Das Lied der Highlands - Kathleen Givens - E-Book

Das Lied der Highlands E-Book

Kathleen Givens

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Beschreibung

Zwei Brüdern wird ein Leben auf dem Kriegsfeld versprochen … und eine unsterbliche Liebe
Der packende Start der historischen Reihe von Erfolgsautorin Kathleen Givens

Bei ihrer Geburt wird den MacCurrie Zwillingen Neil und James prophezeit, dass sie ihren Clan in den Krieg führen werden, um ihm 50 Jahre Frieden zu bringen. Doch auch die Liebe zweier außergewöhnlicher Frauen wird ihnen vorhergesagt. Als das Schicksal James mit einem hochgeborenen Mädchen zusammenführt, ist er sicher, sie gefunden zu haben. Doch kann sie es wirklich sein, wenn die beiden genauso schnell wieder voneinander getrennt werden?

Ellen Graham hat sich geschworen nur aus wahrer Liebe zu heiraten. Als James MacCurrie, der geheimnisvolle Highlander mit den dunkelblauen Augen, sie vor einem Überfall rettet, ist es um sie geschehen. Aber kann sie wirklich einen Mann lieben, dessen Bestimmung auf dem Schlachtfeld liegt?

Erste Leser:innenstimmen
„Für Highland- und Schottland-Fans ist die Reihe ein Muss!“
„Leidenschaftliche Gefühle und fesselnde historische Geschichte, nur zu empfehlen.“
„Kathleen Givens hat wieder einen großartigen historischen Liebesroman geschrieben.“
„Unterhaltsam, fesselnd, romantisch – ich freue mich auf die Reihe!“

Über die Autorin

Kathleen Givens, 1950-2010, gab ihr Schreibdebüt mit den gefeierten schottischen Historienromanen Die Melodie der Highlands und Der Ruf der Highlands. Sie lebte im südlichen Californien und liebte es zu reisen, zu lesen und etwas über Geschichte zu lernen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 640

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Über dieses E-Book

Bei ihrer Geburt wird den MacCurrie Zwillingen Neil und James prophezeit, dass sie ihren Clan in den Krieg führen werden, um ihm 50 Jahre Frieden zu bringen. Doch auch die Liebe zweier außergewöhnlicher Frauen wird ihnen vorhergesagt. Als das Schicksal James mit einem hochgeborenen Mädchen zusammenführt, ist er sicher, sie gefunden zu haben. Doch kann sie es wirklich sein, wenn die beiden genauso schnell wieder voneinander getrennt werden?

Ellen Graham hat sich geschworen nur aus wahrer Liebe zu heiraten. Als James MacCurrie, der geheimnisvolle Highlander mit den dunkelblauen Augen, sie vor einem Überfall rettet, ist es um sie geschehen. Aber kann sie wirklich einen Mann lieben, dessen Bestimmung auf dem Schlachtfeld liegt?

Impressum

Erstausgabe 2002 Überarbeitete Neuausgabe November 2021

Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96817-946-9 Hörbuch-ISBN: 978-3-98778-155-1

Copyright © 2002, Kathleen Givens Titel des englischen Originals: The Legend

Die Rechte an der Nutzung der deutschen Übersetzung von Elke Bartels liegen beim Blanvalet Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH.

Copyright © 2006, Blanvalet Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2006 bei Blanvalet Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH erschienenen Titels Das Lied der Highlands (ISBN: 978-3-44236-222-6).

Übersetzt von: Elke Bartels Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © faestock, © Georgi Djadjarov, © Stone36, © Stephen Bridger Korrektorat: Katharina Pomorski

E-Book-Version 07.02.2025, 13:23:56.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Das Lied der Highlands

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Das Lied der Highlands
Kathleen Givens
ISBN: 978-3-98778-155-1

Zwei Brüdern wird ein Leben auf dem Kriegsfeld versprochen … und eine unsterbliche LiebeDer packende Start der historischen Reihe von Erfolgsautorin Kathleen Givens

Das Hörbuch wird gesprochen von Anja Kalischke-Bäuerle.
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Dieses Buch widme ich


Cheryl, die auch unter Druck stets bewundernswert viel 
Mut, 
Bereitwilligkeit und Humor bewiesen hat, 
ferner Kerry, John, Patty und Mike, die unser Leben mit 
Lachen und Glück erfüllen, 
und Russ, meiner großen Liebe.

Seid Ihr doch nur der Sklave des Schicksals, des Glücks, der Könige und verzweifelter Menschen. 
 John Donne, Holy Sonnets X

Prolog

Februar 1660, Torridon, Schottland

Alistair MacCurrie, Graf von Torridon und Oberhaupt des MacCurrie-Clans, schob das Kopfkissen beiseite, zog seiner Ehefrau die Arme über den Kopf und verschränkte seine Finger mit den ihren. Er warf sein langes, schwarzes Haar über seine Schulter zurück und lächelte, bevor er ihren Mund mit einem hungrigen Kuss nahm.

„Annie“, murmelte er, als er schließlich wieder den Kopf hob. „Bist du nun endlich bereit?“

Sie lachte, ihre Augen wie dunkle Teiche in ihrem blassen Gesicht. „Aber wir lieben uns doch erst seit einer Stunde, mein Schatz.“

„Ich will dich“, knurrte Alistair mit rauer, kehliger Stimme. „Ich habe große Geduld mit dir gehabt. Was soll ich tun? Was wünschst du dir von mir?“

Sie hob ihm auffordernd ihre Hüften entgegen. Er stöhnte vor Wonne, als er in ihren Körper hineinglitt.

„Schenk mir einen Sohn“, flüsterte sie, dann löste sie ihre Hände aus seinem Griff, um ihn bei den Schultern zu packen und noch enger an sich zu ziehen. „Schenk mir einen Sohn, mein Liebster!“

Alistair stieß tief in ihren Schoß. „Ich werde dir einen Sohn schenken, meine süße Annie.“ Er zog sich zurück und drang dann abermals mit einem kraftvollen Stoß in sie ein. „Und noch einen!“

„Genug!“, sagte Anne lachend. „Wir haben nur eine begrenzte Anzahl von Räumen.“

Er zog eine Spur von Küssen über ihre Schläfe. „Dann werden wir eben einfach noch ein paar mehr anbauen.“ Sie tauschten ein zärtliches Lächeln und verfielen dann in Schweigen, während sie sich mit all ihren Sinnen auf ihre Vereinigung konzentrierten. Anne war die Erste, die ihrer Ekstase mit einem lustvollen Aufschrei Ausdruck verlieh, während sie Alistair mit aller Kraft an sich presste; einen Augenblick später verschmolz seine Stimme mit der ihren. Schließlich, nach einer Weile, schliefen sie eng umschlungen ein. Keiner von ihnen sah den grellen Blitz, der die Februarnacht erhellte, oder hörte den krachenden Donnerschlag, der unmittelbar darauf folgte. Und sie hörten auch nichts von dem aufgeregten Getuschel und Geflüster, das sich bei Tagesanbruch in der Burg erhob.

„Die Legende“, raunten die Gerüchtemacher einander zu, dann machten sie sich eilig an ihre Arbeit.

Noch immer ein klein wenig matt und erschöpft von ihrer langen Liebesnacht kamen Alistair und Anne schließlich Hand in Hand in die Halle hinunter. Sie ignorierten die Seitenblicke, die sie von den übrigen Burgbewohnern ernteten, denn Bemerkungen über ihre Leidenschaft füreinander waren sie mittlerweile gewöhnt. Doch als Alistairs kleine, grauhaarige Mutter die beiden erblickte, kam sie sofort auf sie zugeeilt. Ihre Worte brachten das junge Paar gründlich um seine eben noch so heitere Gemütsruhe.

„Hast du das gesehen?“, fragte Mairi in einem von Staunen und Verwunderung erfüllten Ton.

„Was denn? Was soll ich gesehen haben?“ Alistair schüttelte verständnislos den Kopf. „Mutter, was meinst du?“

„Kommt mit“, sagte Mairi und führte ihn und Anne nach draußen. Schweigend zeigte sie auf die riesige Eiche, die schon seit Jahrhunderten unmittelbar hinter dem Pförtnerhaus von Castle Currie aufragte. Alistair fluchte unterdrückt, Anne stockte der Atem, als sie sahen, was die Nacht ihnen beschert hatte. Der mächtige Baum – unten am Fuße noch immer zusammengewachsen – war glatt und säuberlich in zwei Hälften gespalten worden, und seine Rinde war von schwarzen Brandspuren gezeichnet, während sich die kahlen Äste skelettartig gegen den grauen Februarhimmel abhoben. Die Luft war von dem stechenden Geruch verkohlten Holzes erfüllt. Alistair trat einen Schritt vor, um seine Hände an dem klaffenden Spalt entlanggleiten zu lassen, dann wandte er sich zu seiner Mutter um, kreidebleich im Gesicht.

„Es ist genau wie in der Legende“, erklärte Mairi ihrem Sohn. Sie warf einen Blick auf ihre Schwiegertochter, die mit großen, erstaunten Augen auf die Eiche starrte. „Anne, du kennst die Geschichte bisher noch nicht, oder?“

Anne schüttelte stumm den Kopf.

„In der Legende von den MacCurries“, berichtete Mairi, „heißt es, dass drei Generationen von Gutsherren an dem gleichen Kalendertag sterben werden, an dem sie zur Welt kamen. Dass dem dritten Gutsherrn Zwillingssöhne geboren werden, die den Clan in den Krieg führen und ihm anschließend fünfzig Jahre des Friedens bescheren werden. Und dass das Zeichen für ihre Empfängnis dieser Baum hier sein wird…“

Sie drehte sich um, um abermals einen Blick auf die Eiche zu werfen, dann wandte sie sich wieder Anne zu. „Und dieser Baum wurde in zwei Hälften gespalten. Und jede Hälfte wird weiterleben.“

Mairi sah erneut ihren Sohn an. „Dein Vater und sein Vater wiederum starben jeder an ihrem Geburtstag. Es ist die Legende, und zwar genau so, wie der Seher es prophezeit hat. Anne trägt jetzt die beiden Jungen unter dem Herzen.“

Alistair wandte sich um und starrte wortlos seine Ehefrau an, die unwillkürlich eine Hand auf ihren flachen Bauch legte. Einen Moment lang herrschte vollkommene Stille, nur unterbrochen von dem Donnern der Wellen, die krachend gegen den Fuß der Klippe schlugen, dann schüttelte Alistair den Kopf, wie um den Nebel der Verwirrung aus seinem Hirn zu vertreiben.

„Mutter“, sagte er, „es war nichts weiter als ein Blitzschlag.“

„Alistair“, erwiderte seine Mutter beschwichtigend, „wenn die beiden Baumhälften überleben, wirst du es dann endlich glauben?“

„Das ist doch alles bloß Aberglaube.“

„Es ist eine Prophezeiung“, erwiderte Mairi beharrlich, „und obendrein noch eine gute, mein Sohn.“ Sie lachte. „Du solltest feiern und Freudenfeuer entzünden! Fünfzig Jahre Frieden für Torridon. Und deine Söhne werden diejenigen sein, die uns diesen Frieden bringen.“

Einen flüchtigen Augenblick lang stand Alistair nur schweigend da, dann griff er nach Anne, die bereitwillig in seine Arme glitt. Über den Kopf seiner Ehefrau hinweg blickte er seine Mutter an.

„Ich kann es einfach nicht fassen, Mutter“, sagte er leise. Mairi schüttelte den Kopf. „Ich auch nicht. Aber sieh doch…“ Sie wies auf die Eiche. „Die Zeit wird den Beweis erbringen. Frieden, Alistair! Deine Söhne werden diesem Land endlich Frieden bescheren.“

Anne drehte sich zu dem Baum um, eine Hand auf ihren Leib gelegt. „November. Sie werden im November zur Welt kommen.“

1

März 1689, Torridon, Schottland

James MacCurrie sah seinem Bruder Neil über das Grab ihres Vaters hinweg in die Augen. Stahlblauer Blick verschmolz mit stahlblauem Blick, während die beiden Zwillingsbrüder – wie so oft – wortlos miteinander kommunizierten und ihren Schmerz und ihre Trauer zu gleichen Teilen teilten. Dies sollte das letzte Mal sein, dass die Zwillinge Gleichgestellte waren. Wenn sie von der Grabstätte ihres Vaters fortgingen, würde für beide von ihnen nichts jemals mehr so sein wie früher.

James atmete tief durch und wandte sich dann für einen Moment um, um zu der Burg hinüberzublicken, die sein Zuhause war. Mächtig und düster thronte Castle Currie ganz für sich allein auf seiner Landspitze an der Westküste Schottlands, ein massives Bauwerk hoch über den Wassern von Loch Torridon und Shieldaig, dessen steinerne Türme weit in den Himmel emporragten.

Über den Turmzinnen ballten sich dunkle Sturmwolken zusammen, und der Wind frischte auf, doch die Menschenmenge, die sich außerhalb der Festung versammelt hatte, nahm keine Notiz davon. Denn der MacCurrie-Clan bettete an diesem Tag sein Oberhaupt zur letzten Ruhe.

Neil gab den Dudelsackspielern, die in einer Reihe oben auf der Klippe standen, ein Zeichen; ihre Plaids bildeten einen farbenfrohen Kontrast zu dem Grau des Wassers unter ihnen, ihre Bewegungen waren langsam und bedächtig, als sie das Trauerlied anstimmten. Die wilden, ungezähmten Klänge stiegen empor, schwebten noch für einen Moment über der Trauergemeinde in der Luft, ehe sie sich schließlich wie zu einer allerletzten Umarmung um die Burg wanden und dann endgültig vom Wind davongetragen wurden – zur anderen Seite der Landspitze hinüber, über die Bucht hinweg und weiter zum offenen Meer jenseits davon.

James schloss die Augen, während er mühsam um Selbstbeherrschung rang, und ignorierte die starren Blicke der von Ehrfurcht ergriffenen Clanmitglieder, die ihn und seine Familie beobachteten. Die Legende, flüsterten die Klatschmäuler einander jetzt abermals zu, so wie sie es schon die letzten Monate hindurch unaufhörlich getan hatten. Und mit jedem weiteren Tag, der verging, war ihr Getuschel aufgeregter geworden. Sie waren erst an dem Tag verstummt, an dem Alistair nach wochenlangem Dahindämmern in einem an Bewusstlosigkeit grenzenden Zustand ganz plötzlich erwachte, mit seiner Familie sprach und die Hand seiner innig geliebten Anne ergriff. Und schließlich für immer die Augen schloss.

Er starb an seinem Geburtstag, genauso wie auch schon sein Vater und sein Großvater vor ihm, genauso, wie es der Seher von Brahan vorausgesagt hatte. Der gesamte Clan hatte sich eingefunden, um Alistair MacCurrie die letzte Ehre zu erweisen. Von überall her waren die Mitglieder zusammengekommen: von den Fischerdörfern, die an den Ufern der Meeresarme verstreut lagen, von den sich an den Fuß der Sandsteinberge schmiegenden kleinen Gehöften, vom Torridon-Tal im Osten und von den blauen Inseln, die sich bis weit ins Meer hinaus erstreckten.

James konnte die starren Blicke der Clanmitglieder fühlen, konnte ihre ungläubige Verwunderung spüren. Er selbst empfand ganz ähnlich. Er war zwar mit der Legende groß geworden, war tagtäglich an dem Baum vorbeigegangen, der die Nacht seiner Empfängnis markierte, hatte Jahr für Jahr die Geburtstagsfeiern seines Vaters mit einer Mischung aus freudiger Erregung und Furcht verfolgt. Aber er hatte nicht geglaubt, dass es wirklich passieren würde, dass sich auch dieser Teil der Legende tatsächlich bewahrheiten würde.

„Es wird einmal ein Tag kommen“, hatte der Seher zur Einleitung seiner Prophezeiung gesagt, so wie er es immer tat. Und seine Weissagung hatte eine Fülle von Einzelheiten enthalten. Jetzt fragte James sich beklommen, ob womöglich noch mehr davon eintreffen würde. Seit sein Vater gestorben war, hatte er einen stetigen Kampf mit sich selbst ausgefochten, denn ein Teil von ihm glaubte daran, während die andere Hälfte seines Ichs nur darüber spotten konnte. Wie es sich nun wirklich verhielt, das würde erst die Zukunft zeigen. James spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte, als der Priester eine Hand auf den Sarg legte und ein Gebet für Alistairs Seele sprach. Ihr Vater war ein außergewöhnlicher Mann gewesen. Warum war er so plötzlich von ihnen gegangen? Wie konnte es sein, dass er auf einmal nicht mehr bei ihnen war, dass sie nun nie mehr jenes schallende Lachen hören, niemals mehr den liebevollen Schlag auf die Schulter spüren würden, den er seinen Söhnen immer versetzt hatte, bevor er sie umarmte? Es war einfach unvorstellbar, nie mehr von ihm geneckt zu werden oder dazu ermutigt, eine schwierige Aufgabe in Angriff zu nehmen, und dann für seine Anstrengungen ein Lob von ihm zu bekommen. Nie mehr auf seinen Rat zu hören oder auf seine Warnungen, wem man trauen konnte und vor wem man sich besser in Acht nehmen sollte. James schüttelte den Kopf, noch immer nicht so recht im Stande, den Tod des Vaters zu fassen. Sein Cousin Duncan MacKenzie trat ein paar Schritte vor, um sich neben ihn zu stellen, und James warf ihm einen dankbaren Blick zu. Duncan nickte mit ernster Miene, dann beugte er den Kopf mit dem rotbraunen Haarschopf, während der Priester mit seiner Andacht fortfuhr. James jedoch hörte weder etwas von den Gebeten, die gesprochen wurden, noch nahm er die gemurmelte Antwort der Trauergemeinde wahr. Er starrte nur stumm auf seine gefalteten Hände und versuchte, die Wellen der Trauer und des Grams zu ignorieren, die zwischen ihm und Neil hin und her wogten. Beide Brüder fuhren jäh herum, als ihre Mutter plötzlich zusammenbrach und mit einem dumpfen Klagelaut zu Boden sank. Kraftlos lag Anne am Fuße des Grabes, und sie schluchzte so heftig, dass ihre schmalen Schultern bebten. Die Söhne beugten sich hinab, um ihr wieder auf die Füße zu helfen. Doch ihre Großmutter hinderte sie daran. Die Gebete erfuhren eine abrupte Unterbrechung, und Priester und Trauergemeinde beobachteten schweigend die Szene am Grab. „Lasst sie“, sagte Mairi bittend, von Neil zu James blickend. „Ihr könnt eure Mutter nicht trösten. Lasst sie weinen, Jungs. Sie trauert, wie es ihr gutes Recht ist.“

„Aber, Großmutter“, widersprach James, eine Hand auf dem Arm seiner Mutter.

Mit mahnendem Blick hielt Mairi ihn zurück. „Du wirst sie in Ruhe lassen, hast du gehört? Du kannst den Schmerz, den sie empfindet, doch gar nicht begreifen. Also lass sie gefälligst in Ruhe!“ Dann füllten sich ihre Augen mit Tränen, und ihr eben noch so strenger Ausdruck wurde wieder milder. „Bitte, Jungs, lasst uns so trauern, wie es unserem innersten Bedürfnis entspricht. Ich begrabe heute meinen Sohn und eure Mutter ihren Ehemann. Für uns beide gibt es keinen Trost.“ James und Neil tauschten einen Blick, dann traten sie wortlos von den Frauen zurück. Der Wind zerrte an James‘ Kleidern und riss sein langes Haar aus dem Band, das es zusammenhielt, doch James achtete nicht darauf, sondern versuchte angestrengt, seine Gefühle zu beherrschen. Wieder trafen sich seine und Neils Blicke, und James sah die von ihm selbst empfundene Fassungslosigkeit und tiefe Betrübnis dort in jenen Augen widergespiegelt, die von genau der gleichen Form und der gleichen Blauschattierung waren wie seine eigenen. Und er sah noch etwas anderes. Nämlich die Veränderung, die plötzlich mit Neil vorging. Stumm beobachtete James, wie sein Zwillingsbruder sich innerlich stählte und den Mantel der Verantwortung umlegte. Neil war nun das Oberhaupt des MacCurrie-Clans und Graf von Torridon. Und James war sein Untergebener. Neil war vier Minuten älter als er, James, und das machte den entscheidenden Unterschied zwischen ihnen aus. Jetzt würden die beiden Zwillingsbrüder zum allerersten Mal in ihrem Leben nicht mehr gleichgestellt sein. Sie waren zwar im Hinblick auf diesen Tag erzogen worden, hatten schon die ganzen langen Monate über, während derer ihr Vater krank gewesen war, gewusst, dass dieser bedeutsame Tag unaufhaltsam näher rückte, doch sie hatten nie darüber gesprochen. Was gab es auch schon groß dazu zu sagen? James wusste ganz einfach, dass Neil dem Clan ein guter Anführer sein würde, wusste, dass er und Duncan jederzeit da sein würden, um Neil zu unterstützen. Schließlich hellte sich Neils Miene wieder ein klein wenig auf, und James erkannte, dass seine stumme Botschaft brüderlichen Beistands empfangen und verstanden worden war. Sie hatten schon immer die Gabe gehabt, sich wortlos miteinander zu verständigen, selbst dann, wenn sie sich an verschiedenen Orten aufhielten. Wenn James auf Reisen war, wusste Neil stets genau, wann sein Zwillingsbruder wieder nach Hause zurückkehren würde. Als Neil sich draußen auf den Inseln einmal das Handgelenk gebrochen hatte, hatte James instinktiv gewusst, dass etwas geschehen war. Sie hatten diese spezielle Fähigkeit niemals in Zweifel gezogen. Andere fanden sie beunruhigend, aber die Zwillinge schätzten sie hoch und verließen sich darauf. Und jetzt würden sie sie noch dringender brauchen als je zuvor, denn Alistair war in stürmischen Zeiten gestorben. Es lag Krieg in der Luft. Die Zwillingsbrüder und Duncan warfen nun die erste Hand voll Erde in das offene Grab, dann traten sie zurück und überließen es den Clanmitgliedern, die traurige Aufgabe zu vollenden. Als die Grube schließlich gefüllt war, half Mairi Anne wieder auf die Beine und blickte dann, einen Arm um ihre Schwiegertochter gelegt, auf das Grab hinab.

„Er war mein Sohn“, sprach Mairi mit einer Stimme, die weit über die Köpfe der Trauergemeinde hinwegschallte. „Und ich war stolz auf ihn.“ Ihr Kinn begann zu beben, ihr Ton wurde leiser, gepresster. „Vor vierundfünfzig Jahren brachte ich ihn zur Welt. Eigentlich sollte es umgekehrt sein: Ich sollte schon lange unter der Erde liegen, und er sollte hier stehen und um mich trauern.“ Zitternd holte sie Luft und blickte vom einen Enkelsohn zum anderen. Als sie erneut zu sprechen anhob, klang ihre Stimme schon wieder sehr viel ruhiger und gefasster. „Jetzt seid ihr also an der Reihe. Lasst die Prophezeiung wahr werden. Beschert meiner Heimat Frieden.“ James schaute zu, wie seine Großmutter mit zitternden Fingern den ersten Stein für den Grabhügel ihres Sohnes aufschichtete, dann trat er zusammen mit Neil und Duncan vor, um die Aufgabe zu Ende zu führen. Der Himmel öffnete seine Schleusen, und der Sturm tobte heulend um sie herum. Torridon nahm von seinem Gutsherrn mit einer Demonstration der Gewalt und der Heftigkeit Abschied, an die man sich noch Jahrzehnte später erinnern sollte.

Zu Beginn jenes Abends, nachdem sich das Unwetter wieder verzogen hatte, wanderten die drei Cousins langsam an den Zinnen von Castle Currie entlang. Unter ihnen, in Loch Torridons geschütztem Hafen, lagen Duncans Schiffe vor Anker, in dasselbe dämmrige Licht getaucht, das auch die MacCurrie-Flotte einhüllte. An den Kais, die das Ufer der Bucht säumten, lagen Fischerboote vertäut; zahlreiche andere Boote waren auf den felsigen Strand hinaufgezogen worden, um für diesen Trauertag unbenutzt dazuliegen. Gedankenverloren ließ James seinen Blick über die Meeresbucht schweifen; er fühlte sich innerlich wie betäubt. Die Beerdigung und das Trauermahl hatten ihn völlig erschöpft, und im Anschluss daran hatte er neben Neil gestanden, während die Clanmitglieder gekommen waren, um ihnen ihr Beileid auszusprechen und ihre Unterstützung anzubieten. Er hatte ihnen allen gedankt, zutiefst bewegt von ihrer Anteilnahme, aber er hatte dabei auch die ganze Zeit über das Gefühl gehabt, als ob er neben sich stände und sich selbst von außen beobachtete. Was ja auch nicht sonderlich schwierig ist, dachte er jetzt mit einem Seitenblick auf Neil. Denn wie so oft spiegelte sich auch in diesem Moment seine, James‘, Gemütsverfassung nur allzu deutlich auf dem Gesicht seines Zwillingsbruders wider, der stumm und mit nachdenklich gerunzelten, dunklen Brauen in den Hafen hinunterstarrte. Duncan war ebenfalls in Schweigen versunken. Der Himmel hatte sich in der Zwischenzeit noch nicht wieder aufgeklart, sondern war noch immer bedeckt; die Wolken verhüllten die hoch aufragenden Berge, die Loch Torridon umringten, und nach wie vor peitschte der Sturm um die Burg herum, sein Zorn noch immer ungebrochen. Wenn er, James, sich umwandte, konnte er zu dem Turm hinaufsehen, in dem sein Urgroßvater und sein Großvater gestorben waren und erst kürzlich auch sein Vater und in dem er und Neil empfangen und geboren worden waren. Er konnte die wuchtigen Quadersteine hinter sich spüren, und ihm war beinahe so, als warteten sie, um zu sehen, wie er und Neil die Bedingungen der Legende erfüllten. Aberglaube, sagte er sich. Kein Schicksal, keine Prophezeiung, sondern purer Aberglaube. Wenn er doch nur restlos davon überzeugt wäre! Aber das war er eben nicht. Er kam sich vor wie ein Schauspieler auf einer Bühne. Er bildete sich ein, der Text, den er sprach, sei sein eigener, doch es gab gewisse Augenblicke, da fragte er sich, ob nicht in Wirklichkeit alles, was er tat – alles, was sie taten – von einer anderen Macht gelenkt wurde. Solange er sich zurückerinnern konnte, hatte James stets die Kraft der Legende gefühlt, hatte gewusst, dass er und Neil sich eines Tages ihrer unsichtbaren Macht würden stellen müssen. Der Clan hatte mit großer Aufmerksamkeit die Entwicklung der Zwillinge verfolgt, während sie heranwuchsen und ebenso groß und kräftig wurden wie ihr Vater, und hatte darauf gewartet, dass sich endlich erkennen ließ, aus welchem Holz die beiden Brüder geschnitzt waren. Alistair war allgemein respektiert worden, seine Söhne jedoch würden ihren Wert erst noch unter Beweis stellen müssen. James warf einen flüchtigen Seitenblick auf seine Gefährten. Die drei jungen Männer waren allesamt hoch gewachsen und schlank, aber da hörten die Ähnlichkeiten zwischen ihnen auch schon wieder auf. Der ruhige, ausgeglichene Duncan hatte das dunkelrote Haar und die grünen Augen seines Vaters geerbt, wohingegen die Zwillinge Alistairs schwarzes Haar und blaue Augen hatten. Und auch sein aufbrausendes Temperament, dachte James mit einem leisen Lächeln; das hatte ihre Großmutter oft genug beklagt. Ihre Mütter waren Schwestern, Anne und Isabel MacKenzie, und als die drei Jungen, die gleichaltrig waren, vierzehn gewesen waren, war Duncans Vater ganz plötzlich gestorben, woraufhin Duncan nach Torridon gekommen war, um bei den MacCurries aufzuwachsen. Alistair hatte den Jungen wie ein eigenes Kind aufgezogen und hatte ihm eine ebenso sorgfältige und umfangreiche Erziehung angedeihen lassen wie seinen Söhnen. Die Zwillinge konnten sich ein Leben ohne ihren redegewandten Cousin mittlerweile überhaupt nicht mehr vorstellen. Während ihrer Jugend war er ihnen stets ein gewitzter Verbündeter und Komplize gewesen und später, als sie älter wurden, ein treuer Freund und Gefährte.

„Es war eine schöne, feierliche Beerdigung“, sagte Neil jetzt leise.

„Ja, der gesamte Clan ist gekommen“, fügte Duncan hinzu. Er hielt einen Moment inne, als er von der Betrachtung seiner Schiffe aufblickte und seine Cousins der Reihe nach ansah. „Die anderen werden zweifellos auch bald eintreffen.“

James nickte. Duncan hatte recht. Abgesandte von den MacLeods und den MacKenzies, jenen Clans, deren Ländereien an die der MacCurries angrenzten, würden nach Torridon kommen, sobald sie die Nachricht von Alistairs Tod erreichte. Sie würden kommen, um der Familie des Verstorbenen einen Kondolenzbesuch abzustatten. Und um sich selbst ein Bild davon zu machen, wie es um den Mut und das Durchhaltevermögen des neuen MacCurrie-Oberhaupts bestellt war. Zwar würde Neil keine Überraschung für sie sein, denn die Clans kannten sich gegenseitig gut, aber die Männer würden dennoch kommen. Sie würden ihr Beileid aussprechen und Neuigkeiten mitbringen. Neuigkeiten von der Außenwelt. Und von einem drohenden Krieg. Schon seit Monaten waren Gerüchte in Umlauf; es hieß, auf dem Kontinent würden Truppen aufgestellt, und in der Heimat formiere sich heftiger Widerstand. Weder Schottland noch England waren mit James Stuart als König zufrieden gewesen, denn er hatte sich als ein schlechter Führer erwiesen und war in vielen Kreisen auf massive Ablehnung gestoßen. Beide Länder waren den Aufruhr und die Unruhe, die seine Herrschaft mit sich gebracht hatten, mehr als leid. Aber nur wenige hatten tatsächlich damit gerechnet, dass Wilhelm von Oranien, King James‘ Schwiegersohn, ihn zum Kampf um den Thron herausfordern würde. Und dass Wilhelm dann auch noch siegen würde, wie es zumindest schon einmal in England geschehen war. Die Entscheidung über den schottischen Thron dagegen war noch nicht gefallen; darüber wurde derzeit noch in Edinburgh beratschlagt.

„Sie werden mit uns über den König sprechen wollen“, sagte Duncan.

„Über welchen?“, fragte Neil wehmütig. Wilhelm – oder auch William, wie die Briten ihn nannten – war mit seiner Armee im letzten November gelandet. Zuerst hatte es den Anschein gehabt, als würde King James gegen den Herausforderer kämpfen, doch bereits innerhalb eines Monats war James Stuart nach Frankreich geflohen, und im Februar waren William und seine Mary dann zum König und zur Königin von England ausgerufen worden. Nun wartete das königliche Paar zusammen mit ganz Britannien darauf, dass das schottische Freiparlament bei seiner in Edinburgh stattfindenden Versammlung zu Williams und Marys Gunsten entscheiden und ihr Recht auf Schottlands Thron ratifizieren würde. Die MacCurries hatten von dem ganzen Aufruhr nicht sonderlich viel Notiz genommen. Während in London und Edinburgh Tumult und Chaos an der Tagesordnung waren und jede Menge politischer Intrigen gesponnen wurden, hatte Torridon nach innen geschaut und voller Sorge beobachtet, wie sein Gutsherr allmählich dahinsiechte. Jetzt jedoch – ob sie es nun wollten oder nicht – war es für sie höchste Zeit, sich anderen Dingen zuzuwenden und wieder am Weltgeschehen teilzunehmen. Keiner der beiden Zwillinge hegte auch nur das geringste Bedürfnis, in einen Machtkampf um den schottischen Thron verwickelt zu werden, doch möglicherweise blieb ihnen da gar keine andere Wahl. Jeden Tag konnte es jetzt nämlich so weit sein, dass das schottische Freiparlament entschied, welchen König es zu akzeptieren gedachte, und im Anschluss daran würden die Highland-Clans zusammenkommen, um ihrerseits zu einer Einigung darüber zu gelangen, ob sie diese Parlamentsentscheidung anerkennen oder ob sie dagegen opponieren sollten. Zu genau diesem Zweck war eine Versammlung der Clans auf Dunfallandy Castle geplant.

„Die Versammlung findet in zwei Wochen statt“, sagte James. Neil nickte. „Wir müssen unbedingt dabei sein.“

„Ja.“ Duncan verschränkte die Arme vor der Brust. „Also, wen von euch beiden werde ich zu dem Treffen begleiten?“ Neil und sein Zwillingsbruder blickten einander für einen kurzen Moment in die Augen, dann sah Neil wieder seinen Cousin an.

„Jamie“, erklärte er.

„Ja, das halte ich auch für das Beste“, pflichtete Duncan ihm bei. „Du solltest besser hier sein.“ Um etwaige Nachzügler zu begrüßen, die um seinen Vater trauern wollten. Aber es gab auch noch einen anderen, wesentlich wichtigeren Grund für Neil, vorerst zu Hause zu bleiben. Ein Machtwechsel innerhalb eines Clans war nämlich grundsätzlich eine gefährliche Zeit und daher schwerlich der geeignete Augenblick für das neue Clanoberhaupt, um auf Reisen zu gehen. Und angesichts der Tatsache, dass Krieg in der Luft lag, wäre es sogar noch törichter und riskanter, das MacCurrie-Territorium unbewacht zu lassen.

„Wirklich ein Jammer, dass wir nicht per Schiff nach Dunfallandy reisen können. Wir werden wohl oder übel reiten müssen, und ihr wisst ja, wie ich Pferde liebe.“ Duncan seufzte laut, während er auf seine Schiffe hinunterblickte. „Wann brechen wir auf?“

„Ihr werdet eine Woche für die Strecke brauchen“, sagte Neil, dann tauschte er einen langen, beredten Blick mit James. Die Legende, dachte James, als er Neils unausgesprochene Botschaft empfing. Laut der Legende würden die Zwillingsbrüder den Clan in den Krieg führen und ihm dann einen fünfzig Jahre währenden Frieden bescheren. Und Krieg war genau das Thema, über das die Clans sich in Dunfallandy beraten würden.

„Ihr wisst, dass ich es überhaupt nicht leiden kann, wenn ihr das da tut“, sagte Duncan in mildem Ton. „Unterhaltet euch bitte laut.“

James blickte von seinem Bruder zu seinem Cousin hinüber. „Wir denken gerade an die Legende und an all das Gerede, das es geben wird, wenn es zu einem Krieg kommt.“

Duncan grunzte. „Es hat auch so schon eine Menge Gerede gegeben. Alle beobachten euch hier, und auf der Versammlung werden sie das Gleiche tun. Fergusson hat ausdrücklich die Clan-Oberhäupter eingeladen, nicht bloß irgendwelche Stellvertreter. Er wird also erwarten, dass Neil zu dem Treffen erscheint, und der Mann ist schnell beleidigt.“ „Richtig“, erwiderte Neil, „und aus diesem Grund wird Neil auch kommen.“

Duncan ließ seinen Blick von Neil zu James schweifen und wieder zurück. „Ah, ich verstehe! Jamie wird mit mir reisen, aber offiziell wird es Neil sein, der an der Versammlung teilnimmt. Gut! Hier wird keiner etwas anderes sagen, und dort kann euch sowieso keiner außer mir auseinander halten. Es wird garantiert klappen.“

James blickte schweigend zu dem Turm der Burg hinauf und fühlte dabei die Bürde von Generationen auf seinen Schultern lasten. Dann wandte er den Kopf, um seinem Bruder in die Augen zu sehen. Die Blicke der Zwillinge trafen sich und hielten einander noch für einen Moment länger fest.

Netherby, Schottland

Lächelnd beobachtete Ellen Graham ihre ältere Schwester und stemmte die Hände in die Hüften. „Flora, um Himmels willen, hör endlich auf, so wild herumzutanzen!“

Flora unterbrach ihr übermütiges Herumwirbeln vor dem Spiegel und blieb für einen Moment stehen, um ihrem Spiegelbild zuzulächeln. Ihre wippenden braunen Locken legten sich um ihre rosigen Wangen, und ihre Röcke, die eben noch wild um sie herumgeflogen waren, glätteten sich langsam wieder. „Aber ich heirate doch heute! Wie kann ich da nicht tanzen, Ellen?“ Ellen lachte. „Ja, du hast ja vollkommen recht, wenn das kein Grund für Freudentänze ist! Selbst die Sonne ist herausgekommen, um dir beim Feiern zu helfen. Heute haben wir zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit wieder einen klaren, wolkenlosen Himmel.“

„Das liegt eben daran, dass heute mein Hochzeitstag ist“, erwiderte Flora, während sie Ellen über ihre Schulter hinweg ansah. „Endlich! Was meinst du, wird Tom mein Kleid gefallen?“ „Er wird von deinem Kleid begeistert sein. Aber er würde dich auch dann heiraten, wenn du einen alten Kartoffelsack anhättest.“

„Ja, das würde er, nicht wahr? Wahrscheinlich würde er den Unterschied noch nicht einmal bemerken.“

„Tom will dich ganz einfach nur heiraten. Er liebt dich schon seit der Zeit, als wir alle noch Kinder waren.“

„Und ich liebe ihn auch bereits seit damals. Das war mir nur lange Zeit überhaupt nicht bewusst. Vater hatte schon recht.“ Ellen seufzte. Jahrelang hatte ihr Vater Flora immer wieder erklärt, dass sie niemals einen Mann finden würde, der sie noch inniger liebte als Tom Stuart. Doch Flora – ein klein wenig überheblich geworden durch die große Aufmerksamkeit, die den drei Graham-Schwestern bei ihrer Einführung in die Gesellschaft von Edinburgh und Dundee zuteil geworden war – war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich zu amüsieren, um sich noch an den Jungen zu erinnern, der sie schon ihr ganzes Leben lang angehimmelt hatte. Tom dagegen, der mit einer Geduld gesegnet war, die Ellen niemals verstand, hatte unerschütterlich darauf gewartet, dass Flora die vielen Bälle und Gesellschaften eines Tages doch einmal satt bekam und einwilligen würde, seine Ehefrau zu werden. Das hatte sie dann im vergangenen November auch endlich getan – nur um unmittelbar darauf erleben zu müssen, wie Tom, ein Offizier in der Truppe ihres Cousins John, dazu abkommandiert wurde, mit King James‘ Armee nach Süden zu marschieren, in der Erwartung, den Einmarsch Wilhelm von Oraniens abzuwehren. Flora, blind und taub gegen die Weltereignisse, war zutiefst erschrocken gewesen, war dann jedoch – als sich herausstellte, dass King James nach Frankreich geflohen und seine Armee in alle Himmelsrichtungen versprengt war – die Einzige im Graham‘schen Haushalt gewesen, die hocherfreut auf diese Nachricht reagierte. Jetzt, sechs Monate später, wollten Tom und Flora trotz der unsicheren Zeiten, die vor ihnen lagen, nun endlich den Bund fürs Leben schließen. Zwar verlor keiner in der Familie ein Wort darüber, und schon gar nicht gegenüber Flora, doch fast alle machten sich Sorgen darüber, was aus einem Offizier werden würde, der in der Armee eines entthronten Königs gedient hatte. Nur Flora – und ihr Cousin John – schienen der Zukunft optimistisch entgegenzusehen.

„Meine Hochzeit wird so ganz anders sein als Margarets“, verkündete Flora. „Ich kann es immer noch nicht ganz fassen, dass sie lediglich Freunde besuchen ging, sich dort dann aber in einen vollkommen Fremden verliebte und ihn praktisch auch noch vom Fleck weg heiratete! Ausgerechnet Margaret, der ernsteste Mensch der Welt!“

„Der wählerischste Mensch der Welt“, entgegnete Ellen. „Sie hat mir einmal erzählt, ihr sei schier das Herz stehen geblieben, als sie Hugh zum ersten Mal sah.“

„Das ist keine Liebe“, erklärte Flora selbstgefällig. „Liebe ist das, was ich für Tom empfinde.“

Ellen lächelte vor sich hin. Wie anders doch alles gekommen war, als sie, Ellen, sich die Dinge früher manchmal ausgemalt hatte! Die vernünftige, praktische Margaret hatte im vergangenen Jahr ihr Herz an Hugh MacDonnel verloren und lebte jetzt in Glengarry in den wilden westlichen Highlands, im Begriff, ihr erstes Kind zur Welt zu bringen. Und die kapriziöse Flora würde heute ihren Tom heiraten; und sie hatte die Absicht, mit ihrem Ehemann in der Nähe von Netherby zu leben, und nicht etwa in London, so wie sie es ursprünglich eigentlich immer vorgehabt hatte. Ellen erhaschte einen Blick auf ihr eigenes Spiegelbild und verglich sich insgeheim mit ihren beiden Schwestern. Flora war die Hübsche, Margaret die Vernünftige. Und sie, Ellen? Sie betrachtete ihr dunkelbraunes Haar, die geschwungenen Augenbrauen. Ich bin ganz Ecken und Kanten, dachte sie. Ihre Wangenknochen waren zu stark ausgeprägt, ihr Mund zu breit. Sie war nicht schön; sie war noch nicht einmal wirklich hübsch oder besonders klug; sie war ganz einfach nur die Jüngste.

„Du wirst die Nächste sein“, sagte Flora.

Ellen lachte. „Ich bin ja auch die Einzige von uns dreien, die noch übrig ist.“

„Wen wirst du wohl heiraten?“, überlegte Flora laut. „Wie wär‘s mit Evan?“

„Ach, nun hör schon auf! Ausgerechnet Evan! Den kann man nun wirklich nicht ernst nehmen. Der wartet doch nur darauf, dass sein Großvater stirbt und ihm sein Geld hinterlässt. Nicht gerade das, was ich mir unter einem Ehemann vorstelle.“

„Wenn er dann aber erbt, wird er sehr reich sein.“

„Schon. Aber er wird trotzdem immer noch Evan sein.“

„Das stimmt. Wie wär‘s dann mit David Grant?“

„Oh nein, nicht du auch noch! Tante Bea ist der Meinung, David sei perfekt für mich.“

„Er ist sehr gut aussehend.“

„Das ist unser Stiefvater auch. Das Äußere eines Mannes spiegelt aber nicht unbedingt seine inneren Eigenschaften wider.“

Flora riss in gespieltem Erstaunen die Augen auf. „Was du nicht sagst!“

„Na ja, es stimmt aber! Wir alle waren zu Anfang auch sehr von Pitney angetan. Wir fanden ihn attraktiv und überaus charmant, als er Mutter den Hof machte. Und wir dachten, er würde auch zu uns nett sein.“

„Statt sich dann am Ende als Ekel zu entpuppen. Er ist ein grässlicher Mann. Ich hasse es, wenn er versucht, den Höflichen zu mimen. Da finde ich es doch immer noch erträglicher, wenn er so schroff ist wie sonst immer. Ist er eigentlich jemals froh und zufrieden?“

„Er ist zumindest schon einmal sehr froh darüber, dass du Tom heiratest.“

Flora runzelte nachdenklich die Stirn. „Ja, das ist er, das stimmt. Wieso eigentlich?“

„Ach, nun komm schon, Flora! Das ist doch nun wirklich nicht schwer zu erraten“, sagte Ellen. „Noch eine Tochter glücklich losgeworden! Er ist geradezu außer sich vor Entzücken, dass nun auch du endlich aus dem Haus sein wirst. Jetzt muss er nur noch mich unter die Haube bringen, und dann wird er restlos zufrieden sein. Ist dir eigentlich noch nicht aufgefallen, dass er mir ständig irgendwelche Männer aufzudrängen versucht? Er kann es kaum erwarten, dass ich einen von ihnen heirate und von zu Hause fortziehe. Und dabei sind sie alle alt genug, um unser Vater oder sogar unser Großvater zu sein. Es gibt hier niemanden, der in unserem Alter ist.“

„Doch. David.“

„Abgesehen von David. Der Catherine heiraten wird, wie sie behauptet.“

„Sie sagt, er hat sie bloß noch nicht offiziell gefragt.“

„Das wird für beide die ideale Verbindung sein“, meinte Ellen. „Sie betet ihn an. Er betet ihr Geld an. Und sie wird dafür sorgen, dass er immer das angenehme und sorgenfreie Leben führen kann, das er so sehr liebt. Nein, da werde ich doch lieber schön hier zu Hause bleiben und Pitney vor lauter Frust in den Wahnsinn treiben.“

„Ich verstehe Pitney einfach nicht. Wieso ist er eigentlich so erpicht darauf, mit Mutter allein zu sein? Hast du etwa den Eindruck, dass die beiden glücklich miteinander sind?“

Ellen schüttelte den Kopf. „In letzter Zeit nicht mehr, nein. Zu Anfang war Mutter glücklich, aber nicht seit dem letzten Jahr, so viel steht auf jeden Fall fest. Und wohin geht er eigentlich immer? Andauernd verschwindet er.“ Sie seufzte. „Es ist kaum zu glauben, dass sie nun schon seit drei Jahren verheiratet sind.“

„Und dabei kannten sie sich vorher erst sechs Monate.“ Ellen sah Flora im Spiegel in die Augen. „Das war ausgesprochen dumm von Mutter. Sie hätte ihn niemals heiraten sollen.“

„Nein. Was glaubst du wohl, warum sie das getan hat?“

„Weil sie einsam war. Pitney war ein attraktiver und charmanter Mann. Es war schon etliche Jahre her, dass Vater gestorben war. Und sie war es wohl schlicht und einfach leid, immer allein zu sein.“

„Ich vermute mal, sie wollte nicht so sein wie Tante Bea.“ „Bea ist anders. Sie hat nie geheiratet.“

„Aber sie hätte es getan, Ellen. Wenn ihr Galan nicht gestorben wäre, hätte sie ihn geheiratet und Kinder bekommen. Übrigens – findest du, ich sollte meine Frisur verändern?“ Ellen lächelte. „Nein. Die ist perfekt. Und der heutige Tag wird auch perfekt sein.“ Beide Mädchen wandten sich um, als plötzlich die Tür aufging und Rose, ihre Mutter, und Großtante Bea hereinkamen, gefolgt von Britta, dem jungen Mädchen, das erst kürzlich zu Ellens Kammerzofe befördert worden war. Britta hatte einen leicht ängstlichen Ausdruck in den Augen, und Ellen lächelte ihr beruhigend zu. Sie mochte das Mädchen, das ausgesprochen liebenswert war und sich immer so eifrig darum bemühte, einen guten Eindruck zu machen. Rose küsste jede ihrer beiden Töchter und lachte dann amüsiert, als Flora plötzlich lossprudelte und aufgeregt über ihr Kleid und ihre Frisur zu reden begann. Währenddessen geleitete Ellen Bea fürsorglich zu einem Sitzplatz am Fenster.

„Mir geht‘s gut, wirklich, mir geht‘s ausgezeichnet“, sagte Bea. „Flora, du siehst bildhübsch aus.“

„Danke, Tante Bea“, erwiderte Flora.

„Ja, nicht wahr?“, meinte Rose. „Alle meine Töchter sind bildhübsch.“

„Oh, und ob sie das sind, Madam!“, rief Britta enthusiastisch, dann errötete sie und machte ein zutiefst entsetztes Gesicht. Rose lachte. „Ich bin vollkommen deiner Meinung, Britta.“

„Ich doch auch“, warf Bea ein, dann lehnte sie sich bequem gegen die Kissen zurück. „Mir geht‘s schon wieder sehr viel besser, als deine Mutter zugeben will“, sagte sie in gedämpftem Ton zu Ellen.

„Du warst immerhin sehr krank“, erwiderte Ellen.

„Stimmt, das war ich. Ich muss gestehen, dass selbst ich es mit der Angst zu tun bekommen habe.“ Plötzlich grinste Bea spitzbübisch. „Ich habe sogar mein Testament aufgesetzt; ich hinterlasse mein gesamtes Hab und Gut Pitney.“

Ellen lachte. „Das bezweifle ich nun aber doch stark.“

„Ich auch. Kann den Mann nämlich nicht ausstehen.“ Sie tätschelte wohlwollend Ellens Hand. „Jetzt dauert es bestimmt nicht mehr lange, und dann bist auch du verheiratet. Du solltest David heiraten. Das habe ich dir ja schon oft gesagt.“

„Und ich habe dir schon genauso oft gesagt, dass ich ihn niemals heiraten werde. Er macht sich nichts aus mir, und ich mache mir nichts aus ihm.“

„Er selbst empfindet aber offenbar ganz anders, Kind. Er scheint sich doch sehr für dich zu interessieren. Schon seit Jahren.“

Ellen schüttelte den Kopf. „Wenn David wirklich ernsthaftes Interesse an mir hätte, dann würde er nicht gleichzeitig auch noch Catherine den Hof machen. Er umwirbt mich doch nur, um Catherine eifersüchtig zu machen.“

Bea seufzte schwer. „Ich würde dich so gerne gut verheiratet wissen. Ich wünsche mir jemanden für dich, der in der Lage ist, dich dein ganzes Leben lang zu umsorgen und zu verwöhnen.“

Ellen lächelte. „Wäre das nicht herrlich?“

Bea nickte, dann schob sie den Vorhang am Fenster ein kleines Stück zur Seite, um in den Hof hinunterzuspähen und zu sehen, wen die Lakaien dort unten gerade empfingen.

„John ist gekommen“, sagte sie und wiederholte die Neuigkeit dann gleich noch einmal Rose gegenüber. „Mit zehn Männern. Wenigstens ist er so klug, zu erkennen, dass er eine Zielscheibe ist.“

Rose blickte von Bea zu Ellen. „Nun geh schon und heiße ihn willkommen, Kind. Ich weiß doch, dass du das gerne möchtest. Wir anderen werden auch gleich unten sein.“

Ellen lächelte, als sie zur Eingangshalle hinuntereilte. Sie freute sich immer sehr, John zu sehen. Für die Leute mochte er zwar John Graham of Claverhouse sein, der kürzlich eingesetzte Viscount von Dundee, der im Mittelpunkt eines politischen Dramas stand, das ganz Schottland in seinen Bann zog, doch für sie, Ellen, war er schlicht und einfach ihr Lieblingscousin. Denn John war immer nett zu ihr gewesen; bereitwillig hatte er mit ihr, als sie heranwuchs, über Politik diskutiert, obwohl Ellen sehr viel jünger war als er, und nie hatte er ihr Interesse an derartigen Themen herabgewürdigt oder sich geweigert, ihre Fragen zu beantworten. Er hatte etliche Jahre in King James‘ Armee gedient, war während dieser Zeit mehrfach befördert und mit zusätzlichen Aufgaben betraut worden, von denen einige sowohl unbeliebt als auch gefährlich gewesen waren. Im vergangenen November, als William in das Land einzumarschieren drohte, hatte King James seine Armee in den Süden beordert. Daraufhin hatte John sich mit seinem Regiment sogleich auf den Weg gemacht und dabei auch Tom Stuart mitgenommen, einen seiner bewährtesten und vertrauenswürdigsten Offiziere, was bedeutete, dass Floras und Toms Hochzeit verschoben werden musste. Als King James dann vor einigen Wochen seine Armee plötzlich wieder auflöste, hatte auch John seine Männer notgedrungen nach Hause geschickt. Und Flora hatte darauf bestanden, dass nun trotz all des Geredes von einem drohenden Krieg unverzüglich Vorbereitungen für ihre Hochzeit getroffen wurden. Nur wenige unter denjenigen, die John Graham gut kannten, erwarteten von ihm, dass er tatenlos und ohne zu murren zuschauen würde, wie King James seinen Thron an William verlor. Bereits zu Beginn der Parlamentsversammlung hatte es zahllose wilde Vermutungen darüber gegeben, was John wohl unternehmen würde, und diese Spekulationen waren sogar noch stärker angeheizt worden, als er die Versammlung plötzlich verließ, nachdem die überwältigende Mehrheit der Mitglieder William zu unterstützen schien. Schon bald darauf verbreitete sich die Nachricht, dass John zu einem Treffen mit einigen der Highland-Clans geritten war, die nach wie vor für King James eintraten. Es gab sogar Anzeichen dafür, dass Johns Aktivitäten – sobald William König wurde – als verräterisch gelten könnten. Seine Tage als ranghoher Offizier und Mann von Einfluss und Ansehen, so behaupteten die Klatschmäuler, waren zumindest schon einmal gezählt. Und schlimmstenfalls… Doch Ellen weigerte sich energisch, auch nur daran zu denken. John und seine innig geliebte Ehefrau Jean waren im Begriff, Eltern zu werden. Sicherlich konnte ihnen doch wohl nicht ausgerechnet jetzt ein Unheil widerfahren? Ellen entdeckte ihren Cousin unten in der Halle, umringt von einer kleinen Gruppe seiner Männer; er hielt den Rücken kerzengerade, und die dunkelgrüne Kleidung, die er trug, betonte seinen schlanken Körper. Ellen hatte ihn schon immer ausgesprochen attraktiv gefunden, mit seinen dichten dunklen Locken und den ebenmäßigen Zügen. John sah eigentlich nicht wie ein Soldat aus – er war eher zierlich gebaut und nicht sonderlich groß -, aber er hatte sich als überaus furchtlos erwiesen, als ein mutiger, tatkräftiger Truppenkommandant und eine typische Führernatur. Und außerdem als ein treuer Diener und Anhänger von König James – heutzutage allerdings eine gefährliche Eigenschaft. John blickte auf, als Ellen ihn rief, und sein Gesicht wurde von einem freudigen Lächeln erhellt. Jubelnd warf sie ihm die Arme um den Hals, und er lachte und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, als er sie umarmte.

„Bei dir kann ich mir doch immer sicher sein, dass du mir einen herzlichen Empfang bereiten wirst, Cousine!“, sagte er. „Ich freue mich ja auch immer so, dich zu sehen. Wir waren uns nicht sicher, ob du kommen würdest oder nicht.“

„Zu Miss Floras und Toms Hochzeit? Die würde ich doch niemals versäumen! Wie geht es der Braut denn?“

„Ausgezeichnet. Sie ist sehr glücklich. Und wie geht es Jean?“ „Sehr gut, wenn man bedenkt, dass sie kurz vor der Niederkunft steht. Trotzdem, auch wenn sie weiter keine Beschwerden hat, ist sie die ganze Prozedur jetzt doch langsam leid.“

„Das glaube ich gerne.“ Ellen beugte sich näher zu ihm und senkte die Stimme. „Was gibt es Neues, John? Wo hast du in der Zwischenzeit gesteckt?“

Er grinste sie verschmitzt an. „Zu Hause, bei meiner Frau, wo denn sonst? Schließlich bin ich im Begriff, Vater zu werden.“ „Noch nicht; das wird noch ein paar Wochen dauern. Und ich weiß, dass du nicht zu Hause gewesen bist. Jean schrieb mir nämlich, dass sie wegen des Babys nicht kommen könnte und dass du anderswo wärst. Was wird jetzt geschehen?“

Johns Gesichtsausdruck wurde schlagartig ernst. „Das Parlament wird sich für William entscheiden, Ellen. Sie werden ihm den Thron anbieten.“

„Und was dann?“

„Wir werden erst einmal abwarten und sehen, wie Schottland darauf reagiert. Wenn allerdings niemand gegen die Entscheidung Einspruch erhebt, wird William König sein.“

„In England ist er das ja bereits.“

Johns Augen verengten sich zu Schlitzen. „Es gibt nur einen rechtmäßigen König von England, und der heißt James Stuart. William ist ein Thronräuber!“

„Diesen Standpunkt zu vertreten, ist aber ziemlich gefährlich.“

„Richtig. Und wenn ich mit meinen Bemühungen Erfolg habe, wird es sogar noch gefährlicher.“

„Du willst Truppen für King James aufstellen!“

„Wir werden sehen, wie viel Unterstützung ich finde.“

„John! Herzlich willkommen!“

Ellen und John wandten sich um und sahen Pitney Malden in der Tür stehen. Er kam auf sie zu, die Hand zur Begrüßung ausgestreckt. Sein welliges dunkles Haar schimmerte seidig im Licht, um seinen Mund spielte ein breites Lächeln, doch seine Augen waren von einem kalten, harten Funkeln erfüllt. „Herzlich willkommen daheim in unserem Teil der Welt! Wie läuft es mit der Parlamentsversammlung in Edinburgh? Wer wird denn nun König werden?“

„Die Versammlung wird sich für William entscheiden“, erklärte John mit ruhiger Stimme.

„Hast du King James gesehen? Was sagt er zu dieser ganzen Sache?“

John schüttelte verneinend den Kopf. „Ich habe ihn schon seit kurz nach dem Tag, an dem William landete, nicht mehr gesehen. Er war wie in Trance, kaum ansprechbar. Er konnte es einfach nicht fassen, dass sein Schwiegersohn und seine eigene Tochter tatsächlich versuchten, sich seines Thrones zu bemächtigen. Und dann tat sich auch noch Prinzessin Anne mit den beiden zusammen. Als der König davon erfuhr, platzte ihm ein Blutgefäß im Kopf. Seitdem ist er nicht mehr der, der er einmal war.“

„Es ist eine traurige Geschichte“, warf Ellen ein.

„Genug, Ellen.“ Pitney bedachte sie mit einem missbilligenden Blick. „Du solltest dich zu diesem Thema besser nicht äußern.“ „Es ist aber doch so faszinierend“, gab Ellen zurück, bemüht, einen ruhigen, gelassenen Ton beizubehalten. „Was in Edinburgh passiert, wird unser aller Zukunft verändern.“

„Du vergisst, dass du eine Frau bist, Ellen“, erwiderte Pitney verächtlich. „Du solltest grundsätzlich nicht über Politik diskutieren. Du weißt doch überhaupt nicht, wovon du sprichst.“

Das Schweigen, das sich auf seine Bemerkung hin in der Halle ausbreitete, war fast greifbar. Johns Männer entfernten sich ein paar Schritte, wichen unwillkürlich in den Hintergrund zurück, und einige von ihnen tauschten vielsagende Blicke. Ellen presste die Lippen aufeinander, angestrengt darum bemüht, nicht die hitzigen Worte auszusprechen, die ihr gerade durch den Kopf geschossen waren.

„Ellen weiß ebenso viel über Politik wie jeder andere, den ich kenne, Pitney“, sagte John betont ruhig. „Aber nur wenige, ganz gleich, ob nun Frau oder Mann, können sich so klug darüber unterhalten wie sie.“

„Du bist Soldat, Dundee“, erwiderte Pitney. „Von dir erwarte ich auch nichts anderes, als dass du diese Dinge erörterst. Aber Ellen sollte das nicht tun; sie sollte sich besser aus solchen Diskussionen heraushalten. Es schickt sich einfach nicht für sie. Und es ist darüber hinaus einer der Gründe dafür, dass sie noch immer unverheiratet ist. Sie ist unweiblich.“

Ellen fühlte, wie ihr jäh die Kinnlade heruntersank und sich auf ihren Wangen eine heiße Röte ausbreitete. Sie wollte gerade etwas Passendes erwidern, doch ihre Mutter – die sich, ohne dass Ellen etwas davon bemerkt hatte, zu ihnen gesellt hatte – kam ihr zuvor.

„Jetzt reicht es, Pitney!“, sagte Rose in eisigem Ton. „Ellen ist alles andere als unweiblich. Meine Tochter ist perfekt.“ Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und führte Ellen fort. 
„Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll, Kind“, meinte Rose, als sie auf der Treppe allein waren. „Manchmal ist Pitney ganz wundervoll; aber manchmal ist er auch ausgesprochen abscheulich, so wie gerade eben. Es tut mir sehr leid, dass er dich so behandelt hat.“

Ellen zwang sich zu einem Lächeln. „Ist schon in Ordnung, Mutter. Mit geht‘s gut.“

„Ich kann dich unmöglich mit ihm allein lassen. Ich werde morgen lieber nicht zu meinem geplanten Besuch bei Margaret fahren.“

„Mutter! Margaret braucht dich jetzt, und du wolltest doch so gerne bei ihr sein, wenn sie ihr Kind bekommt. Fahr du nur! Es ist alles für deine Reise vorbereitet. Und sowohl Margaret als auch Flora werden sich gekränkt fühlen, wenn du hier bei mir bleibst. Ich werde prima allein zurechtkommen, wirklich. Pitney kann sagen, was er will; ich bin fest entschlossen, mich nicht davon beeinträchtigen zu lassen.“ Rose nickte, doch Ellen wusste, dass ihre Mutter ihren tapferen Reden nicht so recht glauben konnte.

2

Stolz stand Ellen an der Seite ihrer Schwester Flora, als diese mit Tom getraut wurde. Sie liebte diese hübsche kleine Steinkirche mit dem hohen, mit Holzschindeln gedeckten Dach und den Kirchenbänken aus goldbrauner Eiche. Die Luft war erfüllt von dem Duft nach frischen Blumen und Bienenwachs, die Szene vor dem Altar in einen leicht bläulichen Schein getaucht, erzeugt durch das Sonnenlicht, das durch die Buntglasfenster zu beiden Seiten der Kapelle hindurchsickerte. Schon ihre Eltern und Großeltern hatten hier einst den Bund fürs Leben geschlossen, und Ellen freute sich, dass Flora diese Tradition nun fortsetzte. Wer weiß, vielleicht würde sie, Ellen, ja auch eines Tages hier heiraten.

Nach der Trauung führten Flora und Tom den Hochzeitszug wieder zurück nach Netherby Hall; in ausgelassener Stimmung schritten sie unter den hohen Bäumen dahin, die den Weg von der Kapelle zum Haus säumten, während ihr Gelächter durch den flirrenden Sonnenschein an Ellens Ohr drang. Am Rande des ausgedehnten Rasens, der sich vor ihrem Zuhause erstreckte, blieb Ellen für einen Moment stehen, um das Haus zu betrachten, das ihr Urgroßvater erbaut hatte.

Wie ein Hort der Ruhe und des Friedens ragte Netherby Hall vor ihr auf: ein prachtvolles, viergeschossiges, Würde und Erhabenheit ausstrahlendes Gebäude aus grauem Stein, das seine Flügel zu beiden Seiten der Vordertreppe ausbreitete. Die üppigen Blumen, die aus den Gartenkrügen neben der Tür quollen, waren die einzigen heiteren Farbtupfer in einer Landschaft, in der noch immer die tristen Schattierungen des Winters vorherrschten.

Bald jedoch würde sich wieder neues Leben regen, bald würden die Bäume wieder ausschlagen und vor frischen jungen Schösslingen nur so wimmeln. Neuanfänge, dachte Ellen und drehte sich um, um zu beobachten, wie Flora und Tom – ihre miteinander verschränkten Hände hoch erhoben – die Vordertreppe hinaufstiegen und sich dann der versammelten Hochzeitsgesellschaft zuwandten. Tom dankte allen dafür, dass sie zu seiner und Floras Hochzeit gekommen waren, dann beugte er sich zu seiner Braut hinüber, um ihren Mund mit einem Kuss zu nehmen, bei dessen Anblick nicht wenigen unter den Zuschauern der Atem stockte.

Genau das wünsche ich mir auch. Ellen hob unwillkürlich eine Hand an ihren Hals, erstaunt über das sehnsüchtige Verlangen, das so plötzlich in ihr aufgestiegen war. Sie wollte genau das haben, was Flora und Tom hatten, das, was auch Margaret und Hugh gefunden hatten – eine Leidenschaft, die diejenigen, die liebten, verwandelte. Und mit weniger werde ich mich nicht zufrieden geben.

Auf der Kuppe der Anhöhe brachte James sein Pferd zum Stehen. Duncan zügelte ebenfalls sein Tier und hielt neben James an. Dann saßen die beiden Cousins einige Augenblicke lang schweigend in ihren Sätteln und betrachteten das enge, stille Tal, das sich unter ihnen erstreckte. Von Frühling war hier bisher noch keine Spur zu entdecken; die Felshänge waren noch immer mit Schnee bedeckt. Die erste Nacht nach ihrem Aufbruch aus Torridon hatten sie in der Kate eines Kleinbauern verbracht, wo sie auf dem nackten Fußboden geschlafen hatten; die zweite waren sie in einem überfüllten Gasthof eingekehrt. Beide Tage hatten für sie bereits im Morgengrauen begonnen und erst lange nach Einbruch der Nacht geendet, und auch am heutigen, dritten Tag ihrer Reise würde das nicht anders sein. Es würde ziemlich spät werden, bis sie endlich in Inverness eintrafen, aber dort würden sie eine herzhafte Mahlzeit und ein sauberes Bett erwarten – Annehmlichkeiten, die ihnen nur allzu willkommen wären. Bis sie ihr endgültiges Ziel, Dunfallandy, erreichten, würde es dann wohl noch fünf weitere Tage dauern.

„Ich kann schon das Meer riechen“, sagte Duncan mit einem breiten Grinsen.

„Reines Wunschdenken.“

Duncan schüttelte den Kopf. „Nein, wirklich, Jamie, ich kann das Meer riechen. Es ist ganz in der Nähe. Und ich werde verdammt froh sein, endlich von diesem Gaul runterzukommen. Dagegen ist ein Schiff doch wirklich erheblich komfortabler.“ James sah die Müdigkeit, die sich im Gesicht seines Cousins abzeichnete. „Danke, dass du mit mir gekommen bist.“

Duncan zuckte die Schultern. „Du und Neil und ich geben uns doch nun schon seit langer Zeit gegenseitig Rückendeckung.“ „Und auch dafür bin ich dir dankbar.“

„Ich weiß. Außerdem hatte ich eurem Dad doch auch versprochen, dass ich auf euch beide Acht geben würde.“ Duncan seufzte. „Habt ihr zwei eigentlich schon jemals darüber nachgedacht, wie froh und dankbar ich war, dass ihr mich damals aufgenommen habt? Nicht ein einziges Mal habt ihr mir vorgehalten, dass ich bloß ein Neffe eures Vaters war und kein Sohn.“

„Wir haben das nie so empfunden.“

„Eben. Genau das meine ich ja. Ich versuche, dir begreiflich zu machen, dass ich verstehe, wie sehr du um ihn trauerst. Und auch, wenn ich ihn natürlich ebenfalls sehr geliebt habe, so war er doch trotzdem mein Onkel und nicht mein Vater. Außerdem habe ich auch nicht einfach zuschauen müssen, wie mein Bruder ein Königreich erbt.“

James schüttelte den Kopf. „Ich habe Neil den Titel niemals missgönnt.“

„Ja, das weiß ich. Und das, Jamie, alter Kumpel, ist ein weiterer Grund dafür, weshalb ich hier bin. Wir drei passen aufeinander auf. Genau deshalb bin ich hier.“

James schluckte hart. „Danke.“

Duncan straffte die Schultern und hob die Zügel. „Ich gehe doch mal davon aus, dass es in Inverness ein paar hübsche Mädchen gibt. Das ist nämlich der wirkliche Grund, weshalb ich mitgekommen bin, wenn du die Wahrheit wissen willst.“

James lachte. „Wir sind noch immer eine ganze Strecke von der See entfernt, Duncan.“

„Irrtum, wir sind nahe dran, lass dir das gesagt sein! Du wirst mir einen Whisky ausgeben, wenn ich recht habe.“

„In Ordnung, abgemacht.“ James ritt vor seinem Cousin den Hügel hinab und blickte dabei angespannt nach Osten. Innerhalb von Minuten sah er das Wasser des Beauly Firth im letzten Licht der Abendsonne glitzern. Verdammt, Duncan hatte also tatsächlich recht! Zum ersten Mal seit Wochen wurde es James wieder ein klein wenig leichter ums Herz.

Gleich am Morgen nach der Hochzeit und noch vor Tagesanbruch reiste John wieder ab, und Rose machte sich am Nachmittag desselben Tages auf den Weg, zusammen mit Flora und Tom. Die drei wollten gemeinsam nach Glengarry reisen, wo Rose dann so lange bei Margaret bleiben würde, bis ihr erstes Enkelkind zur Welt gekommen war. Flora und Tom wollten von dort aus ihre Hochzeitsreise fortsetzen, um Toms weit verstreut lebende Familie zu besuchen. Neun Tage nach dem Abschied von ihren Lieben bekam Ellen Besuch von David Grant; es war nun schon das vierte Mal, dass er in Netherby erschien, doch mit Nachrichten von John hatte er bisher leider noch nicht aufwarten können. Er und Ellen machten höfliche, aber belanglose Konversation, während sie über den Rasen schlenderten. Es war ziemlich kühl an diesem Nachmittag, aber die Sonne war so willkommen, dass Ellen die frische Brise nichts ausmachte. Mit jedem Tag, der verging, wurde die Landschaft ein klein wenig grüner, die Knospen an Bäumen und Sträuchern größer und saftiger, und hier und dort blühte sogar schon die eine oder andere Frühlingsblume. Ellen schaute einen Moment lang zu, wie die Wolkenschatten über das vor ihnen liegende Tal hinwegzogen, dann warf sie einen verstohlenen Seitenblick auf David. Laut ihrer Zofe, Britta, die ihre Information wiederum von dem jungen Lakaien, Ned, bezogen hatte, litt David an unerwiderter Liebe. Allerdings benahm sich David gar nicht wie ein verliebter Mann; tatsächlich schien er sich ebenso zu langweilen wie sie, Ellen, ganz so, als wartete er auf etwas.

„David“, sagte sie schließlich, „wir kennen uns nun schon seit Jahren. Und nach einer solch langen Zeit sollten wir doch eigentlich ehrlich miteinander sein können. Also, warum bist du hier?“

In seine Wangen stieg eine leichte Röte. „Ich bin gekommen, um dich zu sehen.“

„Warum?“

David öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder.

„David, warum machst du sowohl Catherine als auch mir den Hof?“

„Das ist nun wirklich kein passendes Gesprächsthema.“

„Es ist sogar ein äußerst passendes Thema. Catherine betet dich an, und das weißt du auch. Sie verdient es, dass du aufrichtig mit ihr bist, und das Gleiche gilt auch für mich. Also – warum wirbst du um uns beide?“

„Pitney ist der Ansicht, wir beide – du und ich – würden gut zusammenpassen.“

Ellen starrte ihn entsetzt an. „Wen ich heiraten werde, das entscheide immer noch ich, David, nicht Pitney. Und was ist mit Catherine?“

Davids Augen flackerten, er wandte seinen Blick von Ellen ab und starrte einen Moment lang schweigend über das Tal. „Darüber kann ich nicht mit dir sprechen“, murmelte er, machte auf dem Absatz kehrt und ging mit raschen Schritten davon. Verwirrt und aufgebracht lief Ellen hinter ihm her. „Warum nicht, David? Warum kannst du nicht mit mir darüber sprechen? Wen geht diese Sache denn wohl noch mehr an als mich?“ Aber er blieb nicht stehen. Ellen starrte auf seinen Rücken, während ihre Gedanken wie wild in ihrem Kopf umherwirbelten. Pitney hatte David etwas angeboten – aber was? Plötzlich sah Ellen im Geiste Pitney und Catherine vor sich, wie sie um David feilschten, und ihr wurde mit einem Mal ganz anders. David hatte bereits eine reiche Erbin am Bändel. Warum machte er da zugleich auch noch ihr, Ellen, den Hof – zu seinem eigenen Vorteil? Oder war es so, dass sie sich da bloß etwas zusammenfantasierte, dass sie sich das alles nur einbildete? Nein, es war keineswegs bloß Einbildung. Sie hatte etwas in seinen Augen gesehen, etwas, was sie noch nie zuvor an ihm beobachtet hatte, etwas Berechnendes. Eine Selbstgefälligkeit, die sie ärgerte. Aber was könnte Pitney ihm denn wohl bieten? Pitney besaß nur wenig eigenes Geld. Zwar hatte er die Verfügungsgewalt über alles, was Rose mit in die Ehe gebracht hatte, doch dieses Vermögen bestand aus Ländereien und aus Netherby Hall selbst, nicht aber aus Bargeld. Und warum sollte Pitney David überhaupt bestechen? Damit er sie, Ellen, heiratete? War es Pitney derart dringend mit seinem Bedürfnis, sie an den Mann zu bringen und somit endlich los zu sein? Langsam und tief in Gedanken versunken, kehrte Ellen zum Haus zurück. Sie stöhnte innerlich, als sie in der Eingangshalle prompt auf Pitney stieß, der gerade eine Nachricht las. Als sie zur Tür hereinkam, blickte er zerstreut auf und zerknüllte dabei den Zettel in seiner Hand. „Ellen, ich werde heute Abend mit ein paar Freunden auswärts dinieren. Soll ich nach Mr. Grant schicken und ihn bitten, dir beim Dinner Gesellschaft zu leisten?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke, Pitney.“

„Ich bin aber überzeugt davon, dass es ihm ein großes Vergnügen wäre, mit dir zu Abend zu essen.“

Ellen legte eine Hand auf ihren Magen. „Mir ist gar nicht gut. Ich könnte wirklich keinen Bissen hinunterbekommen.“

Pitney nickte. „Nun gut. Dann werde ich in der Küche Bescheid sagen, dass sie mit den Dinnervorbereitungen aufhören sollen.“ Ellen zwang sich, die Treppe betont langsam hinaufzugehen. Ihre Stimmung hatte sich schlagartig wieder gehoben. Himmlisch!, dachte sie; endlich mal ein Abend ohne Pitney. Und dass sie im Austausch dafür kein Abendessen bekommen würde, war nun wahrhaftig kein zu großes Opfer.