Das Leben ist zu kurz zum Sterben - C. Hunag - E-Book

Das Leben ist zu kurz zum Sterben E-Book

C. Hunag

0,0

Beschreibung

Beherrschen die Vorstände amerikanischer Banken und Investmentfirmen das globale Handelsgeschehen? Wie groß ist ihr Einfluss auf die Politik? Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für Mario Kramer, einen jungen deutschen Banker, der ungewollt in die Fänge dieses Systems gerät? Und was ist die Mission des EXPERTEN, einem der weltweit besten Auftragsmörder?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 297

Veröffentlichungsjahr: 2022

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Wenn ein Volk gottlos wird, werden Regierungen ratlos, Politiker charakterlos, Beratungen ergebnislos, Mode schamlos, Schulden zahllos, Lügen grenzenlos, Sitten zügellos, Ehen bindungslos, Aussichten hoffnungslos.

Antoine de Saint-Exupéry, 1938

Lieber Leser, Dieses Buch orientiert sich vorwiegend an der Realität. Manches jedoch ist Fiktion.

Aber ist nicht Fiktion von heute die Realität von morgen?

Inhaltsverzeichnis

EINFÜHRUNG

PROLOG

1. BUCH

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

2. BUCH

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

EINFÜHRUNG

Seit der großen Depression, der weltweiten Wirtschaftskrise der 20er Jahre, gab es bei finanziellem Wachstum über Jahrzehnte keine einzige Finanzkrise. Das Finanzwesen in den USA wurde streng reguliert. Die meisten Banken handelten vor Ort und Vorschriften verhinderten, dass mit den Ersparnissen der Kunden spekuliert werden durfte. Investmentbanken, die mit Aktien und Wertpapieren handelten, waren kleine Privatunternehmen und Spekulationen wurden vorsichtig getätigt. Paul Volker war von 1979 bis 1987 Notenbankchef und verdiente, bevor er in die Regierung wechselte, 45.000 US-Dollar jährlich.

Morgan Stanley, ein Finanzdienstleister, hatte 1972 110 Angestellte, eine Niederlassung und 12 Millionen US-Dollar Eigenkapital. Heute sind es 50.000 Angestellte, weltweit Niederlassungen und ein Kapital von vielen Milliarden.

In den 80er Jahren explodierten die Finanzmärkte. Die Investmentbanken gingen an die Börse. 1981 wurde der Vorsitzende von Merrill Lynch, ebenfalls Finanzdienstleister, Ronald Reagans Finanzminister. Seine Aussage: Die Wall-Street und der Präsident haben die gleichen Interessen. Unter der Regierung Präsident Reagans begann nun eine andauernde Entgleisung der Märkte. So wurde es möglich, mit dem Geld der Anleger riskante Investitionen zu tätigen. Am Ende des Jahrhunderts hatten hunderte dieser Investmentgesellschaften Schiffbruch erlitten und kosteten den Steuerzahler 124 Milliarden US-Dollar und vielen Anlegern ihre Ersparnisse. Viele dieser Investmentbanker landeten im Gefängnis. Alan Greenspan, späterer Vorsitzender der amerikanischen Notenbank, verteidigte als Ökonom diese riskante Anlagestrategie. Während der Clinton-Regierung wurde diese Strategie weitergetrieben.

Die Macht der Wall Street nahm zu. Ende der 90er hing der gesamte Finanzsektor von einigen wenigen gigantischen Firmen ab, von denen jede einzelne das gesamte System ins Wanken bringen konnte.

Zudem entstand in den 1990ern mit Derivaten ein neues Produkt. Man konnte nun auf alles setzen: den Ölpreis, das Wetter, Getreide, Konkurse und vieles mehr. Ende der 90er waren Derivate für über 50 Milliarden US-Dollar auf dem Markt. 1998 wurde versucht sie zu regulieren. Das Finanzministerium lehnte das ab. Der damalige Finanzminister verdiente später als Berater eines Hedgefonds 20 Millionen US-Dollar. Im Jahr 2000 wurde ein Gesetz beschlossen, das die Regulierung aufhob. Danach explodierte der Handel mit Derivaten. Bei der Regierungsübernahme durch George W. Bush waren die Finanzmärkte mächtiger als je zuvor. Fünf Investmentbanken, zwei Unternehmensgruppen, drei Versicherungsfirmen und drei Ratingagenturen bestimmten das Geschehen.

1998 vereinigten sich zwei dieser Giganten zur Citygroup, dem größten Finanzunternehmen der Welt. Man verstieß mit diesem Zusammenschluss gegen ein Gesetz, das nach der großen Depression zum Schutze der Anleger verabschiedet worden war um riskante Spekulationen zu verhindern. Greenspan hat dagegen nichts unternommen. Die Notenbank gab ihnen eine Ausnahmegenehmigung. 1999 wurde das Gesetz komplett aufgehoben, auf Drängen des späteren Vizepräsidenten der Citygroup, der damals 126 Millionen US-Dollar verdiente. Aussage des ehemaligen Chefökonomen der Citygroup: „Große Banken haben großen Einfluss und müssen ab einer bestimmten Größe vom Staat gerettet werden.“ Anonyme E-Mails von Banken, die besorgt waren, gingen an die Chefredaktion der Financial Times. Systematische Ermittlungen blieben aus.

Im September 2008 meldete Lehmann Brothers Konkurs an. Weltweit brachen die Börsen ein. Es kam zur Rezession. Das Staatsdefizit der USA verdoppelte sich. Weltweit stieg die Arbeitslosigkeit. 30 Millionen Menschen erlitten zum Teil existenzielle Verluste. Die Verantwortlichen durften ihr gesamtes Vermögen behalten.

Die Krise wurde von einem Markt verursacht, der teilweise außer Kontrolle geraten war. Zu diesem Zeitpunkt hielt Lehmann Brothers für 107 Milliarden US-Dollar sogenannte faule, das heißt nicht abgesicherte Kredite. Es gab Investmentfirmen, die faule Wertpapiere verkauften und gleichzeitig auf deren Verlust setzten. Die Investmentbanken verdienten Millionen. Die Anleger verloren alles. Der Verschuldungsgrad der Kredite zum Eigenkapital betrug zum Schluss 33:1. Die Bankenaufsicht schritt nicht ein. Es kam zu einem weltweiten Schneeballeffekt. Die Wall Street verdiente an dieser Blase hunderte Milliarden.

Auf dem G7 Gipfel 2008 in Tokio verneinte die USA ein Problem: „Wir haben ein globales Wachstum und somit keine Rezession.“ Tatsächlich startete die Rezession bereits Monate vor diesem Statement. Seit den 80er Jahren kam es zu immer größeren Finanzkrisen mit noch mehr Schaden, wobei die Gewinne der Finanzindustrie immer größer wurden. Es wurde immer mehr Geld in Firmen investiert, obwohl man wusste, dass diese scheitern würden. Aktienanalysten erhielten Gewinnbeteiligungen. So bekam zum Beispiel Infospace die höchstmögliche Bewertung, wurde aber intern als „der größte Mist“ bezeichnet. Im September 2002 zahlten 10 Investmentfirmen 1,4 Milliarden US-Dollar Strafe. Seit der Liberalisierung der Märkte wurde den größten Finanzunternehmen immer wieder Beihilfe zu Geldwäsche, Betrug oder Bilanzfälschungen nachgewiesen. So wurde z.B. die Bestechung von Regierungsbeamten, Geldwäsche für Diktator Pinochet, Waschen von Geldern für den Iran oder Geldwäsche von Drogengeldern aufgedeckt. Viele der damaligen Verantwortlichen fanden sich später in der Politik wieder.

In Europa gingen den Finanzbehörden mehr als 55 Milliarden an Steuergeldern durch Cum-Cum, Cum-Ex und Cum-Fake-Geschäfte verloren. Bei Cum-Cum-Geschäften verliehen ausländische Inhaber deutscher Aktien vor dem Dividendenstichtag ihre Aktien an deutsche Banken. Diese führten auf die Dividende die Kapitalertragssteuer ab und ließen sich diese vom Fiskus rückerstatten. Anschließend wurden den Anlegern nun die Aktien inklusive der vollen Dividende, abzüglich fünf Prozent Bearbeitungsgebühr für die Banken, zurückgegeben. Bei Cum-Ex-Geschäften liegen in der Regel Leerverkäufe vor. Das heißt, Papiere wurden gekauft, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt geliefert. Die Zeit dazwischen wurde genutzt, um durch Scheintransaktionen Bescheinigungen für die Kapitalertragssteuer zu bekommen, die so gar nicht bezahlt wurde. Trotzdem wurde diese bei den Finanzbehörden mehrfach geltend gemacht. Bei Cum-Fake-Geschäften gibt es keine real existierenden Aktien.

Seit 2013 sind alleine bei der Deutschen Bank 14 Milliarden Euro an Rechtsstreitigkeiten zusammengekommen.

PROLOG

„Wo bin ich? Was ist passiert? Warum kann ich nicht sehen?“ Nein. Das waren nicht die Fragen, die sich mir im ersten Augenblick meines neuen Lebens stellten. Da war auch kein Gefühl der Angst. Unerklärlicherweise suchte ich in diesem Moment die Antwort auf die Frage: Ist tiefschwarze Dunkelheit, Dunkelheit, die nicht einmal durch den Hauch eines Lichtschimmers durchdrungen wird, ist solche Dunkelheit eine Farbe oder ein Gefühl?

Aber noch bevor ich mich auch nur dem Bruchteil einer Antwort annähern konnte, tauchte ich wieder in dieses tiefe schwarze Dunkel, welches mich umgab wie ein Kokon und jeden weiteren Gedanken hinwegschwemmte.

Haigener Kurier 22.10.2018Am Dienstag gegen 10.30 Uhr ereignete sich auf der Dilltalbrücke ein dramatischer Unfall. Nach Angaben der Polizei durchbrach ein Sportwagen, vermutlich in Folge nicht angepasster Geschwindigkeit, das Brückengeländer und stürzte in die Tiefe. Nur dem raschen Eingreifen eines LKW-Fahrers, der dort zu diesem Zeitpunkt unter der Brücke eine Rastpause eingelegt hatte, ist es zu verdanken, dass der lebensgefährlich verletzte Fahrer aus dem Unfallfahrzeug befreit werden konnte, bevor dieses in Flammen aufging.

1. BUCH

KAPITEL 1

Ich konnte mehr als zufrieden sein. Leiter der europäischen Filialen einer großen amerikanischen Bank. Vermögend, glücklich verheiratet, Vater einer bezaubernden dreijährigen Prinzessin namens Ramona, die Aussicht auf einen weiteren Karrieresprung in den Staaten. Was wollte man mehr?

Hätte ich mich selbst beschreiben sollen, so wäre diese Beschreibung nur kurz ausgefallen:

Mario Kramer, achtunddreißig Jahre, Glückspilz, vom Leben verwöhnt.

Aber da war keine Hochstimmung. In meinem Körper machte sich eine eisige Kälte breit, und meine Eingeweide fühlten sich an, als wären sie zu einem einzigen Eisklotz erstarrt. Meine Gedanken rasten, und doch hatte ich ein Gefühl der völligen geistigen Leere.

--Was nicht sein darf, das nicht sein kann--

Falsch!

Es durfte nicht sein, es konnte nicht sein. Aber alles deutete darauf hin, dass es so war.

Flashbacks zogen in Sekundenbruchteilen an mir vorbei: Als Sechzehnjähriger von der gutaussehenden Freundin meiner Mutter in die Geheimnisse der sinnlichen Freuden eingeführt, verhalf mir dies erfolgreich, mich zukünftig ausgiebig in die Gefühlswelt des weiblichen Geschlechts zu versetzen. Getreu dem Motto: Man lernt nie aus.

Landesmeister meiner Gewichtsklasse im Taekwondo. Abitur. Abgeschlossene Banklehre. Duales Studium der Informatik. Sechsmonatiger Südamerikatrip. Master Degree.

Kurz gesagt: Ich mutierte immer mehr zum arroganten, überheblichen Arschloch.

Glücklicherweise lernte ich Sonja kennen. Seit dem ersten Blick, den ich in ihre tiefgrünen Augen warf, war ich unsterblich verliebt. Ein Gefühl, das mir bis zu diesem Zeitpunkt völlig fremd war. Und obwohl mehr als ein halbes Jahr verging, dass ich erstmals nicht mit, aber bei ihr schlafen durfte, wusste ich ab der ersten Sekunde: Mit dieser Frau willst du den Rest deines Lebens verbringen.

Und als einige Jahre später unsere Tochter geboren wurde, war das Glück vollkommen.

Dies und vieles mehr raste gedanklich an mir vorbei, an jenem verhängnisvollen Abend im Oktober, sechs Wochen bevor sich mein Leben radikal verändern sollte.

„Herrgott! Hast du mich erschreckt!“

Angelo di Monte, der meist als Letzter das Gebäude verließ, bevor die Security die Sicherung übernahm, schrie seinen Freund an.

„Alle sind weg. Es ist bereits Abend und nur hinter deiner Tür habe ich in deinem Büro durch die Glaswand einen Schatten gesehen. Die Security ist bereits unterwegs. Warum sitzt du im Dunkeln? Was machst du überhaupt noch hier? Es ist Freitagabend, und soweit ich weiß wolltest du mit Sonja heute nach langer Zeit mal wieder einen Zug um die Häuser machen“.

Ich hatte Angelo auf meinem Trip durch Südamerika kennengelernt. Nach Angelos Ansicht hatte ich ihm das Leben gerettet. Und auch heute, wenn ich mich an den damaligen Zwischenfall erinnerte, war ich dankbar für den Weg, den das Schicksal für mich bestimmt hatte.

Als ich damals durch die engen Gassen der Altstadt Bogotas schlenderte, hörte ich nicht weit entfernt in einer kleinen Seitengasse Geräusche einer Auseinandersetzung.

„Not my money, you fucking sons of a bitch“.

Rasch näherte ich mich unbemerkt dem Geschehen und sah drei junge Männer, die in einer schmalen, durch eine Laterne kaum beleuchteten Gasse, einen Touristen attackierten, der sich heftig zur Wehr setzte. Es fiel mir aufgrund meiner Taekwondo-Ausbildung nicht schwer, den ersten Angreifer außer Gefecht zu setzen. Als die beiden anderen sich überrascht umdrehten, gelang dem Angegriffenen ein schmerzhafter Tritt in die Weichteile eines weiteren Angreifers. Als der Dritte seine beiden Kumpane stöhnend am Boden sah, ergriff er die Flucht, ohne sich weiter um diese zu kümmern.

„Hallo! Ich bin Angelo“, stellte sich der gutgekleidete, jetzt aber doch etwas derangiert wirkende Angegriffene vor.

„Vielen Dank für deine Hilfe.“

„Und ich bin Mario“, erwiderte ich dem trotz seiner amerikanischen Kraftausdrücke eher südländisch aussehendem Fremden.

„Was sollen wir mit den beiden machen?“

„Lassen wir sie einfach hier liegen, passend zum Müll der Umgebung. Vielleicht zum Abschied jedem noch einen kleinen Tritt ans Schienbein, damit sie uns nicht doch noch nachkommen.“ Seinem Vorschlag ließ Angelo die Tat folgen, was die beiden zu einem erneuten Aufstöhnen veranlasste.

„Komm, lass uns in eine Bodega gehen. Ich würde meinem Retter gerne einen Drink spendieren.“

Während in der kleinen gemütlichen Bodega, die Angelo angesteuert hatte, das Leben pulsierte, fragte ich neugierig:

„Was verschlägt dich nach Bogota und dazu noch in eine solch unsichere Gegend für gutgekleidete Touristen?“

„Hier in der Nähe habe ich mein Appartement. Eigentlich wollte ich auf dem Weg dorthin eine Abkürzung nehmen. War wohl keine so gute Idee. Ich bin Amerikaner und habe nach meinem Jurastudium auf Anraten meines Vaters und durch dessen Beziehungen einen Job in einem amerikanischen Bankenkonsortium angenommen, um die ‚Wege des Geldes‘ kennenzulernen. Oder, wie mein Vater zu sagen pflegt: ‚Geld bedeutet auf dieser Welt Macht und Einfluss. Es ist stets besser zu den Mächtigen zu gehören und Macht und Einfluss zum Wohle anderer zu verwenden, als zu denen, die unter den Mächtigen dieser Welt leiden.‘ Aktuell bin ich bereits seit acht Monaten in Bogota und soll für unsere Banken den Privatkundenkreis des südamerikanischen Kontinents weiter ausbauen.

Und was machst du in Bogota?“

„Ich bin Backpacker und habe mir vor Ende meines Studiums ein halbes Jahr Auszeit gegönnt, um Südamerika zu bereisen.“

„Super. Und was studierst du?“

„Informatik. Außerdem arbeite ich ebenfalls bei einer Bank, bei der ich meine Ausbildung zum Bankkaufmann bereits abgeschlossen habe.“

„Und was ist dein nächstes Reiseziel?“

„Ich wollte noch nach Costa Rica, von dort noch einige Tage nach Florida und dann zurück nach Deutschland. Es bleiben nur noch vier Wochen.“

„Wie findest du folgenden Vorschlag?“, fragte Angelo, während er die nächste Runde Bier und einheimischen selbstgebrannten Schnaps bestellte, von dem ich befürchtete am nächsten Morgen erblindet aufzuwachen.

„Du fliegst morgen oder übermorgen bereits nach Costa Rica, bleibst dort zwei Wochen, und kommst dann nach Santa Barbara in Kalifornien. Hier wohnen meine Eltern und ich, und du verbringst die letzten Tage vor deinem Rückflug als unser Gast.“

„Du bist mir wirklich nichts schuldig. Dass ich mich in deine Auseinandersetzung eingemischt habe war eine Selbstverständlichkeit.“

„Nonsense! Das war sicher keine Selbstverständlichkeit. Außerdem muss ich wegen eines Termins sowieso zurück in die Staaten und glaube, dass unser Zusammentreffen am Arsch der Welt etwas Schicksalhaftes an sich hat. Okay?“

„Okay. Dann lass uns jetzt auf unsere ‚schicksalhafte Begegnung‘ ein paar Drinks nehmen und schauen, ob wir diese überleben.“

Der Abend endete, als die ersten Morgenstrahlen ihr warmes Licht verbreiteten und wir auch mit dem letzten der noch Anwesenden „Brüderschaft“ getrunken hatten. Zum Abschied bestand Angelo, der mir zwischenzeitlich noch seine private Handynummer gegeben hatte, auf dem Versprechen, ihn wirklich in Kalifornien zu besuchen.

Als mich zwei Wochen später, nach wunderschönen Tagen in Costa Rica, Angelo, den ich rechtzeitig vor meiner Ankunft benachrichtigt hatte, vom Flughafen abholte, wollte ich meinen Augen nicht trauen, als dieser auf dem Parkplatz zielsicher auf einen silberglänzenden Mercedes McLaren zusteuerte.

„Deiner?“

„Nein. Der gehört meinem Vater. Aber schnelle Fahrzeuge sind unser Hobby und dich als Deutschen wollte ich doch mit einer deutschen Marke überraschen. Wirf dein Gepäck in den Kofferraum. Er ist zwar nicht allzu groß, müsste jedoch für deinen Rucksack langen.“

Noch überraschter war ich, als wir uns dem Wohnsitz seiner Eltern näherten. Eingelassen in eine nicht enden wollende weiße Mauer öffnete sich wie von Geisterhand ein kunstvolles schmiedeeisernes Tor.

„Überwachungskameras und Sensoren“, meinte Angelo, als er mein Erstaunen registrierte.

„Wir fahren ja durch einen Golfplatz“, bemerkte ich, als wir uns vom Tor entfernten. Es war eine traumhafte Anlage. Seen, riesige Blumensträucher, Palmen, das satte Grün der Landschaft, und als Hintergrundkulisse das in den Himmel ragende Gebirgsmassiv der Rocky Mountains.

„Ist das nicht gefährlich, hier zu wohnen und mit dem Auto zu fahren, wenn man stets auf sich verirrende Golfbälle achten muss?“

„Nicht, wenn du der einzige Spieler bist.“

„Willst du sagen…?“

„Ja. Mein Vater hat das Gelände rund um unsere Villa als Golfplatz anlegen lassen, um zu entspannen, wenn er Zeit hat. Ich persönlich verstehe überhaupt nicht, wie man sich beim Golfen entspannen kann. Mich überkommt jedes Mal der große Frust, wenn ich mal wieder einen schlechten Tag habe. Aber was soll´s. Meine bescheidene Hütte steht übrigens bei Loch neun, damit sich mein Vater bei einer Pause einen frischen Drink genehmigen kann.“

Die Villa, vor der wir in der Zwischenzeit angekommen waren, übertraf all meine Erwartungen.

Es war ein mehrfach geschachteltes, ein- bis zweistöckiges Haus, wobei das Wort „Haus“ deutlich untertrieben war. Trotz der riesigen Größe war die Wirkung durch die Verschachtelung keinesfalls überdimensional. Der Eingangsbereich führte in ein etwa 300 Quadratmeter großes untergliedertes Foyer, welches fast rundum verglast war, jedoch durch die Untergliederung den Besucher nicht zu erschlagen drohte, sondern durch das von allen Seiten einfallende Licht freundlich und einladend wirkte.

Das Interieur war in spanischem Stil gehalten und wirkte, durch zahlreiche zum Teil blühende Pflanzen, wie ein riesiger Wintergarten.

Als Angelo meine Fassungslosigkeit bemerkte, lächelte er und meinte: „Vergaß ich zu erwähnen, dass mein Vater nicht unvermögend ist? Er hält sich jedoch recht bedeckt und erscheint nur sehr selten in den Medien. Komm, lass uns auf die Terrasse gehen. Dort ist es jetzt schön schattig und man hat einen wundervollen Blick.“

Der Blick von der Terrasse war ebenfalls überwältigend. Im Hintergrund die Rocky Mountains. Soweit das Auge reichte erstreckte sich eine parkähnliche Anlage, der man die Nutzung als Golfplatz nicht ansah und ein Swimmingpool, dessen Wasser versteckt durch die Bäume glitzerte und der die Größe eines öffentlichen Schwimmbades hatte, teilweise überdeckt durch ein gläsernes Kuppeldach.

Hinter einem komplett verglasten Nebengebäude glaubte ich mehrere Luxuskarossen erkennen zu können.

Als Angelo verschwand um uns etwas zu trinken zu holen stand ich, erschlagen von diesem unermesslichen Reichtum, wie verloren in diesem Anblick.

Während ich noch versuchte meine Eindrücke zu verarbeiten, trat ein etwa sechzigjähriger, braungebrannter, athletisch wirkender Mann, dessen Gang zwischen lässig, elegant und geschmeidig einzuordnen war, auf mich zu und umarmte mich spontan.

„Du musst Mario sein. Mein Sohn erzählte mir, wie du ihm in Bogota beigestanden hast. Danke. Betrachte mein Haus als das deine.“

Hier war nichts aufgesetzt. Oder arrogant. Dieser Mann strahlte Herzlichkeit, aber auch Autorität aus. Er war die gereifte Ausgabe von Angelo. Ich hatte sofort das Gefühl willkommen zu sein.

„Meine Frau lässt sich entschuldigen. Sie ist noch geschäftlich in Florida und kommt erst heute Abend zurück. Aber ich glaube, wir drei Männer kommen bis dahin auch alleine zurecht. Vor allem, wenn Angelo mir auch noch ein Bier holt, bevor wir es uns auf der Terrasse gemütlich machen“.

Die Tage bei den di Montes vergingen wie im Flug, während mir der persönliche Golftrainer von Angelos Vater die ersten Grundkenntnisse des Golfsports vermittelte und Angelo mir nicht nur die Schönheit der Landschaft zeigte, sondern mich auch in die regionalen Bars und Clubs einführte, in denen er kein Unbekannter zu sein schien.

Als ich mich am Flughafen vor dem Rückflug nach Deutschland verabschiedete, versprachen wir, in Kontakt zu bleiben.

Kurz vor Abschluss meines Studiums erreichte mich das Angebot einer amerikanischen Bank, die auch in Frankfurt eine Niederlassung unterhielt. Ich war mir sicher, dass hier Angelo oder sein Vater ihre Hand im Spiel hatten, obwohl beide dies während eines Telefonates von sich wiesen, und das Angebot alleine meinen Fähigkeiten zuschrieben.

Das alles flammte bei mir auf, als Angelo hereinplatzte, der nun seit bald zwei Jahren in derselben Bank unabhängig am Aufbau des Privatkundensektors für Europa tätig war.

Mein wohl geistesabwesender Blick durch die riesige Fensterfront auf die Lichter der Stadt klarte auf.

In diesem Moment stürmte einer der beiden Sicherheitsleute in mein noch immer unbeleuchtetes Büro, während der andere die Ausgangstüre sicherte. Nachdem ich mich ja bereits aus meinem tranceähnlichen Zustand zurückorientiert hatte, sprach ich beruhigend auf die beiden, die mir, wie auch alle anderen Mitarbeiter namentlich bekannt waren, ein.

„Keine Sorge, Tim. Hallo, Dirk. Mir scheint, dass Angelo heute seinen ängstlichen Tag hat“, was diesen zu einem mürrischen Brummen veranlasste.

„Ich brauchte nur etwas Ruhe um ein Problem gedanklich zu analysieren, wobei ich wohl so vertieft war, dass ich noch nicht einmal die einbrechende Dunkelheit realisierte. Aber für heute ist Schluss. Angelo, was hältst du davon, Sonja und mich heute Abend zu begleiten? Wir gehen erst zum Spanier zum Essen und testen dann in Sachenhausen die Getränkekarten der verschiedenen Lokalitäten“.

Da Angelo sich gerade mal wieder in der Trennungsphase einer zweiwöchigen Beziehung befand, kam ihm der Vorschlag gerade recht.

„Geht klar. Aber auf den Schreck geht die Rechnung auf dich und ich höre mir dann dein Problem an. Oder war dein Problem einfach nur, dass du eingepennt bist?“

Zusammen mit den Sicherheitsleuten verließen wir das Büro, um mit dem Aufzug in die Tiefgarage zu fahren.

„Wir holen dich gegen acht Uhr mit dem Taxi ab“, rief Mario seinem Freund zu, bevor er in seinen Porsche stieg, um schnellstmöglich nach Hause zu fahren.

Auch Angelo bestieg seinen Wagen. Dem Familienhobby entsprechend fuhr er einen alten Aston Martin. In Gedanken war er jedoch bei seinem Freund, dessen seltsames Verhalten ihn beunruhigte. Er kannte Mario lange genug um zu wissen, dass hinter dessen Versuch, die Angelegenheit zu verharmlosen, mehr steckte. Dessen rascher Abschied und die angespannte Körperhaltung entsprachen einem völlig anderen Verhaltensmuster.

Dies bestätigte auch der gemeinsame Abend. Denn trotz gutem Essen und hervorragenden Weinen, war Mario nicht zu bewegen, über sein Problem zu reden. Im Gegenteil. Er reagierte ungewohnt unwirsch als auch Sonja wissen wollte, um was es denn ginge. Er überspielte zwar die Situation, indem er drei Otard bestellte um dazu zu bemerken, dass man bei einem guten Cognac an einem solch schönen Abend nicht unbedingt Geschäft und Privatleben vermischen sollte, aber die gewohnte Ungezwungenheit wollte sich nicht mehr einstellen. So lösten sie ihr Zusammensein weit vor der üblichen Zeit auf, nachdem Mario bemerkte, er wäre zu müde, um noch zu bleiben.

Als sie sich verabschiedet hatten, stellte Sonja Mario im Taxi zur Rede: „Was ist heute wirklich los mit dir? Dass du müde bist hat noch nicht einmal Angelo geglaubt.“

„Schatz, ich weiß nicht ob ich mich täusche, oder ob wir wirklich ein Riesenproblem in der Bank haben. Ich bin heute auf etwas gestoßen, was ich unbedingt heute Nacht noch weiter recherchieren will. Ich setze dich gleich zu Hause ab, schaue nach der Kleinen und lass mich dann mit unserem Taxi weiter in die Bank fahren. Sei so gut und ruf dem Babysitter dann noch ein Taxi. Auf mich brauchst du nicht zu warten. Es kann spät werden.“

„Hast du ein Problem mit der Bank, oder hat die Bank ein Problem mit dir?“

„Weder noch, aber wenn sich bewahrheitet, was ich heute zufällig entdeckt habe, haben wir alle ein riesiges Problem.“

Zu Hause angekommen, bat ich den Taxifahrer zu warten. Stephanie, unsere Babysitterin, döste vor dem Fernseher. Unsere Prinzessin schlief tief und fest. Ich gab ihr einen Kuss und hoffte, dass sich meine Befürchtungen noch heute Nacht als großer Irrtum erweisen würde.

Nachdem ich mich auch von Sonja zärtlich verabschiedet hatte, eilte ich zum wartenden Taxi und bat den Fahrer, mich in die Bank zu fahren.

Auf dem Weg dorthin spiegelten der Nieselregen und die ersten Blätter, die vom Wind auf die Straße geweht wurden, meine aktuelle Stimmungslage.

KAPITEL 2

Es war bereits kurz vor Mitternacht als ich das Bürogebäude betrat und dem überraschten Nachtportier erklärte, wohl noch bis in den frühen Morgen arbeiten zu müssen.

In Büro angekommen fuhr ich den Rechner hoch und hoffte, dass sich das Problem, welches mich bereits den ganzen Abend beschäftigte, als Irrtum herausstellen würde:

Achtunddreißig Millionen Euro waren plötzlich verschwunden!

Bereits als ich Leiter sämtlicher europäischer Niederlassungen geworden war hatte ich ein Softwareprogramm entwickelt, welches alle Niederlassungen vernetzte und in einem auf meinem Rechner erscheinenden Tagesprotokoll Bankbewegungen über einer Million Euro anzeigte.

Da ich heute bereits etwas früher die Arbeit beenden wollte, um mit Sonja endlich einmal wieder ein langes Wochenende genießen zu können, wollte ich bereits um die Mittagszeit einen kurzen Blick in das Tagesprotokoll werfen. Hier fiel ein relativ hoher Überweisungsbetrag von 38 Millionen Euro auf. Noch bevor ich mich näher damit beschäftigen konnte wurde ich von meiner Sekretärin unterbrochen.

„Herr Kramlich in der Kreditabteilung bittet sie wegen eines hochwertigen Immobilienkaufes um ihren Rat. Die Kunden sind bereits in dessen Büro.“ Weisungsgemäß mussten alle Kreditanfragen im siebenstelligen Bereich von mir persönlich abgesegnet werden.

Die Recherche unterbrechend, sicherte ich gewohnheitsmäßig die Daten auf meinem Stick und begab mich zu den Kunden. Erst am späten Nachmittag, als sich bereits die meisten Mitarbeiter ins Wochenende verabschiedet hatten, kam ich wieder dazu, mich meinem Tageprotokoll zu widmen. Als ich dies jedoch aufrief, zweifelte ich an meinem Verstand. Der Überweisungsbetrag von 38 Millionen war nicht mehr vorhanden. So etwas konnte einfach nicht sein!

Ich war während meines IT-Studiums nicht nur einer der Besten, sondern auch über Jahre in der Hackerszene kein unbeschriebenes Blatt. Der Ausspruch meines Studienfreundes Peter – „Es gibt nichts, was wir nicht hacken könnten“ – war fast Realität. Ich war wirklich gut, aber Peter war stets einen Touch besser.

Und nun saß ich vor meinem Bildschirm und fand trotz allem keinen Hinweis mehr auf die noch vor Stunden im Tagesprotokoll aufgetauchten Millionen.

Als mir jedoch einfiel, die gespeicherten Daten von meinem Stick abzurufen, fand ich erneut diesen Betrag: 38 Millionen.

Ich wusste: Daten hinterlassen Spuren!

Und so begann ich zunächst den Weg des Geldes zurückzuverfolgen, was mir auch nur auf Grund meiner jahrelangen Hackererfahrung gelang, da auch hier die durchgeführten Überweisungen offiziell nicht mehr nachvollziehbar waren.

Ursprünglich war das Geld von einem in London gemeldeten Unternehmen auf ein Schweizer Konto eingezahlt worden. Von hier aus wurde der Betrag auf das Konto eines Import-Export-Unternehmens bei einer italienischen Bankfiliale überwiesen. Es erfolgte unverzüglich eine Weiterleitung nach Luxemburg, ebenfalls auf das Konto einer Handelsgesellschaft. Die Überweisungen fanden alle in einem Zeitfenster von drei Stunden statt.

Aber ich bekam keinen Zugriff mehr auf das Luxemburger Konto.

Was hatte das alles zu bedeuten? Sicher war nur: legal war das nicht! Und in diesem Falle betraf es auch eine unserer Niederlassungen.

Dies war der Zeitpunkt, als Angelo und kurz darauf die Security in meinem Büro auftauchten.

Aber jetzt war ich ungestört und hatte die ganze Nacht vor mir, gewillt herauszufinden, was hier gespielt wurde.

Es war bereits gegen vier Uhr morgens, als es mir nach etlichen Tassen Kaffee gelang, mich in das Luxemburger Konto einzuhacken. Auch von hier war das Geld kurzfristig weitertransferiert worden. Auf die Cayman Islands. Aber jetzt war ich mit meinem Latein am Ende. Ich hatte zwar das Empfängerkonto, jedoch keinen Kontoinhaber oder gar Zugriff auf etwaige Kontobewegungen. Für dieses Konto gab es eine Firewall, die für mich unüberwindbar war.

Nach einer weiteren Stunde gab ich auf. Wenn überhaupt konnte nur noch mein Studienfreund Peter helfen. Dieser war zwischenzeitlich selbstständig und hatte in München eine Firma, die für Großfirmen individuelle Sicherheitssoftware entwickelte. Da Peter noch nie zu denen gehörte, die einen regelmäßigen Schlafrhythmus bevorzugten, rief ich ihn, ungeachtet der Uhrzeit, an.

„Sendling! Andere Leute schlafen um diese Uhrzeit! Was kann ich für Sie tun?“, meldete sich dieser.

„Hallo Peter. Mario hier. Sag nicht, du hättest schon geschlafen. Es ist doch erst fünf.“

„Hallo Mario. Schon lange nichts mehr von dir gehört. Aber du hast Recht. Alte Gewohnheiten legt man nicht ab. Und es lässt sich ungestörter nachts arbeiten. Aber ein Anruf von dir um diese Uhrzeit ist außergewöhnlich und lässt auf ein größeres Problem schließen. Wie kann ich dir helfen?“

„Hör zu. Du musst mir vertrauen. Ich kann dir nicht alles sagen. Aber ich versichere dir, dass ich nichts Illegales vorhabe, wenn wir einmal davon absehen, dass ich mich in einen Rechner einer Bank auf den Caymans einhacken will. Ich bin möglicherweise einer riesigen kriminellen Sache auf der Spur. Sei so gut und gehe über TeamViewer auf meinen Rechner. Möglicherweise gelingt es uns gemeinsam, Zugriff auf die Kontodaten zu erlangen. Die sind jetzt sieben Stunden zurück, sodass eigentlich niemand bemerken dürfte, wenn wir in deren System eindringen. Und das darf auch auf keinen Fall nachvollziehbar sein.“

„Nun. Interessant. Dann legen wir mal los.“

Ich konnte nur noch staunen als ich sah, in welcher Geschwindigkeit mein Studienfreund die ihm vorgegebenen Daten verwertete. Aber ich konnte den Lösungsvorgang nachvollziehen, den Peter beschritt.

„Darauf hätte ich auch kommen können.“

„Bist du aber nicht. Sonst wäre ich ja nicht der Beste. Aber schau. Wie pflegte Boris Becker zu sagen: Ich bin drin! Der Rest ist deine Sache. Ich lösche alles wieder und habe auch nicht mit dir telefoniert.“

„Du bist der Größte! Danke dir. Und das nächste Telefonat ist bald. Ich werde mich dann mit einem Münchner Abend revanchieren. Und nochmals besten Dank.“

Nach Beendigung des Telefonates zeigten sich alle auf der Bank geführten Konten. Es war nun ein Leichtes, die zugehörige Kontonummer zu der aus Luxemburg eingegangenen Überweisung aufzurufen. Diese wiederum verzweigte in mehrere Unterkonten. Hier fand sich auch den Betrag von 38 Millionen Euro wieder. Aber nicht nur das.

Ich hatte plötzlich das Gefühl, als würden sich die Zahlen auf dem Bildschirm zu drehen beginnen und ineinanderfließen. Kurzfristig befürchtete ich zu kollabieren. Meinen Körper befiel eine plötzliche Schwäche. In meinem Kopf machte sich Leere breit.

Der Gesamtbetrag aller unter dem Hauptkonto gelisteten Unterkonten betrug über einhundertsiebenundzwanzig MILLIARDEN US-Dollar!

Der Ausspruch „Ich glaub mich tritt ein Pferd“ traf wohl meine augenblicklichen Empfindungen am ehesten. Absolute Leere, Benommenheit, das Gefühl, nicht mehr geordnet denken zu können, geschweige irgendeiner Handlung fähig zu sein. Ich weiß nicht wie lange es dauerte, bis ich bewusst realisierte, was der Bildschirm mir nüchtern in Zahlen präsentierte.

Mir wurde klar, dass es sich hier um eine international tätige Abteilung des organisierten Verbrechens handeln musste, die über hochspezialisierte IT-Mitglieder verfügte.

Es war bereits gegen acht Uhr, als ich, nachdem alle Daten auf meinem Stick gesichert und die Spuren meiner Internetrecherche gelöscht waren, mein Büro verließ.

Der Nachtportier, dessen Schicht um acht Uhr endete, sah mich wissend an: „Nehmen Sie es nicht so schwer. Ehekrach ist wie ein reinigendes Gewitter. Umso schöner ist die Versöhnung.“

Doch im Moment war ich für einen Small Talk nicht in der Lage und beeilte mich, nach einem kurzen Wunsch für ein schönes Wochenende, zu meinem Wagen zu kommen.

Glücklicherweise war noch wenig Verkehr an diesem Samstagmorgen, denn ich war kaum in der Lage, mich auf das Fahren zu konzentrieren. Meine Gedanken drehten sich wie ein Karussell um die Frage: Wie sollte es jetzt weitergehen? Ich war mir im Klaren: Hier waren absolute Profis am Werk. Sollte ich das Entdeckte den Strafrechtsbehörden melden? Aber andererseits war mein Vorgehen ebenfalls illegal gewesen. Und inwieweit verletzte ich das Bankgeheimnis? Das Beste wäre wohl, ich würde mich direkt an den CEO unserer amerikanischen Muttergesellschaft wenden, um mit ihm das weitere Vorgehen zu besprechen. Ich wusste, dass unser CEO, Mr. Eightwood, ein Frühaufsteher war, aber in New York war es gerade zwei Uhr nachts. So musste ich mich wohl noch bis um die Mittagszeit gedulden, bevor ich ihn anrufen konnte. Andererseits hatte doch er den Slogan ins Leben gerufen: „Wir alle sind eine große Familie und immer und jederzeit füreinander da.“

Plötzlich registrierte ich, dass sich trotz all der Aufregung ganz natürliche Gefühle wie Hunger nicht unterdrücken ließen.

Also würde ich unserem CEO doch noch zwei Stunden Schlaf gönnen, frühstücken und versuchen etwas Abstand zu gewinnen.

„Ich habe mir Sorgen gemacht“, erwartete mich Sonja, die bereits ein opulentes Frühstück vorbereitet hatte.

„Was macht Ramona?“

„Ausnahmsweise schläft unser kleiner Wirbelwind noch. Aber was ist mit dir? Du siehst aus als hättest du drei Nächte durchgemacht. So kenne ich dich gar nicht.“

„Du hast Recht. Wir haben in der Bank aktuell ein Riesenproblem. Ich muss sehen, dass ich später unseren Vorstand in New York erreiche. Wir müssen dringend eine Sitzung einberufen und ich werde so schnell wie möglich nach New York fliegen.“

Diese Antwort gab ich Sonja spontan, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben. Aber es erschien mir als der einzig mögliche Weg, zusammen mit dem Vorstand das weitere Vorgehen abzusprechen.

„Willst du darüber mit mir reden?“, fragte Sonja.

„Obwohl es ungewöhnlich ist, meine Sorgen nicht mit dir zu besprechen, aber das geht im Moment nicht.“

„Du weißt, dass ich immer zu dir halte und für dich da bin. Gleichgültig was es ist!“

Ich nahm Sonja in den Arm, spürte ihre Wärme und Fürsorge und wusste, dass diese Frau und meine Tochter das größte Glück meines Lebens waren.

Plötzlich kam mir eine neue Idee.

„Ich werde noch schnell eine Mail verschicken und lege mich dann nach dem Frühstück für ein paar Stunden aufs Ohr.“

Die Müdigkeit erlangte nun doch die Oberhand.

Top secret!! Top secret!! Urgent!! Urgent!!Lieber Mister Eightwood,

Bitte berufen sie zum schnellstmöglichen Termin eine Vorstandssitzung ein. Keine Protokollführung notwendig. Treffen nur im engsten Kreis. Problem weder telefonisch noch per Mail abhandelbar. Komme Sonntag nach NY. Genauer Ankunftstermin wird noch mitgeteilt. Bitte teilen Sie mir schnellstens den Sitzungstermin mit.

Herzlichst

Mario Kramer

Mehr war für den Augenblick nicht zu tun. Jetzt noch schnell eine heiße Dusche und ab ins Bett. Aber es dauerte lange, bis ich in einen unruhigen Schlaf fiel, aus dem ich bereits nach drei Stunden gerädert erwachte. Mein erster Weg führte mich an meinen Laptop. Wie schon fast erwartet war bereits eine Nachricht von unserem CEO eingegangen:

Lieber Mister Kramer, Ihr Flug von Frankfurt Airport startet am Sonntag um 08.20 Uhr mit Singapore Airlines. Ticket ist am Schalter hinterlegt. Ankunft JFK 11.15 Uhr. Ein Fahrer erwartet Sie und bringt Sie ins Walldorf Astoria, Suite ist gebucht. Um 19.00 Uhr holt sie mein Fahrer wieder ab. Dinner in meiner Wohnung.

Beste Wünsche

Eightwood

Auch wenn ich immer noch das Gefühl hatte, als würde mein Inneres einem Minenfeld gleichen, war es doch beruhigend, dass Mr. Eightwood bereits alles in die Wege geleitet hatte. So blieben mir wenigsten noch einige Stunde mit meiner Familie, in denen ich hoffte, etwas zur Ruhe zu kommen und auch den versäumten Schlaf nachzuholen, da ich mir sicher war, auch in New York keine allzu entspannte Zeit zu haben.

KAPITEL 3

Nach einem wider Erwarten entspannten Abend fuhr Sonja mich zum Flughafen und ich nahm mein Ticket für die von Mr. Eightwood gebuchte Business Class in Empfang. Nach einem bevorzugten Check-in brachte mich die Stewardess zu meinem Sitz. Der Komfort, den diese Klasse bot, erstaunte mich stets aufs Neue. Gourmetmäßige Mahlzeiten, Liegesessel, Bett. Man konnte wirklich entspannt seinen Bestimmungsort anfliegen. Glücklicherweise übernahm die Firma die Kosten. So gelang es mir, nach einem ausgezeichneten Mittagessen und einem gutem Glas Wein, doch noch etwas Schlaf zu finden.

Nach der Landung in New York und einer erstaunlich schnellen Abfertigung am Einreiseschalter erwartete mich bereits der von Mr. Eightwood angekündigte Fahrer mit einem nicht zu übersehenden Schild: Mario Kramer, Germany.

Auch im Walldorf Astoria war man bereits auf meine Ankunft vorbereitet. Ein Page brachte mich in meine Suite, welche in etwa die Größe einer 3-Zimmerwohnung hatte. Ein überdimensionales Blumenarrangement und eine Flasche Champagner auf Eis unterstrichen das Gefühl von Luxus. Da mir ja noch etwas Zeit zur Verfügung stand, beschloss ich einen Spaziergang zu machen und anschließend den Wellness-Bereich auszukosten.

Um 19.00 Uhr rief mich die Rezeption an, um mir mitzuteilen, dass der Fahrer von Mr. Eightwood mich erwarten würde.

In der Lobby suchte ich das mir vertraute Gesicht des Fahrers, der mich zum Hotel gebracht hatte und war überrascht, als ein Mann, dessen Größe und Figur wohl auch einen Vitali Klitschko hätte neidisch werden lassen, auf mich zukam.

„Hallo Mr. Kramer! Ich bin George, der persönliche Fahrer von Mr. Eightwood. Freut mich Sie kennenzulernen. Ist hier alles zu Ihrer Zufriedenheit geregelt?“

„Alles bestens“, antwortete ich. Neben diesem Hünen kam ich mir, obwohl ich sicher nicht der Kleinste bin und auch nicht unter Minderwertigkeitskomplexen leide, fast zwergenhaft vor.

„Dann lassen Sie uns gehen.“

Als wir aus dem Eingangsportal traten, öffnete mir der Portier die Hecktüre eines dort wartenden Rolls Royce Silver Clouds.

„Ich steige vorne ein“, sagte ich, während George bereits auf der Fahrerseite Platz nahm.

„Ein wunderschöner Oldtimer. Aber ist das ein Fahrzeug für New Yorker Verkehrsverhältnisse?“

„Mr. Eightwood benutzt den Wagen eigentlich nur, um sich von seinem Landsitz nach New York fahren zu lassen. Wegen Ihrer Ankunft ist er bereits heute hier angekommen.“

„Und Sie sind der persönliche Chauffeur von unserem Boss?“

„Nun, in Deutschland würde man glaube ich sagen, ich bin das ‚Mädchen für Alles‘. Chauffeur, Butler, Bodyguard. Allerdings beschäftigt Mr. Eightwood einen Koch, da er mit Recht befürchtet, bei von mir zubereiteten Speisen den Hungertod zu erleiden.“

Ich hatte zwar schon hin und wieder an Geschäftsbesprechungen in New York teilgenommen, aber diese Stadt faszinierte mich stets aufs Neue.

„In welchen Stadtteil fahren wir?“ fragte ich George, der sich durch den Verkehr schlängelte, als würde er einen Kleinwagen fahren.