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»Coco!« Die Stimme kam aus der Kugel. »Wo zum Teufel steckst du?«
Ich war erleichtert, Oirbsen auf Anhieb erreicht zu haben. In wenigen Worten berichtete ich ihm, wo ich mich befand und was in den letzten Tagen geschehen war.
Er hörte aufmerksam zu, dann sagte er: »Kannst du morgen Abend in der Stadt Carmarthen sein? Sagen wir um acht Uhr?« Er nannte mir die Adresse eines Gasthauses, in dessen Schankstube er mich erwarten wollte.
»Ich werde kommen. Hast du etwas von Merlin gehört?«
Oirbsens Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an. »Wir haben viel Zeit verloren. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät ...«
Coco folgt ein letztes Mal Oirbsens Ruf - und droht endgültig an ihrer großen Aufgabe zu scheitern, denn das siebte Siegel, das Ereignisse aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpft, liegt an einem finsteren Ort jenseits unserer Realität verborgen!
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Seitenzahl: 105
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Was bisher geschah
DAS LETZTE SIEGEL
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrunde liegt. Die Zamis sind Teil der sogenannten Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben und nur im Schutz der Dunkelheit und ausschließlich, wenn sie unter sich sind, ihren finsteren Gelüsten frönen.
Der Hexer Michael Zamis wanderte einst aus Russland nach Wien ein. Die Ehe mit Thekla Zamis, einer Tochter des Teufels, ist standesgemäß, auch wenn es um Theklas magische Fähigkeiten eher schlecht bestellt ist. Umso talentierter gerieten die Kinder, allen voran der älteste Bruder Georg und – Coco, die außerhalb der Sippe allerdings eher als unscheinbares Nesthäkchen wahrgenommen wird. Zudem kann sie dem Treiben und den »Werten«, für die ihre Sippe steht, wenig abgewinnen und fühlt sich stattdessen zu den Menschen hingezogen.
Während ihrer Hexenausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels lernt Coco ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Als ihr schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie nur noch die Hexenweihe fehlt, meldet sich zum Sabbat auch Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, an und erhebt Anspruch auf die erste Nacht mit Coco. Als sie sich weigert, wird Rupert Schwinger in den »Hüter des Hauses« verwandelt, ein untotes Geschöpf mit einem von Würmern zerfressenen Gesicht, das fortan ohne Erinnerung an sein früheres Leben über Coco wachen soll.
Cocos Verfehlung hat Konsequenzen. Die Stellung der Zamis in Wien wird angefochten. Nur Coco ist es zu verdanken, dass sie über ihre Herausforderer aus der Sippe der Winkler-Forcas triumphieren. Auch Asmodi hat die Schmach, die Coco ihm zugefügt hat, nicht vergessen. Jedoch verzichtet er scheinbar großzügig auf weitere Maßnahmen, als es Coco gelingt, einen seiner Herausforderer zu vernichten – durch die Beschwörung des uralten Magiers Merlin, der sich auf Cocos Seite stellt.
Der Hilferuf ihres Bruders Georg führt Coco bald darauf in die Burg des Dämons Gorshat – und in eine Falle, die Asmodi und der dämonische Archivar Zakum ihr stellen. Coco dreht den Spieß um und entwendet den Signatstern aus Zakums Archiv – das erste von sieben Siegeln, die sie benötigt, um den Magier Merlin aus seinem Gefängnis im centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde, zu befreien. Auf mehreren Reisen in die Vergangenheit erbeutet sie auch die nächsten drei Siegel, einen Armreif, einen Ring und das magische Vlies, bis sie im mittelalterlichen Mettlingen mit dem orphischen Ei und dem Aton-Stern schließlich das fünfte und sechste Siegel in ihren Besitz bringt. Nun fehlt nur noch das siebte und letzte Siegel, bevor sie die Reise in centro terrae antreten kann ...
DAS LETZTE SIEGEL
von Ralf Schuder
Hospitale di Capuano, Catania, Sizilien
Es war ein seltsamer Ort für ein Rendezvous: In die Wände der großen, nach Desinfektionsmitteln riechenden Totenhalle waren vierzig Kühlfächer eingelassen. In jedem davon lag ein Leichnam.
Massimo Franco hatte den Obduktionstisch, durch dessen Abguss noch vor wenigen Stunden das kalte, träge Blut eines Verstorbenen gesickert war, mit Stoffbahnen abgedeckt und darauf zwei Gedecke und das Essen bereitgestellt: Kaviar, Baguette, Champagner; dazu zwei Gläser, eine schlanke Kerze und eine langstielige, lilafarbene Orchidee.
Gar nicht mal so übel, dachte er. Doch Lydia war es ihm wert. Eine bildhübsche junge Frau, deren feingeschnittenes Gesicht von langen, hellblonden Haaren umrahmt wurde. Massimos Hände begannen vor Erregung leicht zu zittern, als er an ihre sinnlichen Lippen und an ihre verführerischen Augen dachte. Sie war seit fünfzehn Minuten überfällig – aber das beunruhigte ihn nicht ...
Massimo Franco hielt es für das gute Recht einer so schönen Frau, zu spät zu einer Verabredung zu erscheinen.
Er war ein spindeldürrer Mittvierziger, der unpassenderweise einen Bauch mit sich herumtrug, der weit über die Gürtellinie hing. Eine krankhafte Schwäche des Bindegewebes, wie ihm die Ärzte diagnostiziert hatten. Überhaupt war er ein schlaffer, kraftloser Mensch, der jede sportliche Betätigung mied, der jeder Anstrengung aus dem Weg ging. Der Job als Nachtwächter war ihm auf den Leib geschrieben. Die Schicht begann um zehn Uhr abends und endete um sieben Uhr morgens. Die Zeit dazwischen verbrachte er in seinem Bürokabuff vor einem Fernseher.
Die Pathologie lag einhundert Meter vom Hauptgebäude des Hospitale di Capuano entfernt, und Massimo wurde nur zwei, drei Mal pro Nacht gestört, wenn ein Leichnam herübergebracht wurde.
Nach Dienstschluss ging er regelmäßig in ein nahes Bistro, in dem ein recht ordentliches Frühstück angeboten wurde. Dort hatte er auch Lydia kennengelernt. Sie war Feuer und Flamme gewesen, als sie erfuhr, dass er in der Pathologie beschäftigt war. Sie machte ihm schöne Augen und gab ihm zu verstehen, dass sie zu mehr als einer Unterhaltung bereit wäre ... wenn er sie in die Leichenhalle einladen würde. Massimo war Junggeselle, und er wäre ein Narr gewesen, wenn er nicht zugestimmt hätte.
Mit einem Ruck brachte ihn die Türklingel in die Gegenwart zurück. Er ging ins Büro und sah auf den Monitor, der den Bereich vor dem Haupteingang zeigte. Dort stand sie – Lydia! Sie trug eine modische Bluse und einen kurzen Rock, beides brachte ihre Figur hervorragend zur Geltung.
Ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, beugte er sich nach vorn. Auf dem unpersönlichen Metallschreibtisch befand sich eine Schaltkonsole – er drückte den Türöffner, ohne hinzusehen.
Dann lief er in die Halle und öffnete die Tür zum Korridor.
Sekunden später stand Lydia vor ihm.
»Hallo!«
Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und trat ein. Langsam fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Noch immer konnte er nicht glauben, dass sie wirklich gekommen war. Sie wirkte noch hübscher als an dem Tag, an dem er sie kennengelernt hatte. Er geleitete sie zum Obduktionstisch und zog einen der Stühle zurecht, so dass sie sich setzen konnte. Dann öffnete er die Champagnerflasche und füllte die Gläser. Er bot Lydia eine Zigarette an, die sie dankend annahm. Während er ihr Feuer gab, blickte sie ihm tief in die Augen.
»Es ist nicht jedermanns Sache, Nacht für Nacht allein zu sein, so nah bei den Toten. Wie hältst du das nur aus?«
»Das ist eine Frage der Nerven.« Massimo setzte sich mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck. Er gefiel sich in der Pose des furchtlosen Mannes. »Ich könnte dir Geschichten erzählen, die du mir niemals glauben würdest.«
Sie lächelte ihn kokett an. »Hast du mich nur eingeladen, um mir Geschichten zu erzählen?«
Massimo spürte, wie er errötete ... Er war es nicht gewohnt, dass eine Frau so mit ihm sprach.
Sie nahm ihr Glas. »Auf uns ... und auf die Toten!«
Seine Miene verriet Verwunderung. Dennoch hob er sein Glas, um in den Toast einzustimmen. Für einen Augenblick glaubte er, Lydias Augen hätten sich unabhängig voneinander bewegt. Doch das konnte nicht sein – er musste sich geirrt haben.
Seine Verblüffung wuchs, als sie ihm eine sonderbare Frage stellte: »All diese Leichen ... glaubst du, dass ihnen irgendeine Form von Leben innewohnt? Dass sie womöglich alles registrieren, was um sie herum geschieht? Dass sie sich ihrer grausigen Lage bewusst sind, unfähig, sich uns mitzuteilen?«
»Meinst du, dass es so ist?«, hörte er sich sagen.
»Mein Glas ist leer.« Sie lehnte sich zurück. Erst nachdem er ihr von dem Champagner nachgefüllt hatte, sprach sie weiter. »Es ist durchaus möglich, einen Toten ins Leben zurückzuholen. Doch er ist dann nicht mehr die Person, die er vorher war. Untote sind unglückliche Geschöpfe – erfüllt von Hass ... und einer regelrechten Mordgier.«
»Untote?«, stotterte Massimo. Er sah seine Chancen auf ein Liebesabenteuer rapide schwinden. Wollte Lydia ihn verspotten oder war es ihr Ernst mit diesem Unsinn? Nervös drückte er seine Zigarette im Aschenbecher aus. »Wollen wir uns nicht über etwas anderes unterhalten ... über uns?«
Sie antwortete nicht, sondern sah ihm tief in die Augen. Massimo spürte, wie ihm die Sinne schwanden. Er fühlte sich unendlich müde, und schließlich konnte er seine Augen nicht mehr offen halten. Schlaff fiel er nach vorn, sein Gesicht knallte auf den Tisch. Eines der Gläser stürzte um, rollte von der Tischkante und zersplitterte auf dem Boden. Dann war es still. Massimo verharrte regungslos in seiner Position.
Lydia warf ihm einen verächtlichen Blick zu, sie schnippte ihre Zigarette fort und erhob sich.
Rechts befand sich der Durchgang zum Büroraum. Sie trat vor die Überwachungsmonitore. Der erste Bildschirm zeigte den Bereich vor dem Haupteingang – niemand war zu sehen, alles schien vollkommen ruhig zu sein. Der zweite Monitor zeigte den Parkplatz. Ein Lieferwagen schoss heran, sein Scheinwerferlicht brach sich im Objektiv der Kamera, dann stoppte er mit quietschenden Reifen. Die Wagentüren schwangen auf und zwei Männer stiegen aus.
Nach kurzem Suchen fand Lydia den Knopf, mit dem der Gebäudezugang entriegelt wurde. Sie verließ das Büro, ging an Massimo vorbei und öffnete die Tür zur Leichenhalle. Das Geräusch herannahender Schritte war zu hören, und wenige Augenblicke später standen ihr Bruder Adalmar und ihr Onkel Ingvar vor ihr.
Adalmar war ein stets düster dreinblickender Mann. Er trug einen Vollbart, was sein tückisches Aussehen noch verstärkte. Wortlos schob er sich an seiner Schwester vorbei.
Ingvar hatte einen dunklen Teint, sein Haar war lang und schlohweiß.
»Hat der Nachtwächter Schwierigkeiten gemacht?«, fragte er.
Lydia verneinte. »Ich habe den Trottel hypnotisiert. Er wird uns nicht stören.«
Ingvar nickte ihr anerkennend zu und trat in die Halle. Vor dem gedeckten Tisch blieb er stehen.«Champagner? Kaviar? Der Kerl hat sich ja ganz schön ins Zeug gelegt.«
Er nahm die Flasche in die Hände und betrachtete das Etikett.
»Wir sind nicht zum Vergnügen hier«, sagte Adalmar, der sich suchend umblickte.
Ingvar gab ein unwilliges Grunzen von sich, stellte die Flasche aber zurück. Er folgte Adalmar und Lydia ins Büro.
Lydia stand vor einem Schrank, der ihr bis zu den Schultern reichte. Sie zog die oberste Lade auf und holte einen Schwung Karteikarten hervor.
»Volltreffer«, lächelte sie. »Die Einlieferungen der letzen Tage!«
Adalmar nahm ihr einen Teil der Karten aus der Hand. Bald fand er etwas, das ihn zu interessieren schien.
»In Fach Nummer dreizehn liegt eine Frau, die vergiftet wurde – man hat ihr mehrere Kubikzentimeter Autobenzin injiziert.«
»Das hier ist ebenfalls interessant«, sagte Lydia. »Dieser Mann wurde erdrosselt. Fach acht.«
Adalmar sah Ingvar mit gehobenen Augenbrauen an. »Worauf wartest du? Schaff die Toten ins Auto!«
Ingvar passte es nicht, von dem Jüngeren herumkommandiert zu werden. Adalmar benahm sich, als sei er der Patriarch der Sippe und nicht Michael Zamis. Widerwillig ging er in die Leichenhalle hinüber und öffnete die Lade, die mit der Zahl Dreizehn beschriftet war. Die Tote, die er zu sehen bekam, war eine spindeldürre, mit aschgrauer Haut überzogene Mumie. Alle Haare waren ihr ausgefallen. Er packte den Leichnam, der leicht wie eine Strohpuppe war, und warf ihn sich über die Schulter. Der Mann in Fach acht war das genaue Gegenteil. Seine Haut wirkte rosig, fast lebendig. Er war unglaublich fett, und selbst Ingvar mit seinen dämonischen Kräften hatte Schwierigkeiten, ihn davonzutragen.
Keuchend brachte er die Toten zum Lieferwagen.
Lydia und Adalmar holten indes weitere Karteikarten hervor.
»Du hattest recht, Schwesterherz – diese Leichenhalle ist eine wahre Fundgrube«, sagte Adalmar zufrieden.
»Wir sind in Sizilien«, erwiderte sie grinsend.
Die beiden wählten noch sechs weitere Männer und Frauen aus, die auf unterschiedlichste Weise ums Leben gekommen waren. Ingvar brachte auch diese Toten zum Lieferwagen.
»Was soll mit dem Nachtwächter geschehen?«, fragte Lydia.
»Er kommt mit uns«, erwiderte Adalmar.
»Steh auf, Massimo!«
Ruckartig erhob sich der Nachtwächter. Seine Augen waren glanzlos und blickten ins Leere – er stand unter Lydias hypnotischem Befehl. Mit roboterhaften Schritten stakste er ihr und Adalmar hinterher. Auf dem Parkplatz wies sie ihn an, auf die Ladefläche des Lieferwagens zu steigen. Widerspruchslos hockte er sich neben die Toten, die Ingvar achtlos über- und nebeneinander geworfen hatte.
Lydia schlug die Tür hinter ihm zu, dann ging sie nach vorn und stieg zu Ingvar und Adalmar in die Kabine. Nur wenige Autos standen auf dem Parkplatz ... keiner der Mitarbeiter des nahen Krankenhauses schien das seltsame Treiben bemerkt zu haben. Mit quietschenden Reifen raste der Lieferwagen davon.
Die Dämonen der Erde hatten sich bereits vor Jahrhunderten zur Schwarzen Familie zusammengeschlossen. Ihr erklärtes Ziel war es, die Menschheit zu unterjochen und zu versklaven. Doch über die Jahre degenerierten die Schwarzblütigen – sie führten ein Schattendasein, stets darauf bedacht, unerkannt zu bleiben. Nur im Verborgenen gingen sie ihren grausamen Neigungen nach.