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Clayton Stumper ist ein Rätsel. Aufgewachsen in den heiligen (und etwas staubigen) Hallen der mysteriösen ›Gemeinschaft der Rätselmacher‹ weiß er mit seinen Anfang zwanzig so einiges über verschlüsselte Botschaften, verwunschene Labyrinthe und geniale Menschen jenseits der achtzig. Weniger versteht er von Menschen seines Alters oder vom Leben außerhalb des alten Hauses im verschlafenen Bedfordshire. Das größte Mysterium ist für Clayton jedoch Clayton selbst: Wer ist er eigentlich? Woher kommt er? Und wer hat ihn vor 23 Jahren auf den Stufen der ›Gemeinschaft der Rätselmacher‹ ausgesetzt? Als seine Ziehmutter Pippa Allsbrock, ihres Zeichens unangefochtene Königin der Kreuzworträtsel und Vorsitzende der Gesellschaft, stirbt, hinterlässt sie ihm ein letztes Rätsel, dessen Lösung Clayton nicht nur die Frage nach seiner Herkunft beantworten, sondern ihm auch den Weg ins Leben weisen soll. Doch die echte Welt ohne doppelten Boden stellt den wohl ältesten 23-jährigen der Welt vor so manche Herausforderung – und so beginnt das Abenteuer seines Lebens.
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Eine geheimnisvolle Gemeinschaft, ein altes Haus in Bedfordshire und ein Waisenjunge, der vor dem größten Rätsel seines Lebens steht
Aufgewachsen in den heiligen Hallen der mysteriösen ›Gemeinschaft der Rätselmacher‹ weiß Clayton Stumper so einiges über verschlüsselte Botschaften, knifflige Puzzles und verwunschene Labyrinthe. Und über brillante Menschen jenseits der Achtzig, denn von einem Hort der Genialität hat sich Creighton Hall, das Anwesen der Gemeinschaft, mehr und mehr zu einem intellektuell herausfordernden Seniorenheim entwickelt. Weniger versteht Clayton von Menschen seines Alters oder vom Leben außerhalb der Gemeinschaft. Das größte Mysterium ist für Clayton jedoch Clayton selbst: Woher kommt er? Wer sind seine Eltern?
Ein letztes Rätsel, das ihm Pippa, die Vorsitzende der Gemeinschaft und seine Ziehmutter, nach ihrem Tod hinterlässt, verspricht endlich Antworten zu geben. Doch das wirkliche Leben stellt den ältesten Fünfundzwanzigjährigen der Welt vor so manche Herausforderung.
© Rik Pennington
Samuel Burr hat an der Westminster Film School studiert und arbeitet als Fernsehproduzent. In seiner Freizeit engagiert er sich ehrenamtlich für verschiedene Seniorenhilfsorganisationen. Er lebt mit seinem Partner Tom und seiner Katze Muriel in London. ›Das größte Rätsel aller Zeiten‹ ist sein Debütroman.
Karl-Heinz Ebnet arbeitet seit mehr als 25Jahren als literarischer Übersetzer. Zu den von ihm übersetzten Autor*innen zählen u.a. Mary Higgins Clark, Tobias Hill, Julian Gough und Ayad Akhtar. Für DuMont übersetzte er zuletzt ›Ein Schuss im Schnee‹ von Michael Innes.
Samuel Burr
Das größte
Rätsel
aller Zeiten
Roman
Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet
Die englische Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel ›The Fellowship of Puzzlemakers‹ bei The Orion Publishing Group Ltd, London.
© 2024 by Samuel Burr
E-Book 2024
© 2024 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Übersetzung: Karl-Heinz Ebnet
Lektorat: Claudia Alt
Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln
Umschlagabbildung: Icons von © Rcx/Adobe Stock, Bioraven/Adobe Stock, Katsiaryna Pleshakova/Shutterstock, ArtForYou/Depositphotos, J emastock/Depositphotos, Eyewave/Istockimages
Satz: mittelstadt 21, Vogtsburg-Burkheim
E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck
ISBN E-Book 978-3-7558-1057-5
www.dumont-buchverlag.de
Für Anne und Andrew,
Die Gemeinschaft der Rätselmacher
– Mitgliederverzeichnis –
Miss Pippa Allsbrook
Oberste Kreuzworträtselautorin, Gründerin und Präsidentin
Mr
Clayton Stumper
Schriftführer
Mr
Hector Haywood
Puzzle-Illustrator und stellvertretender Präsident
Mr
Earl Vosey
Meister der Labyrinthe
Sir Derek Wadlow
Codebrecher
Miss Jean Watkins
Trivia-Königin
Mr
Geoff Stirrup
Rechenmeister
Miss Nancy Stone
Quiz-Königin
Mr
Eric Stoppard
Meister der mechanischen Rätsel
Mr
Martin Dudeney
Metallbauer und Glasbläser
Mr
Jonty Entwistle
Wortschmied und Sprachakrobat
Mr
Nigel Bentham
Herr der Spiele
Miss Angel Webster
Haushälterin
Prolog
1991
HTWWVZXXPY MPT OPC RPXPTYDNSLQE OPC CLPEDPWXLNSPC
Für manche war die Inschrift auf der glänzenden Messingplakette an der Eingangstür nichts als Kauderwelsch, für viele aber, die das prachtvolle Haus in Bedfordshire besuchten – und sicherlich für jene, die darin residierten –, war sie recht einleuchtend. Es handelte sich um eine einfache +11Caesar-Verschiebung. Nichts sonderlich Kompliziertes also:
Willkommen bei der Gemeinschaft der Rätselmacher
Darunter war auf einem laminierten Papierstreifen zu lesen: Unser Summer spielt verrückt. Drücken und halten, sonst klingt es wie Morsecode. Noch besser, den Klopfer betätigen. Einer von uns ist meistens da. Bitte keine Werbesendungen!
Pippa Allsbrook stand mit dem Rücken zum Haus und ließ sich gegen die bogenförmige Eichentür fallen. Sie hatte sie hinter sich geschlossen, als sie ins Freie getreten war und auf den Eingangsstufen die seltsame, buchstäblich aus dem Nichts aufgetauchte Lieferung in Augenschein nahm.
Eine Hutschachtel.
Sie sah aus wie eine ganz normale Hutschachtel; außen schwarzes, mit goldenen Bordüren verziertes Leder, auf dem sechseckigen Deckel waren die Buchstaben H.H. aufgeprägt. Was sie aber verwirrte, war der Inhalt oder, genauer gesagt, der Lärm, der aus dem Gegenstand drang: ein beständiger, hoher, durchdringender Ton, der aus der Nähe mit keiner anderen Lautäußerung zu verwechseln war.
Als Pippa den Deckel abnahm – er war nicht verschnürt –, war sie so überwältigt, dass ihre Knie nachzugeben drohten. Sie musste sich an der Verandasäule festhalten, während sie sich mit der freien Hand ans heftig klopfende Herz fasste und sie einen weiteren Blick hineinwarf.
Das konnte nicht sein.
In der Schachtel, zwischen dem geblümten Papierfutter, lag in eine senfgelbe Chenille-Decke gewickelt ein wunderschöner, vermutlich erst wenige Tage alter Säugling. Er weinte sich die Seele aus dem Leib.
»Oh, mein Lieber. Wo zum Teufel kommst du denn her?«
Das Brüllen des Jungen ließ kurz nach, als Pippa auf ihn herabsah und ihre Blicke sich trafen.
»Du bist doch das schönste kleine Wesen, das es jemals gegeben hat.«
Nichtssagende Schmeicheleien waren sonst nicht ihre Sache, aber der kleine Kerl, der zu ihr aufblickte – ein Junge, wenn das Blau seines Stramplers irgendetwas zu bedeuten hatte –, war in jeder Hinsicht vollkommen. Er hatte einen goldenen Haarflaum, der wie Zuckerwatte an seinem Kopf klebte, rosige Pausbacken und die blassesten blauen Augen, aber so durchdringend, dass sie ihre zu durchbohren schienen.
Pippa lüpfte ihren Tweed-Rock und hockte sich auf die Stufen.
Vorsichtig fasste sie in die Schachtel. Als Erstes wischte sie die glänzende Tränenspur fort, dann strich sie ihm mit dem Daumen über die Nase, bevor sie diese ein-, zwei-, dreimal anstupste, als wollte sie überprüfen, dass der kleine Kerl wirklich, dass das alles kein Traum war.
»Duu … duu«, hörte sie sich in einem weichen Singsang sagen. »Duu … duu!«
Das Baby – beruhigt durch die Geste – wurde kurz ganz still.
Sie sah ihn an. Er sah sie an. Sie spürte, wie sich seine winzigen Finger um die ihren legten, bevor seine wild rudernden Händchen plötzlich zu ihr hochschossen.
Er streckte seine Arme nach ihr aus.
Ohne zu zögern, legte sie sorgfältig eine Hand unter seinen Kopf, die andere schob sie unter seinen Rücken und hob ihn aus der Schachtel. »Shhh«, flüsterte sie ihm sanft ins Ohr. »Ich hab dich … ich hab dich.«
Er war so unglaublich weich, dass sie nicht anders konnte, als sein Gesicht an ihres zu drücken. Als seine samtene Haut über ihre strich, küsste Pippa ihn auf den Kopf, die Nase, das winzige Grübchen am Kinn. Er roch wie das Innere einer Milchflasche, nach frisch gebackenem Brot und Imperial Leather.
Erst als sie den Neugeborenen in den Armen wiegte, bemerkte sie es. Dort, im dichten Gebüsch zu beiden Seiten der langen Kiesanfahrt, bewegte sich etwas. Ein Trippeln. Es war weder das leise Huschen eines Tiers noch der Wind, der an den Zweigen zerrte, sondern die Bewegung eines Menschen. Sie war sich sicher. Jemand war dort draußen. Jemand hatte sie beobachtet.
Zeigen Sie sich, wollte sie rufen. Sagen Sie mir, wer Sie sind. Warum lassen Sie Ihr Kind bei uns zurück? Aber in diesem Augenblick schnellte die kleine Hand des Babys vor und umklammerte ihren Mittelfinger, und sie wusste, dass ihrer beider Schicksale untrennbar miteinander verbunden waren.
»Das ist es also«, murmelte sie leise und wiegte den Jungen im matten Morgenlicht. Ihre beiden Pulsschläge begannen im Gleichklang zu schlagen. »Jetzt bist du in Sicherheit.«
Kein Moment in Pippa Allsbrooks vierundsechzig Jahre währendem Leben war so wunderbar oder so vom Schicksal bestimmt gewesen wie dieser. Er war das Rätsel und die Lösung, nach der sie ihr Leben lang gesucht hatte. Das fehlende Teil.
TEIL EINS
1
2016
Clayton Stumper war ein Rätsel.
Das war er schon immer gewesen, jetzt aber, als er am Vorabend von Pippas Beerdigung nur wenige Meter vor ihrem offenen Sarg stand, fürchtete er, dass das immer so bleiben würde.
Er konnte sich kaum dazu überwinden, hinzusehen.
Von der gegenüberliegenden Seite des alten Billardzimmers erkannte er lediglich ihre Haare, die silberne Wolke ihrer perfekt gelegten Dauerwelle, und die gepolsterten Schultern ihres lila Lieblingskleids von Givenchy – beides ragte über die Kante des mit purpurnen Samt ausgeschlagenen und mit purpurnen und weißen Gerbera geschmückten Kiefernsargs. Sie hatte darum gebeten, dass die Gedenkschleife am Kranz nicht mit MUTTER oder FREUNDIN oder PRÄSIDENTIN beschriftet würde, sondern mit NIRELSTEARTROWZUERK.
Im Blumenladen waren einige Erklärungen nötig gewesen, aber so hatte sie sich das nun mal erbeten, und Clayton war entschlossen, ihren Anweisungen Folge zu leisten. Noch aus dem Grab heraus stellte sie ihre Freunde vor Herausforderungen.
Die Totenwache fand im größten und förmlichsten Raum der Gemeinschaft der Rätselmacher statt. Kerzenhalter aus Messing waren an den mit William-Morris-Tapeten ausstaffierten Wänden angebracht, am länglichen Ende des Zimmers boten zwei Erkerfenster, die von Vorhängen mit kunstvollen Quasten gerahmt wurden, einen Blick hinaus auf die Terrasse. In diesem Raum hatte die Gemeinschaft ihre offiziellen Veranstaltungen abgehalten – Rätselturniere, Vorlesungen, Produktvorstellungen –, mittlerweile sah es hier aber eher aus wie in der Gemeinschaftslounge eines Pflegeheims. Wo einst makellose dekorative Barockmöbel gestanden hatten, gab es nun, allesamt zur Spätnachmittagssonne ausgerichtet, hohe Lehnsessel, Puzzletische und Kreuzwortlegebretter.
Die Trauergäste würden erst in einer Stunde eintreffen. Clayton war früher gekommen, damit er noch Zeit mit Pippa hatte. Es gefiel ihm nicht, dass sie hier allein sein sollte. Doch statt sofort zu ihr zu gehen und ihr Gesellschaft zu leisten, hielt er sich erst noch etwas abseits, um sich zu wappnen.
Die ganze Woche hatte er sich nichts anmerken lassen und so getan, als würde er klarkommen, während ihm in Wirklichkeit der Boden unter den Füßen weggezogen worden war und er nicht wusste, wohin er sich wenden sollte.
Begonnen hatte das alles schon, als Pippa krank wurde. Da hatte er einen neuen Impuls in sich gespürt: den Wunsch, die Wahrheit herauszufinden. Herauszufinden, woher er kam, wer seine leiblichen Eltern waren und warum sie ihn vor fünfundzwanzig Jahren auf den Stufen zur Gemeinschaft ausgesetzt hatten. Bis dahin hatte er nicht das Bedürfnis verspürt – ihm hatte es an nichts gemangelt, nie hatte er etwas vermisst –, jetzt aber, da ihm klar wurde, dass Pippa, die Frau, die ihn wie ihren eigenen Sohn großgezogen hatte, nicht ewig leben würde, fühlte er sich mit einem Mal haltlos.
Um sich abzulenken, räumte er erst einmal den Spieleschrank in der Ecke auf. Dort, in der Vitrine, bewahrten sie alles auf, was sie für ihre Rätsel brauchten: Handbücher, Jetons, Murmeln und Kugellager. Obwohl er an der Tür eine Notiz aufgehängt hatte, dass die Bewohner die Gegenstände doch bitte wieder an ihren richtigen Platz zurücklegen sollten, war nichts jemals dort, wohin es gehörte.
Neben dem überladenen Schrank stand ein mit grünem Filz bespannter Mahjong-Tisch, daneben eine riesige freistehende Kreidetafel, auf der, im richtigen Licht und im richtigen Winkel betrachtet, die schattenhaften Notierungen aus einem halben Jahrhundert zu erkennen waren: Rätsel und Nonogramme, Muster und Gitter. Das blasse Gekritzel von einigen der klügsten, brillantesten Geister ganz Großbritanniens.
Clayton räusperte sich, wollte ihr Hallo sagen, brachte aber keinen Ton heraus.
Im Zimmer war es so unerträglich still.
Das einzige Geräusch stammte von der riesigen Standuhr gegenüber, deren schwingendes Pendel ein schwaches, aber herrisches tick, tick, tick von sich gab. Clayton versuchte es auszublenden. Er musste nicht an die Zeit erinnert werden und wie wenig davon allen in der Gemeinschaft noch blieb. Wenn er doch bloß, dachte er sich, auf eine Pausentaste drücken könnte, damit die Dinge blieben, wie sie waren.
Am Fußende des Sargs angekommen, warf er zum ersten Mal einen Blick auf die darin liegende Frau.
Pippa Allsbrook.
Die Kreuzworträtsel-Pionierin. Universalgelehrte. Präsidentin der Gemeinschaft der Rätselmacher und Vorsitzende der Britischen Kreuzworträtsel-Liga.
Clayton musste zugeben, dass sie sogar noch im Tod recht eindrucksvoll aussah. Unten im Sarg befanden sich einige der ihr wertvollsten persönlichen Besitztümer: ihr liebster, mit Perlmutt verzierter Taschenspiegel, eine abgegriffene, ledergebundene Ausgabe von Sam Loyds Cyclopedia of Puzzles und eine Flasche ihres Lieblings-Dom-Pérignon, von dem sie immer eine Kiste hinten in ihrem Kleiderschrank aufbewahrt hatte, damit sie zu besonderen Anlässen eine Flasche köpfen konnte.
Sie war neunundachtzig geworden, wie ihm jeder immer wieder in Erinnerung rief. Wir sollten trauern, wir sollten feiern. Was für ein Leben, was für ein Vermächtnis! Natürlich, das alles stimmte schon, aber für Clayton war ihr Verlust deshalb nicht weniger niederschmetternd.
Er legte die Hand auf den Rand des Sargs, und bevor er es sich anders überlegen konnte, beugte er sich vor, sodass er nur noch wenige Zentimeter von Pippas Gesicht entfernt war.
»Hey, Pip …«
Stille.
»Ich bin’s nur.«
Ihre wächserne Haut war nicht nur blass, sondern wässrig, fast durchscheinend, wie Gelatine. Er konnte die Falten zählen, die von ihren Augenwinkeln ausgingen, sah, wie die Bestatter ihre hohlen Wangen mit Rouge geschminkt, die Lippen nachgezogen, die Lider getönt hatten – mit einem dunkleren Farbton, als sie sonst auftrug.
Es kostete ihn große Anstrengung, mit der anderen Hand richtig in den Sarg hineinzugreifen, Pippas zerbrechliches Handgelenk anzuheben und sacht die eigene Hand unter die ihre zu schieben; als er es aber tat, als das Gewicht ihrer Hand auf seiner lag, fühlte sich ihre Kühle vertraut an. Irgendwie wärmte sie ihn.
Bevor er wieder ging, griff Clayton in seine Gesäßtasche, zog das Kreuzworträtsel der Times heraus (Nr.27,122) und schob es ins Samtfutter zu ihren Füßen. Er hatte überlegt, ob er versuchen sollte, es zu lösen, hatte es aber nicht über sich gebracht. Sein Kopf war schwer vor Trauer, aber auch zu seinen besten Zeiten überstiegen die hintersinnigen Fragen für gewöhnlich sein Verständnis.
Er selbst war kein Rätselmacher, natürlich nicht. Im Gegensatz zu den anderen hatte er es sich nicht ausgesucht, hier zu leben; er war der Gemeinschaft von jemandem zum Geschenk gemacht worden. Jetzt hatte er so viele Fragen, es gab so vieles, von dem er sich wünschte, er hätte Pippa drauf angesprochen. Nun war es dafür zu spät.
Wie bei dem ungelösten Kreuzworträtsel, das er gerade in ihren Sarg geschoben hatte, würde er nie die Antworten bekommen, die er brauchte, um sich selbst zu vervollständigen. Damit er sich ganz fühlen konnte.
2
The Old Queen’s Head, Islington Dienstag, 7.August 1979
Pippa wollte unbedingt ein Glas Schampus.
Sie stand an der Theke und versuchte die junge Barkeeperin mit den hochtoupierten platinblonden Haaren auf sich aufmerksam zu machen. Die Frau trug die größten goldenen Kreolen, die sie jemals gesehen hatte; drei in jedem Ohr, und wenn sie hinter der Theke hin und her huschte und Pippas erwartungsvollen Blick gekonnt ignorierte, klirrten sie wie winzige Kirchenglocken.
»Nächster!«, blaffte sie und sah an Pippa direkt vorbei zu einem attraktiven jungen Mann, der soeben hinter ihr aufgetaucht war. »Was darf’s sein, Süßer?«
Pippa seufzte und richtete einen verzweifelten Blick zur Decke, während sich der andere um sie herum an die Theke zwängte.
Seitdem Pippa das halbe Jahrhundert voll hatte, kam sie sich vor, als wäre sie nichts weiter als das Produkt ihrer eigenen Einbildung. Denn für den Rest der Welt wurde sie zunehmend unsichtbar.
»Dürfte ich bitte bestellen? Ich sehe ja, Sie haben zu tun, aber ich warte auch schon ein Weilchen.«
»Bin sofort da«, antwortete die Frau, ohne auch nur vom Zapfhahn aufzublicken.
Pippa holte tief Luft.
In den letzten zehn Minuten hatte sie beklommen die Spiegelwand hinter der Theke im Auge behalten. Die Tür, die zum oben gelegenen Versammlungsraum führte, war zwischen einer Flasche Bombay Dry und einer Flasche Bell’s zu erkennen. Sie hatte mindestens zehn Besucher durchschlüpfen sehen, während sie darauf wartete, bedient zu werden. Und jedes Mal war sie erleichtert gewesen. Trotz des ursprünglichen Interesses machte sie sich Sorgen, ob die Leute auch wirklich persönlich erscheinen würden. Das war ja das Problem mit der Rätselgemeinde – in ihr fanden sich eher die introvertierten Typen wieder.
Versammlungsraum erster Stock Reserviert für Privatveranstaltung 19Uhr bis letzte Bestellung
Plötzlich tauchte der Wirt neben der Barkeeperin auf: ein stämmiger Typ mit einem perfekt geformten, kugelrunden Bauch.
Pippa versuchte seinen Blick einzufangen, stellte sich auf die Zehenspitzen, um sich größer zu machen, als sie sowieso schon war, aber er war ganz darauf konzentriert, einen Beutel mit Halfpennies in die Kasse zu schütten, während er dazu die Titelmelodie von Ski Sunday pfiff.
Wenn ich mit nichts als meiner Unterwäsche am Leib an der Theke stehen würde, überlegte sie. Wenn ich auch noch das letzte Fitzelchen Kleidung ausziehen würde oder, noch besser, wie ein Mann gekleidet wäre, mit angeklebtem Bart und Melone, dann würde ich vielleicht verdammt noch mal was zu trinken bekommen.
Der Einzige, der ihre Anwesenheit bemerkt hatte, war ein älterer Gentleman einige Barhocker weiter.
Er war makellos gekleidet, trug einen zweireihigen grauen Nadelstreifenanzug und einen braunen Filzfedora, bei sich hatte er eine abgenutzte Lederaktentasche, eine Pfeife und Papier. Aus dem Augenwinkel hatte sie gesehen, dass er einem Lederportemonnaie Münzen entnommen und sie auf der Theke aufgereiht hatte, als würde er sich auf eine Backgammon-Partie vorbereiten.
Er bestellte sich ein Barley Wine und geröstete Erdnüsse, deren Preis – neunundfünfzig Pennies – er bereits exakt vor sich abgezählt liegen hatte.
Sie konnte ihn nicht ganz einordnen, war aber überzeugt, dass sie ihn von irgendwoher kannte. Auch sein Eau de Cologne – eine Mischung diverser exotischer Gewürz- und Holzdüfte – kam ihr bekannt vor: Fabergé Brut. Der gleiche Duft, mit dem sich auch Val Perret-Reers, ein Redakteur, dem sie beim Telegraph zugearbeitet hatte, gewöhnlich dann großzügig eingenebelt hatte, wenn ihm nach einem Lunch-Treffen mal wieder der Duft seiner Geliebten anhaftete.
Damals war sie einundzwanzig gewesen, frisch von der Uni in Cambridge gekommen und hatte große Erwartungen und noch größere Ziele gehabt, als sie Val kennenlernte – einen Mann, wie er ihr noch oft im Leben begegnen sollte, und einer, den sie wie keinen zweiten hasste. Sie hatte seinen Namen anagrammiert – was sie gerne tat, wenn jemand starke Gefühle in ihr weckte. Zu ihren Lieblings-Anagrammen, die sie im Lauf der Jahre erstellt hatte, gehörten:
Eric Clapton. Narcoleptic.
Clint Eastwood. Old West Action.
Margaret Thatcher. That Great Charmer.
Für Val Perret-Reers ersann sie Perverser Alter. Hätte nicht angemessener sein können.
Der Alte neben ihr griff nach seinem Glas Barley Wine, und dabei wurde eine kleine blaue Anstecknadel an seinem Revers sichtbar. Das Emblem eines Globus, umgeben von einem Lorbeerkranz, darüber die Kronjuwelen und die Buchstaben GCHQ. Ein Ehrenabzeichen, wusste sie, das der hochgeheime Nachrichtendienst Mitarbeitern im Ruhestand verlieh, was wiederum bedeutete, dass es sich bei dem Träger um niemand anderen als Sir Derek Wadlow handelte, den legendären Codebrecher und internationalen Schachgroßmeister höchstselbst. Sie hatte vor Jahren eine Vorlesung zur Kryptologie besucht, die er im Savile Club gegeben hatte. Er gehörte zu dem Team in Bletchley Park, das die Enigma entschlüsselt hatte.
Derek – mittlerweile sicherlich Mitte achtzig – verließ die Theke und schlurfte ungewöhnlich langsam davon, fast so, als hätte er etwas sehr Kleines verloren und hielte auf dem Boden danach Ausschau. Dann trat er durch die Tür, die nach oben zum Versammlungsraum führte.
Pippa konnte es kaum fassen.
Sir Derek Wadlow wollte ihrem Rätselclub beitreten? Er, ein Veteran des Bletchley Park, ein Mann, der mitgeholfen hatte, feindliche Chiffriermaschinen zu knacken, sicherlich einer der hochrangigsten Kryptologen in Großbritannien, wenn nicht der ganzen Welt? Was für ein Knüller, welch wunderbare Unterstützung, und das, bevor sie überhaupt richtig losgelegt hatten.
Das Ziel ihrer Gesellschaft war ganz einfach: gleichgesinnte Rätselfreunde zusammenzubringen – Kreuzworträtselautoren, Enigmatologen, Logiker, Trivialisten, Rätselerfinder – für regelmäßige Treffen im Pub. Sie wollte nicht nur Profis ansprechen – denn von ihnen gab es nur wenige –, sondern leidenschaftliche Amateure, jeden, der Freude an komplizierten Spielen und Herausforderungen hatte und dafür die geistigen Voraussetzungen mitbrachte.
Seitdem Pippa das Erstellen von Kreuzworträtseln zu ihrem Beruf gemacht hatte, hatte sie sich eine recht große Gefolgschaft aufgebaut. Oder zumindest ihr Alter Ego. Der Squire of Highbury Hill, London, wie sie sich nannte, erhielt mittlerweile umfangreiche Fanpost; viele gaben ausgeschnittene Kreuzworträtsel mit in den Umschlag, auf denen sie ihre Anfangs- und Endzeit vermerkt hatten und womit sie ihren Grad an Versiertheit demonstrieren wollten. Manchmal schickten sie ihr zur Begutachtung handgezeichnete Kreuzworträtsel mit kryptischen Fragen und legten vorfrankierte Rückumschläge bei, damit sie ihnen ihr Werk, versehen mit dem königlichen Siegel der Zustimmung, signiert zurückschickte.
Einige Wochen zuvor hatte sie an einen ausgewählten Kreis renommierter Rätsler ein Dutzend Einladungen für das Gründungstreffen der Gesellschaft verschickt. Sie hatte sie dazu ermutigt, weitere Bekannte darauf anzusprechen – jeder sei willkommen, hatte sie versichert. Oder vielmehr der Squire of Highbury Hill hatte dies versichert.
Murray Salter – der Kreuzworträtsel-Redakteur des Express – hatte ihr geantwortet und versprochen, seine freiberuflichen Autoren darüber in Kenntnis zu setzen; Clement Banks – Champion der Scrabble-Liga im Vereinigten Königreich von 1967 bis 1972 – sagte, er wolle dafür sorgen, dass die Einladung im Programm des nächsten Turniers, an dem er teilnehme, abgedruckt werde. Es hatte nicht lange gedauert, und die Einladung war in Zeitschriften und Zeitungen erschienen. Bald darauf trudelten die Antwortschreiben ein.
»Hast du die seltsamen Gestalten gesehen, die alle nach oben sind?«, hörte Pippa die Barkeeperin zum Wirt sagen. »Was sind das noch mal für Leute?«
Der Wirt zuckte mit den Schultern. »Hab nur die Buchung entgegengenommen, Pam. Von mir aus könnten die dort oben den Sturz von Harold Wilson planen.«
Pippa hüstelte leise in die Hand.
»Aber wie nennen die sich gleich noch mal?«, entgegnete die Barkeeperin. »Irgendwas mit Gemeinschaft, oder?«
Gib mir Gleichmut, dachte Pippa. Oder wenigstens ein Glas Asti Spumante.
»Und hast du den alten Knacker gesehen? Der sein Kleingeld abgezählt hat?«, fuhr die Barkeeperin fort. »Als hätte er wochenlang darauf gespart.«
Er ist Millionär, wollte Pippa sagen. Der Mann ist Multimillionär, weil er mit seinem Gehirn zur Rettung dieses Landes beigetragen hat. Der hat in einer seiner kleinen Zehen mehr Grips als ihr beiden Knalltüten in euren Hirnen zusammen.
Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete der Wirt das Blatt mit den Buchungen, das er neben der Kasse liegen hatte. »Die Gemein … schaft … der … Moment, ich brauch meine Brille.«
»Gemeinschaft der Rätselmacher«, blaffte Pippa. Die beiden drehten sich zu ihr hin.
Plötzlich nahmen sie sie wahr. Sie winkte kurz, als wollte sie ihnen zu verstehen geben, hallo, hier bin ich.
»Sorry, wie war das?«
»Gemeinschaft der Rätselmacher«, wiederholte sie. »Das ist meine Gesellschaft. Es ist unsere Gründungssitzung. Und sie fängt …« Sie sah auf ihre Armbanduhr. »In zweieinhalb Minuten an. So, dürfte ich Sie nun bitte mit einer Bestellung behelligen? Ich sollte mich nämlich langsam beeilen, damit ich noch rechtzeitig nach oben komme.«
Pippa öffnete die Handtasche und zog ihre Geldbörse heraus. Sie hasste es, ignoriert zu werden, noch schlimmer aber war es, wenn man sie nicht ernst nahm; bei ihr lagen also die Nerven blank.
»Nichts für ungut, war nicht böse gemeint. Aber am Dienstag haben wir sonst immer Darts, das ist alles«, sagte die Barkeeperin. »Ihre Bestellung geht aufs Haus, Ma’am …«
»Miss … bitte«, korrigierte Pippa sie ganz automatisch. »Und das ist sehr nett. Haben Sie was, was sprudelt?«
Die Barkeeperin richtete ihren Kohlensäureschlauch auf sie. »Ich hab Tonic oder Soda. Was wollen Sie?«
Kurz darauf, am Fuß der mit einem Läufer ausgelegten Treppe, in der Hand den Campari aufs Haus mit nicht gewünschtem Soda, stapfte Pippa Allsbrook die Treppe hinauf ins nächste Kapitel ihres Lebens.
3
Nach einer Stunde der Totenwache für Pippa stellte Clayton fest, dass er den Raum wirklich noch nie so voll erlebt hatte. Im Gedränge befanden sich auch alle acht gegenwärtigen Bewohner: Geoff Stirrup – ihr oberster Rechenmeister – zeigte der Trivialistin Jean Watkins und dem Labyrinthbauer Earl Vosey etwas aus seinem Portfolio. Es handelte sich dabei um eine abgegriffene Ledermappe, die er überall mit sich herumschleppte und die seine jüngsten mathematischen Überlegungen enthielt, die er hastig auf grün karierte Blätter kritzelte, um sie dann recht wahllos in die Mappe zu stopfen. Gelegentlich fand Clayton die Zettel im Haus verstreut, übersät mit Zahlen, Pfeilen, leeren Kästchen und nahezu unleserlichen Anweisungen. Für ihn ergaben sie kaum Sinn, gewöhnlich wurden sie allerdings in einer der Vierteljahreszeitschriften der Gemeinschaft oder auf ihrem Blog oder in externen Publikationen veröffentlicht, zu denen Geoff regelmäßig beitrug. Die Leute schienen gar nicht genug davon bekommen zu können.
Sowohl Jean als auch Earl gaben sich recht unbeeindruckt von dem, was Geoff ihnen demonstrierte, nickten aber geistesabwesend. Es war angeraten, gute Miene zu seinen Ausführungen zu machen, sonst hatte man ihn stundenlang an der Backe.
Im Raum verteilt waren auch die anderen: Eric, Nigel, Martin und Hector – alle im Gespräch mit den Gästen. Zu diesen gehörten einige illustre Rätselchampions, ehemalige Mensa-Komiteemitglieder, Kunden, Sponsoren, Reinigungspersonal und Gärtner.
Sie alle waren gekommen, um der Frau die letzte Ehre zu erweisen, die diese Gesellschaft gegründet und in eine florierende Gemeinschaft verwandelt hatte, die in ihren besten Tagen der größte unabhängige Hersteller und Vertreiber von Rätseln in ganz Europa war.
Alle hatten anscheinend ein Glas in der Hand, Clayton war also glücklich. Solange sich alle wohlfühlten.
Clayton drückte mit dem Rücken die Schwingtür auf, die zur Küche führte, und kurz darauf kehrte er mit einem Silbertablett voller Horsd’œuvres zurück: gefüllten Selleriesticks, Krabbenfleisch in Filoteig, Cocktailspießchen mit Käse und eingelegten Zwiebeln.
Alle hatten darauf gedrängt, Caterer zu beauftragen, aber davon hatte er nichts wissen wollen. Es war, um ehrlich zu sein, eine willkommene Ablenkung, sich selbst um alles kümmern zu müssen.
Er stellte das Tablett auf der Ottomane ab und schenkte sich einen Sherry vom Servierwagen ein – aus einer guten Flasche, auch wenn es nicht sein üblicher Harveys Bristol Cream war –, schob einen Cheddar-Würfel vom Spieß in den Mund und kaute auf dem warmen, feuchten Käse herum. Erst jetzt fiel ihm ein, dass er den ganzen Tag kaum was gegessen hatte. Er nahm sich einen weiteren Käsestick.
»Hey«, sprach ihn jemand hinter ihm an.
Clayton drehte sich um. Vor ihm stand eine junge Frau; ihr Gesicht wurde fahl vom Handy in ihrer Hand beleuchtet.
»Oh, hallo«, erwiderte Clayton und wackelte, während er überlegte, mit dem Zeigefinger hin und her. »Amy … oder?«
»Amber«, berichtigte sie ihn.
Er schnippte mit den Fingern. »Fast. Ich war schon immer schrecklich mit Namen. Verzeihung.«
Die junge Frau lächelte angestrengt.
Sie trug ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck Hotel California, dazu Jeans, die vermutlich aus modischen Gründen an den Knien aufgeschlitzt waren.
Clayton hatte zuvor mitbekommen, dass die junge Frau, die Enkeltochter des Rätselkästchen-Meisters Eric Stoppard, jemand anderem erklärt hatte, dass sie nach einem Jahr Backpacking gerade erst aus Australien zurückgekehrt sei. Sie hatte auf Obstplantagen und in einer Surfschule gearbeitet und sich fast jede Nacht besinnungslos betrunken. Er konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen.
Sie beide waren mit einem Abstand von mindestens fünfzig Jahren die Jüngsten im Raum.
Eric Stoppard wohnte im obersten Geschoss der Gemeinschaft und blieb meistens für sich. Er war ein ehemaliger Maschinenbauingenieur – mit entsprechend erfinderischem Verstand – und ein toller Schöpfer von Rätselkästchen, die zu Weihnachten immer sehr gut ankamen. Das perfekte Geschenk für einen Onkel, den man kaum kannte.
Erst vor Kurzem war Eric, neunundsiebzig Jahre alt, zum Meister der mechanischen Rätsel ernannt worden, nachdem Tony Hargreaves, der alte Amtsinhaber, in ein Luxus-Seniorenheim an der Costa del Sol umgesiedelt war. Zur Bestürzung aller schickte er immer noch jeden Monat eine Postkarte.
»Muss doch ziemlich komisch sein«, verkündete Amber, nahm einen Schluck aus ihrer Flasche Babycham und verzog das Gesicht, als wäre der Birnensekt Gift. »In deinem Alter hier zu wohnen.«
»Eigentlich nicht«, gab Clayton zurück. »Was soll denn so komisch daran sein?«
»Na ja …«, begann sie, sah über seine Schulter und deutete auf das, was hinter ihnen vor sich ging. Um das Sofa hatte sich eine Gruppe versammelt, die das Lexikonspiel spielte – eines von Claytons liebsten Gesellschaftsspielen –, während ihr Grandad Eric den Kopf zum Fenster hinaussteckte und eine Zigarre rauchte.
»Es hängt wohl davon ab, was du unter komisch verstehst«, sagte er mit einem Schulterzucken. »Für mich und für alle, die hier leben, ist es völlig normal.«
»Aber du bist doch, na ja … jung.«
Clayton zog sein Jackett zusammen und drückte einen der Knöpfe ins falsche Loch. »Ich weiß nicht, inwiefern das irgendeine Rolle spielen soll.«
Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »So eben, keine Ahnung.«
Allmählich fühlte er sich unwohl. Amber betrachtete ihn, wie ein Historiker eine alte Münze studierte, und inspizierte ihn von oben bis unten, von der Brylcreem in den Haaren bis zu seinen Brogues.
»Trotzdem, danke, dass du gekommen bist«, sagte er und konnte es kaum erwarten, zu flüchten. »Schön, dich gesehen zu haben, Amy.«
»Amber.«
»Amber, Pardon, ja. Pass auf dich auf, ja?«
Auf dem Weg zu seinem Freund Earl kam er an der Lexikonspiel-Gruppe vorbei. Jemand kreischte das Wort »radotieren«, den Rest verstand er nicht mehr. Während er sich sonst gern beteiligte, war er heute nicht in der Stimmung für Spiele. Als er an der Gruppe vorbeiging, sah er auf dem Sofaarm jene mittelältliche Dame sitzen, die er nicht kannte, die ihn aber schon den gesamten Abend beobachtete. Sie trug einen schwarzen Hut, der ein wenig wie der Reifen eines Kleinwagens aussah. Kurz trafen sich ihre Blicke, dann sah sie weg.
»Wer ist die Frau dort drüben?«, flüsterte er Earl ins Ohr, als er bei ihm angekommen war. »Die mit dem Hut, hinter meiner rechten Schulter.«
Earl drehte sich auf seinem Stuhl nicht gerade unauffällig um und nahm die Brille von der Stirn, um besagte Dame besser in Augenschein zu nehmen.
»Du musst sie nicht so auffällig anstarren, Earl.«
Earl winkte der Dame zu. Als er sich wieder umdrehte, strahlte er. »Das ist Nance. Blitzgescheit. Sie sieht gut aus.«
»Aber wer ist sie?«
»Nancy? Sie hat jahrelang bei uns gewohnt … bis …« Er schloss die Augen. »Oh, das muss gewesen sein, kurz bevor du hier aufgetaucht bist.«
Clayton setzte sich unwillkürlich aufrechter hin. »Sie standen sich nahe? Pip und sie?«
Earl hüstelte. »Sie waren ganz dicke miteinander.«
»Und wie hieß sie noch mal?«
»Nancy Stone. Die Quiz-Königin.«
Clayton sah nach hinten, aber der Blick war jetzt verstellt. Jemand hatte gegen ein Glas geschlagen, als wollte er eine Rede halten, worauf sich die versammelten Rätselmacher um ihre ehemalige Präsidentin in ihrem mit Samt ausgeschlagenen Sarg scharten.
Er überlegte, ob er MrsStone vielleicht später ansprechen könnte; vielleicht hatte sie ja irgendwelche Erinnerungen zu dem Tag seiner Ankunft in der Gemeinschaft. Ein Versuch konnte ja nicht schaden.
Als er sich dem Sarg näherte, sah er erfreut, dass seine Freunde eine gefüllte Champagnerschale in der einen und eine in eine Serviette gewickelte Custard Tart in der anderen Hand hielten. Pippas Lieblingsgetränk und Lieblingsspeise.
»Wir fallen wie die Dominosteine, was?«, witzelte Hector, deutete mit seinem Orangensaft auf den Sarg und verspritzte dabei unabsichtlich einige Tropfen über dem Leichnam.
»Ein herber Schlag«, sagte Earl, der immer noch neben Clayton stand. »Ich kann es immer noch nicht fassen.«
Hector Haywood blies die Backen auf. »Wieder jemand ins Gras gebissen.« Der Mann war gerade mal anderthalb Meter groß und hatte einen buschigen militärischen Schnurrbart unter der Nase, der einem Klettband nicht unähnlich war. Gewöhnlich trug er ein von Farbspritzern überzogenes Flanellhemd und eine Freizeithose, heute Abend hatte er sich jedoch für einen zerknitterten anthrazitfarbenen Anzug entschieden.
»Aber doch nicht irgendwer, oder?«, hörte Clayton sich selber sagen.
Alle drehten sich ihm zu und rückten zur Seite, damit er in ihren Kreis treten konnte.
»Was soll das heißen?«, fragte Hector.
»Na ja …«, begann Clayton und wurde rot. »Ohne Pip wäre doch keiner von uns jetzt hier, nicht wahr?«
Jean und Earl – zwei seiner engsten Gefährten im Haus – sahen ihn freundlich an und hoben zustimmend ihr Glas. Allerdings entging Clayton nicht, dass Hector dafür nur leisen Spott übrig hatte und seine grimmigen weißen Brauen hochzog.
Das Witzige an Hector Haywood war, dass er im strengen Sinn gar kein Rätselmacher war. Er war Künstler. Die umfangreiche Palette der von ihm erschaffenen Puzzlemotive war zur großen Verdrossenheit vieler Bewohner das erfolgreichste Produkt der Gemeinschaft. Seine Technicolor-Gemälde von Küstenortschaften, mit Wollfäden spielenden Kätzchen in Körben und kitschigen Tante-Emma-Läden waren auf Millionen von Puzzles abgebildet, die sich größtenteils ungelöst in den Schränken überall im Land wiederfanden. Aber während die Bilder alle einen gewissen Frohsinn ausstrahlten, war der Mann selbst der größte Miesepeter. Ständig war er von dem einen oder anderen genervt, und seine Konversationsbeiträge beschränkten sich in der Regel auf einen endlosen Sermon griesgrämiger Kommentare. In letzter Zeit, nach Pippas Tod, hatte Clayton den Mann nahezu unerträglich gefunden.
»So, wenn nun alle da sind …«, begann Hector von Neuem. »Wir müssen uns überlegen, wie es mit der Gemeinschaft weitergehen soll.« Er lehnte sich auf seinen lackierten Gehstock und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Ich weiß, es wurde davon gesprochen, den Frühlingsjahrmarkt abzusagen. Ich bin allerdings der Meinung, dass er stattfinden sollte.«
Eine Weile lang sagte niemand etwas. Stattdessen standen alle mit gesenktem Kopf in andächtiger Stille um den Sarg.
Eine zarte Hand, die Clayton als die von Jean erkannte, berührte ihn und zog ihn in eine Umarmung. Er konnte ihr Elnett-Haarspray riechen, als sie kurz den Kopf auf seine Schulter legte.
Jean Watkins war die Trivia-Königin; eine Plakette an ihrer Zimmertür im Obergeschoss wies darauf hin. Sie kümmerte sich um sämtliche Produkte, die mit Trivia, mit wissenswerten und kuriosen Dingen zu tun hatten, hatte einen so scharfen Verstand, wie ihre Kleidung weich war, trug immer dicke farbenfrohe Pullover oder eine Strickjacke und war gewöhnlich im Speisezimmer an der Teemaschine zu finden, wo sie jedem eine Tasse anbot, während sie an ihm einige ihrer Fragen ausprobierte.
Jeans geschwollene Füße steckten in paillettenbesetzten Pumps; es waren ihre liebsten Partyschuhe, wie Clayton wusste, und bei ihrem Anblick bekam er einen Kloß im Hals. Denn sie war zum Tanzen hier, sie wollte ein erfülltes Leben feiern. Wer hätte es ihr verdenken können? Sein Kinn begann zu zittern, und um diese Peinlichkeit zu überspielen, bohrte er die Spitze seines Brogues in den dicken Teppich, der die Farbe von Hustensaft hatte.
»So, nun, meine Damen und Herren«, verkündete Earl. »Pippa hätte nicht gewollt, dass wir Trübsal blasen. Sollen wir einen kleinen Toast ausbringen?«
»Eine sehr gute Idee««, rief Jean und strahlte ihn an. »Sie hätte mittlerweile schon gut einen im Tee gehabt. Genehmigen wir uns einen Schluck.«
»Sollen wir den Dom köpfen?«, fragte Hector und spähte in den Sarg, wo zwischen Pippas Füßen die Flasche lag. Bevor ihn irgendjemand zurückhalten konnte, wickelte er auch schon die Folie vom Dom Pérignon. »Eine Schande, wenn der verschwendet würde«, sagte er, ließ den Korken knallen und schenkte ein, während die anderen den Blick auf ihre Freundin gerichtet hatten, die den Eindruck erweckte – zumindest kam Clayton es so vor –, als würde sie während einer Party ein kleines Nickerchen halten. Jeden Moment würde sie sich wieder zu ihnen gesellen, keine Frage.
»Auf unsere Kryptokönigin.« Earl sprach den Toast aus, da Hector keinen Alkohol trank. »Die Doyenne des Kreuzworträtsels.« Er zeigte auf die goldene Anstecknadel der Gemeinschaft an seinem Revers.
VENI, VIDI, SOLVI.
Der lateinische Spruch auf den Anstecknadeln prangte auch auf ihrem Briefpapier: auf den Kopfbögen, Visitenkarten und Rechnungen.
ICH KAM, SAH UND LÖSTE.
Clayton blickte sich im Kreis um. Jeder der Anwesenden trug stolz seine Anstecknadel am Revers. Clayton war noch keine Nadel überreicht worden, wie der heutige Tag ihm erneut eindrücklich bewusst machte.
Jeder hier hatte sich seine Mitgliedschaft verdient, nur er nicht.
»Im Namen von uns allen in der Gemeinschaft«, verkündete Jean, trat in ihren paillettenbesetzten Pumps vor und hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. »Danke für alles, was du für uns getan hast. Du warst nicht nur unsere Anführerin, du warst auch unsere Hausherrin, unsere Vertraute, unsere Muse und unsere Freundin.«
Clayton erhob sein Glas. »Und die außergewöhnlichste Mutter, die ein Junge sich wünschen konnte.«
»Auf Pip.« Sie stießen miteinander an.
4
The Old Queen’s Head, Islington Versammlungsraum 1. Sitzung
Als Pippa den Versammlungsraum betrat, war sie nicht nur erstaunt über die Anzahl der eingetroffenen Gäste – auf den ersten Blick fast ein Dutzend –, sondern auch über die unerträgliche Stille, die herrschte. Die meisten starrten auf ihre Getränke und wussten nicht so recht, wohin sie blicken oder was sie sagen sollten.
Sie ging auf das Gentlemen-Trio zu, das sich vor der Dartscheibe versammelt hatte und von denen einer Derek Wadlow war. Über ihren Köpfen ballte sich eine so dicke Rauchwolke, dass es aus der Ferne aussah, als stünden sie in Flammen.
»Einen schönen Abend, meine Herren.«
Sie prostete Harry Benson zu, ebenfalls ein Mensa-Komiteemitglied, der die Hand in einer Scampi-Fries-Tüte hatte und Pippa zur Begrüßung kurz zublinzelte. Neben ihm stand jemand in einer Schaffelljacke, den sie nicht kannte, der ihr aber sofort aufgefallen war. Er war locker eins fünfundachtzig groß und hatte schulterlange blonde Haare. Er war attraktiv, keine Frage.
»Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, meine Herren«, fuhr Derek fort, der Pippa noch gar nicht wahrgenommen hatte, »aber ich finde den Telegraph mittlerweile eine Spur zu berechenbar. Ständig diese doppelten Definitionen. Das ist doch alles recht eintönig, finden Sie nicht auch?« Er nahm einen Schluck von seinem braunen Getränk. »Meiner Meinung nach geht doch nichts über den Autor in der Times. Seine sonntäglichen Kreuzworträtsel … sind wirklich sehr ums Eck gedacht.« Nachdenklich richtete Derek den Blick zur Artex-Decke und schnippte mit den Fingern. »Wie nennt er sich gleich wieder …«
»Squire«, antwortete Pippa, trat vor und streckte ihm die Hand entgegen.
»Squire, genau, so heißt der Bursche!« Derek drehte den Kopf in Pippas Richtung und schüttelte ihr zögerlich die Hand.
»Pardon, meine Liebe, und Sie sind?«
»Ich …«, antwortete Pippa. »Ich bin Squire.«
Er sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. »Tut mir leid, meine Liebe, jetzt komme ich nicht ganz mit.«
»Das ist mein Pseudonym.«
Sie zog eine Zigarette aus ihrer Handtasche, zündete sie an und blies einen dicken Rauchkringel zwischen die drei Herren.
»Moment, Moment«, sagte er. »Sie wollen uns sagen, Sie sind derjenige, der sich diese teuflisch schweren Fragen ausdenkt, die Männer wie mich in den Irrsinn treiben? Sie sind … Squire?«
»Richtig«, erwiderte Pippa völlig ungerührt.
Anfangs hatte man ihr die Montagsausgabe zugewiesen – da war am ehesten ein Platz frei gewesen –, aber sie war schnell aufgestiegen und hatte es innerhalb eines Jahres bis ganz an die Spitze geschafft.
Pippa, froh, dass sie sich endlich zu erkennen geben konnte, hob den Kopf ein wenig höher.
»Ich habe mich noch nie offiziell als Frau zu erkennen gegeben. Jeder nimmt an, ich wäre ein Mann.«
Sie bemerkte, dass mehrere Köpfe sich zu ihr drehten.
»Nicht zu fassen!«, kam es von Derek. »Und wie lange kommen Sie damit schon durch?«
»Ich bin kurz vor meinem viertausendsten Kreuzworträtsel«, erklärte sie und griff kurzerhand in Harry Bensons Scampi-Fries-Tüte, um sich eine Handvoll Chips zu schnappen. »Es wird Ihnen schwerfallen, irgendwo im Land bei den großen Blättern einen Kreuzworträtselautor oder eine Autorin zu finden, die das erreicht hat.«
Pippa hatte kein Problem mit Selbstlob, wenn es die Situation erforderte. Sie war es gewohnt, sich zu behaupten, besonders in Zirkeln wie diesen. Zuweilen war es anstrengend, aber sie genoss es auch, fremde Erwartungen zu unterlaufen und andere zu überraschen.
»Ist dem so?«, fragte Derek, sichtlich verstimmt wegen dieser offensichtlichen Irreführung.
»Mein richtiger Name lautet Pippa. Pippa Allsbrook. Squire ist mein Pseudonym. Ich benutze es wie einen Künstlernamen.«
Sie hatte sich für Squire entschieden, weil der Name, unter anderem, für den Schildknappen eines Ritters stand. Eine Schutzvorrichtung. Zur Verteidigung. Eine zweite Identität, hinter der sie sich verstecken konnte.
Derek sah sie etwas befremdet an, schüttelte den Kopf und kippte den Rest seines Getränks. Sie bemerkte, dass der gut aussehende Bursche in der Schaffelljacke ein wenig von Derek abrückte. Es war zu hoffen, dass er weniger chauvinistisch eingestellt war als der Mann neben ihm.
»Korrigieren Sie mich, falls ich mich irre«, sagte Pippa, »aber sind Sie nicht der berühmte Derek Wadlow, der ehemals beim GCHQ war?«
Er hob die ausgestreckte Hand. »Ertappt.«
»Ihr Ruf eilt Ihnen voraus.«
»Das ist richtig. Mein Ruf, nicht der eines anderen.« Derek paffte an seiner Pfeife, sah grinsend zu den beiden Männern neben Pippa und stieß eine dicke Rauchwolke aus.
Unwillkürlich musste sie lächeln.
Natürlich ging es hier nicht um ihr Pseudonym (Pseudonyme hatten beim Kreuzworträtsel der Times eine lange Tradition), sondern um sie als Frau, die in einer Männerdomäne tätig war und noch dazu äußert erfolgreich. Solange sie nicht auf ihre Geschlechtszugehörigkeit pochte, eröffneten sich ihr schlicht und ergreifend Möglichkeiten, die ihr ganz selbstverständlich zustünden, hätte sie lediglich ein X-Chromosom statt zwei gehabt. Es war eine Männerwelt. Sie sorgte lediglich für Chancengleichheit auf dem Spielfeld.
»Derek, haben Sie vor, uns regelmäßig mit Ihrem Besuch zu beehren, oder …«
»Sir Derek, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Pippa schlang ihre Strickjacke enger um sich.
»Wie Sie wünschen«, antwortete sie leicht amüsiert, aber keineswegs überrascht. Nicht nur roch er wie ihr alter Chef, allmählich klang er auch so. Was jammerschade war, dachte sie sich. Jemand, den sie so bewundert hatte.
»Jedenfalls, MrWadlow, danke ich Ihnen, dass Sie gekommen sind.«
»Keine Ursache, MrsAllsbrook.«
»Miss«, korrigierte sie ihn, nahm einen bedächtigen Zug von ihrer Zigarette und lächelte den anderen Gentlemen in Hörweite zu, um sicherzustellen, dass sie sie auch gehört hatten – vor allem dem hübschen Burschen in der Schaffelljacke, dem sie sogar verhalten zuzwinkerte.
Pippa überlegte, ob sie die Barkeeperin nach weiteren Stühlen fragen sollte. Es waren noch vier Spätankömmlinge eingetroffen, während sich die anderen verlegen einander vorstellten und ihre Plätze einnahmen, sodass nun insgesamt fünfzehn Gäste anwesend waren.
Wie vorhersehbar waren ausschließlich Männer versammelt, alle mittleren Alters, ausgenommen Sir Derek, der sich, offen gesagt, schon weit im Winter seines Lebens befand, und ein weiterer Bursche, der sich, nachdem er sich die Treppe heraufgemüht hatte, sofort in einen Armsessel am offenen Kamin plumpsen ließ und eindöste, bevor auch nur irgendjemand seinen Namen in Erfahrung bringen konnte.
Effektvoll klatschte Pippa in die über den Kopf erhobenen Hände.
»Meine Herren, darf ich Sie um Ihre Aufmerksamkeit bitten?«, rief sie. »Ich möchte mit dem Organisatorischen beginnen.«
Es seien wöchentliche Sitzungen geplant, jeweils dienstags, erklärte sie. Gäste könnten Vorträge halten, Wettbewerbe würden veranstaltet, die unter einem bestimmten Motto stünden, außerdem würden Mitglieder dazu ermuntert, Rätsel vorzustellen, mit denen sie sich gerade beschäftigten, damit Kritik geäußert und gemeinsam an ihnen gearbeitet werden konnte. Die nächste Sitzung würde mit einer Diskussion über palindromische Sequenzen eröffnen, jeder sei herzlich dazu eingeladen, zur Anregung ein thematisch dazu passendes Rätsel mitzubringen. MrGrantham – ein renommierter Lexikograph in der hinteren Reihe – hatte freundlicherweise angeboten, ein Seminar über die Geschichte der Leipogramme und des Monovokalismus zu geben.
»Wenn alles gut läuft, könnten wir langfristig vielleicht darauf hinarbeiten, Rätsel auf Bestellung zu produzieren und auf Messen und Tagungen Eigenpublikationen in limitierter Auflage zu vertreiben.«
Die folgende Viertelstunde wurde mit einer Diskussion über den besonders einfältigen Schüttelreim im gestrigen Sieben waagrecht des Guardian zugebracht, bevor sich Pippa einem neuen Blatt auf dem Flipchart zuwandte.
»Nun aber möchte ich Ihnen allen eine Frage stellen«, sagte sie und überschrieb die Seite mit Rätselologie.
»Warum beschäftigen wir uns überhaupt mit Rätseln, was würden Sie sagen? Wenn wir dazu einige Begriffe zusammentragen könnten, ließe sich vielleicht eine Art Verhaltenskodex für unseren Club erstellen, also die Prinzipien, für die diese ganz besondere Gesellschaft steht.«
Plötzlich fand jeder etwas überaus Interessantes in seinem Schoß, das es anzustarren galt.
»Möchte irgendjemand etwas sagen?«
»Für mich«, rief Derek Wadlow, »ist das Knacken von Codes kein Spiel. Es ist mir in die Wiege gelegt.«
BESTIMMUNG, kritzelte Pippa auf das Blatt hinter sich. »Ich danke Ihnen sehr herzlich, MrWadlow.«
»Ich bin jemand, der seine Routine braucht«, warf Eric Stoppard – ein herausragender Ingenieur und Erfinder von mechanischen Rätseln – aus der mittleren Reihe ein. »Nach dem Abendessen geht’s sofort in die Werkstatt, und da werkel ich dann herum, bis es Zeit fürs Bett ist.«
RITUALE, fügte Pippa auf der Seite hinzu. »Sehr gut. Mir geht es mit meinen Kreuzworträtseln ebenso. Am Morgen entwickle ich bei einer Tasse Tee meine Rätsel, und abends im Bett löse ich welche bei einer Schokolade oder etwas Stärkerem, wenn es mal wieder einer von diesen Tagen war.«
Der attraktive Mann mit der Schaffelljacke und dem blonden Lockenkopf in der ersten Reihe hob die Hand. »Mir gefällt es, zu sehen, wozu mein Geist in der Lage ist. Und anderen zu zeigen, was möglich ist, wenn man sich wirklich reinhängt.«
»Helfen Sie mir«, sagte Pippa und strich sich über die Haare. »Wie heißen Sie noch mal, und was machen Sie?«
»Earl Vosey. Meister der Labyrinthe – so werde ich jedenfalls in der aktuellen Ausgabe des Country Life genannt«, antwortete er stolz. »Seit meiner Kindheit bin ich von Labyrinthen besessen. Letztes Jahr hab ich das Labyrinth auf dem Anwesen Godsley entworfen. In dem die Leute im Kreis herumgeführt werden. Es ist mein Beruf.«
Er schickte ein leises Lachen hinterher, und Pippa, noch mehr von ihm angetan, nickte dem Gentleman zu. Sie schrieb das Wort INSPIRATION auf das Flipchart-Blatt, wartete, ob Earl noch etwas anzufügen hatte, und wäre ansonsten zufrieden gewesen, ihm zuzuhören oder, falls er nichts dagegen hatte, ihn auch den lieben langen Tag nur anzusehen.
»Und noch etwas«, fuhr er fort und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Es ist für mich auch so was wie eine Flucht. Denke ich über Labyrinthe nach, bin ich mit dem Kopf ganz woanders. Alle Probleme lösen sich dann in Luft auf.«
AUSZEIT, schrieb Pippa. »Ich weiß genau, wie sich das anfühlt«, sagte sie.
Der Mann hatte etwas, was sie gefangennahm, und das war nicht nur sein umwerfendes Aussehen, sondern etwas anderes, das sie allerdings nicht zu greifen bekam.
Earl Vosey. Pippa schob die Buchstaben seines Namens im Kopf herum und schwelgte in der vollkommenen Abfolge von Vokalen und Konsonanten.
Easy Lover.
Vielleicht ein gutes Omen, wenn sie Glück hatte.
Jetzt schnellten die Hände der anderen nach oben, und sie rief alle der Reihe nach auf, bestrebt, niemanden zu übergehen.
Weitere Wörter erschienen auf dem Blatt: ANREGUNG, BEGEISTERUNG, GELEHRSAMKEIT, TRADITION, GESUNDUNG, ÜBERMUT.
Pippa selbst allerdings war es schlicht nicht möglich, bündig zusammenzufassen, was Rätsel für sie persönlich bedeuteten. Solange sie sich zurückerinnern konnte, brachte sie Wörtern eine Wertschätzung entgegen, die mit Worten nicht zu beschreiben war.
Ihre Kindheit musste als schmerzlich bezeichnet werden, bereits kurz nach der Geburt verlor sie ihre Mutter, ihr Vater Clarence nahm als hochdekorierter Soldat an beiden Kriegen teil, erst als Pilot, dann als RAF-Oberst, und so wuchs sie bei ihrer unverheirateten Tante in Broadstairs auf, wo sie es gewohnt war, sich mit sich selbst zu beschäftigen. So lernte sie ihren Verstand zu gebrauchen und vertrieb sich die Zeit mit schweren, selbst erfundenen Wortspielen sowie mit den Kreuzworträtseln, die ihre Tante Grace aus The Lady ausschnitt, ihr kläglicher Versuch der Kinderbetreuung.
In diesen schwierigen, nachhaltig prägenden Jahren zog sich Pippa in ihre Liebe zur Sprache zurück. Sie spielte mit Wörtern, als wären sie Knetmasse.
Noch jetzt gab es für sie kaum etwas Aufregenderes, als ein Kreuzworträtsel zu erstellen oder es zu lösen. Der Prozess, ein Rätsel zu entwerfen, war der Zubereitung eines sehr aufwendigen Menüs nicht unähnlich. Erst musste man seine Zutaten – die Wörter – bereitlegen, dann sie zubereiten, die Geschmacksnuancen und Konsistenzen verbinden, sie in perfekte Harmonie bringen, bis sie ein köstliches Mahl ergaben. Ein perfektes Essen oder ein perfektes Kreuzworträtsel konnte man sich auf der Zunge zergehen lassen, aber nie einfach so hinunterschlingen. Es sollte, Bissen für Bissen, ausgekostet werden.
»Und darf ich einen weiteren Grund vorschlagen, warum wir uns mit Rätseln beschäftigen?«, verkündete Pippa und schrieb das Wort BEWUSSTSEIN auf das Blatt. »Manchmal habe ich das Gefühl, beim Lösen eines Rätsels entsteht eine Verbindung zu einem Bewusstsein außerhalb von uns. Es ist eine Möglichkeit, der Welt um uns herum einen Sinn zu verleihen. Falls das nicht zu hochtrabend klingt.«
Sie sah zu ihrem Publikum, das an jedem ihrer Worte hing und zu ihr aufblickte, als lieferte sie nicht nur die Antworten zum heutigen Times-Rätsel, sondern zum Leben selbst.
Plötzlich ging ihr ein Licht auf. Pippa Allsbrook erkannte, dass sie ganz sie selbst sein konnte – ohne jede Einschränkung. Und, noch wichtiger, ihr wurde klar, dass auch jeder andere das konnte. Prickelnde Aufregung erfasste sie.
Schnell notierte sie die Wörter ZUGEHÖRIGKEITSGEFÜHL, VERBUNDENHEIT und AKZEPTANZ, damit sie sie nicht vergaß.
»Was ich sagen möchte: Bei der Beschäftigung mit Rätseln muss es nicht nur darum gehen, Verbindungen zu finden, sondern auch darum, diese herzustellen. Verbindungen zu anderen Menschen.«
Mehrere Gäste rutschten unbehaglich auf ihren Stühlen hin und her, aber es war nicht zu leugnen: Rätsel brachten Menschen zusammen.
Sie fürchtete, dass das alles wie ein schrecklicher Gesellschaftsclub klingen könnte, bevor sie aber weiter ausholen konnte, erhob sich in der letzten Reihe ein Mann namens Geoff Stirrup; er trug einen Pullunder mit geometrischem Muster und eine Brille mit dicken runden Gläsern und hatte den ganzen Abend bislang kaum ein Wort gesagt.
»Deswegen bin ich heute hier«, krächzte er und räusperte sich hinter vorgehaltener Hand. »Ich war, um ehrlich zu sein, immer schon eher ein Einzelgänger und hatte nie groß Freunde. Also dachte ich mir, beiß in den sauren Apfel, komm hierher und schau’s dir mal an. Ich denke … was ich suche, ist das Gefühl, einer …«
»Gemeinschaft«, antwortete Pippa an seiner Stelle und richtete ihren Stift auf ihn. »Einer Gemeinschaft anzugehören, habe ich recht?«
Geoff nickte verlegen und ließ sich wieder auf seinen Platz fallen.
Mit einem Lächeln bedankte sich Pippa bei ihm.
Es gab einen triftigen Grund, warum ihr diese Bezeichnung so schnell über die Lippen gekommen war. Genau deswegen waren sie doch alle hier. Es ging nicht um das Erstellen von Rätseln, was gemeinhin eine Tätigkeit war, der man allein nachging, sondern um die Gemeinschaft. Das war die wichtigste Komponente überhaupt. Natürlich.
Geoff hatte Pippa diese Worte entlockt, Worte, die auszusprechen sie nie gewagt hätte.
Es war ihr peinlich, dass sie sich mit ihren zweiundfünfzig Jahren allmählich etwas verloren, ein wenig einsam fühlte in der Welt. Sie war immer schon eine Außenseiterin gewesen und hatte immer damit zu ringen gehabt, ihre außergewöhnlichen Eigenschaften zugunsten des Wunsches, sich der Welt anzupassen, hintanzustellen. Das gehörte zu den enttäuschenden Tatsachen des Lebens, die sie widerstrebend zu akzeptieren gelernt hatte. Erfolg im Leben hing davon ab, dass man sich anpasste, nicht, dass man herausstach. Jeder war auf der Suche nach dem leeren Kästchen, in das man sich hineinfallen lassen konnte. Die Menschen waren alle nur ungelöste Fragen im alltäglichen Kreuzworträtsel der Welt.
»Ich kann Ihnen nur zustimmen, Geoff«, sagte sie. »Ein Raum voller außergewöhnlicher Köpfe. Stellen Sie sich vor, was wir zusammen alles erreichen könnten.«
5
Clayton war den ganzen Tag auf den Beinen gewesen. Auf Pippas Totenwache hatte er jedem aus einer neuen Flasche Dom nachgeschenkt, hatte die Schalen mit Bombay Mix aufgefüllt und in einer Obstschale eine unanständig große Menge von Profiteroles serviert, nun, nach mehreren Stunden, brauchte er einen Moment für sich selbst. Etwas frische Luft.
Es ging auf Mitternacht zu, als er das Heckenlabyrinth betrat.
Es war sein Lieblingsplatz auf dem Anwesen der Gemeinschaft. Er war den gewundenen Pfad so oft entlanggegangen, dass er von dem unter seinen Schritten knirschenden Kies nicht mehr aufsehen oder den Blick auf die immer gleichen grünen Wände richten musste, die von der einen Abzweigung zur nächsten führten. Der einst so komplizierte Weg war ihm in Fleisch und Blut übergegangen, sodass ihn seine Beine von ganz allein in die Mitte trugen.
In Rätselkreisen war der spezifische Entwurf als Irrgarten bekannt, als ein Labyrinth, in dem es nur einen Weg gab, der zur Mitte führte, aber viele andere, die voneinander abzweigten oder in andere einmündeten, ohne jedoch ein Ziel zu erreichen. Im Lauf der Zeit hatte Clayton gelernt, diese überzähligen Korridore – die Sackgassen und falschen Abzweigungen – als Teil des Vergnügens zu sehen. Der Zauber lag ja immer im Finden der Lösung, nie in der Lösung selbst.
Mittlerweile finanzierte sich die Gemeinschaft aus den Einnahmen von über zweihundert lizenzierten Produkten, die im Vereinigten Königreich sowie international vertrieben wurden. Für sich allein generierte jedes Rätsel eine bescheidene Summe, zusammen aber ergaben sie einen ordentlichen Betrag, der ihnen allen ein angenehmes Auskommen ermöglichte. Dieser kumulative Geschäftsansatz stand im Mittelpunkt der Gemeinschaft. Unter den vielen Lieblingsmottos lautete eines:
Weiter kommt, wer zusammenkommt.
Nachdem Clayton schließlich die Labyrinthmitte erreicht hatte, ließ er sich auf der Picknickbank unter der Trauerweide nieder. Deren dicke Äste, die sich nahezu waagrecht vom Stamm weg erstreckten, schienen ihn fast umarmen zu wollen.
Es dauerte nicht lange, bis in der Ferne weitere Schritte zu hören waren, ein leises Knirschen auf dem Kies, das schließlich verstummte.
»Earl?«, rief er. »Bist du das?«
»Clay, alter Junge«, war Earls schwache, atemlose Stimme zu vernehmen. »Einen Moment noch.«
Wenn jemand ihm nachging, dann der Labyrinthbauer Earl Vosey. Sie hatten sich immer schon sehr nahegestanden.
Gleich auf der anderen Seite der Hainbuchenhecken hatte Earl ihm das Fahrradfahren beigebracht – auf seinem ersten Fahrrad, einem roten Bonanzarad, für das alle Mitglieder zu seinem fünften Geburtstag zusammengelegt hatten. Er hatte Clayton zu seinem ersten Cricketmatch im Lord’s Cricket Ground mitgenommen und ihm, als er vierzehn war, sein erstes Rasierset besorgt – einen richtigen Pinsel mit Chromgriff und ein Rasiermesser, alles von Taylor’s in der Old Bond Street. Einige Jahre zuvor hatte er Clayton sogar dazu ermutigt, nach dem obligatorischen Abschluss weiterführende Kurse zu belegen, damit er später studieren konnte. Als Clayton dann von der Bedford Polytechnic abging, hatte er zwar keine festen Freunde, sich aber wegen seiner großen Gastfreundschaft einen Namen gemacht und galt als jemand, der perfektes Mürbeteiggebäck zustandebrachte.
»Kommst du, Earl?«
Wieder das Knirschen, allerdings wurden die Schritte noch langsamer, zögerlicher.
Clayton fragte sich bereits, ob er sich die Stimme nur eingebildet hatte.
Earl war fraglos der größte lebende Labyrinthbauer. Es gab von ihm weltweit mehrere Dutzend Heckenlabyrinthe in dieser Größenordnung; er war ein Meister seiner Zunft und eine Legende auf seinem Gebiet.
»Clay?«
»Ja.«
»Ich finde den Weg nicht mehr. Kannst du mir helfen?«
Clayton öffnete den Mund, wollte etwas erwidern, aber dann schloss er ihn wieder. Er sah zu den Ästen über sich und überlegte, wie um alles in der Welt sich jemand in einem Labyrinth verirren konnte, das er selbst erschaffen hatte und wofür er berühmt war.
»Wovon redest du?«, rief er. »Du kennst doch den Weg.«
Einfach einen Fuß vor den anderen setzen, dachte er sich. Sechsundvierzig Schritte, um genau zu sein – er hatte sie mal gezählt. Aber dann war wieder Earl zu hören, lauter, aufgeschreckter.
»Ich hab mich verirrt, Clay. Ich weiß den Weg nicht mehr.«
Clayton wurde es eng in der Brust; er stieß sich von der Bank ab.
»Lass dir Zeit, Earl. Wahrscheinlich hattest du zu viel vom Champagner, das ist alles.«
Stille. Earl rührte sich nicht. Er konnte überall sein.
»Geh zurück zum Start«, rief Clayton gepresst. »Erst rechts, dann links und noch mal links. Dann links, rechts, rechts, links.«
Er wartete und hoffte, erneut das Knirschen zu hören, sichere Schritte nach dem kurzen Aussetzer, aber es kam nichts.
Schließlich ging Clayton den Weg zurück, den er gekommen war, und fand den gefeierten Labyrinthbauer mit dem Rücken zu der Richtung, die er hätte nehmen müssen. Earl kratzte sich am Kopf und wirkte schmächtig und verängstigt, wie ein kleiner Junge, der sich im Supermarkt verlaufen hatte.
»Hier entlang«, sagte Clayton, hakte sich bei Earl unter und zog ihn zu sich heran. Sie gingen im Gleichschritt weiter, tiefer hinein ins Labyrinth, nur zerrten sie an mehreren Abzweigungen – oder Knoten, wie sie offiziell genannt wurden – aneinander, nachdem Clayton die eine Richtung und Earl die andere einschlagen wollte.
»Hier sind wir«, sagte Clayton fröhlich, als sie die Mitte erreichten. Vorsichtig, als wäre sein Freund äußerst zerbrechlich, half er Earl, auf der Bank Platz zu nehmen. »Du hättest nicht durcheinandertrinken sollen. Ich hab dir doch gesagt, bleib bei einem Getränk.«
»Mein Kopf macht nicht mehr mit, Clay. Das passiert, wenn du in mein Alter kommst.«
»Unsinn«, erwiderte Clayton. »Du bist erst achtzig. Du bist noch voll im Saft.«
In der Ferne, gedämpft, erklang Sinatras »My Way«. Wenn Clayton angestrengt lauschte, konnte er den im Gebäude mitgegrölten Text hören; er sah die Bewohner vor sich, die sich schunkelnd in den Armen hielten.
Und mit einem Mal überkam ihn wieder diese Empfindung, wieder wurde ihm klar, dass er sich noch nie so verloren und so richtungslos gefühlt hatte wie jetzt.
Earl legte ihm die Hand aufs Knie und sah ihn ernst an.
»Clay, es ist an der Zeit, dass du dir Gedanken darüber machst, wie deine Zukunft aussehen soll …«
»Nicht schon wieder dieses Gespräch«, unterbrach Clayton ihn. »Mir geht’s gut hier. Du musst dir um mich keine Sorgen machen.«
Earl schüttelte den Kopf. »Weißt du, was dein Problem ist, junger Mann? Du bist alt geworden, bevor du erwachsen geworden bist. Du hast dein gesamtes Leben rückwärts gelebt und so vieles verpasst …«
»Quatsch.«
»Du weißt mehr übers Sterben als übers Leben!«
»Jetzt sei nicht albern …«
»Clay, tut mir leid, aber keiner von uns wird jünger. Das ist nun mal eine Tatsache im Leben. Das Einzige, das du nicht auflösen kannst. Vita incerta, mors certissima. Du weißt, was das bedeutet, mein Junge?«
»Bitte, Earl. Das ist mir jetzt zu viel.«
»Das Leben ist ungewiss, der Tod aber, der ist sicher.«
Beide schwiegen für eine Weile. Natürlich meinte es Earl gut mit ihm, manchmal wünschte sich Clayton aber, er würde sich etwas zurücknehmen. Klar, das Ende des Hauses war absehbar, aber so, wie er es zum Ausdruck brachte, jagte es ihm Angst ein. Der Tod der Gemeinschaft wäre auch Claytons Tod. Ohne sie war er niemand.
»Earl, zum Ende hin«, sagte er, »als Pippa nicht mehr lange zu leben hatte.« Er strich sich durch die Haare und schloss die Augen. »Da habe ich ihr gesagt, dass ich bereit bin, Antworten zu finden. Herauszufinden, wer mich damals vor der Tür abgelegt hat.«