel, waren alles andere als geheim. Eine Antwort auf diese Frage erhielt er, als er bei den letzten Blättern des Buches angekommen war. Diese Seiten waren nicht bedruckt, aber beschrieben. Trotz des schon angegriffenen Papiers konnte man die Schrift gut lesen, da keine schwarze Tinte, sondern Tusche benutzt wurde. In Druckbuchstaben waren die Seiten mit kleinen, deutlich voneinander getrennten Absätzen beschrieben, von denen manche nur aus einer Zeile bestanden.

Er las die ersten beiden Absätze.

DIE STERNE ZEIGTEN DEN WEG

PYTHAGORAS,

ZWISCHEN MUSIK UND HEILIGER QUELLE

Er dachte lange über die Bedeutung dieser Zeilen nach, konnte jedoch nicht das Geringste damit anfangen. Er las weiter, doch auch die nächsten Zeilen waren verwirrend formuliert und ergaben für ihn keinen Sinn. Sollte es sich um eine verschlüsselte Botschaft handeln, so sah er sich nicht in der Lage, diese zu entschlüsseln. Wo sollte er anfangen?

5

Kai hatte den halben Vormittag telefoniert. Er suchte nach einem Experten für altgriechische Philosophie, welcher insbesondere mit der Lehre des Pythagoras vertraut war. Er hatte sowohl die philosophischen als auch die altphilologischen Fakultäten mehrerer Universitäten angerufen. Nun saß er vor seinem Blatt, auf welchem sich Stichworte, Telefonnummern und Namen befanden, die er während seiner Telefonate notiert hatte.

Eine Telefonnummer einer philologischen Fakultät hatte er eingekreist. Aber wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem Herrn, an den Kai verwiesen wurde, um einen Epikur-Experten, der wenig Verständnis dafür hatte, dass Kai sich mit Pythagoras beschäftigte, einem Philosophen, von dem keine eigenen Schriften existierten, über den nur Sekundärliteratur zu finden sei, was wissenschaftliches Arbeiten nach der Meinung dieses Experten unmöglich mache.

Kaum hatte Kai aufgelegt, klingelte sein Telefon erneut. Es war Sarah.

„Du, wir können uns heute nicht zum Mittagessen treffen, bei mir geht es absolut nicht. Aber was hältst du davon, wenn wir heute Abend zu Giovanni gehen?“

„Die Edelpizzeria? Dort isst man wirklich gut, aber es ist teuer!“

„Gönn’ dir was! Also um halb sieben?“

Das klang mehr wie eine Aufforderung, nicht wie eine Frage. Sarah war eine ehemalige Schulfreundin. Sie hatten sich während des Studiums aus den Augen verloren. Nach ihrem Studium der Germanistik und der Kunst arbeitete Sarah nun als Deutschlehrerin an einem Gymnasium, zufällig in der gleichen Stadt wie Kai und sogar ganz in seiner Nähe.

Kai wartete schon im Giovanni, als Sarah eintraf. Sie umarmten sich kurz zur Begrüßung.

„Lange nicht gesehen!“

„Sorry, dass ich mich verspätet habe, aber ich komme direkt von der Schule. Wie ich sehe, hast du etwas für mich.“

Kai gab ihr sein Manuskript, welches er am Nachmittag noch einmal überarbeitet hatte. Sarah und er bildeten eine kleine Zweckgemeinschaft. Sie las und korrigierte seine Manuskripte, denn er war der Meinung, dass auch eine wissenschaftliche Arbeit sprachlich korrekt abgefasst sein sollte. Er wiederum half ihr in technischen Dingen, wie etwa bei Computerproblemen.

Der Kellner kam und nahm ihre Bestellung auf.

„Heute keine Schinkenpizza?“, wunderte sich Kai.

„Nein, ich esse seit meinem Geburtstag vegetarisch. Wie du siehst, habe ich mich nicht nur äußerlich verändert, indem ich meine langen Haare abgeschnitten habe. Ich habe vor einiger Zeit wieder einen Bericht gesehen über die Massentierhaltung, da wurde mir richtig übel. Tiere werden auf engstem Raum zusammengepfercht, einige sind verletzt oder sogar tot, Tiere mit gebrochenen Knochen werden Hunderte von Kilometern weit transportiert, so etwas möchte ich nicht mehr unterstützen. Außerdem haben Antibiotika bei uns Menschen an Wirkung bereits eingebüßt, da wir diese mit dem Fleisch der mit Antibiotika vollgestopften Schlachttiere in uns aufnehmen.“

Der Kellner brachte eine Flasche Wasser und zwei Gläser.

„Außerdem möchte ich abnehmen und auch deshalb mehr Rohkost essen“, ergänzte Sarah.

Sarah war einige Monate jünger als Kai und mindestens ebenso sportlich wie er, aber seit ihrem Eintritt ins Berufsleben war sie deutlich fülliger geworden. Auch ihr Gesicht wirkte etwas rundlicher, seitdem ihr langes, braunes Haar einer Kurzhaarfrisur weichen musste. Sarah trug eine Jeans und eine schicke Bluse. Sie liebte schlichte, aber geschmackvolle Kleidung.

Auch Kai hatte sich längst von seiner langen Mähne, auf die er noch als Student stolz war, getrennt. Obwohl er sich in Jeans und T-Shirt am wohlsten fühlte, gehörte es zu seiner Angewohnheit, bei seinen Vorträgen oder bei wichtigen Gesprächen in Hemd und Krawatte zu erscheinen. Schließlich hatte er die dreißig schon deutlich überschritten und glaubte, nun etwas seriöser auftreten zu müssen.

„Du duftest wunderbar nach frisch gewaschener Wäsche“, sagte Kai zu Sarah.

„Ja“, lachte sie, „ich lobe dich ja schon dafür, dass du meine Waschmaschine repariert hast. Aber worum geht es denn diesmal in deinem Manuskript? Ich möchte schließlich auch wissen, was ich korrigiere.“

„Ich habe über Dunkle Materie geschrieben.“

„Klingt sehr geheimnisvoll. Was genau bedeutet dieser Begriff?“

„Es ist geheimnisvoll. Wie du weißt, ist unsere Sonne ein relativ kleiner Stern in der Milchstraße, einer gigantischen Galaxie aus etwa 200 Milliarden Sternen. In unserem Universum existieren wiederum Milliarden solcher Galaxien, viele davon sind spiralförmig und rotieren um ein Zentrum. Nun hat man in den 1960er-Jahren festgestellt, dass Sterne im Randbezirk der Milchstraße viel zu schnell rotieren. Die Gravitationskraft der bekannten Massen reicht bei Weitem nicht aus, um eine Galaxie stabil zu halten, sie müsste eigentlich auseinanderfliegen. Was würdest du sagen, wenn Erbsen auf einer schnell rotierenden Scheibe liegen bleiben und nicht wegfliegen?“

„Die müssen festgeklebt sein.“

„Eben! Und so, wie der Klebstoff die Erbsen auf ihrer Umlaufbahn hält, so gibt es eine Anziehungskraft, welche die Galaxien zusammenhält. Aber nur große Massen verursachen große Anziehungskräfte. Es muss also so etwas wie eine verborgene Materie existieren, welche durch ihre Gravitationsanziehung die Stabilität der Galaxien ermöglicht. Doch niemand weiß, wo sie sich verbirgt! Und jetzt kommt das Beste!“

Sie sah ihn gespannt an.

„Der Anteil der Dunklen Materie beträgt mehr als das Fünffache der sichtbaren Materie!“

Sarah lächelte ihn an.

„Es ist schön zu sehen, wie du immer noch für deine Wissenschaft brennst.“

Die beiden hatten kaum bemerkt, dass die Schinkenpizza für Kai und die vegetarische Pizza für Sarah bereits auf dem Tisch standen. Während des Essens spottete Kai ein wenig über Sarahs Vorhaben, sich zukünftig fleischlos zu ernähren. Aber Sarah blieb gelassen und sagte, dass sie es aufgegeben habe, ihre Entscheidung immer zu begründen.

„Ich mache doch anderen Menschen keinen Vorwurf, wenn sie weiterhin Fleisch essen, aber ich nehme mir die Freiheit, genau das nicht mehr zu tun“, meinte sie nur.

Als der Kellner den Tisch abräumte, entschuldigte er sich dafür, dass er vergessen hatte, die auf dem Tisch stehende Kerze anzuzünden. Kai bat ihn, das nachzuholen, und bestellte bei dieser Gelegenheit eine Flasche Rotwein und zwei Gläser.

„Der Platz hier in der Nische ist sehr schön“, meinte Sarah, während sie und Kai die Gläser klingen ließen und Sarah bei Kerzenlicht und Rotwein den Gesprächsfaden wieder aufnahm.

„Bei dem, was du vorher über das Universum gesagt hast, da stellte sich bei mir so ein Gefühl ein, das ich schwer beschreiben kann, das sich vielleicht mit Faszination oder sogar mit Ergriffenheit umschreiben lässt. Es ist mehr so eine Ahnung, dass sich unser Universum nur ansatzweise erfassen lässt, dass es in Wirklichkeit viel gewaltiger, gigantischer ist, und das nicht nur in physikalischer Hinsicht. Verstehst du, was ich meine?“

Kai musste lange nachdenken.

„Ich glaube, ich verstehe dich sogar sehr gut. Ich habe mir darüber bisher zwar noch keine großen Gedanken gemacht, aber manche Physiker werden in ihren Schriften teilweise sehr persönlich und lassen auch ihre religiöse Einstellung erkennen. So konnte sich Albert Einstein nie damit abfinden, dass in der Quantenphysik die Bewegungen von Mikroobjekten nicht mit strengen Kausalgesetzen beschrieben werden können, sondern nur mit Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Gott würfelt nicht, so hat er in einem Brief an Max Born seine Einstellung sinngemäß zum Ausdruck gebracht. Eigentlich erstaunlich …“

„Warum erstaunlich?“, unterbrach ihn Sarah.

„Einstein war ein Gigant der Wissenschaft. Dass ein Mensch so etwas wie die Relativitätstheorie fast im Alleingang entwickelt hat, ist absolut einmalig. Seit Isaac Newton gab es nichts Vergleichbares! Dabei erhielt Einstein den Nobelpreis nicht einmal für seine Relativitätstheorie, sondern für einen entscheidenden Beitrag zur Quantenphysik!“

Sarah war die Begeisterung, mit der Kai von Einstein sprach, nicht entgangen.

„Deshalb erstaunen mich seine etwas, sagen wir, schlichten religiösen Aussagen. Ich persönlich sehe mich in diesen Fragen näher bei Steven Weinberg, ebenfalls einem Nobelpreisträger für Physik, der unsere Erde als eine kleine Insel in einem kalten, unbelebten Universum sieht.“

Kai nippte an seinem Glas.

„In diesem feindlichen Universum findet der Mensch einen gewissen Trost in der Forschung selbst, nicht in ihren Ergebnissen. Die tragische Würde des Menschen besteht darin, diesem Universum einige seiner Naturgesetze zu entringen. Denn je begreiflicher das Universum wird, umso sinnloser erscheint es Weinberg auch. Höhere Wesen haben darin keinen Platz, ein würfelnder Gott wäre völlig undenkbar.“

Sarah sah Kai lange an.

„Glaubst du wirklich, dass man Einstein, diesem Giganten der Wissenschaft, wie du ihn nennst, der sich mit Philosophie beschäftigte, der begeisterter Musiker war, selbst Geige spielte, dass man diesem Menschen in weltanschaulichen Fragen Naivität unterstellen kann? Ich sehe in seinem Ausspruch Gott würfelt nicht eher ein treffendes Bonmot, mit welchem er seine Einstellung zur Quantenphysik auf den Punkt bringt.“

„Schön formuliert“, sagte Kai, und fast bedauerte er es, dass ihm diese Formulierung nicht eingefallen war. Aber er wollte seine Sichtweise dennoch präzisieren.

„Weißt du, ich betrachte die Astrophysik rein wissenschaftlich. Mich interessieren Fakten, wissenschaftlich abgesicherte Ergebnisse, die es erlauben, Naturgesetze daraus abzuleiten. In der Physik geht es doch darum, die Welt wissenschaftlich zu erklären.“

„Aber fragst du denn nicht weiter? Fragst du dich nicht, woher diese Naturgesetze kommen?“

Sarah gab Kai keine Gelegenheit zu antworten.

„Ein Physiklehrer unserer Schule erhielt kürzlich von seinen Abiturienten ein Geschenk, dem ein Zitat von Heisenberg beigefügt war, welches ich so beeindruckend fand, dass ich es mir notiert habe.“

Sarah holte einen Ordner aus ihrer Tasche und blätterte kurz, bis sie das Zitat gefunden hatte und es vorlas.

Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.

Sarah sah Kai gespannt an, wurde dann aber nachdenklich und begann zu erzählen.

„Dieser Ausspruch von Heisenberg ist eine Metapher, die mich berührt. Ich habe mich schon immer für das Verborgene hinter den Dingen interessiert, egal, ob es sich um Naturwissenschaften oder um Literatur handelt. Mein Germanistikstudium fand ich eher enttäuschend. Messen, Zählen und statistisches Auswerten haben auch hier schon Einzug gehalten, nur um ‚wissenschaftlichen‘ Ansprüchen zu genügen. Für mich war das Korinthenkackerei. Aber besonders betroffen gemacht hat mich ein kürzlich veröffentlichtes Interview mit einem Literaturkritiker, den ich sehr bewundere.“

„Meinst du den bekannten Literaturpapst?“, wollte Kai wissen.

„Ja, genau. In diesem Interview spricht er über den Tod, den er als völlig sinnlos und vernichtend bezeichnet. Er betrachtet es als unmöglich, sich mit dem Tod auszusöhnen, er kann mit dem Gedanken an den Tod nicht fertigwerden, er leidet darunter, und, was ich besonders erschütternd fand, auch die Literatur kann ihm nicht helfen.“

„Was ist daran so erschütternd, dass ein alter Mann Angst vor dem Tod hat?“, fragte Kai, etwas erstaunt.

„Er ist nicht irgendein alter Mann. Er ist ein unglaublicher Literaturkenner, und ich habe von ihm einiges gelernt. Aber wenn ein Mensch, der sich Jahrzehnte seines Lebens mit Literatur beschäftigt hat, am Ende zu dem Urteil kommt, dass die Literatur ihm in entscheidenden Fragen des Lebens nichts zu bieten hat, dann stellt sich mir schon die Frage nach dem Sinn von Literatur. Auch seinen Glauben daran, dass mit dem Tod alles aus ist, begründet er damit, dass er die Dinge so sieht, wie sie sind – als ob das möglich wäre!“

„Wie meinst du das?“

„Na ja, schließlich sind wir gar nicht in der Lage, die Realität objektiv zu erfassen.“

„Aber ich sehe dich gerade vor mir – real und objektiv!“

„Du erfasst von der Realität genau das, was deine Sinne und, vor allem, dein Gehirn zulassen. Die Informationen, welche wir durch unsere Sinne erhalten, werden von unserem Denkapparat nicht abgebildet, sondern, im Rahmen seiner Möglichkeiten, interpretiert.“

Kai sah sie mit großen Augen an.

„Dieser Gedanke ist übrigens nicht von mir, sondern von Kant“, ergänzte Sarah.

„Diesem schrulligen Philosophen?“

„Richtig! Von diesem schrulligen Philosophen, der seine Heimatstadt Königsberg fast nie verlassen hat.“

„Kannst du seine Gedanken genauer beschreiben?“

„Kants revolutionäre philosophische Erkenntnis bestand darin, dass wir die Wirklichkeit nicht wahrnehmen, sondern konstituieren. Unsere sinnlichen Eindrücke werden gefiltert und in unserem Gehirn, welches nur in Kategorien wie etwa Raum, Zeit oder auch Kausalität denken kann, zu einem Gebilde zusammengefügt, welches wir Realität nennen. Die von uns erfassbare Wirklichkeit ist also sehr begrenzt, und das, was wir als Realität bezeichnen, ist nicht mehr als ein Konstrukt des Verstandes. Sinne und Verstand schränken unsere Erkenntnismöglichkeiten prinzipiell ein – was wirklich ist, das Ding an sich, wie Kant es nannte, wird uns für immer verborgen bleiben.“

Der Abendhimmel hatte sich im Westen bereits glutrot gefärbt. Etwas versonnen blickte Sarah aus dem Fenster, bevor sie, fast zu sich selbst sprechend, leise ergänzte:

„Für mich bedeutet das: Wahrheit ist mehr als Erkennbarkeit!“

Kai hatte aufmerksam zugehört.

„Das alles stammt von diesem Königsberger Klops?“

Sarah lachte und nickte zustimmend.

Kai schüttelte den Kopf.

„Kannst du das, was du eben erzählt hast, in meinem Manuskript vermerken? Das könnte ich gut in meine Vorträge einbauen.“

„Klar! Aber wo genau liegen die Berührungspunkte zu deinen Themen?“

„Spätestens seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hat sich auch in der Physik die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Welt eben nicht so sein kann, wie wir sie wahrnehmen – zumindest in gewissen Grenzbereichen. Die Relativitätstheorie zeigt uns, dass die Zeit nicht konstant fließt, sondern von der Geschwindigkeit abhängt, auch wenn wir das in unseren relativ niedrigen Geschwindigkeitsbereichen nicht merken. Und den Anspruch, die Welt objektiv zu sehen, haben wir in der Quantenphysik schon lange aufgegeben, Nichtobjektivierbarkeit ist sogar eines ihrer Kennzeichen, auch wenn es sich dabei nur um Objekte in atomaren Größenordnungen handelt.“

„Das weiß ich aus den Manuskripten von dir, die ich gelesen habe. Auch wenn ich nicht genau verstehe, was damit gemeint ist, finde ich es faszinierend, wissenschaftlich gesicherte Aussagen über Dinge zu machen, die sich unserer Anschauung entziehen. Damit lassen sich die Grenzen, die unserer Erkenntnisfähigkeit gesetzt sind, zumindest ein wenig verschieben.“

„Aber auch diese wissenschaftlichen Erkenntnisse beruhen doch letztlich nur auf sinnlichen Wahrnehmungen, auch wenn unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten durch technische Geräte deutlich erweitert wurden.“

Sarah nickte Kai anerkennend zu.

„Ihr scheint euch ja gut zu verstehen, Kant und du“, meinte Sarah und warf ihm spielerisch die zerknüllte Serviette zu, die Kai mit einer Hand auffing.

„Es gibt allerdings noch eine Informationsquelle jenseits unserer sinnlichen Wahrnehmung.“

Kai sah Sarah fragend an.

„Schopenhauer wies darauf hin, dass Kant nur Eindrücke berücksichtigte, die von außen kommen. Doch auch die Innenschau vermittelt uns Erkenntnisse über Kräfte und Impulse, die unserem Körper selbst entstammen und zum Teil unbewusst sind. Wir erleben sie, wir fühlen sie, doch wir können sie nur schwer vermitteln. Am unmittelbarsten gelingt diese Vermittlung in der Kunst, in der Dichtung, vor allem in der Musik, welche für Schopenhauer große Bedeutung hatte.“

Sarah nippte an ihrem Weinglas, bevor sie weitersprach.

„Deshalb glaube ich, dass auch Literatur die Grenzen unserer Wirklichkeit erweitern kann. Im Grunde genommen ging es mir immer schon um die großen Fragen des Lebens, um Liebe, um Tod und um den Sinn unseres Daseins. Und ich glaube, dass gerade die große Literatur diesen Fragen nicht ausweicht, dass sie vielmehr durchschimmern lässt, dass sich hinter der Welt unserer Wahrnehmung Größeres, Tieferes verbirgt, die wirkliche Welt, wie Platon sie nennt. Ich möchte Literatur nicht nur lesen, ich möchte mich auf sie einlassen, hier sehe ich mich persönlich auf meiner Suche nach dem Heiligen Gral.“

„Und wo beginnst du deine Suche?“

„Ich habe bereits damit begonnen. Und jetzt möchte ich mich an Goethes Faust heranwagen, die gewaltigste deutsche Dichtung. Ich möchte mehr verstehen und auch mehr vermitteln können als die metrischen Variationen dieses Werkes. Dass im Prolog der fünfhebige Jambus die Sprache des Herrn ist, dass Faust in Vierhebern spricht, das ist auch wichtig, aber mir geht es um die Essenz dieser Dichtung. Im Pfingsturlaub werde ich mit meiner Freundin Tina, die ich bei einem Germanistikseminar kennenlernte, in die Toskana reisen. Hier möchten wir uns Pisa und Lucca ansehen. Vor allem aber haben wir vor, zusammen den Faust zu lesen, den wir beide sehr lieben! Der Kommentar von Scheithauer ist bereits in meinem Urlaubsgepäck. Ich freue mich riesig auf diesen Urlaub.“

„War es nicht eine gewisse Sarah, die sich mit unserem ehemaligen Deutschlehrer angelegt hatte, weil sie politische Literatur lesen wollte und nicht den Faust, welchen sie für veraltet hielt?“, fragte Kai etwas spöttisch.

„Das weißt du noch?“

Sarah war überrascht.

„Damals war ich siebzehn, und was ich sagte, entsprach meiner damaligen Einstellung und war völlig in Ordnung. Aber es wäre doch fatal, wenn wir uns nicht weiterentwickeln würden.“

Kai wurde nachdenklich. In welche Richtung hatte er selbst sich entwickelt? Nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums verdiente er jetzt recht gut und konnte in seinem Beruf weitgehend über seine Zeit verfügen. Seine wissenschaftliche Tätigkeit bereitete ihm noch immer viel Freude. Aber sollte das alles sein? Dieser Gedanke drängte sich ihm vor wenigen Wochen bei der Beerdigung eines guten Freundes auf. Würde sein Leben jetzt enden, so fragte er sich damals, könnte er selbst sein bisheriges Leben als erfüllt bezeichnen?

Er sah Sarah an.

„Könntest du dir vorstellen, dein Leben so zu führen wie ich?“, fragte er Sarah direkt.

„Nein!“, antwortete sie spontan. Doch sofort legte sie ihre Hand auf seine und lächelte verlegen.

„Entschuldige, so war das nicht gemeint.“

„Doch, das war so gemeint! Deine Antwort kam spontan und war ehrlich.“

„Also zunächst“, erklärte Sarah, „muss ich sagen, dass ich dich bewundere und manchmal auch ein wenig beneide. Du bist erfolgreicher Wissenschaftler und hast Freiheiten, die ich mir oft wünsche. Aber ich könnte mir nie ein so kopfgesteuertes Leben vorstellen. Ich weiß natürlich nicht, ob meine Sicht der Dinge richtig ist, aber ich glaube, was mir an deinem Leben fehlen würde, ist – wie soll ich mich ausdrücken – der Zauber!“

„Das verstehe ich nicht!“

Kai konnte nicht verbergen, dass er leicht gekränkt war.

„Bei unserer letzten Weihnachtsfeier habe ich Herrn Altstein, einen ehemaligen Lehrer unserer Schule, kennengelernt. Es handelte sich um einen wirklich interessanten, sehr gebildeten Mann. Er hatte Latein und Griechisch unterrichtet, sein Alter ist schwer einschätzbar, er müsste aber schon weit über achtzig Jahre alt sein. Wir haben uns über griechische Literatur unterhalten, besonders über den König Ödipus von Sophokles.“

Sarah schilderte kurz den Mythos. Das Orakel von Delphi prophezeit, dass Ödipus, der Sohn des Königs von Theben, seinen Vater töten und seine Mutter heiraten wird. Deswegen wird Ödipus ausgesetzt und von dem Königspaar von Korinth adoptiert. Als Ödipus die Prophezeiung erfährt, verlässt er seine vermeintlichen Eltern. Auf dem Weg nach Theben erschlägt er im Streit einen alten Mann, ohne zu ahnen, dass es sich um seinen Vater handelt. In Theben löst er das Rätsel der Sphinx, die nach dem Wesen fragt, welches am Morgen auf vier, am Mittag auf zwei und am Abend auf drei Füßen geht. Als Dank erhält Ödipus den Thron und die Hand der Königin – seiner Mutter. Als er schließlich die Wahrheit erfährt, blendet er sich und verlässt, von seiner Tochter Antigone geführt, Theben.

Trotz reiflicher Überlegung gelang es Kai nicht, das Rätsel der Sphinx zu lösen.

„Gemeint ist der Mensch“, klärte Sarah ihn auf. „Als Kind geht er auf allen vieren, als Erwachsener auf zwei Beinen und im Alter benötigt er einen Stock.“

Kai mochte solche Rätsel nicht, welche er nicht rein logisch lösen konnte.

„Aber“, fuhr Sarah fort, „dieses Rätsel lässt sich auch als ein Rätsel des Menschen deuten, wie Herr Altstein mir erzählte. Er beschrieb eine psychoanalytische Interpretation, die auf C. G. Jung zurückgeht, und eine Interpretation, die sich der Zahlenmystik bedient. Die Vier als mächtigste Zahl steht für das Irdische und die kosmische Ganzheit und bringt zum Ausdruck, dass der Säugling, vierfüßig, noch in einem heilen Universum lebt. Die Zwei ist die Zahl des Zwiespaltes und gilt als Weltprinzip schlechthin, da die Welt aus Gegensätzen entstand und der Mensch, zweifüßig, in dieser polaren Welt seine Erfahrungen machen muss. Die Drei schließlich wird dem Himmlischen, dem höchsten Gott zugeschrieben, und die Stütze weist ins Transzendente, bei dem geblendeten Ödipus ist es die Sicht nach innen.“

Sarahs Augen leuchteten.

„Ich finde das genial, es bringt für mich eine Sinnhaftigkeit zum Ausdruck.“

„Erschließt sich dir daraus der Sinn des Lebens?“, wollte Kai wissen.

„Sorry, Kai, aber diese Frage ist schon wieder kopfgesteuert. Es geht nicht darum, worin der Sinn des Lebens besteht, sondern um das Gefühl, dass unser Leben nicht zufällig, sondern von einer tiefen Sinnhaftigkeit erfüllt ist. So wie Ödipus sein Schicksal prophezeit bekommt und sich immer mehr in dieses Schicksal verstrickt, je mehr er versucht, ihm zu entgehen, so gehört auch unser Schicksal zu uns und hat einen Sinn, unabhängig davon, ob wir diesen Sinn erkennen oder nicht. Wir sind eben doch mehr als Zellhaufen in einem kalten Universum.“

Sarah machte eine Pause, bevor sie weitersprach.

„Das ist es, was für mich den Zauber ausmacht. Dieses Gefühl der, ja, der Verbundenheit. Der französische Schriftsteller Romain Rolland, der übrigens, weil du Wert darauf zu legen scheinst, auch Nobelpreisträger war, spricht in diesem Zusammenhang vom ozeanischen Gefühl und bezeichnet es als Quelle der Religiosität. Ich selbst erlebe dieses Gefühl manchmal beim Lesen, vor allem aber in der Natur, in der Musik oder in der Kunst.“

Kai konnte nicht sagen, ob er dieses Gefühl kannte. Hochgefühle hatte er bei seiner Arbeit, wenn er etwas Neues entdeckte oder wenn ihm Zusammenhänge klar wurden, wenn er ein mathematisches Problem lösen konnte. Eine gewisse Euphorie bei Klettertouren, beim Befahren eines frisch verschneiten Hanges oder beim Kitesurfen war ihm ebenfalls vertraut. Aber ein ozeanisches Gefühl? Eine andere Frage interessierte ihn allerdings noch.

„Du hast von Zahlenmystik gesprochen. Was muss ich mir darunter vorstellen?“

Sein Tonfall wurde wieder leicht spöttisch.

„Die Zahlensymbolik gehört zur christlichen und jüdischen Tradition. Wesentliche Grundlagen der Zahlenmystik finden sich bei Pythagoras.“

Pythagoras! Kai wurde hellhörig.

„Was hast du sonst noch über Pythagoras erfahren?“

„Zunächst, dass er sich auch vegetarisch ernährte“, antwortete sie und versuchte sich zu erinnern, was Herr Altstein ihr noch über diesen Griechen erzählt hatte.

„Pythagoras war nicht nur Mathematiker, sondern an erster Stelle Philosoph. Vor allem war er der Erste, welcher für das Universum den Begriff Kosmos verwendet hat. In der Welt als Kosmos sah er alles nach göttlichen Gesetzen harmonisch geordnet – ein schöner Gedanke.“

„Ich kenne bisher nur die wissenschaftliche Kosmologie. Aber ergänzend wollte ich mich immer schon mit der antiken Kosmologie beschäftigen“, erklärte Kai.

„Könntest du mir die Telefonnummer dieses Herrn Steinalt besorgen?“

Sarah lachte.

„Er heißt Altstein! Moment, ich habe seine Telefonnummer sogar hier. Mit so einem interessanten Menschen möchte ich auf jeden Fall in Kontakt bleiben.“

Den Grund für sein wirkliches Interesse an Pythagoras behielt Kai allerdings für sich.

6

Am Vormittag des nächsten Tages rief Kai Herrn Altstein an. Er stellte sich als Astrophysiker vor und nannte als Grund seines Anrufes sein Interesse an der griechischen Kosmologie. Es entwickelte sich ein für Kai sehr lehrreiches Gespräch, bei welchem ihm seine eigene Unkenntnis etwas peinlich war.

Er erfuhr unter anderem, dass Thales bereits im Jahr 585 vor Christi Geburt eine Sonnenfinsternis auf den Tag genau vorhergesagt hatte. Das war damals sensationell, denn damit war erwiesen, dass astronomische Ereignisse nicht der Willkür strafender Götter entstammten, sondern nach Gesetzmäßigkeiten erfolgten, welche vom menschlichen Verstand erfasst werden konnten. Die erste Aufklärung auf europäischem Boden hatte hier ihren Ursprung. Die Griechen wussten schon, dass die Erde eine Kugel ist, Eratosthenes konnte den Erdumfang berechnen und der griechische Astronom Aristarch hatte im vierten vorchristlichen Jahrhundert die begründete Behauptung aufgestellt, dass sich die Erde um die Sonne dreht.

Schließlich fragte Kai, ob eine Verbindung zwischen Pythagoras und irgendwelchen heiligen Quellen bestehen würde.