Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dieser klassische Romantik-Thriller aus dem Jahre 1905 hat alle Elemente einer mysteriösen und rätselhaften Geschichte: Ein einsames Anwesen in amerikanischen Bundesstaat Indiana, mysteriöse Charaktere (sichtbar und unsichtbar), ein Held, eine schöne Frau, Intrigen, Duelle, Geister. Ein junger Mann ist gezwungen, unter strengen Auflagen für ein Jahr in einem Haus zu leben, um den Bedingungen des Testaments seines Großvaters Genüge zu tun, und erlebt dabei von Anbeginn an allerlei Abenteuer und Verwirrungen. Drei Häuser erheben heute den Anspruch, der Originalschauplatz zu sein. Die zwei, welche der Autor besessen hatte, sind es aber nicht, eher ein Anwesen in Culver, Indiana, am Lake Maxinkuckee. Das Buch war eines der meistverkauften seiner Zeit im Amerika und wurde zweimal verfilmt. 1915 und 1919 kam es als Stummfilm auf die Leinwand. Ein weiterer Streifen (Tonfilm 1936) mit dem gleichen Titel soll offiziell auch auf dieser Erzählung basieren, hat aber kaum etwas mit dem zu tun, was Meredith Nicholson in diesem Buch verfasst hat. Übrigens: Meredith, der Vorname des Originalautors, ist unisex, und gehört in diesem Fall zu einer männlichen Person. Das Buch verkaufte sich so schnell, dass die Drucker das Gold-Relief des Kerzenhalters auf dem Cover durch gelbe Farbe ersetzen mussten, da das Blattgold nicht so schnell beschafft werden konnte, wie das Publikum nach dem Buch verlangt hatte. Die damaligen Kritiken waren dagegen, wie so oft, völlig konträr. Im Jahr des Erscheinens ließ die New York Times kein gutes Haar an dem Buch und fragte sich, warum so viele glückliche Leser das alles schlucken und keine Fragen bezüglich des verwirrenden Inhalts stellen. Der New York Herald bezeichnete das Buch als 'mit Romantik vollgepfropft', und die Chicago Tribune sah 'offene aber raffinierte Sensationsgier' und ein 'nettes, literarisches Experiment' und meinte, der Autor könnte es besser. Wenn sein Humor und Verstand, sowie seine Sentimentalität mit ein wenig mehr Arbeit vereint würden, könnte ihn dies zu einem ernsthaften Vertreter der Zunft machen. Was aber macht dieses Buch aus? Es war zur damaligen Zeit etwas Neues, eine zeitgemäße Romanze in der Neuen Welt mit der Atmosphäre der Alten Welt abzuhandeln.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 427
Veröffentlichungsjahr: 2023
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Das Testament von John Marshall Glenarm
Ein Gesicht im Sherrys
Das Haus der tausend Kerzen
Eine Stimme vom See
Ein roter 'Tam-O'-Shanter' (schottische Mütze)
Das Mädchen und das Kanu
Der Mann an der Mauer
Eine goldene Perlenkette
Das Mädchen und das Kaninchen
Ein Vorfall mit dem Hausmeister
Ich empfange einen Besucher
Ich untersuche einen Durchgang
Ein doppelter Lauschangriff
Das Mädchen in Grau
Ich treffe eine Verabredung
Der Weggang von Olivia
Schwester Theresa
Goldene Schmetterlinge
Ich treffe einen alten Freund
Eine Dreier-Allianz
Pickering schickt ein offizielles Schreiben
Die Rückkehr von Marian Devereux
Die Tür der Verwirrung
Ein nächtlicher Herumtreiber
Belagert
Der Kampf in der Biliothek
Veränderungen und Chancen
Was wird die Zukunft bringen?
Und so führte mich das Licht
An Margaret, meine Schwester …
Pickerings Brief, der mir die Nachricht des Todes meines Großvaters brachte, erreichte mich Anfang Oktober in Neapel. John Marshall Glenarm war im Juni verstorben und hatte ein Testament hinterlassen, in dem er mir seinen Besitz unter Vorbehalt übertrug, wie Pickering, der Anwalt, schrieb. Es sei notwendig, dass ich sofort zurückkehre, um die Bedingungen des Testaments erfüllen zu können. Es war reines Glück, dass ich den Brief überhaupt in die Hände bekommen habe, denn er war nach Konstantinopel geschickt worden, und zwar an den Generalkonsul und nicht an meinen dortigen Bankier. Glücklicherweise war der Konsul ein Freund von mir, der meine Reisen verfolgte und mir den Brief des Testamentsvollstreckers nach Italien hinterherschicken konnte. Ich hatte mich dorthin begeben, um einen englischen Finanzier zu treffen, der, wie man mir sagte, über unbegrenzte Geldmittel verfügte, die er in afrikanische Eisenbahnen investieren wollte. Ich bin Ingenieur, Absolvent einer amerikanischen Institution, die man 'Tech' nennt, und da meine Mittel knapp wurden, wandte ich mich begreiflicherweise meinem Beruf zu.
Natürlich änderte dieser Brief meine Pläne. Am folgenden Tag telegrafierte ich Pickering die Nachricht über meine Abreise und fuhr mit einem Dampfer nach New York. Vierzehn Tage später saß ich in Pickerings Büro im Alexis-Gebäude und hörte aufmerksam zu, während er mit schwerfälliger Betonung die Bestimmungen des Testaments meines Großvaters vorlas.
Als er schloss, musste ich lachen. Pickering war ein ernster Mann, und ich freute mich darüber, dass ihn meine Ungezwungenheit wehtat. Ich war ihm schon immer ein Dorn im Auge gewesen, und sein misstrauischer und tadelnder Blick störte mich nicht im Geringsten.
Ich langte über den Tisch hinweg nach dem Papier, und er drückte mir die versiegelte und mit einer Banderole versehene Kopie des Testaments von John Marshall Glenarm in die Hand. Ich las es selbst durch und war mir dabei bewusst, dass Pickerings kühler Blick fragend auf mich gerichtet war.
Dies sind die Abschnitte, die mich am meisten interessierten:
'Ich schenke und vermache meinem besagten Enkel John Glenarm, der zeitweise in der Stadt und im Staat New York wohnhaft war und sich später als Vagabund in unbekannten Gegenden aufgehalten hatte, ein bestimmtes Anwesen, das als Glenarm-House bekannt ist, mit dem dazugehörigen und nachfolgend näher beschriebenen Land und allem persönlichen Eigentum, das dazu gehört und damit verbunden ist, wobei das besagte Grundstück im County Wabana im Staat Indiana liegt, unter nachfolgender Bedingung, die treu und redlich zu erfüllen ist':
'Der besagte John Glenarm soll für die Dauer eines Jahres in dem besagten Glenarm-House wohnen und in meinen dazugehörigen Ländereien bleiben und sich in dieser Zeit ordentlich und gemäßigt benehmen. Sollte er es zu irgendeinem Zeitpunkt während dieses Jahres versäumen, dieser Bestimmung nachzukommen, so fällt der besagte Besitz an mein allgemeines Vermögen zurück und wird ohne Vorbehalt und ohne die Notwenigkeit eines Gerichtsverfahrens zum uneingeschränkten Eigentum von Miss Marian Devereux aus dem County und Staat New York.
»Nun«, fragte er und schlug die Hände auf die Lehnen seines Stuhls, »was hältst du davon?«
Ich konnte mir beim besten Willen ein weiteres Lachen nicht verkneifen. Es lag vor allem eine köstliche Ironie in der Tatsache, dass ich gerade durch ihn von den Wünschen meines Großvaters in Bezug auf mich erfahren sollte. Pickering und ich waren in derselben Stadt in Vermont aufgewachsen; wir hatten dieselbe Vorschule besucht, aber von Kindheit an hatte es eine gewisse Feindschaft zwischen uns gegeben. Er hatte immer da Erfolg, wo ich versagt hatte, und ich muss zugeben, dass er ziemlich oft Erfolg hatte. Als ich mich weigerte, in meinem Beruf Fuß zu fassen, sondern es vorzog, erst einmal etwas von der Welt zu sehen, widmete sich Pickering mit Eifer der Rechtswissenschaft, und ich wusste von Anfang an, dass er auf keinen Fall scheitern würde.
Ich bin nicht mehr und nicht weniger menschlich veranlagt als andere, und ich erinnerte mich mit Freude daran, dass ich ihn einmal in der Vorschule gründlich verprügelt habe, weil er einen kleineren Jungen schikaniert hatte, aber unsere Bilanz aus der Schulzeit war auch nicht ohne Vorteile auf seiner Seite. Er war ohne Wenn und Aber der bessere Schüler – das gebe ich zu – und er war gewitzt und überzeugend. Dennoch wusste man nie so recht, wie weit seine Kräfte und Ressourcen reichen. Ich behaupte immer, dass er erstaunliches Glück hatte, wie es die Tatsache beweist, dass mein Großvater, John Marshall Glenarm, ein freundschaftliches Interesse an ihm gezeigt hatte. Es war ganz nach den Vorstellungen meines Großvaters, der ein Mann mit vielen Launen war, seine Angelegenheiten in Pickerings Obhut zu geben. Ich konnte mich trotzdem nicht beklagen, denn ich hatte meine eigene Chance bei ihm verpasst.
Ich wusste, dass es zu meiner Strafe gehörte, mich in dieser Testamentsangelegenheit mit Arthur Pickering auseinandersetzen zu müssen. Es war mir gelungen, das Missfallen meines Großvaters so sehr zu erregen, dass er dies für notwendig erachtet hatte, und Pickering genoss diese Situation in vollen Zügen.
Er lehnte sich in seinem Stuhl mit einer Selbstgefälligkeit zurück, die bei ihm schon immer unerträglich gewesen war. Ich war durchaus bereit, mich von einem Mann von Jahren und Erfahrung bevormunden zu lassen, aber Pickering war so alt wie ich, und seine Lebenserfahrung erschien mir in fast grotesker Weise unzureichend. Dass er sich in New York niedergelassen hatte, was nur dank der Großzügigkeit meines Großvaters möglich gewesen war, und dass er zum Vollstrecker seines Nachlasses wurde, war schwer zu ertragen.
Aber da gab es etwas an meiner Belustigung, das nicht ehrlich war, denn mein Verhalten in den drei vorangegangenen Jahren war verwerflich gewesen. Ich hatte meinen Großvater schäbig behandelt. Meine Eltern waren gestorben, als ich noch ein Kind war, und er hatte sich um mich gekümmert, solange ich mich erinnern kann. Er hatte zugelassen, dass ich das von meinem Vater hinterlassene Vermögen hemmungslos ausgegeben hatte; er hatte viel von mir erwartet, und ich hatte ihn schwer enttäuscht.
Einst hatte er gehofft, dass ich mich der Architektur widmen würde, einem Beruf, für den er die größte Bewunderung hegte, während ich meinerseits auf dem Ingenieurberuf bestanden hatte.
Ich schreibe hier keine Entschuldigung für mein Leben, und ich werde nicht versuchen, mein Verhalten zu verharmlosen, dass ich am Ende meines Studiums an der Technischen Hochschule ins Ausland ging und zusammen mit Laurance Donovan ein Leben voller Abenteuer suchte, nachdem ich dessen Bekanntschaft gemacht hatte.
Ich bedauere nicht – obwohl es mir vielleicht mehr zur Ehre gereichen würde, wenn ich es täte – die Monate, die ich damit verbrachte, der Donau östlich des Eisernen Tores, diesem Durchbruchskanal in den südlichen Karpaten, gemächlich zu folgen. Laurance Donovan war immer bei mir, während wir die Dorfbewohner und Gastwirte zu allerlei Aufwiegelungen anstachelten, und wir machten das so gut, dass Russland uns die Ehre erwies, einen Spion an unsere Fersen zu heften, als wir zu weiteren Vergnügungen ins Schwarze Meer hinausfuhren.
Ich würde gerne, zumindest zu meiner eigenen Befriedigung, einen Bericht über bestimmte Angelegenheiten, in die wir in Belgrad verwickelt waren, niederschreiben, aber ohne Larrys Zustimmung ist es mir nicht erlaubt, dies zu tun. Ich werde mir auch nicht die Zeit nehmen, über unsere Reisen in Afrika zu berichten, obwohl uns unsere Studie über 'die Zwerge des Atlasgebirges' eine ehrenvolle Erwähnung durch die Britische Ethnologische Gesellschaft eingebracht hat.
Das war mein Gestern, aber heute saß ich im Büro von Arthur Pickering im hoch aufragenden Alexis-Gebäude, wo ich das dumpfe Rauschen des Broadways fühlen konnte, und besprach die Bedingungen des Testaments meines Großvaters mit einem Mann, den ich so sehr verabscheute, wie es einem Menschen nur möglich ist, einen anderen zu verabscheuen. Pickering hatte mir eine Frage gestellt, und ich war mir plötzlich bewusst, dass seine Augen auf mich gerichtet waren und dass er meine Antwort erwartete.
»Was ich davon halte?«, wiederholte ich seine Frage. »Ich weiß nicht, ob es einen Unterschied macht, was ich denke, aber ich sage dir, wenn du es wissen willst, dass ich es schändlich und empörend finde, dass ein Mann ein solch lächerliches Testament hinterlässt. Alle alten Geldsäcke, die ein Vermögen anhäufen, verherrlichen die Bedeutung ihres Geldes. Sie bilden sich ein, dass jede Freundlichkeit, jede gewöhnliche Zuvorkommenheit, die man ihnen erweist, nur erfolgt, um ein Stück vom Kuchen zu bekommen.«
Ja, ich bin von meinem Großvater enttäuscht. Er war ein großartiger alter Mann, obwohl er weiß Gott seine Eigenarten hatte, aber ich würde tausend Dollar wetten, wenn ich über so viel Geld verfügen könnte, dass dieser Plan von dir stammt, Pickering, und nicht von ihm.
»Das alles hier riecht ganz nach deiner alten Rachsucht, denn davon hatte John Marshall Glenarm nichts im Blut. Die Bedingung, dass ich da draußen wohne, ist ziemlich absonderlich. Ich muss kein Jurist sein, um das zu erkennen, und zweifellos könnte ich das Testament anfechten. Ich fühle jedenfalls ein echtes Bedürfnis, es wirklich zu tun.«
»Sicherlich. Du könntest versuchen, den Nachlass ein halbes Dutzend Jahre lang zu blockieren, wenn du willst«, antwortete er kühl, doch er hatte wohl nicht den Eindruck, dass ich dabei ein ernst zu nehmender Prozessgegner werden könnte. Mein Durchhaltevermögen hatte sich schon vor langer Zeit als schwach erwiesen, wie Pickering nur zu gut wusste.
»Das würde dir zweifellos gefallen«, antwortete ich. »Aber ich werde dir das Vergnügen nicht bereiten. Ich halte mich an die Bedingungen des Testaments. Mein Großvater war im Grunde genommen ein guter alter Herr. Ich werde seinen Namen nicht durch die Instanzen schleifen, auch nicht, um dir eine Freude zu machen, Arthur Pickering«, erklärte ich energisch.
»Diese Einstellung ist des guten Mannes würdig, Glenarm«, erwiderte er.
»Aber diese Frau, die in meine Rechte eintreten soll«, sagte ich. »Ich erinnere mich nicht an sie.«
»Es ist nicht verwunderlich, dass du nie von ihr gehört hast«, sagte der Anwalt.
»Dann ist sie kein Familienmitglied«, sagte ich, »und wohl auch keine lange verschollene Cousine, an die ich mich erinnern sollte?«
»Nein, sie war eine späte Bekanntschaft deines Großvaters. Er lernte sie durch eine alte Freundin von ihm kennen – Miss Evans, bekannt als Schwester Theresa. Miss Devereux ist die Nichte von Schwester Theresa.«
Ich stieß einen Pfiff aus. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass es während der langen Witwerschaft meines Großvaters gelegentlich Berichte gab, dass er im Begriff war, wieder zu heiraten. Der Name von Miss Evans war in diesem Zusammenhang erwähnt worden. Ich hatte gehört, wie in meiner Familie über sie gesprochen wurde, und das nicht gerade mit Wohlwollen. Später erfuhr ich, dass sie einer Schwesternschaft beigetreten ist und irgendwo im Westen eine Schule eröffnet hatte.
»Und Miss Devereux, ist sie auch eine ältere Nonne?«, fragte ich.
»Ich weiß nicht, wie alt sie ist, zumindest ist sie zurzeit keine Nonne. Sie ist aber fast allein auf der Welt, und sie und Schwester Theresa sind sehr eng miteinander verbunden«, sagte Pickering.
»Gib mir noch einmal das Testament, Pickering«, sagte ich, »damit ich mich vergewissern kann, dass ich diese lächerlichen Ideen begreife. Schwester Theresa ist nicht diejenige, die ich nicht heiraten darf, nicht wahr? Es ist die andere kirchliche Stickkünstlerin, die mit dem 'x' am Ende ihres Namens, das mich an die Algebraaufgaben meiner vergangenen Jugend erinnert.«
Ich nahm das Papier und habe den folgenden Absatz laut vorgelesen:
… unter der weiteren Voraussetzung, dass im Falle der Heirat des besagten John Glenarm mit der besagten Marian Devereux oder im Falle eines Heiratsversprechens oder eines Heiratsvertrags zwischen den besagten Personen, innerhalb von fünf Jahren ab dem Datum der Annahme der Bestimmungen dieses Testaments durch den besagten John Glenarm, der gesamte Nachlass in das uneingeschränkte Eigentum der St. Agatha's School in Annandale, Wabana County, Indiana, einer Körperschaft nach den Gesetzen des besagten Staates, übergeht.
»Ein Anfall von Jux und Tollerei muss da meinen Großvater befallen haben! Pickering, du warst immer ein wohlmeinender Kerl; ich übertrage dir alle meine Rechte, Interessen und Titel an diesen engelhaften Schwestern. Heiraten! Die Idee gefällt mir! Ich nehme an, man wird versuchen, mich wegen meines Geldes zu heiraten, doch eine Heirat, Pickering, gehört nicht zu meinem Lebensplan!«
»Ich würde dich auch kaum als einen Mann bezeichnen, der heiratet«, bemerkte er.
»Völlig richtig, mein Freund! Schwester Theresa wurde bereits in meiner Jugend als mögliche Partnerin für meinen Großvater angesehen. Sie und ich sind also kaum gleichaltrig.«
»Und die andere Dame, mit dem faszinierenden algebraischen Zeichen am Ende ihres Namens – auch sie erscheint mir unmöglich. Es sieht so aus, dass ich das Geld nicht bekommen kann, wenn ich sie heirate. Ich sollte es ihr besser gleich überlassen. Sie ist bettelarm, wage ich zu behaupten.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Pickering. »Die Evans' sind eine recht reiche Familie, und sie sollte selbst etwas Geld haben, wenn ihre Tante es ihr nicht für ihre Bildungsprojekte entlockt hat.«
»Und wo auf der Landkarte sind diese reizenden Geschöpfe zu finden?«
»Die Schule von Schwester Theresa grenzt an dein Anwesen. Miss Devereux hat, glaube ich, etwas von deiner eigenen Schwäche für Reisen. Schwester Theresa ist ihre nächste Verwandte, und sie besucht gelegentlich St. Agatha's – das ist die Schule.«
»Ich nehme an, sie sticken zusammen Altartücher und bemühen sich auch sonst tapfer, Satan und seine Kohorten in Verwirrung zu stürzen. Genau die richtigen Leute, um meinem Großvater das Fell über die Ohren zu ziehen!«
Pickering lächelte über meine Abneigungen.
»Du solltest besser einen großen Bogen um sie beide machen, sie könnten dich in ihrem Netz fangen. Man sagt, dass Schwester Theresa eine ziemlich gewinnende Art hat. Schließlich hat sie deinen Großvater ziemlich 'gerupft'.«
»Nonnen mit Brillen, die sanften Erzieherinnen der Jugend und so weiter, die sich einen gutmütigen alten Mann als Beute ausgesucht haben: alles nichts für mich!«
»Das habe ich mir schon gedacht«, bemerkte Pickering, zog seine Uhr aus der Tasche und drehte die Aufzugskrone mit seinen schweren Fingern.
Ich sah ihn an. Er war klein, dick und elegant, mit einem kantigen Kiefer, bereits schütterem Haar und einem kurz geschnittenen Schnurrbart. 'Das Alter', überlegte ich, 'hat ihn nicht besser gemacht'.
Ich wollte aber nicht, dass er meine Verärgerung bemerkte, und holte mein Zigarettenetui heraus und reichte es über den Tisch. »Nach dir! Sie wurden speziell für mich in Madrid hergestellt.«
»Du vergisst, dass ich vom Tabak in keinerlei Form Gebrauch mache, sagte er.«
»Du hast schon immer einen großen Teil der Lebensfreude vermisst«, bemerkte ich und warf zu seinem offensichtlichen Ärger mein Streichholz in seinen Papierkorb.
»Nun, ich bin der böse Junge aus den Märchenbüchern, fuhr ich fort, aber es tut mir wirklich leid, dass mein Erbe an Bedingungen gebunden ist. Ich habe so gut wie kein Geld mehr. Ich nehme nicht an, dass du mir ein paar Tausender vorschießen würdest – «
»Keinen Cent«, erklärte er mit ganz unnötigem Nachdruck, und ich lachte wieder, weil ich mich daran erinnerte, dass in meiner bisherigen Einschätzung von ihm die Großzügigkeit nicht in großem Ausmaß vorhanden war. »Es entspricht nicht dem Wunsch deines Großvaters, wenn ich das tun würde. Du musst bei deinen Tigerjagden eine Menge Geld ausgegeben haben«, fügte er noch hinzu.
»Ich habe alles ausgegeben, was ich hatte«, antwortete ich freundlich. »Gott sei Dank bin ich keine Muschel! Ich habe die Welt gesehen und dafür bezahlt. Ich will nichts von dir. Du teilst zweifellos die Vorstellung meines Großvaters von mir, dass ich ein wilder Mann bin, der weder still sitzen noch ein geordnetes, anständiges Leben führen kann, aber ich werde dir eine schreckliche Enttäuschung bereiten.«
Ich brachte die Unterhaltung wieder zurück zum Wesentlichen. »Wie groß ist denn der Nachlass?«, fragte ich.
Pickering beäugte mich – beunruhigt, wie ich fand – und begann mit einem Bleistift zu spielen. Ich mochte Pickerings Hände nie; sie waren dick und weiß und besser gepflegt, als ich Männerhände sehen möchte.
»Ich fürchte, es wird enttäuschend für dich sein. In den Schließfächern seiner hiesigen Treuhändergesellschaft habe ich nur Wertpapiere im Wert von etwa zehntausend Dollar finden können. Möglicherweise – sehr wahrscheinlich sogar – haben wir uns alle über die Höhe seines Vermögens getäuscht. Schwester Theresa hat ihm große Summen entlockt, und er hat, wie du sehen wirst, ein kleines Vermögen für das Haus in Annandale ausgegeben, ohne es aber richtig fertigzustellen. Es war kein billiges Unterfangen, und in seinem unvollendeten Zustand ist es praktisch wertlos. Du musst auch wissen, dass Mr. Glenarm zu Lebzeiten sehr viel Geld verschenkt hat. Außerdem hat er deinen Vater wirtschaftlich auf die Beine gebracht. Du weißt, was er dir hinterlassen hat – es war kein kleines Vermögen, wie man so etwas einschätzen kann.«
Bei diesem Vortrag wurde ich etwas unruhig. Der Nachlass meines Vaters war von respektabler Größe gewesen, und ich hatte ihn komplett verprasst. Mein Gewissen plagte mich, als ich mich an einen Posten von vierzigtausend Dollar erinnerte, den ich – wohl etwas zu großspurig – für eine Expedition ausgegeben hatte. Sie hatte mich, mit beträchtlicher Genugtuung – zumindest für mich selbst - durch den Sudan geführt.
Aber die Worte von Pickering verblüfften mich.
»Damit ich dich richtig verstehe«, sagte ich und beugte mich zu ihm hin. »Mein Großvater soll reich gewesen sein, und doch sagst du mir, dass man wenig Vermögen gefunden hat. Schwester Theresa hat von ihm Geld geliehen bekommen, um eine Schule zu bauen. Wie viel war das?«
»Fünfzigtausend Dollar. Es war ein offenes Konto. Seine Bücher zeigen die Vorschüsse, aber er hatte über die Verwendung keine Notizen gemacht.«
»Und diese Forderung ist werthaltig? – «
»Sie geht gegen sie persönlich. Aber sie behauptet – «
»Ja, fahre fort!«
Ich hatte den richtigen Ton angeschlagen. Er war verärgert über meine Hartnäckigkeit und sein offensichtliches Unbehagen gefiel mir.
»Sie weigert sich, zu zahlen. Sie sagt, Mr. Glenarm habe ihr das Geld geschenkt.«
»Das ist doch möglich, nicht wahr?«, sagte ich. »Er hat immer Geschenke an die Kirchen gemacht. Schulen und theologische Seminare waren eine Art Schwäche von ihm.«
»Das ist richtig, aber dieses Konto ist ein Teil des Nachlasses. Es ist meine Aufgabe als Testamentsvollstrecker, die Summe einzuziehen, und das werden wir versuchen.«
»Ja, mach das«, sagte ich. »Wenn du dieses Geld bekommst, ist der Nachlass sechzigtausend Dollar wert, zuzüglich des Wertes des Landes draußen in Annandale, und Glenarm-House hat einen Wert von … «
»… nun, da bin ich etwas überfragt!«, sagte er.
Es war die erste Unsicherheit, die er an den Tag legte, und sie ließ mich aufhorchen.
»Ich hätte gern eine Vorstellung von seinem Wert. Selbst ein unfertiges Haus ist etwas wert«, sagte ich.
»Das Land da draußen ist zwischen hundert und hundertfünfzig Dollar pro Morgen wert. Es gibt sogar hundert Hektar. Ich würde mich freuen, wenn du das Haus selbst schätzen würdest, wenn du dort angekommen bist.«
»Hm! Du schmeichelst meinem Urteilsvermögen, Pickering. Wie viel ist das bewegliche Zeug dort wert?«
»Es steckt fast alles in der Bibliothek. Die Schwäche deines Großvaters war die Architektur – «
»Das weiß ich noch!«, warf ich ein und erinnerte mich an meine stürmischen Gespräche mit John Marshall Glenarm bezüglich meiner Berufswahl.
»In seinen letzten Lebensjahren hatte er sich mehr und mehr seinen Büchern zugewandt«, sagte Pickering. »Er hat dort wohl die beste Sammlung von Büchern über Architektur angelegt, die in diesem Land zu finden ist. Das war sein größtes Hobby, nach den kirchlichen Angelegenheiten, wie du dich vielleicht erinnerst, und er hat es sehr intensiv betrieben. Aber seine Studien haben ihm auch sehr viel Freude bereitet.«
Ich lachte wieder; es war besser, zu lachen, als über die Situation zu weinen.
»Ich nehme an, er wollte, dass ich mich dort hineinsetzen«, sagte ich, »umgeben von Werken über Architektur, mit dem Gedanken, dass ein Studium des Themas meine einzige Zuflucht sein würde. Ein sehr typisches Verhalten für John Marshall Glenarm!«
»Und alles, was ich dann noch bekomme, ist ein wertloses Haus, hundert Morgen Land, zehntausend Dollar und einen zweifelhaften Anspruch gegen eine protestantische Nonne, die meinen Großvater überlistet hat, damit er eine Schule für sie einrichtet. Was mein Erbe angeht, so wäre es besser für meinen Geldbeutel gewesen, wenn ich in Afrika geblieben wäre.«
»Das kommt so ungefähr hin«, kommentierte Pickering.
»Aber das persönliche Eigentum gehört mir, alles davon, was sich auf dem Grundstück befindet. Vielleicht hat mein Großvater alte Silberteller oder Staatsanleihen versteckt, um die Neugier seiner Erben, Nachfolger und Bevollmächtigten zu wecken. Das wäre ebenfalls typisch für ihn!«
Ich bin zum Fenster gegangen und blickte auf die Stadt hinaus. Als ich mich plötzlich umdrehte, sah ich Pickerings Augen mit neugieriger Aufmerksamkeit auf mich gerichtet. Ich hatte seine Augen noch nie gemocht; sie waren zu gleichmäßig. Wenn ein Mann einem immer ruhig und bereitwillig in die Augen schaut, sollte man sich vor ihm in Acht nehmen.
»Ja, zweifellos wirst du den Platz geradezu vollgestopft mit Schätzen vorfinden«, sagte er sarkastisch und lachte. »Wenn du etwas entdeckst, könntest du mir dann ein Telegramm schicken?«
Er lächelte; der Gedanke schien ihm Freude zu bereiten.
»Bist du sicher, dass es sonst nichts gibt?«, fragte ich. »Kein Zusatzdokument, keinen Testamentsnachtrag?«
»Wenn du von etwas in dieser Richtung erfährst, ist es deine Pflicht, es vorzulegen«, sagte Pickering. »Wir selbst haben alle Möglichkeiten ausgeschöpft.«
»Ich gebe zu, dass die Bestimmungen des Testaments ungewöhnlich sind. Dein Großvater war in vielerlei Hinsicht ein eigenartiger Mensch, aber er war durch und durch gesund und bis zuletzt bei vollem Verstand.«
'Er hat mich viel besser behandelt, als ich es verdient habe', dachte ich mit einem Herzschmerz, den ich in meinem unverantwortlichen Leben nicht oft erlebt hatte; aber ich konnte es mir nicht leisten, vor Arthur Pickering Gefühle zu zeigen.
Ich nahm die Kopie des Testaments nochmals in die Hand und untersuchte sie. Es war zweifellos authentisch. Es trug die Bescheinigung des Gerichtsschreibers von Wabana County, Indiana. Die Zeugen waren Thomas Bates und Arthur Pickering.
»Wer ist Bates?«, fragte ich und deutete auf die Unterschrift dieses Mannes.
»Auch eine der Entdeckungen deines Großvaters. Er kümmert sich um das Haus da draußen und ist ein vertrauenswürdiger Mann. Er ist unter anderem ein guter Koch. Ich weiß nicht, wo Mr. Glenarm Bates ihn herhat, aber er hatte volles Vertrauen in ihn. Der Mann war bis zum Schluss bei ihm.«
Das Bild meines sterbenden Großvaters, allein mit einem Diener, während ich, sein einziger Verwandter, in der Fremde umherirrte, war keines, das ich mit großer Befriedigung betrachten konnte.
Mein Großvater war ein seltsamer kleiner Mann, der immer einen langen schwarzen Mantel und einen Seidenhut trug, einen merkwürdigen silbernen Stab in der Hand hielt und rätselhafte Dinge sagte, und keiner traute sich, darüber zu lachen oder zu weinen.
Er lehnte es ab, dass man sich bei ihm für Gefälligkeiten bedankte, doch er war großzügig und hilfsbereit und vollbrachte ständig gute Taten. Die Zeitungen berichteten aber auch über seine skurrilen philanthropischen Aktivitäten. Einmal hatte er einer vornehmen Kirche in Boston eine beträchtliche Geldsumme geschenkt. Er tat dies mit der ausdrücklichen Bedingung, die er auch noch rechtlich absicherte, dass die Gemeinde einen Betrag in Höhe seines Geschenks mit Zinsen an die Massachusetts Humane Society zahlen sollte, falls sie ihr geistliches Wohlergehen jemals einem Pfarrer namens Reginald, Harold oder Claude anvertrauen würde.
Jetzt berührte mich ein besonderer Gedanke an ihn. Ich war froh, zu spüren, dass sein Geld nie ein Lockmittel für mich gewesen war; es spielte keine Rolle, ob sein Vermögen groß oder klein war. Jetzt konnte zumindest mein Gewissen beruhigen, indem ich dem Wunsch des alten Mannes nachkam, dessen Namen ich trug und dessen Interesse an den schönen Dingen des Lebens und der Kunst ihm ein besonders charakteristisches Merkmal verliehen haben.
»Ich würde gerne etwas über die letzten Tage von Mr. Glenarm erfahren«, sagte ich unvermittelt.
»Er wollte die Ortschaft besuchen, in der er geboren wurde, und Bates, sein Begleiter und Diener, ging mit ihm nach Vermont. Er starb recht plötzlich und wurde neben seinem Vater auf dem alten Dorffriedhof begraben. Ich habe ihn zuletzt im Frühsommer gesehen. Ich war nicht zu Hause und erfuhr erst von seinem Tod, als alles schon vorbei war.«
»Bates war vorbeigekommen, um es mir mitzuteilen und um die notwendigen Papiere für die Testamentseröffnung zu unterschreiben. Das musste am Wohnort des Verstorbenen geschehen, also wir fuhren gemeinsam nach Wabana, dem Sitz des Bezirks, in dem Annandale liegt.«
Danach schwieg ich und blickte aufs Meer hinaus, das mich seit meinen frühesten Träumen in der Welt, die dahinter lag, gelockt hatte.
»Es ist ein armseliger Anteil, Glenarm«, bemerkte Pickering tröstend, und ich drehte mich zu ihm um.
»Ich nehme an, du hältst es für einen schlechten Anteil! Ich nehme auch an, du kannst im Leben dieses alten Mannes nichts anderes sehen als sein Geld, aber ich kümmere mich einen Dreck um mein Erbe! Ich habe zu Lebzeiten meines Großvaters nie einen seiner Wünsche befolgt, aber jetzt, wo er tot ist, ist sein letzter Wunsch für mich verbindlich. Ich werde ein Jahr da draußen verbringen, und wenn ich dafür sterben muss. Verstehst du, was ich meine?«
»Hoppla! Du warst schon immer ein wilder Sturmvogel«, spottete er. »Ich denke, es ist sicherer, wenn wir unsere höchst angenehme Bekanntschaft auf einer rein geschäftlichen Basis halten können. Wenn du die Bedingungen des Testaments akzeptierst – «
»Natürlich akzeptiere ich sie! Glaubst du, ich mache einen Aufstand und weigere mich, den letzten Wunsch dieses alten Mannes zu erfüllen? Ich habe ihm zu Lebzeiten genug Ärger bereitet und will ihn nun nicht im Grab enttäuschen. Ich nehme an, du möchtest, dass ich das Testament anfechte, aber da werde ich dich enttäuschen.«
Er sagte nichts, sondern spielte mit seinem Bleistift. Ich hatte ihn noch nie so sehr verabscheut; er war so selbstgefällig und bequem. Sein Büro atmete den Geist des Wohlstandes. Ich wünschte mir, meine geschäftliche Angelegenheit zu beenden und zu verschwinden.
»Ich nehme an, die Region da unten hat eine hohe Sterblichkeitsrate. Wie steht es mit der Malaria?«, fragte ich.
»Nicht besorgniserregend weit verbreitet, soweit ich weiß. Es gibt eine Sommerfrische auf der einen Seite des Annandale-Sees. Der Ort soll wirklich sehr gesund sein. Ich glaube nicht, dass dein Großvater einen Mord im Sinn hatte, als er dich zu diesem Ort schicken wollte.«
»Nein, er dachte wohl, die Zurückgezogenheit auf dem Land würde einen Mann aus mir machen. Muss ich mich selbst verpflegen? Ich nehme an, man wird mir erlauben zu essen.«
»Bates kann für dich kochen. Er wird für das Nötigste sorgen. Ich werde ihn anweisen, deine Anweisungen zu befolgen. Ich nehme an, du wirst nicht viele Gäste haben, und in der Tat – «
Er betrachtete aufmerksam seinen Handrücken und fuhr fort: »Obwohl das nicht genau gesagt worden ist, bezweifle ich, dass es die Absicht deines Großvaters war, dass du dich mit Leuten umgibst wie – «
»Mit ausschweifenden Gefährten!«, fügte ich in meinem fröhlichsten Tonfall hinzu. »Nein, ich werde mich vorbildlich verhalten, Mr. Pickering«, fügte ich mit liebenswürdiger Ironie hinzu.
Er nahm ein einzelnes, dünnes, mit Schreibmaschine geschriebenes Blatt Papier in die Hand und reichte es über den Tisch. Es war eine formelle Zustimmung zu den Bestimmungen des Testaments. Pickering hatte es vorbereitet, bevor ich kam, und diese vorweggenommene Annahme, dass ich die Bedingungen akzeptieren würde, beunruhigte mich.
Mutmaßungen darüber, was ich unter bestimmten Umständen tun würde, hatten mich schon immer irritiert und waren zu einem großen Teil dafür verantwortlich, dass ich dazu neigte, Menschen zu überraschen und zu enttäuschen.
Pickering rief einen Angestellten, der meine Unterschrift bezeugen sollte.
»Wie schnell willst du den Besitz übernehmen?«, fragte er. »Ich muss darüber ein Protokoll anfertigen.«
»Ich werde morgen nach Indiana aufbrechen«, antwortete ich.
»Du bist schnell entschlossen«, antwortete er und faltete zweimal mit Bedacht das Papier, das ich gerade unterschrieben hatte. »Ich hatte gehofft, du würdest mit mir zu Abend essen, bevor du weggehst; aber ich denke, New York erscheint dir ziemlich langweilig verglichen mit den Cafés und Basaren des Ostens.«
Seine erneute Anspielung auf meine Wanderschaft verärgerte mich wieder, denn das war der Punkt, an dem ich am empfindlichsten war.
Ja, ich war siebenundzwanzig und hatte mein Vermögen aufgebraucht; ich hatte das Brot vieler Länder gekostet, und ich war jetzt dazu verdammt, mich ein Jahr lang für das Erbe meines Großvaters zu qualifizieren, indem ich mich auf einer verlassenen und einsamen Farm in Indiana niederlassen musste, die ich nie gesehen und an der ich keinerlei Interesse hatte.
Als ich mich erhob, um zu gehen, sagte Pickering: »Es wird genügen, wenn du mir einmal im Monat schreibst, dass du dort bist. Das Postamt ist in Annandale.«
»Ich nehme an, ich könnte mir in der Ortschaft einen Vorrat an Postkarten beschaffen und dafür sorgen, dass jeden Monat eine verschickt wird.«
»So könnte man es machen«, antwortete er gleichmütig.
»Vielleicht sehen wir uns ja wieder, wenn ich nicht verhungere oder an Langeweile sterbe. Auf Wiedersehen«, sagte ich beim Abschied.
Wir schüttelten uns steif die Hände. Ich verließ ihn und fuhr in einem Aufzug voller begierig dreinschauenden und nervöser Männer nach unten. Ich jedenfalls hatte keine geschäftlichen Sorgen; es machte keinen Unterschied, ob die Börsenkurse steigen oder fallen würden.
Etwas von der Abenteuerlust, die mein Fluch gewesen war, regte sich in meinem Herzen, als ich durch den überfüllten Broadway an der Trinity Church vorbei zu einer Bank ging und den Restbetrag meines Kreditbriefs abhob. Ich erhielt etwas weniger als eintausend Dollar in bar.
Als ich mich vom Fenster des Kassierers abwandte, lief ich direkt dem letzten Mann in die Arme, den ich auf der Welt zu sehen erwartete.
Das war, wohlgemerkt, im Oktober des Jahres unseres Herrn 1901.
»Wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann erwähne meinen Namen nicht«, sagte Laurance Donovan. Er zog mich beiseite, ignorierte meine Hand und verlieh unserer Begegnung ansonsten eine Beiläufigkeit, die angesichts der Tatsache, dass wir uns das letzte Mal in Kairo getroffen hatten, ziemlich erstaunlich war.
»Allah il Allah!«
Es war tatsächlich Larry. Ich spürte wieder die Hitze der Wüste, hörte die Kameltreiber fluchen und wie unsere sudanesischen Führer, unter einem weit entfernten Fenster, eine Verschwörung vorbereiteten.
»Na so was!«, riefen wir beide erstaunt aus.
Er wippte auf den Beinen auf dem gefliesten Boden der Bank hin und her, die Hände in den Taschen. Ich hatte ihn schon einmal so stehen sehen, damals, als wir vier Tage lang nichts gegessen hatten. Es war in Abessinien gewesen, und unsere Führer hatten uns an einem denkbar ungünstigen Ort zurückgelassen. Und wieder hatte er denselben unruhigen Blick in den Augen.
»Sei bitte nicht überrascht oder verängstigt oder so, Jack*«, sagte er in seinem feinen Tonfall. »Ich habe vor etwa einer Stunde einen Kerl gesehen, der nach mir gesucht hat. Er macht das schon seit einigen Monaten, daher meine Anwesenheit in dem Land der Freien und Tapferen [aus der Nationalhymne der USA]. Wahrscheinlich ist er immer noch hinter mir her, denn er ist ein hartnäckiger Teufel. Ich bin hier, wie man so schön sagt, ziemlich inkognito. Ich wohne in einer Pension auf der Ostseite, wohin ich dich aber nicht einladen werde, mich zu besuchen. Aber ich muss dich unbedingt sprechen.«
»Dann iss heute Abend mit mir im Sherry's - «, sagte ich.
»Zu groß, zu viele Leute – «, meinte er.
»Darin liegt aber auch eine Sicherheit, wenn du in Schwierigkeiten steckst«, entgegnete ich. »Ich werde bald ins Exil gehen und möchte noch einmal zivilisiert essen, bevor ich verschwinde.«
[* oft gebrauchtes Diminutiv von John]
»Ja, warum nicht. Vielleicht ist das auch ganz in Ordnung«, meinte er. »Wohin gehst du? Doch nicht wieder nach Afrika?«
»Nein. Nur nach Indiana, einem der souveränen amerikanischen Staaten, wie du wissen solltest.«
»Was, zu den Indianern?«
»Nein – die sind garantiert alle tot.«
»Karawane – Fesselballon – Kutsche – Kamel, – wie kommst du dort hin«, fragte er mich.
»Hör zu. Das ist der leichtere Teil. Es geht nicht darum, dorthin zu kommen, sondern darum, dort nicht vor Langeweile zu sterben.«
»Hm! Um wie viel Uhr soll das Abendessen sein?«
»Sieben Uhr. Triff mich am Eingang.«
»Ich bin auf der Flucht«, sagte er. »Lass mich vor dir durch die Tür hinausgehen, und folge mir bitte nicht auf der Straße!«
Die behandschuhten Hände lässig hinter sich verschränkt, trat er hinaus auf den Broadway und ging dann in Richtung der Battery. Ich wartete, bis er verschwunden war, und nahm dann eine Kutsche hoch nach Up-Town.
Meine erste Begegnung mit Laurance Donovan hatte in Konstantinopel stattgefunden, in einem Café, in dem ich gerade speiste. Er geriet dort in einen Streit mit einem Engländer und hatte ihn niedergeschlagen. Es war zwar nicht meine Angelegenheit, aber mir gefiel die Leichtigkeit und Entschlossenheit, mit der Larry seinen Gegner außer Gefecht setzte. Später erfuhr ich, dass es eine Art war, die er an sich hatte. Der Engländer hatte es nicht böse gemeint, aber er konnte natürlich nicht wissen, wie stark Larrys Gefühle für das unglückliche Los Irlands waren.
Am Anfang meiner Bekanntschaft mit Donovan habe auch ich mich manchmal mit ihm gestritten, aber ich lernte bald, mich zu beherrschen. Er bekehrte mich vollkommen zu seiner Auffassung über irische Angelegenheiten, und ich wurde, ebenso wie er, ein glühender Verfechter des Schädel-Einschlagens als Mittel zur Wiederherstellung des verloren gegangenen Ansehens Irlands.
Mein Freund, der amerikanische Generalkonsul in Konstantinopel, war nicht ohne Sinn für Humor, und es fiel mir nicht schwer, ihn für Larrys Anliegen zu gewinnen, denn der Engländer dürstete nach Rache und rief alle mächtigen Leute an. Er bestand mit Recht darauf, dass Larry ein britischer Untertan sei und dass der amerikanische Konsul ihm kein Asyl gewähren durfte – ein Punkt, der, wie ich weiß, rechtlich und faktisch gut begründet war. Larry hingegen behauptete, er sei kein Engländer, sondern ein Ire, und da sein Land keine Vertretung in der Türkei habe, sei es sein Privileg, Zuflucht zu finden, wo immer sie ihm angeboten werde.
Larry war schon immer der Überzeugendste aller Menschen, und wir – er, der amerikanische Konsul und ich – machten schließlich genügend Eindruck und konnten den Rachsüchtigen loswerden.
Erst später erkannte ich, dass der eigentliche Witz in der Tatsache lag, dass Larry gebürtiger Engländer war und dass seine Hingabe an Irland rein 'quichotisch' [absurd, weltfremd] ist.
Seine Familie hatte Irland zwar irgendwann in grauer Vorzeit verlassen und sich in England niedergelassen, aber als Larry in das Alter von Wissen, wenn auch nicht von Besonnenheit kam, ließ er Oxford sausen und bestand darauf, seinen Abschluss in Dublin zu machen. Er glaubte sogar – oder glaubte, er glaubte – an Banshees, die Geisterfrauen Irlands.
Während seiner Universitätszeit verbündete er sich dann mit den radikalsten und unruhigsten Befürwortern einer separaten nationalen Existenz für Irland und verbrachte gelegentlich einen Monat im Gefängnis, weil er randaliert hatte.
Aber Larrys Instinkte waren klug, und er machte einen glänzenden Abschluss an der Universität. Dann, mit zweiundzwanzig, schickte er sich an, in die Welt hinauszugehen, und sie gefiel ihm außerordentlich gut. Da sein Vater ein viel beschäftigter Mann war und noch andere Söhne hatte, gewährte er Larry ein Taschengeld und sagte ihm, er solle sich solange von zu Hause fernhalten, bis er bereit sei, solide zu werden.
Nach einer Reise durch Europa überquerten wir gemeinsam das Mittelmeer, auf der Suche nach den Amüsements verlorener Königreiche und verbrachten drei Jahre mit einer intensiven Entdeckungstour. Am Ende trennten wir uns in Kairo unter freundschaftlichsten Bedingungen.
Er kehrte nach England und später in sein geliebtes Irland zurück. In den dunkelsten Tagen unserer Abenteuer hatte er stets fröhlich die wildesten gälischen Lieder gesungen und nie seine Liebe zur 'Auld Sod' [auch: Old Sod/Heimaterde, Heimatscholle] verloren, wie er seine Wahlheimat apostrophierte und diesen Namen hochhielt.
Larry hatte stets auf ein tadelloses Erscheinungsbild Wert gelegt. Er verließ an diesem Abend seine Unterkunft in der East Side in angemessener Kleidung und mit der Ruhe und Zurückhaltung eines Gentleman, die so gar nicht zu seiner Neigung passen, Zwietracht zu säen und Krawall zu machen.
Als wir uns zum gemütlichen Abendessen im Sherry's niederließen, waren wir, wie ich bescheiden behaupte, kein unansehnliches Paar. Wir – wenn ich mich dazuzählen darf – sind beide ein wenig unter der Durchschnittsgröße, sehnig, nervös und waren zu dieser Zeit gut durchtrainiert. Unsere schlanken, glatt rasierten Gesichter waren gut gebräunt – meins trug noch einen 'frischen Anstrich' von meinen Tagen auf dem Deck des Dampfers.
Larry war noch nie in Amerika gewesen, und die Szene hatte für uns beide den Charme eines fröhlichen und neuartigen Schauspiels. Wenn ich mit Larry über Nationen und Rassen gesprochen habe, hatte ich immer behauptet, dass die Amerikaner das schönste und am besten herausgeputzte Volk der Welt sind. Ich glaube, dass er sich an diesem Abend davon überzeugt konnte, als wir mit unseren Augen, die lange nicht mehr an solcherlei Pracht gewöhnt waren, auf die große Gesellschaft im Restaurant blickten.
Die Lichter, die Musik, die Vielfalt und der Überschwang der Kostüme der Frauen aber auch die vielen unverkennbar fremden Gesichter, übten einen willkommenen Zauber auf unsere Sinne aus, welche die Entbehrungen in den öden und trostlosen Gegenden der Erde ausgehalten haben.
»Jetzt erzähl mir die Geschichte«, sagte ich. »Hast du einen Mord begangen? Vielleicht Hochverrat?«
»Nein, es war ein Mieteraufstand in Galway. Ich habe einen Wachtmeister zusammengeschlagen und ihm dabei ganz schön zugesetzt; das kann man wohl sagen, wenn man bedenkt, dass der Streit sogar in den Zeitungen stand. Ich habe mich ein paar Wochen lang versteckt, bin dann mit dem Schiff nach Queenstown gefahren und warte jetzt darauf, dass ich zur 'Auld Sod' zurückkehren kann, ohne in Ketten gelegt zu werden.«
»Du bist wirklich dazu geboren worden, um gehängt zu werden, Larry. Du solltest besser in Amerika bleiben. Hier gibt es mehr Platz als anderswo, und es ist nicht leicht einen Mann in Amerika zu entführen und zu verschleppen.«
»Möglicherweise nicht, und doch ist die Lage nicht ganz so beruhigend«, sagte er, während er ein Stück Butterfisch mit seiner Gabel durchbohrte. »Schau dir den blendend aussehenden Herrn zu deiner Rechten an – am Vierertisch – neben der Dame in Rosa. Es mag dich interessieren, dass er der britische Konsul ist.«
»Interessant, aber nicht so wichtig«, sagte ich. »Du nimmst doch nicht etwa an – «
»Dass er nach mir sucht? Selbstverständlich nicht. Aber er hat zweifelsohne meinen Namen auf seiner Liste.«
»Der Detektiv, der mich hier verfolgt, ist ziemlich blind. Er hat mich heute Morgen verloren, als ich mit dir in der Bank gesprochen habe. Später hatte ich das Vergnügen, ihn selbst etwa eine Stunde lang zu verfolgen, bis er schließlich zum Büro des britischen Konsuls kam.«
»Danke, nichts mehr von dem Fisch«, fuhr er fort. »Lass uns die Sorgen vergessen. Ich wurde nicht geboren, um gehängt zu werden, und da ich ein politischer Straftäter bin, bezweifle ich, dass ich ausgewiesen werden kann, wenn sie mich in die Finger bekommen.«
Er betrachtete verträumt die sprudelnden Bläschen in seinem Glas und hielt es mit seinen schlanken, gepflegten Fingern hoch.
»Erzähle mir etwas über deine eigene unmittelbare Gegenwart und Zukunft«, sagte er.
Ich machte die Geschichte über das Erbe meines Großvaters Glenarm so kurz wie möglich, denn Kürze war ein festes Gesetz in unserem Umgang miteinander.
»Ein Jahr, sagst du, in dem du nichts anderes tun kannst, als deine Hände zu falten und zu warten. Das klingt für mich nicht sehr verlockend. Ich würde lieber auf das Geld verzichten.«
»Aber ich habe vor, etwas zu arbeiten«, sagte ich. »Ich bin es dem Andenken meines Großvaters schuldig, einiges wieder gutzumachen, wenn überhaupt etwas Gutes in mir ist.«
»Der Gedanke ist deiner würdig, Glenarm«, sagte er spöttisch.
Er sah mich auf einmal überrascht an: »Siehst du da gerade einen Geist?«
Ich musste in diesem Moment leicht erschrocken gewirkt haben, als ich plötzlich, keine zwanzig Meter von mir entfernt, Arthur Pickering entdeckt hatte.
Eine Gruppe von einem halben Dutzend oder mehr Leuten hatte sich erhoben, und Pickering und ein Mädchen waren für einen Moment von den anderen getrennt.
Sie war jung, ziemlich die Jüngste in der Gruppe an Pickerings Tisch. Eine gewisse Mädchenhaftigkeit in Größe und Umriss mag durch den Gegensatz zu Pickerings massigem Körper hervorgehoben worden sein.
Die junge Lady trug schwarze Kleidung, und ihre weiße Haut zeigte sich an Hals und Handgelenken – ein düsterer Kontrast zu den anderen Frauen der Gruppe, die mit einem gewissen Maß an bunter Pracht gekleidet waren.
Sie hatte ihren Fächer fallen lassen, und Pickering bückte sich, um ihn aufzuheben. In der Sekunde, in der sie wartete, drehte sie sich achtlos zu mir um, und unsere Blicke trafen sich für einen Augenblick. Sehr wahrscheinlich war sie Pickerings Schwester. Ich versuchte, seine Familie zu rekonstruieren, die ich in meiner Jugend gekannt hatte, aber ich konnte sie nicht einordnen.
Sie ging vor ihm hinaus, und meine Augen folgten ihr. Sie sahen dieser aufrecht gehenden Gestalt nach, die sich frei und anmutig, mit einer bezaubernden Würde und Ausgeglichenheit bewegte, und dem Gold ihres blonden Haares, das unter der schwarzen Haube glänzte.
Als ich in ihre Augen gesehen hatte, erschienen sie mir als die traurigsten und gleichzeitig schönsten, die ich je gesehen hatte, und selbst in diesem hellen, überfüllten Raum spürte ich ihren Zauber. Sie hatten sich unauslöschlich in mein Gedächtnis eingeprägt – trauernd, verträumt und wehmütig.
In meiner völligen Versenkung hatte ich Larry ganz vergessen. »Du scheinst sie zu kennen«, bemerkte er leise. »Freunde von dir?«
»Der große Kerl vorne dran ist mein Freund Pickering«, antwortete ich, woraufhin Larry seinen Kopf leicht herumdrehte.
»Du hast doch sicher auf die Frau geschaut«, bemerkte er trocken. »Schade, dass ich das Objekt deines Interesses nicht sehen konnte. Bah! Diese Männer!«
Ich lachte laut, was in dieser Situation ziemlich unüberlegt war, aber zugleich kam mir das ernste Gesicht des Mädchens in Schwarz ins Gedächtnis – ihre traurigen Augen, den goldenen Schimmer in ihrem Haar.
Pickering hat in diesem Tal der Tränen gewiss die angenehmen Seiten für sich gefunden, und ich fühlte, wie ich ihn hasste. Es tut weh, einen Mann zu sehen, den man nie gemocht hat und der da erfolgreich ist, wo man selbst versagt hat!
»Warum hast du mich ihnen nicht vorgestellt?«, sagte Larry. Ich würde gerne ein paar wichtige Amerikaner kennenlernen, die vielleicht für mich bürgen können.
»Erstens hat Pickering mich nicht gesehen«, sagte ich, »und zweitens würde er nicht für dich oder mich bürgen, wenn er uns bemerkt hätte. Er ist nicht so veranlagt.«
Larry lächelte verblüfft. »Du brauchst es nicht weiter zu erklären. Der Anblick der Dame hat dich erschüttert. Sie erinnert mich an Tennyson [englischer Poet]: 'Die sternengleichen Sorgen unsterblicher Augen' … «
»Der Rest des Satzes sollte dir eine feierliche Warnung sein – … 'viele zogen das Schwert und starben, und das Unglück folgte ihr auf dem Fuße'. Bah! Diese Frauen! Ich dachte, du wärst über all das hinweg!«
Sie drehte sie sich achtlos zu mir um, und für einen Augenblick trafen sich unsere Blicke.
»Ich wüsste nicht, warum ein Mann mit siebenundzwanzig Jahren darüber hinweg sein sollte! Außerdem sind Pickerings Freunde für mich Fremde. Aber was ist aus dem irischen Mädchen geworden, für das du immer so geschwärmt hast? Soweit ich mich an ihr Foto erinnere, war ihr Markenzeichen eine kurze Oberlippe. Du hast es mir oft vor die Nase gehalten, als wir in Afrika waren.«
»Hm! Als ich nach Dublin zurückgekommen bin, fand ich heraus, dass sie den Sohn eines Brauereibesitzers geheiratet hatte – stell dir das vor!«
»Setze dein Vertrauen nicht in kurze Oberlippen!«, sagte ich. »Ihr Gesicht hatte bei mir nie Vertrauen erweckt.«
»Das reicht, danke«, sagte er. »Ich nehme noch etwas von der Mayonnaise, wenn der Kellner nicht tot ist. Ich glaube, du hast gesagt, dein Großvater sei im Juni gestorben. Ein Brief, der dich davon in Kenntnis gesetzt hatte, erreichte dich im Oktober in Neapel. Ist es dir in den Sinn gekommen, dass es dazwischen eine ziemliche Zeitspanne gegeben hat?«
»Was, wenn ich fragen darf, hat der Testamentsvollstrecker in dieser Zeit gemacht? Du kannst sicher sein, dass er die Gelegenheit dazu genutzt hat, um nach dem glitzernden und glänzenden Gold zu suchen, und ich nehme an, du hast ihn nicht dafür geohrfeigt, dass der die Telegrafendrähte mit seinen Nachforschungen nicht für dich hat glühen lassen.«
Er blickte mich mit jener Verachtung für meine Dummheit an, die ich bei keinem anderen Mann erlebt habe.
»Nein, um die Wahrheit zu sagen, ich habe während des letzten Gesprächs an andere Dinge gedacht.«
»Dein Großvater hätte dir einen Vormund besorgen sollen, Junge. Man sollte dir kein Geld anvertrauen. Ist die Flasche jetzt leer? Nun, wenn die Person mit dem dicken Hals dein Freund Pickering ist, würde ich mir über das, was mir bevorsteht, schon einige Sorgen machen.«
»Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ganz sichergehen wollen, dass Mr. Pickering sich nicht mit dem Zaster des alten Herrn davongemacht hat oder dass es auf dem Weg von ihm zu mir nicht verloren gegangen ist.«
»Die Zeit läuft jetzt, und für mich hat das Jahr begonnen«, sagte ich. »Mein Großvater war ein guter alter Herr, und ich habe ihn wie einen Hund behandelt. Ich werde tun, was er in seinem Testament verfügt, egal was die Belohnung ist.«
»Gewiss, das ist das einzig Richtige für dich. Aber behalte immer einen klaren Kopf. Wenn ein Kerl von diesem Schlag kein Geld finden kann, wo Geld bekanntlich vorhanden ist, muss es ziemlich tief vergraben sein. Dein Großvater war zwar ein wenig exzentrisch, aber keineswegs ein Narr. Die Situation regt meine Fantasie an, Jack. Die Vorstellung gefällt mir, der verlorene Schatz und die ganze Sache. Mein Gott, was für ein Durcheinander! Kopf hoch, Genosse! Du schaust so grimmig aus wie eine Eule!«
Daraufhin sprachen wir über Menschen und Orte, die wir in anderen Ländern kennengelernt hatten, und den nächsten Tag verbrachten wir zusammen. Am Abend, in meinem Hotel, kritisierte er meine Sachen, während ich packte, in seiner üblichen ironischen Art:
»Ich hoffe, du nimmst dieses Zeug nicht mit!« Er deutete auf die Gewehre und mehrere Revolver, die ich aus dem Schrank geholt und auf das Bett geworfen hatte. »Die machen mir Heimweh nach dem Dschungel.«
Er holte das schwere Gewehr, das ich zuletzt auf einer Leopardenjagd benutzt hatte, aus seiner Hülle und prüfte sein Gewicht. »Das wirst du kaum gebrauchen können! Ich bringe es gerne zurück zur 'Auld Sod', um es gegen die bösen Vermieter einzusetzen. Jack, werden wir nie wieder unser Glück gemeinsam versuchen? Wir haben uns gut verstanden, alter Mann, wenn ich so darüber nachdenke – ich möchte dich nicht verlieren.«
Er betrachtete mit unnötiger Sorgfalt die Riemen des Gewehrkoffers, aber in seiner Stimme lag ein Zittern, das nicht zu Larry Donovan passte.
»Komm jetzt einfach mit mir!«, rief ich aus und bedrängte ihn.
»Ich wäre lieber mit dir zusammen als mit irgendeinem anderen lebenden Mann, Jack Glenarm, aber ich kann nicht daran denken. Ich habe meine eigenen Sorgen, und außerdem musst du es dort draußen allein aushalten. Das gehört zu dem Spiel, das der alte Herr für dich inszeniert hat, so wie ich es verstehe. Mach es, hole dir dein Vermögen, und wenn ich in der Zwischenzeit nicht gehängt worden bin, werden wir uns später zusammentun. Es gibt niemanden, der ein besseres Händchen fürs Geldausgeben hat als dein alter Freund L. D.«
Er grinste, und ich lächelte zerknirscht, weil ich wusste, dass wir uns bald wieder trennen mussten. Larry war einer der wenigen Männer, die ich je als Freund bezeichnet hatte, und diese Begegnung hatte meine alte Zuneigung zu ihm nur noch verstärkt.
»Ich nehme an«, fuhr er fort, »dass du das, was dieser Kerl dir über das Anwesen erzählt hat, für bare Münze nimmst. An deiner Stelle wäre ich ein wenig vorsichtiger. Ich treibe mich nun schon seit ein paar Wochen hier herum, weiche den Detektiven aus und lese nebenbei die Zeitungen. Ich sage dir jetzt, dass ich die ganze Geschichte bereits kenne. Vielleicht ist es dir nicht bewusst, dass über das Anwesen von John Marshall Glenarm schon viel geredet wurde.«
»Das wusste ich nicht«, gab ich zögerlich zu. Larry war immer in der Lage gewesen, mich in den meisten Angelegenheiten zu belehren; es war durchaus möglich, dass er auch über mein Erbe etwas Belehrendes sagen konnte.
»Das konnte man auch nicht wissen, wenn man auf einem Dampfer aus der Mittelmeerregion kommt«, sagte er. »Aber das Haus dort draußen und das mysteriöse Verschwinden des Vermögens wurden bereits sehr ausführlich diskutiert. Offensichtlich ist das zu einer Sache des öffentlichen Interesses geworden«, und dabei zog er einen Zeitungsausschnitt aus seiner Tasche.
»Hier ist ein Beispiel von einem Artikel«. Er las vor:
'John Glenarm, der Enkel von John Marshall Glenarm, dem exzentrischen Millionär, der letzten Sommer plötzlich in Vermont verstorben ist, kam gestern auf dem Dampfer 'Maxinkuckee' aus Neapel an. Gemäß dem Testament seines Großvaters ist Glenarm verpflichtet, ein Jahr lang in einem seltsamen Haus zu wohnen, das John Marshall Glenarm in der Nähe des Annandale-Sees in Indiana errichtet hat.'
'Diese Bestimmungen wurden nach Angaben von Freunden der Familie so festgesetzt, um das Durchhaltevermögen des jungen Glenarm zu testen, der seit seinem Abschluss am Massachusetts Institute of Technology vor fünf Jahren ein beträchtliches Vermögen, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, für die Betrachtung der Wunder der Alten Welt ausgegeben hat. Es wird berichtet, dass – '
»Das reicht!«, sagte ich. »Ich habe durchaus Zeichen und Wunder gesehen, und wenn das Geld von mir ausgegeben worden ist, so behaupte ich, dass ich auch etwas für mein Geld zurückbekommen habe.«
Ich bezahlte meine Rechnung und nahm eine Droschke zur Fähre – Larry war bei mir und plapperte mürrisch mit seinem alten Elan vor sich hin.
Er fuhr mit mir hinüber, und als das Boot auf den Fluss hinausfuhr, kam ein Schweigen über uns – ein Schweigen, das nur zwischen alten Freunden möglich ist, und als ich auf die Lichter der Stadt zurückblickte, berührte mich etwas, das über den Kummer und den Abschied von einem Kameraden hinausging. Ein Gefühl der Vorahnung, der kommenden Gefahr, schlich sich in mein Herz. Aber ich ging auf einen recht harmlosen Ausflug; zum ersten Mal in meinem Leben unterwarf ich mich der Führung eines anderen, wenn auch von einem, der im Grab lag.
Wie sehr sah das meinem Großvater ähnlich, dass er starb und mir diesen Zwang auferlegte! Meine Stimmung änderte sich schlagartig, und als das Boot an den genüberliegenden Steg stieß, lachte ich.
»Bah! Diese Männer!«, rief Larry aus.
»Was für Männer?«, fragte ich und übergab meine Taschen einem Träger.
»Diese Männer, die verliebt sind«, sagte er. »Ich kenne die Anzeichen, das Lächeln, das Schweigen, das plötzliche, unerklärliche Lachen! Ich hoffe, ich bin nicht im Gefängnis, wenn du heiratest.«
»Da wirst du lange drin sein, wenn sie dich bis dahin festhalten. Ah, da ist mein Zug«, sagte ich, als wir später am Bahnsteig standen.
In den wenigen Minuten, die uns noch blieben, sprachen wir über alte Zeiten und über künftige Treffen.
»Du kannst mir an meinen Wohnort schreiben«, sagte ich und kritzelte 'Annandale, Wabana County, Indiana' auf eine Karte. »Wenn du mich brauchst, komme ich zu dir, wo immer du bist. Ist das klar, alter Mann? Auf Wiedersehen!«
»Und du, schreib mir über meinen Vater«, entgegnete er. »Er wird meine Adresse haben, obwohl ihn meine letzte Rauferei ziemlich verärgert hat.«