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Endlich Halloween! Doch Sarah versteht die Welt nicht mehr. Sie wollte die Nacht der Nächte mit ihren Freunden an der High-School feiern – stattdessen kurvt sie mit ihrer nervigen Familie an der Küste von Massachusetts entlang. Nahe der Stadt Salem beginnt es in Strömen zu regnen. Das Navigationsgerät fällt aus. Die Straße endet im Nirgendwo. Nach Mitternacht erreichen Sarah und ihre Familie eine Ansiedlung. Als sie vier Galgen auf einer Anhöhe entdecken, halten sie es für einen Halloween-Scherz. Wie altertümlich die Bewohner gekleidet sind und wie seltsam sie sprechen! Die Kulisse scheint perfekt. Als Sarah und ihre Familie begreifen, dass es gar keine Kulisse gibt, ist es bereits zu spät. Der Schrecken nimmt seinen Lauf … Eine packende Horrorstory vor dem Hintergrund der Hexenprozesse von Salem!
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Seitenzahl: 105
Veröffentlichungsjahr: 2018
Nicole Grom
FÜRCHTE DICH!
Das Haus des Hexenmeisters
Für Rick Hapanowicz
Jegliche Ähnlichkeit mit noch lebenden oder untoten Personen ist rein zufällig.
Veröffentlicht im Kiel & Feder Verlag
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
1. Auflage
Erstausgabe August 2018
© 2018 für die Ausgabe Kiel & Feder Verlag, Plochingen
Alle Rechte vorbehalten
Autorin: Nicole Grom
Lektorat/Korrektorat: Anita Herzog
Covergestaltung: Finisia Moschiano
Buchgestaltung: Finisia Moschiano
ISBN: 978-3-946728-21-4
© Die Rechte des Textes liegen beim Autor und Verlag
Kiel & Feder Verlag
Finisia Moschiano
Teckstraße 26
73207 Plochingen
www.kielundfeder.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Sarah reichte es allmählich. Schon seit dem frühen Nachmittag kurvten sie nun die Küste entlang. Wer hätte gedacht, dass man von New York City einen halben Tag brauchen würde, um die paar Meilen hoch nach Massachusetts zu fahren? Warum nur schien heute jedes Auto im Schneckentempo dahinzukriechen?
Ganz eindeutig war ihr Dad an allem schuld. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, ausgerechnet zu Halloween einen ehemaligen Studienkollegen zu besuchen. So einen echten Besserwisser, in der Nähe von Boston, der bestimmt sogar an Halloween lieber über Philosophie schwafelte, als seinen Garten – wie jeder anständige Amerikaner – mit Särgen, Skeletten und Leichenteilen aus Gummi zu schmücken.
Sarah seufzte, als sie daran dachte, was ihr entging. Genau jetzt liefen die Vorbereitungen für die Halloween-Party an ihrer High-School auf Hochtouren. Ihr etwas pervers veranlagter Französischlehrer Mr. Gillies köchelte sicherlich soeben seine berüchtigte gritzegrüne Schleimsuppe, vor der sich alle tierisch ekelten, obwohl jeder wusste, dass sie nur aus Waldmeistersirup und pürierten Marshmallows bestand. Aber konnte man sich da wirklich ganz sicher sein? Ihre Mitschüler staffierten den Partysaal genau jetzt mit meisterhaft geschnitzten Kürbissen und riesigen Stofffledermäusen aus, während die Zombie-Band nochmal alle Popsongs durchprobte, die bei der Übernahme der Welt durch die Mächte des Jenseits erklingen sollten.
Das diesjährige Motto der Feier hatte Sarah ganz besonders gereizt: »Hexentanz«. Alle Schüler mussten sich als Hexe oder Hexer verkleiden und sich auf dem Hexentanzplatz – der an normalen Tagen wie eine gewöhnliche Schulaula aussah – zum wilden, nächtlichen Tanz versammeln, um dort mit ihrem Meister, dem Teufel höchstpersönlich, zusammenzutreffen.
Sarah wollte sich einen Besen aus Reisig binden, ihm einen Motorradsitz und eine Fahrradklingel aufschrauben und aus den Stoffresten ihrer Mutter ein Flickenkleid schneidern. Sie hatte schon eine hexisch gruselige Maske aus Gips gebastelt, denn Masken waren in der Kleiderordnung für den Ball vorgeschrieben. Niemand sollte schließlich allzu schnell herausfinden, wer hinter welcher Verkleidung steckte. Das erhöhte die Spannung.
Am spannendsten fand Sarah aber dieses Detail: Natürlich konnte es unzählige Hexen geben, aber nur einen einzigen Teufel. Diese Rolle wurde ausgelost. Keiner der Schüler wusste, wer sich unter der Maske des absolut Bösen verbarg, die äußerlich unscheinbar und harmlos wirken konnte. Der Teufel musste selbstverständlich schweigsam sein; er durfte sich nicht verraten. Eine geniale Idee! Sarah schauderte. Ob sie selbst wohl den Teufel dazu gebracht hätte, mit ihr zu sprechen? Ob ihre Mitschüler ihn sofort erkannten, wenn er in ihre Mitte trat?
»Vielleicht mischt sich der Teufel ja wirklich unter uns. Der echte, meine ich. Man munkelt, dass er absolut unauffällig an die Menschen herantritt, manchmal sogar mit engelsgleicher Gestalt«, hatte Sarahs beste Freundin Cathy mit tiefer, mysteriöser Stimme gewitzelt und dabei eine Fratze geschnitten. Obwohl Sarah wusste, dass Cathy nur wieder einen ihrer dummen Scherze gemacht hatte, war ihr eine Gänsehaut über den Rücken gekrochen. Doch auch jetzt, als Sarah aus dem Autofenster in den dunkler werdenden Abendhimmel sah, spürte sie beim bloßen Gedanken daran ein Kribbeln auf ihren Armen.
Sie, der größte Halloween-Fan aller Zeiten, würde nun den Grusel-Höhepunkt ihres Lebens verpassen. Daran bestand für Sarah kein Zweifel. Ihr Leben war in ordentlichen Bahnen verlaufen, bis ihr Dad eines Nachmittags vor drei Wochen seinen genialen Plan verkündet hatte. Sarah war gerade dabei, sich Farben für ihre bereits fertige Hexenmaske auszusuchen und die durchsichtigen Ärmel ihres Kostüms zu nähen. »Hey, das wär‹ doch cool, endlich mal wieder einen Ausflug zu machen!«, platzte er heraus. »Wir alle zusammen! Das Halloween-Wochenende eignet sich perfekt dafür. Mein Freund Rick freut sich auch riesig darauf, euch alle mal kennenzulernen. Ich schlage vor, dass ich am Freitag schon sehr früh von der Arbeit heimkomme, sodass wir am späten Abend bei Rick eintreffen. Natürlich rechtzeitig vor Mitternacht, bevor die Toten aus ihren Gräbern steigen.« Ihr Dad hatte wie verrückt gezwinkert und sich königlich über seinen Spruch amüsiert. Zum Fremdschämen! Sarah seufzte wieder. Echt schlimm, wenn man so einen peinlichen Vater sein Eigen nennen muss.
Allerdings bezweifelte Sarah allmählich, dass sie die Fahrt zu diesem Nest in der Nähe von Boston wirklich vor Mitternacht schaffen würden. Die Chancen standen nicht sehr gut, zumal es nun auch noch zu tröpfeln begann. Die Wolken, die soeben nur mit Regen gedroht hatten, setzten ihre Drohung nun in die Tat um. Plötzlich war auch das letzte Sonnenlicht verschwunden. Der Regen wurde stärker und vermischte sich mit der Finsternis zu einem nervtötenden Flimmern. Die Autos vor und hinter ihnen wirkten wie große, hilflose Insekten, die Angst hatten, den rechten Weg zu verlieren. Ihre Scheinwerfer glommen wie schwache Fackeln, die die Straße vorsichtig abzutasten schienen.
Was für ein gemütlicher Familienausflug! Wie heimelig, bei Dunkelheit und strömendem Regen zu viert auf engstem Raum in einem rostigen Subaru Baujahr 1979 zu hocken und sich anzuschweigen, dachte Sarah giftig. ›Familie‹! Wenn sie dieses Wort schon hörte!
Ihr Dad war in nächster Zeit ohnehin für sie gestorben. Geschah ihm ganz recht, dass sie nun auf dem Highway nicht vom Fleck kamen. Sarah konnte ihm deutlich anmerken, dass seine Ungeduld stieg. Entnervt trommelte er mit den Fingern aufs Lenkrad und strich sich fahrig durch das schulterlange, schwarze Haar, das schon einige graue Strähnen aufwies. Außerdem begann er zu summen. Das tat er immer kurz bevor ihm der Kragen endgültig platzte. Das Summen war nämlich die Vorstufe eines ohrenbetäubenden Fluches, der sich sicher innerhalb der nächsten Minuten entladen würde. Zwar schärfte er seinen Kindern immer ein, dass man nicht fluchen dürfe, aber er selbst schien es mit solchen Regeln nicht so genau zu nehmen. Er war ja, wie er oft betonte, dem stärksten Stress innerhalb der Familie ausgesetzt. Deshalb dürfe er, verdammt noch mal, auch fluchen.
Ihre Mom hatte sich nicht viel besser betragen. Auch sie würde Sarah von nun an mit Verachtung strafen, da sie sich kein bisschen gegen Dads Machenschaften gewehrt hatte. Stattdessen hatte sie mit größter Begeisterung auf die Halloween-Feierlichkeiten daheim verzichtet. Mom hasste es, Süßigkeiten für ›Trick or Treat‹ vorzubereiten. Sie meinte nämlich, dass in den letzten Jahren die ›Bettelhorden‹, wie sie die umherziehenden Kinder nannte, überhandgenommen hatten und viel zu frech ganze Berge von Süßigkeiten forderten. Sie hasste es, auf der Veranda ein Spinnennetz aus Wolle zu spannen, in dem eine orangefarbene Riesenspinne namens ›Biest‹ hocken und Passanten erschrecken würde. Und sie hasste es, mit Tomatensaft bespritzte Bettlaken, die wie blutgetränkte Leichentücher aussahen, in die Büsche des Vorgartens zu hängen.
Mom nannte diese Vorbereitungen auf das wichtigste Fest des Jahres ›Kindereien‹ und ›Unsinn‹. Puh! Sie hatte doch keine Ahnung! Zu schön, wie sie so selig auf dem Sitz schlummert, dachte Sarah. Die Spitzen ihres langen feuerroten Haares guckten in allen Richtungen über die Kopfstütze und schienen zu sagen: Egal, was du tust – Mom beobachtet dich! Allerdings schien diese Gefahr heute dadurch gebannt, dass sie schnarchte wie ein Murmeltier. Und Dad damit sicher gerade den allerletzten Nerv raubte. Sarah bekam plötzlich unbändige Lust, ihre Mutter so zu erschrecken, dass Dad das Steuer herumreißen müsste, um auf den Seitenstreifen auszuweichen, wo der Schrott-Subaru dann ein Straßenschild rammen würde, woraufhin der Abschleppdienst käme, der sie aufgabeln und nach New York zurückbringen würde, sodass Sarah in ihr nahezu fertiges Kostüm schlüpfen, die Hexenmaske übers Gesicht ziehen und den Höhepunkt ihrer Halloween-Party noch miterleben könnte …
Ein markerschütterndes Gebrüll riss Sarah aus ihren rosigen Träumen. »Gottverdammter Mist! Ich habe die Schnauze endgültig voll! Da ist doch der Teufel im Spiel!«, schrie Dad wie ein Wahnsinniger und drückte wild auf die Hupe. Moms Schnarcherei war schlagartig verstummt. Die spionierenden Haarspitzen zogen sich von der Kopfstütze zurück. Kerzengerade saß sie jetzt auf ihrem Sitz und keuchte: »Um Gottes willen! Was ist passiert?«
Etwa zeitgleich erkannte Sarah aus den Augenwinkeln eine Bewegung links von sich auf der Rückbank. Nein, konnte es etwa sein, dass ihr kleiner Bruder Rob wirklich lebte? Hatte dieses nahezu unbekannte Wesen tatsächlich kurz den Kopf von den Ballerspielen auf seinem Smartphone erhoben? War er etwa gar kein Zombie, sondern nur ein Smombie? Zeigte Rob sogar menschliche Regungen? Ließ er sich zumindest von gebrüllten Flüchen so erschrecken, dass er sich kurz bewegte? Nein, was für eine Entdeckung! Sarah amüsierte sich köstlich. Endlich kam Leben in diese alte Karre.
Als Mom erkannte, dass rein gar nichts passiert war, begann sie mit dieser seltsamen Mischung aus Verständnis und Tadel auf Dad einzureden, wie es bloß Mütter draufhaben. »Schatz, was soll denn das? Natürlich ist es sehr ärgerlich, dass wir nicht vorankommen. Aber für den Regen und den dichten Verkehr kann doch niemand was.« Beschwichtigend legte sie eine Hand auf sein rechtes Knie. Und fügte etwas leiser hinzu: »Ich weiß ja, du bist überarbeitet. Aber fluche doch bitte nicht vor den Kindern …«
Aufgebracht schüttelte Dad Moms Hand ab und trommelte wie ein trotziges Kind mit den Handflächen aufs Lenkrad. »Ich fluche, wann es mir passt! Zum Teufel mit deinen Verboten! Zum Teufel mit dir! Zum Teufel mit den Kindern!«
Sarah saß reglos da. Ihrer Mom hatte es die Sprache verschlagen. Sie konnte nicht einmal vor Entsetzen den Kopf schütteln, wie sie es sonst so gerne tat. Selbst Smombie-Rob war endgültig in die Welt der Lebenden zurückgekehrt und starrte mit offenem Mund nach vorn. So hatte Dad noch nie getobt. Was war bloß in ihn gefahren?
»Nun lass doch bitte den Teufel aus dem Spiel«, flüsterte Mom, die langsam wieder zu sich kam.
Kaum hatte sie dies ausgesprochen, fiel das Licht an der Armatur komplett aus. Wie ein schwarzes Loch gähnte Dad das Display entgegen. Hatte er zu stark auf das Lenkrad eingeschlagen und so den Kollaps der Elektronik herbeigeführt?
»Sind doch bloß ein kaputter Tacho und ein Drehzahlmesser, den sowieso keiner braucht«, murmelte es neben Sarah. Rob konnte ja sogar sprechen! Nachdem er diese irre spannende Nachricht abgesetzt hatte, fiel er wieder in seine Tiefkühlstarre, bei der sich nur noch der Daumen der rechten Hand über das Smartphone bewegte.
›Wozu braucht man eigentlich eine Halloween-Party, wenn man doch jeden Tag von so einer Monsterfamilie umgeben ist?‹, dachte Sarah bissig. Sie betrachtete die Armee von Regentropfen, die die Fensterscheiben wie wilde Krieger bestürmten.
Vor Mitternacht würden sie ihr Ziel ganz sicher nicht mehr erreichen.
Im Auto herrschte eisige Stille. Mom hatte die Arme verschränkt und schmollte, Dad hatte sich erst einmal abreagiert und strafte seine Umwelt mit Schweigen. Rob befand sich wie üblich in irgendeiner Zwischenwelt, in der Kommunikation ohnehin nicht existierte.
Sarah begann aus Langeweile, sich in die Formen zu vertiefen, die die Regentropfen auf der Scheibe vor ihr bildeten. Die Tropfen klopften so energisch gegen das Auto, als begehrten sie Einlass. Bald bemerkte Sarah, dass jedes Wasserteilchen sein Eigenleben besaß. Wie ein winziges Auge, das einen anstarrte, kurz zwinkerte und sich dann mit anderen Tropfen zu seltsamen Gesichtern vereinte. Diese Fratzen nahmen nach Sekundenbruchteilen wieder neue Gestalt an. Schmale Sehschlitze vergrößerten sich blitzschnell zu riesigen Augenhöhlen. Zusammengepresste Lippen flossen zu ausgerenkten Kiefern auseinander, die nach einer unsichtbaren Beute zu schnappen schienen.
Plötzlich stand eine Fratze vor Sarahs Gesicht, die sie mit abgrundtiefem Hass anstarrte. Es war, als ob ein Wesen hinter den Tropfen lauerte und ihnen Leben einhauchte. Böses Leben. Seltsam, dass die Erscheinung nicht zerlief wie die anderen Wasserbilder! Moment mal … trug dieses entstellte Antlitz nicht die Züge der Maske, die sie für ihre Halloween-Party gebastelt hatte? Sarah schauderte und versuchte wegzusehen, aber die Fratze zog ihre Blicke magisch an. Schau mich an, schien sie zu flüstern, schau, ich bin dein Werk.
Sarah musste an den elternfreien Nachmittag zurückdenken, an dem sie die Gipsmaske zusammen mit Cathy hergestellt hatte. Gleich nach der Schule hatten sie und ihre beste Freundin die Küche in Beschlag genommen, Popcorn zubereitet, Tee gekocht und dann mit den Vorbereitungen für die Halloween-Party begonnen. Damals wusste Sarah ja noch nicht, dass alle ihre Aktivitäten umsonst sein würden, weil ein verbohrter Teenager-Dad seinen Willen durchsetzen musste.