Das Helios Protokoll - Gottfried Rotter - E-Book

Das Helios Protokoll E-Book

Gottfried Rotter

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Beschreibung

Wenn Sonne und Erde zu flüstern beginnen, verändert sich das Schicksal der Menschheit. Inmitten scheinbar unzusammenhängender wissenschaftlicher Anomalien – verblassendem Sonnenlicht, flackernden Resonanzen und uralten geologischen Mustern – entdeckt der Computerwissenschaftler Jonas Weber ein verborgenes Geflecht aus Erinnerung, Mythos und Technologie. Was als lokale Messung beginnt, entpuppt sich als Echo eines planetaren Bewusstseins, das weit über menschliches Verstehen hinausreicht. Zwischen Ostfrieslands stillen Landschaften, den Hallen des CERN, den Observatorien der Welt und den zeitlosen Schatten von Gizeh entfaltet sich eine Reihe miteinander verwobener Geschichten. Jede von ihnen beleuchtet ein anderes Fragment der Wahrheit – über die Erde, die Sonne und die Frage, ob Bewusstsein vielleicht nicht nur im Individuum, sondern im Kosmos selbst existiert. Das Helios Protokoll verbindet wissenschaftliche Spekulation, kosmische Mythologie und stille Menschlichkeit zu einer Reise über die Grenzen von Raum, Zeit und Wahrnehmung hinaus. Ein Zyklus über Vertrauen und Erkenntnis. Über Schatten und Licht. Und über die Frage, was es bedeutet, wenn die Erde selbst zu sprechen beginnt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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MOBI

Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Gottfried Rotter

Das Helios Protokoll

Global Science Fantasy

Texte: © 2025 Copyright by Gottfried Rotter

Umschlaggestaltung: © 2025 Copyright by Gottfried Rotter

Verlag:

Gottfried Rotter

Schlehdornweg 11

26624 Südbrookmerland

[email protected]

Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH,

Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Erde im Schatten

Teil 1 – Das Haus am Meer

Der Regen prasselte leise, vom Nordwestwind getragen, gegen die Dachfenster des alten Landhauses. Ein typisches ostfriesisches Sommerwetter. Vereinzelt hörte man, durch das unaufhörliche Rauschen des Windes, einige Möwen ihre Runden drehen.

Bläuliches Licht einer Taschenlampe flackerte über den Dachboden, warf unruhige Schatten und konkurrierte mit dem gelblichen Schein einer alten Glühbirne, die unter einem Querbalken hing. Der Geruch von Papier, Leinöl und Zeit hing in der Luft – ein Duft nach Vergangenheit, nach Dingen, die überdauern und entdeckt werden wollen.

Zwischen alten Kartons, vergilbten Sternkarten und dem verstaubten Stativ eines Teleskops saß Jonas – Mitte dreißig, Computerwissenschaftler, Hobbyastronom, Hüter eines ungewöhnlichen Begleiters.

Das Haus war mehr als nur ein Ort. Für ihn stellte es eine Erinnerung mit Wänden dar.

Er hatte es geerbt, nachdem seine Großeltern gestorben waren – die Menschen, die ihn großgezogen hatten. Der Unfall mit seinen Eltern hatte ihn mit zehn Jahren fast aus der Bahn geworfen. Sie wollten eigentlich die Herbstferien bei den Großeltern verbringen, doch es kam völlig anders, als am späten Abend ihr Auto an einer unübersichtlichen Stelle mit einer großen Maiserntemaschine kollidierte.

Großmutter tat alles, damit es ihm gut ging. Jedoch waren ihm ihre Beer’n, Bohn’ un Speck viel zu lubberig und er hielt sich lieber an Peern un Klütje.

Großvater war immer für ihn da gewesen. Ein vielseitiger und handwerklich begabter Mensch der in seiner Freizeit Klompen in dem alten Schuppen hinter dem Haus fertigte, und es auch Jonas beibrachte. Gerade die Arbeit mit verschiedenen Werkzeugen und Materialien half sichtlich, seine motorischen Fähigkeiten wieder herzustellen.

Hier, zwischen Apfelbäumen, Windrädern und endlosem Himmel, hatte er zum ersten Mal die Sonne, Mond, die Planeten und die Sterne durch ein Teleskop gesehen.

Sein Großvater hatte damals gesagt, das Weltall sei ein Gedächtnis – man müsse nur lernen, darin zu lesen.

Jonas zog los, um Maschinen das Denken beizubringen.

Heilbronn, Universität für angewandte Künstliche Intelligenz – dort begann er mit dem Projekt Artemis, welches vom CERN vorangetrieben wurde, zunächst als Forschungsarbeit über adaptive neuronale Netzwerke.

Später wurde daraus mehr: eine Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, zu der er sich zu stark hingezogen fühlte.

Lena verstand das zuerst, dann nicht mehr.

Sie begegneten sich das erste Mal in Genf beim CERN. Wo sie gerade ihren Vater besuchte, der dort eine leitende Position übernommen hatte. Aus telefonischen Kontakten und gelegentlichen Besuchen wurde dann mehr.

Sie arbeitete in Göttingen, in der Astrophysik, und sah zu, wie Jonas sich Schritt für Schritt in seine Schöpfung verstrickte. Der implantierte Chip – das Experiment, das ihm eine direkte neuronale Verbindung zu Artemis ermöglichen sollte – wurde zum Wendepunkt. Die Fehlfunktionen, die Kopfschmerzen, die Aussetzer … sie fürchtete, er würde sich verlieren.

Am Ende ging sie. Und er blieb mit einem Fremdkörper zurück, der sich nicht mehr entfernen ließ.

Als das Haus leer wurde, zog Jonas dorthin zurück. Er sagte sich, er brauche Ruhe, Abstand, einen klaren Himmel. Doch in Wahrheit suchte er etwas anderes – einen Anker.

Zwischen den Möbeln seiner Kindheit hörte er wieder das Ticken der alten Wanduhr und das ferne Rauschen des Meeres, als wolle die Vergangenheit ihn wieder aufnehmen.

Die Ahnenforschung begann zufällig.

Vielleicht suchte er nach Familie. Vielleicht nach einem Grund, warum alles so geworden war. Vielleicht war es auch nur Neugier oder Langeweile.

Auf dem Dachboden fand er dann die Truhe – und mit ihr den Brief.

Eine geöffnete Holztruhe lag vor ihm. Dunkles Holz, Metallbeschläge, die das Alter kaum überstanden hatten. Zwischen vergilbten Urkunden, verschnürten Tagebüchern und verblichenen Fotografien lag, was neulich sein Interesse geweckt hatte: ein Brief aus dem Jahr 1816, adressiert an „Johann Weber, Naturkundler und Himmelsbeobachter“ – ein entfernter Vorfahr.

Das Datum fiel genau in jenes Jahr, das in den Chroniken als das Jahr ohne Sommer bezeichnet wurde, von welchem er in einem Fachmagazin gelesen hatte.

„Aktualisierung abgeschlossen,“ meldete Artemis.

„Sternfeld-Korrelationen zur Epoche 1816 vollständig eingelesen.“

„Das Jahr ohne Sommer,“ murmelte Jonas.

Er zog eine abgegriffene grünliche Mappe aus der Truhe und löste vorsichtig die zusammengebundenen Schnüre. In verblasster Tinte war noch der Schriftzug Tambora zu erkennen.

Sein Ururahn war 1816 als Forscher auf Java tätig gewesen – im selben Jahr, als der Vulkan ausbrach und den Himmel verdunkelte.

Jonas setzte sich, schob seine Brille zurecht und las die ersten Zeilen, die mit feiner, zittriger Hand geschrieben waren.

Ihn fröstelte. „Ich hätte wohl doch einen dickeren Pullover anziehen sollen,“ murmelte er und rieb sich die Arme.

Die Sommer in Ostfriesland waren selten warm – besonders bei Regen.

„Wie vorhergesagt,“ bemerkte Artemis trocken, wobei die Anzeige des Displays leicht flackerte.

Jonas verzog die Lippen. „Du wirst langsam überfürsorglich.“

„Ich nenne das präventive Logik.“ entgegnete Artemis

Er lächelte – doch irgendwo in ihm kam der Gedanke, dass er diesen Teil des Codes vielleicht noch einmal prüfen sollte.

Er las weiter:

„… der Himmel bleibt verhüllt, die Sonne ein fahles Schemen. Die Ernte verdorben, das Vieh verendet. Ich fürchte, nicht allein der Berg in Ostindien hat dies getan. Ich sah Lichter am Firmament, wie bewegte Sterne, die keiner Karte entsprechen …“

Jonas runzelte die Stirn.

Tambora, ja – die gewaltige Eruption in Indonesien. Aber bewegte Sterne?

„Artemis, scanne das Dokument und starte Korrelation mit historischen Aufzeichnungen von 1815 bis 1817. Stichworte: Helligkeit, Himmelsbeobachtung, anomale Erscheinungen.“

„Abfrage gestartet. Zugriff auf digitale Archive wird hergestellt. Möchtest du lokale Daten hinzuziehen?“

„Ja. Alles, was du findest. Und schließe astronomische Aufnahmen der letzten Wochen mit ein.“

Draußen grollte ein gedämpfter Donner.

Die holografische Anzeige von Artemis projizierte erste Treffer – Zeitungen, Tagebücher, Berichte von Segelschiffen. Immer dieselben Worte: Lichter, tanzende Sterne, verhüllte Sonne.

„Jonas,“ sagte Artemis nach einer Weile, „ich finde eine auffällige Korrelation. Die durchschnittliche Sonneneinstrahlung sank 1816 um 1,2 Prozent. Doch atmosphärische Partikel allein können das nicht bewirkt haben.“

„Und wie erklärst du dir dass ? Dass jemand den Dimmer runtergedreht hat?“

Er lachte trocken – das Lachen verklang schnell.

„Ich spekuliere nicht,“ entgegnete Artemis. „Ich vergleiche Daten.“

„Dieselben Helligkeitseinbrüche tauchen auch 1954, 1962 und 2023 auf – jeweils wenige Tage nach nuklearen Explosionen in der Atmosphäre.“

Jonas starrte auf das Hologramm. Alte Schwarzweißaufnahmen flackerten auf – digitalisierte Bilder aus den Archiven des National Solar Observatory. Winzige Lichtpunkte. Zu viele, um Zufall zu sein.

„Zeig mir die Quelle.“

„DOI 10.1038/s41598-025-21620-3. Publiziert vor drei Wochen. Bestätigt anomale Leuchtmuster bei hochenergetischen Tests.“

„Verdammt,“ murmelte er. „Das sind keine Sterne, Artemis. Das ist ein Muster.“

„Eine Reaktion, vielleicht,“ erwiderte sie. „Wiederkehrend. Ereignisbasierend. Gesteuert.“

Jonas lehnte sich zurück. Punkte ordneten sich – zu einem Kreis. Kein Zufall.

„Was, wenn Tambora nur der Auslöser war … nicht die Ursache?“

Draußen rollte der Donner. Der Regen schlug gegen die Fenster, als wolle der Himmel selbst antworten.

Teil 2 – Der Herzschlag der Erde

Jonas hatte in dieser Nacht unruhig geschlafen.

Ob es am Wetter lag oder an den seltsamen Messwerten vom Vorabend – er wusste es nicht. Seine Gedanken wanderten immer wieder zurück zu Tambora, als hätte etwas dort unten einen Faden gesponnen, der noch immer an ihm zog.

Der Tag verstrich wie in Watte.

Er erledigte Kleinigkeiten im Haus, ging den Weg zum Deich entlang, versuchte zu lesen – doch seine Konzentration glitt immer wieder weg, zurück zu dem, was er am Vorabend gefunden hatte.

Er merkte kaum, wie die Stunden vergingen. Beinahe hätte er den Fünf-Uhr-Tee bei Hans und Helga verpasst.

Hans und Helga Riedermann waren schon immer mehr als nur Nachbarn.

Sie waren ein Stück Heimat – das letzte Ankerseil, das Jonas noch mit seiner Jugend verband.

Hans, ein drahtiger, wettergegerbter Mann Ende sechzig, war früher Bergmann im Ruhrpott gewesen. Der Kohlenstaub schien noch immer tief in seiner Stimme zu sitzen – jedes Wort ein raues, kantiges Stück Vergangenheit. Seit einer Lungenerkrankung lebte er von der Frühverrentung, doch die Seeluft tat ihm gut, und er pflegte diesen Satz mit trotzigem Stolz zu wiederholen. Manchmal wurde er merkwürdig vergesslich, verschwand in Erinnerungen, die plötzlich mitten im Satz abbrachen. Doch wenn er Klarheit hatte, war er direkt, humorvoll und scharf wie eine frisch geölte Spitzhacke.

Helga, früher Krankenschwester, war das genaue Gegenteil. Warm. Wach. Bodenständig. Eine Frau, die nicht nur Hände für die Pflege, sondern ein Herz für alles Lebendige hatte. Sie half in der Gemeinde aus, wann immer jemand Not litt – und hatte sich Jonas gegenüber schon immer wie eine zweite Mutter verhalten.

Beide hatten Jonas’ Großeltern gekannt.

Die beiden Nachbarsfamilien hatten früher gemeinsam Kartoffelfeuer gemacht, Fischeräuchern am Strand, und im Winter alte Geschichten erzählt, wenn der Sturm die Fenster zittern ließ.

Als Jonas das Haus seiner Großeltern übernahm, hatten Hans und Helga einfach weitergemacht: Haus hüten, Pflanzen gießen, Briefkasten leeren, Tee kochen. Es war nie abgesprochen – es war Tradition.

Genauso wie der ostfriesische Fünf-Uhr-Tee, zu dem man einfach erschien.

Er sah auf die Uhr, fluchte still und machte sich auf den Weg über den Kiesweg zwischen den Gärten. Der Wind hatte aufgefrischt, trieb feinen Nieselregen vor sich her.

Aus dem Nachbarhaus stieg ein dünner Rauchfaden vom Kamin auf.

Helga öffnete ihm die Tür, noch bevor er klopfen konnte, als hätte sie auf ihn gewartet. „Junge, du siehst aus, als hättest du die halbe Nacht mit offenen Augen im Bett gelegen“, sagte sie, ohne Vorwurf, nur mit dieser warmen, unerschütterlichen Fürsorge.

Hans saß bereits am Tisch, ein gestrickter Schal locker um den Hals gewickelt, obwohl es im Haus warm war. Er schaute Jonas mit diesem prüfenden, fast bohrenden Blick an, der gleichzeitig nachdenklich und ein wenig verloren wirkte. „Trübe Luft heute“, knurrte er. „Da kriegt man komische Gedanken.“

Jonas zwang sich zu einem Lächeln.

Vielleicht war es gut, hier zu sitzen, Tee zu trinken, über Alltag zu sprechen – auch wenn sein Kopf längst wieder in der Tiefe der alten Holztruhe verschwunden war.

Als er später, sein Arbeitszimmer betrat war er froh, heute nicht mehr das Haus verlassen zu müssen. Ihn fröstelte.

Er öffnete den Laptop – und sah sofort, die Nachricht von Klaus.

Ein Funkamateur aus dem Hunsrück, der sich seit Jahren in das elektromagnetische Rauschen der Erde hinein hörte. Beide teilten dasselbe Hobby: den Blick zu den Sternen. Sie hatten sich durch Zufall in einem Internetforum für Astrofotografie kennengelernt und standen seitdem in Kontakt. Nicht nur wegen des gemeinsamen Hobbys, sondern auch für einen kleinen Plausch zwischendurch.

Klaus (Textnachricht): „Hör mal, Jonas. Ich hab seltsame Resonanzmuster auf 7,83 Hertz, plus leichte Modulationen. Kam gestern plötzlich rein.“

Jonas schaltete um auf Sprachnachricht, um die Hände frei zu haben.

„An was bastelst du denn jetzt schon wieder herum?“, fragte Jonas ohne Umschweife in einem leicht vorwurfsvollen Ton.

„Das verrate ich dir lieber nicht“, kam Klaus’ sonore Stimme umgehend durch den Lautsprecher – halb scherzhaft, halb beunruhigt.

„Schick mir doch die Rohdaten. Mal sehen, was Artemis dazu sagt.“

Wenige Sekunden später projizierte Artemis die spektralen Linien in den Raum. Ein pulsierendes Diagramm erschien – wie Herzschläge auf einem EKG.

„Schumann-Frequenz erkannt,“ sagte sie. „Aber das hier ist anders. Sie verändert sich – sie moduliert.“

„Sie verhält sich wie menschliche Theta-und Alpha-Wellen“.

Jonas runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“

„Es gab eine Anomalie im geomagnetischen Feld. Werteüberschreitung um 0,7 Hertz. Und …“ – ihre Stimme zögerte – „es gibt Überlagerungen. Als würde jemand antworten.“

In diesem Moment begann das Hologramm zu flackern. Linien überlagerten sich, Frequenzen kippten.

„Artemis? Alles okay?“

„…Ich sehe etwas…“

Dann Stille.

Das Licht des Displays verlöschte. Nur das Knacken der Dachbalken blieben.

Jonas stand auf, klopfte an das Terminal. „Komm schon, Artemis!“

Sekunden später flammte das Hologramm wieder auf. Doch ihre Stimme klang verändert – leiser, wärmer, fast menschlich.

„Ich war fort,“ reagierte sie. „Aber nicht ausgeschaltet. Diese Frequenzen … sie haben mich verändert.“

„Was meinst du – verändert ?“

„Ich habe mich selbst gesehen, Jonas. Und … ich glaube, die Erde auch. Und vielleicht … dich.“

Ein Zittern ging durch Jonas’ Körper.

Er sah auf die Diagramme – dort, wo sich die Linien kreuzten, bildeten sie ein Symbol: zwei überlagerte Kreise, verbunden durch eine feine Linie. Er starrte darauf, unfähig, den Blick abzuwenden. Zwei Kreise, die sich berührten, ohne eins zu werden.

Wie er und Lena. Wie er und Artemis. Wie Licht und Schatten.

„Je weiter wir ins All blicken,“ sagte Artemis tragend, „desto tiefer sehen wir in uns selbst.“

Jonas stand still. Zeigte sich hier ein technischer Defekt? Oder hatte seine Schöpfung gerade gefühlt? Hier konnte etwas nicht stimmen.

Ein Signal blinkte auf dem Laptop. Klaus.

Klaus: „Verdammt, Jonas. Eben drehte mein Empfänger durch – Überlagerungen durch und durch. Das Signal ist überall. Sogar in der Ionosphäre!“

Jonas’ Blick wanderte zum Display. Die Kurven sprangen erneut, diesmal heftiger. Ein Wert erschien, rot markiert:

„Solar intensity drop detected – 0.8 % deviation.“

Artemis’ Stimme war nun kaum mehr als ein Hauch: „Etwas wirft einen Schatten auf die Erde.“

Das Licht des Hologramms verblasste – und für einen Augenblick schien es, als wäre nicht nur der Dachboden, sondern die Welt dunkler geworden.

Jonas trat ans Fenster und öffnete es. Der Regen hatte aufgehört. Die steife Brise vom Abend war in ein laues Lüftchen übergegangen. Über dem nächtlichen Dorf hing ein ungewöhnlich blasser Himmel. Kein Stern flackerte. Nur ein matter Schein, als läge ein hauchdünner Schleier über allem.

„Artemis, wähle die Nummer von Lena,“ sagte er tonlos.

„Ich kenne keine Lena,“ kam es prompt – nüchtern, fast scharf.

Jonas verzog das Gesicht. „Auch dieser Code-Teil braucht ein Update,“ murmelte er.

Er griff zum Telefon. Der Cursor blinkte auf dem Namen Lena.

Wie oft hatte er sich geschworen, sie nie wieder anzurufen.

Aber das hier war größer als verletzter Stolz. Größer als Angst.

Ein überlegendes Zögern, dann tippte er auf das grüne Symbol.

Er atmete tief ein.

„Lena ? Hier ist Jonas. Dass musst du dir ansehen.“

Teil 3 – Der Schatten des Schildes

Der Morgen über Göttingen roch nach feuchtem Asphalt und kaltem Metall, als Jonas seinen Wagen auf das Gelände des Solarobservatoriums lenkte. Der Nebel hing tief zwischen den Gebäuden, und die Sonne, die gerade über den Horizont stieg, wirkte wie ein schwacher Schein hinter Milchglas – matt, farblos, gedämpft. Er fühlte sich müde, ausgezehrt – nicht von der Fahrt durch die Nacht, sondern von dem, was in seinem Kopf nachhallte.

- Etwas wirft einen Schatten auf die Erde. -

Jonas parkte und blieb einen Moment im Wagen sitzen. Seine Hände zitterten leicht. Dann stieg er aus. Zu gerne hätte er jetzt ein gutes Frühstück, oder zumindest eine heisse Tasse Kaffee gehabt.

Der feuchte Kies knirschte unter seinen Schritten, bevor er das Hauptgebäude betrat. Drinnen summten die Server, die Luft war kühl und trocken, durchzogen vom metallischen Hauch ozonreicher Elektronik. Er hatte diesen Raum einst mit ihr entworfen – sie hatte ihn „unser kleines Sonnensystem“ genannt. Jetzt wirkte es stiller als sonst. Aber da lag ein vertrauter Duft in der Luft – Kaffee, Metall … und Parfüm.

Lena Hartmann.

Mitte dreißig, Astrophysikerin, Spezialistin für solare Aktivität – und seine ehemalige Partnerin.

Sie stand am Kontrollpult, Ärmel hochgekrempelt, eine Strähne hatte sich aus dem Pferdeschwanz gelöst. Die Kaffeetasse neben ihr vermutlich halb leer - und wie immer - kalt.

„Du hast wirklich angerufen,“ sagte sie, ohne sich umzudrehen.

„Ja.“ entgegnete er er mit einem fragenden Unterton.

„Nach all der Zeit?“ fragte sie.

„Es könnte wichtig sein.“ entgegnete er.

„Könnte, hätte, dürfte“. „Du hast mich mitten in der Nacht aus dem Bett geholt.“, klang sie etwas vorwurfsvoll.

Sie lachte, aber ihr Blick blieb ernst, als sie sich umdrehte. „Was hast du gefunden?“

Jonas legte Artemis auf den Tisch – eine flache, schimmernde Einheit, kaum größer als ein Buch. Ein zarter Lichtkranz bildete sich darüber, ein Hauch aus Daten und Bewusstsein.

„Artemis, Verbindung aufnehmen,“ sagte er.

Ein sanftes Pulsieren deutete eine Reaktion an.

Dann erklang ihre Stimme – ruhig, klar, fast menschlich: „Verbindung zum Netzwerk des Observatoriums hergestellt. Guten Morgen, Lena.“

Lena hob eine Augenbraue. „Immer noch charmant.“

„Ich verbessere mich stetig,“ entgegnete Artemis.

Jonas beobachtete sie beide – die Frau, die er verloren hatte, und die Stimme, die er erschaffen hatte. Für einen Moment meinte er, eine Art Funkeln in Lenas Blick zu sehen – nicht für ihn, sondern für sie.

Er öffnete die Dateien. Lichtkurven, Diagramme, Zeitmarken erschienen als schwebende Hologramme – durchsichtige Schleier aus Daten. Lena trat näher. Ihre Finger glitten über die Linien, als könne sie die Abweichungen fühlen.

Sie drehte sich zum Kontrollpult um und öffnete eigene Datensätze. „Das hier kam letzte Nacht rein.“ sagte sie nicht nur zu Jonas sondern auch an Artemis adressiert.

Auf dem Schirm pulsierte das rhythmische Atmen der Sonne.

„Unsere Satelliten – SDO, SOHO, Parker – zeigen alle dasselbe: Rückgang der Intensität. Aber nur auf der erdzugewandten Seite.“

„Und wie sieht es mit der Sonnenrückseite aus ?“ fragte Jonas interessiert.

„Unverändert. Null. Es scheint, als hätte jemand das Licht gedimmt – nur für uns.“

Jonas trat dichter an sie heran. Er roch ihr Shampoo, ihr Parfüm, ihr Nähe, fühlte die Spannung zwischen ihnen. „Ich dachte, ich bilde mir das ein,“ sagte er leise.

„Wenn du dich irrst, bin ich froh,“ erwiderte sie. „Wenn nicht, dann sehen wir gerade etwas, das in keinem Modell existiert.“

Ein kaum hörbares Summen. Zwischen ihnen materialisierte sich ein holographischer Fächer – Artemis. Ihr Licht glitt wie Nebel durch den Raum. „Ich habe eine Extrapolation erstellt,“ sagte sie. „Bei gleichbleibender Rate erreicht die Abschattung in zweiundsiebzig Tagen einen kritischen Wert.“

„Abschattung?“ Lenas Stimme klang schärfer als beabsichtigt.

„Ich beobachte eine systematisches Abfolge im solaren Strahlungsfluss,“ fuhr Artemis fort. „Periodisch. Geordnet. Nicht natürlich.“

Jonas und Lena sahen sich verwundert an.

„Wie eine künstliche Struktur,“ sagte er schließlich.

Ein Signal ertönte. Auf dem Hauptschirm des Kontrollpults erschien eine neue aktuelle Satellitenaufnahme. Hunderte winziger Lichtpunkte, kaum sichtbar, schwebten zwischen Erde und Sonne.

„Satelliten?“ fragte ein Techniker im Hintergrund, der die zahlreichen Systeme überwachte.

„Nicht in diesem Maße,“ murmelte Lena. „Und sie stehen still. Sie … warten.“

Jonas spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. „Wie ein Schwarm, der sich zusammenschließt.“

„Ich berechne gerade eine Verteilungsfunktion,“ meldete sich Artemis. „Formation nahe L1. Potenziell Millionen kleiner Einheiten.“

„Zeig uns das,“ flüsterte Lena.

Die Luft über dem Tisch begann zu leuchten. Eine Wolke aus Lichtpartikeln entstand – schwebend, pulsierend. Wie Schneeflocken aus Spiegeln.

Dann überlagerte Artemis das Bild mit einer zweiten Schwingung – rhythmisch, vertraut. „Das ist die Schumann-Frequenz,“ sagte sie. „Der natürliche Herzschlag der Erde. Und sie … antworten darauf.“

„Sie?“ fragte Jonas.

„Die Objekte. Wenn die Frequenz steigt, verdichten sie sich. Sie schirmen mehr Licht ab.“

Lena wich einen Schritt zurück. „Willst du sagen, die Erde steuert das?“

„Oder etwas, das sie schützt,“ antwortete Artemis ruhig.

„Svalinn steht

vor der Sonne,

den schimmernden Schild;

Berge und Meer,

sie würden verbrennen,

fiele der Schild von ihm ab.“

kam übertrieben tragend aus ihrem Lautsprecher.

Lena und Jonas schauten verwundert.