Das Lachen der Toten - Kim Leopold - E-Book

Das Lachen der Toten E-Book

Kim Leopold

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Beschreibung

Alex führt seine neue Schülerin Louisa in eine Welt der Magie und zeigt ihr, wie sie ihre Kräfte benutzen kann. Dabei kommen sie sich unweigerlich näher, doch es ist nichts mehr verboten als eine Beziehung zwischen Wächtern und Hexen. In der Zwischenzeit macht sich in Lille eine Frau auf die Suche nach ihrem Amulett und erkundet dabei nicht nur ein verlassenes Gefängnis, sondern macht auch Bekanntschaft mit einem bösartigen Wesen … Kim Leopold hat eine magische Welt mit düsteren Geheimnissen, nahenden Gefahren und einem Hauch prickelnder Romantik erschaffen, bei dem Fantasy-Lover voll auf ihre Kosten kommen. Das Lachen der Toten - Der 2. Band der Urban Fantasy Serie Black Heart!

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Black Heart 02

Das Lachen der Toten

 

 

Kim Leopold

 

Für jene, die den Tod fürchten.

 

 

Mögen die Rosenblätter uns lehren loszulassen.

 

 

 

 

 

 

[was bisher geschah]

 

1768 - Freya, die blinde Tochter einer Hexe, begegnet dem fremden Mikael, der auf der Suche nach Heilung für den norwegischen König ist. Er rettet sie vor den wütenden Dorfbewohnern, die Freyas Mutter auf dem Scheiterhaufen verbrennen, und nimmt sie mit an den königlichen Hof.

 

2018 - Louisas Familie bekommt Besuch von einem alten Bekannten: Alex. Schnell stellt sich heraus, dass es einen besonderen Grund für sein Auftreten gibt - denn sie ist eine Hexe und damit in Gefahr, von Gestaltwandlern überfallen zu werden. Auf dem Winterball der Schule kommt es zu einem Angriff, so dass Alex und Louisa Hals über Kopf fliehen müssen.

 

In der Zwischenzeit suchen ein Mann und sein Freund nach einer Hexe namens Freya und finden eine von Magie verborgene Schule in den österreichischen Alpen. Sie schleusen sich dort als Schüler ein. Bald offenbart sich, dass einer der beiden Männer Mikael heißt.

[1]

 

Azalea

Lille, 2018

 

Mir ist kalt ... so kalt.

Ich schlage die Augen auf und mache sie gleich wieder zu, weil das Licht mich so blendet. Gott, womit habe ich diese Kopfschmerzen verdient?

Reiß dich zusammen, denke ich wütend. Wer feiern kann, kann auch aufstehen.

Ich wage einen weiteren Versuch, öffne die Augen und richte mich auf. Wieso liege ich auf dem Boden? In meinem Magen rumort es gefährlich.

Wo bin ich?

Fröstelnd ziehe ich mich an einer Kommode hoch und schaue mich um. Wie’s aussieht, befinde ich mich in einem Studentenzimmer. Einbauküche, Schreibtisch mit Medizinbüchern und einer Zettelwirtschaft, die man selbst in zwanzig Jahren nicht durchblicken würde, ein ungemachtes Bett, in dem ich nicht geschlafen habe. Sehr freundlicher Gastgeber. Wo auch immer er steckt.

Ich öffne eine braune Holztür, die einzige, die ich neben der Haustür mit dem Spion finden kann, und entdecke eine kleine Nasszelle mit Waschbecken, Dusche und Toilette. Hinter dem halb vorgezogenen Plastikvorhang verbergen sich Kosmetikartikel für Männer.

Hoffentlich haben wir wenigstens ein Kondom benutzt.

Bevor ich mir zu viele Sorgen machen kann, schließe ich die Tür und setze mich aufs Klo. Mir ist kalt und schlecht und ich weiß nicht einmal, in welcher Stadt ich bin. Das letzte, an das ich mich erinnern kann, ist, dass Mila mir diese kleine rosa Pille in die Hand gedrückt hat.

Als Geburtstagsgeschenk, hat sie gesagt.

Tolles Geschenk. Es grenzt an ein Wunder, dass ich noch weiß, wer ich bin. Seufzend stehe ich auf, um mir das Gesicht zu waschen. Im Spiegel prüfe ich, ob ich wenigstens noch aussehe, wie ich mich in Erinnerung habe. Große, grüne Augen, fast schwarze, lange Haare. Meine pinkfarbene Strähne ist auch noch da. Das dunkle Make-up ist verschmiert und verleiht mir einen Waschbärenblick, aber das ist nicht mein größtes Problem.

Mein Amulett ist weg.

Scheiße.

Hastig taste ich meinen Hals ab und schaue in den Ausschnitt meines Kleids, doch hier ist es nicht. Ich suche den Boden und das Waschbecken ab, laufe sogar zurück ins Zimmer, um meine Schlafstätte und das Bett zu durchwühlen, aber ich werde nicht fündig.

Entmutigt lasse ich mich aufs Bett fallen. Wie soll ich die Kette bloß wiederfinden, wenn ich sie nicht hier verloren habe? Ich kann mich an rein gar nichts erinnern. Nach allem, was ich weiß, könnte mein Erbstück in ganz Lille sein. Vielleicht sogar in ganz Frankreich. Wie weit kommt man schon in einer Nacht?

Bin ich überhaupt noch in Lille?

Schnell springe ich auf, eile zum Fenster und atme erleichtert aus, als ich den markanten Kirchturm erkenne. Gott sei Dank!

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen kehre ich zurück ins Badezimmer, um mich endlich frisch zu machen. Mein Ausschnitt kommt mir merkwürdig leer vor.

Und was ist das?

Ich neige den Hals zur Seite, um besser sehen zu können, was Mr. Medizin-Student mit mir angestellt hat.

Ein Knutschfleck!

Wie alt ist er bitte? Zwölf?

Aber wieso trage ich immer noch mein schwarzes Kleid? Und wieso habe ich auf dem Boden gelegen und nicht in seinem Bett?

So sehr ich meinen Kopf auch anstrenge, die Erinnerung kommt nicht zurück. Ich gebe mich geschlagen und drehe seufzend den Hahn auf, um mir das Make-up abzuwaschen. Trotz des Rauschens höre ich plötzlich ein Lachen in meinem Rücken.

Ich zucke zusammen und knalle mit dem Kopf gegen den Wasserhahn.

»Verdammter Mist«, fluche ich, richte mich auf und reibe mir die Stirn. Das Badezimmer ist so klein, dass das Lachen unmöglich echt gewesen sein kann – dabei kam es definitiv aus diesem Raum. Entweder erlaubt sich jemand einen Spaß mit mir ... oder ich bin immer noch high.

Scheiße.

Wenn ich Mila in die Finger kriege, drehe ich ihr den Hals um.

Ich trockne mir das Gesicht an dem einzigen Handtuch ab, das ich hier entdecken kann, bevor ich das Badezimmer wieder verlasse. In dem Zimmer bleibe ich überrascht stehen.

»Guten Morgen, Sonnenschein«, begrüßt mich der Typ, der vor der Küchenzeile steht und Kaffee zubereitet. Er ist blond und sieht verdammt ordentlich aus. Einer von der Art, der nie mit einer von meiner Art etwas anfangen würde, wenn er nicht total dicht gewesen wäre.

Und er grinst mich an wie ein Honigkuchenpferd.

Was für ein Verrückter! Scheint, als hätte wenigstens einer in dieser Nacht Spaß gehabt.

»Morgen«, grummle ich und schaue mich unsicher um. Soll ich einfach gehen? Ich kenne ihn überhaupt nicht.

»Hast du gut geschlafen, Azalea?«

Er mich offensichtlich schon.

»Bestens«, zwitschere ich und überlege, wie ich aus der Nummer wieder rauskomme, ohne dass er merkt, dass ich mich nicht an ihn erinnern kann. Wenigstens sieht er wirklich freundlich aus. Auch wenn das nicht erklärt, wieso er ausgerechnet mich mit nach Hause genommen hat.

»Kaffee?«, fragt er und wirft mir aus meerblauen Augen einen neugierigen Blick zu. »Nach der Nacht kannst du bestimmt Koffein gebrauchen.«

»Ich ... ehrlich gesagt, muss ich ...« Ich wedle mit der Hand in Richtung Tür. »Mein Vater macht sich sicher schon Sorgen.«

»Überhaupt kein Problem.« Mr Medizin-Student-mit-Honigkuchenpferd-Grinsen schüttet den Kaffee in zwei Thermobecher, bevor er nach einer Tüte greift und zu mir kommt. »Ich fahr dich nach Hause. Das ist das Mindeste, was ich für dich tun kann.«

Oh.

Wie lieb von ihm.

Zumindest, wenn er mich nicht in einen Wald fährt, um mich zu ermorden und unter einem Haufen Dreck zu verscharren. Aber dafür scheint er nicht der Typ. Ich könnte auch ...

Ich nehme einen Thermobecher entgegen und berühre dabei wie zufällig seine Hand. Ein Stromstoß jagt durch meinen Körper und mit ihm die Gewissheit, dass er mir – und meinem Körper – nichts antun wird.

Ich lasse ihn los und schnuppere an dem Kaffee, um meine Sinne aufzuwecken. Wieso erinnere ich mich nicht an diese Sahneschnitte? Und was haben wir die Nacht getrieben, dass er meint, er müsste mich nach Hause fahren?

Er greift nach unseren Jacken und öffnet mir die Tür. Mit einer höflichen Handbewegung entlässt er mich aus seinem Zimmer und schließt nach uns die Tür ab.

Da höre ich es wieder. Das Lachen.

Verwirrt schaue ich mich um, doch die einzige Person auf diesem Flur schaut eher argwöhnisch zu uns. Ich runzle die Stirn und wende mich ab, um mit diesem Prachtexemplar von einem Mann das Studentenwohnheim zu verlassen.

»Geht’s dir gut? Gestern hast du mehr geredet ...«, fragt er, nachdem wir unten angekommen sind und das Gebäude verlassen haben.

Ich beschließe, ihm die Wahrheit zu sagen. Vielleicht kann er mir dabei helfen, mich zu erinnern.

»Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich an nicht mehr sehr viel erinnern«, erkläre ich ihm. »Meine Freundin Mila ...« Er nickt aufmerksam, also kennt er sie offensichtlich. »... hat mir Drogen untergejubelt. Ich habe einen Filmriss. Ich weiß nicht einmal, wie du heißt.«

»Melvin«, entgegnet er schmunzelnd. »Und die Pille hat sie mir auch gegeben. Aber ich hab keinen Filmriss, nur einen dicken Kater.«

»Warte mal.« Ich bleibe stehen und starre den jungen Mann neben mir panisch an. Jetzt kommen mir seine Gesichtszüge auch wieder bekannt vor. Ich habe ihn schon auf einigen Fotos gesehen. »Melvin im Sinne von - Milas neuer Freund Melvin?«

Er seufzt leise auf. »Nun, nach letzter Nacht wohl nicht mehr.«

 

[2]

Mikael

Kurz vor Christiania, 1768

 

Sie kämmt ihre langen, weißblonden Haare mit den Fingern durch, bevor sie einen neuen Zopf flechtet. Dabei hält sie den Kopf leicht geneigt, beinahe so, als würde sie lauschen. Ich frage mich, was sie hört. Das Wasser? Saga?

Mich?

Sie hebt den Kopf, als hätte sie tatsächlich etwas gehört, und ich spanne mich unwillkürlich an. Meine Schulter fühlt sich an, als würde sie in zwei Hälften gerissen. Ein Stöhnen kann ich kaum unterdrücken.

Freya kommt sofort zu mir. Ihre Hände tasten mich suchend ab, ich fange sie auf und fahre vorsichtig über ihre zarten Finger. Ihre Haut ist so weich wie die einer Hofdame, was mich wundert – immerhin kommt sie vom Land und ist harte Arbeit gewöhnt. Noch mehr verblüfft es mich allerdings, dass sie mir ihre Hände nicht entzieht. Im Gegenteil – sie hält still, und das sanfte Lächeln auf ihren Lippen lässt darauf schließen, dass ihr die Berührung gefällt.

»Du bist wach«, stellt sie leise fest, bevor ich darüber nachdenken kann, was das für uns zu bedeuten hat, und hockt sich neben mich. »Wie geht es dir?«

»Ging mir schon besser«, stoße ich hervor und versuche meine Schulter zu entspannen, aber der dumpfe Schmerz bleibt und erinnert mich daran, wie wir vor den Dieben geflohen sind. »Ist mit dir alles in Ordnung?«

Besorgt betrachte ich die schöne Frau, die in den letzten Tagen so viel durchmachen musste. Unter ihren weißen Augen liegen tiefe Schatten, das Kleid ist schon hart vom getrockneten Blut. Sie braucht dringend ein neues.

Dass sie noch nicht durchgedreht ist, grenzt an ein Wunder.

»Ich bin unverletzt«, erwidert sie leise, aber das ist nicht das, was ich hören möchte. Ich sehe ihr an, dass es ihr nicht gut geht, doch ich weiß auch, dass es nicht meine Aufgabe ist, sie zu trösten. Ich bin bloß der Bote. Derjenige, der die Hexe beim König abliefert und dafür seinen Lohn bekommt.

Dass die Hexe nicht alt und seltsam ist, sondern jung und schön, sollte kein Problem sein, und es sollte schon gar nicht zu meinem werden.

Ich lasse ihre Hände los, als hätte ich mich an ihr verbrannt.

»Gut«, stoße ich hervor und versuche mich aufzurichten. »Denn wir sollten weiter. Hier ist es nicht sicher.«

Sofort ist sie an meiner Seite und stützt mich. Dafür, dass sie blind ist, kann sie erstaunlich viel. Es fühlt sich nicht an, als würde ihre Erkrankung sie einschränken.

Ich schnalze, damit Saga zu uns kommt. Sie lässt sich nicht zweimal bitten. Ein treueres Pferd habe ich noch nicht gesehen.

»Geht es?«, fragt Freya besorgt.

»Es geht schon irgendwie.« Ich greife nach dem Sattel, ziehe mich an ihm hoch, um in den Steigbügel zu treten und sitze einarmig auf. Trotzdem spanne ich dabei meine Schulter so sehr an, dass die Schmerzen heiß durch meinen Körper schießen. Verfluchtes Diebespack.

Wenigstens ist Christiania nicht mehr fern. Wenn wir in einen weiteren Hinterhalt geraten würden, könnte ich uns nicht mehr retten.

Ich löse meinen Fuß aus dem Steigbügel, damit Freya ihn ebenfalls als Aufstiegshilfe nutzen kann. Es dauert eine Weile, weil sie mir nicht wehtun will, aber schließlich sitzt sie vor mir. Ich lege einen Arm um ihre schlanke Taille und fasse nach den Zügeln, die verletzte Seite lasse ich schlaff hinunterhängen.

»Geht das?«, fragt sie leise. Schon wieder. Ihre Besorgnis rührt mich, und weil ich ihr das nicht zeigen will, treibe ich Saga an, bis wir uns den Weg vom Bach zurück in den Wald gebahnt haben. Das muss Antwort genug sein.

Wir reiten absichtlich einen Bogen um die Straße, die nach Christiania führt, aber wir haben Glück. Dieses Mal begegnet uns niemand, und schon bald entdecken wir die ersten Häuser.

Freya spannt sich merklich an, als die neuen Geräusche auf sie einprasseln. Vermutlich war sie noch nie in einer so großen Stadt. Ich versuche mir vorzustellen, wie sie die neue Umgebung empfindet, aber es fällt mir schwer, denn ich bin zu sehr damit beschäftigt, die Straßen im Auge zu behalten.

Es ist noch früh, aber selbst um diese Uhrzeit befinden sich schon einige Menschen in den Gassen und öffnen ihre Geschäfte. Ein Mann fegt den Gehweg vor seinem Haus, eine Frau küsst ihre beiden Kinder zum Abschied. Jemand reißt die Fenster auf, um frische Luft ins Haus zu lassen und sein Bettzeug zu lüften. Vor uns führt ein Pferd einen Karren mit Fässern an.

Als wir an der nächsten Kreuzung ankommen, steigt der Geruch nach frischen Backwaren in meine Nase. Sofort meldet sich mein Magen zu Wort. Ich halte Saga an.

»Hast du Hunger?«, frage ich Freya, die schüchtern nickt. Also rufe ich mir einen Burschen heran und bitte ihn, für uns etwas aus der Backstube zu kaufen und das Wechselgeld zu behalten. Er läuft ins Gebäude und kommt kurz darauf freudestrahlend zurück, um uns zwei süße Teilchen zu reichen. »Vielen Dank.«

Er salutiert, bevor er davonläuft und uns mit unserem Frühstück allein lässt. Ich reiche Freya ihr Stück und beiße von meinem eigenen ab, während ich Saga zurück auf den Weg lenke.

»Hmm, das ist ja himmlisch!«, seufzt Freya genießerisch.

»Nur das Beste für meine Heldin.«

Sie kichert und klapst mir auf den Oberschenkel. »Du bist wohl der größere Held von uns beiden.«

Ich lächle in mich hinein und genieße das Teilchen, aber als das Schloss in Sichtweite kommt, vergeht mir mein Lachen, weil ich mich daran erinnere, wieso sie überhaupt hier ist.

Aber wenn wir erst den König erreicht haben, wird sie mich sowieso nie wiedersehen.

 

[3]

 

Louisa

Düsseldorf, 2018

 

Der Duft nach frischem Kaffee holt mich sanft aus dem Schlaf. Ich blinzle gegen das Sonnenlicht, das durch ein Fenster in den Raum fällt, und schlage die Augen auf. Mein Körper fühlt sich an wie gerädert. Nach ein paar winzigen Augenblicken des Vergessens erinnere ich mich auch daran, wieso er sich so anfühlt.

Nach einer Verfolgungsjagd und einem Fast-Sturz von einer Feuertreppe ist es kein Wunder, dass ich überall Muskelkater habe.

»Guten Morgen«, begrüßt mich eine Stimme mit rauem Akzent, die ich selbst im Schlaf erkennen würde.

»Alex«, murmle ich, um mir die Ereignisse wieder in Erinnerung zu rufen. Vielleicht habe ich das sogar ein bisschen. Irgendwie erscheint es mir nämlich einfacher, das Geschehene zu verdrängen, statt mich damit auseinanderzusetzen. Aber je wacher ich werde, umso mehr vermischen sich die Bilder meiner Erinnerung mit denen des Märchens, welches er mir vor dem Einschlafen erzählt hat.

Es war einmal ein blindes Mädchen, welches in einem kleinen Dorf in Norwegen wohnte. Der Verlust der Mutter, die zu Unrecht als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, weckte in ihr alte, magische Fähigkeiten. Nur ein Wächter konnte sie aus dieser lebensbedrohlichen Situation befreien. Sein Name war Mikael ...

Jetzt verstehe ich zwar, dass es Hexen schon ewig und drei Tage gegeben hat – aber wirklich viel schlauer bin ich nicht, inwieweit das mich betrifft.

»Ich dachte, du hast vielleicht Hunger.« Alex deutet auf ein Tablett auf dem Beistelltisch. Daher also der Kaffeegeruch.

Ich lasse mich erschöpft zurück in die Kissen fallen und fahre mir durchs Gesicht. Das fühlt sich alles zu real für einen Traum an.

»Ist das ein Nein?«, fragt er, und ich höre das Schmunzeln aus seiner Stimme heraus.

»Eher ein Wieso zur Hölle ausgerechnet ich?« Seufzend stehe ich auf und wäre beinahe über meine Hosenbeine gestolpert. Ein kurzes Check-up später stelle ich fest, dass ich seine Sachen trage. Also hat er mich umgezogen.

Und nackt gesehen.

Oh Gott.

Ich kremple die Hosenbeine hoch und setze mich mit schmerzenden Gliedern in den anderen Sessel. Alex sitzt mir gegenüber. Er sieht überhaupt nicht müde aus, obwohl die Nacht viel zu kurz war. An seinem Ausschnitt blitzt das dünne, goldene Kreuz hervor.

»Kaffee?«

»Mit Milch und Zucker.« Ich halte ihm gähnend meine Tasse hin. »Viel Zucker.«

Er lacht leise auf und füllt unsere Tassen. Mein Blick gleitet zu meinen Armen, die von Schrammen übersäht sind. Ich will gar nicht wissen, wie es unter der Kleidung aussieht. So wie es sich anfühlt, muss mein Körper aus einem einzigen blauen Fleck bestehen.

Ich nehme mir ein Croissant und bestreiche es dick mit Nutella. Irgendwie habe ich das dringende Bedürfnis, meinen Zuckerhaushalt wieder auf Vordermann zu bringen. Alex beobachtet mich belustigt, während er sein eigenes Croissant mit Marmelade isst.

»Hab ich mich eigentlich schon bedankt?«, frage ich, weil ich mich wieder an meine gute Erziehung erinnere. »Dafür, dass du mich vor dem Absturz bewahrt hast.«

»Das ist mein Job. Ich würde sehr viel Ärger bekommen, wenn dir etwas geschehen würde.« Dennoch sieht es aus, als würde er sich über meinen Dank freuen.

»Ist das so?«

Erzähl weiter. Na los.

»Ich bin ein Wächter«, erklärt er, als hätte er meine unausgesprochene Aufforderung gehört. »Männer wie ich passen auf Frauen wie dich auf.«

»Das hört sich irgendwie sexistisch an.« Ich ziehe eine Braue hoch. »Ich dachte immer, ich könnte auf mich selbst aufpassen.«

»Nun, vor normalen Menschen in einem normalen Leben könntest du das ganz bestimmt. Aber nicht vor dem, was da draußen noch schlummert.«

Ich pruste los und verteile Blätterteig auf dem ganzen Tisch.

Oh Gott, wie peinlich. Schnell presse ich mir eine Hand auf den Mund und schlucke runter, bevor ich die Krümel zusammensammle und auf den Teller fallen lasse. »Das hört sich an, als würdest du von Monstern reden.«

»Vielleicht tue ich das«, erwidert er ernst und reicht mir eine Serviette. Wenigstens lacht er mich nicht aus.

Aber seine Worte jagen mir einen Schauder über den Rücken. Ich wische mir über den Mund und lehne mich mit verschränkten Armen zurück. »Wer waren die beiden Männer, die uns verfolgt haben?«

»Nicht uns.« Er deutet auf mich. »Sie wollten dich.«

»Aber warum?«, flüstere ich nervös.

»Weil du eine Hexe bist.

---ENDE DER LESEPROBE---