Das Herz des Verräters - Mary E. Pearson - E-Book

Das Herz des Verräters E-Book

Mary E. Pearson

4,8

Beschreibung

Lia wird in den Palast von Venda verschleppt und muss um ihr Leben fürchten. Eine Flucht wäre der einzige Ausweg, scheint jedoch unmöglich. Stattdessen setzt sie alles daran, sich im Palastleben zurechtzufinden. Sie hat längst ihr Herz an einen der Männer aus der Taverne verloren, und auch erfahren, wer er wirklich ist. Doch Gut und Böse sind nicht eindeutig verteilt. Denn auch der Mann, der eigentlich ihr Feind sein müsste, stellt sich plötzlich ein ums andere Mal auf ihre Seite. Warum?

Während Lia am Palast nach neuen Verbündeten sucht, wird sie immer häufiger von der Gabe der Vorsehung heimgesucht. Galt sie lange als diejenige Erstgeborene, die ohne dieses wichtige Talent geboren wurde, so zeigt sich ihr die Zukunft nun immer häufiger. Doch dieser Blick offenbar Dinge, die nicht nur ihr Schicksal, sondern auch das Schicksal eines ganzen Volkes beeinflußen könnten ...


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Inhalt

Cover

Über das Buch

Titel

Impressum

Widmung

Gaudrels Vermächtnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Buch des Heiligen Textes von Morrighan

Kapitel 3 – Kaden

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6 – Pauline

Kapitel 7

Vendas Lied

Kapitel 8 – Rafe

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11 – Kaden

Gaudrels Vermächtnis

Kapitel 12

Kapitel 13 – Kaden

Kapitel 14

Kapitel 15 – Rafe

Kapitel 16

Gaudrels Vermächtnis

Kapitel 17

Kapitel 18 – Kaden

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21 – Pauline

Vendas Lied

Kapitel 22

Kapitel 23 – Rafe

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26 – Kaden

Kapitel 27 – Rafe

Gaudrels Vermächtnis

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Buch des Heiligen Textes von Morrighan

Kapitel 31 – Kaden

Kapitel 32 – Rafe

Kapitel 33

Buch des Heiligen Textes von Morrighan

Kapitel 34

Kapitel 35 – Rafe

Kapitel 36

Kapitel 37 – Rafe

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40 – Kaden

Kapitel 41 – Pauline

Gaudrels Vermächtnis

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44 – Kaden

Kapitel 45 – Rafe

Kapitel 46

Buch des Heiligen Textes von Morrighan

Kapitel 47

Kapitel 48 – Kaden

Kapitel 49 – Rafe

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52 – Rafe

Kapitel 53

Kapitel 54

Buch des Heiligen Textes von Morrighan

Kapitel 55

Kapitel 56 – Kaden

Kapitel 57

Kapitel 58

Vendas Lied

Kapitel 59 – Kaden

Kapitel 60 – Pauline

Kapitel 61

Kapitel 62

Vendas Lied

Kapitel 63

Kapitel 64 – Rafe

Danksagung

Karte

ÜBER DAS BUCH

Lia wird in den Palast von Venda verschleppt und muss um ihr Leben fürchten. Eine Flucht wäre der einzige Ausweg, scheint jedoch unmöglich. Stattdessen setzt sie alles daran, sich im Palastleben zurechtzufinden. Sie hat längst ihr Herz an einen der Männer aus der Taverne verloren, und auch erfahren, wer er wirklich ist. Doch Gut und Böse sind nicht eindeutig verteilt. Denn auch der Mann, der eigentlich ihr Feind sein müsste, stellt sich plötzlich ein ums andere Mal auf ihre Seite. Warum? Während Lia am Palast nach neuen Verbündeten sucht, wird sie immer häufiger von der Gabe der Vorsehung heimgesucht. Galt sie lange als diejenige Erstgeborene, die ohne dieses wichtige Talent geboren wurde, so zeigt sich ihr die Zukunft nun immer häufiger. Doch dieser Blick offenbar Dinge, die nicht nur ihr Schicksal, sondern auch das Schicksal eines ganzen Volkes beeinflußen könnten …

ÜBER DIE AUTORIN

Mary E. Pearson hat bereits verschiedene Jugendbücher geschrieben. Der Kuss der Lüge, Auftaktband der Chroniken der Verbliebenen, ist der erste ihrer Titel, der auf Deutsch erscheint. In den USA hat sie damit in Bloggerkreisen geradezu einen Hype ausgelöst. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Hunden in Kalifornien.

MARY E. PEARSON

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Barbara Imgrund

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:Copyright © 2015 by Mary E. Pearson

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Julia Przeplaska, IngolstadtUmschlaggestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung einer Gestaltung von Jeannine Schmelzer nach einem Entwurf von © 2015 by Rodrigo Adolfo; Umschlagdesign by Rich DeasUmschlagmotive: Trevillon Images: IlinaSimeonova | Aval Adronund sowie Shutterstock; © iStock.com/Creative-Family; shutterstock: faestock | Olga KudryashovaE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4080-8

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de

Für Kate Farrell,Freundin und Lektorinund Siarrah des höchsten Ordens

Gaudrels Vermächtnis

Ihre Tränen trägt der Wind.Sie ruft nach mir,und ich kann nur flüstern.Du bist stark,Stärker als dein Schmerz,Stärker als dein Kummer,Stärker als sie alle.

Gaudrels Vermächtnis

Kapitel 1

EINE EINZIGE, RASCHE TAT.

Ich hatte gedacht, dass das genügen würde.

Ein Messer in die Eingeweide. Dann einmal drehen.

Aber als Venda mich verschlang, als die unförmigen Mauern und Hunderte neugieriger Gesichter mich umringten, als ich das Klirren von Ketten hörte, als sich die Zugbrücke hinter mir hob und mich vom Rest der Welt abschnitt, wusste ich, dass meine nächsten Schritte sicher sein mussten.

Ohne Fehler.

Es würde vieler Taten bedürfen, nicht nur einer, und jeder Schritt musste wohlbedacht sein. Es galt, Lügen auszusprechen. Vertrauen zu gewinnen. Hässliche Grenzen zu überschreiten. Und all das musste geduldig miteinander verwoben werden. Wobei Geduld nicht gerade meine Stärke war.

Aber mehr als alles andere musste ich zuerst dafür sorgen, dass mein Herz nicht mehr so fürchterlich in meiner Brust hämmerte. Dass ich wieder zu Atem kam. Dass ich ruhig wirkte. Angst war der Lockstoff für Wölfe. Die Neugierigen rückten näher und glotzten mich mit halb offenen Mündern an, die faulige Zähne zum Vorschein brachten. Waren sie belustigt, oder verspotteten sie mich?

Und dann war da noch das Klackern der Totenschädel. Das zunehmende Rasseln trockener Knochen pflanzte sich durch die Menge fort, in der jeder darum rangelte, besser sehen zu können: Schnüre aus kleinen sonnengebleichten Köpfen, Oberschenkelknochen und Zähnen, die an ihren Gürteln baumelten, während sie vorwärtsdrängten, um mich zu beäugen. Und Rafe.

Ich wusste, dass er gefesselt irgendwo hinter mir am Ende des Zuges lief. Wir waren beide Gefangene – aber Venda machte keine Gefangenen. Jedenfalls bis jetzt nicht. Wir waren mehr als ein Kuriosum. Wir waren der Feind, den sie noch nie zu Gesicht bekommen hatten. Umgekehrt waren sie genau dasselbe für mich.

Wir passierten nicht enden wollende, vorspringende Türmchen, Ebenen von gewundenen Steinmauern, die schwarz von Ruß und Alter waren und sich wie ein lebendiges, schmutzstarrendes Untier wanden. Es war eine Stadt, die aus Verfall und Willkür erbaut war. Das Brüllen des Flusses verklang hinter mir.

Ich werde uns beide hier herausholen.

Rafe zweifelte vermutlich gerade daran, dass er das Versprechen, das er mir gegeben hatte, auch würde einhalten können.

Wir durchschritten eine weitere Reihe massiver, schartiger Tore mit gezahnten Eisenriegeln, die sich auf rätselhafte Weise vor uns öffneten, als würde man unsere Ankunft im Voraus erahnen. Unser Zug wurde kleiner, da die Soldatentrupps nun, da sie zu Hause waren, in verschiedene Richtungen abschwenkten. Sie verschwanden in sich schlängelnden Gassen, die im Schatten hoher Mauern lagen. Der Chievdar führte uns Übrige weiter, und die Fuhrwerke mit der Siegesbeute klirrten vor mir her, während wir in den Bauch der Stadt eintauchten. War Rafe immer noch irgendwo hinter mir, oder hatten sie ihn durch eines dieser armseligen Gässchen weggeschafft?

Kaden schwang sich von seinem Pferd und kam zu mir. »Wir sind fast da.«

Eine Welle der Übelkeit erfasste mich. Walther ist tot, rief ich mir ins Gedächtnis. Mein Bruder ist tot. Es gab nichts, was sie mir noch hätten nehmen können. Bis auf Rafe. Ich musste jetzt an mehr als mich selbst denken. Das änderte alles. »Wo ist da ?«, versuchte ich, ruhig zu fragen, doch die Worte verließen heiser und holperig meine Lippen.

»Wir gehen ins Sanctum. Das ist unser Gericht. Dort versammeln sich die Anführer.«

»Und der Komizar.«

»Lass mich das Reden übernehmen, Lia. Nur dieses eine Mal. Bitte – sag kein Wort.«

Ich sah Kaden an. Er biss die Zähne zusammen und zog die Augenbrauen herab, als hätte er Kopfschmerzen. Blickte er dem Wiedersehen mit seinem eigenen Anführer nervös entgegen? Oder dem, was der Komizar tun würde? Würde man es ihm als Verrat auslegen, dass er mich nicht getötet hatte, wie ihm befohlen worden war? Das blonde Haar hing ihm jetzt in fettigen, kraftlosen Strähnen bis weit über die Schultern herab. Sein Gesicht war öl- und dreckverschmiert. Es war lange her, dass wir beide ein Stück Seife gesehen hatten – aber das war noch das geringste unserer Probleme.

Wir näherten uns einem weiteren Tor. Dieses bestand aus einer hoch aufragenden platten Eisenwand, die mit Nieten und Schießscharten übersät war. Augen spähten hindurch. Ich hörte Rufen von der anderen Seite und das schwere Läuten einer Glocke. Es vibrierte in meiner Brust, und ich spürte jeden Glockenschlag bis in die Zähne hinein.

Zsu viktara. Bleib stark. Ich reckte das Kinn höher und meinte fast zu fühlen, wie Reenas Fingerspitzen es emporschoben. Langsam teilte sich die Wand in der Mitte, und die Torhälften wichen zurück, um uns Zutritt zu einer gewaltigen Freifläche zu gewähren, die ebenso missgestaltet und trostlos anmutete wie der Rest der Stadt. An alle Seiten grenzten Mauern, Türme und schmale Gassen an, die sich im Schatten verloren. Gewundene, mit Zinnen bekrönte Wehrgänge verliefen über unseren Köpfen, und jeder mündete in den nächsten, um mit ihm zu verschmelzen.

Das Fuhrwerk des Chievdars bewegte sich vorwärts, und die übrigen Wagen drängten ihm nach. Wachen in den Innenhöfen riefen Willkommensgrüße und grölten anerkennend angesichts des Nachschubs an Schwertern und Sätteln und des funkelnden Durcheinanders von Raubgut, das sich hoch auf den Wagen türmte – all das, was noch von meinem Bruder und seinen Kameraden übrig war. Es schnürte mir die Kehle zu, denn ich wusste, dass bald einer von ihnen Walthers Wehrgehänge und Schwert tragen würde.

Ich grub die Finger in die Handflächen, aber ich hatte nicht mehr genug Nagel übrig, um die Haut zu verletzen. Die Nägel waren bis zum Nagelbett hinab ausgerissen. Ich rieb mir die blutigen Fingerkuppen, und ein heftiger Schmerz ließ meine Brust erbeben. Überraschenderweise setzte mir dieser kleine Verlust meiner Nägel zu, obwohl es doch ganz andere Monstrositäten zu verkraften galt. Es war blanker Hohn, dass ich nichts hatte, nicht einmal einen Fingernagel, um mich zu verteidigen. Alles, was ich besaß, war ein geheimer Name, der mir jetzt genauso nutzlos erschien wie der Titel, mit dem ich geboren worden war. Lass es wahr werden, Lia, sagte ich zu mir selbst. Aber obwohl ich die Worte nur im Geiste sprach, spürte ich meine Zuversicht schwinden. Es stand jetzt viel mehr auf dem Spiel als noch vor einigen Stunden. Jetzt konnte alles, was ich tat, auch Rafe schaden.

Es wurde befohlen, die unrechtmäßig erworbenen Schätze abzuladen und nach drinnen zu schaffen. Jungen, die jünger waren als Eben, huschten mit kleinen zweirädrigen Karren zu beiden Seiten der Fuhrwerke herbei und halfen den Wachen, sie zu füllen. Der Chievdar und seine Leibwache stiegen ab und erklommen einige Stufen, die zu einem langen Gang führten. Die Jungen folgten ihnen und schoben die vollgepackten Karren eine nahe Rampe hinauf; ihre dünnen Arme mussten sich bei dem Gewicht ordentlich anstrengen. Einige der Beutestücke, die sie aufgeladen hatten, waren noch blutbefleckt.

»Da geht’s zum Sanctumsaal«, sagte Kaden und deutete in die Richtung, in die die Jungen unterwegs waren. Ja, er war nervös, ich hörte es seinem Tonfall an. Wenn selbst er den Komizar fürchtete, welche Chance sollte ich dann haben?

Ich blieb stehen, drehte mich um und versuchte, Rafe irgendwo hinter mir in den Reihen der Soldaten auszumachen, die noch immer durchs Tor kamen. Aber alles, was ich sehen konnte, war Malich, der dicht hinter uns sein Pferd am Zügel führte. Er grinste; sein Gesicht trug noch die Spuren meines Angriffs. »Willkommen in Venda, Prinzessin«, höhnte er. »Ich verspreche dir, jetzt wird alles anders.«

Kaden zog mich wieder zu sich herum und hielt mich fest. »Bleib in meiner Nähe«, flüsterte er. »Zu deinem eigenen Besten.«

Malich lachte und weidete sich an seiner eigenen Drohung; aber diesmal wusste ich, dass er recht hatte. Alles war jetzt anders. Mehr, als Malich auch nur ahnen konnte.

Kapitel 2

DER SANCTUMSAAL WAR KAUM MEHR als eine düstere Schenke, wenn auch eine riesige. Berdis Gaststube hätte viermal hineingepasst. Es roch nach verschüttetem Bier, feuchtem Stroh und Völlerei. Säulen säumten die vier Seiten, Fackeln und Laternen erhellten den Raum. Die hohe Decke war völlig verrußt, und eine gewaltige, rohe Holztafel stand schwer und angeschlagen in der Mitte. Zinnkrüge ruhten auf der Tischplatte oder wurden von fleischigen Händen geschwungen.

Die Anführer.

Kaden und ich hielten uns in dem dunklen Gang hinter den Säulen, während die Anführer den Chievdar und seine Leibwache mit lärmenden Rufen und allerlei Schlägen auf den Rücken begrüßten. Krüge wurden den heimkehrenden Soldaten dargeboten, man prostete ihnen zu und rief nach noch mehr Bier. Ich sah, wie Eben, der kleiner als einige der bedienenden Jungen war, eine Zinntasse an die Lippen hob, denn auch er war wie der Rest ein heimkehrender Soldat. Kaden schob mich schützend ein Stück hinter sich; ich suchte den Raum weiter nach dem Komizar ab, um vorbereitet zu sein auf das, was auch immer da kommen mochte. Einige Männer waren wahre Riesen wie Griz – zum Teil sogar noch größer –, und ich fragte mich, welche Kreaturen menschlicher wie auch tierischer Natur dieses sonderbare Land wohl hervorbrachte. Ich heftete den Blick auf einen von ihnen. Jedes seiner Worte war ein Knurren, und die umherhuschenden Jungen hielten respektvoll Distanz zu ihm. Ich dachte, er müsse der Komizar sein, aber ich sah, dass Kaden ebenfalls den Blick schweifen und den vierschrötigen Grobian links liegen ließ.

»Das ist die Legion der Statthalter«, sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Sie herrschen über die Provinzen.«

Venda hatte Provinzen? Und eine Rangordnung jenseits von Meuchelmördern, Plünderern und einem Komizar, der mit eiserner Faust regierte? Die Statthalter unterschieden sich durch schwarze Achselstücke aus Fell an den Schultern von den Dienern und Soldaten. Eine bronzene Spange, die wie die gebleckten Zähne eines Raubtiers geformt war, bekrönte das Fell. Auf diese Weise erschien die Statur der Männer doppelt so imposant und schrecklich.

Der Krawall wuchs zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen an, das von den Steinwänden und dem blanken Boden widerhallte. Nur in einer Ecke des Raums lag ein Haufen Stroh, der etwas von dem Lärm schluckte. Die Jungen stellten ihre Karren vor einer Säulenreihe ab, und die Statthalter nahmen die Beute in Augenschein. Sie hoben Schwerter hoch, prüften, ob sie gut austariert waren, und rieben mit dem Unterarm über lederne Brustplatten, um das verkrustete Blut abzuwischen. Sie untersuchten die einzelnen Stücke, als befänden sie sich auf einem Markt. Ich beobachtete, wie einer von ihnen ein Schwert in die Hand nahm, in dessen Griff roter Jaspis eingelegt war. Walthers Schwert. Mein Fuß schob sich automatisch nach vorn, aber ich beherrschte mich und zwang ihn zurück an Ort und Stelle. Noch nicht.

»Warte hier«, raunte Kaden und trat aus dem Schatten. Ich rückte näher an eine Säule heran und versuchte, mich zurechtzufinden. Ich sah drei dunkle Gänge, die neben jenem, den wir genommen hatten, in den Sanctumsaal mündeten. Wohin führten sie, und waren sie ebenso bewacht wie der, der hinter mir lag? Und was am wichtigsten war: Führte einer von ihnen zu Rafe?

»Wo ist der Komizar?«, fragte Kaden auf Vendisch, ohne eine bestimmte Person anzusprechen; seine Stimme drang kaum durch den Lärm.

Ein Statthalter wandte sich um und noch einer. Der Raum versank plötzlich in Schweigen. »Der Attentäter ist hier«, sagte eine gesichtslose Stimme irgendwo am anderen Ende der Halle.

Es entstand eine unangenehme Pause; dann bahnte sich ein beleibter Mann mit vielen roten Zöpfen, die ihm über die Schultern fielen, den Weg durch die Menge und riss Kaden in eine Umarmung, um ihn zu Hause willkommen zu heißen. Der Lärm brandete wieder auf, aber viel gedämpfter als zuvor, und ich wunderte mich über die Wirkung, die die Anwesenheit eines Attentäters hier hatte. Es erinnerte mich daran, wie Malich sich Kaden gegenüber auf dem langen Ritt durch die Cam Lanteux verhalten hatte. Er hatte ihn ständig provoziert und wäre ihm ebenbürtig gewesen, doch er gab immer wieder nach, wenn Kaden auf seinem Standpunkt beharrte.

»Der Komizar wurde gerufen«, sagte der Statthalter zu Kaden. »Das heißt – wenn er kommt. Er ist beschäftigt mit …«

»Einer Besucherin«, vollendete Kaden.

Der Statthalter lachte. »Das ist sie. Die Art Besucherin, die ich auch gern mal hätte.«

Weitere Statthalter kamen hinzu, und einer mit einer langen schiefen Nase drückte Kaden einen Krug in die Hand. Er hieß ihn willkommen und rügte, dass er so lange im Urlaub gewesen sei. Noch ein Statthalter tadelte ihn, weil er in Venda häufiger ab- denn anwesend sei.

»Ich gehe, wohin mich der Komizar schickt«, antwortete Kaden.

Einer der übrigen Statthalter, der so groß wie ein Bulle war und eine ebenso breite Brust hatte, erhob seinen Krug zu einem Trinkspruch. »Wie wir alle«, erwiderte er und warf den Kopf zurück, um einen langen, unbekümmerten Schluck zu nehmen. Bier schwappte an den Seiten aus dem Krug und tropfte von seinem Bart auf den Boden. Selbst dieser bullige Hüne sprang, wenn der Komizar mit den Fingern schnippte, und er scheute sich nicht davor, es zuzugeben.

Obwohl sie nur Vendisch sprachen, verstand ich fast alles, was sie sagten. Ich kannte viel mehr als nur vendische Kraftausdrücke. Das wochenlange Eintauchen in diese Sprache auf dem Ritt durch die Cam Lanteux hatte meinem Unwissen abgeholfen.

Während Kaden ihre Fragen zu seiner Reise beantwortete, blieb mein Blick an einem weiteren Statthalter hängen, der ein verziertes Wehrgehänge von einem der Karren zog und mit Gewalt versuchte, es sich um den ausladenden Bauch zu schnallen. Mir wurde schwindelig und schlecht, dann schoss Zorn durch meine Adern. Ich schloss die Augen. Noch nicht. Lass dich nicht schon in den ersten zehn Minuten umbringen. Das hat Zeit bis später.

Ich holte tief Luft, und als ich die Augen wieder öffnete, entdeckte ich ein Gesicht im Schatten. Jemand beobachtete mich von der anderen Seite des Saals aus. Ich konnte nicht wegschauen. Nur ein Lichtstreifen erhellte das Gesicht. Die dunklen Augen waren ausdruckslos, aber gleichzeitig fesselnd auf mich geheftet wie bei einem Wolf, der seine Beute fixierte – ohne jede Eile anzugreifen, selbstsicher. Er lehnte lässig an einer Säule; er war jünger als die Statthalter und sein Gesicht ganz glatt bis auf eine präzise definierte Bartlinie an seinem Kinn und einen dünnen, sorgfältig gestutzten Schnurrbart. Sein dunkles Haar war zerzaust, die Locken fielen ihm bis über die Schultern. Er trug weder die Fellstücke eines Statthalters auf den Schultern noch das Ledergewand eines Soldaten, sondern nur eine einfache hellbraune Hose und ein weites weißes Hemd. Ganz offensichtlich war er nicht eifrig damit beschäftigt, jemandem aufzutischen, daher gehörte er auch nicht zu den Dienern. Seine Augen glitten über mich hinweg, als wäre er gelangweilt, und er ließ den Rest der Szene auf sich wirken: die Statthalter, die die Beute betatschten und dazu Bier soffen. Und dann Kaden. Ich sah, dass er Kaden beobachtete.

Hitze schoss mir durch die Eingeweide.

Er.

Der Mann trat hinter der Säule hervor mitten in den Saal hinein, und bei seinen ersten Schritten wusste ich es. Dies war der Komizar.

»Willkommen daheim, Kameraden!«, rief er laut. Der gesamte Raum verstummte unverzüglich. Jeder drehte sich zu der Stimme um, auch Kaden. Der Komizar durchmaß langsam den Saal, und jeder, der ihm im Weg stand, wich zurück. Ich verließ den Schatten und stellte mich neben Kaden. Ein Raunen lief durch den Raum.

Der Komizar blieb ein paar Schritte vor uns stehen. Er ignorierte mich und sah Kaden an; dann trat er endlich heran und begrüßte ihn mit einer aufrichtigen Umarmung.

Als er Kaden losließ und wieder einen Schritt zurücktrat, bedachte er mich mit einem kühlen, leeren Blick. Ich konnte kaum glauben, dass dies der Komizar war. Er hatte ein glattes Gesicht ohne jede Falte; dieser Mann war nur ein paar Jahre älter als Walther und für Kaden eher ein älterer Bruder als ein Führer, den er fürchten musste. Er entsprach so gar nicht dem schrecklichen Drachen aus Vendas Lied – dem, der Blut trank und Träume stahl. Er war nur von durchschnittlicher Statur und hatte ganz und gar nichts Einschüchterndes an sich außer seinem starren Blick.

»Was ist das?«, fragte er in einem Morrighesisch, das fast so akzentfrei war wie das von Kaden, und wies mit dem Kopf auf mich. Er spielte Spielchen. Er wusste genau, wer ich war, und wollte sichergehen, dass ich jedes Wort verstand.

»Prinzessin Arabella, Erste Tochter des Hauses Morrighan«, antwortete Kaden.

Erneut lief ein ersticktes Murmeln durch den Saal. Der Komizar lachte auf. »Sie? Eine Prinzessin?«

Er umkreiste mich langsam und begutachtete die Lumpen und den Schmutz an meinem Körper, als könnte er es nicht glauben. Dann blieb er neben mir stehen, auf Höhe der Stelle, wo der Stoff an meiner Schulter zerrissen war und das Kavah entblößte. Er sah aus, als wäre er leicht amüsiert, und fuhr dann mit der Rückseite eines Fingers meinen Arm hinunter. Ich bekam Gänsehaut, reckte aber das Kinn, als wäre er nur eine lästige Fliege, die durch den Raum summte. Er setzte den Kreis fort, bis er wieder vor mir stand. Er knurrte. »Nicht sehr beeindruckend, oder? Aber das sind ja die wenigsten Königlichen. Ungefähr genauso interessant wie ranziger Brei.«

Noch einen Monat zuvor hätte ich nur zu gern nach diesem Köder geschnappt und dem Komizar mit ein paar hitzigen Worten Paroli geboten, aber jetzt wollte ich so viel mehr, als ihn nur beleidigen. Ich erwiderte seinen Blick und mit ihm Wimpernschlag für Wimpernschlag seine Gleichgültigkeit. Er rieb sich mit dem Handrücken über die Linie seines dünnen, sorgfältig geschorenen Barts, während er mich weiter musterte.

»Es war ein langer Ritt«, erklärte Kaden. »Für sie war er hart.«

Der Komizar hob die Augenbrauen in gespielter Überraschung. »Das hätte er nicht sein müssen«, sagte er. Seine Stimme wurde lauter, damit ihn der gesamte Saal auch sicher verstand, auch wenn seine Worte noch immer an Kaden gerichtet waren. »Ich meine, dir befohlen zu haben, ihr die Kehle durchzuschneiden. Und nicht, sie als dein Mäuschen hierherzubringen.«

Spannung lag in der Luft. Niemand führte einen Krug an die Lippen. Niemand rührte sich. Vielleicht warteten sie darauf, dass der Komizar zu den Karren hinüberging, ein Schwert zog und meinen Kopf in die Mitte des Raumes rollen ließ, was in ihren Augen sein gutes Recht war. Kaden hatte sich über seinen Befehl hinweggesetzt.

Aber da war etwas zwischen Kaden und dem Komizar, etwas, das ich noch nicht ganz durchschaute. Irgendeine Verbindung.

»Sie hat die Gabe«, sagte Kaden. »Ich dachte, dass sie Venda lebendig mehr nützt als tot.«

Bei der Erwähnung der »Gabe« sah ich, wie Blicke zwischen den Dienern und Statthaltern hin und her wanderten; doch noch immer sagte niemand ein Wort. Der Komizar lächelte zugleich einschüchternd und einladend. Mein Nacken prickelte. Dies war ein Mann, der wusste, wie man mit einer winzigen Geste einen ganzen Saal unter seine Kontrolle brachte. Er ließ sich in die Karten schauen. Sobald ich seine Stärken kannte, würde ich vielleicht auch seine Schwächen entdecken. Jeder hatte welche. Selbst der gefürchtete Komizar.

»Die Gabe!« Er lachte und drehte sich zu den anderen um, weil er erwartete, dass sie ebenfalls lachen würden. Was der Fall war.

Er schaute zu mir zurück; das Lächeln war nun fort. Dann nahm er meine Hand in seine. Er untersuchte meine Verletzungen, wobei sein Daumen so sanft wie flüchtig meinen Handrücken berührte. »Hat sie auch eine Zunge?«

Diesmal war es Malich, der lachte; er trat zu der Tafel in der Mitte des Raumes und knallte seinen Krug darauf. »Wie eine kichernde Hyäne. Und ihr Biss ist genauso gemein.« Der Chievdar pflichtete ihm bei. Ein Murmeln erhob sich unter den Soldaten.

»Und doch«, sagte der Komizar, während er sich wieder mir zuwandte, »bleibt sie stumm.«

»Lia«, flüsterte Kaden und stieß mich an. »Du darfst jetzt sprechen.«

Ich sah ihn an. Dachte er, dass ich das nicht wusste? Glaubte er wirklich, dass es seine Warnung gewesen war, die mich hatte schweigen lassen? Mir war viel zu oft von Leuten, die Macht über mich hatten, der Mund verboten worden. Aber nicht hier. Meine Stimme würde Gehör finden, aber ich würde erst sprechen, wenn es meinen Zwecken dienlich war. Ich ließ weder ein Wort verlauten noch eine Regung erkennen. Der Komizar und seine Statthalter waren keinen Deut anders als die Menschen, denen ich auf dem Weg hierher begegnet war. Sie waren neugierig. Eine echte morrighesische Prinzessin. Ich wurde vorgeführt. Der Komizar erwartete einen kleinen Auftritt vor ihm und seiner Legion an Statthaltern. Nahmen sie an, dass ich Edelsteine spucken würde? Wahrscheinlicher war, dass alles, was ich sagte, genau wie mein Erscheinen hier nur Hohn und Spott ernten würde. Oder eine Ohrfeige. Es gab nur zwei Dinge, mit denen ein Mann in der Position des Komizars rechnete: Auflehnung oder Unterwürfigkeit, und ich war mir sicher, dass keines von beidem mein Schicksal zum Guten wenden würde.

Obwohl mein Puls raste, senkte ich den Blick nicht. Ich blinzelte gemächlich, als würde ich mich langweilen. Ja, Komizar, ich habe mir bereits deinen Trick abgeschaut.

»Keine Sorge, meine Freunde«, sagte er, während er mit der Hand über mein Schweigen hinwegwedelte. »Wir haben über so viele andere Dinge zu reden. Zum Beispiel über all das!« Mit einer ausladenden Geste deutete er auf die vom einen Ende des Saals bis zum anderen aufgereihten Karren. Er lachte, als wäre er hochzufrieden mit der Ausbeute. »Was haben wir hier?« Er begann an einem Ende, ging von Karren zu Karren und wühlte in dem Raubgut. Ich bemerkte, dass noch nichts fehlte, obwohl die Statthalter es bereits inspiziert hatten. Vielleicht wussten sie, dass sie zu warten hatten, bis der Komizar als Erster seine Wahl traf. Er hob ein Kriegsbeil hoch, fuhr mit dem Finger über die Klinge und nickte, als wäre er beeindruckt; dann bewegte er sich zum nächsten Karren und zog ein Schwert, um es ein paarmal vor seinem Körper hin- und herzuschwenken. Es fuhr zischend durch die Luft und erntete beifällige Kommentare. Er lächelte. »Gut gemacht, Chievdar.«

Gut gemacht? Ein Massaker an einer ganzen Abteilung junger Männer?

Er warf die geschwungene Klinge zurück auf den Karren und ging weiter zum nächsten. »Und was ist das?« Er griff hinein und zog einen langen Ledergurt heraus. Walthers Wehrgehänge.

Nicht er. Jeder, nur nicht er. Ich spürte, wie meine Knie weich wurden. Ein erstickter Laut entrang sich meiner Kehle. Der Komizar drehte sich in meine Richtung und hielt es hoch. »Die Verarbeitung ist außergewöhnlich, nicht wahr? Sieh dir diese Reben an.« Er ließ den Gurt langsam durch die Finger gleiten. »Und das Leder – butterweich. Passend für einen Kronprinzen, oder?« Er streifte sich das Wehrgehänge über Kopf und Brust, während er zu mir zurückkehrte; eine Armeslänge entfernt blieb er vor mir stehen. »Was meinst du, Prinzessin?«

Tränen schossen mir in die Augen. Auch ich hatte mein Blatt unbedacht ausgespielt. Walthers Verlust war noch zu frisch, als dass ich klar hätte denken können. Ich wandte den Blick ab, aber der Komizar packte mich am Kinn, wobei sich seine Finger in meine Haut gruben. Er zwang mich, ihn wieder anzusehen.

»Weißt du, Prinzessin, dies ist mein Königreich, nicht deins, und ich verfüge über Mittel und Wege, dich zum Reden zu bringen, die du dir nicht einmal vorstellen kannst. Du wirst wie ein flügellahmer Kanarienvogel singen, wenn ich es dir befehle.«

»Komizar.« Kadens Stimme war leise und ernst.

Er ließ mich los und lächelte, während er sanft über meine Wange strich. »Ich glaube, die Prinzessin ist müde von der langen Reise. Ulrix, bring sie ins Lager, damit sie sich einen Augenblick ausruhen kann. Kaden und ich brauchen Zeit zum Reden. Wir haben eine Menge zu besprechen.« Er warf Kaden einen Blick zu, und ein erster Anflug von Zorn blitzte in seinen Augen auf.

Kaden sah mich an und zögerte, aber es gab nichts, was er hätte tun können. »Geh«, sagte er. »Alles wird gut.«

*

Sobald wir außer Kadens Sichtweite waren, zerrten mich die Wachen mehr den Gang entlang, als dass sie mich führten, und ihre Gelenkmanschetten bohrten sich in meine Arme. Ich spürte noch immer die Finger des Komizars auf meinem Gesicht. Mein Kiefer pochte dort, wo sie sich in mein Fleisch gegraben hatten. Innerhalb weniger Minuten hatte er etwas wahrgenommen, was mir wichtig war, und es dazu benutzt, mich zu verletzen und letztlich zu schwächen. Ich war darauf gefasst gewesen, geschlagen oder ausgepeitscht zu werden, aber nicht darauf. Das Bild brannte noch immer in meinen Augen – das Wehrgehänge meines Bruders, das stolz und in grausamstem Hohn auf der Brust des Feindes prangte und nur darauf wartete, dass ich zusammenbrach. Und genau das war auch geschehen.

Ein Punkt für den Komizar. Er hatte mich überrumpelt – nicht mit einer raschen Verurteilung oder roher Gewalt, sondern mit List und umsichtiger Beobachtung. Ich würde lernen müssen, dasselbe zu tun.

Meine Wut wuchs, während mich die Wachen grob durch den dunklen Gang bugsierten; offenbar schienen sie es zu genießen, dass ihnen eine Blaublütige auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Als sie vor einer Tür haltmachten, waren meine Arme taub von ihrem Klammergriff. Sie schlossen auf und warfen mich in einen finsteren Raum. Ich fiel, und der raue Steinboden schnitt in meine Knie. Ich blieb, wo ich war, benommen und zusammengesunken. Ich atmete die übel riechende, moderige Luft ein. Nur drei schmale Lichtstreifen drangen durch Öffnungen im oberen Teil der mir gegenüberliegenden Mauer. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich eine strohgefüllte Matratze, deren Inhalt auf den Boden rieselte, einen niedrigen Melkschemel und einen Eimer. Das sogenannte Lager besaß die Annehmlichkeiten einer barbarischen Zelle. Ich blinzelte in dem Versuch, mehr im Zwielicht zu erkennen, doch dann hörte ich ein Geräusch. Ein Rascheln in der Ecke. Ich war nicht allein.

Da war noch jemand oder etwas mit mir im Raum.

Buch des Heiligen Textes von Morrighan

Bringt die Geschichten zu Gehör,Damit alle Generationen wissen,Dass sich die Sterne dem Flüstern der Götter beugen,Dass sie nach ihrem Willen fallenUnd dass nur die erwählten VerbliebenenGnade vor ihren Augen fanden.

Buch des Heiligen Textes von Morrighan, Bd. V

Kapitel 3 – Kaden

Kaden

»DU DACHTEST ALSO, dass sie nützlich sein könnte.«

Er kannte den wahren Grund. Er wusste, dass ich die Gabe ebenso verachtete, wie er es tat, doch seine Geringschätzung entsprang fehlendem Glauben. Ich hatte überzeugendere Gründe.

Wir saßen allein in seinem privaten Empfangszimmer. Er hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, seine gespreizten Hände fanden vor seinen Lippen zusammen. Seine schwarzen Augen ruhten auf mir wie kühler, polierter Onyx und verrieten keinerlei Gefühlsregung. Das taten sie so gut wie nie, aber ich wusste, dass, wenn nicht Wut, so doch Neugier dahinter lauerte. Ich sah weg und blickte stattdessen auf den prächtigen Fransenteppich zu unseren Füßen. Er war neu.

»Eine Freundschaftsgabe des Präsidenten von Reux Lau«, erklärte er.

»Freundschaft? Er sieht teuer aus. Seit wann machen uns die Reux Lau Geschenke?«, fragte ich.

»Du dachtest – lass uns darüber sprechen. Ist sie so gut im …«

»Nein«, sagte ich und stand auf. Ich ging zum Fenster. Wind pfiff durch die Ritzen. »So ist es nicht.«

Er lachte. »Dann sag mir, wie es ist.«

Ich sah zu seinem Tisch, der vor Landkarten, Aufstellungen, Büchern und Notizen überquoll. Ich war es gewesen, der ihm beigebracht hatte, Morrighesisch zu lesen, in dem die meisten dieser Dokumente verfasst waren. Sag mir, wie es ist. Ich war mir ja selbst nicht sicher. Ich kehrte auf meinen Stuhl zurück und erklärte ihm Lias Wirkung auf so abgebrühte Vendaner wie Griz und Finch. »Du weißt, wie die Clans sind, und viele aus dem Hügelvolk glauben noch immer. Du kannst nicht durch die Jehendra gehen, ohne ein Dutzend Stände zu sehen, die Talismane verkaufen. Jeder zweite Diener hier im Sanctum trägt einen oder zwei unter seinem Hemd versteckt und die Hälfte der Soldaten wahrscheinlich ebenso. Wenn sie denken, dass die Vendaner mit einer gesegnet sind, die die alten Gaben besitzt, vielleicht sogar mit einer von königlichem Blut, dann könntest du …«

Er beugte sich vor und fegte mit einer herrischen Geste Papiere und Karten vom Tisch. »Hältst du mich für einen Dummkopf? Du hast dich einem Befehl widersetzt, weil ein paar rückständige Vendaner vielleicht ein Zeichen in ihr sehen könnten? Hast du dich jetzt etwa selbst zum Komizar ernannt, um zu tun, was du für richtig hältst?«

»Ich dachte nur …« Ich schloss kurz die Augen. Ich hatte seinem Befehl nicht gehorcht, und nun suchte ich auch noch nach Ausflüchten, genau wie die Morrighesen es taten. »Ich habe gezögert, als ich sie töten wollte. Ich …«

»Du hast Gefallen an ihr gefunden, wie ich schon sagte.«

Ich nickte. »Ja.«

Er lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück und schüttelte den Kopf; dann machte er eine wedelnde Handbewegung, als spielte es keine große Rolle. »Du bist also den Reizen einer Frau erlegen. Immer noch besser, als zu glauben, dass du klügere Entscheidungen treffen könntest als ich.« Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf, um zu einer großen Öllampe in einer Ecke des Raums zu gehen, die mit gezackten Kristallen besetzt war wie mit einer Krone. Als er an einem Rad drehte, um die Flamme zu vergrößern, flackerten Lichtblitze über sein Gesicht. Die Lampe war ein Geschenk des Tomack-Quartierlords und passte nicht in den Raum. Er zupfte gedankenverloren an seinem getrimmten Bart, dann heftete er seinen Blick wieder auf mich. »Es ist kein Schaden dadurch entstanden, dass du sie hierhergebracht hast. Sie ist außerhalb der Reichweite von Morrighan und Dalbreck, und das ist alles, was zählt. Und ja, nun, da sie schon mal da ist … werde ich bestimmen, wie sie sich am besten verwenden lässt. Mir ist das überraschte Gemurmel der Statthalter über eine Blaublütige in ihrer Mitte nicht entgangen und ebenso wenig das Flüstern der Diener, als sie ging.« Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, und er rieb mit seinem Ärmel über einen Fleck auf der Lampe. »Ja, sie könnte sich als durchaus nützlich erweisen«, raunte er mehr sich selbst als mir zu, als würde er sich gerade für diese Vorstellung erwärmen.

Er wandte sich um, als ihm einfiel, dass ich noch im Raum war.

»Erfreue dich einstweilen an deinem Spielzeug, aber binde dich nicht zu sehr an sie. Die Waffenbrüder im Sanctum sind nicht wie das Hügelvolk. Wir führen kein verhätscheltes Leben am heimischen Herd. Denk immer daran. Unsere Bruderschaft und Venda kommen immer an erster Stelle. Nur so überleben wir. Unsere Landsleute zählen auf uns. Wir sind ihre Hoffnung.«

»Natürlich«, antwortete ich. Und es stimmte. Ohne den Komizar, selbst ohne Malich, wäre ich jetzt tot. Aber binde dich nicht zu sehr an sie? Dazu war es zu spät.

Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück und wühlte in Papieren herum; dann hielt er inne, um auf eine Landkarte zu schauen, und lächelte. Ich kannte dieses Lächeln. Er hatte viele Arten zu lächeln. Als er Lia angelächelt hatte, hatte ich schon das Schlimmste befürchtet. Das Lächeln, das sich jetzt auf seinem Gesicht ausbreitete, war echt, zufrieden, und für niemandes Augen bestimmt.

»Entwickeln sich deine Pläne gut?«

»Unsere Pläne«, verbesserte er mich. »Besser, als ich gehofft hatte. Ich könnte dir Großartiges zeigen, aber das wird warten müssen. Du bist gerade noch rechtzeitig zurückgekommen, bevor ich morgen fortreite. Die Statthalter von Balwood und Arleston sind nicht erschienen.«

»Tot?«

»Höchstwahrscheinlich. Zumindest was Balwood betrifft. Entweder hat ihn endlich die Krankheit des Nordlandes erwischt, oder er hat seinen Kopf durch einen jüngeren Emporkömmling verloren, der zu große Angst hatte, im Sanctum zu erscheinen.«

Ich hätte gewettet, dass Hedwin von Balwood einem Dolchstoß in den Rücken zum Opfer gefallen war. Genau, wie er immer geprahlt hatte, war er zu böse, um von der vernichtenden Krankheit aus den nördlichen Wäldern heimgesucht zu werden.

»Und Arleston?«

Wir wussten beide, dass Tierny, der Statthalter der südlichsten Provinz, wahrscheinlich volltrunken in irgendeinem Bordell an der Straße zum Sanctum lag. Er würde später kommen; mit jeder Menge Entschuldigungen im Gepäck, in denen lahmende Pferde und schlechtes Wetter eine Rolle spielten. Doch sein Zehnter an Vorräten für die Stadt blieb nie aus. Der Komizar zuckte die Achseln. »Heißblütige junge Männer können trunksüchtiger Statthalter überdrüssig werden.«

Wie der Komizar vor elf Jahren. Ich sah ihn an – er war noch immer jeder Zoll der junge Mann, der drei Statthalter niedergemetzelt hatte, unmittelbar bevor er den vorigen Komizar von Venda umbrachte. Aber inzwischen war er nicht mehr so heißblütig. Nein, nun floss das Blut kalt und ruhig.

»Es ist schon lange her, seitdem es die letzte Provokation gab«, sinnierte ich.

»Niemand will eine Zielscheibe auf dem Rücken tragen, aber Provokationen wird es immer geben, mein Bruder, und deshalb dürfen wir niemals träge werden.« Er schob die Karte beiseite. »Reite morgen mit mir. Ich könnte dich an meiner Seite gebrauchen. Wir sind schon viel zu lange nicht mehr zusammen geritten.«

Ich sagte nichts, aber mein Gesichtsausdruck musste meine Zurückhaltung offenbart haben.

Er zog seine Einladung zurück, indem er den Kopf schüttelte. »Natürlich bist du gerade von einer langen Reise zurückgekehrt, und außerdem hast du Venda sehr interessante Beute mitgebracht. Du verdienst Erholung. Ruh dich ein paar Tage aus, und dann habe ich wieder einen Auftrag für dich.«

Ich war dankbar, dass er nicht Lia als Begründung anführte. Er war huldreicher, als ich es verdiente, aber mir fiel die Betonung auf, mit der er »Venda« aussprach – es war eine wohlüberlegte Erinnerung daran, wem meine Loyalität zu gelten hatte. Ich stand auf, um zu gehen. Eine Brise raschelte durch die Papiere auf seinem Schreibtisch.

»Ein Sturm braut sich zusammen«, sagte ich.

»Der erste von vielen«, erwiderte er. »Eine neue Zeit bricht an.«

Kapitel 4

ICH SPRANG AUF DIE FÜSSE und starrte in die Schatten, um herauszufinden, woher das Geräusch kam.

»Hier.«

Ich wirbelte herum.

Umrisse nahmen in einem schmalen Lichtstreif Gestalt an, als jemand nach vorn in den sanften Schein trat.

Eine dunkle Strähne. Ein Wangenknochen. Seine Lippen.

Ich konnte mich nicht bewegen. Ich starrte ihn an – alles, was ich je gewollt hatte, und alles, wovor ich je davongelaufen war, war mit mir im selben Gefängnis eingesperrt.

»Prinz Rafferty«, flüsterte ich endlich. Es war nur ein Name, aber sein Klang fühlte sich hart, fremd und widerwärtig in meinem Mund an. Prinz Jaxon Tyrus Rafferty.

Er schüttelte den Kopf. »Lia …«

Seine Stimme durchfuhr mich wie ein Erdbeben. Alles, woran ich mich Tausende Meilen lang geklammert hatte, geriet in Unordnung. All die Wochen. Tage. Er. Ein Landarbeiter, der sich nun als Prinz entpuppt hatte – und als listiger Lügner. Ich konnte all das in seiner ganzen Tragweite noch gar nicht erfassen. Meine Gedanken waren Wasser, das mir durch die Finger rann.

Er trat noch einen Schritt vor, wobei der Lichtschein auf seine Schultern glitt, doch ich hatte bereits sein Gesicht gesehen, seine Schuldgefühle darin gelesen. »Lia, ich weiß, was du jetzt denkst.«

»Nein, Prinz Rafferty. Du hast keine Vorstellung von dem, was ich denke. Ich bin mir ja nicht einmal selbst sicher, was ich denke.« Alles, was ich wusste, war, dass mein Blut selbst jetzt, da ich vor Zweifeln erschauerte, heiß wurde und bei jedem Wort und Blick von ihm in Wallung geriet; dasselbe Gefühl wie damals, als wir noch in Terravin waren, flatterte in meinem Bauch, als ob sich nichts verändert hätte.

Er machte einen Schritt nach vorn, und zwischen uns war plötzlich kein Raum mehr. Ich spürte die Hitze seiner Brust. Seine starken Arme legten sich um mich; seine Lippen waren warm und weich und genauso süß, wie ich sie in Erinnerung hatte. Ich saugte ihn in mich auf, erleichtert, dankbar – wütend. Die Lippen eines Landarbeiters, die Lippen eines Prinzen – die Lippen eines Fremden. Die einzige Wahrheit, die zu wissen ich geglaubt hatte, war dahin.

Ich drängte mich an ihn und sagte mir, dass ein paar Lügen im Vergleich zu allem anderen keine Rolle spielten. Er hatte sein Leben für mich aufs Spiel gesetzt, indem er hierhergekommen war. Er war noch immer in schrecklicher Gefahr. Vielleicht würde keiner von uns beiden die Nacht überleben. Aber eines stand zwischen uns: Er hatte gelogen. Er hatte mich manipuliert. Zu welchem Zweck? Welches Spiel spielte er? War er wegen mir oder Prinzessin Arabella hier? Ich schob ihn weg. Sah ihn an. Holte aus. Das harte Klatschen meiner Hand auf seinem Gesicht hallte durch die Zelle.

Er rieb sich die Wange und drehte den Kopf zur Seite. »Ich muss zugeben, dass das nicht ganz die Begrüßung war, die ich mir vorgestellt hatte, nachdem ich dir über den ganzen Kontinent nachgejagt bin. Können wir vielleicht zu dem Teil zurückkehren, wo wir uns küssen?«

»Du hast mich angelogen.«

Ich sah, wie er die Wirbelsäule aufrichtete. Die Haltung eines Prinzen; ganz die Person, die er wirklich war. »Ich meine, mich zu erinnern, dass das hier auf Gegenseitigkeit beruht.«

»Aber du wusstest die ganze Zeit, wer ich bin.«

»Lia …«

»Rafe, das mag nicht wichtig für dich sein, aber für mich ist es das sehr wohl. Ich bin aus Civica geflohen, weil ich einmal im Leben dafür geliebt werden wollte, wer ich bin – nicht dafür, was ich bin, und nicht, weil ein Stück Papier es befiehlt. Ich bin am Ende des heutigen Tages vielleicht tot, aber mit meinem letzten Atemzug muss ich es wissen. Warum bist du hergekommen?«

Sein bestürzter Gesichtsausdruck wurde irritiert. »Ist das nicht offensichtlich?«

»Nein!«, sagte ich. »Wenn ich wirklich nur ein Schankmädchen wäre, wärest du mir trotzdem gefolgt? Welchen Wert habe ich in Wahrheit für dich? Hättest du mir auch nur einen zweiten Blick geschenkt, wenn du nicht gewusst hättest, dass ich Prinzessin Arabella bin?«

»Lia, das ist eine Frage, die ich unmöglich beantworten kann. Ich bin nur nach Terravin gereist, weil …«

»Weil ich eine einzige politische Peinlichkeit war? Eine Provokation? Weil ich eine Kuriosität bin?«

»Ja!«, blaffte er. »Genau das warst du! Eine Provokation und eine Peinlichkeit! Zuerst. Aber dann …«

»Was, wenn du Prinzessin Arabella niemals gefunden hättest? Was, wenn da nur ein Schankmädchen namens Lia gewesen wäre?«

»Dann wäre ich jetzt nicht hier. Ich wäre in Terravin und würde das nervtötendste Mädchen küssen, das ich je zu Gesicht bekommen habe, und nicht einmal zwei Königreiche könnten mich von ihr trennen.« Er trat erneut näher und nahm zögernd mein Gesicht in seine Hände. »Aber Tatsache ist: Ich bin um deinetwillen gekommen, Lia. Unabhängig davon, wer oder was du bist, und es kümmert mich nicht, welche Fehler ich gemacht habe. Oder du. Ich würde jeden einzelnen davon noch einmal machen, wenn das die einzige Möglichkeit wäre, mit dir zusammen zu sein.« Seine Augen sprühten vor Enttäuschung. »Ich will dir alles erklären. Ich will ein ganzes Leben mit dir verbringen und meine Lügen wiedergutmachen, aber jetzt haben wir keine Zeit dafür. Sie können jederzeit kommen und einen von uns holen. Wir müssen das jetzt hintanstellen. Wir brauchen einen Plan!«

Ein ganzes Leben. Meine Gedanken schmolzen dahin, und die Wärme der Worte ein ganzes Leben durchströmte mich. Die Hoffnungen und Träume, die ich unter Schmerzen weggeschoben hatte, stiegen wieder in mir auf. Natürlich, er hatte recht. Am wichtigsten war herauszufinden, was wir tun sollten. Ich hätte es nicht ertragen, auch ihn sterben zu sehen. Der Tod von Walther und Greta und einem ganzen Trupp Männer war bereits zu viel.

»Es kommt Hilfe«, sagte er, in Gedanken bereits einen Schritt weiter. »Wir müssen nur durchhalten, bis sie hier sind.« Er war zuversichtlich, seiner selbst sicher, wie es vermutlich Prinzenart war. Oder Soldatenart. Wie hatte ich diese Seite vorher an ihm übersehen können? Seine Truppen kamen.

»Wie viele?«, fragte ich.

»Vier.«

Ich fühlte, wie meine Hoffnung wuchs. »Viertausend?«

Er wirkte ernüchtert. »Nein. Vier.«

»Du meinst vierhundert?«

Er schüttelte den Kopf.

»Vier? Nicht mehr?«, wiederholte ich.

»Lia, ich weiß, wie das klingt, aber vertrau mir, diese vier – sie sind die Besten.«

Meine Hoffnung schwand so rasch, wie sie aufgekeimt war. Vierhundert Soldaten konnten uns nicht befreien. Was sollten da vier schon ausrichten? Ich war nicht in der Lage, meine Skepsis zu verbergen, und ein schwaches Lachen entrang sich meiner Kehle. Ich ging in dem kleinen Raum im Kreis herum und schüttelte den Kopf. »Wir sitzen an diesem Ufer eines wilden Flusses in der Falle, bei Tausenden von Menschen, die uns hassen. Was können da vier Personen ausrichten?«

»Sechs«, verbesserte er mich. »Mit dir und mir sind wir zu sechst.« Er klang nicht gut, und als er auf mich zuging, zuckte er zusammen und griff sich an die Rippen.

»Was ist passiert?«, fragte ich. »Du bist verletzt.«

»Nur ein kleines Andenken von den Wachen. Sie haben nichts übrig für Schweine aus Dalbreck. Sie wollten sichergehen, dass ich das weiß. Mehrmals.« Er hielt sich die Seite und atmete vorsichtig ein. »Nur Prellungen. Mir geht’s gut.«

»Nein«, sagte ich. »Ganz offensichtlich nicht.« Ich schob seine Hand fort und zog sein Hemd hoch. Selbst im Dämmerlicht konnte ich die blauen Flecken sehen, die seinen Brustkorb bedeckten. Ich korrigierte die Rechnung: fünf gegen Tausende. Ich zog den Stuhl heran und hieß ihn, sich zu setzen, dann riss ich Streifen von meinem ohnehin schon zerfetzten Hemd ab. Ich begann vorsichtig, seine Mitte mit den Binden zu umwickeln, um seine Bewegungen abzustützen. Ich fühlte mich an die Narben auf Kadens Rücken erinnert. Diese Menschen waren Wilde. »Du hättest nicht kommen dürfen, Rafe. Das hier ist mein Problem. Ich habe selbst dafür gesorgt, als ich …«

»Mir geht’s gut«, wiederholte er. »Hör auf, dir Sorgen zu machen. Ich habe schon schlimmere Stürze von meinem Pferd erlebt, und das hier ist nichts im Vergleich zu dem, was du durchgemacht hast.« Er streckte den Arm aus und drückte meine Hand. »Es tut mir so leid, Lia. Sie haben mir von deinem Bruder erzählt.«

Ein bitterer Geschmack stieg in meiner Kehle auf. Es gab Dinge, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie passieren würden, geschweige denn, dass ich sie würde mit ansehen müssen. Zuzusehen, wie mein Bruder vor meinen Augen niedergemetzelt wurde, war das Schlimmste von allem. Ich zog die Hand weg und wischte sie an meinem ramponierten Hemd ab. Es fühlte sich falsch an, Rafes Wärme an den Fingern zu spüren, wenn ich von Walther sprach, der kalt unter der Erde lag. »Du meinst, sie haben über meinen Bruder gelacht. Ich habe unterwegs mit angehört, wie sie sich fünf Tage lang diebisch darüber gefreut haben, wie leicht sie alle gefallen sind.«

»Sie sagten, du hast sie begraben. Alle.«

Ich stierte auf die schwachen Lichtstreifen, die durch die Ritzen hereindrangen, und versuchte, etwas anderes zu sehen als Walthers blicklose Augen, die in den Himmel starrten, und meine Finger, die sie zur letzten Ruhe schlossen. »Ich wünschte, du hättest ihn gekannt«, sagte ich tonlos. »Mein Bruder wäre eines Tages ein großer König geworden. Er war freundlich und geduldig. Und … er glaubte an mich, wie niemand an mich glaubte. Er …« Ich drehte mich zu Rafe um. »Er ritt mit zweiunddreißig Männern – den stärksten und tapfersten Soldaten von Morrighan. Ich sah jeden einzelnen sterben. Die anderen waren fünfmal so viele. Es war ein Gemetzel.«

Die schützende Hülle, in die ich mich geflüchtet hatte, wurde weggerissen, und Übelkeit erregende Hitze kroch über meine Haut. Ich roch den Schweiß ihrer Körper. Leichenteile. Ich hatte sie alle gesammelt, damit nichts für die wilden Tiere übrig blieb; dann sank ich dreiunddreißigmal auf die Knie, um zu beten. Wie Blut quollen die Worte aus meinem tiefsten Inneren hervor – dreiunddreißig Schreie um Gnade, dreiunddreißig Lebewohls. Und dann verschlang die blutgetränkte Erde sie gefräßig, geübt, und sie waren fort. Dies war nicht das erste Mal. Und es würde nicht das letzte sein.

»Lia?«

Ich sah Rafe an. Groß und stark wie mein Bruder und genauso zuversichtlich.

Nur vier …

Den Verlust wie vieler weiterer Männer konnte ich noch ertragen?

»Ja«, antwortete ich. »Ich habe sie alle begraben.«

Er streckte die Hand aus und zog mich an seine Seite. Ich setzte mich neben ihn ins Stroh. »Es kann gelingen«, sagte er. »Wir müssen uns nur Zeit verschaffen, bis meine Männer hier sind.«

»Wie lange wird es dauern?«

»Ein paar Tage. Vielleicht auch mehr. Das hängt davon ab, wie weit sie nach Süden reiten müssen, um den Fluss zu überqueren. Aber ich weiß, dass sie kommen, so schnell sie können. Sie sind die Besten, Lia. Die besten Soldaten von Dalbreck. Zwei von ihnen sprechen die Sprache fließend. Sie finden einen Weg ins Land.«

Ich wollte schon sagen, dass es nicht das Problem war, ins Land zu kommen. Das Problem war, es wieder zu verlassen. Aber ich hielt den Mund und nickte, während ich mir Mühe gab, etwas ermutigter zu wirken. Wenn sein Plan nicht funktionierte, würde meiner funktionieren. Heute Morgen hatte ich ein Pferd getötet, und möglicherweise würde ich bereits heute Abend ein weiteres Tier umgebracht haben.

»Vielleicht gibt es noch einen anderen Weg«, sagte ich. »Sie haben Waffen im Sanctum. Ich könnte ein Messer unter meinen Rock schmuggeln. Sie würden es nicht vermissen. «

»Nein«, sagte er bestimmt. »Das ist zu gefährlich. Wenn sie …«

»Rafe, ihr Anführer ist verantwortlich für den Tod meines Bruders, seiner Frau und eines ganzen Trupps Männer. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass er zurückkehrt, um noch mehr Menschen …«

»Seine Soldaten haben sie getötet, Lia. Was sollte es bewirken, einen einzigen Mann umzubringen? Du kannst nicht einer ganzen Armee mit einem einzigen Messer entgegentreten, schon gar nicht in unserer Lage. Im Moment sollte es unser einziges Ziel sein, hier herauszukommen.«

Wir waren offenbar unterschiedlicher Meinung. Ich wusste, dass er recht hatte, aber ein abgründiger, dunklerer Teil von mir hungerte noch immer nach mehr als nur der Flucht.

Rafe packte mich am Arm, weil er eine Antwort erwartete. »Verstehst du denn nicht? Du nützt niemandem etwas, wenn du tot bist. Hab Geduld. Meine Soldaten werden kommen, und dann schaffen wir’s zusammen hier raus.«

Ich, Geduld, vier Soldaten. Diese vier Worte waren blanker Wahnsinn. Aber ich gab mich geschlagen, denn auch ohne die vier brauchten Rafe und ich einander, und das war gerade das Einzige, was zählte. Wir setzen uns auf die Matratze aus Stroh und planten, was wir ihnen sagen würden und was nicht und wie wir sie würden täuschen müssen, bis Hilfe kam. Am Ende also doch ein Bündnis – jenes, das unsere Väter so lange zu schmieden versucht hatten. Ich erzählte ihm alles, was ich über den Komizar wusste, über das Sanctum und die Gänge, durch die sie mich geschleift hatten. Jede Einzelheit konnte wichtig sein.

»Sei vorsichtig. Pass auf, was du sagst«, riet ich. »Achte auch auf deine Bewegungen. Ihm entgeht nichts. Er schaut genau hin, auch wenn es nicht so aussieht.«

Es gab Dinge, die ich für mich behielt. Rafes Pläne drehten sich um Metall und Fleisch, Boden und Faust, alles solide und greifbar. Mir ging es um Dinge, die man nicht sehen konnte, Fieber und Frösteln, Rache und Gerechtigkeit, alles, was tief in mir rumorte.

Mitten in unseren geflüsterten Planungen hielt er plötzlich inne, streckte die Hand aus und fuhr mir mit dem Daumen sanft über die Wange. »Ich hatte Angst …« Er schluckte, räusperte sich und sah zu Boden. Seine Kiefermuskeln zuckten, und ich dachte, es würde mich zerreißen, ihn so zu sehen. »Ich weiß, was in dir brennt, Lia. Sie werden dafür bezahlen. Für alles. Ich verspreche es. Eines Tages werden sie dafür bezahlen.«

Aber ich wusste, was er eigentlich meinte. Kaden würde bezahlen.

Wir hörten Schritte, die sich näherten, und entfernten uns rasch voneinander. Er sah mich an; das tiefblaue Eis seiner Augen bahnte sich den Weg durch die Schatten. »Lia, ich weiß, dass sich deine Gefühle für mich geändert haben könnten. Ich habe dich getäuscht. Ich bin nicht der Landarbeiter, für den ich mich ausgegeben habe. Aber vielleicht ist es möglich, dass du dich wieder in mich verlieben kannst, diesmal in mich als Prinz. Jeden Tags aufs Neue. Wir hatten einen schlechten Start – aber das heißt nicht, dass es nicht doch noch gut ausgehen kann.«

Ich starrte ihn an, während er mich mit seinem Blick zu verschlingen schien, und ich öffnete den Mund zu einer Antwort, doch jedes seiner Worte hallte noch in mir wider. Dass du dich wieder in mich verlieben kannst … diesmal in mich als Prinz.

Die Tür flog krachend auf, und zwei Wachen kamen herein. »Du«, sagten sie und deuteten auf mich. Ich hatte kaum genug Zeit, auf die Füße zu kommen, bevor sie mich wegzerrten.

Kapitel 5

»RUNTER MIT DIR, MÄDCHEN.«

Ich wurde in eine Wanne mit eiskaltem Wasser getaucht; man hielt meinen Kopf unter Wasser, während mir kräftige Hände die Kopfhaut wuschen. Ich kam prustend nach oben und spuckte Seifenwasser. Offenbar fand der Komizar, dass meine Erscheinung abscheulich war und vor allem eine Beleidigung für seine sensible Nase, und hatte eine rasche Reinigung angeordnet. Ich wurde aus der Wanne gezerrt; man befahl mir, mich mit einem Stück Stoff abzutrocknen, das nicht größer als ein Taschentuch war. Eine junge Frau, die die anderen Calantha nannten, überwachte mein demütigendes Bad. Sie warf mir etwas zu. »Zieh das an.«

Ich sah auf den Haufen Kleidung zu meinen Füßen. Es war ein derber, formloser Sack, in dem sich Stroh besser gemacht hätte als ein menschlicher Körper. »Das tue ich nicht.«

»Das wirst du, wenn du am Leben bleiben willst.«

In ihrer Stimme war keine Spur von Wut. Nur Sachlichkeit. Ihr Blick war irgendwie beunruhigend. Sie trug eine Klappe über einem Auge. Das schwarze Band, mit dem sie befestigt war, bildete einen harten Kontrast zu Calanthas sonderbar farblosem weißen Haar. Die Klappe selbst war schon erschreckend, doch es war fast unmöglich wegzusehen. Sie war bestickt mit winzigen polierten Perlen, die sie wie ein starres hellblaues Auge aussehen ließen. Tätowierte Schmucklinien wirbelten unter der Klappe hervor und verzierten die eine Hälfte ihres Gesichts wie ein Kunstwerk. Ich fragte mich, warum sie Aufmerksamkeit auf etwas ziehen wollte, was andere als Makel auffassen würden.

»Jetzt«, sagte sie.

Ich riss meinen Blick von ihrem los und griff nach dem derben Stück Stoff am Boden. Ich hielt es hoch, um es zu begutachten. »Er will, dass ich das trage?«

»Das hier ist nicht Morrighan.«

»Und ich bin kein Sack Kartoffeln.«

Ihr Auge wurde schmal, und sie lachte. »Du hättest viel mehr Wert, wenn du das wärst.«

Wenn der Komizar dachte, dass mich das kränken würde, hatte er sich getäuscht. Ich war schon lange darüber weg, meinen Stolz zu hätscheln. Ich warf mir den Sack über. Er hing lose an mir herab und hielt kaum an meinen Schultern. Den viel zu langen Saum musste ich anheben, um nicht darüberzustolpern. Das raue Gewebe rieb auf meiner Haut. Calantha warf mir ein Stück Seil zu. »Das hilft vielleicht, alles an Ort und Stelle zu halten.«

»Ganz reizend«, sagte ich und erwiderte ihr Grinsen, während ich mich bemühte, den losen Stoff so gut wie möglich zu drapieren und zu falten und anschließend mit dem Seil um meine Hüften zu befestigen.

Meine nackten Füße froren erbärmlich auf dem Steinboden, doch man hatte mir die Stiefel weggenommen, und ich rechnete nicht damit, sie jemals wiederzusehen. Ich versuchte, ein Frösteln zu unterdrücken, und nickte, um anzuzeigen, dass ich fertig war.

»Sei dankbar, Prinzessin«, sagte sie, wobei sie mit einer gespenstischen Geste über ihr blickloses, perlenbesetztes Auge fuhr. »Denjenigen, die sich ihm widersetzen, hat er schon viel Schlimmeres zugefügt.«

Kapitel 6 – Pauline

Pauline

DIE LETZTE ETAPPE AUF DEM WEG nach Civica war aufreibend gewesen. Strömender Regen hatte uns in der Nähe von Derryvale überrascht, sodass wir gezwungen waren, drei Tage lang Zuflucht in einem verlassenen Bauernhof zu suchen und uns den Unterschlupf mit einer Eule und einer verwilderten Katze zu teilen. Aber in ihrer Anwesenheit gab es wenigstens keine Nager. Jeder Tag, der nutzlos verstrich, ließ meine Besorgnis wachsen. Lia war inzwischen sicher in Venda, falls Kaden sie dorthin hatte bringen wollen. Ich versuchte, nicht an die andere Möglichkeit zu denken – dass sie bereits tot sein könnte.

Alles war so schnell passiert, dass ich es immer noch nicht ganz begriffen hatte. Kaden hat sie entführt. Kaden war einer von denen. Kaden, dem ich den Vorzug vor Rafe gegeben hätte. Ich hatte sogar den Fehler gemacht, ihn ihr anzupreisen. Ich hatte seine ruhige Art gemocht. Ich hatte ihr gesagt, dass seine Augen freundlich seien. Alles an ihm hatte freundlich gewirkt. Wie hatte ich mich so irren können? Es erschütterte mich in meinen Grundfesten. Ich hatte mein Urteilsvermögen immer für gut gehalten, aber Kaden war das Gegenteil von freundlich. Er war ein Meuchelmörder. Das behauptete zumindest Gwyneth. Ich war mir nicht sicher, woher sie das wissen wollte, aber Gwyneth hatte viele Talente, und geheime Informationen aus Schankgästen herauszukitzeln war eines davon.

Wir hatten beschlossen, in einer Herberge in einem der Dörfchen vor den Toren der Stadt abzusteigen. Niemand kannte Gwyneth, mich aber schon, und ich musste meine Anwesenheit zumindest so lange geheim halten, bis ich ein Treffen mit dem Lord Vizeregent arrangiert hatte. Ich war als Angehörige des Hofstaats der Königin nur allzu sichtbar gewesen und riskierte wahrscheinlich eine Anklage wegen Hochverrats, weil ich Lia zur Flucht verholfen hatte. Der Vizeregent war von allen Ministerratsmitgliedern immer am freundlichsten zu Lia gewesen, ja sogar besorgt um sie. Er schien ihre schwierige Stellung bei Hofe zu verstehen. Wenn ich ihm ihre Bitte vortrug, konnte er dem König die Nachricht sicher auf möglichst vorteilhafte Weise beibringen. Welcher Vater würde nicht wenigstens versuchen, seine Tochter zu retten? Ganz egal, wie sehr sie ihn brüskiert hatte.

Ich hielt mich im Schatten, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, während Gwyneth ein Zimmer für uns mietete. Ich beobachtete, wie sie mit dem Wirt redete, konnte aber nicht hören, was gesprochen wurde. Es schien mir viel länger zu dauern als nötig. Ich spürte ein Flattern in meinem Bauch. Es erinnerte mich fortwährend daran, wie sehr sich alles verändert hatte, wie viel Zeit vergangen war. Lias Versprechen kam mir in den Sinn: Wir schaffen das gemeinsam. Immerzu musste ich daran denken, dass uns die Zeit davonlief. Ich küsste meine Finger und erhob sie zu den Göttern. Bitte bringt sie zurück.

Ein Stück Papier wanderte von Gwyneth hinüber zum Wirt. Er warf mir einen kurzen Blick zu; vielleicht fragte er sich, warum ich im Inneren des Gasthofs die Kapuze nicht abnahm. Aber er sagte nichts und schob Gwyneth endlich einen Schlüssel über den Tresen zu.

Das Zimmer lag am Ende des Gangs; es war klein, aber deutlich komfortabler als die Scheune. Nove und Dieci waren im Stall untergebracht und wussten es anscheinend zu schätzen, dass sie ihre eigene Box hatten und frische Gerste im Trog. Geld war kein Problem. Ich hatte die Edelsteine, die Lia mir gegeben hatte, in Luiseveque gegen Bargeld eingetauscht. Selbst Gwyneth war beeindruckt, wie leicht ich mit zwielichtigen Händlern in Hinterzimmern handelseinig wurde; das alles hatte ich von Lia gelernt.

Als ich die Tür hinter uns geschlossen hatte, fragte ich Gwyneth, warum die Verhandlung mit dem Wirt so lange gedauert hatte. Bei Berdi mietete man ein Zimmer, indem man sich über einen Preis einigte, dann wurde dem Gast das Zimmer gezeigt.

Gwyneth warf ihre Tasche aufs Bett. »Ich habe dem Kanzler eine Nachricht geschickt und um ein Treffen gebeten.«

Mir verschlug es den Atem und einen Augenblick auch die Sprache. »Du hast was? Gegen meinen Wunsch? Ich habe dir doch gesagt, dass er Lia hasst.«

Sie begann auszupacken; dabei wirkte sie völlig ungerührt von meiner Besorgnis. »Ich glaube, es ist klüger, über … heimlichere Kanäle herumzuschnüffeln, als direkt zum zweiten Mann im Reich zu gehen. Wenn sich der Vizeregent als nutzlos erweist, stecken wir in einer Sackgasse.«

Ich sah sie an, und währenddessen kroch mir ein Schauer über die Schultern. Sie brachte schon zum zweiten Mal die Sprache auf den Kanzler, und jetzt war sie vorgeprescht und hatte ohne meine Zustimmung gehandelt. Sie wirkte entschlossen, ihn ins Spiel zu bringen. »Kennst du den Kanzler, Gwyneth?«

Sie zuckte die Achseln. »Hmm, vielleicht ein wenig. Unsere Wege haben sich schon einmal gekreuzt.«

»Und du hast noch nie zuvor daran gedacht, mir das zu sagen?«

»Ich dachte, dass du es nicht gut aufnehmen würdest, und das hat sich ja nun wohl auch bestätigt.«

Ich kippte meine Tasche am Fußende des Bettes aus und wühlte mich auf der Suche nach meiner Bürste durch den Haufen. Ich kämmte mein Haar mit kräftigen Strichen und versuchte dabei, auch meine Gedanken zu entwirren und so zu tun, als hätte ich mich unter Kontrolle, während das Gegenteil der Fall war. Sie kannte ihn ein wenig? Ich traute dem Kanzler keinen Deut mehr, als Lia es tat; ebenso wenig mochte ich ihn. Überhaupt mochte ich nichts an alldem.

»Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich werde direkt zum König gehen«, sagte ich. »Du rührst dich nicht vom Fleck.«

Sie packte meine Hand, sodass ich mit dem Bürsten aufhören musste. »Und wie willst du das anstellen? Durch die Festung marschieren und mit deiner Bürste an die Tür seines Gemachs klopfen? Wie weit, glaubst du, würdest du kommen? Oder würdest du eine Nachricht schicken? Alles geht ohnehin erst über den Tisch des Kanzlers. Warum sollten wir ihn also nicht von Anfang an einbeziehen?«