Das Keltengrab - Patrick Dunne - E-Book
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Das Keltengrab E-Book

Patrick Dunne

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Beschreibung

Ein uraltes Verbrechen wirft seine Schatten in die Gegenwart: Der fesselnde Thriller »Das Keltengrab« von Patrick Dunne jetzt als eBook bei dotbooks. Es ist ein einzigartiger Fund – und der Beginn eines Albtraums … Die Archäologin Illaun Bowe ist fasziniert von der Entdeckung nahe der prähistorischen Stätte Newgrange: die Moorleichen einer Frau und ihres Säuglings, Opfer eines grausamen Ritus. Aber warum verbietet der Besitzer des Fundortes jede weitere archäologische Grabung? Kurz darauf wird er ermordet – auf dieselbe Art wie die Moorleiche. Wie konnte der Täter das tödliche Ritual so exakt nachahmen, noch bevor der medizinische Bericht veröffentlicht wurde? Illaun befürchtet, dass jemand aus ihrem Team in den Fall verwickelt ist – und gerät auf der Suche nach dem Mörder selbst in größte Gefahr ... »Patrick Dunnes Thriller bescheren Gänsehaut!« Münchner Merkur Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Irland-Thriller »Das Keltengrab« von Patrick Dunne. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Es ist ein einzigartiger Fund – und der Beginn eines Albtraums … Die Archäologin Illaun Bowe ist fasziniert von der Entdeckung nahe der prähistorischen Stätte Newgrange: die Moorleichen einer Frau und ihres Säuglings, Opfer eines grausamen Ritus. Aber warum verbietet der Besitzer des Fundortes jede weitere archäologische Grabung? Kurz darauf wird er ermordet – auf dieselbe Art wie die Moorleiche. Wie konnte der Täter das tödliche Ritual so exakt nachahmen, noch bevor der medizinische Bericht veröffentlicht wurde? Illaun befürchtet, dass jemand aus ihrem Team in den Fall verwickelt ist – und gerät auf der Suche nach dem Mörder selbst in größte Gefahr ...

»Patrick Dunnes Thriller bescheren Gänsehaut!« Münchner Merkur

Über den Autor:

Patrick Dunne wurde in Dublin geboren und studierte Literatur und Philosophie. Nach dem Studium war er eine Zeitlang Musiker. Inzwischen ist er seit über 20 Jahren als Regisseur und Produzent beim irischen Rundfunk und Fernsehen tätig. Mit seinem Debütroman »Die Keltennadel« gelang ihm ein internationaler Bestseller. Patrick Dunne gehört heute zu den erfolgreichsten Autoren Irlands.

Patrick Dunne veröffentlichte bei dotbooks bereits »Die Keltennadel«, »Skull Rack – Das Todesritual« und die Illaun-Bowe-Trilogie mit den Thrillern »Das Keltengrab«, »Die Opferstätte« und »Die Pestglocke«.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2022

Copyright © 2005 by Patrick Dunne

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2005 by Limes Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2005 unter dem Originaltitel »A Carol For the Dead« bei Tivoli, an imprint of Gill & Macmillan Ltd., Dublin, Ireland. Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Keltengrab« beim Limes Verlag.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2005 by Patrick Dunne

Published by Arrangement with Patrick Dunne

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 by Limes Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/EVorona, rusty426, Dawid K Photograph

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-423-4

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Patrick Dunne

Das Keltengrab

Ein Illaun-Bowe-Thriller 1

Aus dem Englischen von Fred Kinzel

dotbooks.

Ein traurig Märchen passt für den Winter, und ich weiß von Geistern und Hexen eins.

Shakespeare, Das Wintermärchen

Teil 116. Dezember

Kapitel 1

Ihr Körper sah aus wie erstarrter Asphalt, und ich nahm an, er würde sich ebenso hart anfühlen. Doch als ich ihre Hand ergriff, war die Haut wie feuchtes Leder, voll gesogen und weich, so wie meine Handschuhe immer wurden, wenn ich als Kind Schneebälle geworfen hatte. Und genau in diesem Augenblick begann Schnee, fein wie Mehl, vom Himmel zu rieseln und sprenkelte die schwarze Erde und die Frau, die zusammengepresst darin lag.

Seamus Crean, der Baggerführer, der sie gefunden hatte, saß über mir in seinem Führerhaus, nachdem er die Schaufel so geneigt hatte, dass ich den längs in ihr liegenden Körper besser betrachten konnte.

Eine Stunde zuvor war Crean dabei gewesen, einen Graben zu verbreitern, der entlang einer sumpfigen Wiese verlief, als er etwas aushob, das er für den knorrigen Ast einer Mooreiche hielt, der im Torf feststeckte. Er stieg von seinem Gefährt, um nachzusehen, und stellte zu seinem Entsetzen fest, dass er die geschwärzten Überreste eines Menschen ausgegraben hatte.

Und da war noch etwas gewesen. Crean zufolge hatte es sich unter der freiliegenden Hand des Kadavers befunden, teilweise in einem Torfbrocken verborgen, den die Schaufelzähne vom größeren Teil des Aushubs abgetrennt hatten. Er beschrieb es mir als Holzschnitzerei oder vielleicht eine Puppe, und es war in den Graben gefallen, als er versuchte, es aufzuheben.

Die Wiese lag am Fluss Boyne, gegenüber von Newgrange, einem von mehreren Ganggräbern in der fünftausend Jahre alten Nekropolis Bru na Boinne, einem Weltkulturerbe. Eine Moorleiche, die am gegenüberliegenden Ufer auftauchte, konnte deshalb von erheblicher archäologischer Bedeutung sein.

Als Crean das Besucherzentrum benachrichtigte, war er sich absolut sicher gewesen, dass es sich um eine weibliche Leiche handelte. Ich sah jetzt, weshalb. Zwar steckte sie von den Füßen über die Rippen bis zum Schädel wie eine dünne Sandwichfüllung zwischen zwei Lagen aus feuchtem Torf, der rechte Arm samt Schulter ragte jedoch aus dem Morast, vollständig und vollkommen erhalten, von den Windungen der Fingerspitzen bis zu den feinen Haaren auf der Haut, von den Sehnen- und Muskelsträngen in ihrem Unterarm bis zur glatten Mulde ihrer Achselhöhle über der leer gepressten Brust.

Außer kleinen Knochenfragmenten hatte man von den jungsteinzeitlichen Erbauern der Boyne-Gräber nie etwas gefunden, deshalb begeisterte mich die – zugegebenermaßen geringe – Möglichkeit, dass die Frauenleiche eventuell aus dieser weit zurückliegenden Zeit stammte. Sie konnte nicht nur dringend nötige Aufklärung darüber liefern, wer diese Leute gewesen waren, sondern auch, welche Absichten sie verfolgt hatten.

Und seien wir ehrlich, nichts lieben Archäologen mehr, als wenn sie konservierte Menschen finden, egal ob diese in Wüsten luftgetrocknet, in Salzminen gepökelt, auf Bergspitzen tiefgefroren oder in Sümpfen eingelegt worden waren. Die Beigaben, die mit den mumifizierten Toten begraben wurden – Schmuck, Tonwaren, Kleidung –, sie sind natürlich wichtig. Aber was wir im Innern der Mumien finden – ihre intakten Skelette und Organe –, das erst führt uns wirklich in ihre Zeit zurück und erlaubt uns, genau zu beschreiben, was beim letzten Mahl eines Bauern auf dem Speisezettel gestanden hatte; es lässt uns feststellen, ob die Gelenke eines Mönches wegen Arthritis gescheuert hatten, oder die Spuren der Parasiten verfolgen, die an der Leber eines Pharaos genagt hatten.

Doch sobald ich die Moorfrau in ihrem klammen Sarkophag sah, wich meine berufliche Begeisterung einem leichten Anflug von Mitgefühl für sie und ihr herzloses Schicksal. Nicht genug damit, in ein wässriges Grab gesunken – möglicherweise ertrunken – zu sein, war sie im Lauf der Zeit auch noch in ein ledernes Fossil verwandelt worden, das man nun aus der Erde gerissen hatte und bald zur Schau stellen würde, damit wildfremde Leute es begaffen konnten. Und deshalb wollte ich ihr mit ein wenig Anstand begegnen und dachte, es sei ein guter Anfang, ihre Hand zu berühren, sie sogar leicht zu drücken.

Meine nächste Sorge galt dem Gegenstand, der mit der Frau begraben worden war. Ich machte Crean ein Zeichen. Er stellte den Motor seines Baggers ab und kletterte mühsam vom Führerhaus herunter. Der Radbagger thronte auf einem Damm, der entlang des Abflussgrabens zum Flussufer verlief und die Sumpfwiese von einer benachbarten Weide trennte. In deren Mitte drängten sich einige friesische Rinder unter einem kahlen Baum, eingehüllt in eine Wolke ihres eigenen Atems. Es schneite nun heftiger, und das Nachmittagslicht begann rasch zu schwinden. Es war an der Zeit, die Leiche unter ein schützendes Dach zu schaffen. Ich konnte mich aber darauf verlassen, dass sich das forensische Team der Garda darum kümmern würde, das jede Minute eintreffen musste.

Crean hatte seine Arbeit am Morgen mit der Rodung einer Erlenhecke begonnen, um so die gegenüberliegende Seite des Grabens zu erreichen. Dort, wo er die Büsche herausgerissen hatte, befand sich nun ein unebener Sims, etwa einen Meter vom oberen Rand entfernt und noch einmal so hoch über dem Grund des Grabens. Als Crean sich näherte, rutschte ich den Graben hinab auf den Sims und von dort weiter bis ins Wasser, das halb bis zu meinen Gummistiefeln hinaufstieg. »Wo genau ist es hingefallen, Seamus? Das Ding, das sie gehalten hat.« Ich schaute auf die andere Grabenseite hinüber, aus der er den Körper gebaggert hatte, und sah von hier aus, wie viel Material ausgehoben worden war. Weit mehr als nötig, um einen Graben zu verbreitern. Aber wahrscheinlich fing ich schon an, mir Sorgen über den Erhalt der Fundstätte zu machen.

»Ich weiß nicht, ob sie es gehalten hat, Misses«, sagte er, als ich mich wieder umdrehte. »Es war mehr, als hätte sie die Hand danach ausgestreckt.« Crean stand auf dem Damm über mir und zündete sich nervös eine Zigarette an, der Reißverschluss seiner rot-schwarz karierten Wolljacke war trotz der Kälte offen. Die Rötung seiner Wangen, die ich ursprünglich der rauen Witterung zugeschrieben hatte, war tatsächlich seine natürliche, lebhafte Gesichtsfarbe. Mir wurde außerdem bewusst, dass ich seit meinem Eintreffen freimütig seinen Namen benutzte, während er keine Ahnung hatte, wer ich war.

»Entschuldigen Sie, Seamus, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Illaun Bowe.«

Er sah mich ausdruckslos an.

»Ich bin Archäologin. Nachdem Sie das Besucherzentrum verständigt haben, wurde ich hierher gerufen, damit ich den Fund begutachte.«

»Hallo, Misses Bowe.«

Misses?

Creans Anrede bedeutete, dass ich älter war als er, obwohl ich ihn auf Mitte dreißig geschätzt hätte, mein eigenes Alter. Übergewichtig und langsam in seinen Bewegungen, erweckte er den Eindruck, als sei er auch im Denken nicht der Schnellste, doch es beeindruckte mich, dass er nach der Entdeckung der Leiche die Arbeit eingestellt, das Besucherzentrum von Newgrange auf seinem Handy angerufen und den Kipplaster weggeschickt hatte, den er seit dem Morgen belud.

»Also, Seamus, wo ist es gelandet?«

»Dort«, sagte er, ging unter pfeifendem Schnauben in die Hocke und deutete.

Ich sah nicht, worauf er deutete. Verdammt, warum kommt er nicht einfach runter und zeigt es mir?

Dann wurde mir klar, dass er sich fürchtete.

»Es ist da, gleich neben Ihnen ... auf halber Höhe.«

Ich beugte mich vor, um einen Klumpen Erde zu betrachten, der an der Kante des freigebaggerten Simses hing. In dem Klumpen konnte ich etwas ausmachen, das der bauchigen Form eines Lederbeutels ähnelte. Ich dachte an einen Weinschlauch, denn es wölbte sich an einem Ende und warf am anderen Falten, da, wo man ihn normalerweise zunähte. Genau wie die Leiche hatte es die Gerbsäure im Torf aufgenommen, sah aber weniger teerartig aus. Wie konnte Crean das Ding mit einer Puppe verwechselt haben?

Ich blickte kurz nach oben, aber er war nicht mehr zu sehen. Die Baggerschaufel reichte ein Stück in mein Blickfeld, und die Hand der Frau ragte als Silhouette vor dem aschgrauen Himmel heraus und zeigte nach unten, als wollte sie mich an die richtige Stelle führen. Ich blinzelte, da sich Schneeflocken in meinen Wimpern verfingen, dann wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Behälter zu.

Ich beugte mich tiefer hinab, um ihn zu untersuchen, als mich irgendetwas, vermutlich ein schwacher Verwesungsgeruch, erkennen ließ, dass ich die Überreste eines Tiers vor mir hatte.

Und doch nicht ganz ein Tier, nicht vollständig ausgebildet, es sei denn – ich trat rasch einen Schritt zurück, und das, was ich sah, zwang mich zu einer absurden Schlussfolgerung: Das hier war ein zusammengerollter Kokon, und die Falten, von denen ich gedacht hatte, sie seien durch Zusammennähen aufgeworfen worden, waren eine Vielzahl von Puppengliedern.

Die Vorstellung, eine riesige Made in einer Lederhülle könnte über Jahre hinweg im Moor herangewachsen sein, war lächerlich, und doch erfüllte mich jener besondere Ekel, der unsere Begegnungen mit aufgedunsenen Larven begleitet. Und die Frage, die mir laut durch den Kopf hallte, war: Wovon hatte sie sich ernährt?

Ich kam nicht dazu, die nahe liegende Antwort zu formulieren, denn ich musste die Böschung unmerklich erschüttert haben, als ich zurückzuckte, genug, damit der Beutel sich von der Erde löste, die an ihm gehaftet hatte, und in den Graben hinabrollte. Instinktiv hob ich den Fuß, damit er nicht ins Wasser fiel.

Ich dachte, er würde beim Aufprall aufplatzen, aber er plumpste mit einem dumpfen Geräusch an die Innenseite meines Stiefels, und ich zwängte ihn gegen die Böschung. Ich entdeckte nun einen tiefen Riss auf jener Seite, die vorher nicht zu sehen gewesen war. Offenbar hatte ein Zahn der Baggerschaufel den Riss verursacht, und er legte eine Substanz mit der Farbe und Konsistenz von Räucherkäse frei.

Dann nahm ich zu meinem Schrecken Bewegung an meinem Bein wahr und musste hilflos mit ansehen, wie das knollenförmige Ende der Kreatur nach hinten sackte. Und nun starrte ich auf etwas hinab, das ein geschrumpftes Menschengesicht hätte sein können, wäre nicht das fleischige Horn gewesen, das mitten aus der Stirn ragte, und darunter, unter einem Verschluss aus gelatineartiger Substanz, zwei Augen, die aus einer einzigen Höhle blickten.

Kapitel 2

Ich schaute nach oben, um festzustellen, wohin Crean verschwunden war, aber alles, was ich vom Boden des Grabens aus sah, waren die Hydraulikarme des Baggers und dahinter die weiß überzuckerten Äste von Bäumen, die sich vor einer zinnfarbenen Wolke ausbreiteten wie Bronchien in einer Röntgenaufnahme der Brust.

Aus einer Seitentasche meines Parkas zog ich einen Latexhandschuh, den ich abgestreift hatte, bevor ich die Hand der toten Frau berührte.

»Seamus!«, rief ich, und zog den Handschuh mit einiger Mühe wieder an; meine Finger wurden allmählich steif von der Kälte. »Ich brauche Sie hier unten.« Ich würde das Geschöpf auf die Böschung hinaufheben müssen, ehe es an meinem Stiefel entlang ins Wasser rutschte.

Ein pfeifendes Husten ließ mich wieder nach oben blicken, und da stand Crean mit einem Spaten in der Hand. »Den hatte ich beim Tor stehen lassen«, sagte er, ging in die Hocke und streckte mir das Gerät entgegen. Ich holte tief Luft, packte das Ding und legte es auf den Spaten. Ich schätzte sein Gewicht auf rund zwei Kilo, und es fühlte sich fest an zwischen meinen Händen.

Crean hob den Spaten ächzend an und hielt ihn so weit von sich weg, wie er nur konnte. »Was mach ich jetzt damit?«

»Legen Sie es in die Schaufel zu der Leiche, neben die Messlatte, damit ich ein Foto machen kann.« Ich begann, mich aus dem Graben zu ziehen.

»Was, glauben Sie, ist das?«

»Sie sagten, es ist unter ihr herausgefallen?«

»Ja. Aber was zum Teufel ist es?«

Du hast eine wunderbare Fantasie, Illaun. Aber halte sie im Zaum. Wie ein Mantra hatte mich dieser Spruch von der Vorschule bis zur Doktorarbeit verfolgt.

»Ich weiß nicht ... Eine Katze oder ein Hund vielleicht.« Ich wollte ihm nicht noch mehr Angst machen. Und damit meine wunderbare Fantasie nicht mit mir durchging, hatte ich mich auf die Meinung festgelegt, es müsse sich um eine Art Tier handeln.

Crean schippte es geschickt auf die Torfscheibe neben eine rot-weiße Messlatte, die ich ungefähr parallel zum Körper der Frau gelegt hatte. Ich holte meine Digitalkamera heraus und machte ein paar Blitzaufnahmen, und als hätte ich eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, durchschnitt ein zweites Licht den Schneefall, und seine schnellen Drehungen ließen die Flocken wie blaue Funken kreiseln. Ein Streifenwagen der Garda hielt am Tor, gefolgt von einem schwarzen Range Rover und einem weißen Kombi mit der Aufschrift TECHNISCHER DIENST. Zwei Polizisten in gelben Jacken kamen den Fußweg herab, gefolgt von einem Mann im grünen Dufflecoat und einer Anglermütze aus Tweed. Das war Malcolm Sherry, einer der drei staatlich zugelassenen Pathologen. Obwohl erst Ende dreißig, gab er sich in Auftreten und Aussehen gern wie ein Landarzt aus einer vergangenen Epoche. Die Ironie dabei war, dass ihn sein jungenhaft gutes Aussehen – runde Teddybäraugen, ein schlankes Kinn und lockiges Haar – fortwährend zu skeptischen Reaktionen, zu Widerspruch sogar, von Polizei und Rechtsexperten verurteilte, die bezweifelten, dass ein so offenkundig junger Mensch dazu in der Lage war, verlässlich die Toten zu deuten.

Was allerdings mich betraf, war mir der Anblick Sherrys willkommen. Ich hatte schon früher mit ihm zu tun gehabt und wusste, dass er die Bedeutung menschlicher Knochenfunde für die Archäologie richtig einschätzte.

Am Heck des Kombis sah ich drei weitere Personen, zwei Männer und eine Frau, die sich weiße Schutzanzüge aus Kunststoff anzogen.

Ich ging Sherry entgegen, um ihn zu begrüßen.

»Ah, Illaun, Sie persönlich?« Schwang da eine leichte Herablassung in seiner Stimme mit? Wahrscheinlich nicht. Seine rustikale Sprechweise stand im Einklang mit seinem Erscheinungsbild. »Womit, glauben Sie, haben wir es zu tun, mit einem unserer Urvorfahren?«

»Ich glaube, ja. Unglücklicherweise befindet sie sich nicht mehr in situ, aber sie lag unter schätzungsweise zwei Meter Morast. Das deutet auf ein ziemliches Alter hin. Und sie ist auch nicht allein.«

»Ach ja? Von zwei Toten hat mir niemand was gesagt.«

»Ich weiß nicht genau, was das andere ist. Sieht aus wie irgendein Tier.«

Sherry runzelte fragend die Stirn. »Eine Frau, die ihren Köter retten will und in ein Moorloch fällt?«

»Ein sechsbeiniger Hund? Wohl kaum.«

Sherry schaute noch zweifelnder.

Auf dem Weg zum Bagger beschrieb ich, was gerade in dem Graben passiert war. »... und das ist Seamus Crean, der Mann, der die Leiche entdeckt hat.«

»Gut gemacht, Seamus, Sie haben richtig gehandelt. Jetzt wollen wir mal sehen.«

»Es ist im Frontlader.«

Sherry ging nach vorn zu der breiteren Schaufel, dann warf er einen Blick zum Himmel. »Es ist schon sehr düster, Seamus. Und es wird eine Weile dauern, bis wir die Scheinwerfer aufgebaut haben. Könnten Sie mir diese Lampe auf dem Führerhaus nach hier unten ausrichten?«

Crean kletterte folgsam auf die Maschine.

Ein Reifenquietschen draußen auf der Straße ließ uns alle den Blick wenden. Ein silberner S-Klasse-Mercedes war in den Torweg eingebogen und steuerte auf uns zu.

Crean rief eine Warnung. »Das ist Mister Traynor, Sie sollten lieber ...«

Er wurde übertönt von dem Wagen, der schlitternd zum Stehen kam und Kies verspritzte. Heraus sprang ein Mann mit dunklem, aber schon schütterem Haar, er trug einen schweren blauen Mantel, ein lavendelfarbenes Hemd und eine silberne Krawatte. Sein feistes Gesicht mit den schwarzen Bartstoppeln erinnerte im Farbton an sein Hemd, der Mund war vor Zorn nur ein schmaler Strich. »Sie halten sich unbefugt auf meinem Besitz auf. Ich möchte, dass Sie verschwinden – auf der Stelle!«

Einer der Polizisten, der die Streifen eines Sergeants trug, trat vor. »Immer mit der Ruhe, Frank. Wir untersuchen einen Leichenfund.«

»Das sind bestimmt nur uralte Überreste. Ich will, dass sie weggeschafft und woanders untersucht werden. Du wirst doch so freundlich sein, oder, Brendan?«

»Ja sicher, natürlich. Wir müssen nur das übliche Verfahren abspulen, dann sind wir dir nicht mehr im Weg – nicht wahr, Dr. Sherry?« Der Sergeant war für meinen Geschmack viel zu nachgiebig.

Sherry, der gerade einen Blick in die Baggerschaufel geworfen hatte, trat in die Runde. »Was sagten Sie, Sergeant?«

»Ich sagte gerade zu Frank ...«

Traynor baute sich vor Sherry auf. »Dass Sie sofort von meinem Grund und Boden verschwinden.«

Die drei Männer standen dicht um mich herum. Nicht zum ersten Mal in meinem Leben unterhielten sich Leute, die größer als ich waren, buchstäblich über meinen Kopf hinweg. Ich nahm den starken Geruch eines Aftershaves wahr.

»Stopp!«, sagte ich laut genug, dass sie zuhörten. »Dr. Sherry und ich führen hier im staatlichen Auftrag bestimmte Verfahren durch, und zwar ungestört – so ist die Rechtslage.« Dessen war ich mir zwar keineswegs sicher, aber ich dachte, es könnte für den Augenblick genügen. Ich nickte dem Pathologen zu, den Stab aufzunehmen. Er besaß in dieser Situation mehr Autorität.

»Dr. Bowe hat völlig Recht, Mr. ...?«

»Traynor. Frank Traynor.« Er musterte Sherry von oben bis unten mit unverhohlener Verachtung. »Ich wusste gar nicht, dass die Angelsaison schon angefangen hat.«

»Ich bin Malcolm Sherry, staatlich bestellter Pathologe. Und Sie sind der Eigentümer der Wiese, wie ich höre?«

»Sie haben richtig gehört.« Traynor war drauf und dran, ihn nachzuäffen.

»Dann passen Sie jetzt mal auf. Wir wissen nichts über die gefundene Leiche. Aus diesem Grund bin ich hier, insbesondere, um festzustellen, ob ein Verbrechen begangen wurde.« Er blickte Traynor ernst an, als wollte er andeuten, es könnte ihn irgendwie verdächtig machen, wenn er Einwände erhob. »Bis auf weiteres ist diese Wiese für die Öffentlichkeit gesperrt – das gilt auch für Sie.« Er sah hinauf zu dem Kombi des Technischen Dienstes. »Schafft ein paar Absperrgitter runter«, bellte er. »Das Gelände hier muss gesichert werden.«

Traynor sah verblüfft aus. Dass ihm diese Person in ihrem lächerlichen Aufzug Vorschriften machte, schien ihm offenbar unbegreiflich. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber es kam nichts heraus. Dann, wie es tyrannische Typen oft tun, wenn sie Widerstand erfahren, schaltete er auf Einschmeicheln um. »Natürlich müssen Sie Ihre Arbeit tun, Dr. Sherry, das verstehe ich sehr wohl. Haben Sie schon eine Vorstellung, wann Sie die Leiche wegbringen lassen?«

Sherry warf mir einen Blick zu. Er wusste, ich würde das Gebiet gern für eine gründliche Erforschung abgesperrt haben, falls sich der Fund als altertümlich herausstellte.

Das weiß gekleidete forensische Team, unterstützt von Seamus Crean, traf mit einigen Absperrgittern aus Metall und einer Rolle weiß-blauem Absperrband ein.

»Unabhängig davon, wann wir die Leiche entfernen, wird dieses Gelände zum Tatort erklärt und abgeriegelt ...« Sherry sah mich erneut an. Ich hob den Zeigefinger und formte mit den Lippen ein »W«. »... vielleicht für ein paar Tage oder sogar eine Woche.« Er verschaffte mir damit Zeit und ersparte mir fürs Erste eine Auseinandersetzung mit Traynor.

Aber Traynor musste die Verständigung zwischen uns bemerkt haben. »Da stecken doch Sie dahinter«, fiel er über mich her. »Ihnen sieht man die Archäologin schon von weitem an.« Er musterte mich von Kopf bis Fuß, wie um alle Details abzuhaken, die er zur Bestätigung brauchte – wasserdichter Goretex-Parka, Skipullover, Jeans und Gummistiefel, bunte Wollmütze. Wahrscheinlich war er enttäuscht, dass ich keine Kelle in der Hand hielt. »Ihr versucht doch immer nur den Fortschritt aufzuhalten«, knurrte er.

Ich blieb ruhig. Traynor hatte möglicherweise mehr verraten als beabsichtigt. »Was meinen Sie mit ›Fortschritt‹? Was soll so fortschrittlich daran sein, einen Graben zu verbreitern?«

»Es geht Sie zwar nichts an, aber ich verbreitere keinen Graben. Ich lasse den ganzen Morast abtragen.«

Dafür konnte es nur einen Grund geben. Aber das war doch wohl nicht möglich. Wir befanden uns weniger als einen Kilometer von einem Weltkulturerbe entfernt, auf der anderen Flussseite, in einem Teil des Tals, in dem jede Bautätigkeit verboten war.

Zwei von den Technikern klapperten mit Beleuchtung und Fotoausrüstung an mir vorüber, außerdem trugen sie ein aufblasbares Zelt, das den Fundort vor den Elementen schützen würde und auch dem Team selbst Unterschlupf bot.

Traynor marschierte zu seinem Wagen zurück, er blickte selbstzufrieden drein. Sein Aftershave hing immer noch in der Luft. Es schneite nicht mehr, und die unheilvolle Wolke war auseinander gerissen und ließ ein Nagelhäutchen von Mond ins Blickfeld treiben wie eine verirrte Schneeflocke. Die Dunkelheit brach herein, und bei klarem Himmel versprach die Nachttemperatur unter null zu sinken. Das konnte ein Problem aufwerfen.

Ich musste an mehreren Fronten schnell handeln. Während Traynor auf dem Damm wendete, streifte ich meine Latexhandschuhe ab und fischte mein Handy aus einer Innentasche. Ich rief Terence Ivers von der Irish Archaeological Wetland Unit in Dublin an, der Organisation, die mit der Überwachung und Dokumentation allen archäologischen Materials beauftragt ist, das in irischen Sümpfen gefunden wird. Es war Ivers gewesen, der mich gebeten hatte, in ihrem Namen zu dem Fundort zu fahren, nachdem ihn das Besucherzentrum in Newgrange benachrichtigt hatte. Ivers hatte auf Voicemail geschaltet, deshalb hinterließ ich eine Nachricht, und bemerkte dabei, dass Traynor beim Tor gehalten hatte und aus dem Wagenfenster heraus mit Seamus Crean sprach, der einem Mitarbeiter des Technischen Dienstes beim Entladen eines weiteren Absperrgitters half.

Meine Prioritäten bestanden nun darin, ein gerichtliches Verbot zu erwirken, dass an der Fundstätte weitergebaggert wurde, und zu verhindern, dass das Gewebe der Moorleiche durch Austrocknung verfiel, oder, was heute Nacht wahrscheinlicher war, durch Frost Schaden nahm. Wenn Ivers die Räder der Justiz in Gang setzte, konnte ich die Lage vor Ort klären.

Mein Telefon läutete, als Crean, der ein Ende des Absperrgitters trug, gerade an mir vorbeiging.

»Terence, danke für den Rückruf ... Entschuldigen Sie mich einen Augenblick«, sagte ich. Crean ging mit gesenktem, hochrotem Kopf. »Was hat Traynor zu Ihnen gesagt, Seamus?«

»Er hat mich rausgeschmissen, Misses. Er sagte, er wollte die Wiese bis Weihnachten ausgehoben haben, und ich bin hintendran, was ihn Tausende von Euro kostet.«

Ich war empört über so viel Gemeinheit. »Das tut mir Leid«, sagte ich. Crean ging weiter. Traynors boshafte Tat bestärkte mich nur in dem Entschluss, es dem Mann zu zeigen. Aber dazu musste Terence Ivers schnell handeln.

»Terence, ich habe eine gute Nachricht und eine schlechte. Erstens, der Fund sieht alt aus, möglicherweise neolithisch. Das ist die gute Nachricht.« Mir war klar, dass ich mich weit aus dem Fenster lehnte, wenn ich andeutete, die Überreste könnten aus der Steinzeit stammen, aber es verlieh der Sache vielleicht ein wenig Dringlichkeit. »Zweitens, wenn wir die Fundstelle genau untersuchen wollen, brauchen wir einen Gerichtsbeschluss, und zwar schnell.«

»Verdammt. Worum geht’s?«

Ich konnte mir Ivers an seinem Schreibtisch vorstellen, wie er seine Brille abnahm, den Telefonhörer in die Halsmulde klemmte und mit dem Ende seiner Krawatte nervös die Linsen polierte, während er zuhörte. Wahrscheinlich erschienen jetzt bereits Schweißperlen an seinen Schläfen.

Ich sah auf die Uhr. Es ging auf vier zu. Ivers hatte sehr wenig Zeit, sich an ein Gericht zu wenden, das noch tagte, und die Fakten einem Richter vorzulegen. Ich unterrichtete ihn kurz, dann fassten wir die Hauptpunkte zusammen, von denen wir hofften, sie würden uns den Gerichtsbeschluss einbringen: Fund möglicherweise von großer historischer Bedeutung. Zerstörung der Fundstätte unmittelbar drohend, mit Verlust von weiterem Material, das der archäologischen Recherche dienen würde. Höchstwahrscheinlich keine Genehmigung zur Erschließung von Land, das als Kulturerbe ausgewiesen war.

»Ich stimme mich mit Malcolm Sherry ab, was fürs Erste mit der Leiche geschehen soll, wenn Sie einverstanden sind.«

»Tun Sie das«, sagte er. Inzwischen dürften ein, zwei Schweißtropfen über seine Wange geronnen sein, und da ihm die Krawatte der Aufgabe nicht gewachsen erschien, würde er ein Taschentuch von tristem Aussehen hervorgeholt haben.

»Ich gehe davon aus, Sie haben Muriel Blunden vom Nationalmuseum ebenfalls informiert.«

Ivers brummte eine Bestätigung. Da sich ihre Zuständigkeitsbereiche überlappten, gab es ein gewisses Maß an Reibung zwischen der Wetland Unit und dem Nationalmuseum, oft genug verschlimmert durch Muriel Blundens schroffe Persönlichkeit.

»Dann sollten wir sie lieber auf dem Laufenden darüber halten, was wir als Nächstes machen«, sagte ich.

»Warum tun Sie das nicht, Illaun? Ich muss mit der anderen Sache in die Gänge kommen.« Ivers legte auf.

Zähneknirschend wählte ich Muriel Blundens Handynummer. Ausgeschaltet oder in keinem Netz. Ich rief im Museum an und erwischte eine Sekretärin, bei der ich eine kurze Nachricht für die Ausgrabungsleiterin hinterließ. Ich war froh, dass ich nicht mit ihr selbst reden musste.

Dann stellte ich mich dem Sergeant der Garda vor, der mit Traynor gesprochen hatte. »Nur damit Sie Bescheid wissen, Sergeant ...?«

»O’Hagan. Brendan O’Hagan.«

»Ich denke, Sie sollten wissen, Sergeant O’Hagan, dass wir einen Gerichtsbeschluss anstreben, damit jede weitere Arbeit hier auf dem Gelände eingestellt wird.«

»Da können Sie sich aber auf eine Auseinandersetzung mit Frank Traynor gefasst machen.«

»Sie kennen ihn wohl gut.«

»Na ja, er ist natürlich ein bekannter Geschäftsmann in diesem Teil der Grafschaft Meath. Harter Bursche, wenn es sein muss. Alles im erlaubten Rahmen, versteht sich.«

»In welcher Branche ist er denn tätig?«

»Frank Traynor?« Er zwinkerte dem Beamten zu, der ihn begleitete. Dann seufzte er laut, als wollte er für den anderen unterstreichen, wie viel Geduld man doch zeigen musste, wenn man mit Fremden zu tun hatte. »Frank ist im Hotelgeschäft.«

Mir blieb die Luft weg. Ich hatte mir ein Haus vorgestellt, einen Privatwohnsitz, mit höchstenfalls noch einem kleinen Laden, wo Kaffee und Souvenirs an Touristen verkauft wurden. Aber ein Hotel? Nicht hier. Nicht in diesem flachen Landstrich mit seinen Auenwiesen, wo es keine anderen Erhebungen gab als eine Reihe von unerforschten Grashügeln, in denen Geheimnisse lagerten, die so alt wie die Zeit waren.

Kapitel 3

»Engel lassen laut erschallen

Überm Land den Lobgesang,

Tausendfach die Berge hallen

Wider ihren Sang und Klang.

Glo-o-o-o-o-o

o-o-o-o-o ...«

»Halt, aufhören, bitte ... Hallo!?«

Gillian Delahunty, unsere Chorleiterin, hatte ihr Orgelspiel unterbrochen. Nun versuchte sie, den durchgehenden Chor zum Anhalten zu bringen. Einige harmonische Stimmen fuhren dessen ungeachtet mit dem Gloria fort, bis Gillian laut in die Hände klatschte, erst dann klangen sie schüchtern aus.

»Ihr sollt singen, nicht eine Tuba nachmachen«, sagte sie in schneidigem Ton. »Es sollte fließen ... So etwa ...« Sie machte eine wellenförmige Handbewegung.

Es war die Begeisterung des ersten Abends, an dem wir die Weihnachtslieder in der Kirche probten anstatt im Pfarrsaal, unserem üblichen Proberaum. Und normalerweise fühlte ich mich rundum gut, wenn wir Weihnachtslieder sangen, aber heute war ich mit meinen Gedanken woanders.

Ich sah eine frostbedeckte Wiese vor mir, die seit vielleicht Tausenden von Jahren die Frau in ihrer chemischen Unklammerung gehalten hatte, bis ihre Knochen langsam aufgelöst und ihre zarte Haut in zähes Leder verwandelt worden waren. Warum lag die Frau dort? War sie so alt, wie ich hoffte?

Zumindest bestand die Möglichkeit, dass wir mehr über die Umstände ihrer Bestattung herausfanden. Während der Heimfahrt nach Castleboyne hatte mich Terence Ivers angerufen: Ein Bezirksrichter hatte uns eine einstweilige Verfügung ausgestellt. Wahrscheinlich würde uns das Nationalmuseum die Lizenz für eine vollständige Ausgrabung erteilen, bevor die Arbeit auf dem Gelände fortgesetzt werden durfte. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dachte ich, dass das, was wir Archäologen tun würden, gar nicht so weit von dem entfernt war, was Traynor ursprünglich tun wollte. Eine archäologische Grabung ist letzten Endes immer Zerstörung.

Man hatte Traynor sicher von dem Gerichtsbeschluss in Kenntnis gesetzt. Ich schärfte deshalb Ivers ein, unbedingt die örtliche Polizei auf die richterliche Entscheidung bezüglich der Wiese hinzuweisen, die Monashee hieß, wie ich inzwischen wusste.

Seamus Crean hatte mir ihren Namen genannt, bevor ich vom Fundort wegfuhr. Der Schnee hatte im Scheinwerferlicht des Baggers schon an einigen Stellen frostig geglitzert. Ich dachte an das gälische Wort und seine Bedeutung. »Monashee – das bedeutet ›Feenmoor‹, oder?«

»Geistermoor haben wir es als Kinder genannt«, sagte er ernst.

»Unheimlich.«

Crean lächelte nicht.

Monashee. Mir fiel ein, dass Moorleichen oft nach ihrem Fundort benannt wurden. Monashee, dachte ich ... Monashee. Hier war ein Frauenname ja schon fertig zur Hand.

»Dann wollen wir sie Mona nennen«, sagte ich zu Crean. »Das macht sie irgendwie menschlicher, finden Sie nicht?«

Er gab keine Antwort.

Während er mich zu meinem minzgrünen Honda Jazz begleitete, erzählte er, die Leute in der Gegend glaubten, dass es in Monashee spukte. Den ganzen Tag bekam das Gelände keine Sonne ab. Nachts machte man am besten einen weiten Bogen um den Ort. Ich sah ihm an, dass er überzeugt war, die Überreste, die er ausgegraben hatte, seien ein Beweis für den düsteren Ruf des Ortes.

Aber vielleicht würde es von nun an nicht mehr spuken in Monashee. Denn die Wiese, die ich in Gedanken vor mir sah, hatte ihre Bewohnerin verloren. Heute Nacht lag Mona im alten Leichenschauhaus des Drogheda Hospital.

Sherry und ich hatten uns Sorgen gemacht, wie der Leichnam am besten zu konservieren sei, bis eine Entscheidung über seine Zukunft getroffen wurde. Nachdem er in der luftlosen Umgebung des Moores gelegen hatte, wo es kaum bakterielle Aktivität gab, würde er nun, der Luft ausgesetzt, wie jeder organische Stoff zu zerfallen beginnen, und dieser Prozess würde sich noch beschleunigen, wenn man ihn gefrieren und wieder auftauen ließ. Viel würde davon abhängen, wie gründlich verändert – in einem Wort: gegerbt – die Haut war, und das würde sich erst zeigen, wenn man sie im Querschnitt untersuchte.

Nach einem raschen Blick auf die sterblichen Reste der Frau stimmte mir Sherry zu, dass sie lange unter der Erde gelegen hatte. Wie lange genau würde sich nur mit einer ganzen Reihe von Tests bestimmen lassen. In der Zwischenzeit hielt er es für das Beste, so zu verfahren, wie er es normalerweise bei der Entdeckung eines potenziellen Verbrechensopfers tun würde. »Allerdings wird es schwierig werden, an ihr zu arbeiten, weil sie im Torf feststeckt. Die Frage ist, wie bringen wir sie in ein Leichenschauhaus.«

»Es wäre meinen Zwecken dienlich, wenn man sie so transportieren könnte, dass die gesamte Torfscheibe intakt bleibt«, sagte ich. »Ich will jeden kleinsten Brocken des Mutterbodens untersucht haben, in dem sie liegt. Deshalb folgender Vorschlag: Zum Krankenhaus von Drogheda sind es nur zehn Kilometer. Warum lassen wir nicht alles, wie es ist, in der Baggerschaufel, packen Plastikfolie darum und bitten die Garda, Seamus zum Krankenhaus zu eskortieren. Ich kümmere mich darum, dass er für den Job bezahlt wird. Dort kann er die ganze Ladung dann auf die Plastikfolie runterlassen, und man kann sie ins Gebäude schleifen.«

»Gute Idee. Ich sage den Technikern Bescheid. Und dann werde ich sie wohl die nächsten paar Stunden die unmittelbare Umgebung hier durchstöbern lassen.«

Ich hätte es lieber gesehen, das Gelände zuerst von einem archäologischen Team durchkämmen zu lassen, aber das Verfahren lief eben andersherum. Ich überlegte, wie sehr wir den verschiedenen Schichten von Insekten ähnelten, die nach einem festgelegten Zeitplan eintreffen, um sich an den Verzehr eines Kadavers zu machen.

Ich wäre auch gern dabei gewesen, wenn der Pathologe die Leiche aus dem Torf befreite, sowie bei der Autopsie selbst. Aber Sherry arbeitete gern allein oder nur mit seinen eigenen Leuten. Und nach meinen bisherigen Erfahrungen konnte ich mich darauf verlassen, dass er mich auf alles aufmerksam machen würde, was ihm von Belang schien.

Ich hatte noch etwas auf dem Herzen. »Ich befürchte, dass sich Traynor nicht lange von hier fern hält. Wenn Ihre Leute also Absperrband verlegen und das Zelt über Nacht mit einem uniformierten Beamten besetzen könnten, würde das helfen, ihn abzuschrecken und die Fundstelle zu sichern, bis wir grünes Licht für eine Grabung bekommen.« Von Traynor abgesehen, dachte ich auch an weitere Ankömmlinge in der Kette der Grabplünderer, manche nur Schaulustige, die auf dem Gelände herumtrampeln, andere, weitaus zerstörerischer, mit Metalldetektoren und Schaufeln bewaffnet.

Sherry teilte den Beamten mit, was wir beschlossen hatten, und ich fragte Crean, ob er die Leiche nach Drogheda transportieren würde.

»Klar, Misses. Aber der Bagger gehört mir nicht. Mr. Traynor hat ihn gemietet. Wenn er’s erfährt, wird er bestimmt stinksauer.«

»Ich glaube, Mr. Traynor wird ganz froh über die Benutzung des Baggers sein, wenn er dadurch die Leiche auf seinem Grundstück loswird.«

»Eigentlich wäre es mir lieber, wenn ich ihn wütend mache.«

Ich lächelte und zeigte Sherry den erhobenen Daumen.

»Ich sehe mir noch rasch das andere Exemplar an«, rief er zu mir herüber, »dann packen wir sie ein.«

Ich rief Peggy Montague, meine Sekretärin, an, sagte ihr, was ich gerade tat, und bat sie, mit Keelan O’Rourke und Gayle Fowler, meinen beiden fest angestellten Mitarbeitern, Kontakt aufzunehmen. Sie waren auf dem Gelände einer geplanten neuen Anschlussstelle der M1 in der Nähe von Drogheda, wo wir gerade einige Testgrabungen für ein Gutachten abschlossen. Ich erklärte ihr, dass die beiden am nächsten Tag in aller Frühe beim Krankenhaus gebraucht wurden, um die Entfernung der Leiche aus der Torfhülle zu dokumentieren – wozu sie eine beträchtliche Menge an Erde einsacken und beschriften mussten.

»Illaun ..., Illaun ...«, flüsterte jemand drängend. Ich bekam einen Stoß in die Rippen und kam schlagartig wieder zu mir.

»Würdest du bitte mit uns einstimmen, Illaun?« Gillian Delahuntys Blick war bohrend auf mich gerichtet.

Meine Freundin Fran kicherte leise neben mir. Sie war es gewesen, die mir den Ellbogen in die Rippen gestoßen hatte.

»Tut mir Leid, Gillian«, sagte ich, »ich habe geträumt.«

Gillian runzelte missbilligend die Stirn, ehe sie sich an den Chor wandte. »Vom ersten ›König der Könige‹ an – Sopranstimmen, lasst euch hören.«

Irgendwie hatten wir das Gloria hinter uns gebracht und waren inzwischen ein gutes Stück im Halleluja aus dem Messias, ohne dass ich es richtig mitbekommen hatte. Hatte ich überhaupt gesungen? Ich konnte mich nicht erinnern. Offenbar war aber mein mangelndes Engagement aufgefallen, als es an den aufsteigenden Abschnitt Er ist der Herr der Herren und der König der Könige ging, eine Herausforderung für die Sopranstimmen.

Während wir sangen, beobachtete ich, wie Gillians Füße über die Orgelpedale tanzten. Ich bemerkte, dass sie grüne, halbhohe Stiefel trug, und überlegte, ob Mona vielleicht lederne Fußbekleidung getragen hatte. Wenn ja, könnte diese überlebt haben. Aber ich wusste nicht einmal, ob ihre unteren Gliedmaßen noch intakt waren.

Vor dem Verlassen des Geländes war ich in die Führerkabine geklettert, um ein Foto der Fundstelle zu schießen, die ich mit Messlatten ausgesteckt hatte. Unter mir begann Sherrys Team, eine Plastikplane um den Torf zu packen, während er selbst den zweiten Insassen der Schaufel untersuchte. Hundert Meter entfernt glitt der Boyne wie schwarzes Öl an schneebedeckten Ufern vorüber, und die flache Kuppel von Newgrange krönte einen Hügel, der sich hinter dem Fluss erhob. Ihre Quarzfassade schimmerte im Dämmerlicht fast ebenso weiß wie der Schnee um sie herum.

Ich stieg wieder nach unten, und Sherry kam um den Bagger herum. Er beugte sich nahe an mein Ohr und sagte leise: »Dieses Wesen ... Ich glaube, es könnte ein Sprössling von unserer Dame im Moor sein.«

Kapitel 4

Frances McKeever war seit dem Kindergarten meine Freundin. Körperlich hatten wir nur die blasse Haut gemein, die bei ihr jedoch von Sommersprossen gesprenkelt war. Sie war außerdem rothaarig, grünäugig und hoch gewachsen. Ich war nichts von alledem.

Fran arbeitete als Altenpflegerin und musste allein zwei Kinder im Teenageralter großziehen. Sie hatte mich am Vortag angerufen, um sich vor Weihnachten noch zum Mittag- oder Abendessen mit mir zu verabreden, und ich hatte einen Rückruf versprochen, ihn aber vergessen.

»Es ist immer das Gleiche in der Weihnachtszeit«, sagte sie. »Wir sehen uns seltener als das ganze restliche Jahr.«

Wir stiegen die Treppe vom Chor hinab, Fran eine Stufe unter mir, so dass unsere Gesichter mehr oder weniger auf gleicher Höhe waren.

»Hast du Tag- oder Nachtschicht?« Es war nicht so einfach, sich mit Fran zu verabreden, die viel außerhalb der normalen Zeiten arbeitete.

»Ich habe dieses Wochenende Nachtschicht, von Freitag bis Sonntag, und dann die ganze Woche frei. Am Weihnachtstag trete ich dann abends wieder zum Dienst an. Keine üble Regelung, oder?«

»Dann verpasst du also die Probe am Samstag?«

»Ja. Aber ihr kriegt das bestimmt ohne mich hin.«

»Okay, lass mich überlegen ...«

»Wie wär’s, wenn du bei einem Drink überlegst? Wir könnten auf dem Heimweg schnell einen kippen.«

»Tut mir Leid, Fran. In der Nähe von Newgrange wurde eine Moorleiche gefunden ...«

»Hab ich in den Nachrichten gehört. Hast du damit zu tun?«

»Ja, und es wird mich heute Abend noch auf Trab halten. Ich mache gleich einen Besuch bei Finian, um seine Meinung einzuholen.«

Fran schnaubte verächtlich. Sie hielt nicht viel von Finian Shaw. »Ach, Finian ... Der soll mal endlich pissen oder vom Pott gehen.« Nach Frans Überzeugung spielte er nicht nur mit meinen Gefühlen, sondern blockierte auch meine Chancen, einen anderen Mann abzubekommen, wie sie es nannte.

»Charmant formuliert, wie immer.«

»Also gut. Was hältst du von Mittagessen bei Walter’s am Montag?«

»Einverstanden.«

»Diese Wiese ist eine Anomalie«, sagte Finian, und seine stahlgrauen Augen leuchteten vor Begeisterung über seine Entdeckung. »Ein rechteckiges Stück Sumpf, das ganz isoliert liegt, umgeben von fruchtbaren Weiden. Aus der Luft muss es aussehen wie ein Flicken auf einer Patchworkdecke.«

Finian Shaw war mein Freund und Mentor. Ursprünglich Geschichtslehrer und Volkskundler, hatte er die Lehrtätigkeit für seine Hauptleidenschaft aufgegeben – Gartenbau. Allerdings handelte es sich hier nicht um ein Hobby, bei dem er in ein paar Blumenrabatten herumwerkelte. Finian hatte auf Brookfield, dem Hof der Familie, auf dem er aufgewachsen war, einen berühmten Garten geschaffen, der Besucher aus aller Welt anzog.

Finians Haar und der kurz gestutzte Bart waren schwarz, mit Silber durchsetzt, und waren es schon gewesen, als er mich auf dem Gymnasium unterrichtete. Er hatte ein schwarzes Polohemd und graue Chinos an. Außer seiner Arbeitskluft trug er kaum je etwas anderes als Schwarz oder Grau, in völligem Kontrast zu der Farbenpracht, die er auf Brookfield zum Erblühen brachte. Aber um diese Jahreszeit lag der Garten brach, und Finian wusste nichts mit sich anzufangen. Ich konnte mir also seine Kenntnis der Grafschaft und ihrer Geschichte zunutze machen.

Er hatte eine Karte des Landesvermessungsamts vom Boyne-Tal zwischen zwei Bücherstapeln auf einem niedrigen Tisch ausgebreitet. Der Tisch stand in der Mitte eines großen Raums gleich hinter der Eingangshalle, der halb Arbeitszimmer, halb Salon war. Auf dem dünnen Teppich, auf dem er kniete, war in einem unregelmäßigen Kreis eine Ledergarnitur – zwei Sessel und zwei Sofas – angeordnet, alle übersät von Kissen, die nicht zusammenpassten. Diesen inneren Ring von Möbeln umgaben verschiedene Gegenstände und Attraktionen an den Wänden: ein PC auf einem Schreibtisch direkt bei der Tür, Seite an Seite mit einem Sekretär mit Glasfront aus dem 18. Jahrhundert; zwei Nischen mit Bücherregalen, die einen großen Marmorkamin flankierten; auf der gegenüberliegenden Seite zwei hohe Fenster mit grünen Damastvorhängen; und im Erker dazwischen ein Klavier. Den Raum zwischen diesen Dingen nahmen größtenteils Lampen ein, entweder verschiedene Stehlampen, oder welche, die auf runden Tischen mit Deckchen ruhten. Und an den Wänden darüber hingen zahlreiche Drucke und gerahmte Fotografien, erhellt von kerzenförmigen Leuchtern. Farmhouse Fusion nannte Finian das Ganze.

In dem Sessel, der dem brennenden Feuer am nächsten stand, lag sein Vater James auf dem Rücken und schnarchte. Ihm gegenüber nahm Bess, die schon ältere Labradorhündin der beiden, den größeren Teil eines Sofas ein und rüsselte in einer anderen Tonart.

»Schau, hier«, sagte Finian und fuhr die U-förmige Schleife des Boyne um Newgrange herum mit dem Zeigefinger der einen Hand nach, während er mit der anderen eines seiner Bücher aufhob und daraus zitierte: »Das fruchtbare Schwemmland des Boyne zwischen Slane und Donore überlagert kohlehaltige Schiefer und eiszeitliches Geröll ...« Er sah von dem Buch auf. »Wie kommt also ein Moor dorthin?«, fragte er und sah mich an wie ein Inquisitor, der Ketzerei wittert.

Unter dem Teppich knarrte ein Dielenbrett, als ich gegenüber von ihm niederkniete und auf eine erhöhte, bohnenförmige Darstellung in der Karte zeigte. Redmountain – 120 Meter. Der Höhenzug bildete den lokalen Horizont, über den die Sonne am kürzesten Tag des Jahres stieg, um die Anhöhe gegenüber zu beleuchten. Und zwischen ihm und dem Boyne lag Monashee.

»Es ist nicht so anomal, wie du denkst. Hier gibt es ein Feuchtgebiet ...« – ich deutete auf eine Markierung namens Crewbane Marsh an der linken Seite des U – »... und hier, Dowth Wetland.« Ich fuhr den Flussverlauf nach bis zum oberen Ende des rechten Schenkels. Monashee lag ungefähr auf halbem Weg dazwischen. »Ich vermute, dass Wasser, das von dem Höhenzug herabsickerte, nicht abfließen konnte, und erst einmal ein Flachmoor bildete. Genau wie in der Moränenlandschaft nördlich des Tals.«

»Hmm ...« Finian klopfte mit dem Finger auf die Karte. »Redmountain ist eine eiszeitliche Formation, zugegeben, aber dein Fleck Moor erstaunt mich trotzdem.«

Finian faltete die Karte zusammen. »Mir kommt gerade ein Gedanke. Wenn Monashee das einzige Sumpfgebiet in der unmittelbaren Umgebung ist, dann deutet das doch darauf hin, dass deine Frau im Moor ein rituelles Opfer war, oder?«

»Oder eine Freiwillige.« Eine Neubewertung der Praxis von Menschenopfern in vorgeschichtlicher Zeit hat Wissenschaftler zu dem Schluss geführt, dass manche »Opfer« bereitwillig an ihrer Exekution teilnahmen. Außerdem hat nicht jeder Fund mit menschlichen Überresten rituelle Bedeutung.

Dennoch war an Finians Bemerkung was dran. Die Frau dürfte kaum durch Zufall in den einzigen Sumpf im Umkreis von Meilen getappt sein. Und es erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass sie prähistorisch war, denn seit der Ankunft des Christentums waren Menschenopfer und Bestattungen im Moor geächtet.

»Ich weiß nicht, ob es Hinweise auf Gewaltanwendung gibt«, sagte ich. »Wir werden die Autopsie morgen Vormittag abwarten müssen.«

Während ich auf dem Weg nach Brookfield gewesen war, hatte mich Malcolm Sherry angerufen. Sie hatten Mona inzwischen unter erheblichem Aufwand aus dem Torfblock gezogen, und er verschob alle weiteren Untersuchungen der Leiche um zwölf Stunden. Man hatte ihm das alte Leichenschauhaus zugewiesen, das in einem separaten Gebäude untergebracht war, was unserem Zweck entgegenkam. Die Untersuchung Monas würde nicht in einer Einrichtung stattfinden, die von Neutoten bestürmt wurde.

Ein lautes Schnarchen drang aus dem Lehnstuhl, in dem der mittlerweile fast neunzigjährige James eingenickt war, nachdem er uns eine Weile davon erzählt hatte, wie er als junger Bursche im Boyne Lachse gefangen hatte. Die Entdeckung in Newgrange interessierte ihn wenig. Die Erwähnung des Flusses war nur einmal mehr ein Vorwand für ihn, in seinen Erinnerungen zu schwelgen.

Finian betrachtete nun eine Auswahl von Fotos, die ich ausgedruckt, und ein paar grobe Skizzen, die ich angefertigt hatte.

»Dann bist du also früher nach Newgrange gekommen, als du dachtest. Hast du nicht erzählt, du wolltest zur Sonnenwende dort sein?«

»Ja, zum zweiten Teil eines Interviews für eine amerikanische Zeitschrift namens Archäologie heute. Sie arbeiten an einem Artikel über Frauen in der irischen Archäologie und haben darum gebeten, dass wir uns an diesem Tag zum Sonnenaufgang dort versammeln. Hauptsächlich für Fotos.«

»Geht ihr auch rein?«

»Nein. Von ein paar VIPs abgesehen ist es auf zwanzig ausgeloste Leute beschränkt. Und wir haben es alle schon gesehen, es wäre nicht gerecht.«

»Garantiert werden ein paar Politiker dabei sein.«

»Ich glaube, der Tourismusminister hat sein Erscheinen angekündigt.«

»Was sag ich. Und dabei fällt mir ein, ich habe eine Einladung für zwei Personen zu einer vorweihnachtlichen Abendgesellschaft in Jocelyn Carews Haus in Dublin. Ich würde mich freuen, wenn du mitkämst.«

»Wann?«

»Äh ... schon bald.« Er ging zum Kaminsims und hob eine schlichte weiße Karte mit schwarzem Druck auf.

»Jocelyn und Edith Carew – Privat«, las er vor. »Drinks von 19.00 bis 21.00 Uhr, 21. Dezember.«

»Das ist ja schon am kommenden Montag!« Derselbe Tag, an dem ich mit Fran zu Mittag aß.

»Ja. Ich wollte dich schon lange fragen, aber ich hab es leider immer vergessen.«

Ich schloss die Augen und überlegte, was für Verpflichtungen ich hatte, falls überhaupt welche. So kurz vor Weihnachten wahrscheinlich nur gesellschaftliche, oder vielleicht den Chor. Was nicht unvermeidbar war, würde ich ausfallen lassen oder verschieben. Professor Jocelyn Carew saß als Unabhängiger im Dail, dem irischen Parlament. Er war Arzt, Theaterkritiker und Umweltschützer. Ich war auf jeden Fall neugierig darauf, ihn und seine Frau kennen zu lernen. Und mit Finian hinzugehen, würde die Sache noch vergnüglicher machen.

»Gern«, sagte ich. »Ich gebe dir morgen sicher Bescheid, wenn’s recht ist.«

»Wann du willst. Ich habe schon zugesagt. Es ist nur so, dass ich wirklich nicht allein hingehen will.«

Das war typisch für Finian, und es machte mich rasend. Eine Einladung auszusprechen, und es dann so aussehen zu lassen, als wär’s ihm erst im Nachhinein eingefallen, mich mitzunehmen. Ich überging es. Er hatte eins der Fotos in die Hand genommen, und etwas darauf ließ ihn die Stirn runzeln.

»Wenn beabsichtigt war, den Sumpf auszuräumen, wieso hat Crean dann einen solchen Bagger benutzt? Viel zu schwer, um auf weichem Boden zu arbeiten.«

»Er hatte wohl vor, bis auf den Fels oder den Kies darunter zu baggern, dann hätte er eine solide Basis gehabt, um auf das Gelände zu fahren und den restlichen Mutterboden auszuheben.«

»Du sagtest, die Leiche lag ursprünglich rund anderthalb Meter unter der Oberfläche. Das ist nicht sehr tief, wenn du auf einen prähistorischen Zeitpunkt hoffst.« Finian hatte die Wachstumsgeschwindigkeit eines Moors im Sinn. »Wenn deine Theorie stimmen soll, muss Monashee seit mehr als fünftausend Jahren wachsen.« Er sah mich skeptisch an. »Dann müsste es eigentlich viel tiefer sein.«

»Vielleicht war es das einmal. Wer weiß, wahrscheinlich wurde der Torf als Brennstoff abgetragen. Auch Trockenlegung würde die Gesamthöhe absenken. Und noch etwas lässt mich optimistisch sein: Jeder Archäologe wird dir sagen, dass sich Irland einer der ältesten Moorleichen in ganz Europa rühmen kann, na ja, eigentlich ist es mehr ein Skelett. Die sterblichen Reste eines Mannes, der es auf etwa sechstausend Jahre bringt – das ist frühe Jungsteinzeit.«

»Schön und gut, Illaun, aber wie groß ist die Wahrscheinlichkeit? Rechnen wir die Chancen doch mal grob aus. Wie viele Moorleichen wurden hierzulande insgesamt gefunden?«

»Rund achtzig.«

»Wie alt waren sie im Durchschnitt?«

»Die Mehrheit stammte wahrscheinlich aus dem Mittelalter.«

»Sagen wir also fünfhundert bis tausend Jahre. Und im restlichen Europa?«

»Hauptsächlich Eisenzeit.«

Er rechnete einen Moment. »Also zwei- bis zweieinhalbtausend Jahre alt?«

Ich nickte. »Im Schnitt.«

»Dann spricht die Wahrscheinlichkeit also dafür, dass diese Dame kein Steinzeitmensch war. Bestenfalls eine Keltin.«

»Außer, mein gelehrter Freund, dass sie in der Nähe von Newgrange unter Umständen begraben wurde, die nach unserer übereinstimmenden Ansicht wahrscheinlich kein Zufall waren. Der Ort hatte also eine Bedeutung für diejenigen, die sie dort hingelegt haben. Dagegen hatten Newgrange und die ganze Anlage von Bru na Boinne zu der Zeit, als die Kelten eintrafen, ihre ursprüngliche Bedeutung bereits verloren. Und damit schließe ich meine Beweisführung ab.«

Draußen im Flur läutete das Telefon. Finian entschuldigte sich und ging hinaus.

Die Aktivität störte den Schlaf des alten Mannes, und er wachte mitten im Schnarchen auf. »... Boyne-Entwässerungsplan ... diese Hohlköpfe ... den besten Lachsfluss kaputt gemacht ...« Er hatte sich inzwischen aufgesetzt und seinen Beitrag zur Unterhaltung genau an der Stelle wieder aufgenommen, an der er eingenickt war. Ein leichter Schlaganfall hatte sich auf seine Sprechweise ausgewirkt, so dass er manche Worte undeutlich artikulierte, aber es war nicht schwer, das Wesentliche seiner Aussage zu erfassen, da es sich um sein liebstes Steckenpferd handelte. »Siehst du ... dort an der Wand ...« James deutete mit dem Daumen hinter sich. Ich sah zu einer gerahmten Fotografie, auf der eine Frau neben einem am Schwanz aufgehängten Fisch stand. Er war fast so hoch wie sie selbst und in der Mitte so breit wie ihre Schultern. »Siehst du! Ein großer Lachs in Newgrange ... Und sogar damals gab’s schon weibliche Angler ...«

Ich überflog die Inschrift:

Mrs. Myrtle Hastings mit einem sechzig Pfund schweren Lachs, gefangen im Boyne, unterhalb von Newgrange, Oktober 1926. Länge ein Meter fünfunddreißig, Körperumfang dreiundachtzig Zentimeter.

»Das glaubt einem kein Mensch ... So viele Lachse und Forellen ... Man is’ auf sie draufgetreten, wenn man durch den Fluss ging ...« Er kicherte. »Und nicht nur Sportfische. Hechte, Aale, Barsche ...«

»Mmm ...« Ich wollte ihn nicht kränken, aber mein Interesse an dem Thema schwand.

Er musste es gespürt haben, denn er hielt in seiner Auflistung inne und sagte: »Mein Vater hat mir mal von einer schwarzen Leiche erzählt, die im Boyne getrieben ist ... bei Newgrange ... vor hundert Jahren oder mehr ... ein Mann ... ein Nubier, hieß es ... die bauten die Pym ... Pyrma ...«

»Pyramiden«, sagte ich und kehrte rasch auf meinen Platz zurück. James musste im Halbschlaf ein paar Gesprächsfetzen von unserer Unterhaltung aufgefangen haben. Ich war nun ganz Ohr, und er wusste es. Seine Augen funkelten schalkhaft.

»Also glaubten die Leute, es gäbe einen Zusammenhang zwischen der Leiche und der Errichtung von Newgrange?«

Der alte Mann nickte. Man sagte ihm zwar nach, dass er gern Märchen erzählte, aber das klang nicht nach einem.

In diesem Moment kam Finian zurück.

»Dein Vater hat mir gerade etwas erzählt, das sehr wichtig sein könnte, was unsere Moorleiche angeht.«

»Nanu, worüber lässt er sich denn jetzt aus?«

»Es hat vielleicht schon einmal einen Fund in der Gegend gegeben.«

Ich wiederholte die Geschichte seines Vaters. »Wenn das tatsächlich auch eine Moorleiche war, wäre es ein triftiger Grund, die ganze Wiese für eine gründliche Ausgrabung zu sperren. Wir sind möglicherweise über eine rituelle Begräbnisstätte gestolpert. Weiß der Himmel, wie viele Leichen dort konserviert wurden.«

»Dazu brauchst du aber mehr als eine von den Abenteuergeschichten meines Vaters.«

»Zum Beispiel das Archiv des Meath Chronicle?«

»Aber du hast kein Datum. Es wäre die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen ...« Finian bemerkte, dass ich ihn durchdringend ansah. »Du erwartest, dass ich das mache?«

Ich lächelte ihn strahlend an.

»Also gut«, sagte er und betrachtete eines der Fotos, die ich von dem Wesen gemacht hatte, das neben Mona in der Baggerschaufel lag.

»Und Malcolm Sherry glaubt, sie könnte das hier zur Welt gebracht haben?«

»Oder es war noch im Mutterleib.« Ich hatte den Pathologen nicht um eine Klärung des Ausdrucks »Sprössling« gebeten, und der Riss auf der Seite konnte auch ein Hinweis darauf sein, dass es der Bagger aus ihrem Leib gerissen hatte.

Finian schaute entgeistert. »Das ist doch wohl kein Mensch, oder?«

»Ich fürchte doch. Und ich glaube, ich habe etwas Ähnliches schon mal gesehen. Ist noch gar nicht lange her.«

Finian sah mich über seine Brille hinweg an.

»Nicht in Natur. Eine Darstellung. Auf einer Kirche oder einem Grabstein – irgendwas in der Art.«

»Ein Gemälde vielleicht? Eins von diesen albtraumhaften Bildern von Hieronymus Bosch, zum Beispiel?«

»Nein. Es war auf jeden Fall in Stein gemeißelt.«

»Wusste dieser Traynor, dass das Ding hier mit der Frau gefunden wurde?«

»Ich glaube nicht. Wieso fragst du?«

»Ich versuche nur, dahinter zu kommen, warum er euch nicht dort haben will.«

»Ja, es ist komisch, dass er die Wiese aufreißen will, aber etwas dagegen hat, wenn wir praktisch das Gleiche vorhaben.«

»Wie hat er überhaupt von dem Fund erfahren?«

»Durch Sergeant O’Hagan, nehme ich an. Er und Traynor scheinen recht dicke miteinander zu sein.«

Kapitel 5

Ich kam kurz vor Mitternacht nach Hause. Als ich das Küchenlicht anmachte, bemerkte ich einen gelben Notizzettel unter einem Magneten am Kühlschrank.

Meine Mutter hatte, ohne es zu bemerken, die Gewohnheit meines Vaters übernommen, überall im Haus solche Zettel zu hinterlassen, und es erinnerte mich jedes Mal schmerzlich an ihn. Ich zog die Notiz unter dem Magnet, der einen Papagei darstellte, hervor.

BEIDE GEFÜTTERT. BOO BEI MIR.

Meine Mutter und ich hatten getrennte Wohnungen im Haus unserer Familie, einem Bungalow am Rand von Castleboyne, der aus den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts stammte, und auch als Geschäftsadresse von Illaun Bowe, Archäologische Gutachterin, diente.

Dieses Arrangement bedeutete, dass ich ein Auge auf meine Mutter haben konnte, da sie mit einem Zustand fertig werden musste, der noch einsamer war als ein Witwendasein. Und es verschaffte mir einen Standort in der Gegend, wo meine Aufträge größtenteils herkamen.

Der Umstand, dass die Grafschaft Meath allmählich dem Großraum Dublin einverleibt wurde, bedeutete, dass weite Teile der archäologischen Landschaft bedroht waren, was sich wiederum günstig auf mein Geschäft auswirkte; die Ironie dabei entging mir durchaus nicht. Mit vier fest angestellten Mitarbeitern, einschließlich mir selbst, blieb es dennoch ein bescheidenes Unternehmen. Wenn Sachverstand vonnöten war, der meinen eigenen überstieg, hatte ich eine Liste von Spezialisten, an die ich mich wenden konnte, und ich war in der Lage, kurzfristig ein Grabungsteam zusammenzustellen – häufig bestand es aus Schülern und Studenten.

Ich wollte gerade das Licht in der Küche ausmachen, als sich mein Magen bemerkbar machte: Ich hatte seit dem Frühstück nichts gegessen. Es war zu spät, noch etwas zu kochen, deshalb stöberte ich im Kühlschrank und fand ein schlaffes Viertel Pizza. Ich biss ein Stück ab und kaute es hungrig. Doch selbst bei gesteigertem Appetit fand ich wenig Geschmack daran, deshalb stellte ich den Rest in die Mikrowelle und schaltete den Timer an.

Ein einzelnes Bellen aus tiefer Kehle ertönte aus dem Anbau, in dem meine Mutter schlief. Horatio forderte mich auf, seine Anwesenheit zu würdigen, und zweifellos auch, ihn von Boo zu befreien, der wahrscheinlich auf seinem Hundekissen lag. Wenn ich jetzt nicht ging, würde er höflich warten, bis ich es mir gerade im Bett bequem gemacht hatte, ehe er wieder bellte. Ich öffnete eine Tür, die zu einem gemeinsamen Mehrzweckraum führte, der auch als eine Art Puffer zwischen der Haushälfte meiner Mutter und meiner eigenen diente. Er enthielt Waschmaschine und Trockner, mein Fahrrad, Regenschirme, Gartengeräte, lehmverkrustete Gummistiefel und die Futternäpfe der Haustiere. Horatio scharrte an der anderen Tür, während ein zweiter Laut, ein leiser, dumpfer Schlag, anzeigte, dass Boo sich dagegen warf, was er aus irgendeinem unerfindlichen Katzengrund lieber tat, als miauen. Als ich die Tür öffnete, strömte ein rauchfarbenes Büschel an meinem Bein vorbei, während zwei mächtige Pfoten auf meinen Schultern landeten. Ich hob das Kinn, um mein Gesicht vor Horatios triefender Schnauze in Sicherheit zu bringen, und wurde stattdessen am Hals abgeschleckt.

»Ja, braver Junge. Runter!« Die rehbraune Dänische Dogge war eigentlich der Hund meines Vaters, aber nun leistete er meiner Mutter Gesellschaft und vermittelte ein Gefühl von Schutz, wenngleich die Wahrheit war, dass wahrscheinlich kein Eindringling sehr viel mehr zu gewärtigen hätte, als im Gesicht voll gesabbert zu werden. »Nacht, Horatio«, flüsterte ich und schloss die Tür.

Die Mikrowelle schrillte, als ich in die Küche zurückkam. Ich nahm die Pizza heraus und klatschte sie auf einen Teller, goss Milch in ein Glas und ging ins Wohnzimmer, wo Boo, mein grauer Maine Coon, sich genau auf dem Sofa ausgestreckt hatte, auf dem ich hatte fernsehen wollen. Statt ihn mühsam hochzuheben, während er sich an diversen Kissen festkrallte, beschloss ich, ins Bett zu gehen. Ich war müde, und der Freitag versprach ein langer Tag zu werden.

Nachdem ich auf dem Bett sitzend die Pizza verdrückt und die Milch getrunken hatte, legte ich mich nieder, machte das Licht aus und versuchte, mir ins Gedächtnis zu rufen, was ich über Moorleichen wusste. Und das war ein Fehler, denn ich sah mich ständig zusammen mit dem Wesen im Graben, wie es sich entrollte und seine fremdartigen Züge offen legte. Nachdem ich mich lange genug hin und her gewälzt hatte, war klar, dass es nichts wurde mit Schlafen, deshalb stand ich auf, zog mir einen Morgenmantel über und schlurfte ins Büro.

In den Regalen fand sich nicht viel von Belang, deshalb versuchte ich es mit dem Internet. Es gab zahlreiche Seiten, die Mumien gewidmet waren, wobei die ägyptischen wie immer dominierten. In der Kategorie Moorleichen gab es einige Statistiken – zweitausend bekannte Funde im ganzen nördlichen Europa, etwa einhundert davon nach der Radiokarbonmethode datiert und so weiter –, und es gab Popularitätslisten, die Hauptattraktionen in einer Art Grand Prix d’Eurovision für Moorleichen: der hübsche Tollund-Mann mit den roten Bartstoppeln für Dänemark; ein modebewusster deutscher Teenager, das Windeby-Mädchen mit seinem halb rasierten Schädel; Großbritanniens Lindow-Mann, der nichts außer einer Armbinde aus Fuchspelz trug; die schrägen Vertreter Hollands, ein kopfloses Männerduo aus Weerdinge. Ich fragte mich, ob Mona später einmal zu diesem exklusiven Club auf den Mumien-Webseiten der Welt gehören würde.

Man nahm an, dass es sich bei vielen Moorfunden um Menschenopfer zur Wintersonnenwende handelte – rituelle Tötungen zu genau der Jahreszeit, in der wir die Leiche in Monashee entdeckt hatten. Im Mageninhalt des Lindow-Mannes fanden sich sogar Pollen von Misteln, die wir mit einem Kuss zur Weihnachtszeit verbinden, die aber die Kelten als heilige Pflanze ansahen, die weder zur Erde noch zum Himmel oder Wasser gehörte. Wie würden sie wohl meinen Mageninhalt interpretieren, falls man mich in zweitausend Jahren fände? Mehl, Käse, Oliven, Tomaten, Artischocke und Anchovis – darüber dürften sie sich eine Weile den Kopf zerbrechen.

Die flapsigen Gedanken vergingen mir, als mir die grausame Erkenntnis dämmerte, dass jeder einzelne dieser Menschen in der Hand anderer Menschen gelitten hatte, und zwar bevor man sie in schwarze Moorlöcher versenkte: manche erwürgt oder totgeprügelt, andere abgeschlachtet, und mindestens einer, der allen drei Gräueln ausgesetzt war. Und während man einige zwar eher für die Opfer einer Todesstrafe als einer rituellen Tötung hielt, legten sie doch alle stummes Zeugnis für ein hartes Leben am Rande der Sümpfe Nordeuropas ab, eines Lebens, das während der langen Winter trostloser denn je gewirkt haben musste.

Aber wonach genau hatte ich eigentlich gesucht im Netz? Ich gähnte und streckte mich und überlegte kurz. Meine ziellose Suche hatte sich im Reich der Populärwissenschaft abgespielt, während ich doch lieber einige der akademischen Sites zu Rate ziehen sollte, die ich abonniert hatte. Ich fing von vorne an.

Horatio bellte im anderen Teil des Hauses. Ich hörte, wie er noch ein paar Sekunden lang knurrte, dann war er wieder still. Wahrscheinlich reagierte er auf einen Hund in der Ferne, den ich nicht hören konnte.