Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Was für eine Fülle von Eindrücken haben uns die letzten 75 Jahre gebracht! Und nahezu 67 Jahre davon habe ich als aufgeweckter Zeitgenosse miterlebt und in der Tat sehr genossen. Da gibt es immer wieder Lebensabschnitte, Zusammenhänge, Komplexe, Eindrücke und "Ideen und Glaubensgewissheiten" (Ortega y Gasset), zu denen Gedanken, Erinnerungen und Geschichten gehören. Nur mal ein kleiner Zeitlauf: Kriegsende in der Mark und in Berlin. Die Zeit der Berliner Street-Gangs nach 45, Blockade, Baden-Baden und der Schwarzwald, Heidelberg, Paris, Korsika, Algerien, England, USA. Oder die vielen zum Teil skurrilen Begegnungen mit Verwandten, verrückten Freunden, Gangstern und liebenswerten Trotteln, tollen unerreichbaren und ebenso tollen aber höchst erreichbaren Frauen. Sie werden den Jagdhaus-Schorfheide Krimi und beamtete Idioten kennenlernen, sowie merkwürdige Leute wie Herrn Rowedder, und bescheuerte Institutionen wie die Treuhandanstalt. Natürlich erfahren Sie alles über den Mord im Kruger Busch, und wie das Gasthaus am Weiher abbrennt, wobei die brennende Wiese meiner Jugend nicht zu kurz kommen darf. Genug genug – schauen Sie in das Inhaltsverzeichnis; dann können Sie selektiv oder von hinten nach vorn oder gleich von vorn loslesen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 362
Veröffentlichungsjahr: 2012
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Das Leben findet während der Fahrt statt
Wolfgang Lipps
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2011 Dr. Wolfgang Lipps
ISBN 978-3-8442-2709-3
Für Astrid
und für
Fiona, Margot und Stephanie
Beim Wildschweinessen
1. Ortsbestimmung.
2. Das literarische Quintett
3. Die Klammer
Disclaimer
Warum dieses Buch diesen Titel hat.
Mord im Kruger Busch
Holde Jugend
Welche Wiese?
Eine bedeutende Grossmutter
Der Karl
Die Familie von Heyl
Von der Planitz
Kriegsende
Alt Heidelberg
Liebe und das leichte Gewerbe
Das Duell
Der Volponische Kongress
Die Wiedervereinigung
Als Anwalt zur BAUKEMA
Sozialistische Bilanzen
Der Jagdhaus-Schorfheide-Krimi
1. Teil
in dem einige Abstauber ein Finanzministerium her einlegen.
2.Teil
in welchem eine schöne Pleite hinge legt wird und die wirklichen Retter auftreten.
3. Teil
in welchem ein inkompetenter Ministerialbeamter einen Überfall inszeniert und so ziemlich alles falsch macht, was man falsch machen kann.
4. Teil
der nochmal zeigt, mit was für Schnarchnasen wir es damals zu tun hatten.
Nachwort zur Wiedervereinigung
Die erste Episode
Die zweite Episode
Rechtsreferendar – das Rückrat der Justiz
Amtsgericht Wiesloch
Die Wahlfeststellung
Die Geschäftsstelle
Nichtige Urteile
Der Assistent des Landrats
Berlin
Wie F-K so arbeitete
Der Schwager
Zauberkunst
Der Hubschrauber im Wohnzimmer
Ein Gasthaus brennt
Exkurs
Korsika
„Der Korse“ im Bild „des Franzosen“
Die Inselbahn
Exkurs: Notariat in Schwetzingen
Fanfan
Korsischer Käse
Schweinejagd
Paris und Algerien
„Adolph Menzel“
Im Chambre de Bonne
Algerien und zurück
Jazz
Vier Frauen
Afrikanische Abenteuer
Hinreise und Ankunft
Fricke und der Pool
Die Dienerschaft
Die roten Schuhe
Liebesdienste
Wir lernen das System kennen
Die deutsche Botschaft
Die Druckerei
Der kongolesische Minister
Abreise mit Hindernissen
Niger und Niamey
Das Hotel
Die deutsche Botschaft
Fahrt ins Land
Der Schnäppchenjäger
Königsberger Klopse
Der „Cuntador“
Das Schnäppchen seines Lebens
Boote
Der preiswerte Jeep
Das Designerkleid
Jagdgeschichten
Revierlose Jäger
Vom Jagdgast zum Jagdherrn
Hubertusfeier
Gedanken zum Hubertustag
Flax
Der Bulle
Geburtshilfe
Der Denunziant
Daimler und Nähmaschinen
Jobsuche
„K&F-Personal-Analyse-Tool“ (K&F-PAT)
Bei Pfaff
In der Karibik und andernorts
Elmar
Gary
Bahamas
Der Keiler
ANHANG
Forellenrahmsüppchen
Wildschweinkeule in Weisswein
Brandenburger Quarkkeulchen
Sie haben, geneigter Leser – hoffentlich – ein Buch in die Hand genommen, dessen zunächst einmal unverständlicher Titel Sie neugierig gemacht haben sollte. Wenn´s allerdings jetzt gleich sterbenslangweilig wird, ist alles vorbei. Deshalb werden Sie sofort von mir auf subtile Weise an den Kern, den Sinn, den Unsinn und den Wert dieses Buches herangeführt und zwar in zwei Schritten:
Sie erfahren detailliert, wie ein Wildschwein „Lieper Art“, das ist Wildschweinkeule in Weisswein, zubereitet wird. Wieso? Wieso nicht? Das ist nämlich letztendlich der eigentliche Anlass dafür, dass und warum dieses Buch überhaupt geschrieben wurde,
womit wir dann bei der Klammer sind, die den Inhalt dieses Buches mehr oder minder lose zusammenhält – nämlich den sogenannten „Zeitläuften“, genauer gesagt, den aufregenden letzten 75 Jahren seit 1936.
Wenn Sie hoffentlich richtig neugierig sind, dann lesen Sie weiter.
Wir sind in Brandenburg, genauer: auf dem Barnim, noch genauer: in Liepe am Oder-Havel-Kanal, unweit des Schiffshebewerks Niederfinow, in der herrlichen Landschaft zwischen Schorfheide und Uckermark.
Liepe liegt am Ufer der alten Oder, die heute kein Schiffahrtsgewässer mehr ist, seit es den Oder-Havel-Kanal gibt. Nördlich oberhalb des langgestreckten Dorfes steigt das Gelände steil und schluchtenreich an bis zu einer schön gewellten Hochebene, der Choriner Endmoräne. Hier hielten seinerzeit die Gletscher in ihrer Wanderung inne und brachen ab in´s Tal der Oder. Dieses wurde damit zum Urstromtal und später zu einer bedeutenden Handelsstrasse.
Oberhalb des Dorfes auf der Höhe der Endmoräne erstreckt sich eine grosse Feldmark, durchzogen von Knicks, Buschgruppen und Wäldchen. Markante Landschaftsformen sind der Steinberg, ein alter Steinbruch, aus dem u. a. die Steine der Schlossbrücke in Berlin stammen, und der Pfingstberg, ein eisenzeitliches Fürstengrab. Kleine Seen liegen darin, zurückgelassen von den Gletschern. Umgeben ist die Feldmark im Osten von dichten Hochwäldern und Buschwerk und an den Südhängen wuchert Akaziengestrüpp. Dichte Nadelholz- und Mischholzwälder liegen im Norden und Nordosten. Uralte Eichen- und Buchenwälder ziehen sich zusammen bis in die Schorfheide.
In der Feldmark zieht allnächtlich das Rotwild seine Fährte. Sauen stecken in den Knicks, Schilfrändern und in den umgebenden Buschwäldern, und suchen nachts die Felder heim. Rehwild hat zahlreiche Reviere in Feld und Gehölz. Kraniche brüten nahebei, Seeadler jagen über dem Land. Kolkraben, Tauben, Reiher, Störche und zahlreiche seltene Vögel geben sich ein Stelldichein.
Fuchs, Dachs und Marder, Iltis, Hermelin und Wiesel leben hier und zunehmend auch Marderhund und Waschbär. Gelegentlich gelingt es Fasanen, ein Gelege hochzubringen, das Rebhuhn aber ist verschwunden. Der Hasenbesatz wird von Jahr zu Jahr besser, auch dank der Schonung durch die Jäger; Kaninchen allerdings findet man hier nicht mehr.
Das Muffelwild verirrt sich niemals bis hierher, weil es den Kanal im Süden und die Strasse von Oderberg nach Angermünde im Osten nicht überwinden will, aber gelegentlich zeigt sich ein Stück Damwild aus den grossen Revieren der nahen Schorfheide.
Nachts jagen hier alle Eulen ausser dem – leider fast ausgestorbenen – Uhu, des Tags alle Raubvogelarten bis hin zum seltenen Wespenbussard und natürlich der Wappenvogel Brandenburgs, der Rotmilan – „Steige hoch Du roter Adler …“.
Immer öfter erscheinen Wölfe im Revier und alle paar Jahre, wenn die Oder zugefroren ist, auch mal ein polnischer Elch.
Kurzum – seit tausenden von Jahren, auch nach der Ausrottung von Bär, Luchs und Auerochs, ein Jagdrevier, wie es sich das Jägerherz nur wünschen kann.
Dieses herrliche Stück Natur ist seit 1992 mein Jagdrevier. Mitten darin liegt eine frühere Aussenstelle des Lieper Landgutes, das von meiner Frau Astrid und mir zu einem zünftigen Jagdhaus um- und ausgebaute „Lieper Vorwerk“. Seit ca. dem Jahre 2009 heisst das Revier nun „Lehr- und Forschungsrevier Lieper Vorwerk“, weil es inzwischen das Revier für das „JUN.i Institut für Jagd Umwelt und Naturschutz“ ist, im Internet unter www.jagd-umwelt-naturschutz.de.
So sitzen wir also – um endlich zur Sache zu kommen - im „Lieper Vorwerk“ um den schön gedeckten Eichentisch herum und lassen uns ein Essen schmecken, wie es nicht nur das Jägerherz, wenn auch dieses ganz besonders, erfreut. Angerichtet hat es meine Frau Astrid, eine begnadete Köchin, deren über Liepe und Berlin hinaus bekannte Kochkurse mindestens ebenso gut sind wie ihre beruflichen Fähigkeiten als Rechtsanwältin und Notarin.
Das Menu – dieses Buch ist nämlich Teil der neuerdings immer wieder beschworenen notwendigen deutschen Bildungsoffensive - soll dem Leser nicht vorenthalten werden:
Amuse gueule
Forellenrahmsüppchen
Wildschweinkeule in Weisswein
Brandenburgische Quarkkeulchen mit Himbeercoulis.
Dazu natürlich Weisswein, Rotwein, danach Espresso, Rum, Cognac, Zigarre usw.; was jeder möchte; auf dem Lande geht es üppig zu.
Wer die Rezepte nachkochen möchte, findet sie im ANHANG.
Wir, das sind unsere Lieper Freunde Burckhard, einer unserer besten Jäger und seine Frau Gundela, der Berliner Architekt Christian und seine Ehefrau Marita, auch Rechtsanwältin und Notarin und Astrids beste Freundin, und natürlich wir, die Gastgeber.
Wie es sich zum Essen bei Gebildeten ziemt, werden die Kau- und Wohlbefindensgeräusche von munteren Reden übertönt. So habe ich, wegen des Wildschweinbratens, gerade die Geschichte vom Bauern Vogt erzählt, der
… vor geraumer Zeit mit dem Fahrrad aus Brodowin kommend auf der Waldstrasse einen sehr kleinen Frischling rumwuseln sieht, noch im gestreiften Schlafanzug. Den hält er – Wilderei hin oder her - für einen willkommenen Braten, aber als er ihn fängt, quiekt das Tierchen ganz erbärmlich, worauf wie eine Dampfwalze die Mutter durch das Unterholz bricht. Diese Bache wiegt schätzungsweise 70 Kilo, hat das Gebräch (jägerisch für: das Maul) weit aufgerissen und wirkt insgesamt einigermassen unverbindlich.
Vogt, der weiss, dass Wildschweine schon mal Menschen umgebracht haben, jedenfalls aber ganz schön wehtun können, saust in geradezu artistischer Behendigkeit auf den nächsten Baum; der allerdings ist blöderweise eine gerade mal armdicke Birke, nicht sehr hoch, und biegt sich schon. Die Bache sieht Vogt aus miesen kleinen Augenwinkeln berechnend an – Wildschweine sind verdammt schlau – und rüttelt an dem Baum, woraufhin der bedenklich in Bewegung kommt; Vogt fängt an zu schreien wie am Spiess.
Das holt zwar keine Hilfe für ihn, aber drei weitere Bachen mit noch mehr Frischlingen aus dem Unterholz.
Dumm gelaufen bis hierher.
Die Bachen beratschlagen, die Frischlinge hören aufmerksam zu.
Dann gehen zwei Bachen zum Fahrrad und nehmen das nach allen Regeln der Kunst auseinander, zerbeissen die Reifen, zertrampeln den Rahmen, und da das Ganze noch zu Zeiten der DDR spielt, wo ein Fahrrad nur gegen sein Gewicht in Gold auf dem Schwarzmarkt erhältlich war, kommen Vogt zu den Tränen der Angst noch welche der Wut.
Aber Wut hilft nicht, denn zu seinem hilflosen Entsetzen fangen die beiden anderen Bachen an, die Birke auszugraben, an der er hängt.
Jetzt wird´s eng.
Sie erinnen sich an das Gedicht, in dem der Friedhofstürmer den Toten die Hemden klaut? - Goethes „Totentanz“?
Das geht stellenweise so:
…..
Da regt sich ein Grab und ein anderes dann: Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann, in weissen und schleppenden Hemden.
…..
Das kommt nun dem Türmer so lächerlich vor; Da raunt ihm der Schalk, der Versucher, ins Ohr: Geh! hole dir einen der Laken.
Das entspricht dem Frischling von unserem Freund Vogt
Getan wie gedacht! und er flüchtet sich schnell Nun hinter geheiligte Türen.
oder in unserem Fall auf eine inadäquate Birke
Der Mond, und noch immer er scheinet so hell Zum Tanz, den sie schauderlich führen.
Nur einer, der trippelt und stolpert zuletzt Und tappet und grapst an den Grüften; Doch hat kein Geselle so schwer ihn verletzt, Er wittert das Tuch in den Lüften. Er rüttelt die Turmtür, sie schlägt ihn zurück, Geziert und gesegnet, dem Türmer zum Glück: Sie blinkt von metallenen Kreuzen. Das Hemd muss er haben, da rastet er nicht, Da gilt auch kein langes Besinnen, Den gotischen Zierat ergreift nun der Wicht Und klettert von Zinnen zu Zinnen.
beziehungsweise will mal schnell die Birke ausgraben!
Der Türmer erbleichet, der Türmer erbebt, Gern gäb’ er ihn wieder, den Laken. Da häkelt – jetzt hat er am längsten gelebt - Den Zipfel ein eiserner Zacken.
So ungefähr also fühlt sich unser Freund Vogt.
Der Türmer wird zwar gerade noch gerettet, denn:
Schon trübet der Mond sich verschwindenden Scheins, die Glocke, sie donnert ein mächtiges Eins, und unten zerschellt das Gerippe.
Darauf aber kann sich Vogt nicht verlassen. Er ist im Wald von Chorin, hunderte von Metern vor der Dorfgrenze, weit und breit keine Turmuhr, aber unter ihm inzwischen vier hinterlistige Sauen. Die Birke gibt langsam nach.
Da kommt im letzten Augenblick der Bauer Schulze mit dem Pferdewagen. Vogt lässt sich drauf fallen, die Schweine ziehen sich enttäuscht zurück, und so kann man wenigstens die Reste vom Fahrrad noch bergen, zu retten ist da nix mehr.
Und daraufhin sagt Freund Christian zum vielleicht achtundzwanzigsten Male:
„Wolfgang, nicht nur ich, wir alle haben Dich schon hundertmal gebeten: SCHREIB´ DAS AUF! Was man erzählen kann, kann man auch schreiben.“
So habe ich mich schliesslich breitschlagen lassen, dieses Büchlein zu schreiben und es hat mir großen Spaß gemacht, den ich dem Leser gerne vermitteln möchte.
Wenn man keine Biographie schreiben, aber aus seinem Leben berichten will, dann gibt es dafür nur eine einzige Klammer: nämlich dieses Leben selbst. Wenn man das chronologisch schildern wollte, dann hätten wir durch die Hintertür genau das, was ich vermeiden will: eine Biographie in ihrer weniger interessanten Form der Autobiographie. Stattdessen möchte ich aus diesen 75 Jahren lauter bunte Krümel herumwirbeln lassen wie die Scherben im Rohr eines Kaleidoskops, grosse und kleine, helle und dunkle, kantige und vielgestaltige – zusammengehalten und geordnet nur durch den jeweiligen Bildausschnitt.
Was für eine Fülle von Eindrücken haben uns die letzten 75 Jahre gebracht! Und nahezu 67 Jahre davon habe ich als aufgeweckter Zeitgenosse miterlebt und in der Tat sehr genossen. Da gibt es immer wieder Lebensabschnitte, Zusammenhänge, Komplexe, Eindrücke und „Ideen und Glaubensgewissheiten“ (Ortega y Gasset), zu denen Gedanken, Erinnerungen und Geschichten gehören.
Nur mal ein kleiner Zeitlauf:
Kriegsende in der Mark und in Berlin,
Die Zeit der Berliner Street-Gangs nach 45
Blockade, Baden-Baden und der Schwarzwald
Heidelberg, Paris, Korsika, Algerien
England, USA.
Oder die vielen zum Teil skurrilen Begegnungen mit
Verwandten
Verrückten Freunden
Gangstern und liebenswerten Trotteln,
tollen unerreichbaren und
ebenso tollen aber höchst erreichbaren Frauen.
Sie werden den
Jagdhaus-Schorfheide Krimi und beamtete Idioten kennenlernen,
sowie merkwürdige Leute wie Herrn Rowedder
und bescheuerte Institutionen wie die Treuhandanstalt.
Natürlich erfahren Sie alles über
den Mord im Kruger Busch, und
wie das Gasthaus am Weiher abbrennt, wobei
die brennende Wiese meiner Jugend nicht zu kurz kommen darf.
Genug genug – schauen Sie in das Inhaltsverzeichnis; dann können Sie selektiv oder von hinten nach vorn oder gleich von vorn loslesen.
Ich drücke mir den Daumen, dass Ihnen die Lektüre Spass macht. Wenn nicht, ist Christian schuld!
(neudeutsch für: ich hafte für nix):
"Für alles, das in diesem Buch steht, trage ich allein die volle Verantwortung, übernehme aber für den Wahrheitsgehalt keine Garantie und rechtfertige die Abwesenheit jeglicher Fussnoten damit, dass ich nichts zitiert habe was so zu kennzeichnen wäre, ausser vielleicht einigem das ich vergessen habe wegen dessen ich aber einen Rücktritt ablehne. Ähnlichkeiten mit lebenden oder nicht mehr lebenden Personen sind rein zufällig auch dort wo sie bewusst erkennbar geschildert oder gar namentlich benannt sind, Haftung ausgeschlossen.“
Jeder Schriftsteller weiss: der richtige Titel ist die halbe Miete. „Deutschland schafft sich ab“ ist ein Bombentitel, während „Ansichten von Thilo“ nicht ganz so gut gekommen wäre. Weil Frau Breuel ihr Buch über die Treuhandanstalt „Das Unmögliche wagen“ genannt hat, dachten vielleicht viele, das sei ganz interessant; hätte sie es ehrlicherweise mit „Selbstlob für beschissene Arbeit“ betitelt, hätte kein Mensch es gelesen.
Moment mal.
Jetzt, wo ich das schreibe, kommen mir Zweifel. Weil vielleicht ein Buch „Die Scheißtreuhand“ ein echter Renner geworden wäre, vor allem, wenn es – was wir Frau Breuel aber nicht unterstellen dürfen – ehrlich gewesen wäre.
Also:
Der Titel ist ganz wichtig, aber welcher Titel? Die Schriftstellerin Sabine Ebert hat vier zauberhafte Bücher über das Leben einer Hebamme zu Zeiten Barbarossas geschrieben, die sie ganz anders nennen wollte, aber dann auf Druck ihres Verlages „Das Geheimnis…“, „Die Spur…“, „Die Entscheidung…“ und „Der Fluch der Hebamme“ genannt hat und war damit höchst erfolgreich.
Ich wollte – ich sollte, wie Christian das verlangt hat – alle mehr oder minder witzigen interessanten erbaulichen lehrreichen usw. Krümel aus meinem Leben zusammenwürfeln und aufschreiben, denn meine Erzählungen seien so anregend, dass sie der Nachwelt erhalten bleiben müssten. Als ob flüssige Redner auch flüssig schreiben könnten. Vor allem, weil Christian verlangt hat, ich müsste immer wieder zwischendurch den Leser mit „Knallern“ anheizen, damit ich dann weitere Informationen ausbreiten könnte, und vor allem dürfe natürlich die Erotik nicht zu kurz kommen, das wollten die Leute lesen.
Er hat gut reden! Aber damit stosse ich dann allerdings an meine erzählerischen und vor allem an meine selbstentblösslerischen Grenzen!
Nach langem Kampf mit mir und anderen habe ich mich dann aber mal drangemacht. Und dafür, wie gesagt, als Erstes einen Titel überlegt.
Einige Titel fallen aus, definitiv, völlig ausgeschlossen; so wie „Aus meinem Leben“ („aus dem Leben eines Taugenichts“ hätte es super getroffen, gibt es aber schon von Joseph von Eichendorff). „Ein Vagabund unterwegs“ ist durch Mark Twain „A Tramp Abroad“ genial blockiert. „Gedanken und Erinnerungen“ ist von Bismarck, „Erlebtes und Erlauschtes“ haben Ganghofer und andere schon besetzt. „Irrungen und Wirrungen“ kommt mir bekannt vor und trifft ausserdem mein ordentliches Leben nicht. „Durch die Wüste“ oder „Durch´s wilde Kurdistan“ oder „Von Bagdad nach Stambul“ oder „In den Schluchten des Balkan“ oder gar „der Schut“ – alles irgendwie schon mal dagewesen. Und ausserdem: wer will denn von einem Anwalt aus Berlin irgendwelche Lebenserinnerungen lesen? Ausser Christian.
Deshalb dachte ich an den Spruch meines alten Freundes Ellermann „das Leben findet während der Fahrt statt“. Will heissen: das Leben rast davon, vor sich hin, an vielem vorbei, durch vieles hindurch, reisst uns mit, lässt uns auch mal fallen, rammt uns zuweilen um, schleudert uns herum und in immer neue Lebenslagen, zwingt uns gelegentlich zum Kampf, lässt uns den mal gewinnen, mal verlieren. Aber es steht nie still und saust mit uns unweigerlich auf ein Ende zu. „Hoch auf dem gelben Wagen…“ sagt das Gleiche, nur viel besser und kürzer. „Ich wäre so gern noch geblieben, aber der Wagen, der rollt!“. Der Wagen des Lebens, in dem wir sitzen. Und am Ende „sag ich: Ade nun, Ihr Lieben, die ihr nicht mitfahren wollt. Ich wäre gerne noch geblieben, aber…“ siehe oben.
Aber während der Fahrt passiert auch vieles, an dem sich vielleicht auch noch andere erfreuen können, erheitern, von dem sie vielleicht etwas mitnehmen können in ihre Welt, oder von dem die, die mich kennen, gut oder nicht so gut, vielleicht sagen werden: „Guck mal an, der also auch“ oder so ähnlich. Ich möchte einfach einiges weitererzählen, nur so um des Fabulierens willen. Mit dem kleinen Hintergedanken „wer schreibt der bleibt“, und wenn es nur bei wenigen geliebten Menschen ist.
Also: DAS LEBEN FINDET WÄHREND DER FAHRT STATT
Damit haben wir ihn, den Titel! So lasse mer´s.
Eigentlich fing alles ganz harmlos als durchschnittlicher Jagdrechtsfall an. Mehrere Jagdpächter hatten ein Revier gepachtet und bejagten es gemeinsam. Wie oft bei derartigen gemeinschaftlichen Unternehmungen – ob sie nun Ehe heissen oder Verein – kam es allmählich zu Zerwürfnissen.
Denn eigentlich ist der Mensch ja von Natur aus kein so richtig geselliges Wesen, sondern trachtet zunächst mal danach, seinen eigenen Nutzen zu mehren. „Der Mensch ist des Menschen Wolf“ – homo homini lupus; diese miese Charakteristik stammt ausgerechnet von einem Komödiendichter, Titus Maccius Plautus (ca 200 v. Ch.) und wurde später von Hobbes abgewandelt. Aber wir wissen, was gemeint ist, und die jüngere Geschichte ist voll von Beispielen.
Ich will das hier gar nicht beklagen, denn ein Teil der Verdienstmöglichkeiten eines Rechtsanwalts beruht ja gerade darauf, oder? Unabhängig davon also, wie richtig oder wie falsch das sein mag – alle menschlichen Zusammenschlüsse haben die Tendenz, sich zu zerstreiten, Ehen zerbrechen angeblich schon an mittig gequetschten Zahnpastatuben.
Auffällig ist das Explosivpontential bei Zusammenschlüssen von Leuten, die gemeinsam ein Jagdrevier betreiben, die also eigentlich eine gemeinsame Passion, eine gemeinsame Liebe einen sollte. Ich bin ein erfahrener Jagdrechtler mit einer jahrelangen Praxis und bin dennoch einigermassen ratlos, wenn ich gefragt werde, wieso sich gerade Jäger immer wieder derart zerstreiten, dass man häufig schon deshalb besorgt sein muss, weil die ja gleichzeitig zu den wenigen Privilegierten gehören, die mit einer Feuerwaffe herumlaufen dürfen. Grüne und Tierschützer machen es sich da natürlich leicht: der Jäger ist ein potentieller Killer ohne Achtung vor dem Leben, vom machtsuggerierenden Phallussymbol des Gewehrs beherrscht, ergo ein Arschloch.
Na ja. Es gibt in der Tat Exemplare der Spezies Weidmann, die dergleichen abstruse Theorie jedenfalls nicht a priori als bescheuert erscheinen lassen, aber tatsächlich ist die Sache dann doch erheblich diffiziler. Natürlich spielt ein bisschen Machotum mit, auch ein bisschen Beuteneid, auch Dominanzgehabe, manchmal etwas Aufgeblasenheit – aber im Grossen und Ganzen sind Jäger Naturfreunde, Tierschützer, ausgeglichene Charaktere, und rundherum vernünftige Leute.
Glaubt zwar kaum einer, aber ich bin der schlagende Beweis, oder?
Der Fall, zu dem diese langatmige Vorrede den Leser hinführen soll, zeigt die merkwürdige Gemengelage, die im Jagdbetrieb entstehen kann. Ein Mandant, nennen wir ihn Friedhelm O., erscheint eines Tages in meiner Kanzlei und bittet, ihn gegen seine Mitjäger bezw. seine Jagdgenossenschaft zu vertreten. Denn die letztere habe ihm aufgrund einer Intrige der ersteren seinen Jagdpachtvertrag fristlos gekündigt; er läuft Gefahr, sein Jagdrevier zu verlieren.
Hier höre ich zum ersten Male den Ausdruck „Kruger Busch“, ein Jagdrevier im Nordosten von Brandenburg und eines der schönsten im Lande.
Das ist also nicht etwa ein Gebüsch im afrikanischen Krüger Nationalpark, sondern ein Waldgebiet, das zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk Kruge/Gersdorf gehört. Der Mandant nun war einer von mehreren Jägern, der in diesem schönen Jagdbezirk als einer der Jagdpächter das Privileg hatte, gerade den Teil zu bejagen, der eben Kruger Busch genannt wird – ein Gebiet, in dem es ein hervorragendes Aufkommen an Rotwild und Schwarzwild, zu bürgerdeutsch Hirsch und Wildschwein, gab und gibt.
Das Mandat war mir gleich sympathisch, denn die Gemarkungen Kruge und Gersdorf waren mir wohlbekannt.
Kruge, ein mehr als 700 Jahre alter Rittersitz, war seit 1800 etwa bis 1945 das Gut meines Onkels von Trotha, und ich habe während des Krieges dort eine wunderbare Zeit mit meinen Cousinen Putzi und Mädi verbracht, bis die Verwandten vor den Russen nach Bad Godesberg flohen. In Gersdorf, mit dem sich Kruge 1960 zusammenschloss, ging ich ein Jahr lang zur Schule und sang jeden Morgen die Brandenburger Nationalhymmne „Steige hoch Du roter Adler…“, der bekanntlich gar kein Adler ist, sondern ein roter Milan.
Zurück zum Fall. Ein Mitglied der Jagdgesellschaft, die dort jagen durfte, war aus mehreren Gründen erpicht darauf, meinen neuen Mandanten aus dieser Gesellschaft auszubooten, und zwar im kollusiven Zusammenwirken mit dem Jagdvorsteher, einem Herrn H..
Zum Verständnis jagdrechtlicher Laien:
Alle Grundstücke einer Gemeinde, die nicht zu einer Eigenjagd (einer privaten Jagd) gehören, bilden kraft Gesetzes den sog. Gemeinschaftlichen Jagdbezirk dieser Gemeinde, hier Kruge-Gersdorf. Alle Eigentümer von land- forst- oder fischereiwirtschaftlichen Flächen dieser Gemeinde bilden kraft Gesetzes eine Körperschaft öffentlichen Rechts, die Jagdgenossenschaft. Diese wählt sich einen Vorstand und verpachtet dann das Jagdausübungsrecht - gemeinhin halt: die Jagd – an einen oder mehrere Jäger, die dann eine Jagdgesellschaft bilden.
Nach jahrelangem mehr oder minder Friede-Freude-Eierkuchen-Jagen der Jäger von Kruge/Gersdorf, von Eifersüchteleien eines Herrn F., einer der Jagdpächter, wegen des schönen Jagdbezirks des Friedhelm O. mal abgesehen, erschien eines Tages ein etwas unangenehmer aber einigermassen betuchter Herr aus, wie es damals hiess, „Westdeutschland“, also ein sogenannter Wessi. Der hatte plötzlich, wahrscheinlich durch F. „aufgemüdet“, wie der Jäger sagt, ein gewaltiges Interesse daran, nicht nur Mitglied der Jagdpächtergesellschaft zu werden, sondern anstelle meines Mandanten den Kruger Busch, das jagdliche Herzstück der Jagd, dauerhaft zugewiesen zu erhalten.
Der Herr Jagdvorsteher H. versammelte sich sofort hinter dem, denn er besass in der Gemarkung in älteres und bis dato unverkäufliches Haus, welches der Wessi ihm zu gutem Preis abzukaufen versprach, wenn man für ihn meinen Mandanten loswerde. Auch dem Mitpächter F., der beruflich ziemlich in der Luft hing, wurden lukrative Versprechungen gemacht. Der sah sich schon als reicher Mann.
So begann man, O. aus der Jagd „herauszumobben“. Jedenfalls versuchte man das und erfand allerlei Verfehlungen von O. und liess ihn abmahnen und schliesslich erteilte ihm der Jagdvorsteher H. erst eine und dann weitere fristlose Kündigungen des Jagdpachtvertrages und behinderte ihn bei der Jagd und, wie gesagt, mobbte und belästigte ihn wo immer möglich. Da aber brachte O. mich als seinen Anwalt in´s Spiel.
Ich will mich nicht zu sehr aufblasen, aber, halten zu Gnaden, es kam, wie es kommen musste: Ich griff die Kündiung vor dem Amtsgericht Bad Freienwalde an, die Gegenseite versuchte alle möglichen Tricks bis hin zu Meineidszeugen und Prozessbetrug, was man allerdings können muss, sonst geht es nach hinten los; die konnten es nicht, und es ging! O. gewann wie das heisse Messer durch die Butter. F liess noch im Gerichtssaal verlauten, in der zweiten Instanz werde ihr Anwalt mir mal zeigen, wo der Hammer hängt!
Ich schon verängstigt.
Die gehen in die Berufung, und was soll ich Euch sagen: verlieren krachend auch vor dem Landgericht in Frankfurt/Oder.
Im Rausgehen sagt F. zu meinem Mandanten, er solle sich diesen Tag gut merken, denn man werde ab heute nicht eher Ruhe geben, „als bis der O. unter 1 m Erde liege!“ Ich höre das, nehme derartige dusselige Ankündigungen aber selbstredend nicht für voll.
Wir trinken im Oderturm noch ein Bier auf den Sieg, aber mein Mandant O. ist voller dunkler Ahnungen und sagt, er nehme die Drohung sehr ernst, und wie er sich schützen solle usw. Ich, ehrlich gesagt, lache ihn aus und sage, alle die, denen solche Maulhelden öffentlich mit Vergeltung drohen würden, führen immer noch Rad, und was dergleichen kluge Sprüche mehr sind. Mein Mandant bleibt melancholisch.
Wie Sie auch in dem Kapitel „Ein Gasthaus brennt“ nachlesen können, kam O. wenige Wochen später völlig aufgelöst auf unserem Hof an, in Tränen gebadet und mit den Nerven am Ende.
Warum das?
O. lud jedes Jahr mehrmals Jagdgäste ein, bei ihm auf Hirsch, Rehbock und Schwein zu weidwerken. Die setzte er nur in dem für ihn reservierten Teil des „Kruger Busch“ an, zu dem kein anderes Mitglied der Pächtergesellschaft Zutritt hatte. Wie jedermann seit Jahren – was sag´ ich, seit Jahrzehnten, wusste, so auch F. – pflegte O. seine Jagdgäste ausnahmslos bis zu ihrem jeweiligen Hochsitz zu führen, er leise vorneweg, der Jagdgast hinterher. Niemals, echt niemals hatte er von dieser Angewohnheit eine Ausnahme gemacht, nicht mal in der DDR bei der Führung von Grosskopfeten.
Kurze Zeit nach dem Gerichtstermin hat er zwei liebe alte Jagdgäste, Vater und Sohn. Die sind seit zwei Tagen da und wollen nachts zurückfahren, aber vorher noch mal bei abnehmendem Mond auf Sauen ansitzen. Bis dahin hatten sie erst einen Überläufer erlegt.
Und ausgerechnet an diesem Abend passiert eine völlig undenkbare Abweichung vom Normverhalten – da seine Jagdgäste ihre Kanzeln gut kennen, entschliesst sich O., nachhause zu fahren und die Sau aus der Wildkammer zu holen, während die beiden Gäste ausnahmsweise mal allein zu ihren Sitzen gehen. Am Waldrand trennen sie sich, der Sohn pirscht am Feld entlang weiter und Vater biegt in einen Rückeweg ein, der im dichten Tann direkt auf eine von O´s Lieblingskanzeln zuführt. Im Wald ist es einigermassen dunkel, aber, wie der Jäger sagt, gutes Büchsenlicht. Vater geht ruhig auf die hohe Kanzel zu, die sich bereits gegen den helleren Nachthimmel abzuzeichnen beginnt.
Der Sohn hat gerade die am Wald-Feld-Rand frei stehende Leiter erreicht, als im Wald, aus Vaters Richtung, ein Schuss fällt, gefolgt von einem durchdringenden Schmerzensschrei. Er dreht um und rennt am Feldrand zurück in den Wald, rufend, und stolpert über seinen am Boden liegenden stöhnenden und röchelnden Vater. Er reisst ihn hoch und schleppt ihn zum Auto, wirft ihn auf den Rücksitz und rast nach Bad Freienwalde zum Krankenhaus. Dort wird der getroffene Vater vor dem Haus aus dem Wagen gehoben und sofort ärztlich versorgt. 15 Minuten später ist der Mann tot – eine Kugel Kaliber 30-06 hat die Lunge zerrissen, eine Herzklappe angerissen, mehrere Arterien verletzt und sich im Brustkorb zerlegt.
In diesem Moment kommt O von zuhause zurück mit dem Schwein im Kofferraum, sieht den Menschenauflauf vor dem Krankenhaus, erfasst mit einem Blick den Wagen der Jagdfreunde und die Blutlache am Boden, rennt hinein und findet seinen Jagdfreund tot in den Armen des Sohnes.
Was war geschehen?
F sann erkennbar auf Rache, denn seine „best laid plans of men and mice“ waren zerstoben. Da fügte es sich, dass zu den gemeinsamen Jagdfreunden von F., H. und des Wessis ein Jäger gehörte, den sie schon mehrfach zu F. eingeladen hatten, der sich aber nicht nur als ein Mann schlichten Gemüts erwiesen hatte – auf deutsch: er war dumm wie Stulle! - sondern der nach wenigen Jagdeinladungen bereits so als „Schlumpschütze“, also als völlig unzuverlässiger Schiesser, verschrieen war, dass keiner der Jäger mehr mit ihm zur Jagd gehen wollte.
Diesem Individuum hatte F. am besagten Abend erst einmal einen oder zwei Schnäpse ausgegeben und dann gesagt, er werde ihn ausnahmsweise heute auf einen der besten Ansitze platzieren, die dieses Revier aufzuweisen habe. Die Schweine würden ihn früh anlaufen, und alles, was er tun müsse, sei, rasch und präzise zu schiessen. Der Blödmann bedankte sich freudig, und F. setzte ihn auf die Lieblingskanzel von O., von der er wie alle anderen wusste, dass sie für jedermann tabu war. F. war sich sicher, dass O. auch an diesem Abend wieder Gäste ansetzen würde, und er wusste, dass O. immer als erster zum Ansitz ging, und so drückte er sich die Daumen, dass der Schlumpschütze mal wieder einen seiner lebensgefährlichen Fehler machen werde.
Und genau das geschah, wenn es auch den Falschen erwischt hatte. Der Schlumpschütze sah etwas anwechseln im Dunkeln, rechnete nicht mit einem Menschen, und liess fliegen.
Auf den Schrei hin stürzte er von der Kanzel, rannte zu dem Verletzten, sah, was er getan hatte, hörte den Sohn kommen, rannte ins Unterholz und in einem Bogen sofort zu F. Der, mit Hilfe seiner Freundin, versteckte ihn mehrere Tage lang, während die Kripo vergeblich ermittelte. Dann hatten sie ihn so weit, dass er sich stellte, aber jede Aussage verweigerte, weil er einen Verteidiger gestellt bekam und ein sehr bedeutendes Handgeld. Der Frau des Getöteten wurde, ebenfalls mit viel Geld, die Nebenklage „abgekauft“.
Der Täter erhielt wegen „fahrlässiger Tötung“ eine Bewährungsstrafe und bereits nach 5 Jahren seinen Jagdschein wieder! Gegen F., den eigentlichen mittelbaren Täter, wurde gar nicht erst ermittelt.
O. ist heute noch ein erstklassiger Jäger. Aber im „Kruger Busch“ hat er seitdem nie wieder gejagt!
Wie an dem Tag der Dich der Welt verliehen
Die Sonne stand zum Grusse der Planeten
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz wonach Du angetreten…
Usw. usf.
Wo er Recht hat, hat er Recht, der Johann Wolfgang. Unabhängig davon, was die meisten Leute denken: wenn unsere Schädlinge erst einmal das Licht dieser Welt erblickt haben, entwickeln sie sich zwangsläufig so, wie es eben kommen muss. Liebe, Vorbild, Zwang, Überredung, Bestechung, Bestrafung – hilft natürlich immer mal ein bisschen, aber letztlich nur marginal. Milieu und Vererbung, der gestirnte Himmel über uns und die Stimme des Gewissens in uns, alles ganz nett, aber letztlich nicht entscheidend. Gene oder die Gestirne?
Sie kennen das aus unzähligen Gesprächen:
„Von wem hat er das wohl?“
„Ganz der Vater, Du Autist!“
„Kein Wunder, da mendelt sich Deine blöde Mutter durch“
„Von mir hat er das nicht“
und
muss Dein schlechter Einfluss sein!
Auf mich hört ja keiner,
usw. usw.
Natürlich gibt es eine Menge normaler netter Leute, aber eben auch eine Menge von Idioten, Spinnern, Betrügern, Verbrechern usw. Ausserdem gibt es so ambivalente Kombinationen wie Intelligenz gepaart mit Charme und Skrupellosigkeit – Mr. Ripley zum Beispiel. Jedenfalls lehrt uns Goethe: Schau Dir einfach die Kinder an, und Du lernst eine Menge über den späteren erwachsenen Menschen.
Ich bin am 19. Juni geboren und damit ein männlicher Zwilling. Das sagt alles!
Zwillinge gelten allgemein als hochbegabt, aber inkonsequent. Können viel, manchmal überdurchschnittlich viel, aber es reicht letztlich nicht; ehrgeizig, aber nicht sehr, der optimale Wirkungsgrad genügt.
Nehmen Sie also mich: ich spiele eine swingende Jazzklarinette, aber kann keine Noten lesen. Trotzdem kam ich mit Sidney Bechet und Claude Luter klar, so als Band-Einsteiger, aber technisch war ich substandard, also zum Berufsmusiker gänzlich ungeeignet. Ich war ein ganz guter Fechter, aber zu faul zum harten Konditionstraining. Ich war, nee, eigentlich bin ich ein guter Zauberkünstler, vorwiegend Kartenkunststücke, aber eben nur so zum Angeben und Weiber anmachen – Sie werden darüber in diesem Buch noch Einiges lesen! Und so weiter und so fort, mehr Striptease ist zur Zeit nicht nötig, wir werden uns schon noch kennenlernen.
Es ist ein strahlend windstiller Sommertag. Die Mittagshitze flimmert über der braunvertrockneten Wiese, die am Ende der Herchenbachstrasse zwischen dem zurückbleibenden Buschwald und den ersten Häusern liegt, da, wo die Strasse steil aus Baden-Baden hochsteigt und dann flacher wird. Ein Stück weit auf der anderen Seite steht eine Bank. Auf der sitzen mein Freund Axel und ich und betrachten aufmerksam eine kleine Rauchsäule, die mitten in der Wiese leise emporsteigt, und langsam stärker wird.
Wir sind etwas über 9 Jahre alt und sehr unternehmungslustig und, wie wir meinen, verdammt clever. Vor allem sind wir technisch sehr interessiert. Axel ist nicht nur mein bester Freund, sondern auch mein Fahrlehrer – regelmässig klaut er den Opel Kapitän seines Vaters, der Landarzt in Feldrennach ist, und da er gut fahren kann, bringt er es mir bei.
Aber natürlich nicht gerade jetzt.
Denn im Moment führen wir eine empirisch wissenschaftliche Erhebung durch. Axel hat zum Geburtstag eine Armbanduhr mit Stoppuhr bekommen, und das hat uns auf die Idee gebracht, mal was zu stoppen oder zu timen oder so. Mein Vorschlag war, zu testen, wie schnell die Feuerwehr irgendwo ist, zum Beispiel bei einem Feuer. Axel fand das auch erhebungswürdig.
Und deshalb sassen wir am oberen Ende der Herchenbachstrasse in Baden-Baden, Axel mit der Stoppuhr in der Hand, und warteten. Wir waren inzwischen guter Hoffnung, denn eine alte Vettel hatte im ersten Haus soeben aus dem Fenster geguckt, „huch, ein Feuer“ gerufen, und war ins Zimmer zurückgeeilt. Das war kurz vor dem Moment, in dem Axel den Knopf der Stoppuhr drücken sollte.
Ich fand das eigentlich unwissenschaftlich, denn wir konnten damit natürlich den genauen Zeitpunkt des Alarmanrufes nicht präzise festlegen. Aber wir kamen überein, dass man mit der natürlichen Geschwindigkeit einer alten Vettel vom Fenster zum Telefon zuzüglich der üblichen Sprachverzögerung der badischen Mundart ganz gut rechnen konnte. Also hatte Axel, als sie ins Zimmer zurückgesaust war, die Stoppuhr hochgehalten und folgendermassen gesprochen; er war einfach als Sohn eines badischen Landarztes in solchen Dingen erfahrener als ich als Berliner Junge:
Ach Gottsche wo is dann jetzt das Telefon do brennt die Wiesn glab i o lieber Monn o lieber. Alla gottseidank do isses. Wie jetzerdle – äh, 110, glaab i. Oder?
Ja des klappt - alla Sie hier is die Frau Mechels do brennt die Wies die trockene kommeseschnell…, wie? Ei die Frau Mechels. Ach so! Ha, Herchebachstross 7 in Bade Bade, ja ja also komme Sie? Gut.“
Diesen wahrscheinlichen Verzögerungseffekt hat Axel eingerechnet. Nach genau 7 Minuten erschien die Baden-Badener Feuerwehr mit 3 Wagen; die Wiese brannte schon ganz nett. 5 Minuten später kamen zwei weitere Wagen und mehr C-Rohre. Das Feuer breitete sich aus. Nach weiteren 6 Minuten erschien die Gernsbacher Wehr mit 4 Wagen, 5 Minuten später eine aus Neuweiher mit 2 Wagen. Die mussten die angrenzenden Häuser unter Wasser setzen, weil die Wiese zunächst nicht zu bändigen war und der Brand inzwischen seine eigene Windkraft entfachte – ein Phänomen, das wir als vorher nicht bedacht, aber für die Zukunft höchst bedenkenswert sofort registrierten.
Inzwischen waren mehrere Polizeifahrzeuge eingetroffen, das technische Hilfswerk und die Malteser und die Johanniter und die Presse.
Axel und ich verbuchten die Aktion gerade als grossen Erfolg, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippte. Ich drehte mich um und gewahrte im Lichte der immer noch eindrucksvoll brennenden Wiese meinen eingeheirateten Grossvater, den Herrn Pfarrer Ippach.
Er sah mich ernst und durchdringend an, eine alte Masche von ihm, er kiekte immer so, und fragte, mit Seitenblick auf Axel:
„Habt Ihr mit der Wiese da was zu tun???“
Und so blickte ich ihm treuherzig in´s verschwommene blaue Auge und fragte zurück:
„WELCHE WIESE?“
Da, sagte Axel später, war ihm das erste Mal klar, dass ich jedenfalls mal Rechtsanwalt werden würde.
Damit haben wir also schon kurz meinen Grossvater kennengelernt, der, was Sie nicht verwundern wird, der Mann meiner Grossmutter war, aber von allen nur „der Karl“ oder allenfalls „der eingeheiratete Grossvater“ genannt wurde – denn meine Grossmutter war eine geborene von Heyl (geschiedene von Königsmarck und Verwitwete von der Planitz, um vollständig zu sein). Der Karl galt als Mesalliance, nicht standesgemäss. Denn die von Heyls galten weithin als „vom wilden Baron gebissen“, was andeuten soll, dass sie sich auf ihren Adelstitel ganz schön was zugute taten. Da passte der Pfarrer Karl Ippach aus einer Essener Arbeiterfamilie nicht so richtig rein.
Der Karl merkte das sehr wohl, denn eines seiner geflügelten Worte zu meiner Grossmutter, die Alice hiess, aber Sela genannt wurde, war: „Wenn einer von uns beiden stirbt, zieh´ ich zurück nach Essen“. Das war ihm allerdings, wie an dieser Stelle vorauseilend gesagt werden muss, nicht vergönnt, denn mit den kryptischen Worten „lasst alle Hoffnung fahren“ verstarb er lange vor meiner Grossmutter; die bemerkte danach oft, wie sehr sie sich danach sehne, alsbald im Himmel mit dem lieben Karl vereint zu sein – deutete sich aber eine leichte Grippe an, so bemühte sie sofort alle erreichbaren medizinischen Kapazitäten, um das gewünschte Wiedersehen so effektiv wie möglich zu verhindern.
Aber das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie wahrscheinlich, soweit sie das konnte, den Karl wirklich geliebt hat - ausser Max von der Planitz, ihrer ganz großen Liebe, aber auf den komme ich noch. Nach seinem Tod hatte sie aus gesellschaftlichen und Standesgründen einen Herrn von Königsmark geheiratet, aber sich alsbald, weil er ziemlich proletenhaft war, wieder von ihm getrennt und ihn mit einem Landgut abgefunden. Danach erlag sie dem religiösen Eiferertum des jungen Pfarrers Karl Ippach, der, ein massiger dynamischer Gottesmann nahezu lutherischen Wesens und Aussehens, sie, die ebenfalls tief religiös war (wovon ihr selbstverlegtes Büchlein „Lichtstrahlen aus Gottes Wort“ Zeugnis ablegte) offenkundig im Sturm eroberte.
Das hatte ein psychologisch ausserordentlich interessantes Nachspiel. Er war damals verheiratet mit einer Amerikanerin, genannt „Maus“, als er der stolzen, sehr schönen, sehr eindrucksvollen und zudem noch sehr reichen geschiedenen Gräfin Königsmarck, ehemaliger Hofdame der Markgräfin von Baden, begegnete und verfiel, sich hurtig und unter Bruch seines Versprechens, dass diese Ehe nur der Tod scheiden solle, von ihr trennte – für einen tiefgläubigen Gottesmann ziemlich happig. Wir alle, will heissen meine Verwandten und Bekannten, waren immer der, sicherlich stark verkürzenden, Meinung, der Karl habe das letztlich alles des „schnöden Mammuts“ wegen getan. Denn plötzlich flogen ihm nicht nur in einer hochherrschaftlichen Villa mit weiterem Immobilienbesitz, und schönem Mercedes mit Chauffeur vor der Tür die gebratenen Tauben täglich in den Mund, sondern die Sela baute ihm sogar eine eigene Kirche, als er aus der Landeskirche, mit der er schon vorher auf theologischem Kriegsfuss weswegen auch immer stand, austrat.
Diese eigene Kirche ist die in Baden-Baden stadtbekannte kleine zauberhafte „Christuskapelle“ gegenüber der russisch-orthodoxen Kirche, heute eine Methodistenkirche, nachdem der Karl und meine Grossmutter sie altersbedingt verschenkt hatten.
Das psychologisch Interessante ist nun, dass wir alle glaubten, er habe durch die Scheidung von Maus und den Drang zum Geld meiner Großmutter seinen Glauben verraten und dafür büssen müssen. Denn er wurde irgendwann, die Details wurden verschwiegen, so psychisch gestört, dass er zeitweilig in eine Anstalt eingewiesen werden musste. Danach war er merkwürdig. Auf der Strasse sprach er Leute an, fragte sie, ob sie schon zu Gott gefunden hätten, und wie denn so ihr Sexualleben sei. Zur Predigt fuhr er im chauffeurgelenkten Mercedes zur Christuskapelle. Dort hielt er mit vom Frühstück noch vollem Mund vor der kleinen Gemeinde der von ihm gegründeten „evangelischen Stadtmission Baden-Baden“, Alte und sozial Benachteiligte und einige unbeirrbare Ippach-Fans, eine Predigt, die meist wörtlich von einer Bodelschwing´schen Predigt abgekupfert war und den Armen Enthaltsamkeit predigte, liess für Brot für die Welt sammeln, und fuhr im Mercedes nachhause zu einem von der Köchin Fräulein Frei hervorragend gekochten 3-Gänge-Menue.
Nachmittags lud er uns immer mal wieder, also meine Großmutter und mich und manchmal, wenn er da war, auch meinen Freund Axel zum Kaffee nach Bad Herrenalb ein. Der Chauffeur fuhr uns dorthin. Nach dem Kaffee zerrte der Karl an einem goldenen Kreuz, das aus seiner Brusttasche hing, einen kleinen lila Samtbeutel hervor und förderte daraus neben Hosenknöpfen und spanischen Peseten auch die Kollekte des Morgens an´s Tageslicht, die dann, in weiter Auslegung des Wortes „Brot für die Welt“ in „Schwarzwälder Kirschtorte für seine Gäste“ investiert wurde.
Das also war, in kurzen Worten, der Karl – wenn man die Heyls kennt, und dazu kommen wir jetzt, versteht man, warum er als Mesalliance galt.
Ich schildere sie kurz, denn sie ist ein wunderbares zeitgeschichtlich bedeutendes Familiengebilde, eine Art Buddenbrocks der rheinischen Kultur, voll von bewundernswerten Menschen. Man kann auch sagen, eine oder sogar mehrere verwobene Geschichten vom Aufstieg und Fall einer Familie und ihres, so kann man das schon ausdrücken, Reiches.
Das fing an mit Cornelius von Heyl (1792 bis 1858), der damals noch einfach Heyl hiess, ohne von. Die Heyls werden schon viel früher urkundlich erwähnt als bedeutende Fischer- und Flösserfamilie aus Worms. Cornelius ging in jungen Jahren unter anderem auch nach Paris. Dort soll er – jetzt kolportiere ich Gerüchte, wie ich überhaupt etliches nur aus Überlieferungen meiner Verwandten wiedergeben kann und insgesamt einigermassen unvollständig bleiben werde – also dort soll er ein Mägdelein beglückt haben, die Tochter eines Herstellers von Chevreauxleder. In einer Liebesnacht oder mehreren soll sie ihm das Geheimnis der Herstellung dieses unglaublich dünnen, festen, wunderbar in allen Farben glänzenden Ziegenleders, auf das Frankreich damals ein Weltmonopol hatte, verraten haben.
Jedenfalls kehrte er nach Worms zurück, gründete die Heyl´schen Lederwerke Liebenau und stellte – was wohl? – Chevreauxleder her. Das Unternehmen florierte, nein, boomte. Er wurde ein bedeutender Mann, Abgeordneter der Paulskirche, grosser Kunstsammler (Heyl´sche Kunstsammlung in Worms), sozialer Arbeitgeber (baute als einer der ersten Industriellen in Deutschland Arbeiterwohnungen). Sein Enkel - dazwischen gab es kurz seinen Sohn Daniel Cornelius Heyl - Cornelius Wilhelm Heyl (1843 bis 1923) war ebenfalls ein bedeutender Mann, wurde deshalb 1886 geadelt, kaufte sich das Schloss Herrnsheim, und hiess fortan Freiherr von Heyl zu Herrnsheim. Er war Dr. h.c., Lederindustrieller, Reichstagsabgeordneter, Mitglied und Präsident der I. Hessischen Abgeordneten-Kammer (Januar 1874 bis Juli 1878, 30. Oktober 1879 bis Oktober 1881 und Juni 1893 bis November 1918), Nationalliberale Partei, zuletzt bei keiner Fraktion.
Mein ehemaliger Bundesbruder in meiner studentischen Verbindung „Heidelberger Kreis“, der spätere Präsident der Bundesdeutschen Rektorenkonferenz und langjährige Präsident der Stiftung preussischer Kulturbesitz, Prof. Dr. Werner Knopp, pflegte sich über unseren Bundesbruder Gebhard „Geppi“ von Heyl gelegentlich zu dessen mit säuerlichem Lächeln verbrämten Missfallen mit der „wahren Geschichte, wie die Heyls geadelt wurden“ lustig zu machen.
Danach steht 1918, nach dem verlorenen 1. Weltkrieg, der Kaiser in seinem Zimmer und packt eilig für die Abreise nach Doorn. Da pfeift es gellend vor dem Fenster. Der Kaiser zu seinem Adjudanten: „Itzenplitz, sehn´se mal nach wer da so vulgär pfeift“.Itzenplitz tritt an´s Fenster und meldet:„Das issn Bote von dem lästigen Heyl aus Worms, Majestät, der will sein Adelspatent abholen“.Darauf der Kaiser:“Mensch Itzenplitz, det liegt da links auf´m Schreibtisch. Binden Sie ´n Stein dran und werfen´se ´s runter“. Itzenplitz verfährt so, der Bote wendet das Ross, die meuternden Matrosen kommen schon auf das Schloss zu, haben aber an der Ampel Rot, und das verschafft dem Getreuen den nötigen Vorsprung. Ergo: VON Heyl.
Wie Sie wissen, ist das erfunden, 32 Jahre nach vorne verlegt; aber super erzählt.
Der frischgebackene Freiherr hatte viele Kinder, darunter meine oben erwähnte Grossmutter und deren Bruder, meinen sehr geliebten und verehrten Patenonkel Ludy von Heyl, ein guter Unternehmer, grosser Kunstmäzen und gläubiger Christ. Vermutlich deswegen hatte der Karl bei ihm immer noch die besten Karten, wenngleich auch nicht richtig gute.
Um meinen Onkel Ludy zu charakterisieren, mag eine kleine Geschichte dienen. Er war königlich preussischer Oberleutnant oder Oberst und Bataillonskommandeur oder so was im 1. Weltkrieg. Als die Kapitulation verkündet wurde, löste sich die Reichswehr weitgehend auf und alle latschten nachhause.
Nicht so Ludys Leute. In geschlossener Formation und in voller Bewaffnung führte er sie aus dem Felde heim nach Worms. Auf dem Domplatz liess er in Reih und Glied und Habacht-Stellung anhalten und sprach: „Soldaten, Ihr habt treu Eure Pflicht getan für Kaiser und Vaterland. Der Krieg ist aus. Ich entlasse Euch hiermit aus Eurem Fahneneid. Abgesessen! Geht nachhause, und Gott mit Euch“!
Das ist, auch von einem Rheinländer, echtes Preussentum, oder?
Als Onkel Ludy 1962 starb, war ich im Ausland. Aber meine Mutter nahm an der Beerdigung teil und erzählte mir, es wäre ihr schwer gemacht worden, sich ihrer Trauer hinzugeben. Denn die Familie ging hinter dem von zwei Pferden gezogenen Katafalk her zur kleinen Grabkapelle der Heyls in Herrnsheim, und auf dem Wagen, der den Sarg trug, stand hinten in grossen weissen Lettern „Pietät Wiesel“ drauf.
Reklame an der falschen Stelle, würde ich mal sagen.