Das Lügengewebe - Barbara Cartland - E-Book

Das Lügengewebe E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Sir Peter, ein junger verarmter Adeliger, verbringt die meiste Zeit mit Bekannten in London, während seine jüngere und sehre hübsche Schwester Carol nach dem Tod der Eltern allein auf dem elterlichen Gut Greton Hall wohnt. Sie lebt dort zurückgezogen und verbringt viel ihrer Zeit beim Reiten und in der gut ausgestatteten Bibliothek, da sie das Trauerjahr abwarten musste, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Nun aber mangelt es den Geschwistern an finanziellen Mitteln, um dies zu tun. Sir Peter bittet Carol, ihn und einen Freund und Nachbarn, den Marquis von Boxburne aus einer misslichen Lage zu helfen. Um einem potentiellen Investor von seiner Ersthaftigkeit zu überzeugen, hat der Marquis behauptet verheiratet zu sein. Da dies jedoch nicht der Fall ist aber sich der amerikanische Investor zu Besuch auf Brox Hall angemeldet hat, braucht der Marquis nun eine "Ehefrau" für die Dauer des Besuches. Um ihrem Bruder zu helfen, der auch in der zukünftigen Automobil Gesellschaft beteiligt sein soll, willigt Carol ein und findet sich in einem Gewebe von Lügen wieder.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Lügengewebe
Barbara Cartland

A Tangled Web

1

1896

Auf dem Heimritt kam Carol an Brox Hall vorbei.

Wie schon so oft dachte sie, dass es das schönste Haus war, das sie jemals gesehen hatte.

Es stammte aus der Stilepoche, für die sie besonders schwärmte, und war Mitte des 18. Jahrhunderts errichtet worden.

Die Figuren auf dem Dach hoben sich deutlich gegen den blauen Himmel ab.

Was sie jedoch enttäuschte, war die Tatsache, dass die meisten Fenster mit Brettern vernagelt waren.

Das große Haus war unbewohnt bis auf ein altes Hausmeisterehepaar. Sie waren schon seit Jahren die einzigen Bewohner.

Was die ganze Sache noch trauriger machte, war, dass der Marquis von Broxburne in London lebte. Laut Aussagen ihres Bruders, der mit ihm bekannt war, vergnügte er sich dort reichlich und dachte nicht im Traum an eine Rückkehr auf den Sitz seines Vaters.

Warum kommt er nicht her, öffnet das Haus wieder und kümmert sich um seinen Besitz?, fragte sie sich oft.

Sie kannte die Antwort.

Es fehlte an Geld.

Dem Marquis erging es wie vielen Aristokraten.

Das Leben war um so vieles teurer geworden.

Die großen Häuser, die ohne eine zahlreiche Dienerschaft nicht denkbar waren, ließen sich nicht mehr halten.

Carol sagte sich, dass sie dankbar sein sollte für das viel kleinere Haus, in dem die Familie ihres Vaters schon seit vielen Generationen lebte.

Der Erste Baronet war von King James II. ernannt worden.

In der folgenden Generation hatte es einen Sohn gegeben, der den Titel übernehmen konnte.

Carols Bruder Peter war nun der Sechste Baronet.

Er war sehr stolz - nicht nur auf seinen Namen, sondern auch auf das Gut, das ihm gehörte, obgleich es viel kleiner war als das des Marquis.

Der Marquis mied Brox Hall wie der Teufel das Weihwasser, weil er nicht daran erinnert werden wollte, in welch einem katastrophalen Zustand der Besitz war. Die Felder lagen brach, und keine der Hecken war geschnitten.

Es gab zwei oder drei Pächter.

Doch es kam Carol so vor, als wären auch sie entmutigt und lustlos, weil sie den Gutsbesitzer nie zu Gesicht bekamen und dieser an seinem Eigentum so gut wie nicht interessiert zu sein schien.

Sie ritt weiter, verließ das Gebiet des Broxburne Gutes und erreichte nach kurzer Zeit ihren eigenen Besitz. Er lag in einem ziemlich abgelegenen Gebiet, und abgesehen von Brox Hall gab es in dieser Ecke des Landes keine Familie, die über viel Grund und Boden verfügte. Oder die - was für Carol noch bedrückender war - reich genug waren, um große Gesellschaften zu veranstalten.

Aber wenigstens zu Weihnachten fanden einige Partys statt.

Und der Lord Lieutenant gab im Sommer eine Gartengesellschaft.

Es waren nur diese wenigen Gelegenheiten für die Menschen, die in diesem Teil Englands lebten, sich zu sehen.

Meist blieb es bei der Gartenparty im Sommer, und wenn die Gäste dann »Auf Wiedersehen« sagten, hieß dies fast immer auch: »Bis zum nächsten Jahr.«

Aber das war ein anderes Kapitel.

Nachdem Carol eine Meile geritten war, hatte sie den ersten Blick auf Greton House.

Zur Zeit der Herrschaft von Queen Anne war es fast völlig umgebaut worden. Von außenerinnerte kaum noch ein Gebäudeteil daran, dass es aus einer viel älteren Epoche stammte.

Und dennoch gab es einige Räume im Haus, die zwei Fuß dicke Mauern, hatten und Fenster mit sehr kleinen Scheiben.

Die Haupträume waren hoch und weit, und ihr Vater betonte dies oft genug, indem er scherzend zu sagen pflegte:

»Wenigstens sie erlauben mir einen aufrechten Gang, ohne dass ich mich bücken muss.«

Er war ein großer Mann gewesen - ähnlich wie sein Sohn Peter.

Carol war glücklich, dass sie ihrer Mutter nachschlug, die klein und graziös gewesen war. Sie war allerdings auch sehr zerbrechlich gewesen, so dass sie ein Jahr zuvor ihrem Ehemann ins Grab gefolgt war.

»Mama wollte einfach nicht mehr weiterleben«, hatte Carol oft gesagt.

Sie hoffte, sie würde eines Tages jemanden finden, der sie so sehr lieben würde, wie ihr Vater ihre Mutter geliebt hatte.

Doch zurzeit waren ihre Chancen schlecht.

Die meisten der jungen Männer, die nicht verheiratet waren, drängten in die Stadt. Sie wollten nicht auf dem Land bleiben und versauern.

Sie waren nach London gegangen, wie auch Carols Bruder.

Dort amüsierten sie sich und versuchten, es ihrem Vorbild, dem Prinzen von Wales, gleichzutun, der unter den jungen Adligen den Ton angab.

Carol wusste, dass sie sich in Liebesabenteuer stürzten - mit den stadtbekannten Schönheiten, deren Fotos in jedem Schreibwarenladen zu sehen waren.

Außerdem führten sie Tänzerinnen und Schauspielerinnen zum Essen aus.

Carol erinnerte sich, dass Peter ihr erzählt hatte, wie verlockend das war und wie sie im Romano diniert hatten.

Für einen jungen Mann, hatte er ihr erklärt, gebe es einfach nichts Aufregenderes.

»Mir ist das allerdings zu kostspielig«, tröstete Peter sie.

»Zu kostspielig?« fragte Carol. »Meinst du damit das Essen?«

Einige Sekunden hatte Peter gezögert, bis er hastig antwortete:

»Ja, das Essen - und natürlich auch die Blumen, die man den Ladies schicken muss.«

Er hatte dann schnell das Thema gewechselt, doch Carol fiel es schwer, ihn zu verstehen.

Als ihre Mutter noch gelebt hatte, galt es als abgemacht, dass Carol nach London gehen würde, um bei Hof vorgestellt zu werden.

Wenn nicht der Königin, dann zumindest dem Prinzen von Wales und seiner entzückenden dänischen Frau, Prinzessin Alexandra.

Inzwischen war Carols Mutter gestorben und das Trauerjahr vorbei. Doch keine von Carols Verwandten dachte daran, sich dem Mädchen als Anstandsdame anzubieten.

Carol hatte daher die Hoffnung längst aufgegeben und sich damit abgefunden, für immer auf dem Lande zu leben.

Sie machte ihre täglichen Ausritte und wartete im Übrigen geduldig darauf, dass Peter einmal nach Hause kam.

Peter war stolz auf sie, aber sie wusste, dass er nur nach Hause kam, wenn er keinen Dienst hatte.

Oft vergingen Wochen, in denen sie niemanden sah als die Dorfbewohner und den Vikar.

Sie hätte dieses Leben sicherlich als sehr langweilig empfunden, wäre da nicht die große Bibliothek ihres Vaters gewesen. Jahr, für Jahr hatte er sie um viele neue Bücher erweitert, so wie es auch schon seine Vorfahren gemacht hatten.

Es fehlte Carol also nicht an Lesestoff, und sie nahm sich jeden Abend ein Buch mit ins Bett. Hier las dann, bis ihr die Augen zufielen.

Während sie jetzt auf das Haus zuritt, sagte sie sich: »Ich glaube, ich sollte selbst einmal eine Gesellschaft geben.«

Tatsächlich hatte Mrs. Newman, die Köchin, die bereits seit langer Zeit für sie arbeitete, ihr dies vorgeschlagen.

»Warum laden Sie nicht einfach einmal einige der netten Freundinnen von früher zum Lunch ein, Miss Carol?« hatte sie gesagt »Ich bin es leid, immer nur ein paar Häppchen für Sie allein zu kochen. Wenn das so weitergeht, vergesse ich noch meine besten Rezepte.«

»Das ist wirklich eine gute Idee, Mrs. Newman«, antwortete Carol. »Aber vielleicht denken die Leute, ohne Sir Peter würden sie sich auf einer Party hier nur langweilen.«

»Sir Peter amüsiert sich in London schon zur Genüge«, sagte Mrs. Newman bestimmt. »Es wäre nur gerecht, wenn auch Sie ein kleines Stück vom Kuchen abbekommen würden.«

Carol hatte gelacht.,

»Ich werde eine Liste der Leute aufstellen, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe«, antwortete sie. »Und vielleicht machen wir Sonntag in einer Woche eine Lunchparty.«

Sie erinnerte sich daran, dass ihre Mutter der Meinung gewesen war, der Sonntag wäre ein guter Tag, um Gäste einzuladen.

Die Nachbarn waren an diesem Tag nicht allzu beschäftigt, denn sie arbeiteten in ihren Gärten, machten Einkäufe im nahen Marktstädtchen oder nahmen an Wohltätigkeitsveranstaltungen teil.

Carol musste dann die Erfahrung machen, dass die Aufstellung einer Liste gar nicht so schwierig war, wie sie befürchtet hatte.

Die meisten Mädchen ihres Alters waren im vergangenen Jahr Debütantinnen gewesen.

Viele von ihnen hatten bereits geheiratet.

Und an den Wochenenden hatten sie Freundinnen zu Gast, die sie in London kennengelernt hatten.

Carol verstand durchaus, dass ein junges Mädchen ohne Anstandsdame eine Last sein konnte.

Was ihre eigene Attraktivität betraf, war Carol völlig über sich selbst im Unklaren.

Ihre Mutter war eine bekannte Schönheit gewesen, und Carol war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten.

Sie hatte rotes Haar, das von einer ungewöhnlichen Farbe war, da es wie flüssiges Gold schimmerte.

In ihren Augen war eine Spur Grün. Nicht das Smaragdgrün, dem Tian Boshaftigkeit und Niedertracht zuschrieb, sondern das Grün eines klaren Baches.

Wie oft bei rothaarigen Menschen, besaß sie eine schimmernd weiße Haut.

Hier und da hatte Carol Komplimente wegen ihres Aussehens erhalten. Zunächst während der Krankheit ihrer Mutter und auch später während des Trauerjahrs.

Sie ahnte nicht, wie ungewöhnlich sie wirkte.

Sogar ihrem Bruder Peter war dies aufgefallen. Als er zum letzten Mal zu Hause gewesen war, hatte er sich fest vorgenommen, ihretwegen unbedingt etwas zu unternehmen.

»Es muss doch jemanden geben, der die Rolle ihrer Anstandsdame übernimmt, wenn sie nach London kommt!« hatte er sich gesagt.

Er hatte dann einige der eleganten Ladies gefragt, mit denen er Abend für Abend dinierte. Doch deren Kinder waren noch klein, und sie hatten keinerlei Interesse an Peters Geschichte von einer vernachlässigten Schwester, sondern nur an Peter selbst, den sie ungewöhnlich attraktiv fanden.

Während Carol durch das Torhaus ritt, dachte sie an Peter und an einige Reparaturarbeiten, die das Haus dringend benötigte.

Sie vergab nicht gerne die Aufträge an Handwerker, ohne vorher mit Peter darüber gesprochen zu haben.

Sie hegte den Verdacht, dass er in London ein sehr aufwendiges Leben führte.

Was bedeutete, dass er das notwendige Geld für die Reparaturarbeiten nicht zur Verfügung hatte.

»Ich werde mit ihm reden, sobald er wieder nach Hause kommt«, murmelte sie vor sich hin.

Sie hatte ein ungutes Gefühl, wenn sie das Haus nicht in dem Zustand hielt, in dem es zu Lebzeiten ihres Vaters gewesen war.

Ein loser Dachziegel oder ein Sprung in der Fensterscheibe hatten ihn beunruhigt, bis der Schaden beseitigt war.

»Als ich das Haus von meinem Vater erbte, befand es sich in einem einwandfreien Zustand«, sagte er immer. »Meine Pflicht ist es, es genauso an Peter weiterzugeben.«

»Natürlich, Papa«, hatte Carol erwidert. »Und ich fühle dem Haus gegenüber die gleiche Verantwortung wie du, denn ich bin stolz auf unseren Familienbesitz. Er ist das schönste Zuhause, das ein Mensch sich nur wünschen kann.«

Sie wusste, ihr Vater freute sich über ihre Worte.

Er küsste sie und meinte:

»Ich hoffe, mein Liebling, dass das Haus, das du besitzen wirst, wenn du einmal heiratest, genauso attraktiv ist wie das unsere.«

Carol hätte ihm am liebsten geantwortet, dass sie sich ein Haus wünschte, in dem die Liebe wohnte.

Aber sie fürchtet, ihr Vater könnte es als vorlaut ansehen, wenn sie mit siebzehn schon von Liebe sprach.

Stattdessen waren sie Hand in Hand in die Bibliothek gegangen, um einige neue Bücher auszupacken, die eben aus London eingetroffen waren.

Nun, als sie die lange Allee entlangritt, sah siezwischen den dicken Lindenstämmen Greton House schimmern.

Beim Näherkommen erkannte sie einen Wagen, der vor dem Haupteingang stand.

Er wurde von zwei Pferden gezogen.

Ihr Herz machte einen Sprung.

Peter war nach Hause gekommen!

Sie hielt nicht an, um zu überlegen, warum er sie nicht von seiner Ankunft in Kenntnis gesetzt hatte, oder um zu rätseln, ob er es nun wirklich war oder nicht.

Sie trieb im Gegenteil ihr Pferd in einen scharfen Galopp und erreichte das Haus in wenigen Minuten.

Der Stallbursche, den Peter aus London mitgebracht hatte, tippte an die Stirn.

»Guten Abend, Jim!« rief sie. »Sobald ich das Torhaus passiert hatte, wusste ich, dass Sir Peter gekommen ist.«

»Nett, Sie zu sehen, Miss«, entgegnete Jim.

Bei diesen Worten ergriff er die Zügel der beiden Tiere, die er ausgespannt hatte, und führte sie zu den Ställen.

Carol schwang sich aus dem Sattel, und ein Stalljunge eilte herbei, um ihr das Pferd abzunehmen.

Ohne ein Wort zu reden, stieg sie die Stufen zum Eingang hinauf.

In der Halle war niemand, doch die Tür zum Salon stand auf.

Zu ihrer Überraschung sah sie Peter vor dem Kamin stehen.

Der Salon wurde in der letzten Zeit kaum noch benutzt.

Für gewöhnlich saßen sie im Arbeitszimmer des Vaters.

Es enthielt eine große Anzahl von Bildern mit Jagdmotiven, die Peter und Carol schon als Kinder gemocht hatten.

Doch in diesem Augenblick dachte Carol an nichts anderes als daran, dass Peter da war.

Mit einem Laut des Entzückens lief sie auf ihn zu.

»Du bist nach Hause gekommen! O Peter, warum hast du mir keine Nachricht geschickt?«

Nachdem ihr Bruder sie geküsst hatte, sagte er:

»Dazu blieb mir keine Zeit mehr. Ich bin hier, weil ich deine Hilfe brauche.«

»Meine Hilfe?« fragte Carol ein wenig ratlos. »Was ist denn geschehen? Ist etwas nicht in Ordnung?«

»Nein, nein, es ist alles bestens«, erwiderte Peter. »Es ist nur so, dass du mir helfen musst. Es gibt niemanden außer dir, der das könnte!«

Erstaunt sah Carol ihn an, ehe sie sagte:

»Wenn du die ganze Strecke von London bis hierher durchgefahren bist, wirst du sicher Hunger haben und vor allen Ringen durstig sein.«

»Ich bin nicht hungrig«, gab Peter zur Antwort. »Ich habe unterwegs eine Rast gemacht und das Luncheon eingenommen. Aber einen Drink könnte ich gebrauchen, wenn du was dahast.«

»Ich werde Newman sagen, dass er dir eine Flasche von Papas Rotwein aus dem Keller holt.«

Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und verließ den Raum.

Peter blickte ihr nach.

Wieder einmal dachte er, dass sie noch schöner war als beim letzten Mal, als er sie gesehen hatte.

»Eigentlich sollte ich sie mit meinem Vorschlag unbehelligt lassen«, sagte er zu sich. »Aber wen sonst könnten wir nehmen? Außerdem glaube ich nicht, dass sie dabei zu Schaden kommen könnte.«

Newman saß in der Küche. Er hatte das Jackett abgelegt und unterhielt sich mit seiner Frau.

Carol wusste, dass sie ihn hier finden würde, weil es im Haus nicht allzu viel zu tun gab.,

Genauso wie seine Frau hatte er keine Arbeit lieber verrichtet, als das Tafelsilber für eine Party zu putzen.

»Sir Peter ist gekommen«, verkündete sie, als sie die Küche betrat.

»Sir Peter?« rief Newman. »Nun, das nenne ich eine Überraschung!«

»Ja«, antwortete Carol »Er kam übrigens den langen Weg von London und würde gerne ein Glas Rotwein trinken.«

Newman zog seinen Frack an.

»Ich habe eine Flasche oben, Miss Carol. Für Notfälle wie diesen.«

Carol lachte.

»Ich hoffe, Sie haben etwas Leckeres für ihn zum Abendessen, Mrs. Newman«, sagte sie dann. »Sie wissen, wie sehr Sir Peter Ihre Küche schätzt.«

Mrs. Newman hob beschwörend die Hände.

»Warum konnte, er uns nur nicht früh genug Bescheid sagen? Ich weiß nicht, ob noch was Gutes in der Speisekammer ist.«

Carol hörte gar nicht hin.

Mrs. Newman hatte noch immer etwas Köstliches auf den Tisch gezaubert, und es drängte sie, zu ihrem Bruder zurückzukehren.

Während sie den Gang entlanglief, nahm sie ihren Reithut ab.

Ihr Haar war lockig, und die Locken schienen gleichsam lebendig zu werden, nachdem das Mädchen die Kopfbedeckung abgenommen hatte.

Das Sonnenlicht spiegelte sich in der rotgoldenen Fülle, als sie den Salon betrat.

»Newman ist gleich mit dem Rotwein hier«, sagte sie. »Aber nun sag mir, warum du nach Hause gekommen bist!«

Sie ließ sich auf dem Sofa nieder.

Obwohl es ihr nicht bewusst war, sah sie völlig unkonventionell aus.

Da es sehr warm war, war sie ohne Jackett ausgeritten und trug unter dem Reitkostüm nur eine weiße Musselin Bluse.

Mit dem vom Wind zerzausten Haar wirkte sie wie ein Schulmädchen und nicht wie eine junge Frau, die eigentlich schon ihre zweite Saison in London verbringen sollte.

Während sie auf Peters Antwort wartete, bemerkte sie, dass er sie kritisch anblickte und verlangte erneut:

»Also sag schon, warum du hier bist!«

Bevor Peter etwas erwidern konnte, kam Newman mit einem Silbertablett, auf dem eine Karaffe Rotwein und ein Glas standen.

»Guten Tag, Newman«, sagte Peter. »Ich nehme an, Sie sind erstaunt, mich zu sehen.«

»Es ist für mich immer eine Freude, Sie zu sehen, Sir Peter«, erwiderte Newman. »Und Sie wissen, Mrs Newman wird ihr Bestes tun, sie wäre allerdings froh gewesen, wenn sie frühzeitig über Ihr Kommen Bescheid gewusst hätte.«

»Ja, ich weiß«, sagte Peter. »Aber ich musste ganz dringend mit Miss Carol reden und bin deshalb gleich nach dem Frühstück von London aufgebrochen. Wenn ich die Zeit abziehe, die ich für das Luncheon benötigte, glaube ich fast, ich habe meinen eigenen Rekord gebrochen.«

»Das ist etwas, das Sie immer tun!« Newman strahlte. »Aber trotzdem sollten Sie sehr vorsichtig auf den Straßen sein. Es gab in letzter Zeit einfach zu viele Unfälle und Zusammenstöße.«

Peter nahm einen Schluck von dem ausgezeichneten Rotwein, den Newman ihm eingeschenkt hatte.

Der alte Butler setzte die Karaffe auf dem Beistelltisch ab und verließ den Raum.

Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sagte Peter: »So, und nun werde ich dir erklären, warum ich hier bin, Carol. Ich vermute, du wirst überrascht sein.«

»Es gibt nichts, was ich mehr mag als Überraschungen«, antwortete Carol. »Es gibt viel zu wenige davon auf Greton House.«

»Nun, dann wird dies eine Entschädigung für dich sein.«

Er trank einen weiteren Schluck Rotwein und sagte dann:

»Du erinnerst dich doch an meinen Freund, den Marquis von Broxburne?«

»Ich musste eben noch an ihn denken, als ich an Brox Hall vorbeikam und überlegte, wie schade es ist, dass er nie mehr nach Hause kommt«, erwiderte Carol.

»Genau das hat er jetzt vor«, sagte Peter.

Carol sah ihn ungläubig an.

»Du meinst, er will Brox Hall wieder eröffnen? O Peter, wie aufregend! Wie - wundervoll!«

»Ja, er will das Haus wieder eröffnen«, antwortete Peter langsam. »Aber es hängt von dir ab, ob es tatsächlich dazu kommt.«

Carols erstaunte Augen schienen das ganze Gesicht auszufüllen.

»Von mir? Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.«

»Das werde ich dir gleich erklären«, versetzte Peter.

Er stellte sein Glas ab.

»Du weißt, dass ich mit Broxburne in Oxford war, als er noch keinen Titel besaß. Er war älter als ich, und richtige Freunde wurden wir erst später, als ich nach London ging.«

Carol erinnerte sich, wie glücklich Peter darüber gewesen war, als er zu den Dinnerpartys eingeladen wurde, die der Marquis in seinem Haus in der Park Lane gab.

Bei jedem Besuch zu Hause hatte er mit größter Bewunderung davon gesprochen.

»Wie du sicher weißt«, fuhr Peter fort, war Broxburne nie in der Lage, die Hall zu öffnen, obwohl es immer sein größter Wunsch war.«

»Das hast du mir nie gesagt«, entgegnete Carol. »Ich habe immer geglaubt, er wäre nicht daran interessiert und fände es langweilig, auf dem Land zu leben.«

»Ja, das führte er als Grund an, weil er zu stolz war, zuzugeben, dass er nicht das Geld dazu hatte. Der Unterhalt des Hauses und die Instandsetzung des Gutes hätten Summen verschlungen, über die er nicht verfügte.«

Peter machte eine Pause, bevor er fortfuhr:

»Es sei denn, er hätte das Stadthaus in London und die Pferde, die er in Newmarket hielt, aufgegeben.«

Carol verstand die Schwierigkeiten des Marquis.

Doch gleichzeitig fand sie es traurig, dass jemand, der ein Haus von solch einzigartiger kunstgeschichtlicher Bedeutung sein Eigen nannte, gezwungen war, es leer stehen zu lassen.

Und das dazugehörige Gut dem Ruin preiszugeben.

Als wüsste Peter, was sie dachte, sagte er:

»Ich glaube, Broxburne hat immer davon geträumt, dass die Dinge eines Tages wieder in Ordnung kommen würden. Ja, und nun endlich scheint sich dieser Traum zu erfüllen.«

»Wie denn?« wollte Carol wissen.

»Ich meine, ich habe dir erzählt, dass er kurz nach Weihnachten nach Amerika gereist ist«, antwortete Peter.

Das hatte er zwar nicht getan, aber Carol unterbrach ihn nicht.

»Drüben traf er einen Mann namens Alton Westwood, der ganz groß in die Fabrikation von Wagen eingestiegen ist. Automobile nennt man sie in Amerika.«

»Wagen? Automobile?« murmelte Carol.

Sie hatte in ihrem Leben erst zwei Automobile gesehen.

Es erschien ihr sehr sonderbar, dass es Leute geben sollte, die vorhatten, diese Fahrzeuge in großer Stückzahl herzustellen.

Natürlich hatte sie einiges über Automobile gelesen, die in England und Frankreich gebaut worden waren.

Sie konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass einer der Leute, die sie kannte, ein solches Gefährt besitzen würde.

»Der langen Rede kurzer Sinn«, sprach Peterweiter. »Alton Westwood will seine Wagen weltweit verkaufen, und um sicherzugehen, dass dies auch in England der Fall ist, gründete

er eine Gesellschaft, deren Vorsitzender Broxburne zu werden hofft.«

Er lächelte ihr zu und fuhr fort:

»Und danach wird Broxburne einige seiner einflussreichen Freunde aus dem Adel in den Vorstand berufen.«

»Und dieser Amerikaner denkt, sie werden ihm helfen, seine Autos zu verkaufen?« fragte Carol, die das, was ihr Bruder ihr da sagte, zu verstehen versuchte.

»Natürlich werden sie das«, sagte Peter mit Schärfe in der Stimme. »Außerdem wird die Presse über etwas berichten, für das Leute wie Broxburne sich einsetzen.«

»Ja, das sehe ich ein«, erwiderte Carol. Sie fragte sich, wie sie selbst in das Ganze hineinpassen sollte.

»Broxburne hat mich gebeten, Mitglied des Vorstandes zu werden«, erklärte Peter stolz. »Ich habe natürlich mit Freuden zugesagt.«

Aus seiner Stimme klang starke Erregung, als er hinzufügte:

»Erst gestern gewann er einen Duke und zwei Peers, die enge Freunde des Prinzen von Wales sind, für seine Idee. Sie werden natürlich auch das Königshaus für die Gesellschaft interessieren.«

»Das klingt ja fantastisch«, rief Carol. »Ich bin wirklich froh, dass der Marquis dich in den Vorstand holen will, Peter.«

»Ich wäre auch sehr gekränkt gewesen, wenn er mich übergangen hätte«, gestand Peter.

»Und das würde tatsächlich bedeuten, dass der Marquis genügend Kapital haben wird, um sein Haus wieder eröffnen zu können?« fragte Carol.

»Ja, das bedeutet es«, antwortete Peter. »Alton Westwood ist bereits Multimillionär, weil er viele Aktien einer amerikanischen Eisenbahngesellschaft besitzt. Und ich glaube, er hat obendrein auf seiner Ranch in Texas auch noch Ölgefunden.«

Carol hielt den Atem an.

Sie hätte bereits von jenen Amerikanern gehört, die so sagenhaft reich waren.

Es erschien ihr irgendwie ungerecht, dass England, der weitaus ältere Staat, so viele große Familien besaß, die sich kaum über Wasser halten konnten.

»Was Alton Westwood will, ist folgendes«, fuhr ihr Bruder fort. »Er will die Pläne seiner Gesellschaft durch die Presse bekanntmachen und in einigen Monaten in London eine Automobilausstellung veranstalten.

»Das klingt wirklich aufregend«, rief Carol.

»Ja, es ist aufregend«, stimmte Peter zu.

»Doch die Sache hat einen Haken.«

»Einen Haken?«

»Als Broxburne in Amerika war und dies alles festmachte«, begann Peter, »erklärte ihm Westwood, er habe von Brox Hall gehört und würde es gerne besuchen. Er meinte auch, der Marquis solle seine Freunde dorthin einladen, damit er sie bei dieser Gelegenheit kennenlernen könne.«

Carol starrte den Bruder an.

»Du meinst, er soll sie alle herbringen?«