Das Lied der Mandelblüten - Patricia Matthews - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Lied der Mandelblüten E-Book

Patricia Matthews

0,0
4,99 €
1,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Liebe jenseits aller Konventionen: Die romantische Saga »Das Lied der Mandelblüten« von Patricia Matthews als eBook bei dotbooks. Kalifornien, Ende des 19. Jahrhunderts. Für den Mann, den sie liebt, hat sie alles geopfert: Gegen den Willen ihrer streng religiösen Familie hat die junge Laura den gutaussehenden Schauspieler Nickolas Orlando geheiratet und sich auf das verlockend abenteuerliche Leben an seiner Seite eingelassen. Aber auf eine kurze Zeit des Glücks folgt schon bald das unsanfte Erwachen, als Nick plötzlich verschwindet und Laura allein unter Fremden zurücklässt. Einzig der einfühlsame Will Adams steht Laura in ihrer Not zur Seite und bietet ihr an, sich seinem Zirkus anzuschließen. Für Laura beginnt eine aufregende Zeit unter Artisten und Schaustellern, zwischen dem Glanz der Manege und dem harten Leben auf der Straße – aber wird es ihr so gelingen, den untreuen Nick zu vergessen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das ebenso abenteuerliche wie romantische Epos »Das Lied der Mandelblüten von Patricia Matthews. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 471

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Kalifornien, Ende des 19. Jahrhunderts. Für den Mann, den sie liebt, hat sie alles geopfert: Gegen den Willen ihrer streng religiösen Familie hat die junge Laura den gutaussehenden Schauspieler Nickolas Orlando geheiratet und sich auf das verlockend abenteuerliche Leben an seiner Seite eingelassen. Aber auf eine kurze Zeit des Glücks folgt schon bald das unsanfte Erwachen, als Nick plötzlich verschwindet und Laura allein unter Fremden zurücklässt. Einzig der einfühlsame Will Adams steht Laura in ihrer Not zur Seite und bietet ihr an, sich seinem Zirkus anzuschließen. Für Laura beginnt eine aufregende Zeit unter Artisten und Schaustellern, zwischen dem Glanz der Manege und dem harten Leben auf der Straße – aber wird es ihr so gelingen, den untreuen Nick zu vergessen?

Über die Autorin:

Patricia Matthews (1927–2006) wurde in San Francisco geboren, studierte in Los Angeles und lebte später viele Jahre in Prescott, Arizona. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe begann sie, sich intensiv dem Schreiben zu widmen – so lernte sie nicht nur ihren zweiten Ehemann, den Schriftsteller Clayton Matthews kennen, sondern legte auch den Grundstein zu einer internationalen Karriere. Patricia Matthews, die unter zahlreichen Pseudonymen veröffentlichte, schrieb zwischen 1959 und 2004 über 50 Bücher, vom Liebesroman bis zum Krimi. Für ihr Werk wurde sie mit dem »Reviewers Choice Award« und dem »Affaire de Coeur Silver Pen Readers Award« ausgezeichnet.

Bei dotbooks erschienen außerdem Patricia Matthews’ Romane »Wenn die Magnolien blühen«, »Der Wind in den Zypressen«, »Der Traum des wilden, weiten Landes«, »Der Stern von Mexiko«, »Die Jasmininsel«, »Der Himmel über Alaska«, »Die Brandung von Cape Cod«, »Der Duft von Hibiskusblüten«, »Wo die Anemonen blühen« und die »Virginia Love«-Saga mit den Einzelbänden »Der Traum von Malvern Hall« und »Das Vermächtnis von Malvern Hall«.

***

eBook-Neuausgabe Dezember 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1985 unter dem Originaltitel »Tame the Restless Heart« bei der Pyewacket Corporation, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1988 unter dem Titel »Glut der Leidenschaft« bei Heyne, München.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1985 by Pyewacket Corporation, New York

Copyright © 2020 Robert Thixton

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1988 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Pinder Lane & Garon-Brooke Associates, Kontakt: [email protected].

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/ANCH, Ironika

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-96655-610-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Liebe Leserin, lieber Leser, in diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html (Versand zweimal im Monat – unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Das Lied der Mandelblüten« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Patricia Matthews

Das Lied der Mandelblüten

Roman

Aus dem Amerikanischen von Hartmut Huff

dotbooks.

Anmerkung der Autorin

In diesem Buch tauchen mehrere historische Gestalten auf. Die jugendlichen Komiker, Fields und Weber, die eines der berühmtesten Varieté-Paare aller Zeiten wurden; Phineas T. Barnum, der weltberühmte Show-Mann, und seine zweite Frau Nancy Barnum; James Bailey, Barnums Partner im Barnum und Bailey Zircus; Adam Forepaugh, Barnums größter Konkurrent; der weltberühmte Zwerg General Tom Thumb und seine winzige Frau Lavinia; der sogenannte Wilde Mann von Borneo; die zusammengewachsenen Zwillinge, die als Zweiköpfiges Mädchen angekündigt wurden; der Riesenelefant Jumbo und der Zwergelefant Tom Thumb – sie alle hat es gegeben und die Autorin hat versucht, sie so akkurat wie möglich zu porträtieren.

Die Beschreibung von Pacific Grove, Kalifornien; die belehrende und unterhaltsame Show namens Chautauqua, benannt nach ihrem Ursprungsort, und der Barnum und Bailey-Zirkus, wie er gegen Ende des 19. Jahrhunderts war, basieren auf Tatsachen, wie auch die Geschichten, die P. T. Barnum erzählt. Die Schilderung von Barnums Entdeckung der ›Waldkreatur‹ hingegen ist reine Fiktion, ebenso wie alle anderen Charaktere.

Bei den Zirkuskünstlern hat die Autorin nicht versucht, die damaligen Mitwirkenden zu beschreiben, sondern sie stellt eine Auswahl typischer Zirkuskünstler der Zeit vor.

Willkommen in der Zirkuswelt!

Der Zirkus kommt

Hier kommen sie;

die Orgel

heult und schreit ihr wildes Lied

in den ruhigen Nachmittag,

und der Tag ist anders,

zerbricht in verzauberte Scherben

voller Fantasie.

Hier kommen sie;

die Clowns auf riesigen Stelzen,

und doch so klein,

gemaltes Lachen und bunte Kostüme,

hüpfend und springend und laut,

tragen Gelächter

wie ein Banner.

Hier kommen sie;

die Akrobaten und fliegenden Menschen,

Kunstreiter,

und die kühnen Männer vom Trapez,

im Glitzerumhang und Trikot,

der Löwenbändiger,

Hand in Hand voller Mut.

Hier kommen sie;

die Tiere,

goldmähnige Löwen,

Tiger, üppig gestreift,

und Bären.

Die Elefanten voll wuchtiger Anmut,

Kopf an Schwanz trabend.

Hier kommen sie;

ihre Schritte duften nach Sägemehl,

ihre Kleider nach Wunder,

die Kapelle bläst Erregung über die Menge,

rührt alte Träume,

und streift uns mit

Zauberhauch.

Kapitel 1

Pacific Grove Retreat

Samuel Purcells schwere Hand schlug so heftig auf den kleinen Tisch, daß das Zelt erbebte und seine Tochter zusammenzuckte. Doch seine Stimme war leise und beherrscht, wie immer, wenn er zornig war.

»Du wirst nicht gehen! Du kennst meine Meinung dazu!« Seine kalten grauen Augen waren auf sie geheftet, und es schien Laura, als würde sie geschlagen.

Sie war ebenso ärgerlich wie er, doch sie wagte das nicht zu zeigen, weil es die Schmähung nur verlängert hätte. In einer Auseinandersetzung mit ihm konnte sie nie siegen. Sie konnte nur auf eine würdevolle Niederlage hoffen. So unterdrückte sie ihre Erregung, da er es zu genießen schien, wenn er sie zum weinen brachte, oder sie ihre Gefühle zeigte. Obwohl sie wußte, daß sie nicht siegen konnte, versuchte Laura immer, ruhig mit ihm zu reden.

»Vater, würdest du mir bitte zuhören?«

Er verschränkte seine Arme vor der Brust. »Ich höre dir immer zu, Tochter. Niemand kann sagen, daß ich unfair wäre.«

Fair? Laura hätte gelacht, wenn sie’s gewagt hätte, doch sie fuhr hartnäckig fort: »Ich weiß, wie du über nichtige Unterhaltung denkst, Vater, doch das ist es nicht. Die Chautaqua wird von der Methodistenkirche veranstaltet. Sie ist lehrreich. Damit bilden sie sogar ihre Sonntagslehrer aus. Sie ...«

Er richtete eine Hand auf sie. »Ich weiß sehr wohl, was sie tun, und ich bin davon überzeugt, daß es leichtfertig ist. Ich will weder meine Frau noch meine Tochter Schauspielern, Musikern und Scharlatanen ausgesetzt sehen. Und das ist mein letztes Wort.«

Hilflos schaute Laura zu ihrer Mutter hinüber, die an der Seite des Zeltes im Schaukelstuhl saß. Doch sie hatte den Kopf abgewandt, und Laura wußte, daß sie weder Hilfe noch Unterstützung von ihr erwarten konnte.

»Du bist ein selbstsüchtiges Mädchen!« Samuels Stimme war jetzt weich, weich und sehr kalt. »Du weißt, daß ich für mehrere Tage fort bin, während diese Teufelsshow hier ist. Und du weißt auch, daß dich deine Mutter braucht. Selbst wenn du meine Gefühle nicht respektierst, wie kannst du um Erlaubnis für einen solchen Besuch bitten, obwohl du weißt, daß deine arme Mutter hier völlig allein wäre?«

Laura wandte sich ab, um ihre Tränen zu verbergen. Er wußte sehr wohl, daß ihre Mutter nichts Ernstes hatte, nur die Krankheit, die sie sich einbildete. Warum mußten sie mit der Einbildung leben, daß ihre Mutter gebrechlich sei?

Sie hörte, daß er sich bewegte. »Ich muß nun für etwa eine Stunde fortgehen. Ich werde rechtzeitig zum Essen zurück sein, und dann möchte ich von diesen Torheiten nichts mehr hören!«

Laura wartete, bis sie die hölzerne Zelttür schlagen hörte, dann wandte sie sich an ihre Mutter. »Mutter, warum hilfst du mir nie? Wenn du nur etwas sagen würdest, einmal auf meiner Seite wärst. Du weißt, daß er ungerecht ist!«

Mary Purcell wich ihren Blicken aus. »Er ist der Hausherr«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. »Er ist mein Gatte und dein Vater. Er weiß, was am besten für uns ist.«

Laura seufzte voller Zorn und Enttäuschung und griff nach ihrem grauen Wollschal, der über einer Stuhllehne hing.

»Ich gehe hinaus. Ich werde rechtzeitig zurück sein, um beim Essen zu helfen. Du kannst ja wenigstens damit anfangen, während ich weg bin.«

Den Schal fest um sich gewickelt, eilte Laura zornig aus dem Zelt, die hölzerne Stiege hinunter. Ihr Ärger zeigte sich in den raschen Schritten, mit denen sie sich vom Grove entfernte, um nach Jesus Lover’s Point zum Meer zu gelangen. Die Nachmittagssonne sank zum Horizont, und Wind war aufgekommen, doch die kühle Luft tat ihren heißen Wangen wohl.

Als sie die Stelle erreicht hatte, kletterte sie hinaus auf die Felsen, bis sie auf die bewegte See hinunterschauen konnte. Sie umklammerte die Knie mit den Armen, senkte den Kopf und ließ den Tränen freien Lauf. Doch sie brachten keine Erleichterung.

Sie kam immer hierher, wenn sie unglücklich oder zornig war, was in letzter Zeit häufig der Fall war. Gewöhnlich beruhigte sie der Anblick von Meer und Felsen. Und wenn sie die kreisenden Möwen über sich und unten die herumtollenden Seeotter sah, erfüllte sie Ruhe. Es gab so viel Schönes hier, in Pacific Grove Retreat – die Pinien, den Sand und die See, die frische, salzige Luft und die Sommersonne. Laura hatte sich so gefreut, als ihr Vater beschlossen hatte, hier ein Stück Land zu kaufen und ein halbfestes Zelt zu errichten, um die Sommermonate an der kühleren Küste zu verbringen. Doch wirklich geändert hatte sich nichts. Die Umgebung war schön, doch ihre Eltern blieben unverändert. Sie hatten nur ihre Probleme an einen anderen Ort verlagert. Und heute wirkte nicht einmal der Zauber des Meeres. Lauras Zorn und Schmerz waren zu groß.

Warum mußte sie so leben, ohne Liebe und fast ohne Hoffnung? Oft glaubte sie, wie ein Eichhörnchen zu leben, das in einem dieser Räder gefangen war, in dem die arme Kreatur ständig lief und nirgendwohin gelangte. Sie war eine Gefangene, und ihr Vater der Aufseher. Und wollte sie je ihr Leben leben, mußte sie fliehen, mußte fort.

Doch blieb immer die Frage, wie. Viele Frauen flohen aus unglücklichen Familien, indem sie heirateten. Irgendwie aber war es ihrem Vater gelungen, jeden Mann, der auch nur das geringste Interesse an ihr hatte, zu vertreiben. Samuel Purcell schüchterte die, die nicht so stark waren wie er, ein, bis sie es aufgaben. Es hatte Stärkere gegeben, doch auch sie hatten schließlich aufgegeben. Es war klar, daß er sie nicht auf diese Weise gehen lassen wollte; es schien ihm irgendwie Freude zu machen, sie damit zu quälen, daß sie mit fünfundzwanzig noch unverheiratet war.

Laura hatte ihren Vater nie verstanden. Seine Motive waren ihr unbegreiflich. Oft hatte sie an ihm etwas bemerkt, was sie erschreckte – eine unnatürliche Besitzgier, die weit über väterliche Sorge hinausging, die ihr Angst machte und – ja – sie ihn hassen ließ.

Natürlich konnte sie einfach gehen. Ihre Habseligkeiten packen und weglaufen. Doch wohin sollte sie gehen und was sollte sie tun? Sie hatte über die Jahre etwas Geld gespart, hatte aber keine Talente, außer daß sie Spaß an Zahlen hatte und etwas Klavier spielen konnte. Aber es mußte etwas getan werden. Wenn das alles war, was sie erwartete – ein Leben als Haushälterin und Gefährtin eines herrischen Vaters und einer schwachen, einfältigen Mutter, die unter eingebildeter Krankheit litt – dann war das Leben nicht lebenswert. Ebenso gut konnte sie sich von den Felsen stürzen, sich vom Meer verschlingen lassen.

»Hallo, da!«

Verwirrt hob Laura den Kopf und schaute sich um. Auf dem Felsen neben ihr stand ein großer, schlanker Mann, ein Fremder, mit hellem Sackmantel, Weste und brauner Hose bekleidet. Er hielt einen Strohhut in der Hand, und der Wind zerrte an seinem lockigen schwarzen Haar und zupfte an seiner Weste.

Lauras erste Reaktion war Ärger über diese Störung, und dann Neugier. Pacific Grove Retreat war eine kleine Gemeinde, und nach einigen Wochen kannte sie die meisten Sommergäste zumindest vom Sehen. Doch diesen Mann hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie war sicher, daß sie sich an ihn erinnern würde, da er sehr attraktiv war. Er mochte um die Dreißig sein.

Sich das Haar aus dem Gesicht streichend und hoffend, daß die Tränen ihre Augen nicht gerötet hatten, versuchte sie sein Lächeln zu erwidern.

»Hallo«, sagte er wieder. »Ich hoffe, Sie verzeihen mir, daß ich so frei bin und Sie einfach anspreche, ohne mich vorgestellt zu haben, doch ich brauche dringend Auskunft, und Sie, Madam, sind der einzige Mensch hier.«

Seine Stimme war tief und angenehm, und er sprach sehr sorgsam – fast wie ein Lehrer, dachte Laura – doch es wirkte elegant. Er war sicher kein Einheimischer.

»Was möchten Sie wissen, Sir?« fragte sie leise.

»Darf ich mich zunächst setzen? Ich mußte den ganzen Weg vom Tor laufen. Es scheint, als sei das ganze Anwesen eingezäunt.« Er setzte sich, ohne ihre Antwort abzuwarten, und sein Lächeln wurde breiter. »Sind alle jungen Damen in Pacific Grove so hübsch wie Sie?«

Laura spürte einen Hitzeschauer. Er war sehr kühn. Hätte ihr Vater ihn hören können, wäre er noch zorniger gewesen als am Nachmittag. Bei diesem Gedanken senkte sie den Kopf und lächelte in sich hinein.

Der Mann beugte sich zu ihr. »Und welch liebliches Lächeln! Ich glaube, ich habe Sie verwirrt. Ich hätte nicht so offen reden dürfen, doch irgendwie glaube ich, Sie schon seit langer Zeit zu kennen. Das mag Ihnen seltsam erscheinen, aber zuweilen geschieht so etwas.« Reuig schüttelte er den Kopf. »Ich sollte natürlich nicht annehmen, daß dem anderen dasselbe Phänomen widerfahren ist. Möchten Sie, daß ich gehe?«

Laura schaute rasch auf. Das war das letzte, was sie sich wünschte. Natürlich war er forsch, doch seine Worte schienen nicht böse gemeint, und seine Freundlichkeit war ansteckend. Sie konnte nicht oft allein mit einem Mann sprechen. Also wollte sie das Beste daraus machen.

»Sie sagten, Sie wollten eine Auskunft«, erwiderte sie.

»Ach, ja. Wissen Sie, ich bin neu in dieser Gegend, gerade erst heute morgen angekommen, um genau zu sein, und jemand sagte mir, daß es irgendwo hier einen Drugstore gäbe.«

»Ja, der ist dort.« Laura wandte sich um und zeigte hinter sich. »An der Lighthouse Road. Er heißt Seaside Drugstore. Es ist nicht weit.«

»Danke. Sie sind sehr freundlich. Ich bleibe noch einen Augenblick, bevor ich dorthin gehe, falls Sie nichts dagegen haben. Es war ein langer Tag!« Er drehte sich um und schaute auf den Strand zu ihrer Rechten. »Ein liebliches Stück Erde, nicht wahr? Ich wette, es ist herrlich, dort zu schwimmen.«

Er schaute Laura mit seinen dunklen Augen an, von denen eines leicht schielte. Doch das machte ihn nur noch anziehender. »Ich wette, Sie sehen in einem Badeanzug atemberaubend aus. Verzeihen Sie! Ich habe Sie sicher wieder gekränkt.«

Er klang reuig, doch das Zwinkern in seinen Augen verriet, daß er es überhaupt nicht bedauerte, und Laura fühlte sich wohl. Es war schwer, diesen freundlichen Fremden nicht zu mögen.

Sie begann zu lachen, als sie an ihren Badeanzug dachte, der noch schwerer und unförmiger als ihre normale Kleidung war. Sie spürte eine Welle von Unbekümmertheit in sich. Sie wollte nicht, daß dieser welterfahrene Mann sie für schlicht hielt.

Sie sagte: »Ich fürchte, daß Sie unsere Art von Badeanzügen nicht sehr aufregend finden werden. Dies ist schließlich eine religiöse Gemeinde, und die meisten Menschen hier leben sehr sittenstreng.«

Er nickte. »Ja, ich habe ›Gottes Königreich am Meer‹ gelesen.« Er beugte sich zu ihr. »Haben Sie davon gehört?«

Lächelnd rezitierte er einen Vers, deklamierte die Worte auf so amüsante Art, daß Laura einfach lachen mußte. Sie wußte, daß sie zum Haus zurückgehen sollte, doch sie fühlte sich so wohl, daß sie den Gedanken zu gehen verdrängte.

»Wo haben Sie das gehört?« fragte sie neugierig.

»Ein Freund aus Monterey schickte es mir. Major Ben Truman hat es geschrieben, und es wurde in der Del Monte Wave veröffentlicht.«

»Haben Sie in Monterey gelebt?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, dies ist meine erste Reise nach Kalifornien. Ich lebe in Buffalo, New York. Das heißt, wenn ich nicht reise.«

»Sind Sie Handlungsreisender?«

Er lachte. »Das könnte man so sagen, aber ich verkaufe nicht irgend etwas. Ich verkaufe Aufklärung und Bildung. Ich bin Dozent bei der Chautauqua, und habe vergessen, was sich gehört. Ich habe mich nicht einmal vorgestellt.« Er erhob sich graziös vom Felsen und verbeugte sich förmlich. »Nickolas Orlando, Chautauqua-Dozent, zu Ihren Diensten. Und mit wem habe ich das Vergnügen zu sprechen?«

Laura, die sich fröhlich und beschwingt fühlte, erhob sich ebenfalls und knickste. »Laura Evangeline Purcell, Sir, wozu ich Ihnen allerdings keinen Titel nennen kann.«

Er ergriff ihre Hand; obwohl sie verwirrt war, zog sie sie nicht zurück. Langsam führte er sie an seine Lippen. Die Berührung seines Mundes auf ihrer Haut erfüllte sie mit wonniger Wärme.

»Ich bin entzückt«, sagte er. »Und Sie brauchen keinen Titel, liebe Miß Purcell. Ihre Schönheit ist genug.«

Errötend entzog sie ihm die Hand, fühlte sich beglückt und verlegen zugleich. »Sie sind früh dran«, sagte sie jäh.

Er schaute überrascht. »Wie bitte?«

»Für die Chautauqua. Sie beginnt erst nächste Woche.«

Er zuckte die Schultern. »Ich hatte noch etwas Freizeit, und hörte, wie schon gesagt, von Ihrem Pinien-Paradies. Ich wollte ein paar Tage damit verbringen, mich umzuschauen. Wenn die Chautauqua beginnt, habe ich keine Freizeit mehr. Es ist sehr schön hier. Wohnen Sie in dem Lager?«

Laura nickte. »Mein Vater hat kürzlich hier ein Grundstück und ein Zelt gekauft. Wir sind erst seit ein paar Wochen hier.«

»Und wo ist Ihr Zuhause?«

»Sacramento.«

»Ach, ja. Ich war dort einmal mit – geschäftlich. Es war Juli, wie ich mich erinnere, und ich fand es sehr heiß dort, wenngleich die Hitze trockener als in New York war.«

Sie nickte. »Darum mag ich das hier so. Ich glaube, für heiße, trockene Gegenden bin ich ungeeignet. Ich bevorzuge Meereswind, Bäume und Wasser.«

Sein abwägender Blick war so angenehm, daß ein feiner Schauer über ihren Rücken lief. »Ja, mit Ihrer feinen Haut und den blauen Augen sollten Sie die Sonne meiden. Sie leben sicher in Sacramento, weil Ihr Vater dort ein Geschäft betreibt?«

Sie nickte wieder. »Ja, er handelt mit Farmgerät und ähnlichem. Selbst hier arbeitet er, sucht Kontakt zu Farmern in den umliegenden Orten und im Tal. Er reist ein wenig.« Gott sei Dank, dachte sie, da es ihr die Möglichkeit bot, sich kurze Zeit seiner ständigen Überwachung zu entziehen.

Nickolas lachte. »Ihr Vater muß ein erfolgreicher Mann sein. Männer, die schuften, haben zwar nicht viel Freunde, doch gewöhnlich verdienen sie viel Geld.«

»Ja«, sagte Laura verächtlich. »Darin ist Vater gut.«

Nickolas schaute sie spöttisch an, und sie errötete. Warum hatte sie das gesagt? Sie wollte nicht, daß er sie für eine böse Frau hielt.

Während sie wegblickte, wurde ihr bewußt, wie lang die Schatten schon geworden waren. Sie mußte zurückgehen, und doch wollte sie noch bleiben. Es war lange her, daß sie mit einem Mann hatte plaudern können. Sie war sicher, daß sie an diesem Nachmittag mehr gelächelt hatte als dem Rest des Jahres. Der Gedanke, allein von hier in die deprimierende Atmosphäre des Familienzeltes zurückzukehren, brachte sie fast zum Weinen; und doch mußte sie zurückgehen, oder sie riskierte eine noch schlimmere Auseinandersetzung.

Langsam erhob sie sich, und er sah sie fragend an. »Ich muß wirklich gehen«, sagte sie. »Ich wußte gar nicht, daß es schon so spät ist. Meine Mutter wird sich Sorgen machen.«

Er erhob sich, den Ausdruck komischer Verzweiflung auf dem Gesicht. »Aber Sie können jetzt nicht gehen! Wir lernen uns doch gerade erst kennen. Es gibt mindestens einige hundert Dinge, die ich Sie fragen möchte.«

»Es tut mir leid«, sagte sie, und dachte, daß die Worte nicht trafen, was sie empfand.

»Bitte, nur eine Minute noch. Wie ich erzählte, will ich mir Pacific Grove anschauen und den Rest der Halbinsel. Es gibt so viel zu sehen. Ich will Monterey sehen und das chinesische Dorf, von dem mein Freund berichtete, und ich habe auch von dem wunderschönen Seventeen-Mile Drive durch Grove und längs der Küste gehört. Ich brauche dringend einen Führer, Miß Purcell, und ich kann mir keinen besseren vorstellen, als Sie. Erlauben Sie mir, vorbeizuschauen, und mich Ihren Eltern vorzustellen?«

Lauras Fröhlichkeit schwand, als sei plötzlich ein Stöpsel gezogen worden, und ihre guten Gefühle schwanden dahin. Da war es wieder. Würde dieser Mann kommen, würde ihr Vater wissen wollen, wo sie ihn kennengelernt hatte. Und dann würde die übliche Einschüchterung ihres Vaters beginnen.

Plötzlich wich ihre Depression einer Woge von Ärger. Nein! Dieses Mal würde sie es nicht geschehen lassen. Dieser stattliche, so offensichtlich freundliche Mann war wie ein Geschenk in ihr Leben getreten. Wenn er alleinstehend war – sie mußte seinen Familienstand ermitteln – wollte sie ihn heiraten. Sie wußte, es war ein kühner Gedanke, bedachte man, daß sie sich eben erst kennengelernt hatten, doch sie war verzweifelt. Und Verzweiflung forderte kühne Maßnahmen.

Sie blickte auf ihre Hände, die den Saum des Schals fest umklammert hielten. Sie traf eine Entscheidung und blickte fest in seine Augen. »Ich glaube, Sie kommen besser nicht zu unserem Zelt, Sir. Mein Vater ist – nun ein sehr strenger Mann, mit sehr starken religiösen Ansichten. Aus irgendeinem Grunde mißbilligt er alles, was nach Theater riecht oder was er für unschickliches Tun hält.«

Nickolas ausdrucksvolles Gesicht zeigte Überraschung. »Er betrachtet die Chautauqua doch sicher nicht als Theater? Er muß wissen, daß ein lehrreiches Programm geboten wird ...«

»Ich weiß, daß es ungerecht von ihm ist«, unterbrach sie, »doch so ist er.«

Nickolas schnitt eine Grimasse. »Ich verstehe. Wenn er die Chautauqua mißbilligt, dann würde er sicher auch einen Chautauqua-Dozenten mißbilligen.«

Sie nickte. »Genau richtig. Er würde auch die Art, wie wir uns begegnet sind, mißbilligen. Ich meine, da wir einander nicht vorgestellt wurden, wie es sich ziemt.«

Nickolas schaute melancholisch. »Dann werden Sie nicht mein Führer sein? Ich werde Sie nicht wiedersehen?«

Sie hob ihr Kinn. »Das habe ich nicht gesagt.«

Sein Ausdruck entspannte sich, und er schaute sie erwartungsvoll an.

»Ich werde mich meinem Vater widersetzen. Ich bin eine erwachsene Frau. Ich kann mir nicht ein Leben lang von ihm sagen lassen, was ich zu tun habe. Ich wollte nur, daß Sie wissen, daß ich zuweilen zu Hause sein muß, und daß es nicht leicht für mich ist, fortzugehen. Sie sollten noch etwas wissen.«

Er schaute enttäuscht. »Wollen Sie mir sagen, daß Sie verheiratet sind?«

»Nein.« Sie lachte. »Und ich sollte Sie dasselbe fragen.«

Er schüttelte den Kopf und fiel in ihr Lachen ein. »Nein, nein, ich bin frei und ungebunden. Noch völlig frei!«

Innerlich seufzte Laura erleichtert auf. »Nein, was ich sagen wollte, ist, daß ich noch nicht so lange hier bin, und nichts von den Dingen, die Sie erwähnten, bis auf den Seventeen-Mile Drive, gesehen habe, da mein Vater so ist. Wollen Sie mich noch als Führer?«

Sein Lächeln war blendend. »Wir werden das Unbekannte zusammen erforschen. Und ich könnte und wollte mir keine charmantere Begleitung vorstellen. Wäre es möglich, morgen damit zu beginnen?«

Laura überlegte rasch. Morgen früh würde ihr Vater zu einer Reise ins Inland aufbrechen, wo er einen Kunden aufsuchen wollte; er würde für mindestens zwei Tage fort sein.

»Morgen wäre gut«, sagte sie lächelnd. »Um zehn?«

Sein Lächeln entwaffnete sie.

»Großartig! Ich werde in Monterey ein Fortbewegungsmittel und einen Lunch bestellen. Ich treffe Sie dann am Tor.«

Laura wandte sich ab; sie fühlte sich eigenartig. Endlich hatte sie einen Schritt getan, ihr eigenes Leben zu leben, und das erfüllte sie mit furchtsamer Freude.

Kapitel 2

Nickolas Orlando schaute der jungen Frau nach, bewunderte den feinen Schwung ihres Schrittes und die Bewegungen ihres wohlproportionierten Körpers, den nicht einmal das graue Mieder und das Kleid verbergen konnten.

Trotz ihrer unmodischen Kleidung war sie eine Schönheit, mit ihrer feinen, blassen Haut und den dunkelblauen Augen. Ihr Haar war zwar nicht sorgfältig gekämmt, doch es war voll, kastanienfarben und dicht. Gut gekleidet, würde sie umwerfend sein. Er hatte Glück, einer so vielversprechenden Schönheit gleich am ersten Tag in der Zuflucht begegnet zu sein. Vielleicht wandte sich sein Glück!

Nick lächelte kläglich, als er sie zwischen den Bäumen verschwinden sah. Er war nicht ganz aufrichtig gewesen, als er ihr erzählt hatte, daß er nur so früh zur Chautauqua gekommen sei, um die Monterey Halbinsel, den berühmten ›Zauberkreis‹ zu sehen.

Es war nicht ganz gelogen – ihn interessierte die Gegend, wie alles Neue und Interessante. Aber da war diese Sache mit der jungen Frau im Staat New York und ihrer wütenden Familie; und es schien angebracht, Buffalo ein wenig früher als geplant zu verlassen.

Lächelnd setzte Nick seinen Hut auf und schaute auf das drei Meilen entfernte Monterey. Er freute sich, daß er kräftig war und gerne lief; es war offensichtlich, daß er das hier reichlich tun müßte.

Bei seiner Ankunft hatte er festgestellt, daß innerhalb der Umfriedung des Grove keine Pferde und Karren fahren durften – außer dem ärmlichen Fuhrwerk, das von Zeit zu Zeit fuhr, um Müll einzusammeln oder um Gäste und ihr Gepäck zu ihren Zelten oder Hütten zu bringen. Es gab einen Personentransport zwischen Monterey und dem Grove-Tor – so war er auch hergekommen. Aber der Wagen fuhr nicht regelmäßig, und um dahin zu gelangen, hätte Nick wieder quer durch die ganze Zuflucht laufen müssen.

Er lächelte, als er an die Vorschriftenliste der Zuflucht dachte, die man ihm am Tor gegeben hatte. Darin waren Kauf, Verkauf und Verschenken berauschender Getränke verboten, jede Art von Spiel, Tanz und Fluchen. Öffentliche Räumlichkeiten durften nur bis zehn Uhr abends geöffnet sein, dann waren auch die Fensterläden zu schließen. Interessanterweise besagte eine andere Vorschrift, daß sie bis dahin geöffnet sein mußten!

Nick schüttelte schnaubend den Kopf. Alberne Vorschriften. Die Verbannung aller Mannesfreuden. Und doch war es ein ungewöhnlich schöner Fleck. Zwischen Pinien und Zypressen, dicht am Pazifik gebettet, war es wirklich das Eden, wie die Leute sagten. Die Küste mit ihren gewaltigen Felsen und tosenden Wellen regte Seele und Geist an.

Doch nach Nicks Meinung war für Männer nicht nur der Geist wichtig, und das nahe gelegene Monterey bot mehr, um diesen Teil des menschlichen Tieres zu befriedigen. Ihm war nach einem oder zwei Whiskys, und, nach der Begegnung mit Miß Laura Purcell, nach einem erregenden Ringen im Heu mit einer willigen Frau. Er machte sich natürlich keine Illusionen, daß die Art williger Frau, die er in Monterey finden würde, ebenso attraktiv wie Miß Purcell wäre. Doch da Miß Purcell offensichtlich eine ›gute Frau‹ war, würde es einige Zeit dauern und sehr viel Schmeichelei erfordern, bis er sich ihr gegenüber Freiheiten leisten konnte. Er hatte nur wenig Zeit, doch schmeicheln konnte er. Und wenn er sich nicht sehr irrte, war die sorgsam behütete Miß Purcell nicht nur begierig darauf, sondern auch reif, von einem Mann mit seinem Charme gepflückt zu werden. Nick war sich seiner Wirkung auf Frauen wohl bewußt und auch, daß seine Redegewandtheit in der Vergangenheit oft von Vorteil gewesen war. Klar war, daß sich Miß Purcell der Bevormundung ihres Vaters entziehen wollte. Und Nick wirkte auf sie.

Bei diesen Gedanken grinste er verzerrt. Dr. Nickolas P. Orlando mochte zwar nicht der ehrenwerteste Mann sein, aber er sah sich zumindest mit beachtlicher Klarheit. 1851 in Rochester, New York, als William Shugg geboren, jüngster Sohn des Rollfuhrmannes Richard Shugg und seiner Frau Mabel, einer Waschfrau, war Nick schon früh zu der Erkenntnis gekommen, daß er adoptiert worden sein mußte, da es unmöglich war, daß zwei so einfache, hart arbeitende, doch geistig beschränkte Leute einen Sohn wie ihn gezeugt haben konnten. Er hatte absolut nichts mit seinen Eltern oder seinen Brüdern und Schwestern gemein; selbst ihr Aussehen war anders – seine Brüder und Schwestern hatten, wie ihre Eltern, gestuftes mausbraunes Haar, derbe Körper und grobe Züge, wogegen Nick groß und zart gebaut war, feine Züge und große, dunkle Augen hatte. Ein Auge schielte leicht, doch im Lauf der Jahre hatte Nick festgestellt, daß diese Unzulänglichkeit ihn noch attraktiver machte.

Einmal, als er noch klein war, hatte er sogar seine Mutter gefragt, ob er ihr leibliches Kind sei. Ihre Bestürzung würde er nie vergessen, als sie ihm versicherte, daß er ihr Fleisch und Blut sei.

Danach begann er nach anderen Erklärungen zu suchen und stellte sich vor, daß seine Mutter ein Verhältnis mit einem stattlichen Aristokraten gehabt hatte, und er das Kind dieser Vereinigung war – wenngleich schwer zu verstehen war, wie seine einfache, dickliche Mutter die Aufmerksamkeit eines solches Mannes geweckt haben mochte. Doch es gab ja diese Geschichten von Dienstboten und Herren, und diese Annahme bot immerhin eine Lösung.

Schließlich, als er sechzehn war und seiner Mutter noch immer verwirrende Fragen stellte, begriff sie, wie sehr ihn sein Anders-Aussehen beunruhigte, und sie zeigte ihm ein altes Bild seiner Großmutter väterlicherseits, Eugenia Lavalle. Da waren zumindest das dunkle Haar, das schmale, intelligente Gesicht und die großen, dunklen Augen; Nick begriff schließlich, daß er ein Rückfall, aber kein Bastard war. Das war nicht ganz so romantisch, unterschied ihn aber; und er tröstete sich damit, daß er von seiner exotischen Großmutter eine feinere und empfindlichere Natur als die anderen Familienmitglieder geerbt hatte.

Es war kein Wunder, daß er seine Familie früh verließ. Die aristokratische Art und sein Geschmack, auf die er so stolz war, schienen seinen Eltern wenig begehrenswert. Ihnen war Arbeit und Ehrlichkeit wichtiger als Fantasie, gutes Aussehen und Abneigung gegen jede körperliche Arbeit.

Mit siebzehn schloß er sich einer reisenden Schauspielertruppe an, die ihren jugendlichen Helden verloren hatte.

Er hatte keine Schauspielerfahrung, doch damals wie heute hinderte ihn Mangel an Erfahrung auf irgendeinem Gebiet nicht, einen möglichen Arbeitgeber von seiner Eignung für die Aufgabe zu überzeugen. Sein jugendlich gutes Aussehen war ebenfalls von Vorteil, besonders für die Leiterin der Truppe, die hungrig auf attraktive junge Männer war.

Er war erfolgreich als Schauspieler, hatte eine natürliche Begabung fürs Theater und war zu größeren Truppen und lohnenderen Positionen gekommen. Doch mit der Schauspielerei war nicht viel Geld zu verdienen. Sich seiner Überzeugungskraft bewußt, arbeitete Nick bald in anderen Branchen. Er hatte die Gabe, für alles geeignet zu scheinen, was er tun wollte. In kürzester Zeit konnte er jeden von allem überzeugen – daß er Arzt war, Börsenmakler oder Universitätsprofessor – und er kam damit durch.

Besonders Frauen glaubten ihm, egal, welche Rolle er spielte; Nick war auf diese Seite seines Lebens nicht sonderlich stolz, hatte aber viel Geld von älteren Frauen genommen, die bereit waren, für seine Gesellschaft und Gefälligkeiten reichlich bar und mit Geschenken zu zahlen.

Und doch, dachte er traurig, waren Frauen sein Ruin. Er konnte ihnen nicht widerstehen, besonders wenn sie sich ihm im wahrsten Sinne zu Füßen warfen. Die reiferen Frauen waren nicht das Problem. Sie hatten oft Ehemänner und einen Ruf zu bewahren, und sie waren sehr realistisch in ihren Erwartungen, wie es Benjamin Franklin so treffend im ›Rat für die Wahl einer Frau‹ gesagt hatte: Ein junger Mann sollte eine ältere Frau bevorzugen, da sie mehr wisse, die Chance, Kinder zu bekommen, geringer, und sie viel dankbarer sei.

Jedoch die Jungen waren oft so anbetungswürdig und zuweilen ebenso willig, obwohl sie dazu neigten, Heirat als Dank für sexuelle Gefälligkeiten zu erwarten.

Nicht, daß Nick etwas gegen Heirat hätte. Es war eine bewährte Einrichtung und ein beruhigender Einfluß. Es bedeutete auch, daß ein Mann einen ständigen Sexualpartner hatte und jemanden, der sich um alle anderen Bedürfnisse kümmerte. Es war einfach so, daß die meisten jungen Frauen, mit denen er getändelt hatte, für eine Heirat ungeeignet gewesen waren. Im Bett war es egal, wie dumm eine Frau war, doch wenn man mit ihr leben mußte, sollte man sich mit ihr auf einem hohen Niveau unterhalten können. Schließlich konnte man nicht vierundzwanzig Stunden am Tag lieben. Eine geeignete Frau müßte intelligent sein, etwas Geld haben, gut aussehen, eine gute Hausfrau und Köchin sein, kurz, jemand, der dem Mann ebenbürtig war. In all seinen Junggesellenjahren war Nick einer Frau mit diesen Qualitäten nie begegnet.

Seine Lebensweise war für eine Heirat natürlich ein Hindernis. Dieses Reisen – aber er hatte es nie wirklich bedauert. Finanziell war es ihm gutgegangen, obwohl er, zugegebenermaßen, das Geld so schnell ausgab wie es kam, und er hatte Spaß daran. Nur zuweilen überlegte er, was und wo er heute wäre, hätte er seinen Intellekt und Energie für eine vernünftige Karriere genützt. Doch diese Innenschau fand selten statt, und bald kam Nick im Innersten zu der Erkenntnis, daß er die Langeweile einer normalen Berufskarriere nie ertragen hätte.

Jedenfalls war er nun hier, auf der Monterey-Halbinsel, einer der schönsten Gegenden des Landes, hatte soeben eine schöne und zweifellos intelligente, junge Frau getroffen, und war nun auf dem Weg, sich in Monterey zu erfrischen und zu entspannen. Was mehr konnte ein Mann im Augenblick wollen?

Es war Abend, als er Monterey erreichte, und die sinkende Sonne hatte den dunklen Himmel mit Orange, Rosa und Gold getupft.

Die Stadt selbst war nicht groß, nur zwei oder drei Straßen mit Seesand bestreut, doch die weißen Adobehäuser mit rotgeschindelten Dächern sahen sehr schön aus. Unterhalb der Pinien und des sanften Hügels, auf dem die Stadt lag, breitete sich die großartige Bucht aus, in der mehrere Flotten Platz hatten. Für Nick wirkte es wie ein Relikt vergangener Zeiten, schläfrig und freundlich, und im spanischen Stil.

Er fand rasch einen Platz zum Speisen. Ein Passant empfahl ihm das neu erbaute ›Del Monte-Hotel‹ für Essen und Übernachtung, falls er Ausgezeichnetes suchte, und Simoneaus Restaurant, falls er weniger anspruchsvoll sei.

Nachdem sich Simoneaus als Mischung aus Friseur, Bar und Restaurant erwies, versuchte es Nick im Hotel. Vielleicht fand er dort eine einsame, kultivierte Dame, die seine Gesellschaft schätzte. In diesem Fall sparte er das Geld für eine Hure und ihre möglichen Krankheiten. Es war einen Versuch wert, und er hatte genügend Geld in der Tasche.

Das ›Del Monte‹ war groß und kunstvoll. In Eisenbahnnähe wirkte es fremd und deplaziert in dem schläfrigen Dorf. Doch als Nick die Stufen zu der weiträumigen, überdachten Veranda emporstieg und die Halle betrat, sah er, daß das Hotel gut besucht war. Überall in der Halle waren viele gutgekleidete Männer und Frauen. Außer Sichtweite spielte ein Streicherquartett, und alles wirkte großartig und vornehm. Es war, dachte Nick, das Richtige für ihn. Die Umgebung, in der er sich wohl fühlte. Blieb abzuwarten, ob er eine Reservierung fürs Essen und ein Zimmer für die Nacht bekommen konnte.

Er hatte Unterkunft im großen Schlafraum der Zuflucht, wo alle Chautauqua-Mitglieder wohnen würden, doch diese eine Nacht wollte er sich verwöhnen. Und nach einer Nacht des Trinkens und, wie er hoffte, der Liebe, wollte er sich den Weg nach Pacific Grove und den Weg vom Tor ersparen.

Ein Einzelzimmer war tatsächlich frei, und der Portier versprach ihm eine Reservierung fürs Dinner. Nick erläuterte glaubhaft, warum er kein Gepäck hatte – daß er im ›Pacific Grove Retreat‹ wohne, nach Monterey gekommen sei, um sich umzuschauen, und hier nächtigen wolle. Da er wie ein Herr aussah, gab es keine Probleme.

Nach einigen Drinks in einer kühlen, angenehmen Bar, fühlte sich Nick erfrischt und brannte darauf, zu sehen, was an Frauen zu haben war. Er schlenderte durch die Halle, blickte auf die sitzenden Gäste, erwiderte Lächeln oder lächelte an.

Es gab viele hübsche Frauen, doch die meisten waren in Männerbegleitung. Und dann sah er sie, die beiden Frauen, allein auf der Veranda, beide attraktiv, und beide in diesem gewissen Alter – jung genug, um gut auszusehen, und alt genug, um erfahren in der Kunst der Verführung zu sein.

Eine Weile beobachtete Nick sie nur, während er am Geländer der Veranda stand; er blickte scheinbar zu Boden, beobachtete aber in Wirklichkeit, ob sie auf Begleitung warteten, und stellte zugleich sicher, daß sie ihn gut sehen konnten. Er bemerkte, daß nur zwei Gläser auf dem kleinen Tisch zwischen ihren Stühlen standen. Fünfzehn Minuten später, nachdem sich kein Mann zu ihnen gesetzt hatte, war er sicher, daß sie allein waren.

Charmant lächelnd trat er zu ihnen. »Guten Abend, meine Damen. Sie sitzen so reizend da, erlauben Sie, daß ich mich setze?«

Die Größere und Üppigere musterte ihn nachdenklich, während die andere Frau ihn anlächelte. Nick wartete ruhig auf Antwort, wohl wissend, wie sie lauten würde.

Die kleinere Frau, mit dunklem Haar und rosigen Wangen, sah ihre Begleiterin an. »Der Herr sieht einsam aus, Eloise. Glaubst du ...?« fragte sie mit hoher Stimme und östlichem Akzent.

Die große Blonde schaute Nick etwas länger an; dann lächelte sie und zeigte große weiße Zähne zwischen vollen roten Lippen, die sicher zusätzlich etwas Farbe bekommen hatten.

»Einverstanden«, sagte sie mit tiefer Stimme, die an das Schnurren einer großen Katze erinnerte. »Es wäre schade, einen Herrn an einem so herrlichen Abend allein zu lassen. Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr ...?«

Den Hut vor der Brust haltend, verbeugte sich Nick. »Dr. Nickolas Orlando, meine Damen, zu Ihren Diensten.«

»Oh, ein Doktor!« Die kleine Frau schlug die Hände zusammen.

»Der Philosophie, Verehrteste«, sagte er, während er einen Stuhl heranzog und sich neben die Blonde setzte. »Und mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Ich bin Mrs. Barbara Hudson«, sagte die kleine Frau, »und dies ist meine Freundin, Mrs. Eloise Warren.«

Nick lächelte beiden zu und winkte einen Kellner heran. Es würde ein herrlicher Abend werden, und sein Puls schlug schneller.

»Mmmmmmmh! Ja, mein Lieber! Gut so, faß mich da, und da. O ja, mein Liebling, ich bin soweit, ich bin soweit.«

Nick nahm den Mund von Eloise Warrens voller Brust und zog die Hand aus dem warmen Nest zwischen ihren Schenkeln. Er bebte voller Leidenschaft, wartete aber noch, um das Mahl, das sich unter ihm breitete, lustvoll zu betrachten.

Eloise war, was ihr Aussehen versprochen hatte – üppig, mit großen Brüsten und festen Hüften und Schenkeln. Ihr Körper war milchweiß und ebenso köstlich.

Nick fühlte etwas wie Macht, als er sah, wie sie sich unter ihm wand, bereit auf sein Eindringen. Er hatte sie an diesen Punkt gebracht, und das gab ihm Macht über sie. In diesem Augenblick war sie sein, trotz Ehemann daheim, trotz Kinder, ja, trotz anderer Liebhaber.

»Komm, komm«, stöhnte Eloise weich. Und mit Lust stieß er in sie, spürte ihre feuchte Wärme, während sie ihn mit Armen und Beinen umschlang.

Er brauchte nicht behutsam zu sein. Frauen wie Eloise Warren wollten Gewalt beim Sex. Wenn es vorbei war, wollten sie sich benutzt fühlen – und ebenso befriedigt.

Und so drang Nick ungestüm in sie, ließ seinen Körper gegen ihren prallen, genoß das nasse, klatschende Geräusch der schwitzenden Körper, ihr entzücktes Schluchzen und Stöhnen, als er sie zum Höhepunkt brachte, immer wieder, bis seine Lust ein unerträgliches Stadium erreichte und er selbst Befriedigung fand.

Keuchend entspannte er sich auf dem weichen, weißen Polster ihres Leibes, und sie streichelte seinen Rücken und seufzte.

»O Gott. Und ich dachte schon, es würde ein langweiliger Abend mit Barbara. Du bist sehr gut.«

Nick lachte krächzend. »Das warst du, Eloise. Dein Körper erregt mich. Er ist für die Liebe gemacht.«

Sie kicherte. »Das mag sein, doch es ist lange her, daß ein Mann mich dreimal glücklich gemacht hat. Kannst du immer so lange?«

Er nickte schläfrig. »Eines meiner vielen Talente.«

»Willst du hier schlafen? Wir verlassen Monterey morgen.«

Er erhob sich langsam. »Ich würde gerne, liebe Eloise, aber ich kann nicht. Ich muß früh aufstehen und nach Grove zurück. Doch ich werde immer an diese Nacht denken.«

Im Mondlicht sah Nick ihr volles Lächeln. »So geht es mir auch«, sagte sie.

Während er sich anzog, war sein Hirn fast leer, überflutet von herrlichen Bildern. Er hatte ein gutes Dinner, von Eloise bezahlt, und ein herrliches Spiel mit einer attraktiven Frau gehabt. Eine perfekte Abendunterhaltung.

Angekleidet, küßte er Eloise zum Abschied, schloß behutsam die Tür und eilte zur Halle.

Wenige Augenblicke später klopfte er an eine andere Tür, die von Barbara Hudson geöffnet wurde. Sie sah in ihrem durchsichtigen Nachtgewand, das eine schlanke, aber wohl geformte Gestalt preisgab, bezaubernd aus.

»Ich dachte schon, du würdest nie kommen«, sagte sie und zog ihn ins Zimmer.

Kapitel 3

Das Purcell-Zelt war, wie die anderen, im Grove gebaut: In der Mitte der neun mal zwölf Meter großen Parzelle ein Holzboden und einige Pfosten und Stützen, um das blauweiß gestreifte Dach zu halten – die Streifen sollten Schatten verdekken, die man von draußen sehen könnte.

Innen war es mit reinweißer Leinwand ausgeschlagen, und gegenüber dem Eingang standen vier Holzstühle und ein kleiner Tisch für die Familie und Gäste. Dahinter ein bodenlanger Musselin-Vorhang, mit einer Borte aus hellblauem Kattun, der die Schlafräume abtrennte. Dieser Bereich war durch einen ähnlichen Vorhang geteilt. In dem größeren Bereich standen ein Doppelbett, eine große Kiste und ein hölzerner Kleiderständer. In dem kleineren Lauras Pritsche, ein Kleiderständer und eine kleine Kiste. Hinten im Zelt eine kleine Küche mit holzgefeuertem Ofen, Tisch, Stühlen und einer großen Wanne zum Baden und Waschen.

Laura stand in dem kleineren ›Schlafzimmer‹ und blickte auf die Kleider, die an dem klapprigen Ständer hingen. Alles einfach und unelegant – Resultat der Einwände ihres Vaters gegen Nichtigkeiten. Sehnsüchtig dachte sie an ein Kleid, das sie im Musterbuch einer Nachbarin, Miß Thompson, gesehen hatte, einer Frau, die ihr Vater ›gottlose Dirne‹ genannt hatte, die jedoch in Wirklichkeit eine nette und religiöse Frau war, wenn auch anders, als Samuel Purcell es war.

Dieses Kleid im Schnittmusterbuch! Das Oberkleid aus rehbraunem Kretonne, vorn geschlossen. Der dazugehörige Rock an Hüften und Knien zu einem Bausch zurückgeschlagen. Ganz mit Borte und schmaler Krause besetzt und mit einer doppelten Krause an den Ärmelaufschlägen. Es wurde über einem blauen Seidenleibchen getragen. Dafür waren zwölf Yards Kretonne und zwei Yards Seide nötig, die zu kaufen ihr Vater natürlich nie erlaubt hätte.

Laura seufzte wieder und schaute sich ihre kärgliche Garderobe an. Das Modischste, was sie hatte, war eine blaßblaue Sommerbluse mit passendem Rock. Es war auch das dünnste Kleidungsstück, obwohl die engen Ärmel und der hohe Ausschnitt den Wind etwas abhielten.

Sie entschied sich dafür. Die Sonne hatte den Morgennebel vertrieben, und der Tag versprach warm zu werden. Seltsamerweise waren die Sommertage im Grove nicht immer heiß. Die wärmeren Täler im Landesinneren zogen den Nebel an, der manchmal Tage anhielt. Doch da die meisten Lagerbewohner aus den heißen Tälern kamen, gab es wenig Klagen.

Laura legte die Kleidungsstücke auf die schmale Pritsche, legte ihren Seemannshut daneben – sie hatte die Blumen und Bänder entfernen müssen – und ihren cremefarbenen Beutel und Sonnenschirm. Sie betrachtete das alles und wühlte dann in der Schublade ihrer kleinen Kiste. Unter den Schlüpfern lagen die künstlichen Blumen und Bänder vom Hut. Sie holte den Nähkorb und nähte das Band wieder an. Ein Band und eine Blume hob sie für die Bluse auf.

Ihr Vater war früh am Morgen aufgebrochen, als es noch kühl war. Nachdem er gegangen war, hatte Laura ihrer Mutter erzählt, sie wolle am Nachmittag Freunde im Grove besuchen. Wie erwartet, beklagte sich ihre Mutter, allein gelassen zu werden, wollte aber nicht mitkommen. Die ältere Frau verließ das Zelt meist nur zum Gottesdienst.

Laura schaute düster drein. Sie war überzeugt, daß ihrer Mutter nichts fehlte, zumindest nichts, was Ärzte feststellen konnten. Ihr Ehemann mußte die Krankheit sein. Und diese Krankheit wollte Laura nicht länger ertragen. Dieser Mann, dieser Dr. Nickolas Orlando, war ihre Fluchtchance. Er war stattlich, alleinstehend und schien von ihr angezogen. Was blieb, war, daß er sich in kurzer Zeit in sie verlieben und sie heiraten sollte. Sie lächelte bei dem Gedanken.

Nun, sicher war es nicht, aber ihre einzige Chance.

Punkt elf stand Laura am Tor des Grove und hoffte, daß Nick Orlando schon vor ihr angekommen sei. Er war es nicht. Viele Leute standen da, doch Nick war nicht darunter.

Laura betete, daß kein Bekannter da wäre, bevor Dr. Orlando käme. Würde er überhaupt kommen? Hatte er die Verabredung vielleicht vergessen? Oder war etwas dazwischengekommen?

Ihre Vorfreude schwand, und sie schluckte, um die Tränen zu unterdrücken. Sie ging am Zaun entlang.

Ein Geräusch hinter und über ihr veranlaßte sie, sich umzudrehen. Sie blickte in das grinsende Gesicht eines kleinen Jungen, der auf dem Zaun entlangbalancierte.

»Henry! Komm sofort da runter, bevor du dir den Hals brichst. Wie oft soll ich’s dir noch sagen?«

Die zornige junge Mutter warf Laura einen entschuldigenden Blick zu, bevor sie das Kind vom Zaun holte. Normalerweise hätte Laura nachgiebig gelächelt, doch jetzt fühlte sie sich noch deprimierter. Würde sie je eine eigene Familie, Ehemann und Kinder haben?

Die Frau zog das Kind fort, die beiden Stimmen schwanden, die eine scheltend, die andere schreiend.

Laura ging zum Tor zurück, und in diesem Moment sah sie ihn. Er fuhr einen schäbigen, doch solide wirkenden Buggy, den eine nette Bay-Stute zog.

Glück erfüllte sie. Er war doch gekommen.

Nick sagte, während er vom Buggy in den aufgewirbelten Staub sprang: »Laura! Sie sind da. Tut mir leid, daß ich so spät komme, doch es war schwer, ein Fahrzeug zu bekommen. Ich fürchtete schon, Sie würden nicht hier sein – hätten es vergessen, oder Ihr Vater hätte Ihnen verboten, zu kommen.«

Er war jetzt neben ihr, freute sich sichtlich, streckte die Hände und hob Lauras Gesicht wie eine Sonnenblume zu sich.

In der Nacht hatte sie überlegt, ob er wirklich so stattlich und attraktiv war, wie sie sich erinnerte; ihr war aufgefallen, daß Männer beim ersten Mal anziehend wirkten und der zweite Eindruck ein anderer war.

Bei Nick Orlando traf dies nicht zu. Heute wirkte er noch attraktiver und charmanter. Sein dunkles Haar und der lange Backenbart umrahmten seine blassen, feinen Züge, und seine dunklen Augen blickten verlangend.

Er wirkt, dachte sie, ein wenig müde. Vielleicht eine späte Geschäftsangelegenheit, wegen der Chautauqua.

Er führte sie zum Buggy. »Das einzige, was ich kriegen konnte. Nichts Besonderes, aber es müßte reichen.«

»Es ist hübsch. Und Sie haben ein gutes Pferd bekommen.«

Er klopfte auf die staubige Flanke der Stute. »Ja, sie ist kräftig, aber sanft. Ich habe einen Lunchkorb im Hotel packen lassen. Das Essen dort ist sehr gut.«

Er half ihr auf den Sitz, kletterte dann zu ihr.

»Das Hotel?« fragte sie neugierig. Sie hatte geglaubt, er würde im Grove im Chautauqua-Schlafraum übernachten.

Er lachte. »Ja, ich beschloß, mich letzte Nacht in Monterey zu verwöhnen. Das neue ›Del Monte-Hotel‹ ist wirklich großartig. Waren Sie schon dort?«

»Noch nicht«, sagte Laura beeindruckt, daß er so beiläufig darüber sprach. »Ich habe aber davon gehört. Die Leute hier reden viel darüber, waren auch schon da, aber Vater ...«

Nick hob eine Augenbraue und schwang die Zügel. »Ja, ich denke, es ist kein Platz, der Ihrem Vater gefiele. Schade, denn es ist sehenswert. Es ist groß und gut eingerichtet. Ich hatte ein gutes Dinner, einen netten Spaziergang und habe ausgezeichnet geschlafen.«

Die Stute lief in leichtem Trab, und das Tor blieb hinter ihnen.

»Nun«, sagte Nick, »erzählen Sie mir von sich.«

Laura lächelte und schüttelte den Kopf. »Wohin fahren wir? Sie nannten gestern einige Orte, die Sie sehen wollten.«

Er schwang wieder die Zügel, und sie sah seine langen, schmalen Hände. Die eines Künstlers oder eines Chirurgen.

»Ich dachte, wir fahren heute ins Chinesendorf«, erwiderte er. »Nach der Schilderung meines Freundes muß es faszinierend sein. Ein richtiges Stück China. Zurück zu meiner Frage: Erzählen Sie?«

Laura schüttelte wieder den Kopf. »Das wollen Sie doch eigentlich gar nicht hören. Es gibt nichts zu erzählen. Ich hab’ nie was getan, war nirgendwo. Es wäre sehr dumm.«

Nick lachte, schwang wieder die Zügel und trieb die Stute an. »Lassen Sie mich das beurteilen.« Er drehte sich ihr lächelnd zu. »Sie sind eine schöne, sehr intelligente Frau, Miß Purcell, und ich möchte Sie besser kennenlernen.«

Laura zuckte die Schultern; sie fühlte sich geschmeichelt und ängstlich zugleich. Darum hatte sie noch kein Mann gebeten.

»Ich wurde 1857 in Sacramento geboren. Ich bin das einzige Kind. Von meinem Vater erzählte ich ja schon. Er ist sehr fromm und sehr streng. Meine Mutter könnte man als Berufsinvalidin bezeichnen, obwohl ich nicht glaube, daß sie wirklich krank ist.« Sie schaute zu Nick hinüber.

»Nur zu, das geht doch gut«, lächelte er ermutigend.

»Als Kind hatte ich nicht viel Freunde. Mein Vater wollte nicht, daß ich mit den Nachbarkindern spielte, deshalb war ich sehr allein. Ich war schwermütig und hab’ mir zum Spielen Brüder und Schwestern gewünscht. Hätte ich die gehabt, wäre mein Vater heute nicht so auf mich fixiert. Weil ich immer allein war, las ich viel und wurde zur Tagträumerin, aber ich hatte meine Musik. Ich war eine gute Schülerin und immer gehorsam.«

Sie lachte selbstbewußt. »Ich stelle mich als Vorbild dar, nicht wahr? Aber ich war nur gut, weil’s einfacher war und ich nicht bestraft werden konnte. Sehr mutig war ich nie.«

Er lächelte ihr aufmunternd zu. »Um mit einem Leben, wie Sie es schildern, fertig zu werden, gehört auch besonderer Mut. Ich kenne Sie nicht lange, aber ich spüre Kraft in Ihnen. Ich bin sicher, ein Feigling sind Sie nicht.«

Ihr wurde warm. »Ich will mutiger sein! Ich habe beschlossen, meine Eltern zu verlassen. Ich weiß noch nicht wie, aber ich will meinen eigenen Weg gehen!«

Von ihren Worten erschreckt und verwirrt, errötete Laura und wandte sich ab, damit Nick ihr Gesicht nicht sehen konnte. »Ich weiß nicht, warum ich Ihnen all das erzähle. Das tue ich normalerweise nicht.«

Er tätschelte ihre Hand. »Ich sehe es als großes Kompliment an, daß Sie mir so vertrauen. Und ich bin Ihrer Meinung: Sie können nicht den Rest des Lebens in einem Käfig verbringen. Sie sind zu schön, um unfrei zu sein.«

Trotz ihrer Verlegenheit spürte Laura eine tiefe Freude. Er verstand und war mitfühlend. Es war ein Anfang. Und dann errötete sie wieder, als sie an die Falle dachte, die sie ihm stellen wollte. Doch er war ihre einzige Chance, und sie war sicher, daß er sich in sie verliebt hatte. Irgendwie erleichterte das ihr Gewissen, und sie wandte sich ihm wieder mit einem dankbaren Lächeln zu.

Das Chinesendorf, etwa eine Meile vom Pacific Grove Retreat entfernt, an einer kleinen Bucht gelegen, war das drollige Abbild eines kleinen Fischerdorfes vom Yangtse-Fluß in China. Übelriechend, aber faszinierend bestand das Dorf aus etwa zweihundert Holzhäusern auf wackeligen Stelzen, zwischen denen sich Pfade und Wege wanden. Laura war begeistert. Nie hatte sie etwas Ähnliches gesehen.

»Besser, wir steigen ab und laufen dorthin«, sagte Nick, der die Stute am Dorfrand zügelte. »Dann sehen wir mehr. Ich hoffe, Sie haben festes Schuhwerk an.«

Laura lächelte. »Was sollte ich wohl sonst tragen?«

Nick reichte ihr den Arm, und lachend gingen sie über die verschlungene, schmutzige Straße ins Dorf.

Wie viele Dinge gab es zu sehen! Laura sah sich ständig um. Die Türen der meisten Häuser waren geöffnet, um den Wind hineinzulassen. Laura konnte hineinschauen, sah die exotischen, hell gekleideten Chinesenfrauen, die Karten spielten oder sich um den Haushalt kümmerten.

Einige ältere Frauen gingen mit torkelndem Schritt, was sie verblüffte, bis sie sich erinnerte, von der chinesischen Sitte des Fußbindens gelesen zu haben. Sie schnitt ein Gesicht.

»Was ist?« fragte Nick.

»Die gebundenen Füße der Frauen. Ich bin froh, daß mein Vater kein Chinese ist. Er hätte es sicher auch getan.«

»Diese Sitte stirbt aus oder ist sogar schon ausgestorben, soweit ich weiß. Ich habe nie verstanden, wie eine Gesellschaft sich so deformieren kann, und die Deformation noch als Zeichen von Schönheit bezeichnet.«

Laura nickte und lächelte dann. »Ich habe kürzlich einen Artikel über das Tragen von Korsetts gelesen. Der Autor schreibt, so würden unsere Rippen deformiert.«

Gütiger Himmel! Sie tat es wieder. Auf irgendeine Art forderte der Mann zu Vertrauen auf. In seiner Anwesenheit platzte sie mit ihren intimsten Gedanken heraus. Sie hoffte, ihn nicht schockiert zu haben. Sein lautes Gelächter, ausgelöst durch einen chinesischen Fischer, der einen langen Zopf trug, bestätigte das. Der Mann drehte sich um und schaute sie ausdruckslos an.

Entschlossen wandte sich Laura wieder dieser faszinierenden fremdartigen Kultur zu. Sie sah alles und erinnerte sich an alles, was sie sah: die hellfarbigen Kleider an rohen Wäscheleinen; die seltsam aussehenden Fischerboote, die dicht am Strand lagen und als Veranda dienten; der Tempel, Zentrum des Dorfes, mit hellen Fahnen und Lampions geschmückt; die Spielhallen, in denen Männer, Frauen und Kinder Domino und Karten spielten – was Laura schockierend fand, aber entschuldigte, weil es eine andere ihr fremde Kultur war.

Die Menschen mit der gelbbraunen Haut, den schmalen Augen und exotischer Kleidung faszinierten sie aber am meisten. Das Dorf wirkte geschäftig und trotz der wackeligen Häuser wohlhabend. Sie genoß alles.

Gegen halb zwei hatten sie das ganze Dorf gesehen, und Nick begann, über Hunger zu klagen.

»Wo wäre ein guter Picknickplatz?« fragte er. »Ich verhungere.«

Sie überlegte rasch. Die Plätze, die sie mochte, waren Main Beach und Jesus Lovers Point, doch da waren Leute, die sie kannte. Dann fiel ihr Moss Beach ein.

»Ich weiß etwas.«

»Nicht im Grove, hoffe ich. Ich möchte Sie bei mir behalten«, sagte er mit einem Seitenblick.

Seine Worte erfreuten sie. »Nein, es ist nicht im Grove. Wir gehen dahin, wo wir niemanden treffen, der meinem Vater etwas erzählen könnte«, sagte sie rasch.

Er nickte. »Wie weit ist es denn bis dahin?«

»Nicht weit. Es dauert nicht lange.«

»Sehr gut«, sagte er lächelnd. »Zeigen Sie mir den Weg. Ich fahre, wohin Sie wollen.«

Mit glühenden Wangen ließ sich Laura auf den Buggy helfen und dachte, daß Dr. Nickolas Orlando bald eine Frau haben würde, wenn sie’s richtig anstellte.

Moss Beach war für ein Picknick ideal. Der Strand war weit und weiß, von Sanddünen umschirmt. Bei Ebbe konnte man auf dem festen Sand fast eine halbe Meile laufen und nach Muscheln suchen.

»Ich glaube, das ist das blaueste Wasser, das ich je gesehen habe«, sagte Nick.

Sie saßen auf einer alten Decke, die sie im Buggy gefunden hatten, und um sie herum lagen die Reste ihres Mahles.

Laura, die sich satt und zufrieden fühlte, nickte zustimmend. »Es hat so viele Farben. Saphir, Smaragd, Opal. Es sieht aus wie flüssige Juwelen ...«

Nick beugte sich zu ihr und nahm ihre Hand. »Eine sehr poetische Vorstellung, Laura. Schreiben Sie?«

Laura spürte seine Hand, entzog ihre aber nicht und schüttelte den Kopf. »Dazu habe ich wirklich keine Begabung. Das einzige, was ich kann, ist Klavier spielen.«

Er drückte ihre Hand und hob sie an die Lippen. »Ich bin sicher, Sie spielen wundervoll.«

Sie vernahm seine Worte kaum, genoß den warmen Druck seiner Lippen. Sie mußte etwas sagen, oder er würde sie für eine Torin halten.

Sie tat, als sei nichts Ungewöhnliches geschehen, und sagte, so ruhig sie konnte: »Ja, ich spiele ganz nett. Eines der wenigen Dinge, die ich gut kann.«

»Ich denke, Sie können alles gut«, sagte er, näher rückend, und legte einen Arm um sie.

Erregt und zugleich etwas unsicher, schaute Laura, ob sie jemand sehen konnte, doch da waren nur drei Chinesen, die Seegras in einem Korb sammelten.

Nick zog sie fester an sich und brachte ihr Gesicht dem seinen nahe. »Haben Sie keine Angst, Laura, ich würde Ihnen nie weh tun. An Ihnen liegt mir sehr viel, das müssen Sie wissen.«

Ihr Herz hämmerte, und pochende Erregung erfüllte sie. Sanft nahm er ihr Gesicht in seine Hände, dann ruhten seine Lippen weich, warm und drängend auf den ihren. Das schönste Gefühl, das sie je erfahren hatte, durchflutete sie.

Instinktiv wollte sie den Kuß andauern lassen. Sie wünschte sich nichts mehr, als so zu verharren; doch ihr Verstand riet ihr, sich loszureißen. Wenn sie wollte, daß er sich in sie so verliebte, daß er die Heirat vorschlug, durfte sie die Dinge nicht zu weit und zu rasch treiben lassen. In Herzenssachen hatte sie kaum Erfahrung, doch sie entsann sich der Worte ihrer Mutter: »Ein Mann wird keine Kuh kaufen, wenn er die Milch umsonst bekommen kann!«

Sie war damals geschockt und verwirrt gewesen – nicht, daß ihre Mutter sich um ihre Tugend sorgen müßte, da ihr Vater ja keinen jungen Mann in ihrer Nähe duldete.