Das Herz des Diplomaten - J.L. Langley - E-Book

Das Herz des Diplomaten E-Book

J.L. Langley

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Beschreibung

"Der Earl war unerträglich, verwirrend und viel zu charmant für Blaises Seelenfrieden. Es war mal wieder typisch, dass die erste heftige körperliche Anziehung, die er je verspürt hatte, von einem Mann ausging, der völlig ungeeignet war." Blaise Thompson hat große Erwartungen zu erfüllen, schließlich soll er eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten und seinen Heimatplaneten Regelence im IN-Rat angemessen repräsentieren. Deshalb passt es ihm überhaupt nicht, als Dalton Fairfax ihm als persönlicher Leibwächter zugeteilt wird. Dalton hat trotz seiner Verwandtschaft mit dem Königshaus einen skandalbehafteten Ruf und ist dafür bekannt, die Regeln der Gesellschaft nicht nur hin und wieder zu missachten. Außerdem lenkt er Blaise mit seiner unkonventionellen Art viel zu sehr ab. Je besser sich die beiden unterschiedlichen Männer jedoch kennenlernen, desto deutlicher wird, dass Blaise für Dalton viel mehr übrighat, als er wahrhaben will. Aber wird er seinen Ruf aufs Spiel setzen, um seinem Herzen zu folgen? Buch 4 der "Regelence"-Serie

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Seitenzahl: 552

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Deutsche Erstausgabe (ePub) Juni 2020

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2019 by J.L. Langley

Originally published in the English language as:

»Diplomatic Relations«

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2020 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Lektorat: Jannika Waitl

ISBN: 978-3-95823-825-1

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Aus dem Englischen von Jilan Greyfould

Liebe Lesende,

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die Autorin des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Euer Cursed-Team

Klappentext:

Der Earl war unerträglich, verwirrend und viel zu charmant für Blaises Seelenfrieden. Es war mal wieder typisch, dass die erste heftige körperliche Anziehung, die er je verspürt hatte, von einem Mann ausging, der völlig ungeeignet war.

Blaise Thompson hat große Erwartungen zu erfüllen, schließlich soll er eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten und seinen Heimatplaneten Regelence im IN-Rat angemessen repräsentieren. Deshalb passt es ihm überhaupt nicht, als Dalton Fairfax ihm als persönlicher Leibwächter zugeteilt wird. Dalton hat trotz seiner Verwandtschaft mit dem Königshaus einen skandalbehafteten Ruf und ist dafür bekannt, die Regeln der Gesellschaft nicht nur hin und wieder zu missachten. Außerdem lenkt er Blaise mit seiner unkonventionellen Art viel zu sehr ab. Je besser sich die beiden unterschiedlichen Männer jedoch kennenlernen, desto deutlicher wird, dass Blaise für Dalton viel mehr übrighat, als er wahrhaben will. Aber wird er seinen Ruf aufs Spiel setzen, um seinem Herzen zu folgen?

Prolog

4. März 4829, Planet Regelence

Gefängnis von Pruluce in der Innenstadt von Classige, Pruluce

Er wollte nicht sterben, aber für solche Gedanken war es leider zu spät. Dalton setzte sich auf der kalten Steinbank auf, die gleichzeitig als Pritsche fungierte, und starrte zwischen den bedrohlichen schwarzen Gitterstäben seiner Gefängniszelle hinaus. Da kam jemand. Er hatte sich das Geräusch der stahlverstärkten Tür, die in den Zellenblock führte, nicht nur eingebildet. Der metallische Knall war mit nichts zu vergleichen, was er je zuvor gehört hatte. Er war erst höchstens ein paar Stunden hier, doch er war sich bereits sicher, dass ihn dieses Geräusch für den Rest seines Lebens in seinen Albträumen verfolgen würde. Was möglicherweise nicht mehr sehr lange sein würde. Er könnte gehängt werden. Wurden Menschen immer noch wegen Mordes gehängt?

Laute Schritte hallten von den Felswänden wider und näherten sich ihm. In der angrenzenden Zelle knurrte jemandem der Magen, etwas weiter entfernt nieste ein Gefangener und der Häftling fast am Ende der Zellenreihe litt an Blähungen.

Ein Schauer des Ekels kroch Daltons Rücken hinauf und er wollte sich die Ohren zuhalten. Er hatte sich selbst nie für verwöhnt gehalten, aber bei der Galaxie, er musste hier raus.

Die Schritte waren jetzt sehr nahe und wurden von dem Klimpern von Schlüsseln begleitet.

Er hatte sich selbst in diese Lage gebracht und ihm blieb nichts anderes übrig, als es sich einzugestehen und die Konsequenzen zu tragen. Er zwang sich, seine Beine loszulassen, die er umschlungen gehalten hatte, stellte seine nackten Füße auf den kalten Boden und erhob sich.

Der Wachmann blieb vor seiner Zelle stehen und ein weiterer Mann erschien hinter ihm.

Dalton musste so schwer schlucken, dass es sich anfühlte, als würden Glasscherben durch seine Kehle rutschen.

Das gedämpfte Licht im Gang hüllte das Gesicht des anderen Mannes in Schatten, doch die hochgewachsene, durchtrainierte Silhouette ließ keinen Zweifel. Onkel Raleighs Körperhaltung sprach gleichzeitig von Disziplin und Eleganz. Sein Onkel schien immer für alles gewappnet zu sein; sogar im Ruhezustand strahlte er unterdrückte Energie aus. Jetzt gerade waren seine Schultern gestrafft und ein wenig steif und versprachen zu gleichen Teilen Rettung und Verdammnis.

Dalton atmete tief durch und zwang sich dazu, nicht von der Stelle zu weichen, obwohl er am liebsten unter die Bank gekrochen wäre und sich versteckt hätte.

Er hatte gewusst, dass sein Onkel herkommen würde. Als die Behörden ihn gefragt hatten, wen sie kontaktieren sollten, bevor sie ihm Krawattentuch, Strümpfe und Schuhe abgenommen hatten, hatte er nicht lange überlegen müssen. Doch jetzt, da sein Onkel hier war, wünschte Dalton sich das Gegenteil. Die bloße Vorstellung, Raleigh erzählen zu müssen, was passiert war, ließ seinen Magen verkrampfen. Seine Zunge fühlte sich drei Nummern zu groß für seinen Mund an. Vielleicht wäre es besser gewesen, nach seinem Vater zu schicken? Ihm war egal, was sein Vater von ihm und seinen Taten dachte, aber Ravensburg hätte seinen Hilferuf wahrscheinlich ignoriert.

Der Wachmann öffnete die Zellentür und trat zur Seite.

Raleigh kam ins Licht. Sein Blick glitt flüchtig über Dalton und ein Muskel in seinem Kiefer zuckte. »Lass uns allein.«

Der Wachmann verbeugte sich, obwohl Raleigh ihm den Rücken zugewandt hatte. »Jawohl, Euer Majestät.« Mit klimpernden Schlüsseln wandte er sich ab und zog sich zurück. Die Gittertür ließ er weit offen stehen und Dalton sah sich allein seinem Urteil gegenüber.

Er spähte zur offenen Tür. Vielleicht konnte er verschwinden? Sich auf ein Schiff flüchten, das Regelence verließ, und…

»Das schaffst du nie.«

Dreck! Er hob den Kopf, besorgt, was er vorfinden würde.

In Raleighs grauen Augen spiegelte sich keinerlei Emotion wider und irgendwie erschien ihm das noch schlimmer.

Die Tür am Ende des Ganges schlug zu, als der Wachmann den Zellenblock verließ, und Dalton zuckte zusammen.

Raleigh blinzelte nicht einmal. Er stand da und starrte Dalton so teilnahmslos wie eh und je an. War er sauer? Beschämt? Enttäuscht?

Nach ein paar Sekunden holte Raleigh tief Luft und sein gesamter Körper schien sich zu entspannen. Er streckte eine Hand nach Dalton aus, dann die andere, sodass er die Arme ausbreitete.

All die Tapferkeit, an die sich Dalton während der letzten Stunde geklammert hatte, verließ ihn mit einem Keuchen. Er war sich nicht mal sicher, wie er in den Armen seines Onkels landete – ob er sich bewegt hatte oder Raleigh –, doch ihm entkam ein Schluchzen, als Raleigh ihn fest an sich zog und ihn in Wärme und Trost einhüllte.

Seine Arme bildeten einen schützenden Kokon und Daltons Tränen wollten einfach nicht versiegen. Er bettete den Kopf auf die Schulter seines Onkels und klammerte sich an ihm fest. »Es tut mir leid, Onkel. Ich wollte nicht, dass das passiert.«

»Ich weiß, aber du musst dieses selbstzerstörerische Verhalten einstellen.« Raleigh wich zurück und hielt ihn eine Armlänge von sich. »Du hättest getötet werden können, Dalton.« Die Sorgenfalten auf seiner Stirn unterstrichen mehr als seine Worte, wie sehr ihn dieser Gedanke beunruhigte.

»Ich wollte nie, dass die Dinge so aus dem Ruder laufen.«

»Ich weiß.« Nachdem er eine Hand an seine Wange gelegt hatte, trat Raleigh etwas weiter in die Zelle hinein und setzte sich auf die Bank. »Aber das muss aufhören. Im vergangenen Monat hast du dir ein Duell wegen eines verheirateten Mannes geliefert, bist nackt auf einem Pferd um das Denkmal für die Gefallenen auf dem Primrose Square geritten, wurdest gesehen, wie du aus dem Madame Roux's gekommen bist, und jetzt hast du einen Unfall mit einer Kutsche verursacht. Und nicht mit deiner eigenen, möchte ich hinzufügen.«

Wenn man es so formulierte, hörte es sich wirklich schlimm an. Dalton schätzte, er hatte sich selbst fälschlicherweise eingeredet, dass seine Onkel und Cousins nichts von seinen Ausschweifungen mitbekommen hatten. »Genau genommen habe ich mein Hemd als Augenbinde getragen, als ich um das Denkmal geritten bin, ich war also nicht nackt.«

Raleigh hob eine dunkle Augenbraue, als er sich rücklings gegen die Wand lehnte und seine langen Beine von sich streckte.

Dalton seufzte. Normalerweise brüstete er sich damit, wenn er das Thema der Klatschspalten war, doch diese eine Heldentat hätte er lieber unter den Teppich gekehrt.

Raleigh verschränkte die Finger vor seinem Bauch, als hätte er nicht vor, sich bald wieder zu erheben. Anscheinend war das hier ein Verhör.

»Es war ein Uhr morgens, um diese Zeit waren nicht viele Menschen unterwegs.«

Die andere Augenbraue gesellte sich zur ersten.

»Na schön. Es war dämlich.« Allerdings hatte es wahnsinnig Spaß gemacht und… »Ich habe dadurch zweihundert Pfund gewonnen.«

»Tja, der Galaxie sei Dank.« Raleigh grinste, kaschierte es jedoch schnell. »Und das Duell?«

»Wenn Viscount-Consort Lawson seinen Ehemann befriedigen würde, hätte sich der Viscount nicht anderswo umschauen müssen?«

Raleigh bedachte ihn mit dem starren Blick eines strengen Vaters.

Nicht winden, ermahnte sich Dalton selbst. Er konnte nicht anders, er wand sich. Verdammt.

»Und was ist mit der Kutsche?«

Die Ereignisse des heutigen Abends, die er in der vergangenen Stunde so angestrengt zu vergessen versucht hatte, stürmten wieder auf ihn ein. Er begann, auf und ab zu laufen, um etwas zu tun zu haben. Er bezweifelte, die Geschichte wiedergeben zu können, wenn er seinen Onkel dabei ansehen musste. »William hat mich gebeten, ihn an der Rennbahn zu treffen.« Das hatte er sich nicht zweimal sagen lassen. Er hatte den Debütanten am Tag zuvor beim Yardley-Musikabend kennengelernt und der schüchterne Mann war einfach bei allem rot geworden. Daltons bisherige Liebhaber waren alle erfahren gewesen, deshalb hatte die Vorstellung, einen Unschuldigen zu entjungfern, seinen ganz eigenen Reiz gehabt. »Ich habe zugestimmt. Alles lief gut, bis sein Vater aufgetaucht ist. Der, äh, Earl hat es nicht gut aufgenommen.«

»Ich frage mich, warum.«

Dalton ignorierte die sarkastische Bemerkung und fuhr fort: »William hat mich angefleht, mit ihm zu verschwinden.«

»Also hast du einen der Zweispänner gestohlen.«

»Geliehen.« William hatte erwähnt, er wäre jetzt kompromittiert, und Dalton war in Panik geraten. Er hatte den süßen kleinen Baron nur ficken wollen, von Heirat war nie die Rede gewesen. »Ich wollte ihn zurückbringen, nachdem ich William vor seinem Haus abgesetzt hatte, doch der Earl hat uns eingeholt, bevor wir den Park überhaupt verlassen konnten. Er ist vor die Pferde gesprungen und…« Dalton hielt mit dem Rücken zu seinem Onkel inne und schloss die Augen. Alle redeten immer davon, dass sich die Zeit im Augenblick einer Katastrophe zu verlangsamen schien, doch das stimmte nicht. Sie wurde nicht langsamer. Sie wurde schneller. »Ich wollte ihn nicht töten.« Tränen ließen Daltons Sichtfeld verschwimmen. Es war ihm surreal vorgekommen, bis er es laut ausgesprochen hatte.

»Was? Wen?« Raleigh packte seine Schulter und wirbelte Dalton so abrupt herum, dass er wankte, bevor er sein Gleichgewicht wiederfand.

Sein Blick schoss zur Bank, dann zu Raleigh. Wann hat er sich bewegt?

Raleighs Augen wurden schmal und er schüttelte Dalton. »Wen?«

»Den Earl of Wesley, Williams Vater.«

Raleigh ließ die Hände an Daltons Unterarmen hinabgleiten und den Kopf sinken. Seine Brust hob und senkte sich schwer. Als er den Blick wieder hob, umspielte ein sanftes Lächeln seine Lippen. »Du hast ihn nicht umgebracht. Er ist durch den Aufprall ohnmächtig geworden.«

Daltons Lunge füllte sich schlagartig mit Luft und seine Knie wurden weich. »Er lebt?«

»Ja. Außerdem ist seine Geldbörse dank dir jetzt um einiges dicker. Ich musste ihm ein Vermögen bezahlen, damit er allen erzählt, er wäre mit seinem Sohn spazieren gegangen, als du sie beinahe überfahren hättest. Er wollte eigentlich, dass du das Richtige tust und seinen Sohn heiratest.«

Mittlerweile war eine Hochzeit die geringste von Daltons Sorgen. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen. Er fuhr sich mit zitternder Hand durch die Haare und ließ sie schweißnass wieder sinken.

»Ebenso musste ich Lord Henderson seinen zerstörten Zweispänner ersetzen und ihm zwei dazu passende Pferde besorgen. Er ist davon überzeugt, dass eines seiner Pferde durch deinen Unfall schwer verletzt wurde, obwohl Brooks das anders sieht. Jedenfalls war es das wert, wenn er dadurch davon absieht, Anklage zu erheben. Wenn ich die ganze Sache jetzt noch aus den Klatschspalten raushalten kann, wäre das ein Wunder. Die Skandalblätter sind ganz vernarrt in dich.«

Brooks, die Stallmeisterin von Townsend Castle, war überragend in ihrem Metier. Wenn sie der Meinung war, dass dem Pferd nichts fehlte, dann war das auch so. »Also kann ich… nach Hause gehen?« Ihm verging das Lächeln und der Magen sank ihm wieder in die Kniekehlen. Sein Zuhause war das Schloss – nicht Fairfax House – und dorthin konnte er nicht. Diese verfluchten Regeln.

»Nein.«

»Ich weiß, dass ich nicht ins Schloss zurückkann, aber…«

Raleigh begann, den Kopf zu schütteln.

Bei dem Ausdruck des Bedauerns auf dem Gesicht seines Onkels bekam Dalton eine Gänsehaut. »Was? Du hast doch gesagt, er wäre nicht tot und ich könnte gehen.«

Raleigh holte tief Luft, stieß sie dann wieder aus und ließ die schwarzen Strähnen flattern, die ihm in die Stirn fielen. Seine stahlgrauen Augen, die Daltons so ähnlich sahen, starrten ihn unverwandt und bestimmt an, als er in seine linke Manteltasche griff und ein paar gefaltete weiße Papiere hervorzog. »Du wirst nur unter einer Bedingung entlassen.«

Dalton schüttelte immer noch verständnislos den Kopf.

»Du weißt, dass ich dich liebe, Dalton. Das weißt du, oder?«

Das tat er tatsächlich, denn sein Onkel – seine beiden Onkel – hatten es ihm in seiner Kindheit und Jugend häufig gesagt. Noch wichtiger war, dass sie ihn mit Aufmerksamkeit und einer Menge Umarmungen überschüttet hatten. Dalton nickte, doch die Härchen auf seinen Armen richteten sich auf.

»Ich traue dir nicht zu, dass du dich zu benehmen weißt. Nicht, solange du weiter bei meinem Bruder wohnen musst.« Raleigh berührte seine Wange. »Wenn es einen rechtlichen Weg für mich gäbe, dich mit nach Hause zu nehmen, dann würde ich das tun, aber du bewegst dich in eine Richtung, von der es vielleicht kein Zurück mehr gibt, und das kann ich nicht zulassen.«

Dalton sank ein wenig in sich zusammen. Im vergangenen Jahr hatte er Dinge getan, die er während der Zeit bei seinem Onkel niemals gewagt hätte, doch als sein Vater nach ihm geschickt und ihn gezwungen hatte, nach zehn Jahren wieder bei seinen Eltern einzuziehen, war Dalton ein bisschen durchgedreht. Er hatte sich eher wie der Achtjährige benommen, den sein Vater fortgeschickt hatte, als der Neunzehnjährige, der er jetzt war. Am Anfang hatte er gehofft, dass seine Eltern ihn zu seinem Onkel zurückschicken würden, doch das hatten sie nicht getan und Dalton hatte die Kontrolle verloren. Sich schlecht zu benehmen hatte angefangen… Spaß zu machen. Er hatte Dinge getan, die keinem jungen Lord seines Alters erlaubt waren, und hatte aufgehört, sich darum zu scheren, was seine Eltern oder die Gesellschaft von ihm hielten.

»Und die Wogen dieses neuesten Skandals müssen sich unbedingt schnell glätten… Deswegen habe ich dir ein Offizierspatent für die IN gekauft.« Raleigh hielt ihm die Papiere hin.

Mit bebender Hand nahm Dalton sie entgegen. Er wurde fortgeschickt? Schon wieder? Er schaute hinunter auf das Patent, dann hinauf zu seinem Onkel.

Raleighs ernste Miene blieb unverändert.

»Aber…«

»Du hast nur zwei Möglichkeiten. Entweder bleibst du hier drin und wirst wegen Diebstahls angeklagt oder du gehst zur Intergalaktischen Navy. Leiste deine zwei Jahre dort ab, komm nach Hause und schließ dich für zwei Jahre der Regelence Navy an. Wir werden allen erzählen, dass du schon immer zur Regelence Navy wolltest, so wie mein Vater. Ich meine mich zu erinnern, dass du das als Kind auch tun wolltest.«

»Ja.« Dalton betrachtete die Dokumente. In seiner Jugend hatte er in die Fußstapfen seines Großvaters treten wollen, doch aus dieser Idee war er schon lange herausgewachsen. Jetzt wollte er seine Familie nicht verlassen. Er wollte wieder zu ihnen ins Schloss ziehen, obwohl er wusste, dass das unmöglich war. »Mein Vater weiß nichts davon, oder?«

Raleigh schüttelte den Kopf. »Ich setze mich mit meinem Bruder auseinander.«

Obwohl Dalton auf Regelence noch nicht als volljährig angesehen wurde, konnte er der IN rein rechtlich auch ohne elterliche Zustimmung beitreten. Das Mindestalter für die IN betrug nur achtzehn Jahre und in fünf Monaten würde Dalton zwanzig sein.

Er sah sich in der Zelle um, ließ den Blick über die rauen Steinwände schweifen und schauderte. Er konnte nicht im Gefängnis bleiben. Vielleicht bedeutete das, dass er ein verwöhnter Aristokrat war, wie ihn die Wachmänner beschimpft hatten, doch er wusste, dass er sich hier drin niemals behaupten könnte. Und zu seinen Eltern wollte er auch nicht wieder zurück.

Er spähte zu seinem Onkel hinauf. Würde er mich wirklich hier lassen? Wenn Raleigh es für das Beste hielt – was dieser angespannte Kiefermuskel laut und deutlich sagte –, dann würde er es tun.

Mit flauem Gefühl im Magen und weil ihm keine andere Wahl blieb, stimmte Dalton zu. »Ich mach's.«

Kapitel 1

Gerüchten zufolge ist ein gewisser Lord Satansbraten nun endgültig nach Hause zurückgekehrt. Man fragt sich, wie viele Duelle wir in dieser Saison zu erwarten haben?

– Aus der The Classige Morning News, Gerüchtekolumne

1. März 4831, Planet Regelence

Lawson-Straßenmarkt in der Innenstadt von Classige, Pruluce

(Regierungsland von Regelence)

An diesem Ort herrschte Irrsinn, kompletter und vollkommener Irrsinn. Blaise hatte gerade erst das Hauptzugangstor des Straßenmarktes passiert und beobachtete mit großen Augen, wie ein Straßenhändler mit irgendeiner Art Fleisch am Stiel an ihm vorbeischlenderte. Er war gleichzeitig angeekelt und fasziniert.

Die Sonne war erst vor Kurzem aufgegangen und trotzdem drängten sich Dutzende weiß getünchte Verkaufsstände mit Speisen und allen nur erdenklichen Waren auf jedem Zentimeter freier Fläche zusammen. Der Rest wurde von Menschen eingenommen. Krämer buhlten um Aufmerksamkeit, indem sie sich gegenseitig niederschrien, und die Gerüche… Sie alle vermischten sich zu einem Durcheinander aus süßen und säuerlichen Düften, gedünsteten Zwiebeln und Schweiß. Als wäre der Geruch von Zwiebeln allein nicht schon schlimm genug. Er war hierhergekommen, um jemanden zu suchen, doch er hatte keine Ahnung gehabt, dass dieser Ort so groß und… geschäftig war.

»Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?« Bannon hatte die Hände tief in den Taschen seines Wintermantels vergraben, als er neben ihn trat und das hektische Treiben vor seinen Augen mit offenem Mund betrachtete.

Bannons Kammerdienerin Louisa – die sie als Anstandsdame begleitete – blieb mit einem ähnlichen Gesichtsausdruck neben ihm stehen.

Blaise zuckte mit den Schultern und blies in seine behandschuhten Hände, womit er versuchte, seine Nase zu wärmen und die Gerüche um ihn herum abzudämpfen. Er hatte sich genau dasselbe gefragt. Es war nicht gerade seine beste Idee, doch er hatte keine andere Wahl. Sein Vater war IN-Ratsherr für Regelence und dafür verantwortlich, die Interessen des Planeten innerhalb der IN zu vertreten. Ganz oben auf der Liste seiner Anliegen stand, dass Admiral Jenkins und seine Ehefrau gefunden wurden. Da er nur als Gehilfe in der Ratsstube arbeitete, war Blaise mit seinen Vorschlägen auf taube Ohren gestoßen, also hatte er die Sache selbst in die Hand genommen. Wenn man wollte, dass etwas richtig gemacht wurde… »Der Laufbursche sagte, er hätte Betty Jenkins' ehemalige Kammerzofe hier ausfindig gemacht. Sie verkauft Melonen.«

»Warum kann sich der Laufbursche dann nicht mit der Zofe in Verbindung setzen?« Bannon stieß den Atem aus und umgab sich dadurch mit weißen Wölkchen. »Wir verschwenden hier unsere Zeit. Wir könnten stattdessen beim Herrenausstatter sein und nach einem neuen Hut schauen.«

Blaise verdrehte die Augen, packte seinen jüngeren Bruder am Arm und zog ihn mit sich in den Menschenstrom. »Weil ich nicht weiter einen Laufburschen von meinem Taschengeld bezahlen kann, sonst wird Vater misstrauisch und bemerkt, dass ich eigene Nachforschungen anstelle.« Er blieb stehen und ließ eine Frau vorbei, die einen Handkarren voller Töpferwaren vor sich herschob.

»Warum stellst du überhaupt eigene Nachforschungen an?« Louisa beugte sich an Bannon vorbei, um Blaise anzusehen.

»Weil die anderen mir nicht zuhören wollen. Sie glauben, dass es nichts bringen würde, sich mit Jenkins' Dienerschaft zu unterhalten.« Das war recht kurzsichtig von ihnen. Die Gruppe ließ Nachbarn und Familienmitglieder von Laufburschen befragen, die natürlich vom Ausschuss des IN-Ratsherrn bezahlt wurden. Das war eine gute Idee, doch Blaise war nicht die letzten zweiundzwanzig Jahre als Erbe eines Herzogtums groß geworden, ohne das eine oder andere zu lernen. Wenn man Klatsch und Tratsch hören wollte, dann ging man nach unten ins Dienstbotenquartier.

Der Wagen mit der Töpferware passierte sie und Blaise zerrte Bannon weiter, bis der sich aus seinem Griff befreite.

»Ich kann selbst gehen, weißt du.«

»Dann beeil dich.« Kopfschüttelnd ging Blaise den Gang entlang und überließ es Bannon und Louisa, ihm zu folgen. Warum musste Larkinson, seine Kammerdienerin und bevorzugte Anstandsdame, ausgerechnet heute krank werden? Er hätte sich davonschleichen und allein hierherkommen sollen. Das Risiko wäre es wert gewesen.

Der Markt war um einiges größer, als er erwartet hatte, und ganz bestimmt nichts für schwache Nerven. Es war nicht direkt dreckig, aber auch nicht gerade makellos sauber. Die Straßen waren… nun, Straßen eben. Es roch verdächtig nach Pferdemist, obwohl keine Tiere erlaubt waren. Hier tummelten sich Dienstboten in Livree, höhere Bedienstete und Hilfsbutler, hier und da sah man sogar Bürger aus der Mittelschicht, doch es schien sich kein einziger Lord und keine Lady des ton hier aufzuhalten.

Blaise verzog das Gesicht, zupfte den Aufschlag seines Paletots etwas weiter nach oben und hoffte, dass er zusammen mit seinem Hut seine Identität verbarg. Er war zu weit gekommen, um jetzt umzukehren.

Er lief noch etwa eine Minute weiter, bevor er den Melonenstand direkt zwischen den Orangen und den Weintrauben entdeckte. »Überlasst mir das Reden.«

Keine Antwort.

Blaise wirbelte herum und sah sich einer Frau gegenüber, die einen kleinen Jungen an der Hand hielt. »Huch!« Er wich zurück.

Sie schnappte nach Luft und presste sich ihren Beutel an die Brust.

Verdammter Mist! »Es tut mir so leid, gnädige Frau. Ich dachte, mein Bruder wäre hinter mir.«

Die Frau warf ihm einen finsteren Blick zu, hob das Kinn und stolzierte davon, wobei sie den Jungen hinter sich herzog, der über die Schulter zu Blaise schaute.

Seufzend schüttelte Blaise den Kopf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Verkaufsstand. Er würde Bannon die Ohren langziehen, wenn er ihn wiederfand.

Hinter den Reihen aus Zuckermelonen wartete ein jugendliches Mädchen mit hübschem Gesicht auf die Bestellung einer Frau in einem grauen Wollmantel und einer Haube mit Strohkrempe. Das Mädchen trug einen schlichten hellbraunen Umhang, aber bei näherem Hinsehen bemerkte er fein gearbeitete, hellere Stickereien am Revers. Am Handgelenk ging der Stoff in dunkleres, glänzenderes Braun über, wahrscheinlich Seide. Das Kleidungsstück passte viel eher zu einer Frau von einigem Ansehen aus der Mittelschicht als zu jemandem, der durch den Verkauf von Früchten auf der Straße ein mageres Gehalt verdiente. Ihre Wangen waren durch die Kälte ganz rot und sie ließ ihre Blicke über die Menschenmassen streifen, ohne ihre Kunden direkt anzusehen. Das musste die Kammerzofe sein.

Die Kundin vor ihr schien das seltsame Verhalten der Zofe nicht zu bemerken. Sie nahm eine Frucht zur Hand, aber anstatt sie in den Korb zu legen, der an ihrem Arm hing, hielt sie sie unter ihre Nase.

Blaise runzelte die Stirn bei dieser merkwürdigen Geste. Wer riecht denn an Melonen?

Doch nein, sie schnupperte nicht daran. Sie wandte den Kopf leicht zur Seite, dann drehte sie ihn wieder zurück in die andere Richtung, während auch sie die Menge absuchte.

Es hatte nichts mit der Kälte zu tun, dass die Härchen auf Blaises Armen sich unter den vielen Lagen Kleidung aufrichteten. Irgendetwas stimmte nicht. Er bahnte sich einen Weg zum Stand nebenan und beschloss, das Ganze noch etwas länger zu beobachten. Er griff nach einer Orange – oder war es eine Mandarine? Er konnte die beiden nie auseinanderhalten – und ahmte die Kundin nach, indem er die Frucht ans Gesicht hob. Dann spähte er über sie hinweg zu den beiden Frauen.

Sie unterhielten sich, doch ihre Blicke begegneten sich nie wirklich. Als ein Mann zu ihnen trat und eine Melone nahm, wandte sich die Kundin von ihm ab.

Der Mann warf das Geld für seine Zuckermelone auf den Verkaufstisch und ging davon. Erst dann richtete die Frau ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Händlerin. Sie legte die Melone in ihren Korb, ohne zu bezahlen, und das Mädchen machte keine Anstalten, sie davon abzuhalten.

Blaise ging näher heran und versuchte, an der breitkrempigen Haube vorbei einen besseren Blick auf die Kundin zu werfen, und…

Ach du meine Galaxie! Er drückte die Mandarine an seine Lippen, um ein Keuchen zu unterdrücken. Betty Jenkins!

Ein freudiger Schauer durchlief ihn. Es war, als würde man ein neues Musikstück beim ersten Versuch fehlerlos durchspielen. So viel Glück konnte er doch gar nicht haben.

Sie wirkte dünner als auf den Fotos von Mrs. Jenkins, die an den Wänden der Ratsstube hingen, und ihr Haar war braun, nicht von grau meliertem Blond. Um ehrlich zu sein, sah sie eher wie eine Küchenmagd aus als wie die Tochter eines Barons, doch um die Augen war die Ähnlichkeit deutlich. Sie hatte sogar denselben Schönheitsfleck weit oben auf ihrer Wange neben ihrem rechten Auge. Er war sich sicher, dass es sich hier um die Ehefrau des Admirals handelte.

Es verlangte ihm viel Selbstbeherrschung ab, nicht auf der Stelle ein kleines Freudentänzchen hinzulegen, aber wo war der Admiral? Blaise suchte die nähere Umgebung ab, aber niemand in der Nähe ähnelte dem stämmigen Mann.

Betty nickte dem Mädchen zu und ging davon.

Blaise wollte ihr hinterher, doch der Mann hinter dem Orangenstand erwischte ihn am Ärmel. »Bezahlste auch dafür oder muss ich de Büttel ruf'n?«

Dreck! Die Mandarine oder Orange oder was auch immer hatte er ganz vergessen. »Entschuldigung!« Er warf die Frucht zurück auf die Auslage und eilte durch die Gänge. Dabei blieb er weit genug zurück, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass er jemandem folgte. Aber das war nicht einfach.

Betty verschwand immer wieder aus seinem Sichtfeld, wenn sich Menschen zwischen sie schoben. Ihr Korb schwang vor und zurück und ihr Wollmantel flatterte hinter ihr her. Wenn sie noch schneller lief, würde sie rennen. Selbst mit seinen längeren Beinen hatte Blaise Schwierigkeiten, mit ihr Schritt zu halten.

Ein Windstoß fegte Betty die Haube vom Kopf und verlangsamte ihre Schritte.

Blaise griff nach seinem eigenen Hut und beeilte sich, die Lücke zwischen ihnen zu schließen, doch ein Mann mit einem Wagen voller Naschereien kreuzte seinen Weg. Er konnte gerade so einen Zusammenstoß verhindern und machte einen Satz nach links.

Dort wurde er beinahe von einer Kinderschar niedergetrampelt, die dem Süßwarenverkäufer folgte.

Blaise eilte nach rechts, um an dem Karren vorbeizukommen, und irgendjemand rempelte ihn an der Schulter an, sodass er zur Seite stolperte. Sternenstaub und explodierende Planeten! Sahen die Leute denn nicht, dass er es eilig hatte? Während er sich die Schulter rieb, konzentrierte Blaise sich wieder aufs Wesentliche und… Oh nein. Betty war verschwunden und etwas weiter vor ihm rannte ein Mann in flaschengrünem Gehrock und mit kastanienbraunem Hut, als würde er versuchen, jemanden einzuholen. Das musste der ungehobelte Rüpel sein, der in ihn hineingerannt war.

Eine Gänsehaut erfasste Blaise am ganzen Körper. War dieser Mann auch hinter Betty her? Was, wenn die IN die Jenkins-Familie fand, bevor er und seine Gruppe dazu in der Lage waren? Ein waberndes Grauen nistete sich in seiner Magengrube ein und er folgte dem wogenden grünen Mantel. Er musste sie als Erster erreichen.

Er schlängelte sich durch die Menschenmassen, wobei er halb tänzelte und halb rannte, während er angestrengt nach ihr Ausschau hielt.

Vor dem Mann verschwand ein Streifen Grau hinter dem Bäckerstand und Blaise beschleunigte sein Tempo.

Oder versuchte es zumindest.

Eine Hand packte ihn an der Schulter und brachte ihn zum Stehen. Er bemühte sich, sie abzuschütteln, doch der Griff lockerte sich nicht, sondern rutschte nur an seinem Arm hinunter, um an seinem Handgelenk zu verweilen.

Sein Herz schlug so schnell, dass das Rauschen des Blutes in seinen Ohren den Lärm der Menge übertönte. Er hatte nicht einmal in Betracht gezogen, dass er sich selbst in Gefahr bringen könnte, indem er sie suchte. Er spannte sich an und wappnete sich für einen Kampf, doch eine weinerliche Stimme ließ ihn innehalten.

»Blaise, können wir jetzt gehen?«

Bannon. Blaise seufzte, nahm sich aber nicht die Zeit, um die Erleichterung auszukosten. Er nahm seinen Bruder bei der Hand und zerrte ihn hinter sich her. »Komm mit.«

Leider kamen sie nicht sehr weit; sie bogen nach rechts ab und stießen auf eine hüfthohe Steinmauer. Jenseits der Mauer wurde die andere Straßenseite durch den Verkehr verdeckt.

Wo sind sie hin? Schwer atmend stützte Blaise die Hände auf die Knie und versuchte, zu Atem zu kommen. Er hatte den Markt verlassen und es gab keine Fußgängerüberwege oder Signalanlagen in der Nähe. Weder Betty noch der Mann in Grün waren irgendwo zu sehen. Er beugte sich für einen besseren Blick über das Hindernis, doch hinter dem Bäckerstand kauerte nur ein kleiner Junge, der sich über eine Fleischpastete hermachte. »Verflixt und zugenäht.« Er war so nah dran gewesen.

Der Junge erstarrte mitten im nächsten Bissen. Seine haselnussbraunen Augen strahlten lebhaft aus seinem schmutzigen Gesicht. Eine rastlose Energie erfüllte ihn, so als wollte er gleich aufspringen und sich aus dem Staub machen.

Bannon riss Blaise wieder nach hinten. »Warum rennst du so?«

Blaise entwand ihm seinen Arm und warf einen letzten Blick zur Straße.

Der Junge hatte die Ablenkung genutzt und raste durch die Lücke zwischen den Ständen und der Mauer davon. So viel zu dem Plan, ihn nach Betty oder dem Mann in Grün zu fragen.

Mit einem Seufzen starrte Blaise seinen Bruder finster an. »Ich habe sie gefunden.«

»Wen? Die Kammerzofe?« Bannon zog die roten Augenbrauen zusammen, während er einen Pfirsich zum Mund hob und hineinbiss.

Wo hat er den her? Blaise musterte die Frucht mit gerunzelter Stirn und Bannon hielt sie ihm hin. Kopfschüttelnd verdrehte er die Augen. »Nein, Betty Jenkins.«

Bannons grüne Augen blitzten über dem Pfirsich auf. »Tatsächlich?«, fragte er mit vollem Mund.

»Wenn du bei mir geblieben wärst, wie du es hättest tun sollen…«, knurrte Blaise. Was hatte es für einen Zweck? Bannon war nie da, wo er sein sollte, aber… »Wegen dir habe ich sie verloren.« Er schlug seinen strengsten Tonfall an und bedachte seinen Bruder mit einem bohrenden Blick.

Natürlich beeindruckte das Bannon überhaupt nicht. »Wenn du sie verloren hast, können wir dann jetzt gehen? Es ist langweilig hier.«

Blaise schloss die Augen und zählte bis zehn, um sich davon abzuhalten, seinen Bruder zu erwürgen. Als er bei zehn angekommen war, musste er noch mal von vorne anfangen, doch schließlich brachte er »Wo ist Louisa?« heraus.

Bannon zuckte mit den Schultern. »Ich habe sie am Apfelstand zurückgelassen, während ich mich mit dem netten Mann bei den Pfirsichen unterhalten habe.« Das Funkeln in seinen Augen erzählte eine ganz andere Geschichte. Er hatte mit dem Pfirsichverkäufer geflirtet, was die Abwesenheit seiner Kammerdienerin erklärte. Louisa versagte kläglich als Anstandsdame. Nicht, dass Blaise eine Anstandsbegleitung wollte oder brauchte, doch wenn irgendjemand ihn gesehen hatte…

Als einer der Gehilfen seines Vaters – und nicht zu vergessen als sein möglicher Nachfolger – musste er auf seinen Ruf achten, aber es war unwahrscheinlich, hier auf jemanden zu treffen, den er kannte. Ein junger Lord, der sich auf einem Markt aufhielt – abgesehen von einem der Nutztiermärkte –, war… nun… es schickte sich nicht und wurde eben unterlassen.

»Komm. Wir müssen Louisa finden.« Er schnappte sich Bannons Arm und zog ihn durch das Ganglabyrinth des Marktes.

Sie liefen den Weg zurück, den sie gekommen waren, doch Blaise entdeckte Betty nicht noch einmal, genauso wenig wie den Mann, der sie seiner Auffassung nach verfolgt hatte. Das beunruhigte ihn. Verdammt noch mal, dieser Mann hatte Betty verängstigt und jetzt wusste sie, dass der Markt nicht sicher war. Beim nächsten Mal würde es noch schwieriger sein, sie aufzuspüren, und er konnte jetzt nicht weitersuchen. In einer Stunde musste er im House of Lords sein.

Wichtig war, dass er sie erkannt hatte und dafür bürgen konnte, dass sie am Leben war… zumindest im Moment. Vielleicht konnte er erwähnen, sie gesehen zu haben, um seine Kollegen dazu zu bringen, etwas angestrengter nach ihr zu suchen. Er hoffte, dass der andere Mann, der ihr nachgejagt war, sie nicht erwischt hatte.

»Redding? Bannon?«

Blaise drehte sich um und sah Louisa mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht auf sie zueilen. Ihr dunkles Haar war noch immer ordentlich und elegant unter ihrer Haube hochgesteckt, doch sie hielt den Rock ihres Hauskleids gerafft, sodass ihre Knöchel zu sehen waren, als würde sie etwas in den Falten ihres Rocks tragen. Dieses Verhalten untergrub die Eleganz ihrer Garderobe und die Stellung, die sie in ihrem Haushalt einnahm, komplett. Sie hätte genauso gut ein schlichtes Kleid aus grobem Stoff tragen können so wie Betty, statt des hellblauen mit Blumenmuster und dem saphirblauen Samtcape.

»Ich habe vier Äpfel und du nur einen Pfirsich«, flötete sie vergnügt und wackelte mit dem Kopf, als sie sich näherte. Sie faltete ihren Rock auseinander und zeigte ihnen die rotbackigen Äpfel.

»Ich fass es ja nicht.« Finster dreinblickend stampfte Bannon mit dem Fuß auf und verschränkte die Arme, wobei er den Pfirsich noch immer in der Hand hielt. »Und du schwörst, dass du sie nicht gekauft hast?«

Louisa lächelte noch breiter und presste sich ihre freie Hand an die Brust. »Bei meiner Ehre.« Sie streckte die Hand aus, die zuvor an ihrer Brust gelegen hatte, und wackelte mit den Fingern. »Zeit zu zahlen.«

Bannon zog einen Schilling aus seiner Tasche und reichte ihn ihr.

Blaise konnte nur vermuten, worum es dabei ging. Wie er und Larkinson waren Bannon und Louisa zusammen aufgewachsen und enge Freunde. Die Töchter ihrer Haushälterin, Larkinson und Louisa waren mit ihnen zusammen unterrichtet und praktisch seit ihrer Geburt dazu erzogen worden, ihre Kammerdienerinnen zu werden. Aber im Gegensatz zu ihm und seiner eigenen Kammerdienerin versuchten diese zwei ständig, sich zu übertrumpfen. Alles, was Bannon tat, musste Louisa nachmachen und umgekehrt. Es war, als gäbe es zwei Bannons.

Als wäre einer nicht schon schlimm genug.

»Los jetzt.« Blaise scheuchte die beiden vorwärts.

Sie setzten sich in Bewegung, doch Bannon starrte Louisa immer noch düster an. Sie schenkte ihm im Gegenzug ein Grinsen und gesellte sich dann an Blaises Seite. »Möchtet Ihr einen Apfel, Mylord?«

»Wahrscheinlich sind da Würmer drin.« Bannon biss ein letztes Mal von seinem Pfirsich ab und warf ihn in einen Mülleimer neben einem der Stände.

»Nein, danke, Louisa.« Er beschloss, sie nicht darauf hinzuweisen, dass sie aus Gründen der Schicklichkeit hinter ihnen gehen sollte, und behielt ihre Umgebung im Auge. »Wie seid ihr an die Äpfel und den Pfirsich gekommen?«

»Louie hat geschummelt, ganz sicher.« Bannon schob seine behandschuhten Hände in die Taschen seines Wintermantels und wirkte recht verstimmt.

»Gar nicht. Wir haben gewettet, wer von uns beiden charmanter sein kann.« Jetzt feixte sie diebisch. »Ich habe gewonnen.« Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen und berührte Blaise am Arm. »Du könntest wahrscheinlich einen ganzen Scheffel Äpfel ergattern. Männer werfen doch immer ein Auge auf dich.«

Blaise bemühte sich, nicht rot zu werden. »Das bezweifle ich.« Außerdem hätte er jetzt gerade lieber eine Betty Jenkins als einen Scheffel von irgendetwas.

Bannon schnaubte. »Das bezweifle ich auch. Blaise bemerkt es doch überhaupt nicht, wenn jemand mit ihm flirtet. Bei ihm dreht sich alles nur um die Arbeit.«

»Das ist nicht wahr.« War das…? Nein, das war eine Küchenmagd, nicht Betty. Moment! Was hat Bannon gesagt? »Männer flirten nicht mit mir.«

»Siehst du?« Bannon deutete auf Blaise und sah an ihm vorbei zu Louisa. »Völlig blind.«

Blaise ignorierte seinen Bruder. Männer flirteten ganz sicher nicht mit ihm. Offen gestanden musste er den Mann, dessen Aufmerksamkeit er für sich gewinnen wollte, auch erst noch kennenlernen.

Etwas weiter vor ihnen am Eingang zum Markt flatterte zwischen zwei Frauen ein flaschengrüner Gehrock im Wind und tauchte wieder in der Menge unter.

»Verfluchter Mist!« Er wartete nicht, ob Bannon und Louisa ihm folgten, was wahrscheinlich ziemlich dämlich war.

Auf dem Bürgersteig lichteten sich die Menschenmassen ein wenig und gaben den Blick auf den Mann im grünen Gehrock frei, der in einem Laden am anderen Ende der Straße verschwand. War der Mann Betty dorthin gefolgt? Die Enge in Blaises Brust löste sich etwas. Eins war sicher – wenn der Mann immer noch rannte, hatte er sie nicht erwischt. Blaise blieb immer noch Zeit, er konnte Betty als Erster erreichen!

»Was ist denn in dich gefahren? Wo willst du hin?«, wollte Bannon außer Atem wissen, als er stolpernd neben Blaise zum Stehen kam.

»Zum Herrenausstatter.«

Stöhnend vergrub sich Dalton Fairfax im Rennen noch etwas tiefer in seiner Kapitänsjacke. Wie viel Pech konnte er eigentlich haben, dass Ravensburg ihn direkt am Tag seiner Rückkehr nach Regelence dabei gesehen hatte, wie er die IN-Basis verließ? Sein Vater, der Marquis of Ravensburg, war die Geißel seiner Existenz. Seine Eltern hingen ihm jetzt schon seit Wochen im Nacken, dass er wieder bei ihnen einziehen und sein Offizierspatent zurückgeben sollte. Ganz sicher nicht.

Der Wind peitschte ihm so heftig ins Gesicht, dass seine Wangen schon vor zwei Blocks taub geworden waren. Er spähte über die Schulter zur Menschenmenge auf dem Bürgersteig, der er gerade entkommen war, lief jedoch weiter. Es war ein bisschen, als würde man versuchen, den Bordo River auf Lerdra hinaufzuschwimmen. Sollten diese Leute nicht gerade den Rausch der letzten Nacht ausschlafen? Die meisten Aristokraten standen doch nicht vor zehn oder so auf und es war gerade einmal halb sieben. Als er einem Kindermädchen auswich, das einen Kinderwagen schob, stieß er beinahe mit einem jungen Lord zusammen.

»Achtung!«

Dalton sprang über eine gefrorene Pfütze hinweg, bevor er sich noch einmal umsah.

Ravensburg streckte den Arm in die Luft, als würde er Dalton zuwinken, während er sich durch das Gedränge auf dem Bürgersteig schob. Wenn sein Gesicht noch röter wurde, sähe er aus wie eine Tomate. Wann war Vater so aus der Form geraten? Oder vielleicht bekam auch er den eiskalten Wind zu spüren?

Eine Spur von Mitleid zusammen mit etwas, das sich verdächtig nach Schuldbewusstsein anfühlte, nagte an Dalton, jedoch nicht hartnäckig genug, um ihn anhalten zu lassen. Irgendwann würde er mit seinem Vater reden müssen, aber nicht jetzt.

Er wich einem Wagen voller Orangen aus, blickte erneut über seine Schulter und – bamm! – stieß mit einem recht weichen Körper zusammen. Umpf. »Sternschnuppendreck!«

»Whoa!« Der nachgiebige Körper wurde in einem Durcheinander aus rotbraunem Stoff und rudernden Armen nach hinten geworfen. Ein Hut segelte dem Mann vom Kopf.

Dalton streckte die Hand aus, um den Mann zu packen, doch der Gehstock des Mannes flog ihm entgegen. Er schnappte den Stock aus der Luft, verfehlte dadurch aber den Arm des Besitzers.

Der Mann landete mit gespreizten Beinen auf dem Hinterteil und sein grauer Kastorhut landete zwischen seinen Knien. Er erinnerte an einen umgeworfenen Bowlingkegel, so wie er sich dort abstrampelte.

Mehrere Passanten hielten an, um zu gaffen.

Dalton zog ernsthaft in Betracht, seine Flucht fortzusetzen, doch wie herzlos wäre das? Er war kein kompletter Rüpel, selbst wenn das bedeutete, dass sein Vater zu ihm aufholte. Seufzend legte er den Gehstock auf den Bürgersteig und streckte seine freie Hand aus. »Tut mir furchtbar leid, mein Bester.«

»Oh, ach was, Ashbourne. Seid Ihr das?« Der Bowlingkegel, ähm… Mann sah blinzelnd aus hellblauen Augen zu Dalton auf. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, was seine hängenden Wangen noch weiter hervortreten ließ. Er sammelte seinen Hut zwischen seinen Beinen ein, setzte ihn auf, hob den Kopf und nahm Daltons Hand mit warmem, feuchtem Griff.

Oh, ihr Sterne. Es war Viscount Tyndel. Ausgerechnet jetzt musste er einem ehemaligen Liebhaber begegnen. Dalton zog und scheiterte daran, dem Viscount beim Aufstehen zu helfen. Bei der Galaxie, der Mann hatte einige Pfunde zugenommen. Er hatte niemals die definierte Figur besessen, die Dalton bei seinen Liebhabern bevorzugte, doch der Mann verfügte über einen talentierten Mund, sodass es Dalton nie übermäßig gestört hatte. Aber jetzt? Das waren praktisch zwei Tyndels.

Dalton arbeitete aus dem Rücken und benutzte den Gehstock als Hebel, als er erneut versuchte, Tyndel aufzuhelfen.

Gemächlich erhob sich Tyndel auf die Füße, wobei er ein wenig schwankte. Er klopfte sich die schokoladenbraune Hose ab und richtete Weste, Jackett und den rotbraunen Paletot. »Seit wann seid Ihr wieder in der Stadt? Als ich das letzte Mal von Euch gehört habe, hieß es, Ihr seid im Dienste der IN auf Lerdra.«

»Richtig. Ähm…« Dalton wagte einen Blick nach hinten. War das Ravensburg? Der Mann schien es durchaus eilig zu haben und der Hut hatte auch die richtige Farbe, doch darüber hinaus konnte Dalton nichts Genaueres erkennen. Ein IN-Soldat ging vor ihm her und ein sehr viel kleinerer, blonder Mann lief an seiner Seite… »Verflucht!« Der Blonde war sein Sire. Wo war der denn hergekommen?

Durch Arthur Fairfax ging ein Ruck, als er ihn erkannte. Er sagte etwas zu – ja, das war definitiv Ravensburg – und deutete in Daltons Richtung. Großartig, jetzt waren ihm beide Elternteile auf den Fersen. Es war ihm gelungen, ihnen während seines Heimaturlaubs im letzten Jahr aus dem Weg zu gehen, weil sie sich auf dem Land in Windswept Abbey aufgehalten hatten, doch es stellte sich schon jetzt als viel schwieriger heraus, sie zu meiden, während sie in der Stadt waren.

Dalton trabte los. Ach, verflucht. Er hatte Tyndel ganz vergessen. Er sah über die Schulter zu dem Viscount zurück, der ihm jetzt mit offenem Mund hinterherschaute, und lief rückwärts weiter. »Bitte verzeiht, Tyndel. Wir unterhalten uns später.« Sein Blick wanderte ein Stück weiter zurück. Argh. Sein Sire war für einen so kleinen Mann wirklich schnell unterwegs. »Familiärer Notfall.« Was nicht gelogen war – es war ein Notfall, dass er seiner Familie entkommen musste. Er floh ohne ein weiteres Wort.

»Oh, na seht mal, wie beschämend«, rief jemand hinter ihm aus.

Dalton grinste über die Absurdität der ganzen Situation und lief weiter. Äußerst beschämend, in der Tat. Beide Lords of Ravensburg rannten einen vollgestopften Bürgersteig mitten in der Innenstadt von Classige entlang. Dalton lachte in sich hinein. Er konnte es nicht erwarten, das Onkel Raleigh zu berichten.

Nachdem er überstürzt in eine Gasse abgebogen war, erreichte er die Green Street und sah sich nach beiden Seiten um. Es gab einen Juwelier, einen Schneider… Da. Der Herrenausstatter. Vielleicht konnte er sich dort verstecken und gleichzeitig etwas einkaufen.

Er überquerte hastig die Straße, wobei er nur knapp einem Gleiter auswich. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte er sich, dass seine Eltern noch nicht durch die Gasse gekommen waren, dann riss er die Tür auf und rannte hindurch.

Das Glöckchen klingelte und… Ah, Wärme! Sein eiskaltes Gesicht und seine brennende Lunge begrüßten das. Er stützte sich mit den Händen auf den Knien ab und atmete erst einmal, dann zweimal tief durch. Er musste sich wirklich dringend wieder an die höhere Lage von Pruluce gewöhnen. Während des vergangenen Jahres auf einem Planeten stationiert worden zu sein, der nichts anderes als Ebenen aufzuweisen hatte, hatte ihm heute keinen Gefallen getan. Er dankte den Sternen für die sechswöchige Spezialausbildung, die er hatte absolvieren müssen, um dem Regelence Special Regiment beitreten zu dürfen, sonst wäre er jetzt in noch schlechterer Form.

»Ahem.«

Dalton hob den Kopf, als ein hochgewachsener, hagerer Mann in einem taubengrauen, eleganten Gehrock und dunkelgrauer Hose um die Ecke auf ihn zukam. Sein verkniffener Gesichtsausdruck machte sehr deutlich, dass Dalton unter seiner Würde war. Das Geschäft belieferte hauptsächlich den gehobenen ton, aber trotzdem… Ein Soldat gehörte nicht gerade zum Pöbel. Außerdem, wie konnte der Verkäufer überhaupt etwas sehen, wenn er die Nase so hoch trug?

Dalton richtete sich zu seiner vollen Größe auf und hob selbst das Kinn. Wenn nötig, konnte er auch arrogant sein.

»Wie kann ich Euch behilflich sein, Leutnant…?« Der Mann sah aus, als hätte er in etwas ziemlich Saures gebissen, und die Art, wie er Daltons Rang aussprach – als wäre er gleichbedeutend mit Pferdeäpfeln –, war sehr beeindruckend.

Dalton unterdrückte das Zucken seiner Mundwinkel kaum. Er starrte an seiner Nase entlang auf den Mann hinab und hob eine Augenbraue. »Leutnant Lord Ashbourne.« Er war sich nicht zu schade, die Lord-Karte auszuspielen, um zu verhindern, dass er aus dem Laden geworfen wurde.

Normalerweise reichte das vollkommen aus und dieser Geschäftsinhaber war da nicht anders.

Mr. Zitronenbeißers gesamtes Verhalten änderte sich und der Stock in seinem Arsch schien verschwunden zu sein. »Willkommen, Mylord. Mein Name ist Humphreys. Was kann ich für Euch tun? Bitte erlaubt mir, Euch den Mantel und…« Sein Blick wanderte zu Daltons Kopf.

Beim verdammten schwarzen Loch, er hatte bei seiner überstürzten Flucht seine Kopfbedeckung verloren.

Humphreys half Dalton hastig aus seiner Kapitänsjacke. »Womit kann ich Euch heute behilflich sein, Mylord?«

»Ich lasse es Euch wissen. Ich werde mich ein wenig umsehen.« Dalton ging an Mr. Stock im Arsch vorbei, wodurch er ihn unumwunden entließ, und fühlte sich deswegen sofort schlecht. Aber der Mann war zuerst unhöflich gewesen, erinnerte er sich – ganz abgesehen davon, dass er aus dem Eingangsbereich verschwinden musste. Obwohl der untere Teil der Tür aus Holz bestand, waren im oberen Bereich Glasscheiben eingesetzt, die einen direkten Blick zur Straße erlaubten.

»Sehr wohl, Mylord. Bitte lasst es mich wissen, wenn ich zu Diensten sein kann. Ich sehe dann später nach Euch?«

Dalton winkte ihm zu, ohne sich umzudrehen, und ging weiter in den Laden hinein. Er benötigte tatsächlich eine neue Zivilgarderobe, die für Regelence angemessener war, für die Zeit, wenn er nicht im Dienst war. Obwohl er nur sehr ungern die kurze Hose und die Sandalen aufgab, die er in seiner Freizeit in der Basis auf Lerdra getragen hatte.

Während er seinen Blick über die Regale voller Krawattentücher schweifen ließ, beschloss er, noch zu stöbern, um etwas mehr Abstand zwischen sich und seine hochgeschätzten Eltern zu bringen.

»Bannon, komm da sofort wieder runter. Was, wenn dich jemand sieht?«

Dalton erstarrte.

Das zornige Flüstern war von irgendwo zu seiner Linken gekommen. Wer auch immer da gerade gesprochen hatte, er wisperte lauter als Daltons Cousin Tarren, was recht beeindruckend war.

»Ich meine es ernst, Bannon.«

Moment mal. Ein Flattern zog sich durch Daltons Magen. Das konnte nicht sein. Bannon war der Name eines Freundes seines Cousins Aiden. Und Bannons Bruder… Konnte das Daltons Adonis sein, der da gerade nach seinem jüngeren Bruder rief?

Bevor er die Sonderausbildung begonnen hatte, war Dalton auf Urlaub zu Hause gewesen und hatte das atemberaubendste engelsgleiche Wesen erblickt, das er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Der Mann hatte seitdem in jeder einzelnen von Daltons Fantasien mitgespielt. Dieses hübsche Gesicht hatte ihm sogar dabei geholfen, die langen Nächte zu überstehen, die er in der Brandung verbracht und an Unterkühlung und Hunger gelitten hatte. Er konnte den Mann immer noch klar und deutlich vor seinem inneren Auge sehen. Ein wahrer Diamant höchster Güte. Lord Redding, Blaise Thompson, der Erbe des Duke of Eversleigh, hatte braunes Haar und die strahlendsten grünen Augen, die Dalton je gesehen hatte – wie Smaragde im Licht der Sonne. Er hatte Lippen, die zum Küssen einluden, und seine Bewegungen waren so anmutig, dass er beinahe ätherisch wirkte. Er war wunderschön, elegant und sehr, sehr verlockend.

Dalton war es nur nicht gelungen, es zu arrangieren, dass sie ei-nander vorgestellt wurden. Irgendwie hatten sich ihre Wege danach nicht wieder gekreuzt, was nicht überraschend war, wenn man bedachte, dass Dalton ein höllischer Schwerenöter war und Blaise… nun, anständig. Keiner von Daltons Cousins hatte ihn ernst genommen, als er um ein Treffen mit dem Viscount gebeten hatte.

Schritte näherten sich hinter ihm. »Mylord, kann ich…«

»Nicht jetzt!« Er wedelte mit der Hand, ohne den Mann anzusehen.

»Hmpf. Sehr wohl, Mylord.«

Verflucht. Dalton wirbelte herum. »Entschuldigt, Humphreys. Ich bitte um Verzeihung. Ich war in Gedanken versunken und habe mich noch nicht entschieden, aber ich lasse es Euch wissen.«

»Sehr wohl, Mylord.« Humphreys neigte sein spitzes Kinn, machte auf dem Absatz kehrt und ging davon.

Dalton eilte zum anderen Ende des Gangs und spähte in den nächsten. Leer. Er blieb vollkommen reglos stehen, schloss die Augen und lauschte. Wo bist du, mein Hübscher?

»Huch.« Das Regalstück ihm schräg gegenüber auf der linken Seite wackelte. Ein schwarzer Kastorhut fiel vom obersten Regalbrett, hüpfte über den marineblauen Teppich und rollte einmal im Kreis, bevor er falsch herum mitten im Gang liegen blieb. »Oh, Dreck! Blaise, lass meine Füße los und hör auf zu ziehen…« Ein Paar schillernd grüner Augen unter einem hellroten Schopf spähte vom Regal herunter. »Oh, hallo.«

»'allo.« Dalton grinste. Nicht nur, dass es tatsächlich Aidens Freund Bannon war, seine Nörgelei bestätigte auch, dass sein umwerfender Bruder sich in der Tat ebenfalls auf der anderen Seite dieser Wand aus Hüten aufhielt. »Könntet Ihr mir den dort reichen?«, bat Bannon.

»Gewiss doch.« Dalton schnappte sich den Hut vom Boden und Wärme breitete sich in ihm aus, als hätte er ein Glas Whiskey getrunken. Endlich würde er den atemberaubenden Viscount Redding kennenlernen. Wurde ja auch Zeit.

»Bannon«, zischte Blaise auf der anderen Seite.

»Ich hab ihn«, antwortete eine weibliche Stimme genauso leise. »Bannon, komm da runter.«

Das Regalstück schwankte.

»Oh!« Bannons Augen wurden groß und sein Kopf verschwand langsam hinter dem obersten Regalbrett.

Drei weitere Hüte fielen von der oberen Kante und einer aus der Mitte des Regals – genau dort, wo sich Bannons Fuß befinden musste – und landeten auf dem Boden. Im Gegensatz zum ersten Hut rollten diese nicht umher, sondern prasselten wie Pfeile herab.

Dalton stellte sich vor, wie das Regal umstürzte und die anderen wie Dominosteine mit sich riss. Er raste mit ausgebreiteten Armen um die Ecke, um den Satansbraten aufzufangen, und stieß direkt mit dem Mann seiner Träume zusammen.

Es war nicht mit der Kollision mit Tyndel zu vergleichen, denn Blaise war überhaupt nicht weich und sah Dalton nicht einmal ansatzweise kommen. Er stürzte wie ein gefällter Baum – ohne sich abfangen zu können.

Dalton streckte die Hand aus, doch der Aufprall hatte auch ihn nach hinten taumeln lassen. Die Manschette von Blaises weichem Wollgehrock glitt ihm durch die Finger, gefolgt von einem sanften Luftzug, der das Unglück besiegelte. Dalton konnte nur noch mit offenem Mund zusehen, wie Blaise auf dem blauen Teppich aufschlug. Der Atem entwich seiner Lunge in einem kaum hörbaren Zischen.

Blaise griff sich an die Brust und rang nach Luft. Der Schmerz und die Überraschung auf seinem Gesicht trafen Dalton so hart, als wäre er selbst gestürzt. Diese wunderschönen grünen Augen weiteten sich und verloren den Fokus. Sein kastanienbraunes Haar fiel ihm attraktiv zerzaust in die Stirn und auf den glatten Alabasterwangen breiteten sich hektische rote Flecken aus, aber trotz alldem war er immer noch der bezauberndste Mann auf ganz Regelence. Er erinnerte Dalton an einen Elfenprinzen aus einem der Märchenbücher, aus denen Großvater zur Schlafenszeit immer vorgelesen hatte.

Bevor Dalton sich bewegen konnte, um nach seinem unglückseligen Opfer zu sehen, kreischte Bannon auf.

Der Rotschopf hielt sich nur noch mit den Fingerspitzen fest und baumelte fast eineinhalb Meter über dem Boden. Das Regalstück wankte vor und zurück, als wäre es von einer Sturmbö erfasst worden.

Eine junge Frau versuchte, die Regale zu stabilisieren, hatte dabei jedoch keinerlei Erfolg. Es war nur eine Frage von Sekunden, bevor das ganze Gerüst kippen würde, und wer wusste schon, in welche Richtung es dann fiel.

Dalton eilte durch den Regen aus Hüten, die wie winzige Geschosse auf den Boden um ihn herum niederprasselten, und fing Bannon mit einem Arm auf. Nachdem er den jungen Mann auf die Füße gestellt hatte, nahm er beide Hände zu Hilfe, um das Regal ins Gleichgewicht zu bringen. Das Mädchen half ihm dabei und das Möbelstück hörte auf zu wanken, doch ein Großteil seines Inhalts war mittlerweile auf dem Teppich verstreut.

Daltons Lippen zuckten, bis er breit lächelte, während er das Durcheinander aus Hüten begutachtete. Manche lagen auf der Seite, manche verkehrt herum, andere richtig herum und ein oder zwei rollten noch umher. In ihrer überkorrekten Gesellschaft war eine kleine, harmlose Dummheit ein Geschenk der Galaxie. Nun, beinahe harmlos. Er schätzte, dass Blaise im Moment wohl anderer Meinung wäre, doch es amüsierte Dalton trotzdem.

Irgendwie hatten alle Hüte bis auf einen Blaise verfehlt, der mittlerweile versuchte, sich aufzurichten, während er nach Luft schnappte und an seinem Krawattentuch zerrte.

Dalton stürzte zu ihm, nahm den grünen Hut von seinem Bauch, schleuderte ihn zur Seite und half Blaise in eine sitzende Position. Dann sank er hinter ihm auf den Boden, lehnte den Rücken des Viscounts an seine Brust und konnte ein Gefühl der Zärtlichkeit nicht unterdrücken. »Ganz ruhig, Süßer.«

Bei der Galaxie, er roch himmlisch. Wie kalte Nächte am Lagerfeuer und das Innere eines Süßwarenladens zugleich.

Blaise sank in Daltons Arme, so warm und voller Vertrauen, und trotz der Situation merkte Daltons Schwanz auf. Mit zusammengebissenen Zähnen wies er seinen Körper an, sich zu benehmen, und fing Blaises Hände ein. Blasse, feingliedrige Hände, die auf Daltons etwas dunklerer Haut großartig aussehen würden. Und solche Gedanken waren ganz sicher kein guter Weg, um seine Selbstbeherrschung zurückzuerlangen. Meine Güte, der Mann bekam keine Luft und Dalton verlor sich in einer Fantasie.

Er löste das Krawattentuch und zog es von Blaises Hals. »Genau so, Süßer, beruhig dich. Versuch, langsam wieder einzuatmen.«

Stück für Stück begann Blaise, sich zu entspannen und Luft zu holen. Bald atmete er freier und Dalton ebenso.

»Na also. Jetzt ist es besser, oder?«

Blaise nickte und bewegte den Rücken von einer Seite zur anderen, kuschelte sich geradezu an Daltons Brust. Er lehnte den Kopf zurück an Daltons Schulter und schloss die Augen, sodass sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihm entfernt war.

Ein paar bezaubernde Sommersprossen sprenkelten seine Wangen und sein schlanker Hals bettelte darum, gebissen zu werden. Der starke Puls, der dort pochte, lockte Daltons Zunge. Ob er wohl salzig oder süß schmeckte? Oder wie eine Mischung aus beidem?

»Oh Mist.« Bannon stand einige Meter entfernt, trug den schwarzen Hut, für den er Leib und Leben riskiert hatte, und rang die Hände. Seine blasse Haut war fast weiß. »Vater wird mich erwürgen.«

Humphreys tauchte mit offenem Mund hinter ihm auf. Ganz wundervoll! Es war nicht vorherzusehen, was der äußerst verklemmte Mann zu dem Schlamassel sagen würde. Offen gesagt konnte Dalton kaum glauben, dass er nicht schon Zeter und Mordio schrie und ihnen die Büttel auf den Hals hetzte.

Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf über den angerichteten Schaden, bevor es sich an Bannon wandte. »Ich habe dir gesagt, dass das eine schlechte Idee ist.«

»Hast du nicht!«, fuhr Bannon sie an. »Du meintest, der Hut würde mir bestimmt hervorragend stehen.«

»Damit meinte ich nicht, dass du raufklettern sollst und…« Sie verstummte und sah zu Humphreys hinüber.

Mit einem Seufzen und einem Stoßgebet an jeden, der zuhörte, dass Humphreys nicht auf der Stelle einen Schlaganfall erleiden möge, begegnete Dalton dem Blick des älteren Mannes. »Ich werde für alles aufkommen, aber erlaubt mir, zunächst Lord Redding wiederzubeleben.«

Erstaunlicherweise explodierte der Geschäftsinhaber nicht. Er straffte die Schultern, schloss den Mund und neigte das Kinn. »Sehr wohl, Mylord.« Nach einem finsteren Blick in Bannons Richtung hob er den Kopf, schniefte und ging davon.

Als wäre er vom Blitz getroffen worden, ruckte Blaise nach vorn und kam mühsam auf die Beine. Er wirbelte herum, sein Blick traf Daltons und ihm blieb der Mund offen stehen. Mehrere Sekunden lang starrten sie einander an.

Dalton hätte sich nicht rühren können, selbst wenn er gewollt hätte. Er saß da, gefesselt von diesen grasgrünen Augen, und wurde von dem tiefgreifenden Gefühl erfasst, dass sein Leben sich gerade unwiderruflich verändert hatte. Er schüttelte den Kopf und versuchte, diesen verrückten Gedanken zu verscheuchen, bevor er auf die Füße sprang. Es war ja nicht so, als wäre er ein Jüngelchen, das zum ersten Mal für jemanden schwärmte. Er glaubte noch nicht einmal an Liebe auf den ersten Blick, aber da war… irgendetwas… eine seltsame Anziehung, die er nicht leugnen konnte. Der Schock in Blaises Augen ließ in Dalton die Frage aufkommen, ob er es ebenfalls spürte.

Blaise schluckte so schwer, dass sein Adamsapfel hüpfte. Ein zaghaftes, schüchternes Lächeln umspielte seine Lippen und diese umwerfenden Augen spähten unter flatternden Wimpern hervor. Hals und Wangen färbten sich rosa, als er sich auf die Unterlippe biss. Er trat einen Schritt näher und alle Farbe wich auf einen Schlag aus seinem Gesicht.

Vielleicht war es die Art, wie seine Augen sich weiteten, oder seine ungelenken Bewegungen, doch Dalton erkannte seine Absicht zu fliehen und sagte: »Blaise, wartet.«

Doch er wartete nicht. Er lief strammen Schrittes davon und trat auf dem Weg hinaus hier und da Hüte zur Seite.

Verdammter Mist! Dalton streckte die Hand aus, als könnte er seinen Rückzug damit irgendwie verhindern, doch Blaise beschleunigte seine Schritte.

Bannon und das Mädchen stolperten ihm hinterher. Nach ein paar Sekunden blickte Bannon mit verlegenem Gesichtsausdruck über seine Schulter zu Dalton zurück. »Entschuldigung. Und danke.«

Dalton nickte. Verflucht noch mal! Was hatte er getan? Nun, abgesehen davon, dass er den Mann über den Haufen gerannt hatte, natürlich. Er verdrehte die Augen über sich selbst und stöhnte. Er beobachtete, wie Blaise mit flatternden Rockschößen hinter der nächsten Ecke verschwand.

Ugh. So hatte sich Dalton ihre erste Begegnung sicher nicht vorgestellt. So viel zum ersten Eindruck. Er würde wohl einen besseren zweiten machen müssen. Sein Blick wanderte über die Hüte, die auf dem Boden verstreut waren, und er lachte leise.

Das sollte nicht allzu schwer sein.

Kapitel 2

Ein bekanntes Mitglied des IN-Ratsausschusses und sein zierlicher Consort wurden heute Morgen dabei gesehen, wie sie die Platt Street hinuntergerannt sind. Hat der Marquis den Verstand verloren? Vielleicht liegt es an den Überstunden, die er im House of Lords ableistet. Gerüchten zufolge ist er schon wieder mit Ratsherr Eversleigh über politische Fragen aneinandergeraten.

– Aus der Regelence Post, Kolumne über die Geschehnisse im House of Lords

Es gab Momente in seinem Leben, auf die er zurückblickte und sich fragte, ob er von allen guten Geistern verlassen war. Das hier war so ein Moment. Eigentlich fragte Blaise sich gar nicht, er wusste es ganz sicher.

Während er sich rücklings an die Backsteinmauer in der Gasse neben dem Herrenausstatter Hart and Sons lehnte, starrte er hinunter auf seine Füße, als könnten sie ihm Antworten liefern. Niemals in seinen zweiundzwanzig Lebensjahren hatte er eine solche Hitze wie die erlebt, die ihn verzehrt hatte, als er dem Blick dieses Mannes begegnet war. Er war sich nicht sicher, ob ihm das Gefühl gefiel. Nein, er war überzeugt, dass es ihm völlig egal war. Trotz der beißend kalten Luft und seines fehlenden Wintermantels war ihm heiß und sein Herzschlag überschlug sich unkontrolliert.

»Tut mir leid.« Bannon schob sich in sein Sichtfeld und knabberte an seiner Unterlippe. »Geht's dir gut? Kannst du wieder atmen?«

Ach, jetzt macht er sich Sorgen? Blaise fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und nickte. Wenn Bannon schlussfolgerte, dass ihm noch immer die Nachwirkungen des Sturzes zu schaffen machten, würde Blaise ihn bestimmt nicht korrigieren. Er konnte ja wohl kaum zugeben, dass er auf der Stelle umkehren und sich wieder in die Arme dieses Mannes werfen wollte. Da war es doch besser, weggerannt zu sein und für einen echten Trottel gehalten zu werden.

»Ich hab diesen Hut gesehen und musste ihn haben. Ich wollte nicht, dass sie alle runterfallen. Ich hätte auf dich hören sollen, aber ich war mir sicher, dass ich ihn schon kriege.« Bannon setzte Blaise seinen Hut auf den Kopf und legte ihm den Mantel um die Schultern, als würde er ein Kind ankleiden.

Oh, um Himmels… Blaise stopfte die Arme in seinen Paletot. Als großer Bruder war es an ihm, die Verantwortung zu übernehmen. Er sollte Bannon mal ordentlich den Kopf waschen. Diesmal hatte er es wirklich verdient. Er hatte nicht nur sich selbst in Gefahr gebracht, sondern hätte auch andere dadurch verletzen können. »Wegen dir habe ich den Mann in Grün verloren.«

Louisa, die hinter Bannon stand, verzog schuldbewusst das Gesicht. »Glaubst du, der Mann im grünen Gehrock hat die Frau des Admirals erwischt?«

»Ich hoffe nicht, aber ich werde es Vater und dem Ausschuss berichten müssen.« Und er freute sich nicht darauf. Ihren Eltern würde nicht gefallen, dass er auf den Markt gegangen war, doch er konnte jetzt auch nicht schweigen, um seine eigene Haut zu retten. »Betty schwebt vielleicht in Gefahr und wir müssen sie schnell ausfindig machen.« Wenn ihr irgendetwas zustieß, weil er Aufmerksamkeit auf sie gelenkt hatte… Nun, darüber wollte er nicht nachdenken. Er rückte seinen Hut zurecht, sah sich in der düsteren Gasse um und erschauderte heftig. Er musste wirklich nicht ganz bei Sinnen gewesen sein, als er geflüchtet war. Überall lagen Pappkartons, Holzkisten und Abfall herum. »Lasst uns gehen.«

Ein Rascheln – oder war es ein Schlurfen? – hallte von den Wänden der umstehenden Gebäude wider und eine der Kisten bewegte sich leicht. Wahrscheinlich Ratten oder anderes Getier. Igitt, er hasste Nager. Das würde seinem Unglück noch die Krone aufsetzen.

Louisa schrak bei dem Geräusch zusammen und drehte sich um. »Hättest du dir nicht einen besseren Zufluchtsort aussuchen können?«

»Ich… bin in Panik geraten«, gab er widerwillig zu.