Das Haus an der Peripherie - Michael Ende - E-Book

Das Haus an der Peripherie E-Book

Michael Ende

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Beschreibung

Michael Ende erzählt die Geschichte eines wundersamen Hauses: Als Emil mit seinem Bruder Joseph auf ein unbewohntes Haus stößt, macht er eine rätselhafte Entdeckung: Emil betritt das Haus und will es auf der gegenüberliegenden Seite wieder verlassen – tatsächlich aber kommt er durch dieselbe Tür wieder ins Freie. Das unerklärliche Ereignis lässt die beiden Jungen nicht los: Als Joseph einen Stein durch eines der Fenster wirft, bemerkt er, dass auch auf der Rückseite des Hauses ein Fenster kaputt ist – und der Stein auf der Erde liegt. Und die rätselhaften Ereignisse um das eigenartige Haus reißen nicht ab. Die beiden Jungen beschließen, dem Geheimnis des Hauses auf die Spur zu kommen …

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Seitenzahl: 38

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Michael Ende

Das Haus an der Peripherie

Erzählung

Ein Leserbrief

Feldmoching/München den 15.3.1985

Dr. phil. Joseph Remigius Seidl

Studienrat a. D.

Emeranstr. II, Feldmoching

An den Verfasser des Berichtes über den »Korridor des B. C.«

Sehr geehrter Herr M. E.,

der von Ihnen unlängst in der Zeitung veröffentlichte Artikel hat mich stark beeindruckt. Er ermutigt mich, nun meinerseits zur Feder zu greifen, um Ihnen eine Erfahrung aus meiner Knabenzeit mitzuteilen, die in gewissem Sinne mein Leben geprägt hat. Alle meine Versuche, die beunruhigenden Konsequenzen, welche sich aus meinen Beobachtungen ergeben können, einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen zu stellen, sind bislang ohne Erfolg geblieben. Ich bin nur auf Desinteresse oder ungläubiges Kopfschütteln gestoßen. Vielleicht ist es Ihnen aufgrund Ihrer allgemeinen Bekanntheit möglich, diesem bedauerlichen Umstande abzuhelfen. Doch wie auch immer Sie darüber entscheiden werden, in keinem Fall, so denke ich, kann es Ihnen gleichgültig sein, dass Bauwerke von so merkwürdiger Beschaffenheit, wie jener von Ihnen beschriebene Korridor, durchaus nicht nur in der urbs eterna zu finden sind (wo ihre Existenz mehr oder weniger zu erwarten ist) – sondern auch bei uns in Feldmoching (wo dergleichen denn doch recht erstaunlich erscheinen mag).

Nun weiß ich natürlich nicht, sehr geehrter Herr, ob Ihre Darstellung sich als reine Fiktion verstanden wissen will (gewiss werden viele Leser sie dafür halten) oder ob Sie ein tatsächlich existierendes Bauwerk beschrieben haben. Im ersteren Falle mögen Sie wohl lächeln über diesen meinen Brief als über eine weitere absurde Leserzuschrift, deren Sie vermutlich viele bekommen; trifft aber Letzteres zu, so kann Ihnen meine Mitteilung vielleicht einen wertvollen Beitrag zu Ihren eigenen Forschungen leisten. Übrigens habe ich erst seit wenigen Jahren versucht, das Ohr der Öffentlichkeit für meine Ermittlungen zu gewinnen – aus einem leicht einsehbaren Grunde: Ich bin Studienrat a. D., wegen eines hartnäckigen Nervenleidens vorzeitig in Pension geschickt, und wollte eben des Verdachtes wegen, den meine Krankheit nahelegt, keinen Zweifel an meinem gesunden Menschenverstande Vorschub leisten, solange ich noch im Schuldienste tätig war. Nun aber, da ich nur noch Privatperson bin und überdies das Ende meines Lebens täglich eintreten kann, drängt es mich, rückhaltlos der Wahrheit die Ehre zu geben. Verurteilen Sie mich nicht wegen meines lebenslangen Zögerns, sehr geehrter Herr! Schließlich hat auch der von mir so hochgeschätzte Darwin seine brisanten Erkenntnisse erst veröffentlicht, als es ihm beruflich keinen Schaden mehr eintragen konnte. Es gibt eben Wahrheiten, die man tunlichst dem Roulette der Meinungen erst dann preisgibt, wenn man selbst den Spieltisch schon verlassen hat. Aber wie auch immer Sie darüber denken mögen, seien Sie jedenfalls versichert, dass ich Ihnen reine Tatsachen darstelle und dass ich, wie Sie sehen werden, nicht wenige Recherchen angestellt habe, um deren unbezweifelbare Richtigkeit zu erhärten. Überdies war ich als Lehrer für Geschichte, Deutsch und Altphilologie ein Leben lang bestrebt, mich jeder Zügellosigkeit der Fantasie zu enthalten.

Nun aber ohne Umschweife zur Sache.

In meiner Kindheit (ich bin 1931 geboren) war Feldmoching noch ein mehr oder weniger ländlicher Vorort von München. Es gab, verglichen mit heute, nur wenige Villen, die meisten Häuser waren bäuerliche Anwesen, umgeben von Feldern, Äckern und Wiesen. Eine Eisenbahnlinie verband den Ort mit der Stadt, der Zug verkehrte viermal täglich, und den kleinen Bahnhof versorgte mein Vater als Stationsvorsteher. Neben dem Bahnhof gab es ein anspruchsloses, aus unverputztem Ziegel errichtetes Haus. Dort lebten wir, das heißt, mein Vater, meine Mutter, mein um zweieinhalb Jahre älterer Bruder Emil und ich. Zum Unterricht ging ich die ersten vier Jahre ins Dorf Feldmoching, doch besteht das alte Schulhaus jetzt nicht mehr. Es wurde vor zehn Jahren abgerissen, heute steht dort eine Reihenhaussiedlung, in der ich nun meine Altersresidenz bezogen habe. Ich bin also an den Ort meiner Kindheit zurückgekehrt.

Etwa einen halben Kilometer von unserer Station entfernt, dort, wo sich heute die neue Autostraße erstreckt und die Großtankstelle errichtet wurde, befand sich damals eine Wiese von etwa einem halben Hektar Grundfläche. Da es später in meinem Bericht von Bedeutung sein wird, will ich genau sein: Das Flurstück 28b (so die Auskunft des Katasteramtes, die ich später einholte) maß vor 1945 exakt 5221 qm. Heute misst es dagegen nur noch 5106 qm, obgleich die alten Grenzen noch immer gelten und sorgfältig vermessen sind.