Das Mädchen, die Grausamkeit und die Liebe - Stellan Varun - E-Book

Das Mädchen, die Grausamkeit und die Liebe E-Book

Stellan Varun

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  • Herausgeber: TWENTYSIX
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Sie wollte doch nur endlich wieder einmal Spaß haben. Aber da gab es nun dieses Video, mit dem man sie erpresste. Nur zu gut war jedes Detail ihres Körpers zu sehen, der nicht verbergen konnte, wie sehr er die Schläge und Demütigungen, die er erleiden musste, genoss. Nein, ihr Verlobter durfte davon nichts erfahren! Dafür brauchte sie Geld. Doch waren diese abartigen Filme wirklich der Weg aus ihren Schwierigkeiten, oder führten sie sie nur noch tiefer hinein? Junge Mädchen, auf jede erdenkliche Art bloßgestellt und gequält, und sie mittendrin, nur durch Perücke und Makeup davor geschützt, erkannt zu werden. Dann war da dieser Professor, der endlich die Möglichkeit sah, seine verborgenen Triebe auszuleben, ohne seinen Ruf aufs Spiel zu setzen. Eine Schauspielerin aus dem SM-Genre, die auf diese Weise nach Feierabend ihr Salär noch etwas aufbesserte, schien auch wirklich perfekt dafür geeignet. Doch der langersehnte Abend verlief ganz anders als erwartet. Es ist die Geschichte eines bizarren Mordes, in der sämtliche Beteiligten ihre kleineren und größeren abgründigen Geheimnisse haben. Gleichzeitig führt die Reise tief hinein in die dunklen Seiten der Liebe ...

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Ähnliche


Das Zartgefühl ist der Schatten, die Wollust der Körper und die Grausamkeit der Geist der Liebe.

Donatien Alphonse François, Marquis de Sade

Inhalt

1. Demütigung

2. Switcher

3. Kriminalisierung

4. Spanking

5. Bock

6. Striemen

7. Orgasmuskontrolle

8. BDSM

9. Bondage

10. Philosophie

11. Wooden Pony

12. Sadistische Gewaltfantasien

13. »scharfmachen«

14. Anonymität

15. Outdoor-SM

16. Elektrostimulation

17. Aufhängen

18. Rollenspiele

19. Gewaltpornografie

20. Loverboys

21. Gynäkologenstuhl

22. SM und Gewaltverbrecher

23. Snuff-Film

24. Knebel

25. Pranger

26. Abmelken

27. Sexuelle sadistische Störung

28. Vergewaltigung

29. Stromfolter

30. Weiblichkeit

31. Serva

32. Weibliche Grausamkeit

33. Sex mit einem Fremden

34. Obsession

35. Atemkontrolle

36. Leibesvisitation

37. Traumdeutung »Messer«

38. pastrami flaps

39. Uniformen

40. Liebe und Verlust

41. Liebe und Hass

42. Reitgerte

43. Queening

44. Handschellen

45. Der innere Zwang zum Geständnis

46. Käfig

47. Liebevolle BDSM-Beziehung

48. Bekenntnis zu sich selbst

1.

Demütigung

„Herabsetzung einer Person in Bezug auf ihren Stolz und Selbstrespekt. Reduzierung auf einen niedrigeren, wertloseren Status … Demütigung ist oft auch mit Scham oder Ekel verbunden. Diese Form der Erniedrigung wird von entsprechend veranlagten Sadomasochisten paradoxerweise genossen. Trotz vielfacher Spekulationen (z. B. den unterbewussten Wunsch, bestimmte Tabus zu brechen und sich seiner sozialen Rolle zu entziehen, ohne dafür die Verantwortung übernehmen zu müssen) gibt es für die genaue Ursache dieser Neigung bis heute keine allgemein einleuchtende Erklärung.“

Arne Hoffmann, Lexikon des Sadomasochismus, 2001, S. 73

‚Du beschaffst mir das Geld, oder ich werde dafür sorgen, dass dein Leben den Bach runter geht, das verspreche ich dir …‘

Die Worte klangen Biljana noch immer im Ohr, als sie die kleine Gasse im fünfzehnten Bezirk hinunter stapfte, bei jedem Schritt unschlüssig, ob sie nicht umkehren sollte.

Was war an jenem Abend in sie gefahren, als sie mit ihren Freundinnen im Grunde nur feiern wollte? Wieder einmal den Abend so richtig genießen. All das tun, worauf sie seit ihrer Verlobung mit Darko verzichtet hatte.

Ja, Darko, sie liebte ihn, da war sie sich im Grunde sicher. Er hatte ein attraktives, leicht herrisches Äußeres, das gleich beim ersten Zusammentreffen mit ihm eine große Anziehungskraft auf sie ausgeübt hatte. Die dunklen, oft zerzausten Haare mit den ebenmäßigen Zügen, die seine slawische Herkunft nicht verleugnen konnten, sein großer, schlanker, durchtrainierter Körper, dazu die strahlend blauen Augen, die sich nicht so recht ins Gesamtensemble seiner Erscheinung einfügten, ihr aber gerade deshalb etwas Besonderes verliehen, das alles hatte sie von Anfang an beeindruckt. Dennoch war es etwas Spezielles gewesen, das in ihr dieses fast unstillbare Verlagen nach ihm ausgelöst hatte. Es war seine unmissverständliche, Widerspruch nicht duldende Art, etwas zu sagen. Wenn er etwas von ihr wollte, dann sagte er es nicht einfach, es befahl es.

Diese Eigenschaft von Darko, die von anderen eher negativ aufgenommen wurde, war es, von der sie nicht genug bekommen konnte. Ja, oft hatte sie sich gewünscht, auch in ihrem gemeinsamen Liebesleben mehr davon zu spüren. Sie sehnte sich auch in diesem Bereich nach Befehlen, strikten Anordnungen, die ohne Widerspruch zu befolgen waren, egal, was es war. Doch was das betraf, war er eher konservativ. Sie wagte es nicht einmal, mit ihm über ihre Träume auch nur zu sprechen.

Vielleicht hatte das alles ja dazu beigetragen, dass sie an jenem Abend diese unsagbare Dummheit begangen hatte.

Biljana war eine schöne Frau mit ebenmäßigen Zügen. Die eher kleine Nase, die man gerade nicht mehr als Stupsnäschen bezeichnen konnte, die klaren Linien rund um ihren Mund, es gab nichts an ihrem Gesicht, das auch nur leicht aus dem Rahmen fiel. Vielleicht war aber gerade das ihr einziger Mangel. Wegen dieser absoluten Makellosigkeit fehlte es ihrem Aussehen nämlich an Hintergründigkeit. Anders gesagt, konnte man sie als Allerweltsschönheit bezeichnen, deren Züge nichts Markantes besaßen, weshalb sie auch schwer bei anderen Menschen haften blieben.

Sie versuchte, durch auffallende Haargestaltung diesem Manko entgegenzuwirken. Derzeit hatte sie einen rötlichen Ton gewählt, der ihre lange, dichte, an einzelnen Stellen gelockte Haarpracht auffallend mit ihrer hellen Haut harmonieren ließ, eine Kombination, zu der die braunen Augen einen Kontrast bildeten, den die natürliche Farbe ihrer Haare, eine weit verbreitete Brünettabstufung, vermissen ließ.

Dieser recht gekonnte Einsatz von Gestaltungsmitteln verlieh ihr ein wenig jener Besonderheit, die die Natur ihr vorenthalten hatte. Ihre sehr weibliche Figur, die Modelmaßen nahekam, diese an den richtigen Stellen aber durch Rundungen fast noch verbesserte, tat ein Übriges, um ihr insgesamt eine sehr attraktive Erscheinung zu verleihen.

Was nun war an jenem Abend geschehen, an dem ihr Unglück begonnen hatte?

Sie hatte sich mit ihren Freundinnen Lenka und Anna in einer Bar in der Innenstadt verabredet. Sie kannte die beiden schon länger, sie arbeiteten mit ihr in einer Import-Export-Firma zusammen. Es war Annas Geburtstag gewesen.

Immer und immer wieder hatten ihr seither die nun folgenden Stunden im Kopf herumgespukt.

Der Abend verlief zunächst, wie sie es sich vorgestellt hatte, harmloses Geplauder, jede Menge Spaß und Sorglosigkeit. Dann setzten sich diese beiden Typen, die eine Zeit lang zu ihnen herübergegrinst hatten, an ihren Tisch, jung wie sie selbst, unkompliziert und charmant. Sie dachte sich nichts dabei, obwohl sie die einzige von ihnen war, die sich in festen Händen befand.

Irgendwann kam dann der Punkt, an dem das Ganze abglitt. Die drei Freundinnen hatten sich schon jene Menge an Cocktails einverleibt, die vernünftige Entscheidungen nicht mehr möglich machte. Genau das war auch der Zeitpunkt, an dem sich die Gesprächsthemen der beiden, die sich als Marko und Stepan vorgestellt hatten, immer mehr um Sex zu drehen begannen. Fast unmerklich, nur langsam weiter tastend, aber immer konkretere Formen annehmend. Je deutlicher erkennbar wurde, dass sich die drei angetrunkenen Vertreterinnen des schwachen Geschlechts nicht gegen solche spezielleren Themen wehrten, desto weiter gingen die Burschen.

An Biljana nagte den Verdacht, dass die beiden ihnen in einem unbeobachteten Moment etwas in ihre Cocktails geträufelt hatten, etwas, das den drei ohnehin schon abgefüllten jungen Frauen alles noch viel leichter machte. Ganz sicher war sie sich im Rückblick aber nicht mehr.

Schließlich, als die beiden Männer mitbekamen, wie die Hemmungen dahinschmolzen, fingen sie plötzlich an, über ihre speziellen Praktiken zu erzählen. Wie viel Spaß es machen konnte, wenn „sie“ gefesselt wurde, dass sie schon öfters eine festgebunden und mit dem Rohrstock gezüchtigt hatten, und das hatte „sie“ am meisten genossen.

Wenn Biljana jetzt, während sie irgendwo im fünfzehnten Bezirk von Wien etwas unentschlossen dahinging, daran dachte, kam ihr plötzlich auch diese seltsame Erregung wieder in den Sinn, die die Erzählungen bei ihr ausgelöst hatten. Welcher Teufel war es gewesen, der sie damals so begierig darauf gemacht hatte, mehr von diesem Thema zu erfahren, mehr davon zu bekommen? Sie wusste es nicht.

Zu vorgerückter Stunde jedenfalls, als sich an jenem Abend die Themen langsam zu erschöpfen begannen, schlugen die beiden Typen aus heiterem Himmel vor, das Lokal zu wechseln. Sie erzählten von einem Club, ganz in der Nähe, in den man so ohne weiteres gar nicht reinkam. Sie waren dort bekannt, würden die Mädchen gerne mitnehmen, könnten ihnen einiges zeigen, ganz ohne Hintergedanken natürlich, alles ganz seriös.

Da die natürlichen Hemmungen der drei Freundinnen es nur kurzzeitig schafften, ihrer Neugier ernsthaften Widerstand zu leisten, standen sie schon etwa fünfzehn Minuten später – Mitternacht war längst vorbei – vor der Tür jenes Clubs, der von außen in keiner Weise den Eindruck einer öffentlichen Lokalität erweckte. Nach dem, was sie in ihrem Zustand beim kurzen Spaziergang mitbekommen konnten, befand er sich irgendwo in einer Seitengasse des Grabens, des zentralen Platzes in Wien, gleich neben dem Stephansdom.

Im kleinen Glasfenster der Tür kam kurz eine Gestalt zum Vorschein, schließlich öffnete sie sich, und sie durchschritten zu fünft einen düsteren Vorraum, der in eine Bar mündete, die von schummrigem rötlichem Licht erfüllt war und eine Tanzfläche besaß, an der sich eine halbnackte Frau räkelte. Einige Tische waren von Paaren besetzt, man hörte aber kaum jemanden sprechen, die Anwesenden befanden sich offensichtlich in mehr oder weniger vorgerückten Stadien des Vorspiels zum Liebesakt. Dem entsprechend verließen immer wieder einzelne Paare ihren Platz, wohl um in einer der angrenzenden Räumlichkeiten die ausgiebige Fortsetzung folgen zu lassen.

Sie selbst ließen sich – als einzige größere Gruppe – an einem der niedrigen Tische nieder. Die zwar äußerst geschmacklosen, aber zur Lokalität passenden weinroten Lederfauteuils schienen einen Mechanismus zu besitzen, der, während sie sich hinsetzten, begann, sie in sich aufzusaugen.

Etwa ab diesem Zeitpunkt fingen Biljanas Erinnerungen an, bruchstückhaft zu werden. Sie sah sich noch auf der Tanzfläche mit einem der Typen, irgendwann fand sie sich dann in einem Raum wieder, in dem es diese „speziellen“ Utensilien gab. Sie konnte sich an einen Käfig erinnern, in den gerade eine Person passte, ein Gestell mit einer ledernen Schaukel und ein Andreaskreuz an der Wand. Dazu standen auf den Regalen Peitschen und jede Menge phallusartiger Gegenstände in allen Ausführungen und Größen. Einer der Typen begann plötzlich, sie auszuziehen, ohne Zärtlichkeit, wie eine Schaufensterpuppe.

Nachdem er ihr, leichte Gegenwehr überwindend, den Slip heruntergezogen hatte, stand sie – bis auf ihre High Heels, die hatte man ihr gelassen – vollkommen nackt vor den beiden Männern. Sie begann zu zittern, war sich allerdings nicht sicher, ob aus Angst oder einer gewissen Erregung, die einsetzte, als die ungenierten Blicke der beiden Männer über ihren entblößten Körper glitten. Schließlich zerrten sie sie an das Kreuz und fesselten sie mit groben Griffen an die schrägen Balken.

Widerstand kam ihr in diesen Momenten nicht mehr in den Sinn. Vor allem dieser Umstand nährte ihre Vermutung, ihr wäre unbemerkt irgendein Mittel verabreicht worden. Seltsamer Weise konnte sie sich an etwas genau erinnern, nämlich an ihre Gefühle in diesem Moment: einerseits unsagbare Scham, während sie nackt und gefesselt vor den beiden fremden Männern zur Schau gestellt war, gleichzeitig steigerte sich aber diese seltsame Erregung, die sie in dieser Form bis dahin nicht gekannt hatte, eine Erregung, die gerade durch die demütigende Peinlichkeit des Moments und die ungewisse Angst vor dem nun Folgenden in ungekannte Höhen getrieben wurde. Das Beben in ihren Lenden wurde immer intensiver, sie fühlte, wie das sich unaufhaltsam steigernde Begehren die Säfte ihres Körpers in ihren entblößten Unterleib trieb, während die Scham, dies alles vor fremden Augen zulassen zu müssen, ihre Lust auf seltsame Art stetig weiter antrieb.

Nur undeutlich konnte sie sich noch an ein Licht erinnern, von dem sie plötzlich geblendet wurde, dann spürte sie etwas, das sich anfühlte wie ein nasses Tuch, auf ihre Haut klatschen. Es konnte nur eines jener seltsamen Schlagutensilien sein, die in diesem Zimmer an der Wand hingen. Es tat weh, aber auf seltsame Art genoss sie den Schmerz.

Während sie so hilflos am Andreaskreuz hing und diese demütigende und gleichzeitig erregende Bestrafung erhielt, fühlte sie, wie sich der Höhepunkt ihrer Lust langsam näherte. Da geschah etwas, das ihr in der Erinnerung unwirklich vorkam: Eine weitere Gestalt betrat plötzlich das Zimmer. Sie war sich dessen sicher, auch wenn sie das Gesicht der eintretenden Person, deren Körper untersetzt wirkte, nicht erkennen konnte. Die Frau oder der Mann – nicht einmal das konnte sie erkennen – war in ihrer Erinnerung nicht mehr jung, wechselte ein paar Worte mit den anderen beiden und sah dann einfach dem Geschehen zu.

Schließlich öffnete der eine der beiden jungen Männer, es war der, der sie geschlagen hatte, ohne jede Scham ob der weiteren anwesenden Personen seine Hose und nahm sie einfach, hart und intensiv. Sie, nackt und wehrlos festgebunden, konnte nichts dagegen tun, war dem Geschehen völlig ausgeliefert.

Wenn sie jetzt daran zurückdachte, löste dieser Abschluss der Ereignisse, so erregend es damals auch gewesen sein mochte, Zorn und Hass auf die beiden Männer aus, die sie so geschändet und aus ihr ein willenloses Objekt gemacht hatten. Diese Gefühle erstreckten sich auch auf die ihr gänzlich unbekannte Gestalt, die bei all dem zugesehen und es im Übrigen einfach hatte geschehen lassen. Übertroffen wurden diese Emotionen aber von Schuldgefühlen, die nicht von ungefähr kamen. Trotz aller Gewalt, die man ihr angetan hatte, trotz all der demütigenden Peinlichkeit, der sie ausgesetzt gewesen war, war es zuallererst ihr eigenes Gewissen, das sie belastete, und das es ihr letztlich unmöglich gemacht hatte, mit ihrem Verlobten darüber zu reden. Jener Abend, als einer der Fremden bei diesem Ritual in sie eingedrungen war wie ein wildes Tier, hatte ihr nämlich den intensivsten Orgasmus beschert, den sie jemals erlebt hatte.

Mit Darko war es immer schön gewesen, er war kein schlechter Liebhaber, aber erst in dieser demütigenden, unberechenbaren und wie an einem Pranger zur Schau gestellten Situation mit unbekannten Männern war es in ihr richtig zur Explosion gekommen. Seit damals wusste sie erst, wie es sein konnte, welche Erfüllung möglich war. Dieses Wissen war es auch, das sie davor zurückgehalten hatte, die beiden Männer anzuzeigen.

Was weiter in der Bar vorgefallen war, hatte sie erst aus den Erzählungen ihrer Freundinnen erfahren. Nachdem sie eine Zeit lang mit den beiden Männern verschwunden war, hatten sich Lenka und Anna Sorgen gemacht und den Kellner gefragt, wo ihre Freundin wäre. Der verwies aber nur auf die Séparées, und sie würde sicher bald wiederkommen, was nach einer guten halben Stunde schließlich auch geschah. Da Biljana nach ihrer Rückkehr aussah, als hätte der Alkohol jetzt erst richtig zu wirken begonnen, verabschiedeten Lenka und Anna sich – nicht ohne Vorwürfe – von den beiden jungen Männern, und brachten ihre Freundin auf kürzestem Weg nach Hause.

Biljana hatte ihnen danach nie erzählt, was an jenem Abend wirklich passiert war.

Ein paar Tage später – es war auf dem Weg zu ihrer Arbeit gewesen – war dann ein älterer Mann auf sie zugekommen, um ihr einen USB-Stick in die Hand zu drücken. Sie solle sich ansehen, was drauf ist. Er werde sich wieder bei ihr melden.

Als sie den Stick zu Hause am Laptop angesteckt und auf die einzige Datei geklickt hatte, die er enthielt, hatte sie zunächst Probleme, ihren Augen zu tauen. Sie war zu sehen, nackt, festgebunden. Zuerst wurde sie gepeitscht, dann kam plötzlich der Mann hinzu. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, nur ihres. Aber nicht nur das, jeder Teil ihres Körpers wurde unter die Lupe genommen. Das schlimmste aber war, dass man erkennen konnte, wie sehr sie es genoss.

Die darauffolgenden Tage, an denen nichts passierte, hatte sie kaum ertragen. Den Gedanken, es Darko zu sagen, wagte sie nicht einmal zu Ende zu denken. Andererseits fiel es ihr unsagbar schwer, vor ihm so zu tun, als ob nichts geschehen wäre. Zwischendurch kam ihr sogar der Verdacht, er ahnte, dass etwas nicht stimmt, aber diesen Gedanken verdrängte sie, sobald er auftauchte.

Nach einer Woche meldete sich wieder ein Mann bei ihr. Sie vermutete, dass es der war, der ihr den Stick gegeben hatte. Die Forderung war eindeutig: zehntausend Euro, bar auf die Hand, oder sie würden ihrem Verlobten den Film schicken.

Wo sollte sie das Geld herbekommen? Hatte es überhaupt einen Sinn, etwas zu zahlen? Würde es nicht immer weitergehen mit den Forderungen?

Sie stellte sich jede dieser Fragen, konnte aber dennoch nicht anders, als alles zu tun, um den Traum ihres künftigen Lebens mit Darko aufrecht zu erhalten, auch wenn dieser Traum an der Realität zu zerbrechen drohte.

In einem weiteren Telefonat hatte sie es geschafft, den Betrag auf fünf Raten zu zweitausend aufzuteilen. Offensichtlich hatten die Gauner das Problem, dass sie ihren einzigen Trumpf verloren, wenn sie ihre Drohung wahr machten. Sie hätten dann zwar Biljanas Leben zerstört, aber auch für sie wäre es vorbei mit dem Geld gewesen. Das ließ sie flexibel auf die Bitten ihres Opfers reagieren, was diesem wiederum neue Hoffnung gab, aus der Sache irgendwie heil raus kommen zu können.

Biljana war schließlich beim endlosen Grübeln, wie das Geld aufzutreiben war, die Lösung wie von selbst in den Schoß gefallen. Eine alte Freundin hatte sich unvermittelt bei ihr wieder gemeldet. Sie hieß Julia. Das letzte Treffen der beiden war schon mindestens zwei Jahre her. Bei der jetzigen Verabredung, die bald nach dem ersten Kontakt vereinbart war, hatte Julia ihr anvertraut, dass sie schon einige Zeit in speziellen Filmen mitspielte, was sehr viel Geld einbrachte.

Nur langsam hatte Biljana herausbekommen, worum es dabei wirklich ging. Schließlich hatte Julia ihr verraten, dass es SM-Filme waren, in denen sie Rollen übernahm. Darin wurden jungen Frauen auf jede nur erdenkliche Art bestraft: ihnen wurde der Hintern versohlt, sie wurden nackt in demütigenden Positionen festgebunden, dazu gab es viele Arten „medizinischer“ Bestrafung. Handlung gab es in diesen Filmen wenig. Zumeist waren es an den Haaren herbeigezogene Situationen, eine Erziehungsanstalt, in der die Insassen bei geringsten Vergehen gnadenlos gezüchtigt wurden, Gerichtsverfahren, in denen man seltsamer Weise dazu verurteilt wurde, vor dem versammelten Gericht unmittelbar nach der Verhandlung einer peinlichen Bestrafung unterzogen zu werden. Unumstößliche Regel dieser Filme war, dass es sich bei sämtlichen Delinquentinnen um gut gewachsene junge Frauen handelte und dass sie sich für die Bestrafungssequenzen ausnahmslos nackt ausziehen mussten.

Im Internet waren diese Filme angeblich ein Renner. In HD-Qualität wurden sie wie die warmen Semmeln gekauft.

Julia hatte ihr damals anvertraut, was sie damit verdiente: pro Drehtag etwa zweitausend Euro.

Das Geschilderte wirkte in den Tagen nach dem Treffen weiter, was sie schließlich zum Entschluss gebracht hatte, Julia kurz danach anzurufen und zu fragen, ob sie nicht selbst in diesen Filmen mitspielen könnte. Danach war es schnell gegangen. Bei der Filmproduktionsfirma suchte man fast ständig neue Darstellerinnen. Sie hatte die Telefonnummer erhalten und einen Termin bekommen.

Jetzt war sie auf dem Weg dorthin, fünfzehnter Bezirk, Nähe Meiselmarkt. Nur langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen. Es fiel ihr schwer, klar zu denken, und noch weniger schaffte sie es, zu überblicken, was sie da eigentlich tat.

Ihr Plan war, so lange in diesen Filmen mitzuspielen, bis sie das Geld zusammen hatte. Da sie in Teilzeit nur an drei Tagen pro Woche arbeitete, könnte sich das vielleicht irgendwie arrangieren lassen. Sie würde sich eine schwarze Perücke aufsetzen, eine Haarfarbe, die sie freiwillig nie wählen würde. Dies, das richtige Makeup und ihr Allerweltsgesicht sollten dafür sorgen, dass niemand sie erkennen würde.

Schließlich stand sie vor der Haustür. „Dark Productions“ war auf einem Schild zu lesen. Sie hielt kurz inne. Widersprüchliche Gefühle waren es, die sie wanken ließen. Was wollte sie hier eigentlich? Bedeutete das, was sie hier vorhatte, nicht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben? Immerhin, ihrer Information nach wurden hier keine Pornos produziert, Sex vor der Kamera gab es nicht. Und die paar Striemen, die ihr bei den Dreharbeiten vielleicht blühten, würde sie schon aushalten.

Aber war da nicht noch etwas anderes, durchströmte sie nicht so ein seltsam erregender Schauer, wenn sie daran dachte, was hinter diesen Türen auf sie wartete?

Sie drückte etwas zaghaft auf die Klingel, worauf sich eine weibliche Stimme meldete. Nach ihrem Hinweis auf den heutigen Termin surrte es. Sie öffnete die Tür und trat ein.

2.

Switcher

„Sadomasochist, der zwischen seiner aktiven und seiner passiven Seite hin- und herwechselt. … Manche Masochisten weigern sich auch, sich einem Partner zu unterwerfen, der zuvor nicht selbst Erfahrungen am anderen Ende der Peitsche gemacht hat.“

Arne Hoffmann, Lexikon des Sadomasochismus, 2001, S. 400

„ … und so sehen wir an diesem Fall wieder einmal, dass im Bereich der medikamentösen Therapie zwar die unterschiedlichsten Wirkungsweisen zutage treten. Eines bleibt aber immer gleich: ob eine Substanz toxisch oder kurativ wirkt, hängt ausschließlich von der Dosis ab. Damit möchte ich für heute schließen, wir sehen uns dann in einer Woche wieder.“

Das Klopfen der Mittelfingerknochen gegen die schmalen hölzernen Tischplatten, mit denen die Sitzreihen des Auditoriums ausgestattet waren, setzte unmittelbar nach dem letzten Wort ein, ebbte danach aber genauso schnell wieder ab.

Professor Hochstrasser hatte gerade seine Vorlesung im Rahmen der Einführungslehrveranstaltung für angehende Pharmazeuten beendet und stand nun noch kurz für die Beantwortung dringender Fragen besonders interessierter Studenten zur Verfügung. Nach ziemlich genau fünf Minuten riss er sich aber wie immer los, da er wusste, dass die Fragewut einiger dieser jungen Leute unerschöpflich war.

Der Professor war ein Sonderfall unter den Universitätslehrern seines Fachs. Da er nach seinem Pharmaziestudium nicht von Eile getrieben war, ins Berufsleben einzusteigen, hatte er noch, so nebenbei, das Medizinstudium drangehängt. Das nötige Durchstehvermögen war ihm von frühester Jugend an zu Eigen gewesen und auch der finanzielle Hintergrund seines Elternhauses hatte gestimmt.

Mit der Doppelqualifikation nach dem endgültigen Abschluss seines Studentenlebens war er fast wie von selbst in der pharmazeutischen Forschung angekommen. Die akademische Arbeit an der Wiener Universität beanspruchte demgegenüber nur einen kleinen Teil seiner Zeit. Die Professur hatte ihn auch nicht allzu viel Anstrengung gekostet. Seine Habilitation war im Grunde die Zusammenfassung eines der Projekte im Rahmen seiner Forschungstätigkeit bei einem bekannten Pharmakonzern gewesen. Er hatte nichts tun müssen, als das Ergebnis ein wenig in Form zu bringen. Dennoch wusste er es schon wegen der damit verbundenen Abwechslung zu schätzen, regelmäßig die altehrwürdigen Gemäuer am Universitätsring zu besuchen.

Prof. Hochstrasser war gerade sechsundvierzig Jahre alt und eine eher unauffällige, aber dennoch recht ansehnliche Erscheinung: mittelgroß, hohe Stirn, die auf Grund seines schütteren Haaransatzes bei ihm recht früh entstanden war, normaler Körperbau, kein Sportler, aber recht angenehme Gesichtszüge, stets glatt rasiert, durchwegs Merkmale, die den Eindruck eines sehr normalen, gutbürgerlichen Lebens vermittelten.

Doch dieser Eindruck täuschte. Der Professor führte kein Leben, das sich in derartige Kategorien einordnen ließ. Er war ein Getriebener, und das schon seit seiner Kindheit. Je mehr Erfolg er in seinem Beruf erreichte, je angesehener und bekannter er in diesem Teil seines Lebens wurde, umso zwiespältiger hatte sich die Situation für ihn in seinem Privatleben, wenn man es überhaupt so nennen konnte, entwickelt. Die Diskrepanz zwischen den beiden Erscheinungsformen seines Daseins wurde zusehends unerträglicher.

Bei dieser Kehrseite seines Lebens, die mehr Raum in seinem Denken einnahm als alles übrige, ging es um Triebe. Sie waren da und es war notwendig, sie zu befriedigen.

Schon in seiner Kindheit hatte er eine ganz besondere Seite an sich entdeckt, nämlich eine ganz besondere Form sexueller Lust, eine, die mit Demütigung, Bloßstellung und Bestrafung verbunden war.

Begonnen hatte es damit, dass ihn jene schmierigen Kinos der siebziger und achtziger Jahre, die es in seiner Kindheit noch zu Hauf gegeben hatte und in denen meistens die damals modernen eigenartigen Sexstreifen wie „Schulmädchenreport“ oder „Oswald Kolle“ gezeigt wurden, seltsam angezogen hatten. Die genannten Filme bestanden aus einer seltsamen Mischung von Aufdeckung, Aufklärung und Aufgeilung, wobei die ersten beiden Zwecke vorgeschoben schienen, um dem dritten zu dienen.

Aber es waren im Grunde gar nicht nur diese Filme, für die er besonderes Interesse hegte. Mehr noch konnte er sich für speziellere Streifen erwärmen. Bei Titeln wie „Gefangene Frauen“ oder „Jungfrau hinter Gittern“ wurde er plötzlich wie von einem Magneten zu den Schaufenstern des Kinos gezogen, an denen die Bilder hingen. Wenn er den Mut dazu hatte, schlenderte er mit möglichst unverfänglicher Miene zum Kinoeingang, um dann, kurz nach der Beginnzeit, wenn er in der Umgebung niemanden aus seinem Bekanntenkreis wähnte, möglichst unbemerkt eine Karte zu kaufen und im dunklen Kinosaal zu verschwinden.

Auf seinem weiteren Lebensweg hatten es seine einschlägigen Neigungen geschafft, jede seiner Beziehungen – es waren nicht viele gewesen – nach einiger Zeit zu zersetzen und schließlich ganz zu beenden. Es war ihm nie gelungen, seiner Partnerin diese seltsamen Neigungen anzuvertrauen, was nicht zuletzt daran lag, dass keine von ihnen auch nur ansatzweise sexuell in diese Richtung tendierte. Schließlich waren die Auflösungstendenzen immer von ihm ausgegangen. Nach einigen Monaten mit einer Frau an seiner Seite fühlte er sich eingeengt. In Hinterkopf hatte bei ihm immer das Gefühl herumgespukt, er würde etwas versäumen, würde daran gehindert, seiner wahren Bestimmung nachzukommen.

Aber genauso, wie diese Triebe immer da waren, hatte er von Anfang an versucht, sie geheim zu halten, sie nur in absoluter Anonymität zum Vorschein kommen zu lassen, wie damals, an der Kinokasse.

Seine Besessenheit, diese zweite Seite von sich nie zu offenbaren, ging so weit, dass er derartige Filme oder Magazine, wenn er sie, natürlich absolut anonym, in einem Sexshop gekauft hatte, nach Gebrauch und kurzer Befriedigung sofort vernichtete, denn es könnte ja sein, dass er überraschend starb, dann sollte der Fund solcher Dinge in seiner Wohnung nicht sein Andenken beschmutzen. Zeitungsmeldungen von bekannten Schauspielern, die just während sadomasochistischer Spielchen den Geist aufgegeben hatten und deren Namen dadurch für immer mit diesen Praktiken verbunden blieben, waren ihm in dieser Hinsicht eine Warnung.

Dem entsprechend war er trotz seines fortgeschrittenen Alters den Weg in diese spezielle Seite der Sexualität wegen seiner fast neurotischen Vorsicht noch gar nicht allzu weit vorangeschritten. Gelegentliche Besuche in Sexshops, gelegentliches Verweilen auf einschlägigen Seiten im Internet, ganz selten im Ausland eine Peep-Show mit SM-Programm.

Er träumte davon, eine professionelle Domina mit devoter Zofe zu besuchen und in das Spiel einmal als Meister, dann wieder als willenloser, körperlich und sexuell gedemütigter Sklave einbezogen zu werden. Am Geld wäre es nicht gescheitert. Allein seine Angst vor Entdeckung hatte ihn bisher davon abgehalten. Heutzutage war es möglich, alles und jedes zu filmen, ohne dass man auch nur die leiseste Ahnung davon hatte. Und versteckte Kameras in einem SM-Studio zu platzieren, war wohl die leichteste Übung.

Auch einschlägige Partnerbörsen im Internet wollte er nicht frequentieren. Es stellte für ihn ein unüberwindbares Hindernis dar, eine Mailadresse anzugeben, die nachverfolgt werden konnte.

Unter besonderen Schuldgefühlen litt er wegen seiner Neigungen nicht. Sein Ansinnen war es ja nicht, jemanden real zu bestrafen oder zu foltern, genauso wie er selbst, wenn er sich im devoten Part sah, nicht wirklich an unerträglichen Qualen oder Verletzungen interessiert war. Nein, was er wollte, war vor allem, den Geschmack der Bloßstellung, des Ausgeliefertseins in den Augen seines „Opfers“ zu erkennen, um sich selbst danach von genau diesem Opfer den Genuss der absoluten Demütigung verschaffen zu lassen.

Es war ein Spiel, und es gab natürliche Grenzen, die er, wie er meinte, niemals übertreten könnte, selbst wenn er seine Phantasien einmal mit einer realen Person verwirklichen würde.

Und heute endlich war es soweit. Heute sollte dieses lang ersehnte Ereignis stattfinden. Durch ein wenig Glück hatte sich ihm eine, wie er hoffte, absolut diskrete Gelegenheit eröffnet, mit einer gleichgesinnten Frau ein paar Stunden verbringen zu können, in denen er seine Träume im gemeinsamen Spiel verwirklichen konnte.

Es war dazu in einem zwielichtigen Lokal gekommen. Er ging ganz gerne abends in solche zweifelhaften Bars etwas außerhalb der Innenstadt, die zwar seltsame Typen, darunter auch Prostituierte, beherbergten, in denen insgesamt aber nächtliches Volk jeder Art und Hautfarbe zu finden war. Wenn ihn dort jemand erkannte, konnte er noch immer sagen, er hätte sich hinein verirrt.

Eines Abends hatte ihn in so einer Lokalität eine recht seltsame Figur angesprochen und von Filmen erzählt. Filme, die ganz spezielle Themen behandelten, wie körperliche Bestrafung von Frauen, demütigende Behandlungen, Verhörmethoden, Folter. Natürlich war alles gestellt, aber es wurde sehr realistisch gedreht. Sein Gesprächspartner hatte behauptet, bei der Produktion mitzuarbeiten.

Plötzlich hatte der Typ davon angefangen, dass sich einige der Darstellerinnen auch mit privaten Treffen etwas dazuverdienten, so als hätte er die Gedanken des Professors riechen können. Nein, natürlich ging es dabei nicht um Prostitution, sondern um eine spezielle Art von Dienstleistung, bei der die Mädchen ihre Erfahrungen aus dem Filmen mit Inbrunst und Leidenschaft einbringen konnten.

Unter dem Mantel der Anonymität hatte der Professor bei diesem Gespräch Interesse bekundet und die Einladung seines Gegenübers, einmal bei einem solchen Dreh zuzusehen, spontan angenommen. Seine Überlegung war, dass ihn dort niemand kannte und er sich nur ganz unauffällig im Hintergrund halten würde. Sein Freund garantierte ihm, dass dort keine Fragen gestellt würden, dazu seien alle viel zu beschäftigt, denn die Sache musste so schnell wie möglich im Kasten sein. Alles war auf Profit ausgerichtet, und die Kunden waren mehr am Inhalt und weniger an künstlerischer Kameraführung interessiert. Nach den Aufnahmen wollte der Professor dann möglichst diskret eines der Mädchen ansprechen und die Sache aushandeln.

Jetzt saß er im Taxi nach Hause. Dort würde er sich in die schäbigsten Klamotten werfen, die er fand, um ein paar Stunden später am Ort des Geschehens, irgendeinem Anwesen in Niederösterreich, nicht allzu weit von Wien entfernt, einzutreffen.

Er fühlte, wie sein Herz pochte. Es war diese Mischung aus Angst, etwas könnte schiefgehen, die sich mit der Erwartung jener Dinge, an denen er heute teilhaben würde, mischte. Es war ein ähnliches Gefühl wie damals, als er im muffigen Eingangsraum des Kinos stand und die Bilder mit den nackten, gedemütigten Mädchen betrachtete, während die ältere Frau an der Kinokasse zu ihm herüber schielte, sich fragend, ob er noch eine Karte wollte, da der Film ja schon begonnen hatte.

Genau wie damals war es dieses Gefühl, das ihn bis in seinen Unterleib in Wallung brachte. Und genau wie damals würde er diese Hemmung, die vor dem letzten Schritt immer noch bestand, überwinden und sich eine Karte zur Erfüllung seiner Träume kaufen.

3.

Kriminalisierung

„Der Versuch, sadomasochistische Erotik bzw. deren Abbildung in die Sphäre des Illegalen und moralisch Verwerflichen zu rücken, etwa mit dem Vorwurf der Körperverletzung oder »Gewaltpornographie«. Teile der Gesellschaft, die sich als Vertreter sittlicher Normen fühlten, reagierten auf ähnliche Weise schon immer auf sexuelle Neigungen, die nicht mehrheitsfähig waren (etwa auf die der Homosexuellen). …“

Arne Hoffmann, Lexikon des Sadomasochismus, 2001, S. 233

Tódor Háller saß in seinem weitläufigen Büro im sechsten Stock eines Wiener Altbaus mitten im fünfzehnten Bezirk. Er genoss es, gelegentlich ein paar Minuten allein an seinem im Kolonialstil gehaltenen riesigen Mahagonischreibtisch zu verbringen, sich eine Zigarre anzurauchen und einfach nur aus dem Fenster über die Dächer Wiens zu blicken.

Er war Inhaber einer Filmfirma, die er in seiner Heimatstadt Budapest aufgebaut hatte. Als Nachkomme von Volksdeutschen in Ungarn hatte er den Willen, sich auch in schwierigen Lebenslagen nie unterkriegen zu lassen, quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Mit seinem Jura-Studium an der Universität in Budapest war ihm auch das dafür nötige Rüstzeug zu eigen geworden.

Eine juristische Karriere war für ihn aber nie in Frage gekommen. Er wollte nicht für andere arbeiten, sondern ausschließlich seine eigenen Interessen verfolgen. Da er vor allem an schnellem Geld interessiert war und so etwas wie Skrupel oder Hemmungen nicht kannte, landete er schließlich in der Pornobranche. Er gründete eine Filmproduktionsfirma und drehte eine Zeit lang klassische Pornos aller Art. Im Laufe der Zeit musste er allerdings erkennen, dass die Pornobranche seit der Wende in Ungarn hoffnungslos überlaufen war, weshalb die Stücke vom Kuchen, mit denen sich die einzelnen Produzenten zufriedengeben mussten, kleiner und kleiner wurden.

In dieser Situation kam ihm ein glorreicher Einfall, mit dem er es im Lauf der Zeit schaffte, seine Einnahmen in ungeahnte Höhen wachsen zu lassen. Ausgangspunkt für ihn war der Wunsch gewesen, etwas völlig Neues in seinem Metier zu schaffen. Schließlich kam er auf das weite Feld von Marquis de Sade, nur beackerte er es nicht als Schriftsteller, sondern als Filmemacher. Anfangs hatte er sich noch weitgehend an die Lektüre seines Vorbilds gehalten. Im Lauf der Zeit waren dann eigene Phantasien, oft auch durch Bekannte und Mitarbeiter angeregt, hinzugekommen.

Die Umstellung von den Pornofilmen zu seinen jetzigen sadomasochistischen Machwerken war zu Beginn nicht problemlos vonstattengegangen. Er hatte seine gesamten Ersparnisse der bisherigen Produktionen in das neue Projekt gesteckt. Und dieses Geld benötigte er damals dringend, denn es stellte sich heraus, dass es gar nicht so einfach war, Darstellerinnen für so etwas zu finden. Er musste überzeugende Honorare bieten, was er schließlich auch tat, denn er war der Typ, der etwas, an das er glaubte, ohne Scheu vor Risiken durchzog. Und er sollte Recht behalten. Als die ersten seiner neuen Filme in den Sex-Shops zum Verkauf angeboten wurden, war die Nachfrage überraschend groß. Und das sollte sich im – vorwiegend westlichen – Ausland noch steigern. Das lag wohl daran, dass die Zielgruppen dort im Schnitt finanziell wesentlich besser gestellt waren als in seinem Heimatland.

Aber es gab noch andere Hindernisse als finanzielle Unwägbarkeiten, die sich ihm in den Weg stellten. Als die hartnäckigste Hürde erwies sich das Gesetz. Es verbot die Verknüpfung von Pornographie und Gewalt, wie sie bei seinen Filmen bei oberflächlicher Betrachtung offensichtlich praktiziert wurde. Doch letztlich ging er einigermaßen unbeschadet aus den vielen und langen Kämpfen hervor, die er zu führen hatte. Es gelang ihm, wenn auch erst nach langen Prozessjahren, sich erfolgreich gegen den Vorwurf der Verbreitung gewalttätiger pornographischer Darstellungen zu wehren. Er argumentierte dabei, dass das, was er produzierte, keine Pornographie sei. Und tatsächlich, in seinen Streifen war praktisch nie ein Koitus zu sehen. Seine Darstellerinnen mussten sich entkleiden, sie wurden splitternackt an irgendwelchen Gerätschaften festgekettet, gezüchtigt und mit allerlei Gegenständen traktiert, wobei jeder Zentimeter ihres Körpers in Großaufnahmen zu sehen war, ihre Hinterteile waren nach der „Bestrafung“ von Striemen übersät, aber sexuelle Handlungen im engeren Sinn waren keine zu sehen. Die Tatsache, dass diese Filme nichts anderem als der Anregung und Befriedigung einschlägiger sexueller Phantasien dienten, was ihnen zweifellos auch gelang, spielte in der juristischen Aufarbeitung nicht die entscheidende Rolle, da im Gesetz ausdrücklich von „sexuellen Handlungen“ die Rede war.

Bei sich selbst dachte er oft, dass die Dauer der Prozesse wohl auch damit zu erklären war, dass möglichst viele Juristen sich seine Produkte aus „dienstlichen Gründen“ ansehen mussten.

Mit den Jahren traten die Querelen mit dem Gesetz immer mehr in den Hintergrund und spielten seit der Jahrtausendwende kaum mehr eine Rolle. In Zeiten, in denen bei öffentlichen, von den Medien beachteten Veranstaltungen alle Arten sexueller Spielarten zur Schau gestellt wurden und Partnerbörsen jeder sexuellen Ausrichtung im Internet hoch im Kurs standen, wanderte der Bereich, in dem seine Filme angesiedelt waren, in der öffentlichen Meinung mehr und mehr in Richtung „Ausleben besonderer Neigungen“, ohne dass eine positive oder negative Wertung damit verbunden war. Und wenn sich erwachsene Frauen für verhältnismäßig viel Geld vor der Kamera ihren Arsch versohlen ließen und den Zusehern alle Arten erniedrigender Folter vorspielten, so war das im Grunde ihre Sache. Seltsamer Weise hatte er bei den meisten seiner Darstellerinnen das Gefühl, dass sie die Demütigungen und Bestrafungen selbst am meisten genossen.

Auf ein Detail achtete er bei all diesen Dingen allerdings sehr genau, nämlich dass alle Mädchen, die da mitmachten, über achtzehn waren, denn er wusste, wenn er Minderjährige da hineinzog, dann hatte er von Seiten der Behörden kein Pardon zu erwarten.

Der Durchbruch des Internets und die damit verbundenen neuen Wege der Vermarktung hatten eine weitere Initialzündung für seinen Erfolg bedeutet. Dadurch hatte er die Möglichkeit bekommen, einen lange gehegten Traum zu verwirklichen, nämlich in Wien zu leben. Mittlerweile betrieb er hier auch eine Produktionsstätte, die bestens lief, denn seit dem Beginn der Wirtschaftskrise 2008 fehlte es auch in Wien bei vielen jungen Leuten an jeglichen Hemmungen, wenn es darum ging, Geld zu verdienen. Die immer höhere Migrationsrate mit einer Unzahl junger Schulaussteigerinnen tat ein Übriges dazu.

Heute war wieder eine Neue angesagt, eine Freundin von Julia, einer seiner besten Darstellerinnen.

Auf der einen Seite war ihm klar, was er an Julia hatte. Ihre Bewegungen, wenn sie sich auszog, ihr Blick, wenn sie an die Strafbank gefesselt wurde, brachte nicht nur das Blut der Zuseher in Wallungen, sondern auch sein eigenes. Sie und einige andere waren es im Grunde, die die Filme so erfolgreich machten.

Allerdings gab es auch Schattenseiten an seiner Beziehung zu Julia, die in letzter Zeit die positiven Eigenschaften überlagerten …

Die Tür ging auf, es war Milena, seine Sekretärin. So wie alle, die für ihn arbeiteten, erfüllte sie noch eine ganze Reihe anderer Funktionen in der Firma.

„Sie ist jetzt da, du kannst sie dir ansehen.“

Tódor stand auf, tötete seine Zigarre aus und ging gemessenen Schrittes in den Nebenraum, wo die Neue, die hier arbeiten wollte, auf ihn wartete.

4.

Spanking

„(engl. für: »Prügel«); das Verpassen leichter Schläge insbesondere auf den (entblößten) Hintern, aber auch auf Rücken oder Schenkel, um dadurch bei beiden Partnern sexuelle Lust zu erzeugen. […] Als Schlaginstrumente werden Ruten, Reitgerten, Paddel und ähnliche Gegenstände bis hin zu Pervertibles wie Gürtel, Kochlöffel, Lineal, Haarbürste oder Teppichklopfer verwendet. Auch die bloße Hand kann vollkommen genügen – und hat den Vorteil, dass der Prügelnde selbst die Heftigkeit seiner Schläge zu spüren bekommt. Bei der Verwendung von Rohrstöcken spricht man eher von Caning, bei Peitschen von Flagellation. …“

Arne Hoffmann, Lexikon des Sadomasochismus, 2001, S. 378

Biljana fand auf dem tiefen Polstersessel, zu dem sie geführt worden war, einfach nicht die richtige Sitzposition. Sie fragte sich, ob es am Sitzmöbel oder an ihrer Nervosität lag, die sie quälte wie ein lästiges Insekt. Sie saß in einem mittelgroßen Empfangsraum, in dessen Mitte der Tisch der Sekretärin platziert war, bei der sie sich gerade vorgestellt hatte. In einer Ecke des Raumes stand ein seltsames Gestell, von dem sie nicht wusste, welche Funktion es erfüllte, sie ahnte allerdings, dass es sich wohl um ein Requisit aus einem der Filme handelte, die hier gedreht wurden.

Während sie über die Stufen die fünf Stockwerke heraufgestapft war – sie hatte absichtlich den Lift gemieden, um noch Zeit zum Überlegen zu haben – hatten zwei Stimmen in ihr miteinander gekämpft. Mehrmals war sie nahe daran gewesen, umzudrehen, hatte es einmal sogar kurz getan, aber im selben Moment war ihr klar gewesen, dass sie am Ende doch hier oben landen würde. Jetzt saß sie mit unruhigem Hintern auf diesem Polstersessel und wartete ängstlich, wie so ein erstes Gespräch hier wohl ablief.

Wahrscheinlich wurden ihr ohnehin nur ein paar Fragen gestellt. Danach hatte sie ja immer noch die Möglichkeit, es sich zu überlegen.

Aber wirklich sicher war sie sich dessen nicht.

,Die wollen wissen, wozu du bereit bist, sagen kannst du ja alles, was sonst sollte das hier für einen Zweck haben?‘, dachte sie. Seltsamer Weise war es nicht nur Angst, die sie mit den Gedanken auf das nun Folgende verband, sondern auch so ein ungewisses Gefühl der Erregung, das sie nur schwer zuordnen konnte, bei dem sie sich aber in gewissem Sinn an jenen Abend zurückversetzt fühlte, der den Grund für ihre Anwesenheit hier bildete.

Bevor sie über diese Dinge nachdenken konnte, öffnete sich die Tür, in der kurz zuvor die Sekretärin verschwunden war. Ein untersetzter Mann mittleren Alters kam daraus hervor. Er mochte zwischen fünfzig und sechzig sein, hatte brünettes, nicht ganz kurzes Haar und war glatt rasiert, sah in seinem gesamten Erscheinungsbild allerdings bestenfalls durchschnittlich und darüber hinaus auch noch ziemlich verlebt aus.

„Guten Tag, ich bin Tódor“, stellte er sich vor. Als er diese Worte gesprochen hatte, musste Biljana ihre Einschätzung ein wenig ergänzen. Wenn er auch den Eindruck eines intensiven Lebens vermittelte, so hatte er dennoch etwas an sich, dem man sich nur schwer entziehen konnte. Es strömte unendliches Vertrauen aus ihm. Biljana ahnte, dass dieser Mann Frauen dazu bringen konnte, alles zu tun, was er wollte. Dabei spielten sein Aussehen und auch sein Alter keine Rolle. Er hatte das gewisse Etwas. Sie fühlte es mehr, als dass sie wirklich darüber nachdachte.

„Du willst dich bei unseren Projekten beteiligen“, sprach er weiter, „und du weißt, worum es geht …“

Biljana war sich nicht sicher, ob es sich bei der letzten Bemerkung um eine Frage oder eine Feststellung handelte und brachte nur ein kaum hörbares „Ja“ hervor.