Das Insolvenzgeld als Mittel zur Fortführung und Sanierung von Unternehmen - Nick Marquardt - E-Book

Das Insolvenzgeld als Mittel zur Fortführung und Sanierung von Unternehmen E-Book

Nick Marquardt

0,0
57,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Keine Sanierung ohne Insolvenzgeld! So oder so ähnlich könnte die Losung im Insolvenzverfahren lauten. Fragen rund um das Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung spielen in der Sanierungspraxis eine erhebliche – wenn nicht sogar die entscheidende – Rolle. Zur Praxis und Dogmatik des Insolvenzgelds fehlt es bislang an einer umfassenden Monografie, die aus insolvenzrechtlicher Sicht die arbeits- und sozialrechtlichen Besonderheiten leicht und verständlich darstellt, aber sich zugleich auch wissenschaftlich mit den juristischen Problemen auseinandersetzt und neue Lösungen aufzeigt. So werden vorliegend die Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenzgeld, die Technik der Insolvenzgeldvorfinanzierung sowie die Problematik der Plansanierung, Eigenverwaltung und das Scheitern der Sanierungsbemühungen im Zusammenhang mit dem Insolvenzgeld umfangreich und anschaulich dargestellt. Fallen und Risiken für die Beteiligten werden aufgezeigt. Da die Insolvenzgeldvorfinanzierung auch während der Corona-Pandemie eines der Hauptwerkzeuge zur Schaffung von Liquidität bleiben wird, soll es vor allem Geschäftsführern, Beratern und Insolvenzverwaltern als wissenschaftlich orientierte Arbeitshilfe dienen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 337

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Insolvenzgeld als Mittel zur Fortführung und Sanierung von Unternehmen

im Spannungsfeld zwischen Sanierung und Arbeitnehmerschutz

 

Nick Marquardt

 

 

Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main

 

Zugl.: Halle-Wittenberg, Univ., Diss., 2020

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8005-1795-4

© 2021 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main www.ruw.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang

Printed in Germany

Vorwort

Im Vorwort eines Machwerkes geht es immer um Danksagungen, die verhindern sollen, dass niemand mehr mit dem Autor eines Buches spricht. Ich hoffe, dass meine Danksagungen zumindest bei den Beteiligten ein kleines Schmunzeln auslösen, weil sie ein bisschen persönlicher ausfallen als es üblich ist.

An erster Stelle stehen da meine Eltern. Ohne euch wäre ich nicht hier. Die Kausalität lässt sich schlecht leugnen. Danke dafür, dass ihr mich all die Jahre bedingungslos durchgefüttert habt. Es war nicht immer leicht mit euch (mit mir zum Glück auch nicht), aber am Ende war es gut so, wie es war. Ich war sicher kein einfaches Kind, aber immerhin habe ich jetzt ein Buch geschrieben. Es besteht also noch Hoffnung in dieser Welt! Im Ernst: Ich hätte mir keine besseren Eltern wünschen können.

Neben meiner gesamten Familie bin ich selbstverständlich den Menschen dankbar, die mich fachlich hierher begleitet haben.

An erster Stelle danke ich Herrn Prof. Dr. Stephan Madaus für die Betreuung dieser Arbeit und seine hilfreichen Anregungen und Ideen. Ihre Kritik hat mich immer weitergebracht, auch und vor allem wenn wir nicht einer Meinung waren. Besonderer Dank gebührt Ihnen dafür, dass sie mich davor bewahrt haben, zu hart mit anderen Auffassungen zu sein. Vorsichtige Kritik liegt mir nicht so.

Frau Prof. Dr. Katja Nebe danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die wertvollen Hinweise aus arbeits- und sozialrechtlicher Perspektive. Danke außerdem für die vielen diskussionsfreudigen Stunden im Repetitorium. Ich denke, dass auch diese Zeit mehr Einfluss auf mich hatte als mir bewusst war. Es hat mich nicht nur fachlich weitergebracht, sondern mir auch immer verdammt viel Spaß gemacht.

Herrn Rechtsanwalt Herbert Feigl für die Möglichkeit berufsbegleitend dieses Projekt anzugehen und die unzählbaren fachlichen Anregungen, Erfahrungen und Gespräche. Meine persönliche „Schwäche“ für den „erweiterten Infinitiv mit zu“ konnte ich hier hoffentlich einigermaßen überwinden.

Frau Christin Hartmann; für die vielen fachlichen, aber mehr noch die freundschaftlichen Anmerkungen, Gespräche, Lerngruppen, Stammtische und so ziemlich alles andere, womit ich dich in der Zeit dieser Arbeit belästigt habe. Danke, dass du mir immer dann den Spiegel vorhältst, wenn ich mich nicht sehen will. Ich hasse es, wenn du Recht hast! Aber es gibt nur wenige Meinungen, die ich so schätze, wie deine!

Herrn Rechtsanwalt Philipp Hoffmann für die kritische Durchsicht des Manuskripts und die vielen hilfreichen Anmerkungen. Unsere Gespräche und Diskussionen waren mir stets eine fachliche und menschliche Freude. Mir fällt es schwer, dafür möglichst unverbindliche Worte zu finden. Ich bin mir aber sicher, dass du dich über die Erwähnung freust.

Über Anmerkungen und Kritik zu diesem Buch freue ich mich jederzeit. Im Prinzip weiß ich wahrscheinlich auch heute noch weniger über das Thema als ich glaube. Ich bleibe auch nach der Veröffentlichung auf der Suche nach der besseren Idee und dem besseren Argument.

„Wir müssen kritisch tastend, ähnlich wie es die Käfer tun, in aller Bescheidenheit die objektive Wahrheit suchen. Wir dürfen nicht länger die allwissenden Propheten zu spielen versuchen. Aber das heißt: Wir müssen uns ändern.“1

1

K. Popper, Alles Leben ist Problemlösen, S. 254.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

A. Einleitung

I. Die Krise als Chance

II. Der „kleinste gemeinsame Nenner“

III. Anlass der Darstellung

1. Wozu braucht es weitere Überlegungen zum Insolvenzgeld?

2. Die Ausgangsposition des Arbeitnehmers

3. Methodische Vorüberlegungen

IV. Insolvenzgeld in der gesamtgesellschaftlichen Betrachtung

1. Der gesellschaftliche Wert des Insolvenzgeldes

2. Sanierung im finanzpolitischen Kontext

3. Überblick über weitere Sanierungsmittel

V. Wo ist jetzt eigentlich das Problem?

1. Auslegung der §§ 165ff. SGB III

2. Mehrfache Insolvenzereignisse

B. Insolvenzgeld und Sanierung beim Eintritt des ersten Insolvenzereignisses

I. Historischer Kontext

1. Sinn und Unsinn einer historischen Darstellung

2. Vom Konkursausfallgeld zum heutigen Insolvenzgeld

3. Die gleichzeitige Entwicklung des Insolvenzrechts

a) Die Anfänge des Insolvenzrechts

b) Von der Konkursordnung zur Insolvenzordnung

4. Die Vorfinanzierung aus historischer Sicht

5. Historische Betrachtung – was bleibt?

a) Auswirkungen sozialrechtlicher Änderungen

b) Auswirkungen der insolvenzrechtlichen Änderungen

II. Die Insolvenzgeldvoraussetzungen im Regelinsolvenzverfahren

1. Allgemeines

2. Der Tatbestand des § 165 SGB III

3. Allgemeine Voraussetzungen

a) Arbeitnehmer

aa) Beschäftigungsverhältnis oder Arbeitsverhältnis?

bb) Bindungswirkung

b) Offene Ansprüche auf Arbeitsentgelt

c) Erlöschen der zugrunde liegenden Ansprüche

aa) Erfüllung

bb) Cashpool und Erfüllung

cc) Hinterlegung

dd) Treuhandkonten

ee) Zwischenfazit

d) Inlandsbeschäftigung

aa) Kriterien einer Inlandsbeschäftigung

bb) Ein- und Ausstrahlung

e) Innerhalb des Dreimonatszeitraums

aa) Regelfall

bb) Gegenauffassung

cc) Ausnahme § 165 Abs. 3 SGB III

dd) Ruhende Arbeitsverhältnisse

4. Insolvenzereignisse

a) Formelle Insolvenzereignisse

aa) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens

bb) Die Abweisung mangels Masse

b) Betriebsbeendigung

aa) Rechtsnatur der Betriebsbeendigung

bb) Vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit

cc) Abgrenzung zur Betriebsstillegung gemäß § 111 S. 2 Nr. 1 BetrVG und § 15 Abs. 4 KSchG

dd) Der Insolvenzantrag als negative Voraussetzung

ee) Sperrwirkung unzulässiger Insolvenzanträge

ff) Die Rücknahme eines Insolvenzantrages

5. Umfang des Insolvenzgelds

6. Errechnung und Auszahlung des Insolvenzgelds

III. Vorfinanzierung

1. Ausgangslage

a) Insolvenzeröffnungsverfahren

b) Verzögerung des Insolvenzeröffnungsverfahrens?

2. Prinzip der Vorfinanzierung

a) Kreditierungsverfahren

b) Forderungskaufverfahren

c) Vorschuss statt Vorfinanzierung

3. Zustimmung durch die Bundesagentur für Arbeit

a) Begriff der Zustimmung

b) Rechtsnatur der Zustimmung

c) Umfang der Prognose gemäß § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III

aa) Bisherige Kriterien der Bundesagentur für Arbeit

bb) Prognose des vorläufigen Insolvenzverwalters

cc) Anforderungen an eine Prognose

d) Verweigerung der Zustimmung

e) Lösungsmöglichkeiten

4. Exkurs: Der Einfluss der Vorfinanzierung auf die Vergütung des Insolvenzverwalters

a) Einfluss auf die Insolvenzmasse insgesamt

b) Zuschläge für die Vorfinanzierung

c) Zwischenergebnis

IV. Zweck und Funktion des Insolvenzgelds als bestimmende Faktoren

1. Die Finanzierung des Insolvenzgelds

2. Perspektivische Zweckbestimmung

a) Insolvenzgeld als Schnittstellenmaterie

aa) Sozialrecht

bb) Arbeitsrecht

cc) Europarecht

b) Insolvenzrecht

aa) Gläubigerbefriedigung

bb) Die Sanierung als Verfahrensziel

cc) Vorrang der Sanierung

c) Auswirkungen auf das Insolvenzgeld

3. Die Sanierungsfunktion der Vorfinanzierung

a) Die Sanierungsfunktion in der Rechtsprechung des BSG

b) Die Sanierungsfunktion des Insolvenzgelds

c) Sanierungsfunktion und Arbeitnehmerschutz

d) Zusammenfassung

4. Auslegungsgrundsätze

V. Insolvenzgeld in Planverfahren und Eigenverwaltung

1. Unterschiede der Verfahrensarten

a) Eigenverwaltung und Insolvenzplan im Überblick

b) Die Rechtsstellung der Beteiligten in der Eigenverwaltung

aa) Die Rechtsstellung des Schuldners

bb) Die Rechtsstellung des Sachwalters

cc) Die Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters

2. Auswirkungen der Rechtsstellung auf die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld

a) Organisation der Vorfinanzierung

b) Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters

c) Exkurs: Gefahren für die Unabhängigkeit des Sachwalters

d) Zusammenfassung

3. Vorfinanzierung und Eigenverwaltung de lege ferenda

a) Probleme der Vorfinanzierung in der Eigenverwaltung

b) Lösungsmöglichkeiten de lege ferenda

4. Beendigung des Insolvenzverfahrens durch Insolvenzplan

a) Bestätigung des Insolvenzplans und Aufhebung des Insolvenzverfahrens

b) Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit

c) Weitere Wirkungen des Plans gemäß § 254 InsO

d) Überwachung und Planerfüllung

C. Der Eintritt eines zweiten Insolvenzereignisses

I. Ursachen für den Eintritt eines zweiten Insolvenzereignisses

1. Endogene Faktoren

2. Exogene Faktoren

3. Die nachhaltige Sanierung

4. Der Begriff der nachhaltigen Sanierung

a) Herkunft des Wortes

b) Normativität des Begriffs

c) Der dynamische Sanierungsbegriff

d) „Nachhaltigkeit“ der Sanierung

e) Der Weg zur nachhaltigen Sanierung

f) Die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit

g) Die Rechtsprechung des BGH zur wiederhergestellten Zahlungsfähigkeit

aa) Die Wiederaufnahme der Zahlungen

bb) Widerspruch zur Stichtagsbetrachtung des § 17 InsO

II. Die Rechtsprechung des BSG zur erneuten Inanspruchnahme von Insolvenzgeld

1. Die Ausgangslage

a) Entscheidung des BSG, Urteil vom 22. Februar 1989 – 10 RAr 7/88 –, SozR 4100 § 141b Nr. 45

b) Entscheidung des BSG vom 17. März 2015 Az: B 11 AL 9/14 R

c) Entscheidung BSG, Urteil vom 23. Mai 2017 – B 12 AL 1/15 R –, SozR 4-4300 § 175 Nr. 2

2. Kritische Würdigung

a) Ausgangslage in der Literatur

b) Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer

c) Tauglichkeit des Insolvenzplans

aa) Evident untaugliche Insolvenzpläne

bb) Ernsthafter Sanierungsversuch

cc) Das Argument der „allgemeinen Wiederaufnahme von Zahlungen“

d) Die Bestätigung des Insolvenzplans als Zäsur

aa) Zahlungsunfähigkeit als eigener Begriff

bb) Sozialrechtliche Zahlungsunfähigkeit, ein Sonderweg?

cc) Konfusion der Zahlungsunfähigkeit

dd) Historische Auslegung als Rechtfertigung?

e) Die Problematik der Freigabe

aa) Grundlagen zur Freigabe

bb) Auswirkungen der Freigabe auf die Zahlungsunfähigkeit

cc) „Abweichende Beurteilung“ im Sozialrecht

f) Spannungsverhältnis Insolvenzrecht und Sozialrecht

3. Zwischenergebnis

III. Gegenentwurf zur Sperrwirkung

1. Maßgebliche Beurteilungskriterien

2. Arbeitnehmerschutz

3. Vertrauensschutz durch Zeitablauf

4. Sanierungskonzept

D. Der Missbrauch von Insolvenzgeld und Vorfinanzierung

I. Risiken der Insolvenzgeldvorfinanzierung

1. Risiken des vorfinanzierenden Kreditinstituts

2. Risiken für die Bundesagentur für Arbeit?

II. Die rechtswidrige Zustimmung zur Vorfinanzierung

III. Grenzen einer erneuten Inanspruchnahme

1. Insolvenzgeldgewährung

2. Vorfinanzierung

a) Umfang der Prüfung der Bundesagentur beim zweiten Insolvenzereignis

b) Durchführung der Prüfung

c) Zweifelsfälle

IV. Haftungsfragen bei Vorfinanzierung und Insolvenzgeld

1. Allgemeines

2. Insolvenzgeld als begünstigender Verwaltungsakt

3. Fehlerhafte Vorfinanzierung

4. Zahlung der Arbeitnehmeransprüche durch Dritte

5. Persönliche Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters und des vorläufigen Sachwalters

a) Anspruchsgrundlage

b) Pflichtverletzungen des vorläufigen Sachwalters

c) Pflichtverletzungen des vorläufigen Insolvenzverwalters ohne Verfügungsbefugnis

d) Pflichtverletzungen des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verfügungsbefugnis

e) Verschulden

f) Schaden einer unterlassenen Vorfinanzierung

g) Zusammenfassung zur Haftung

E. Zusammenfassung – was bleibt?

I. Die Entwicklung des Insolvenzgelds

II. Tatbestand und Rechtsfolge

III. Vorfinanzierung und Zustimmung durch die Bundesagentur

IV. Eigenverwaltung und Plan

V. Die gescheiterte Sanierung – Folgen einer erneuten Insolvenz

VI. Gegenkonzept zur Sperrwirkung

VII. Missbrauch der Vorfinanzierung

VIII. Haftungsfragen

F. Ende gut – alles gut?

I. „To put it in a nutshell“

II. Der Blick in die Glaskugel

G. Literaturverzeichnis

A. Einleitung

I. Die Krise als Chance

Ist eine erfolgreiche Sanierung Glück? Eine ketzerische Eingangsfrage! Die meisten erfolgreichen Unternehmer und Sanierungsexperten würden das bestreiten. Wer gibt in einer Leistungsgesellschaft schon gerne zu, dass nicht harte Arbeit oder herausragende Fähigkeiten, sondern allein Glück und Zufall wesentliche Erfolgsfaktoren waren? Wer gibt zu, dass manche Entscheidungen sich nur zufällig als richtig herausgestellt haben? Fast niemand. Aber wie viele medienwirksame Erfolgsgeschichten kommen wirklich auf die ca. 19.000 Unternehmensinsolvenzen pro Jahr? Menschen neigen psychologisch dazu, die Erfolgswahrscheinlichkeit und ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen.2Survivorship Bias und Overconfidence Effect sind gleichzeitig mitursächlich für neue Krisen.3 Erst das Eingestehen der eigenen Fehlbarkeit ist der Anfang der Problembekämpfung. Gerade das fällt aber Führungspersönlichkeiten besonders schwer.4 Dazu gehört eben auch, die eigene Position als Geschäftsführer kritisch zu hinterfragen.

Insolvenzrecht und insbesondere das Insolvenzgeld sind nur die Werkzeuge, um den Weg aus der Krise zu meistern. Das Insolvenzgeld ist aber kein Allheilmittel. Am Ende entscheidet der richtige Einsatz des Werkzeugs über Erfolg und Misserfolg. Das vorausgeschickt, soll nachfolgend das Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung, erstmalig monografisch, dargestellt werden. Ich habe mich um größtmögliche Verständlichkeit, Einfachheit und Klarheit in der Sprache bemüht, kann aber nicht leugnen, dass Fachtermini eben fachspezifisch sind. Der nicht juristisch vorbefasste Leser möge mir das bitte nachsehen.

2

Elton/Gruber/Blake

, Survivor Bias and Mutual Fund Performance The Review of Financial Studies 1996, S. 1097–1120.

3

Elton/Gruber/Blake

, Survivor Bias and Mutual Fund Performance The Review of Financial Studies 1996, S. 1097–1120.

4

Vgl. in diesem Zusammenhang

Furtner

, Dark Leadership Narzisstische, machiavellistische und psychopathische Führung, S. 4ff.

II. Der „kleinste gemeinsame Nenner“

Man fängt also bei einem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ an, nämlich einer Situation, mit der jeder Leser etwas Konkretes verbindet. Denn erfahrungsgemäß hatte jeder (bzw. Freunde und Bekannte) schon mal Berührung mit dem Insolvenzgeld, zumindest aber mit vergleichbaren Sozialleistungen (sei es Arbeitslosengeld I oder II, BAföG o.ä.). Die meisten Menschen arbeiten als Angestellte. Manche können sogar ihr ganzes Leben bei einem Unternehmen verbringen. Das ist erfreulich. Doch nicht immer funktioniert das Arbeitsleben so reibungslos. Arbeitgeber sind genau wie Arbeitnehmer fehlbar. Man kann betriebswirtschaftlich „alles richtig“ machen, aber sein Unternehmen dennoch erfolgreich an die Wand fahren. Die jüngsten Ereignisse um die Corona-Pandemie bestätigen diese Analyse eindrucksvoll. Wer zu Beginn der Krise gedacht hätte, dass es ganze Branchen vernichten wird, der wäre nur müde belächelt worden. Die Realität interessiert sich nicht für die Erfolge vergangener Tage. Insolvenzverfahren sind in einer sozialen Marktwirtschaft unvermeidbar. Das mag banal klingen, ist aber in Wahrheit eher ein Aufruf zu ökonomischer und intellektueller Bescheidenheit.

Den Arbeitnehmern drohen in der Krise meist Arbeitslosigkeit und sozialer Abstieg. An diesem Punkt in der Erwerbsbiografie angekommen, werden die Arbeitnehmer zwangsläufig das erste Mal mit dem Insolvenzgeld konfrontiert. Ohne allzu viel vorweg nehmen zu wollen, handelt es sich (noch völlig unjuristisch beschrieben) um eine von anderen Unternehmen vorfinanzierte Geldleistung des Staates an Arbeitnehmer insolventer Unternehmen, die dem Arbeitslosengeld ähnelt. Darunter kann man sich auch ohne juristische Spezialkenntnisse etwas vorstellen. Das Insolvenzgeld hat aber noch wesentlich mehr Funktionen und Effekte. Es ist für die Mehrheit der Insolvenzverwalter die „Mutter“ der erfolgreichen Sanierung. Geschäftsfortführung, Insolvenzplan, „übertragende Sanierung“, alle Sanierungsinstrumente des modernen Insolvenzrechts sind letztlich ohne Insolvenzgeld und Vorfinanzierung undenkbar. Die Einführung des Insolvenzgelds durch den Gesetzgeber hat seinerzeit die „Rettung“ eines Unternehmens gleichwertig neben dessen Zerschlagung und Verwertung treten lassen.5 Doch wie nutzt man das Insolvenzgeld zur Sanierung? Welche Probleme können dabei auftauchen? Wie „sanierungsfreundlich“ ist das Insolvenzgeld? Werden die Arbeitnehmer ausreichend durch das Insolvenzgeld geschützt? Diesen und weiteren Fragen will ich nachgehen, nachdem ich eine weitere Kernfrage beantwortet habe: Braucht es überhaupt eine Auseinandersetzung mit dem Insolvenzgeld?

5

Dazu schon

Grub

, ZIP 1993, 393, (397).

III. Anlass der Darstellung

1.Wozu braucht es weitere Überlegungen zum Insolvenzgeld?

Das ist die erste Frage, die man gestellt bekommt und sich vor allem selbst stellt, wenn man über eine einzelne Abhandlung zu einem Thema sinniert. Reine Theorie hat nur selten einen über die Wissenschaft hinausgehenden Mehrwert. Es ist nicht mein Anspruch, zufällige theoretische Belanglosigkeiten darzustellen. Selbstverständlich kann man Monografien zu Spezialthemen gerade auch aus praktischer Sicht für überflüssig halten. Ich bin daher bestrebt, auch hin und wieder praktische Abläufe zu erläutern und in die Bearbeitung einfließen zu lassen. Die Antwort, ob das gelungen ist, kann wohl nur der Leser selbst geben. Es ist also nur ein Angebot (oder für Juristen eher eine Art invitatio ad offerendum) an den Leser.

2.Die Ausgangsposition des Arbeitnehmers

Die damals noch unverbindlichen Gedanken zum Thema Insolvenzgeld und Sanierung fußten allesamt auf einer Entscheidung des BSG.6 Damals waren das noch Überlegungen, die eher intuitiv waren. Praktisch (insbesondere aus eigener Tätigkeit in Insolvenzverfahren) waren es die ersten Telefonate mit verunsicherten Arbeitnehmern, die resignierten Blicke einer Belegschaft und am Ende die Entscheidungen darüber, ob Arbeitnehmer freigestellt bzw. gekündigt werden sollen oder eben nicht, die zeigen, dass (soziale?) Gerechtigkeit sich nicht allein durch Theoretisieren herstellen lässt.7 Der Kontakt mit der Wirklichkeit geht über das Lehrbuch hinaus. Ein Arbeitnehmer ist nie nur eine leistungswirtschaftliche Ressource zur Erbringung von Arbeitsleistung. Er ist auch keine Zahl in der betriebswirtschaftlichen Auswertung. Hinter jedem Arbeitnehmer verbirgt sich ein Einzelschicksal. Die Sorgen der Arbeitnehmer sind vielfältig. Ein finanziertes Eigenheim, Kinder oder auch Ehepartner hängen vom Arbeitsplatz ab. Die Corona-Pandemie hat die Krise der Arbeitnehmer noch verschärft. Das weitere Leben eines Menschen ist oftmals mit der Erhaltung oder Vernichtung seines Arbeitsplatzes untrennbar verwoben. Deshalb sind die Arbeitnehmer im Insolvenzverfahren besonders verunsichert und schutzbedürftig.

3.Methodische Vorüberlegungen

Auch beim Arbeitnehmerschutz gibt es Normen und Rechtsprechungsgrundsätze, die schon immer gelten und praktiziert werden. Der Rechtspositivismus ersetzt in identischen Fällen eine Art permanente naturrechtliche und moralische Abwägung – aber eben nicht in allen. Der Rückzug auf eine bestehende Rechtslage ist allein noch kein Argument. Rechtswissenschaft darf sich nie auf die bloße Analyse von Normen begrenzen. Recht stößt in unzähligen Fällen an Grenzen. Die individuelle Abwägung durch Rechtsprechung und Rechtsfortbildung kann niemals ausschließlich an objektiven oder vermeintlich objektiven Kriterien erfolgen. Bereits die Auslegung normativer Tatbestandsmerkmale erfordert menschliche Wertungen, die über deren offensichtlichen sprachlichen Inhalt weit hinausgehen. Aber auch eine Definition löst oft nicht das eigentliche Wertungsproblem. Neben dem Rechtspositivismus muss es also eine weitere juristische Wertungskategorie geben. Sobald man Recht kritisiert oder moralisiert, verlässt man bereits die positivistische Rechtsbetrachtung.8

Jeder Rechtsanwender geht mit einem durch Sozialisation geprägten Rechtsgefühl oder Vorverständnis an Fälle (egal ob fiktiv oder real) heran.9 Es gibt Anleitungen, die genau dazu raten.10 Das ist hilfreich, um sich nicht im Normengeflecht zu verheddern. Juristen sind eben keine reinen „Subsumtionsautomaten“.11 Insofern kann es auch bei der Auslegung sinnvoll sein, einen Schritt vom Problem zurückzumachen und sich, unabhängig von der bestehenden Norm, zu fragen: Kann das richtig sein? Ist das sinnvoll und interessengerecht? Entspricht die Regelung gesellschaftlichen Werten? Die Antworten auf solche Fragen können nur offen sein. Formelartige Lösungen gibt es nicht. Man könnte darüber wohl umfangreiche und unendliche Diskussionen führen. Aufgabe der Rechtswissenschaften ist es, immer wieder diese Fragen zu stellen. Die Unzufriedenheit und der Zweifel an einem methodisch „richtig“ ermittelten Ergebnis bringen letztlich die Rechtsentwicklung und auch das gesellschaftliche Zusammenleben voran. Dem Selbstverständnis einer „offenen Gesellschaft“ und von Wissenschaftstheorie im Allgemeinen entspringt daher die Erkenntnis, dass es keine absoluten Wahrheiten gibt.12 Man kann nur einstweilen beste Lösungen von Problemen finden und sie weiter permanenter Kritik aussetzen, bis man eine bessere These gefunden hat.13 Eine ständige Rechtsprechung ist daher kein Ruhekissen; denn auch liebgewonnene Auffassungen (und praktisch funktionierende Lösungen) müssen von Zeit zu Zeit angezweifelt werden.

Was hat das jetzt mit dem Insolvenzgeld zu tun? Auf den ersten Blick gar nichts. Auf den zweiten Blick jedoch ist die obige Überlegung die über die Rechtswissenschaft hinausgehende erkenntnistheoretische Grundlage. Eine umfangreiche Monografie, die insbesondere den Sanierungsaspekt näher beleuchtet, gibt es bislang nicht.14 Warum also nicht versuchen, einem praktisch erprobten Problemfeld, dem Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung, neue Hypothesen abzuringen? Ziel ist es, nach dem Prinzip des „Trial and error“ und des „probierten Denkens“ mehr oder weniger neue Wege zu finden,15 um das bestehende System des Insolvenzgelds im Hinblick auf die Sanierung und Vorfinanzierung weiter zu verbessern und die Zwecke des Insolvenzverfahrens zu fördern. Das ist die Aufforderung zur „Perspektive legitimer Perspektivenvielfalt“ und Kritik.16 An einigen Stellen werden sich hier daher Ideen oder Andeutungen finden, die nicht bis ins Detail erprobt oder durchdacht sind, sondern zu Kritik geradezu einladen sollen. Unangreifbarkeit war nie mein Anspruch. Die wesentliche Herausforderung der Rechtswissenschaft bleibt, immer wieder nachzufragen, ob das geltende Recht noch den Maßstäben entspricht, die an eine freie, offene und soziale Rechts- und Gesellschaftsordnung zu stellen sind.17 Die wesentliche Ausgangsfrage ist also: Wie können Insolvenzgeld und Vorfinanzierung möglichst gewinnbringend für die Sanierung von Unternehmen eingesetzt werden, ohne dass es dabei zu einer Fehlallokation von Sozialleistungen kommt?

6

BSG NZI 2015, 720–722.

7

Vgl. zur Theoretisierung

Petersen

, Freiheit unter dem Recht: Friedrich August von Hayeks Rechtsdenken S. 218ff.

8

Zippelius

, Rechtsphilosophie, S. 61.

9

Zippelius

, Rechtsphilosophie, S. 102f.

10

Möllers

, ZfPW 2019, 94 (117).

11

Vgl. zum Problem

Rüthers

, JuS 2011 865, (866).

12

Vgl. den Appell von

K. Popper

, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band 1 S. 268;

Zippelius

, Rechtsphilosophie S. 67, der zu Recht, die Methoden Poppers für die Rechtsgewinnung fruchtbar macht; zum Münchhausen-Trilemma auch

Hans Albert

, Traktat über kritische Vernunft.

13

Vgl. den Appell von

K. Popper

, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde Band 1 S. 268;

Zippelius

, Rechtsphilosophie S. 67.

14

Dazu nur ansatzweise

Grepl

, Die Funktionen des Insolvenzgelds.

15

Zippelius

, Rechtsphilosophie S. 70.

16

Zippelius

, Rechtsphilosophie S. 70.

17

Mahlmann

, Konkrete Gerechtigkeit S. 29ff.

IV. Insolvenzgeld in der gesamtgesellschaftlichen Betrachtung

1.Der gesellschaftliche Wert des Insolvenzgeldes

Den sozialpolitischen, aber auch wirtschaftlichen Wert der Vorschriften zum Insolvenzgeld zu ermitteln, ist vergleichsweise einfach. Das Insolvenzgeld ist wirtschafts- und sozialpolitisch bedeutsam, obwohl es gesamtgesellschaftlich kaum Bekanntheit hat. Als Sozialleistung definiert es einen hohen Schutzstandard. Eins daher vorweg: Wann immer nachfolgend Kritik anklingt, handelt es sich um Kritik auf sehr hohem sozialstaatlichem Niveau. Durch die Umlagefinanzierung des Insolvenzgeldes bedarf es auch keiner paritätisch aufgebrachten Beiträge. Es ähnelt insoweit der Unfallversicherung. Das Insolvenzgeld ist im Hinblick auf seine Differenziertheit, Reichweite und Funktion international einzigartig. Die anklingende Kritik soll nicht dazu verleiten, sozialen Pessimismus zu schüren oder dem negativity bias zu verfallen.18 Zugleich sollen aber auch nicht die Probleme prekär Beschäftigter verkannt werden. Nur zur Einordnung: Das englische Recht sieht beispielsweise eine Begrenzung des Insolvenzgelds der Höhe nach vor. Aufgrund der „insolvency proceeding order 1986“ ist die Höhe des Insolvenzgelds auf monatlich maximal 800 Pfund begrenzt.19

2.Sanierung im finanzpolitischen Kontext

Keine Sanierung ohne Insolvenzgeld! So oder so ähnlich könnte die Losung der meisten Insolvenzverwalter lauten. Bei einem laufenden Geschäftsbetrieb wird sich der Insolvenzverwalter unverzüglich darüber informieren lassen, wie lange schon keine Löhne mehr gezahlt wurden. Umso mehr Löhne offen sind, desto kleiner wird die Sanierungschance. Diese These wird wohl die Mehrheit der Insolvenzverwalter, ohne zu zögern, unterstützen. Hintergrund im Insolvenzeröffnungsverfahren ist das Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung. Allein im medial viel beachteten Insolvenzverfahren von Air Berlin flossen neben den unmittelbaren staatlichen Darlehen in Höhe von 150 Mio. EUR weitere ca. 46,3 Mio. EUR Insolvenzgeld an die Mitarbeiter.20 Für ein einzelnes Unternehmen ist das eine ganz erhebliche Summe. Die Summe ist aber mit dem Gesamtbundeshaushalt von 1,4 Mrd. EUR für Arbeit und Soziales ins Verhältnis zu setzen.21 Aus sozialrechtlicher und finanzpolitischer Sicht handelt es sich also nicht um die größte Position im Haushalt der sozialen Sicherung. Erheblich größeren finanziellen Einfluss haben die Leistungen nach dem SGB II sowie die Rentenleistungen. Diese verursachen Kosten in Höhe von ca. 1,04 Mrd. EUR.22 Gleichwohl sollte man den ökonomischen Einfluss des Insolvenzgelds auf den Arbeitsmarkt insgesamt nicht unterschätzen. Im besten Fall lassen sich damit Arbeitsplätze, Wirtschaftskraft und vor allem auch Know-how erhalten. Die Synergieeffekte sind groß. Neben der unmittelbaren finanziellen Belastung des Bundeshaushaltes ist der Effekt auf die Volkswirtschaft vermutlich größer, als es zunächst aussieht. Das Verständnis für Herkunft und Grundlagen des Insolvenzgeldanspruches ist erforderlich, um die spätere Sanierungsrelevanz der Vorschriften zum Insolvenzgeld herauszustellen und überhaupt nachvollziehen zu können.

3.Überblick über weitere Sanierungsmittel

Selbstredend ist das Insolvenzgeld nicht das einzige Sanierungsinstrument für Insolvenzverwalter. Beliebte Sanierungsmittel können beispielsweise auch: das Gesellschafterdarlehen, die Durchführung einer Kapitalerhöhung, der Debt-Equity Swap (bei dem ein Gläubiger auf Forderungen zugunsten von Gesellschaftsanteilen verzichtet) oder die Umstrukturierung bzw. Abspaltung von Unternehmensteilen sein.23 Es ist nicht Teil dieser Arbeit, alle diese Sanierungsmittel auszuwerten und mit dem Insolvenzgeld zu vergleichen. Dennoch sollte man sich bewusstmachen, dass Sanierung selten nach nur einem einzigen Schema funktioniert. Eine Strategie, die für ein Unternehmen funktioniert, kann ein anderes in die Katastrophe führen. Manche der oben genannten Möglichkeiten kommen von vornherein nicht in Betracht, weil die Beteiligten beispielsweise nicht bereit sind, die entsprechenden Maßnahmen mitzutragen. Hier zeigt sich bereits ein wesentlicher Vorteil des Insolvenzgelds. Es ist weniger stark vom Willen der Beteiligten abhängig. Grundsätzlich kommt der Einsatz des Insolvenzgelds als Sanierungsmittel daher immer in Betracht. Das Insolvenzgeld als Sozialleistung an die Arbeitnehmer ist aber nicht bzw. nur sehr eingeschränkt den privatautonomen Regelungen der Marktwirtschaft unterworfen. Die Bundesagentur für Arbeit muss aufgrund der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung begründen, warum sie die Auszahlung des Insolvenzgelds oder die Zustimmung zur Vorfinanzierung verweigert. Die Gewährung von Insolvenzgeld steht als Anspruch nicht im Ermessen der Behörde. Vertragspartner in der freien Wirtschaft sind nicht gesetzlich verpflichtet, Darlehen zu gewähren oder sich an einer Sanierung zu beteiligen. Die Bundesagentur für Arbeit ist es hingegen schon.

18

Vgl. dazu

Rozin/Royzmann

, Personality and Social Psychology Review 2001, Vol. 5, No. 4,296ff.

19

Abrufbar unter https://www.legislation.gov.uk/uksi/1986/1996/pdfs/uksi_19861996_en.pdf (zuletzt besucht am 7. Juni 2019, 16:00 Uhr).

20

So jedenfalls Handelsblatt v. 24. Januar 2018 abrufbar unter https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/air-berlin-kunden-undmitarbeiter-gehen-leer-aus/20883904.html?ticket=ST-2706948-LWYJvzix-KoHX9VH3wGL5-ap6 (zuletzt besucht am 1. Juni 2019).

21

Bundeshaushalt 2019 abrufbar unter https://www.bundeshaushalt.de/#/2019/soll/ausgaben/einzelplan/11.html (zuletzt besucht am 1. Juni 2019).

22

Bundeshaushalt 2019 abrufbar unter https://www.bundeshaushalt.de/#/2019/soll/ausgaben/einzelplan/11.html (zuletzt besucht am 1. Juni 2019).

23

Vgl. zu den Möglichkeiten und deren steuerlicher Betrachtung Auswirkungen

Sonnleitner

, Insolvenzsteuerrecht Rn. 3–8.

V. Wo ist jetzt eigentlich das Problem?

1.Auslegung der §§ 165ff. SGB III

Zu Recht wird sich der Leser nun fragen, wo sich die juristischen Probleme im Zusammenhang mit dem Insolvenzgeld verbergen. Es geht tatsächlich weniger um eine allumfassende Darstellung der sozialrechtlichen Normen, sondern vielmehr um eine teilweise ökonomische, primär juristische, aber auch sozialpolitische Analyse des Insolvenzgelds unter rechtspraktischen Aspekten. Eine Schnittstellenmaterie, wie es das Insolvenzgeld ist, lässt keine punktuelle Darstellung oder Auslegung zu. Dementsprechend wird es notwendig sein, auch bei den einzelnen Rechtsfragen Schwerpunkte zu setzen. So werden in der Darstellung die wesentlichen Fragen zum konkreten Umfang des Insolvenzgelds ausgespart. Hier wäre eine Vielzahl von Einzelfällen aufzuarbeiten. Die praktische Relevanz ist zwar gerade für die Arbeitnehmer groß, aber es hat sich diesbezüglich eine umfangreiche Kasuistik entwickelt. Dabei kommt es stark auf die individualvertraglichen Vereinbarungen an. Die Aufarbeitung dieser Fallgruppen soll daher der Kommentarliteratur überlassen bleiben.24

Stattdessen soll es zunächst ganz allgemein um die juristische Entwicklung des Insolvenzrechtes und der Vorfinanzierung gehen. Ganz ohne historischen Abriss wird das nicht funktionieren. Schon hier werden sich wesentliche Unterschiede zwischen Insolvenzgeld einerseits und der Sanierungsfunktion der Insolvenzordnung andererseits zeigen. Danach folgt die Darstellung der Regelungen zum Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung. Hier liegt ein Schwerpunkt, weil die Vorfinanzierung in besonderem Maße Sanierungsrelevanz hat. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale spielen dabei eine wesentliche Rolle. Im weiteren Verlauf werden dann die Besonderheiten der Eigenverwaltung für das Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung untersucht. Dabei treten praktisch diverse Probleme auf, die zumindest de lege ferenda anders und effektiver gehandhabt werden könnten.

2.Mehrfache Insolvenzereignisse

Ein zweiter Schwerpunkt – und darauf bezogen sich die einleitenden Ausführungen – soll auf der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu mehrfachen Insolvenzereignissen liegen. Dazu ist es sinnvoll, chronologisch vorzugehen, um die Unterschiede im Einzelnen zu untersuchen. Die Rechtsprechung des BSG führt beispielsweise dazu, dass ein bereits eingetretenes Insolvenzereignis weitere „neue“ Insolvenzereignisse, die erneut Insolvenzgeld auslösen könnten, sperrt.25 Ist also ein Insolvenzereignis eingetreten, kann es in sozialrechtlicher Hinsicht nicht oder bzw. nur unter anderen Voraussetzungen nochmal eintreten. Scheitern Sanierungsmaßnahmen, haben die Arbeitnehmer also keinen erneuten Anspruch auf Insolvenzgeld, solange die Sperrwirkung des ersten Ereignisses fortdauert. Das kann unter anderem bei zwischenzeitlichen Neueinstellungen oder Entlassungen in der Sanierungsphase zu rechtlich interessanten Folgefragen führen. Hier wird auch dem Problem nachgegangen, warum und aus welchen Gründen das BSG in ständiger Rechtsprechung an dieser Sperrwirkung festhält und, ob das überhaupt sinnvoll ist. Auch diese Fragen können nur vor dem Hintergrund der Entwicklung des Insolvenzrechtes von einem reinen Abwicklungsverfahren hin zu einem Sanierungs- und Entschuldungsverfahren untersucht werden. Es wird ebenfalls darum gehen, welche Schnittstellen zum Arbeits- und Sozialrecht bestehen und wie sich diese auf die Auslegung auswirken können.

Letztlich werde ich versuchen, auf dieser Grundlage einen Gegenentwurf zu dieser recht restriktiven Rechtsprechung des BSG zur Diskussion zu stellen. Die Kritik an einer so speziellen und detaillierten Rechtsfrage setzt aber auch voraus, dass zunächst die sozialrechtlichen und normtheoretischen Grundlagen betrachtet werden. Das gilt auch für die insolvenzrechtlichen Abläufe einer Sanierung, die durch die Insolvenzordnung vorgegeben werden. Auf welche Art das BSG die Problematik mehrfacher Insolvenzereignisse löst und wie sich vor allem die Sperrwirkung des ersten Insolvenzereignisses auswirkt, soll näher betrachtet werden. Dabei soll der Rechtsprechung des BSG ein eigenes Gesamtkonzept gegenübergestellt werden, welches die unterschiedlichen Anforderungen in anderer Art und Weise vereint. Es schließt sich sodann eine Diskussion über die Missbrauchsmöglichkeiten, Grenzen und Risiken des Insolvenzgelds und der Vorfinanzierung an. Zuletzt wird betrachtet, ob und wenn ja, wie Insolvenzverwalter, vorläufiger Insolvenzverwalter und Sachwalter haften, falls eine Vorfinanzierung scheitert oder gar nicht durchgeführt wird. Dabei sind weitere Kriterien heranzuziehen als bei der allgemeinen Haftungsprüfung, da das Insolvenzgeld als sozialrechtliche Spezialmaterie eben auch andere Haftungsrisiken birgt.

24

Vgl. die sehr gute alphabetische Übersicht bei Brand/

Kühl

, § 165 SGB III Rn. 40; Vgl. auch

Schelp

, NZA 2010 S. 1095–1101.

25

Ständige Rechtsprechung seit BSG ZIP 1999, 762–765; zuletzt BSG ZInsO 2017, 2183–2188.

B. Insolvenzgeld und Sanierung beim Eintritt des ersten Insolvenzereignisses

I. Historischer Kontext

1.Sinn und Unsinn einer historischen Darstellung

Die historische Auslegung steht nicht isoliert neben anderen Auslegungsmethoden, sondern ergänzt und stützt sie.26 Wie einzelne Buchstaben erst zusammen ein Wort ergeben und erst das Zusammenspiel von Prädikat und Subjekt einen Satz ergibt, so lassen sich Gesetze erst verstehen, wenn man neben Wortlaut, Systematik und Telos den Kontext ihrer Entstehung nachvollzieht. Es geht dabei weniger um „neue“ historische Erkenntnisse, als vielmehr um die Einordnung der Norm in einen Zeitkontext. Ein umfangreicher historischer Exkurs ist nur dann sinnvoll, wenn damit tatsächlich ein Mehrwert für die Auslegung und die Lösung eines rechtlichen Problems verbunden ist. Es muss sich um Informationen handeln, die zum Verständnis einer Norm unabdingbar sind. Unbestritten kann die Betrachtung der Geschichte das Verständnis schärfen. Manchmal ist die historische Auslegung sogar der einzige Zugang zum Verständnis einer Norm. Sie sollte aber kein seitenfüllender Selbstzweck sein. Die Geschichte kann nur Ausgangspunkt, aber nicht Ziel einer methodischen Annäherung an den objektiv gültigen Sinn eines Rechtssatzes sein.27 Andererseits ist zu beachten, dass der Wille des historischen Gesetzgebers sich meist abschließend im Normtext manifestiert hat.28 Es folgt somit nur ein kurzer Abriss einiger wesentlicher historischer Schritte. Diese sind Grundlage für den Zugang zum Sozialrecht allgemein und speziell zum Insolvenzgeld. Am Ende dieses Exkurses werden einige Erkenntnisse stehen, die auch für die zukünftige Ausrichtung des Insolvenzgelds interessant sind.

2.Vom Konkursausfallgeld zum heutigen Insolvenzgeld

Die Regelung, damals noch in §§ 141a bis 141n AFG normiert, begründete erstmals den sozialversicherungsrechtlichen Schutz der Arbeitnehmer für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Grundlage war das 3. AFG-ÄndG vom 17. Juli 1974.29 § 141b AFG regelte dabei die Insolvenzereignisse (Eröffnung des Konkursverfahrens, Abweisung mangels Masse, Beendigung der Betriebstätigkeit), während § 141a AFG Konkursausfallgeld folgendermaßen legaldefinierte: „Arbeitnehmer haben bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers nach diesem Unterabschnitt Anspruch auf Ausgleich ihres ausgefallenen Arbeitsentgeltes (Konkursausfallgeld).“30

Die Einführung wurde kurze Zeit später im Jahre 1980 durch die Richtlinie des Rates der EWG 80/987 vom 20. Oktober 1980 überholt. Damit wurden alle Mitgliedstaaten der damaligen EWG durch die Richtlinie europarechtlich verpflichtet, entsprechende Garantieeinrichtungen zu schaffen. Diese sollten sicherstellen, dass Arbeitnehmer auch in der Insolvenz ihre Arbeitsleistung zumindest teilweise vergütet bekommen.31 Eine konkrete Höhe gab die Richtlinie nicht vor. Träger der deutschen Garantieeinrichtung ist die Bundesagentur für Arbeit, die – so jedenfalls die damalige Überlegung des Gesetzgebers – aufgrund der weit verzweigten Einrichtungen am besten in der Lage sei, eine zeitnahe Prüfung und Auszahlung zu gewährleisten.32 Die 1974 eingeführten Normen galten im Wesentlichen inhaltlich unverändert bis zum 1. Januar 1999 fort.33 Als die Insolvenzordnung die Konkursordnung abgelöst hatte, wurden die Vorschriften in die §§ 183 bis 189 a SGB III implementiert. Dabei blieb der wesentliche Kernbereich der Regelungen erneut unangetastet.34 Mit dem Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 wurden die Normen dann hauptsächlich im Hinblick auf grenzüberschreitende Sachverhalte in § 183 Abs. 1 S. 1 und Abs. 1 S. 2 angepasst.35 Zudem wurden in S. 3 und 4 Vorschriften eingefügt, die spezielle Regelungen zum Arbeitszeitguthaben trafen. Auch hierbei blieben umfangreiche Reformen am Regelungskonzept und am Prinzip des Insolvenzgelds aus. Letztlich führte das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 zu einer neuen Systematisierung des SGB III, sodass nunmehr die Regelungen zum Insolvenzgeld von den §§ 183ff. SGB III a.F. in die §§ 165ff. SGB III überführt wurden.36 Inhaltliche Änderungen waren damit, wenn man von redaktionellen Anpassungen und der sprachlichen Gleichsetzung von Männern und Frauen absieht, nicht verbunden und vom Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt.37

3.Die gleichzeitige Entwicklung des Insolvenzrechts

a)Die Anfänge des Insolvenzrechts

Das Insolvenzrecht hat im Laufe der Zeit wie kaum ein anderes Rechtsgebiet tiefgreifende Veränderungen erfahren. Es ist daher weder sinnvoll noch möglich, alle diese Veränderungen bis ins letzte Detail darzustellen. Die Betrachtung soll sich ausschließlich darauf beschränken, einen Vergleich zwischen der insolvenzrechtlichen und der sozialrechtlichen Entwicklung zu ermöglichen. Das gibt dem Leser Gelegenheit, die Normen im Kontext einzuordnen.

Die Geschichte des Insolvenzrechts beginnt bereits im römischen Recht. Dieser Einfluss hat auch in anderen Bereichen das deutsche Zivilrecht maßgeblich mitgeprägt. Im römischen Recht gab es eine Gesamtvollstreckung durch die missio in bona bzw. der missio in possesionem als Regelform der Vollstreckung eines Urteils aus dem Formularprozess gegen den nicht leistenden Schuldner.38 Wörtlich ist damit die Einweisung in das Vermögen bzw. den Besitz gemeint, um sich dann daraus zu befriedigen. Schon zur damaligen Zeit wurde das Vermögen des Betroffenen beschlagnahmt, um anschließend die Gläubiger gleichmäßig befriedigen zu können.39 Dieses Konzept ist bis heute erhalten geblieben und deckt sich mit dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter in § 80 Abs. 1 S. 1 InsO. Die Beschlagnahme tritt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein. Bis in die Gegenwart ist die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger sowie deren Gleichbehandlung ein wichtiger Grundsatz des Insolvenzrechts. Meist entzündet sich ein Streit über diesen Grundsatz unmittelbar an einzelnen Rechtsfragen innerhalb eines Insolvenzverfahrens.40 Das römische Recht sah weder Sanierung noch Restschuldbefreiung vor.41 Zugegeben: Global agierende Konzerne mit tausenden Beschäftigten waren selbst für römische Verhältnisse – Rom war immerhin die erste Millionenmetropole – nicht mal entfernt denkbar. Die Wirtschaft gab das noch nicht her.

Dennoch waren die römischen Verhältnisse im Hinblick auf das Vollstreckungsverfahren eher martialisch. Die Personalexekution erlaubte die Vollstreckung nicht nur in das Vermögen selbst, sondern auch in andere Rechtsgüter.42 Der Schuldner wurde wortwörtlich in Stücke geschnitten und aufgeteilt. Ein Schuldner verlor sogar seine Stellung als Bürger, wenn er seine Verpflichtungen nicht erfüllen konnte.43 Im späteren germanischen Recht – zur Zeit von 500 v. Chr. bis 100 v. Chr. – fanden sich unter anderem Treuegelöbnisse, die eine Schuldknechtschaft vorsahen, falls jemand sein gesamtes Vermögen verloren hatte.44 Der heute bekannte schuldrechtliche Grundsatz des „pacta sunt servanda“, der unser Verständnis des Insolvenzrechts und Vollstreckungsrechts maßgeblich prägte, entwickelte sich aber erst später als Teil des kanonischen Rechts.45

Die Entwicklung des Vollstreckungsrechts im mittelalterlichen Deutschland hingegen war zunächst noch geprägt vom Prioritätsprinzip („Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“). Bereits der Sachsenspiegel und der Schwabenspiegel enthielten Regeln zur Vollstreckung gegen den säumigen Schuldner.46 Eine gemeinsame Befriedigung der Gläubiger fand nicht statt. Erst nach und nach setzte sich – anfänglich noch ausschließlich in den Städten – die Gesamtvollstreckung im Sinne einer gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger nach römischem Vorbild durch.47 Innerhalb dieser Phase entwickelten sich vom 15. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert hinein wesentliche Grundzüge des heutigen Insolvenzrechts, die bis heute prägend sind. Das ist natürlich sehr verkürzt und vereinfacht dargestellt, aber die Wiederentdeckung des römischen Rechts beeinflusste das spätere gesamtdeutsche Konkursrecht.48 Diese Entwicklungen gipfelten dann 1877 in der ersten Konkursordnung. Die Schwierigkeit (damals wie heute) bestand in der Verknüpfung von materiellem Recht und Zivilprozessrecht.49 Noch heute zeigt sich dieses Phänomen beispielsweise bei der Prozessaufrechnung.50

b)Von der Konkursordnung zur Insolvenzordnung

Mit der Ausarbeitung des BGB wurde die Konkursordnung in den Folgejahren ebenfalls angepasst. Die neue Konkursordnung trat dann zusammen mit dem BGB am 1. Januar 1900 in Kraft. Sie sah bereits in § 174ff. KO die Möglichkeit eines Zwangsvergleiches vor. Der Zwangsvergleich war aber stets noch Teil des eigentlichen Konkursverfahrens.51 Erstmals entwickelte sich dann 1927 mit der Vergleichsordnung ein System zur Abwendung von reinen Abwicklungsverfahren, das aber noch nicht betriebswirtschaftlich orientiert war.52 Hier beginnt bereits in der Weimarer Zeit die Geschichte der Sanierung und Fortführung von Unternehmen. Durch die deutsche Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das Recht unterschiedlich weiter. In der BRD wurden gleichzeitig mit der Einführung des Insolvenzgelds im Jahr 1974 Bestrebungen angestellt, den „Konkurs des Konkurses“53 (gemeint sind massearme Verfahren) zu vermeiden.54 Es sollten mehr ausproduzierte und halbfertige Leistungen fertig gestellt werden.55 Massearme Konkurse sollten durch eine dynamische Sequestration vermieden werden.56 In Westdeutschland wurden mit dem Gesetz über den Sozialplan von 1985 weitergehende Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer getroffen.57 Da in der DDR die Planwirtschaft vorherrschend war und alle großen Betriebe verstaatlicht waren, gab es kein Bedürfnis nach einem eigenen Konkurs- oder Insolvenzrecht. Volkseigene Betriebe – so das damalige Selbstverständnis – konnten keine finanziellen Krisen haben. Ähnlich ist es heute nur noch bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts, § 12 InsO, die bislang noch nicht insolvenzfähig sind.

Es gab sowohl das Recht auf als auch die Pflicht zur Arbeit, was die meisten privatautonomen Gestaltungen, die über den Bedarf des täglichen Lebens hinaus gingen, unmöglich gemacht hatte.58 § 42 StGB-DDR sah die Pflicht zur Arbeit vor, indem „asoziales Verhalten“ kriminalisiert wurde. Nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung mit der DDR sah das dann anders aus. Die Volkseigenen Betriebe (VEB) waren den „neuen“ Kräften des Marktes schutzlos ausgeliefert und konnten sich nicht selbstständig am Markt halten. Große Betriebe gerieten am freien Markt in die Krise. Im Gebiet der damaligen DDR galt ab dem 1. Juli 1990 die Gesamtvollstreckungsordnung, um die ehemals verstaatlichten Betriebe abzuwickeln. Diese hatte damals immerhin 23 Paragrafen. Die Regelungsdichte war, für den Umfang, den einige Unternehmen hatten, klein.59 Für die Sanierung großer Unternehmen war die Gesamtvollstreckungsordnung ursprünglich nicht konzipiert. Sie war eine Übergangslösung zur Überführung von Unternehmen in die Marktwirtschaft.

Erst nach der Wiedervereinigung vereinheitlichte man das System von Konkurs, Vergleichsordnung und Gesamtvollstreckungsordnung zu einem einheitlichem Insolvenzrecht. Am 1. Januar 1999 trat damit die Insolvenzordnung nach vierjähriger Wartezeit in Kraft.60 Das Gesetz beendete die „interlokale Rechtsspaltung“.61 Man entwickelte ein gesamtdeutsches Insolvenzrecht. Erstmals kamen im Jahre 1999 Regelungen in die Insolvenzordnung, die mit einigen traditionellen Prinzipien brachen. So ermöglichte das Gesetz erstmals die Restschuldbefreiung. Außerdem stellte der Gesetzgeber in § 1 InsO ausdrücklich klar, dass nunmehr auch der Erhalt eines Unternehmens ein Verfahrensziel sein kann. Dieses Ziel verfolgten die Schuldner bzw. die Geschäftsführer eines Unternehmens aus Eigeninteresse natürlich schon immer. Erstmals etablierte man aber das Insolvenzplanverfahren, um einem Hauptziel der Reform, nämlich der Unternehmenssanierung, gerecht werden zu können. Die Verfahrensziele Liquidation, Sanierung und übertragende Sanierung sah der Gesetzgeber nunmehr als gleichwertig an.62 Schon damals wurde in Frage gestellt, ob diese verbesserten Möglichkeiten in der Praxis als echte Alternative angenommen werden würden.63 Tatsächlich zeigte die weitere Entwicklung auch, dass zwar mit dem Insolvenzplan und der Eigenverwaltung durchaus Instrumentarien geschaffen wurden, um Sanierungen zu erleichtern, aber die praktische Umsetzung eher ernüchternd ausfiel.64

Die Gründe dafür sind vielschichtig, teilweise wurde die Schuld bei den Insolvenzverwaltern gesucht, die nicht bereit waren, über Nacht die Zerschlagungskultur abzulegen.65 Soweit behauptet wird, durch die Zerschlagungskultur sei eine bessere Befriedigung der Gläubiger möglich gewesen, ist diese Erklärung mit Sicherheit zu einfach, zeigt aber, dass es nicht ausreichend ist, theoretische Sanierungsmöglichkeiten zu schaffen.66 Entscheidend ist die praktische Umsetzung im Unternehmen. Vor diesem Hintergrund steuerte der Gesetzgeber nunmehr mit dem ESUG, das am 1. März 2012 in Kraft trat, weiter in Richtung „Sanierungsfreundlichkeit“. Ohne umfänglich auf die Regelungen im Einzelnen eingehen zu wollen, hat das Gesetz dazu geführt, dass sowohl der Schuldner als auch die Gläubiger mehr Mitbestimmungsrechte im Verfahren haben. Insbesondere die Möglichkeiten zur Aufhebung der Eigenverwaltung oder Abberufung des Sachwalters wurden eingeschränkt. Hauptziele waren: die frühzeitige Sanierung insolvenzbedrohter Unternehmen, ein erhöhter Gläubigereinfluss, bessere Chancen auf Eigenverwaltung und die Verbesserung von Sanierungschancen im bereits eröffneten Verfahren.67 Wie so häufig, hat jede Verbesserung dieser Rechte zugleich auch einen Nachteil: Die Manipulationsmöglichkeiten sind gestiegen.68 Gleichwohl hat der Gesetzgeber aufgezeigt, wie er sich eine weitere Entwicklung vorstellt. Die Sanierung ist damit endgültig zu einem selbstständigen Insolvenzzweck herangereift. Die Evaluation des ESUG hat gezeigt, dass die beabsichtigten Ziele weitgehend erfüllt wurden, aber im Einzelnen noch Nachbesserungen notwendig sind.69

4.Die Vorfinanzierung aus historischer Sicht

Die Erhaltung der Fortführungs- und Sanierungsoption ist untrennbar mit der Vorfinanzierung des Insolvenzgelds verbunden. In der Praxis gilt die Vorfinanzierung als das wesentliche Sanierungsinstrument.70