Das hässliche Entlein - Leni Behrendt - E-Book

Das hässliche Entlein E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Doch das nur scheinbar – denn in Wirklichkeit schielte er zu seinem Feind hin, dem er den Fußtritt, den er vor Wochen von ihm erhalten, immer noch nicht vergessen konnte. Darum ließ er keine Gelegenheit vorübergehen, sich für diese ihm angetane Schmach zu rächen. Und nun war eine wundervolle Gelegenheit dazu. Herrchen war bei ihm, und der schlaue Dackel wußte genau, daß niemand es wagen durfte, ihm etwas zuleide zu tun, wenn er auch noch so frech war. Außerdem konnte der Stallbursche auf seine Angriffe nicht so achten: unter den Augen des Herrn mußte seine Aufmerksamkeit der Arbeit gelten, die nicht eben leicht war. Denn tagelang hatte es ununterbrochen geschneit. Türme, Erker und Simse des feudalen, ehrwürdigen Schlosses Hohenwerth hatten blendend weiße Käppchen auf. Doch auf dem breiten Weg, der vom Schloß zu dem kunstvoll ge­arbeiteten schmiedeeisernen Tor führte, durch das man auf die schnurgerade Allee zu sehen vermochte, konnte der Schnee nicht geduldet werden, und es war Arbeit der Stallburschen, ihm zu Leibe zu gehen. Graf Hellmarck wandte sich wieder dem Förster zu, der genauso wie sein Herr über den gerissenen Schalk, der wegen seiner Streiche bekannt war, herzlich gelacht hatte. Der Förster setzte seinen Bericht fort, dem der Gebieter interessiert lauschte. Ruhig, lässig, stand der Graf vor dem Förster, der immer erregter wurde, je länger er sprach. »Ja, mein lieber Förster«, entgegnete er mit seiner dunklen, herrischen Stimme, als der Förster seinen Bericht beendet hatte, »da nützt uns alle Empörung nichts. Herr Kose hat es leicht, unverschämt zu sein, er nützt eben meine Zwangslage aus. Jedenfalls bleibt keine andere Wahl – wir müssen das Holz für den Preis abgeben, so leid es mir tut.« Es zuckte in dem wetterharten Gesicht des Försters, und sein Herr legte ihm die Hand auf die Schulter. »Lieber Förster, ich weiß, es tut Ihnen weh – genau wie mir –, doch die Verhältnisse sind stärker als wir. Wir müssen unsere lieben alten Baumriesen fällen. Vielleicht ist es Ihnen ein Trost, wenn ich es Ihnen überlasse, den Wald an den Stellen zu holzen, die es vertragen können. Die Bäume stehen stellenweise wirklich sehr dicht.

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Leni Behrendt Bestseller – 6 –

Das hässliche Entlein

Leni Behrendt

Doch das nur scheinbar – denn in Wirklichkeit schielte er zu seinem Feind hin, dem er den Fußtritt, den er vor Wochen von ihm erhalten, immer noch nicht vergessen konnte. Darum ließ er keine Gelegenheit vorübergehen, sich für diese ihm angetane Schmach zu rächen.

Und nun war eine wundervolle Gelegenheit dazu. Herrchen war bei ihm, und der schlaue Dackel wußte genau, daß niemand es wagen durfte, ihm etwas zuleide zu tun, wenn er auch noch so frech war. Außerdem konnte der Stallbursche auf seine Angriffe nicht so achten: unter den Augen des Herrn mußte seine Aufmerksamkeit der Arbeit gelten, die nicht eben leicht war.

Denn tagelang hatte es ununterbrochen geschneit. Türme, Erker und Simse des feudalen, ehrwürdigen Schlosses Hohenwerth hatten blendend weiße Käppchen auf.

Doch auf dem breiten Weg, der vom Schloß zu dem kunstvoll ge­arbeiteten schmiedeeisernen Tor führte, durch das man auf die schnurgerade Allee zu sehen vermochte, konnte der Schnee nicht geduldet werden, und es war Arbeit der Stallburschen, ihm zu Leibe zu gehen.

Graf Hellmarck wandte sich wieder dem Förster zu, der genauso wie sein Herr über den gerissenen Schalk, der wegen seiner Streiche bekannt war, herzlich gelacht hatte.

Der Förster setzte seinen Bericht fort, dem der Gebieter interessiert lauschte.

Ruhig, lässig, stand der Graf vor dem Förster, der immer erregter wurde, je länger er sprach.

»Ja, mein lieber Förster«, entgegnete er mit seiner dunklen, herrischen Stimme, als der Förster seinen Bericht beendet hatte, »da nützt uns alle Empörung nichts. Herr Kose hat es leicht, unverschämt zu sein, er nützt eben meine Zwangslage aus. Jedenfalls bleibt keine andere Wahl – wir müssen das Holz für den Preis abgeben, so leid es mir tut.«

Es zuckte in dem wetterharten Gesicht des Försters, und sein Herr legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Lieber Förster, ich weiß, es tut Ihnen weh – genau wie mir –, doch die Verhältnisse sind stärker als wir. Wir müssen unsere lieben alten Baumriesen fällen. Vielleicht ist es Ihnen ein Trost, wenn ich es Ihnen überlasse, den Wald an den Stellen zu holzen, die es vertragen können. Die Bäume stehen stellenweise wirklich sehr dicht. Und dann können Sie ja wieder neu anpflanzen.«

»Ach ja, das ist noch ein Trost in all dem Jammer! Dieser Kerl, dieser Kose!« ergrimmte sich der Förster.

»Schelten Sie mir diesen patenten Mann nicht!« lachte der Graf. »Wenn der nicht wäre und uns immer wieder Geld gäbe, dann könnten wir schon heute einpacken, dann wüßte ich nicht, wovon ich im Januar die Wechsel bezahlen sollte.«

»Wird schon wissen, weshalb er es tut«, knirschte der Förster immer ingrimmiger.

»Na ja, aus lauter Menschenfreundlichkeit gewiß nicht, mein Getreuer. Doch er oder ein anderer – das ist schließlich egal…«

Er wandte sich um und sah einem Auto entgegen, das soeben durch das schmiedeeiserne Tor fuhr und sich einen Weg durch den Schnee bahnte. Vor dem Portal des Schlosses hielt es, und eine Dame entstieg ihm.

Die Hüte der beiden Herren flogen hoch. Sie dankte und zögerte einen Augenblick, ob sie sie begrüßen sollte. Doch dann bemerkte sie den Blick des Försters, der sie mit unverhohlener Abneigung musterte, stieg die Freitreppe empor und verschwand im Schloß.

Die Blicke des Försters waren dem Grafen nicht entgangen, und ein amüsiertes Lächeln huschte über sein Gesicht. Dann sprachen sie wieder über geschäftliche Dinge, die äußerst schwierig zu erörtern waren. Denn das stolze, prächtige Hohenwerth, das schon seit Jahrhunderten im Besitz der Grafen Hellmarck war, entglitt langsam, aber unaufhaltsam den Händen dieses letzten Hellmarck. Und so mußte man zu retten suchen, was noch zu retten war, um wenigstens den Termin, an dem dieser letzte Sproß eines alten stolzen Rittergeschlechts von dem Erbe seiner Väter weichen mußte, hinauszuschieben.

Während der Graf und sein Förster hin und her berieten, wie sie am zweckmäßigsten die Holzung des Waldes vornehmen sollten, ließ sich die Dame, die soeben das Auto verlassen hatte, in der Halle des Schlosses von dem Diener den Pelz abnehmen und eilte zu den Gemächern ihrer Tochter, der jungen Herrin von Hohenwerth.

Diese lag in ihrem Boudoir auf dem Diwan und las in einem Buch. Sie war ein allerliebstes, puppenhaftes Geschöpf mit einem niedlichen Kindergesicht, blauen Augen und winzigen Händen und Füßen.

Sehr elegant, sehr verwöhnt, eigenwillig, launenhaft, oberflächlich, verschwenderisch – so ein echtes, rechtes Luxusweibchen.

Beim Eintritt Frau von Barnims, ihrer Mutter, sah sie von ihrem Buch auf und gähnte laut und ungeniert. Die Erregung der Mutter entging ihr nicht, und sie musterte sie neugierig.

»Was hast du denn, Ma?« fragte sie, in der Hoffnung, eine Neuigkeit zu erfahren, nach der sie geradezu lechzte. Es passierte so wenig, so absolut gar nichts in dem öden, langweiligen Hohenwerth.

Die Mutter ließ sich in einen der zierlichen Sessel sinken und schaute so kläglich drein, daß die Tochter unangenehm berührt wurde. Eine Neuigkeit brachte die Mutter zweifellos – doch war sie unangenehmer Art?

»Püppchen – o, mein armes Püppchen – wir sind verloren!« sagte die Mutter in tragischem Tonfall, der lächerlich wirkte. »Denk dir, die Testamentseröffnung hat soeben stattgefunden. Ich wurde überhaupt nicht zugelassen, was mir gleich sehr sonderbar erschien. Ich ging also zu Rönner – ich dachte, mich rührte der Schlag bei der Mitteilung, die er mir machte! Hermine ist gar nicht reich gewesen; sie hat eben nur so viel besessen, um von den Zinsen notdürftig leben zu können. Und dann noch die Niedertracht dieser scheinheiligen Person! Denk dir nur, den einen Teil dieses Vermögens hat sie dem Diener und der Dienerin vererbt, ihr Haus mit allem Mobiliar der Stadt für wohltätige Zwecke geschenkt. Gudrun ist also so gut wie enterbt, hat gerade nur soviel, um ihr Studium zu Ende führen zu können. Und dazu habe ich dieser Person mein Kind überlassen, mein kleines häßliches Entlein! Hermine galt doch immer für reich – und nun dies.«

Die junge Gräfin hatte sich aus ihrer bequemen Stellung aufgerichtet und sah die Mutter entsetzt an.

»Und was nun, Ma?« fragte sie ratlos.

»Ja, Püppchen, das weiß ich auch nicht. Bernulf darf auf keinen Fall etwas von deinen Schulden erfahren, und wir müssen Gudrun dazu bringen, dir die Summe vorzustrecken, die du benötigst. Wir können ihr das Geld ja allmählich wieder zurückgeben. Bernulf muß eben dein Nadelgeld erhöhen, das sowieso schäbig genug ist; sonst hättest du es doch nicht nötig, Schulden zu machen, nur um dich einigermaßen standesgemäß kleiden zu können.«

Die Gräfin wollte etwas darauf erwidern, doch die Mutter legte den Finger an die Lippen. Denn im Nebenzimmer wurde die Tür geschlossen, und gleich darauf betrat der Schloßherr das Zimmer der Gattin.

»Guten Tag, Mama«, sagte er und machte eine knappe Verbeugung zu der Schwiegermutter hin. Dann suchte sein Blick die Gattin, wurde hart und streng.

»Du bist noch nicht angekleidet, Fee – um zwölf Uhr?«

»Aber Bernulf, das Kind…«

Der unwillige Blick des Grafen ließ Frau von Barnim verstummen. Diese elegante, für ihr Alter noch überraschend gut aussehende Frau fürchtete niemand sonst als ihren Schwiegersohn. Und dabei war er doch immer höflich zu ihr, von einer farblosen, korrekten Höflichkeit, die ihr auf die Nerven ging und bei der sie nie wußte, woran sie war.

»Warum bist du noch nicht angekleidet, Fee?« wiederholte der Graf seine Frage. »Warum liegst du um die Mittagszeit in diesem ungewaschenen, ungepflegten Zustand in diesem entsetzlich unordentlichen Zimmer herum und schlägst deine Zeit mit der Lektüre zweifelhafter Romane tot?«

»Ich fühle mich immer noch nicht wohl«, schmollte die kleine Frau, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Das ist keine Entschuldigung«, herrschte der Gatte sie an. »So schwach kannst du nicht sein, daß du dich nicht einmal waschen, dir die Haare nicht kämmen kannst. Brauchst es nicht einmal allein zu tun, hast die Zofe zu deiner Bedienung. Und hast einen ganzen Dienertroß, der wohl dazu imstande sein dürfte, deine Gemächer in Ordnung zu halten. Du weißt doch, wie verhaßt mir dies alles ist.« Dabei deutete er mit einer kreisenden Handbewegung auf die beispiellose Unordnung, die in dem Zimmer herrschte. »Mich packte jedesmal ein Grauen, wenn ich deine Räume betreten muß.«

»Aber Bernulf, dafür darfst du Püppchen doch nicht verantwortlich machen«, wagte Frau von Barnim einzuwenden. »Die Dienerschaft ist so minderwertig, daß man wirklich nichts mit ihr anfangen kann. Und Püppchen kann sich doch nicht mit den Leuten herumärgern, darf sich doch nicht aufregen. Hast du denn ganz vergessen, was sie vor einigen Wochen gelitten hat?«

»Na ja, gewiß, ich verlange doch keine Kraftanstrengung von Fee«, sagte der Graf, immer unwilliger werdend. »Außerdem ist das Kind vier Wochen alt. In der Zeit haben andere Frauen sich soweit erholt, daß sie nicht zerzaust den ganzen Tag auf dem Diwan herumliegen müssen.«

»Du kannst andere Frauen doch auch nicht mit meinem zarten, süßen Püppchen vergleichen«, entgegnete die Mutter gereizt, erschrak jedoch sofort über ihre Kühnheit. Sie atmete erleichtert auf, als der Graf die Achseln zuckte und das Zimmer verließ, eilte zu der Tochter hin und strich ihr zärtlich über das Wuschelköpfchen.

»An welchen Barbaren das Schicksal dich gekettet hat!« klagte sie. »Du hättest doch lieber den reichen Grolle heiraten sollen. Er ist nicht so schön und vornehm wie dein Mann, doch er hätte dich besser zu würdigen verstanden.«

Die kleine Frau, die sich selbst sehr bedauernswert vorkam, weinte einige Minuten herzzerbrechend an der Mutter Brust. Doch dann richtete sie sich plötzlich auf.

»Ma – wenn Bernulf von den Schulden erfährt, dann läßt er mich bestimmt nicht nach St. Moritz fahren!«

»Fertig bekommt er es schon«, bestätigte die Mutter, »darum darf er auf keinen Fall etwas erfahren. Wir werden Gudrun schon herumkriegen, daß sie uns das Geld gibt. Überhaupt – diese Geheimniskrämerei wegen der lumpigen paar tausend Mark! Und Bernulf ist schuld; warum hält er dich so knapp? Er hat sich in letzter Zeit sehr verändert; in der ersten Zeit eurer Ehe war er viel großzügiger. Ich glaube, er steht kurz vor dem Bankrott.«

»Meinst du wirklich, Ma?« fragte die kleine Frau, und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Aber was dann? Ein Leben in Armut kann ich nicht ertragen!«

»Ich weiß das ja, mein Püppchen«, tröstete die Mutter. »Deswegen mache dir nur keine Kopfschmerzen, wir werden schon einen Ausweg finden. Meine größte Sorge ist jetzt Gudrun. Wenn sie womöglich auf die Idee kommen sollte, bei mir leben zu wollen – dieses häßliche Entlein! Für die kriege ich nie einen Mann und habe sie dann mein Leben lang auf dem Hals!«

»Ach das wollen wir ihr schon ausreden«, meinte Fee zuversichtlich. »Ob sie immer noch so häßlich ist? Ich habe sie jahrelang nicht gesehen.«

»Püppchen, ich sage dir, unmöglich sieht sie aus. Und angezogen – eine Vogelscheuche ist gar nichts dagegen – ganz nach Hermines ­Muster. Der reinste Studentenschreck!«

»Weißt du, Ma, du machst mich direkt neugierig auf meine Schwester.«

Und nun bekam Fee plötzlich Lust, sich anzukleiden. So erhob sie sich und gab der Mutter zu verstehen, daß sie ihren Besuch nicht länger ausdehnen möchte. Bat sie noch, dafür zu sorgen, daß Gudrun nach Hohenwerth käme.«

»Wo hält sie sich überhaupt auf?«

»Bei dieser unausstehlichen Röstel«, entgegnete Frau von Barnim nervös. »Die Person wird sie kaum allein nach Hohenwerth lassen, wird sicherlich mit ihr kommen, so daß man kein Wort ungestört mit Gudrun sprechen kann. Kannst du denn nicht auf Bernulf einwirken, daß das Theater, das er mit dieser scheinheiligen alten Jungfer macht, aufhört?«

»Na, versuch du es doch«, riet ihr die Tochter wütend. Der Name Röstel wirkte auf die kleine Frau ungefähr so wie ein rotes Tuch auf einen Stier. Die Mutter hatte ihr wirklich die Laune verdorben. Diese kannte ihr verhätscheltes Töchterlein nur zu gut und hielt es daher für ratsam, sich schleunigst aus dem Staub zu machen.

*

Frau von Barnim gelang es wirklich, Gudrun am nächsten Tag nach Hohenwerth zu bringen. Sie traf die Tochter auf der Straße des Städtchens, in dem auch sie wohnte, und erzählte ihr, wie große Sehnsucht Fee nach ihr hätte; daß sie jedoch nicht zu ihr kommen könne, da sie sich immer noch nicht von der Geburt des Kindes erholt habe.

»Entlein, wie nett, daß du kommst! Willkommen auf Hohenwerth!« rief sie mit ihrer hellen Stimme.

Gudrun war wie betäubt. Sie hatte noch nie Gelegenheit gehabt, etwas so Herrliches zu schauen wie in den letzten Minuten. Ihr Blick ging im Zimmer der Schwester umher, und das war eigentlich die erste Enttäuschung, die sie erlebte, seitdem ihr Fuß Hohenwerth betreten. Dieser Raum paßte nicht zu der feudalen Pracht des Schlosses. Er war wohl auch luxuriös, gewiß – doch er paßte nicht. Graf Hellmarck war für dieses Gemach nicht verantwortlich zu machen, denn Fee hatte die Einrichtung mit in die Ehe gebracht. Die Mutter hatte sich Geld dazu geliehen, um die Tochter ausstatten zu können – das der Graf später zurückzahlen mußte, weil Frau von Barnim dazu nicht in der Lage war.

Gudrun konnte die Herzlichkeit der Schwester nicht erwidern, sie blieb stumm und steif. Etwas Hoch­mütiges lag in ihrem Gebaren, was Fee unglaublich ärgerte. Was dieses häßliche Entlein dachte! Leider mußte sie ja jetzt Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit vortäuschen.

Doch nachher, wenn sie erst das Geld hatte, wollte sie ihr diesen Hochmut schon austreiben.

Eigenhändig holte Fee Erfrischungen herbei, was bei ihrem sonstigen Phlegma anerkennenswert war, und nötigte die Schwester immer wieder, etwas zu genießen. Doch Gudrun konnte es beim besten Willen nicht, die Kehle war ihr wie zugeschnürt, und das scharfe, aufdringliche Parfüm, das sich in dem Raum unangenehm bemerkbar machte, benahm ihr fast den Atem. Dazu war ein unerklärliches Angstgefühl in ihr.

»Iß doch etwas, Entlein«, bat Fee mit ihren süßesten Tönen, »sonst muß ich annehmen, daß es dir bei mir nicht gefällt. Bernulf kann dich leider nicht begrüßen, er ist in die Stadt gefahren.«

Das Angstgefühl in Gudrun wurde immer stärker. Sollte man ihretwegen solche Umstände machen?

O nein, Gudrun war zu klug, das anzunehmen.

Und da kam auch schon die Erklärung für das ungewohnte Entgegenkommen von Mutter und Schwester. Das Mädchen atmete ordentlich erleichtert auf, daß es jetzt wußte, was man wollte.

Also Geld sollte sie geben!

Selbstverständlich, das hätte sie längst wissen müssen. Ob der stolze, vornehme Schloßherr von Hohenwerth wohl darum wußte, daß seine Frau und seine Schwiegermutter ein alleinstehendes Mädchen, das sich durchs Leben schlagen mußte, um das kleine Vermögen prellen wollten, das ihre Adoptivmutter ihr hinterlassen hatte?

»Sieh mal, mein Entlein, ihr seid doch Schwestern«, ließ Frau von Barnim ihre Überredungskunst spielen. »Glaub nur, Püppchen würde dich nicht im Stich lassen, wenn du dich in der gleichen verzweifelten Lage befändet wie sie augenblicklich. Was sind für dich lumpige zwanzigtausend Mark? Eine Bagatelle…«

Gudruns eigentümlicher Blick ließ sie schweigen. Und nun sprach das Mädchen – ruhig, sachlich.«

»Zwanzigtausend Mark kann ich euch leider nicht zur Verfügung stellen, selbst wenn ich es wollte. Mutter Hermine hat mir wohl ein kleines Vermögen hinterlassen, doch ich darf vorläufig nur die Zinsen davon verbrauchen. Bis zu meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag – oder bis zu meiner eventuellen Heirat, falls sie früher stattfinden sollte. Dann allerdings kann ich auch über das Vermögen frei verfügen.«

»So heirate doch schnell, Entlein!« riet ihr die oberflächliche, gedankenlose Fee. Doch da lachte Gudrun auf; unendlich amüsiert klang ihr Lachen.

»Nein, liebe Fee, so groß ist meine Opferfreudigkeit denn doch nicht. Und was würde dir meine Heirat nützen? Dann brauchte ich doch das Geld, um mir eine Aussteuer anzuschaffen, und könnte dir die zwanzigtausend Mark ebensowenig zur Verfügung stellen wie jetzt, denn viel mehr macht nämlich mein ganzes Vermögen nicht aus.«

Das mußte die kleine Frau allerdings einsehen. Sie seufzte schwer und sorgenvoll.

»Hör mal, Entlein, du wirst dich doch nicht damit zufriedengeben, daß Hermine ihren Dienern das Geld und der Stadt das Haus vermacht hat?« fragte die Mutter. »Du bist doch die alleinige Erbin und kannst dieses unsinnige Testament anfechten.«

»Warum?« entgegnete Gudrun gelassen. »Mutter Hermine wird schon gewußt haben, warum sie es tat, und mir steht nicht das Recht zu, ihre letztwilligen Verfügungen anzufechten. Die beiden Diener haben Jahrzehnte für sie gearbeitet, waren ihr treu ergeben – und erhielten einen wahren Hungerlohn. Da ist es nur richtig von Mutter Hermine, daß sie Albert und Emma im Testament bedacht hat. Und das Häuschen hat für mich keinen Wert. Die Stadt hat viel bessere Verwendung dafür; man hat irgendein Stift daraus gemacht.«

»Nenn dieses alte Greuel nicht Mutter, ich kann das nicht hören!« schrie Frau von Barnim erbost.

»Und warum nicht?« fragte Gudrun ruhig. »Sie war doch meine Mutter. Was ich bin und habe – alles hat sie aus mir gemacht.«

Diese Ruhe brachte die Mutter zur Raserei.

»Aus dir gemacht – hahaha – du häßliches, häßliches Entlein!«

»Halt!«

Die Köpfe schnellten herum, und alle drei sahen den Schloßherrn. Er hatte sich gegen den Türpfosten gelehnt, die Arme über der Brust verschränkt. Sie sahen, wie die seine Stirn bedeckende Röte sich langsam verlor und die dicken Adern an seinen Schläfen zurückgingen. Doch das kalte Glitzern in seinen Augen blieb, und nicht minder die drohende Haltung.

»Bernulf – du!« stammelte Frau von Barnim mit bebenden Lippen und ließ sich auf den Diwan sinken, auf dem Fee bereits kauerte, Angst und Entsetzen in den Augen.

Nicht oft hatte sie den Gatten so gesehen, doch jedesmal hatte sie Entsetzen gepackt.

»Was geht hier vor?«

Seine Stimme klang ruhig, doch so drohend, so eisig, daß selbst Gudrun erschauerte.

»Was geht hier vor?«

Noch herrischer, noch drohender waren jetzt seine Worte.

Es war gar nicht möglich, zu antworten, sie konnten es einfach nicht.

»Dann will ich es euch sagen«, klang die schreckliche Stimme wieder auf. »Ich stehe nämlich schon eine ganze Weile hier. Ihr wart so vertieft in euer Gespräch, daß ihr mich nicht bemerktet. Nicht einmal den Mut zur Wahrheit habt ihr – pfui Teufel! Und so etwas ist nun meine Frau, die Mutter meines Kindes!« Das letzte klang wie ein Stöhnen.

»Habt ihr wirklich weder Ehr– noch Schamgefühl!?« fuhr er fort. »Einem Mädchen, das allein auf der Welt steht, sein Geld abnehmen zu wollen und es zu schmähen, wenn es nichts geben kann!«

Stille – bedrückende Stille.

Und wieder die Stimme, jetzt unendlich müde.

»Noch ein letzte Mal will ich eure Schulden bezahlen. Legt die Belege auf meinen Schreibtisch. Doch ich sage euch, es ist das letzte Mal.«

Wie zwei verprügelte Hunde duckten Fee und ihre Mutter sich bei diesen Worten. Dann wandte der Graf sich an Gudrun, die unbeweglich dastand, den Kopf tief gesenkt.

»Kommen Sie, Gudrun, Traude wartet auf Sie. Das ist auch der Grund, weshalb ich Sie hier suchen kam – und so nette Sachen hören mußte. Ich bin Traude in der Stadt begegnet, und da ich erfahren hatte, Sie seien nach Hohenwerth gefahren, brachte ich Traude mit.«

Gudrun folgte ihm. Es ging durch zahlreiche prunkvoll ausgestattete Zimmer, deren Einrichtung sonst eine Augenweide für Gudrun gewesen wäre. Doch jetzt ging sie achtlos daran vorüber; sah immer noch die kalten, glitzernden Augen vor sich, hatte den Klang der herrischen, eiskalten Stimme im Ohr.

In dem Besuchszimmer wäre sie Traude Röstel fast in die Arme getaumelt.

»Aber Gudrun, mein Entlein!« rief diese erschrocken. »Was hast du nur?«

Ihr Blick flog zu dem Grafen hin, der in einem Sessel lehnte und eine Zigarette in Brand steckte. Sie kannte den Bernulf doch! Seine Ruhe, die alles zu verdecken schien, was in ihm gärte und tobte.

»Ihr habt euch doch nicht etwa gezankt?« fragte sie mit einem Blick auf Gudrun und den Grafen. Und da mußte er lachen.

»Liebe Traude, ich sehe meine Schwägerin heute zum erstenmal.«

»Ach ja, richtig. Aber wollt ihr mir nicht sagen…?«

»O nein, Traude, zerbrich dir dein gescheites Köpfchen nicht über Sachen, die dich nichts angehen.«

»Nun seht doch einer diesen frechen Bengel!« rief Traude entrüstet, doch ihre Augen lachten. »Und so was hat man nun in der Jugend betreut und verhätschelt!«

Nun mußte auch Gudrun lachen, und die Situation war gerettet. Der Graf und Traude plauderten miteinander, während Gudrun wie ein Häufchen Unglück in ihrem Sessel kauerte. Zum Erbarmen elend sah sie aus, blaß und hager das Gesicht, das fein geschnitten war und das eine Intelligenzbrille besonders großen Formats halb verdeckte, die ihm ein beinahe groteskes Aussehen gab. Das straff zurückgekämmte, in einem Netz von vorsintflutlicher Fasson steckende Haar mußte entschieden mit Klettenwurzelöl behandelt sein, um es so fettglänzend, so strähnig zu machen.

Und dann diese einfach unglaubliche Kleidung! Die schwarze Bluse aus billigem Stoff war hochgeschlossen. Fehlte nur noch die riesengroße Brosche aus Email, mit Blumen bunt bemalt – und eine Dame des vorigen Jahrhunderts war fertig. Der Graf hätte wetten mögen, daß der lange Rock Stoßkante und Plüschborte aufwies, wie sie unsere Großmütter an den Röcken trugen. Und die Strümpfe waren sicherlich aus gefärbter Schafwolle gestrickt, warm und haltbar.

Unglaublich, daß man ein junges Mädchen so zur Vogelscheuche machen konnte! Wie lange dauerte es, dann waren die schönsten Jugendjahre dahin, und das arme, bedauernswerte Geschöpf wurde eine alte, verbitterte Jungfer, wie ihre verstorbene Adoptivmutter es gewesen war.

Der Graf kannte die traurige Geschichte dieses Mädchens; er hatte sie durch seinen Schwager Gero von Barnim erfahren. Frau von Barnim, diese vergnügungssüchtige, oberflächliche Weltdame, hatte selbstverständlich weder Zeit noch Interesse für ein Baby. Eines mußte man ja haben, das sah sie ein. Und so liebte sie ihr erstgeborenes Kind, das niedliche, zartgliedrige Püppchen, denn auch mit wahrer Affenliebe. Damit war alles, was an guten und weichen Gefühlen in ihr war, vollkommen verausgabt, und für ihren Sohn, der ein Jahr später geboren wurde, blieb nichts mehr an Mutterliebe übrig. Doch sie ließ ihn noch gnädig gelten, es war immerhin ein Junge, auf den man später vielleicht stolz sein konnte. Damit war ihr Interesse für ihn erschöpft.

Ihr Entsetzen war grenzenlos, als drei Jahre später noch ein Mädchen geboren wurde – und gar noch ein ganz besonders schwaches, kümmerliches.

»O dieses häßliche, häßliche Entlein!« hatte die Mutter ausgerufen, als man ihr das neugeborene Kind in den Arm legte. »Wie komme ich zu diesem häßlichen Kind? Und es ist auch noch ein Mädchen!«

Ihr vergöttertes Püppchen war ein

allerliebstes Kind, der Junge war auch hübsch – und nun dieses häßliche Baby?

Sie mochte das Baby überhaupt nicht sehen, überließ es fremden Händen, nannte es nie anders als häßliches Entlein, so daß das Kind diesen Namen behielt und nie anders genannt wurde. Das Kind war eben häßlich, und keiner nahm sich die Mühe, es genauer anzusehen. Es lebte still für sich, erhielt das nötige Essen, trug die abgetragenen Kleider der Schwester, machte sich so unsichtbar wie möglich und fiel niemand zur Last. Stundenlang konnte die Kleine in einem Winkel sitzen und mit der abgelegten Puppe der Schwester spielen. Nie durfte sie in das Besuchszimmer kommen, während das verhätschelte Püppchen, um das sich das ganze Haus drehte, aufgeputzt den Gästen vorgezeigt wurde – ein echtes Paradekind, auf das die Mutter ungeheuer stolz war, während sie sich der jüngsten Tochter schämte.

So vergingen vier Jahre, als eine entfernte Verwandte, Fräulein Hermine von Barnim, zu Besuch kam. Ein unliebenswürdiges, verbittertes Fräulein, das die Gabe besaß, sich geradezu unglaublich lächerlich zu kleiden.

Bei ihrer Frage nach den Kindern wurde ihr zuerst das Püppchen vorgeführt, das sie aber kaum ansah, weil es ihr wie ein aufgeputzter kleiner Affe vorkam.

»Habt ihr nicht auch einen Jungen?« hatte sie gefragt, worauf Gero präsentiert wurde. Man behandelte diesen Gast mit großem Respekt, denn man dachte an das Geld, das man später vielleicht erben konnte.

Gero fand bedeutend mehr Gnade vor den Augen des Fräuleins, das einen scharfen, durchdringenden Blick hatte.

Und dann kam die Frage nach dem dritten Kind. Frau von Barnim sträubte sich heftig, der Tante die Kleine zu bringen, doch es nützte ihr nichts, Fräulein Hermine bestand auf ihrem Willen.

So wurde denn das kleine häßliche Entlein herbeigeholt. Schüchtern kam das Kind ins Zimmer, stand stumm und steif da und musterte die fremde Frau mit großen, ängstlichen Augen. In den abgelegten, ihr viel zu großen Kleidern der Schwester, eine zerzauste Puppe fest an die kleine Brust pressend, so stand sie vor Fräulein Hermine, die sie lange ansah.

»Gib mir das Kind, Daisy«, hatte sie gesagt, und Frau von Barnim wäre fast vom Stuhl gefallen vor Schreck.

»Aber mit tausend Freuden, liebe Hermine!« hatte sie gerufen und sah schon im Geiste Millionen durch ihre Hände rollen, die ihr häßliches Kind später erben würde. Vorläufig war allerdings nichts zu erhoffen, denn Fräulein Hermine war sehr sparsam – geizig nannte es Frau Daisy.

»Selbstverständlich mußt du mir alle Rechte an das Kind abtreten«, hatte Fräulein Hermine gesagt, »ich will es ganz für mich allein haben, mir in ihm eine Stütze für mein Alter erziehen und einen brauchbaren Menschen aus der Kleinen machen. Das Kind verkümmert bei dir ja doch nur.«

Frau Daisy hatte die scharfen Worte heruntergeschluckt, was wirklich eine Leistung für sie war. Die Millionen lockten doch zu sehr, ihnen zuliebe konnte man schon etwas einstecken.

So war das kleine Entlein mit der Tante gegangen.

Die menschenscheue, verbitterte Hermine von Barnim hütete ihr Töchterchen wie ein Zerberus und wußte es stets zu verhindern, daß die Kleine mit Eltern und Geschwistern zusammenkam. Ließ sich das einmal nicht vermeiden, dann wich sie nicht von des Kindes Seite.

So hatten die Eltern ihr Kind und Fee und Gero ihr Schwesterchen nur einige Male gesehen. Jedesmal, wenn Frau Daisy die verschüchterte, stocksteife Kleine in ihrer vorsintflutlichen Kleidung erblickte, war sie von Herzen froh, dieses Kind fortgegeben zu haben.

An alles das dachte der Graf, während seine Blicke immer wieder zu der regungslosen Gestalt im Sessel hinflogen. Der feine Ästhet, dem alles Unschöne einen fast körperlichen Schmerz bereitete, fühlte grenzenloses Mitleid mit dem bedauernswerten Kind.

Ganz unerwartet hob Gudrun den Kopf und sah ihm in die Augen. Was sie darin las, war ihr nichts Neues. Mitleid! – Sie sah es ja nicht zum erstenmal.

Was galten ihr die Menschen, die ihren Nächsten nach dem Äußeren beurteilten? Sie wußte es ja, daß sie das häßliche Entlein war, und sogar ihre Kollegen und Kolleginnen auf der Universität nannten sie so, wenn sie von ihr sprachen.

Doch merkwürdig, die Blicke des Grafen reizten sie tief. Also auch er war ein Mensch wie alle anderen – beurteilte seinen Mitmenschen nach der äußeren Hülle.

Ganz plötzlich übergoß sich das hagere Gesichtchen mit heißer Glut, der Kopf schnellte in den Nacken.

Und da schaute der Graf interessiert auf. An wen hatte ihn dieses merkwürdige Mädchen soeben erinnert?

Halt, nun hatte er es! Die Barnim hatten von einer Großmutter her fürstliches Blut in den Adern. Das Bild dieser fürstlichen Frau, die gleichfalls den Namen Gudrun geführt hatte, war der Stolz der Familie, hatte einen Ehrenplatz bekommen und wurde jedem Besucher mit Stolz gezeigt.

Dieser Ahne hatte soeben Gudrun geglichen. Es war allerdings vermessen, das Mädchen mit der Schönheit auf jenem Bild zu vergleichen, doch irgend etwas hatte sie von dieser Ahne, das stand fest.

Und dann führte sie auch den Namen Gudrun – wie merkwürdig das war! Gerade dieses von den Eltern verachtete Kind nach der verehrten Ahne zu benennen?

Er wollte Gero einmal fragen, wie das eigentlich zusammenhing.

Traude Röstel mahnte zum Aufbruch, und der Graf hielt sie nicht zurück.