Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht - Claudia Ziegler - E-Book

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht E-Book

Claudia Ziegler

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Beschreibung

Eine junge Frau mit einer ungewöhnlichen Gabe und einer lebensgefährlichen Mission

Sie kann in die Zukunft sehen und droht als Hexe verraten zu werden: Als die 19-jährige Madeleine zwischen die Fronten der verfeindeten Katholiken und Protestanten gerät, schwebt sie in größter Gefahr. Doch dann überträgt Catherine de Medici ihr eine geheime Mission, und Madeleine kämpft nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern auch um das Schicksal Frankreichs.

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Claudia Ziegler

DasMädchen

mit dem zweiten

Gesicht

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Karte Vorsatz: Putzger Historischer Weltatlas 104. Auflage, Cornelsen Berlin 2011, S. 116

Copyright © 2011 by Diana Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur

Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Satz: Leingärtner, Nabburg

Alle Rechte vorbehalten

Für Michael

Spanien, Kastilien, 1560 …

Prolog

Die Kapelle, die sie als Treffpunkt ausgesucht hatten, lag einige Meilen entfernt von Valladolid. Man musste ein Stück durch ein ausgedörrtes Wäldchen reiten, bevor man die schlichten, sandsteinfarbenen Mauern, die vor mehreren Jahrhunderten hier errichtet worden waren, im Licht der untergehenden Sonne erblickte.

Er konnte schon von Weitem ihre Pferde sehen, die sie an den Bäumen festgemacht hatten – sie warteten also bereits auf ihn. Mit einem tiefen Atemzug sog er die warme kastilische Abendluft ein. Obwohl er seine Entscheidung in keinem Moment bereute, verspürte er einen Anflug von Melancholie. Wer wusste schon, wann und ob er überhaupt jemals wieder nach Spanien zurückkehren würde.

Er zügelte das Tempo und stieg von seinem Pferd, um die letzten Schritte zur Kapelle zu Fuß zu gehen. Als er die schwere Tür aufzog und die Schwelle überschritt, wurde ihm bewusst, dass er in diesem Augenblick sein altes Leben und alles, was er bisher gewesen war, hinter sich ließ.

Der Herzog stand neben dem Altar, den Blick nachdenklich auf ein Gemälde der Jungfrau Maria und einer Heerschar von Engeln gerichtet. Er hatte ihm den Rücken zugewandt, und er war allein. Als er seine Schritte hörte, drehte er sich um.

»Señor Gomez!«, sagte der Herzog.

Er neigte höflich den Kopf. Alles, was es zu sagen gab, hatten sie längst besprochen. Er sah zu der Kleidung, die auf einer Holzbank bereitlag. »Das ist für mich bestimmt?«

»Ja, leider muss ich Euch bitten, sie anzuziehen!«

Er nickte. Es war die Kleidung eines französischen Landadligen, etwas zerschlissen und verschmutzt, so wie Hosen, Hemd und Wams nach mehreren Wochen Gefängnis aussehen würden. Er unterdrückte seinen Widerwillen, als er die Sachen überzog. Von nun an würde er Franzose sein. Dann sah er die eisernen Handschellen.

»Wir werden sie Euch erst kurz vorher anlegen. Die Gefangenen tragen sie alle!«, erklärte der Herzog.

»Natürlich.« Er zog seinen Ring vom Finger – das Letzte, was ihn noch mit seinem alten Leben verband.

Ihre Blicke trafen sich.

»Seine Majestät lässt Euch noch einmal seine tiefe Dankbarkeit versichern«, sagte der Herzog.

»Es ist mir eine Ehre, dass ich nicht nur meinem Land und König, sondern auch meinem Glauben auf diese Weise dienen kann!«

Der Herzog nickte, als hätte er keine andere Antwort erwartet. »Die Auslieferung der französischen Gefangenen wird nächsten Sonntag stattfinden. Euer Mittelsmann wird sich mit Euch in Verbindung setzen, sobald Ihr Frankreich erreicht habt. Er wird Euch nach Orléans bringen.«

Orléans! Die Hochburg der Hugenotten. In den letzten Wochen und Monaten hatte er alles über sie gelernt, was man nur wissen konnte. Aber würde es ihm auch wirklich gelingen, in ihren Führungskreis vorzudringen?

»Habt Ihr Euch entschieden, welchen Namen Ihr zu Eurer Tarnung verwendet?«, fragte der Herzog.

»Ja, ›San Lorenzo‹!«, erwiderte er. Am Gedenktag des Heiligen hatte Spanien die Schlacht von St. Quentin gegen Frankreich gewonnen. An diesem Tag waren aber auch sein Bruder und sein Vater gefallen. Mit keinem anderen Namen als diesem hätte sich sein persönliches Schicksal besser mit dem Spaniens verbinden können.

Der Herzog neigte den Kopf. »So sei es! … Niemand außer Seiner Majestät und meiner Person wird Eure wahre Identität erfahren, das versichere ich Euch. Zu Eurem eigenen Schutz. Bis die Zeit gekommen ist, werden wir Euch so wenig wie möglich behelligen …«

Er nickte, er wusste, dass er ganz auf sich gestellt war und es vielleicht Monate, wenn nicht Jahre dauern konnte, bis sie seine Dienste wirklich in Anspruch nehmen würden.

»Gott stehe Euch bei Euren schweren Aufgaben bei, San Lorenzo!«, schloss der Herzog.

Teil I

Die Gabe

Frankreich, 1564, vier Jahre später …

1

Man konnte ihre Pferde schon von Weitem hören – wie ein Donnergrollen, das langsam näher kam. Madeleine blieb unwillkürlich am Wegesrand stehen und hielt ihre kastanienbraunen Haare fest, die ihr der Wind ins Gesicht wehte. Konnte das sein? Eine plötzliche Aufregung ergriff sie. Das junge Mädchen fasste seinen Korb am Arm fester und hatte im selben Moment vergessen, dass seine Mutter ihm aufgetragen hatte, mit den Besorgun gen, die es im Nachbarort beim Krämer Boudin gemacht hatte, auf dem schnellsten Weg wieder nach Hause zu kommen. Stattdessen raffte Madeleine ihren Rock, drehte sich um und lief zurück, in die Richtung, aus der der immer lauter werdende Hufschlag zu hören war. Sie sah, dass Bauern und Knechte ihre Arbeit auf den Feldern stehen ließen und zur Straße rannten, die unten am Fluss entlangführte. Außer Atem blieb Madeleines schmale Gestalt zwischen den anderen Menschen am Ufer stehen. Ein gespannter Ausdruck zeigte sich in ihren blaugrauen Augen. Würden die Gerüchte stimmen? Seit Wochen hieß es, dass der junge König Charles IX. und seine Mutter, die mächtige Catherine de Medici, auf ihrem Weg von Troyes nach Bar-le-Duc hier vorbeikommen würden. Im letzten Jahr war der dreizehnjährige Charlesfür volljährig erklärt worden, und nach dem Friedensschluss zwischen Hugenotten und Katholiken sollte der König nun sein Land und Volk kennenlernen. Eine fast zweijährige Reise durch Frankreich sei geplant, so erzählte man sich.

Gebannt starrte Madeleine zu den Hügelkämmen, zwischen denen in diesem Moment die ersten Umrisse des Trosses sichtbar wurden. Banner flatterten im Wind, und die Sonne spiegelte sich blendend in dem Gold und Stahl von Lanzen und Schilden. Es mussten Hunderte von Reitern sein. Nein, mehr, schoss es Madeleine durch den Kopf. Sie erinnerte sich, was Monsieur Legrand, der alte Apotheker, dem ihre Mutter den Haushalt führte, erzählt hatte. Angeblich reisten Tausende mit dem König und der Medici quer durchs ganze Land – der gesamte Hofstaat und Hochadel, die Ratsmitglieder, Botschafter, Soldaten und Priester und mit ihnen ihr Gesinde. Einen leichten Vorgeschmack auf die Größe dieser Reisegesellschaft hatte sie hier in der Gegend bereits vor zwei Tagen bekommen, als sich eine nicht enden wollende Karawane von Reitern und Fuhrwagen ihren Weg am Fluss entlangkämpfte. Es hatte sich jedoch nur um eine Vorhut von Handwerkern und Hofangestellten gehandelt, die mit dem königlichen Gepäck und Mobiliar vorreisten, um die Unterkünfte für den Herrscher und seine Familie vorzubereiten. So beeindruckend ihr Anblick gewesen war, er war in nichts mit dem vergleichbar, was Madeleine nun sah. Einem Gemälde gleich schien ihr das Bild vor ihr, und die Sechzehnjährige sog begierig jede Einzelheit davon auf. Allein die Farben! Niemals zuvor hatte sie Stoffe von solch leuchtendem Gelb und Rot gesehen, wie sie die Wämser und gebauschten Hosen der Bogenschützen und Garden zeigten. Sie ritten dem Zug voran, dem ein Heer von Menschen folgte: Männer mit federgeschmückten Hüten; Frauen, die juwelenbestickte Kleider trugen; Geistliche in schweren Umhängen und unzählige Diener und Pagen zu Fuß – begleitet von den jubelnden Rufen der Schaulustigen.

»Madeleine, Madeleine!«, hörte sie in diesem Augenblick hinter sich eine Stimme rufen. Die Gestalt eines sommersprossigen, strohblonden Mädchens drängte sich zwischen den Leuten zu ihr durch. Es war Agnès, die Tochter des Schmieds. »Mein Gott, ist das nicht aufregend!«, stieß sie mit hochroten Wangen hervor, als sie Madeleine begrüßte.

Die beiden Mädchen waren seit letztem Sommer befreundet. Madeleine mochte Agnès, die sie von Anfang an nie hatte spüren lassen, dass sie nicht von hier stammte. Das war nicht bei allen Menschen der Fall. Obwohl sie mit ihrer Mutter nun schon viele Jahre in Éclaron lebte, haftete ihnen immer noch der Ruf der Fremden aus Deutschland an, und die Tatsache, dass Madeleine ohne Vater aufwuchs, hatte diese Vorurteile nicht unbedingt weniger werden lassen.

Ungläubig fasste sie Agnès am Arm und lachte sie an. »Ja, es ist wirklich der Zug des Königs!«, sagte sie mit leuchtenden Augen, denn sie konnte es noch immer kaum fassen, dass sie Zeuge dieses Schauspiels werden durfte.

Agnès deutete mit der Hand zum Flussufer. »Los, komm! Lass uns auf die Kaimauer steigen, dort kann man besser sehen«, sagte sie und zog sie mit sich.

Madeleine nickte und drängte sich mit Agnès zwischen den jubelnden Leuten bis zu der Mauer durch, auf die sie hinaufkletterten.

Die Mühe hatte sich gelohnt, und einen Moment lang verschlug es den beiden Mädchen den Atem.

»Oh, sieh nur!« Madeleine deutete auf die mit Gold verzierten Sänften, die man ein Stück weiter hinten erkennen konnte und von denen ihr eine prunkvoller als die andere erschien. Niemals zuvor hatte sie so etwas gesehen. Und nicht nur Menschen reisten mit dem Zug, sondern auch eine Vielzahl von Tieren – Pferde, Maulesel, Hunde und Ziegen wurden mitgeführt und sogar ein Bär und Leopard, wie sie ungläubig feststellte. Noch immer konnte man am Horizont kein Ende des Zugs ausmachen, der so groß wie eine ganze Stadt zu sein schien.

Der Tross, der inzwischen auf ihrer Höhe angekommen war, steuerte auf die alte Holzbrücke zu, die über den Fluss, weiter zur Straße nach Bar-le-Duc führte. Schon seit Wochen bereitete man sich dort auf den Empfang des hohen Besuchs vor. Die Königinmutter und Charles würden dem Herzog de Lorraine, der zum mächtigen Clan der Guise gehörte, die Ehre erweisen und an der Taufe seines neugeborenen Sohns teilnehmen.

Madeleine bemerkte, dass sich immer mehr Menschen am Wegesrand versammelt hatten – die Kunde vom königlichen Reisezug hatte sich so schnell wie ein Lauffeuer verbreitet. Der Wind strich ihr über die Wangen, und ihre Haare wehten ihr erneut ins Gesicht. Ihr Blick glitt zur anderen Uferseite, wo die Flügel einer Windmühle in den Himmel ragten. Ein Fuhrwagen hatte vor dem Gebäude gehalten, und mehrere Männer waren damit beschäftigt, ein Mühlrad abzuladen.

Die Leute um sie herum jubelten. Die Sonne strahlte, und einigeAdlige ließen von ihren Dienern sogar Münzen unters Volk werfen, doch Madeleine ergriff plötzlich ein merkwürdiges Gefühl, ohne dass sie hätte sagen können, warum. Etwas entfernt konnte sie jetzt eine Sänfte sehen, die von mehreren Leibgarden umringt wurde. Ob der König oder Catherine de Medici in dem Gefährt saßen? Der anschwellende Jubel um die Sänfte ließ es vermuten. Neugierig versuchte sie Genaueres zu erspähen, doch die Menschen versperrten ihr die Sicht.

In diesem Augenblick hörte sie den Schrei. Er drang gedämpft und isoliert wie aus einer anderen Welt durch den Lärm zu ihr, und sie fuhr unwillkürlich zusammen.

»Hast du das gehört?«

»Was?«, erwiderte Agnès, die völlig von dem Geschehen vor ihnen gefangen genommen wurde.

»Den Schrei!«

»Aber hier schreien doch alle … Oh, schau, da vorn, das muss die Medici sein!«

Madeleine blickte sie verunsichert an. Sie war blass geworden. Agnès hatte es nicht gehört. Und die anderen Menschen scheinbar auch nicht. Hatte sie es sich denn nur eingebildet? Sie strich sich noch einmal die wehenden Haare aus dem Gesicht und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das bunte Treiben des Zugs. Da vernahm sie den Schrei erneut. Es war ein unmenschlicher Laut des Schmerzes, der sie bis in ihr Innerstes erschauern ließ. Unmerklich wandte sie den Kopf zur anderen Uferseite, wo sich die Mühle befand. Man hätte den Schrei unmöglich bis hierher hören können, doch sie wusste, dass er von dort gekommen war. Vor ihren Augen stieg mit einem Mal ein Bild auf. Ein Fuhrwagen, der umgekippt war, und ein verletztes Bein – es war zerquetscht worden, von einem schweren Gegenstand. Madeleine spürte, wie ihr der Schweiß auf die Stirn trat, und bekam Angst. Sie bemühte sich, das Bild aus ihrem Kopf zu vertreiben. Erleichtert stellte sie fest, dass es verschwand. Ihre Sinne spielten ihr bestimmt nur einen Streich, versuchte sie sich zu beruhigen – aber sie merkte, dass etwas nicht stimmte. Ihre Augen und Ohren nahmen mit geschärfter Aufmerksamkeit jede Einzelheit des Geschehens um sie herum wahr. Alles schien mit einem Mal klarer und intensiver als zuvor. Was war nur los mit ihr? Sie zwang sich, ihren Blick auf die Garden zu konzentrieren, die am Ufer entlangritten, doch es gelang ihr nicht – wieder stiegen Fragmente von Bildern vor ihr auf. Menschen schwammen im Fluss und versuchten verzweifelt, sich an Land zu retten. Madeleines Herzschlag beschleunigte sich. Panik ergriff sie. Warum sah sie nur diese Dinge? Ihre Finger verkrampften sich in den Falten ihres Rockes, und sie bemühte sich von Neuem mit aller Macht, die Bilder zu verdrängen, doch diesmal war das, was sie sah, stärker. Sie konnte nichts dagegen tun. Wieder erblickte sie den Fluss. Menschen und Pferde trieben in der eiskalten Strömung – sie kämpften um ihr Leben und versuchten, in ihrer schweren Kleidung ans Ufer zu gelangen. Und dann sah sie die Brücke! Sie war eingestürzt und hatte sie alle mit sich gerissen … Der Kopf eines Jungen tauchte über Wasser auf. Er schnappte nach Luft, und einen Augenblick lang konnte sie seine angsterfüllten Augen so deutlich erkennen, als würde er direkt vor ihr stehen – dann wurde er in die Tiefe gezogen. Sein Fuß hatte sich im Steigbügel seines Pferds verfangen …

Madeleine erschauderte. Sie hatte plötzlich selbst das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

»Madeleine?«

Der Klang ihres Namens drang von weit her zu ihr.

»Was ist mit dir?«, fragte Agnès besorgt.

Doch Madeleine brachte kein Wort heraus. Sie hörte die jubelnden Menschen um sich herum und blickte zur Brücke, die unbeschadet über den Fluss führte. Nichts erinnerte an das furchtbare Szenario, das sie eben noch gesehen hatte. Die Vorhut der Garden ritt inzwischen an ihnen vorbei auf die Brücke zu. Sie mussten den Fluss überqueren, um weiter nach Bar-le-Duc zu kommen … Und plötzlich wusste Madeleine, dass es passieren würde. Ein heftiger Schwindel überkam sie, der so stark war, dass sie fürchtete, die Besinnung zu verlieren.

»Madeleine!«

Ihr Herz raste. Mit einem Ruck wurde sie zurück in die Wirklichkeit gerissen. Sie fuhr zu Agnès herum, die sie entsetzt anstarrte.

»Mein Gott, was ist denn bloß mit dir? Du bist ja ganz weiß und zitterst!«

»Die Brücke, sie wird einstürzen!«, stieß Madeleine angsterfüllt hervor.

Agnès schaute sie verständnislos an. »Was redest du denn da?«

Doch Madeleine hatte keine Zeit, denn sie erkannte, dass sich die ersten Reiter der Garden bereits anschickten, die Brücke zu überqueren.

»Nein, nicht!« Ihr gellender Ruf ließ die Menschen vor ihnen überrascht herumfahren. Madeleine ließ ihren Korb fallen und war mit einem Satz von der Mauer gesprungen. Wie von Sinnen stürzte sie zwischen den Leuten durch.

»Nicht! Bleiben Sie stehen!« Verzweifelt versuchte sie, sich dem Reisezug, der sich wegen der Vielzahl der Menschen und Reiter vor der Brücke staute, in den Weg zu stellen.

Ein Pferd scheute. »Weg da, Mädchen!«, herrschte ein Offizier der Leibgarden sie an. Er bemühte sich, sie mit dem Pferd zur Seite zu drängen, doch das Tier tänzelte nervös auf der Stelle und brachte den Tross dahinter zum Halten.

»Nein, nicht! Sie dürfen nicht weiterreiten.«

Doch der Offizier hörte ihr gar nicht zu. »Aus dem Weg, habe ich gesagt!« Aufgebracht über ihr dreistes Verhalten, schlug er mit seiner Reitgerte nach ihr. Madeleine versuchte schützend ihren Arm vor das Gesicht zu nehmen. Die Hiebe trafen sie schmerzhaft an der Hand und hinterließen rote Striemen auf ihrer hellen Haut.

»Würden Sie die Güte haben, das Mädchen in Ruhe zu lassen, Monsieur!« Ein Knabe, der kaum älter als zehn oder elf Jahre alt sein konnte, hatte seinen Rappen neben dem Offizier zum Stehen gebracht. Er war schlicht gekleidet, doch sein Mantel, der aufwendig bestickt war, zeigte ebenso wie die Art, in der er sprach, dass er von Rang sein musste. Der Offizier ließ mit zusammengebissenen Lippen die Gerte sinken. »Sie versperrt uns den Weg!« Erneut trieb er sein Pferd an, und endlich gelang es ihm, sich an Madeleine vorbeizudrängen.

»So hören Sie mir doch zu. Sie dürfen nicht weiter. Die Brücke – sie wird einstürzen!«, rief sie ihm hinterher.

Der Junge blickte sie erstaunt an. Trotz seiner kindlichen Gesichtszüge zeigte sich in seinen Augen bereits ein ungewöhnlich erwachsener Ernst.

Sein Gesicht kommt mir bekannt vor, dachte Madeleine, als sie eine Bewegung auf der gegenüberliegenden Uferseite dazu brachte, den Kopf zu wenden.

Sie erstarrte – der Fuhrwagen vor der Mühle war umgekippt. Ein Mann daneben war gestürzt, und ein großer, dunkler Gegenstand, der immer schneller und schneller wurde, rollte den Abhang hinunter – genau auf die Brücke zu. Es war der Mühlstein!

Madeleine spürte, wie es ihr die Kehle zuschnürte.

Der Junge hatte es auch gesehen. »O Gott, nein!« Sein Gesicht war blass geworden. Dann sprang er in seinen Steigbügeln hoch. »Zurück!«, schrie er den Männern zu, die sich bereits auf der Brücke befanden.

Doch es war zu spät, im selben Moment donnerte der Mühlstein auch schon mit geballter Kraft gegen einen der Pfeiler. Ein ohrenbetäubender Knall, gefolgt von dem Geräusch berstenden, splitternden Holzes war zu hören. Menschen schrien auf, als der Pfeiler in sich zusammensackte wie ein umgeknickter Grashalm. Und dann wurde der Albtraum Wirklichkeit. Die Brücke krachte in sich zusammen und riss die Reiter und Männer, die sich auf ihr befanden, mit in die Tiefe des Flusses. Madeleine wurde schwarz vor Augen. Das Letzte, was sie sah, war das entgeisterte Gesicht des Knaben, und plötzlich wusste sie, woher sie ihn kannte. Er war der Junge, den sie im Fluss hatte untergehen sehen. Dann verlor sie auch schon die Besinnung.

2

Etwas Kühles auf ihrer Stirn brachte sie wieder zu Bewusstsein. Wo war sie? Sie konnte sich nicht daran erinnern, was geschehen war. Ein Mann mit einer weiß gefächelten Halskrause gab ihr aus einem Becher einen Schluck Wasser zu trinken. Fremde Menschen standen um sie herum, und sie war dankbar, dass sie zwischen ihnen wenigstens ein vertrautes Gesicht entdecken konnte. Es war Agnès, die sie besorgt anblickte.

»Was ist passiert?«, fragte sie verwirrt.

»Die Brücke ist eingestürzt, und du bist ohnmächtig geworden. Du warst eine ganze Weile nicht bei Bewusstsein, Madeleine«, erwiderte Agnès.

Madeleine? Selbst der Klang ihres eigenen Namens schien ihr im ersten Moment fremd. Sie fühlte sich seltsam losgelöst von allem. »Welche Brücke?«, fragte sie.

Agnès schaute sie betroffen an. »Das weißt du nicht mehr? Aber du hast doch das Unglück vor allen anderen gesehen!« Es klang, als läge ein versteckter Vorwurf in ihren Worten.

Madeleine schüttelte hilflos den Kopf. Eine schreckliche Furcht begann sie zu ergreifen. Was war nur los? Warum konnte sie sich nicht entsinnen, was geschehen war?

Der Mann, der ihr den Becher gereicht hatte, betrachtete die roten Striemen auf ihren Händen, die die Reitgerte des Offiziers hinterlassen hatte. Er tätschelte ihren Arm. »Es ist nicht ungewöhnlich, dass man sich nach einer Ohnmacht nicht erinnert, was geschehen ist«, sagte er. Ein warmer Ausdruck zeigte sich in seinem Gesicht, das ein spitzer Bart zierte. »Ich bin Ambroise Paré, Chirurg Seiner Majestät!«, stellte er sich vor.

Chirurg Seiner Majestät?

»Der Reisetross des Königs, wir haben ihnen doch zugeschaut …«, sagte Agnès in dem Versuch, ihrer Erinnerung wieder auf die Sprünge zu helfen.

Vage regte sich etwas in Madeleine. Der königliche Zug! Sie richtete sich etwas auf. Sie war auf dem Rückweg vom Krämer Boudin gewesen, entsann sie sich. Doch was war mit der Brücke geschehen? Sie bemühte sich, die verworrenen Bilder in ihrem Kopf zu ordnen. Der Junge … Plötzlich sah sie wieder sein Gesicht vor sich. Mit einem Schlag war wieder alles gegenwärtig. Sie hatte es vorhergesehen! Langsam drehte sie sich zum Wasser. Voller Grauen blickte sie auf die Überbleibsel der Brücke. Holzteile und Gegenstände trieben im Wasser. Am Ufer hatten Solda ten mithilfe von langen Holzstangen und Seilen die Verletzten aus dem Fluss gezogen. Nur ein Pferd wehrte sich in seiner Todesangst noch immer gegen die Rettungsversuche der Männer. Überall rannten Menschen herum.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Agnès noch einmal besorgt.

Madeleine nickte. »Ja, jetzt erinnere ich mich wieder«, sagte sie tonlos. Sie hatte Angst. Wie hatte sie das Unglück nur vorhersehen können?

»Monsieur Paré?« Ein Soldat tauchte außer Atem neben dem Chirurgen auf. »Schnell, man braucht Eure Hilfe. Da ist ein junger Mann, sie haben ihn mit dem Boot von der Mühle herübergebracht. Er stand neben dem Fuhrwagen. Dem armen Kerl ist das Bein von dem Mühlrad zerquetscht worden.«

Ein Bild blitzte vor Madeleines Augen auf, und sie hörte plötzlich wieder den entsetzlichen Schrei.

Der Chirurg hatte währenddessen eilig nach seinen Sachen gegriffen und folgte dem Soldaten. Sie schaute ihm hinterher, wie er zwischen den Menschen verschwand, dann drehte sie sich zu Agnès.

»Die Menschen, die auf der Brücke waren, was ist mit ihnen geschehen?«, fragte sie tonlos.

»Die Soldaten sagen, dass es einige Verletzte gab und zwei tote Pferde. Zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert«, sagte Agnès.

Madeleines Knie zitterten, als sie versuchte aufzustehen. In diesem Moment bemerkte sie, dass die Leute um sie herum zur Seite wichen, um der hochgewachsenen Gestalt eines Mannes Platz zu machen.

»Das ist das Mädchen!«, sagte er mit tiefer Stimme. Es war der Offizier, dem Madeleine sich vor der Brücke in den Weg gestellt hatte. Seine Kleidung war nass, und er hatte eine Schürfwunde auf der Wange. Zwei Wachen standen neben ihm. »Nehmt sie mit!«, befahl er den beiden Männern.

3

Das Ufer des Flusses war von Menschen bevölkert, so weit man schauen konnte. Sänften und Fuhrwagen wurden ausgespannt, Pferde und Lastesel getränkt, Feuer entzündet und Zelte und Lager aufgeschlagen, da die eingestürzte Brücke eine Weiterreise vorerst unmöglich machte. Niemals zuvor in ihrem Leben hatte Madeleine so viele Menschen gesehen. Unter anderen Umständen hätte sie jede Einzelheit dieses Anblicks begeistert aufgenommen, doch jetzt wünschte sie sich einfach nur weit weg. Wäre sie bloß nie hierhergekommen! Benommen lief sie neben den Wachen her.

Sie erkannte, dass sie auf ein großes, imposantes Zelt zusteuerten, das man in Windeseile aufgebaut haben musste. In den edlen Tuchstoff war ein Wappen gewebt, und eine goldbestickte Fahne flatterte auf dem Dach.

Madeleine bemühte sich, das aufkeimende Angstgefühl zu bekämpfen, das sich mit jedem Schritt verstärkte, dem sie sich dem Zelt näherten. Mehrere Leibgarden standen vor dem Eingang. Als sie den Offizier gefragt hatte, weshalb man sie mitnahm, hatte er ihr nicht einmal eine Antwort gegeben. Was wollte man von ihr? Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. Dennoch fühlte sie sich auf seltsame Weise verantwortlich für das, was geschehen war.

Die Leibgarden traten zur Seite, und der Offizier drehte sich zu Madeleine. »Du wirst dich tief verbeugen und erst wieder hochkommen, wenn man es dir erlaubt«, befahl er streng.

Sie nickte stumm. Er schlug den Stoff zum Eingang zur Seite, und Madeleine folgte ihm.

»Euer Majestät. Hier ist das Mädchen!«

Majestät? Madeleine erstarrte und blieb eingeschüchtert mit einer tiefen Verbeugung hinter ihm stehen.

Eine ganz in Schwarz gekleidete Frau, die mit mehreren Höflingen zusammenstand, drehte sich zu ihnen. Ihr Kleid war aus einem steifen Stoff gefertigt, der ebenso wie ihre Haube an den Rändern mit Perlen bestickt war und die Strenge ihrer Erscheinung noch betonte. Sie stand in kerzengerader Haltung in der Mitte des dunkelroten Zeltes, ohne dass sich irgendetwas an ihr zu bewegen schien, und die Macht und Autorität, die sie dabei ausstrahlte, ließen Madeleine mit einem Schlag begreifen, dass sie tatsächlich vor der Königinmutter, Catherine de Medici, persönlich stand.

»Du darfst dich erheben«, sagte sie mit einer Stimme, deren herber Klang durch ihren italienischen Akzent verstärkt wurde.

Madeleines Herz pochte bis zum Hals, und sie erhob sich gehorsam. Aus den Augenwinkeln nahm sie die Höflinge und einen Jungen wahr, die etwas hinter der Königinmutter standen. Sie bemerkte, dass im Hintergrund ein Diener damit beschäftigt war, Obst, Konfekt und eine Weinkaraffe auf einen Tisch zu stellen. Mehrere mit Gold verzierte Schemel und Armlehnstühle luden in dem Zelt zum Sitzen ein, und sogar ein Teppich bedeckte den Boden. Madeleines Augen hefteten sich unwillkürlich auf den grob gewebten, bereits fadenscheinigen Stoff ihres eigenen Kleides, das dank der Erlebnisse der letzten Stunden unschöne Flecken aufwies.

»Sieh mich an, mein Kind«, sagte die Königinmutter.

Befangen hob sie den Kopf. Sie blickte in das rundliche Gesicht einer gereiften Frau, das mit der markanten Nase und der fülligen Unterlippe eher hässlich als schön zu nennen war. Doch in den etwas zu großen hervorstehenden Augen spiegelte sich eine wache, scharfe Intelligenz, und Madeleine hatte das ungute Gefühl, diese Frau würde bis auf den Grund ihrer Seele schauen. Der durchdringende Blick, mit dem die Königinmutter sie maß, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Voller Furcht musste sie an die vielen Geschichten denken, die man sich über die Medici erzählte, dass sie sich mit Zauberern und Giftmischern abgäbe, die ihre schmutzigen Geschäfte für sie erledigten, und sie selbst die Alchemie und Magie praktiziere. Die italienische Hexe, so nannte man sie insgeheim im Volk.

»Wie man mir sagte, hast du großes Unglück verhindert! Du hast die Menschen vor dem Einsturz der Brücke gewarnt … Du hast es vorhergesehen! Stimmt das?«, fragte die Medici. Ein lauerndes Interesse lag in ihren Augen, und Madeleine merkte, dass sie plötzlich alle im Zelt neugierig anstarrten. Auch der Junge – erst jetzt erkannte sie ihn wieder. Es war der Knabe, den sie in ihrer Vorahnung hatte ertrinken sehen und der sie später vor dem Offizier in Schutz genommen hatte.

Madeleine versuchte zu begreifen, was man von ihr wollte. »Ich … ich habe nichts vorhergesehen«, stammelte sie. Sie konnte unmöglich sagen, was wirklich vorgefallen war. In diesem Moment zwickte sie etwas in den Oberschenkel. Erschrocken fuhr sie zusammen.

»Oho, sie hat Angst!«, kicherte eine Stimme neben ihr, die von unterhalb ihrer Hüfte zu hören war. Eine bunt gekleidete Zwergin schaute zu ihr hoch. Sie ließ ein kleines goldenes Glöckchen bimmeln, das an ihrem gebauschten Ärmel befestigt war. »Du fürchtest dich, was?« Sie ließ ein meckerndes Lachen hören, als würde es sich bei dieser Feststellung um eine besonders amüsante Bemerkung handeln.

Erstarrt schaute Madeleine zu der kleinen Gestalt hinunter.

»Fôlle!«, ertönte es schneidend. Die Königinmutter hatte kaum wahrnehmbar die Hand gehoben, was die Zwergin augenblicklich dazu brachte, von Madeleine abzulassen. Sie zuckte die Achseln und trollte sich mit watschelnden Schritten zu einem der Schemel, um darauf wie auf einem Thron Platz zu nehmen.

Die Medici wandte sich wieder Madeleine zu. »Weißt du, wer ich bin?«, fragte sie hoheitsvoll.

»Ja, Euer Majestät!«

»Dann weißt du auch, dass du mir die Wahrheit sagen musst, nicht wahr?«

Madeleine nickte und spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden – sie konnte einfach nicht die Wahrheit sagen. Wie auch? Man würde sie für verrückt erklären oder, schlimmer noch, glauben, dass sie mit dem Teufel im Bund stand. Nur zu gut erinnerte sie sich, dass man erst im letzten Jahr in einem der Nachbardörfer eine Frau der Hexerei angeklagt hatte, weil sie ein schreckliches Unwetter prophezeit hatte, das dann auch tatsächlich eingetroffen war.

»Dann sage mir, was du vorhergesehen hast!«

»Nichts … wirklich!«, stieß sie verzweifelt hervor.

Die Königinmutter kam einen Schritt auf sie zu und legte ihr die Hand auf ihre Schulter. »Du musst keine Angst haben, mein Kind. Es ist eine besondere Gabe, so etwas zu können. Die meisten Menschen fürchten sich davor, doch du musst wissen, an meinem Hof gibt es viele Astrologen und Wahrsager.«

Madeleine blickte sie entsetzt an, als ihr klar wurde, was sie meinte. Sie verglich sie mit diesen Zauberern und Hexern! »Aber ich habe wirklich nichts gesehen«, beteuerte sie.

Die Hand auf ihrer Schulter zog sich zurück. »Und warum hast du dich dann dem Offizier in den Weg gestellt und ihn gewarnt, dass die Brücke einstürzen würde, wie mein Neffe mir berichtet hat?«, fragte die Medici. Ihre Stimme war deutlich kühler geworden, während sie sich dabei halb zu dem Jungen gewandt hatte.

»Ich habe nur den Fuhrwagen mit dem Mühlrad gesehen und wie der Wagen umgekippt ist …«, antwortete Madeleine. Das war immerhin nicht vollständig gelogen.

»Willst du damit sagen, dass du erkennen konntest, dass das Mühlrad den Pfeiler treffen würde?«, mischte sich einer der Höflinge – ein schwarzhaariger Mann mit bläulichen Schatten unter den Augen – ins Gespräch. Es war offensichtlich, dass er ihr kein Wort glaubte.

»Das Rad ist genau auf die Brücke zugerollt …« Madeleine senkte den Blick.

»Du lügst!«, sagte der Mann kalt.

»Nein, Monsieur, sie hat recht. Man konnte sehen, wie das Mühlrad den Abhang hinunterkam«, ließ sich unvermittelt die helle Stimme des Jungen vernehmen.

Die Medici schaute ihn überrascht an. Ihre Augen ruhten durchdringend auf seinem Gesicht, und man konnte die Spannung zwischen den beiden fühlen. Doch der Junge hielt ihrem Blick stand. Schließlich wandte die Königinmutter sich ab. »Nun, dann bist du scheinbar weniger außergewöhnlich, als ich gedacht habe«, sagte sie zu Madeleine. Ihr Gesicht hatte einen gelangweilten Zug angenommen. »Gebt ihr eine Münze – immerhin hat sie die Menschen rechtzeitig gewarnt«, sagte sie darauf und wandte sich, ohne sie weiter zu beachten, ab.

Madeleine verspürte einen schalen Geschmack im Mund, als sie das Zelt verlassen hatte. Trotz ihrer Erleichterung traf sie die Verachtung, mit der die Königinmutter sie verabschiedet hatte. Dann bist du scheinbar weniger außergewöhnlich, als ich gedacht habe! Nein, sie wollte nicht außergewöhnlich sein, sondern einfach nur wie all die anderen auch, dachte sie trotzig. Sie dachte wieder an diesen Höfling mit den bläulichen Schatten unter den Augen, wie er ihr die Goldmünze in die Hand gedrückt und sie so unangenehm nach ihrem Namen gefragt hatte. Höchst erstaunt hatte er sie angesehen. » Kolb? Dann kommt deine Familie nicht von hier?«

»Nein, aus Deutschland«, hatte sie erwidert und sich dabei gefühlt, als hätte er ein anstößiges Mal an ihr entdeckt. Sie kannte diesen Blick nur zu gut, mit dem die Menschen sie musterten, wenn sie erfuhren, dass sie nicht aus der Gegend stammte. Die Leute reagierten überrascht und distanziert darauf. Madeleine unterdrückte ein Seufzen. Wie sehr wünschte sie sich manchmal, einfach einen französischen Familiennamen zu haben.

Der Gedanke an ihren Namen rief ihr mit einem Mal ihre Mutter ins Gedächtnis. Sie beschleunigte ihren Schritt. Madeleine hatte sie vollkommen vergessen. Vermutlich war sie schon halb verrückt vor Sorge um sie. Sie musste, so schnell es ging, ihren Korb wiederfinden und sich auf den Weg nach Hause machen.

4

Mit einer tiefen Verbeugung reichte der Diener der Königin mutter einen Becher Wein, bevor er sich wieder zurückzog. Catherine de Medici betrachtete nachdenklich die dunkelrote Flüssigkeit in dem goldenen Gefäß. Ihre Gedanken weilten noch immer bei dem jungen Mädchen, das man vorhin zu ihr gebracht hatte. Sie sah ihr schmales Gesicht mit den blaugrauen Augen und dem kastanienfarbenen Haar vor sich. Ein unscheinbares Ding im grauen Kleid. Dabei hatten ihre Züge und die helle Haut durchaus etwas Anmutiges gehabt, musste sie zugeben. Jung genug, dass man ihr die Entbehrungen ihres Standes noch nicht ansah, aber eigentlich nicht wert, sich näher mit ihr zu beschäftigen, dachte sie. Doch anscheinend besaß sie besondere Fähigkeiten. Welch ein Jammer, dass sie diese nicht eingestehen wollte. Catherine de Medici wandte sich mit dem Becher in der Hand zu dem Mann, der schweigend im Hintergrund wartete. Die anderen Höflinge waren längst gegangen, und sie hatte auch ihre Zwergin undDiener hinausgeschickt, um mit Pierre Lebrun, ihrem Geheimdienstchef, allein zu sein.

»Und was denkt Ihr, hat dieses Mädchen gelogen?«, fragte sie.

»Ja, eindeutig, Euer Majestät!« Lebrun nickte. Wie immer ließ sein Gesicht mit den dunklen Augenschatten nur schwer erraten, was er wirklich dachte, doch sie wusste auch so, dass er genug Verhöre geführt hatte, um an der geringsten Regung eines Gesichts zu erkennen, ob jemand die Wahrheit sagte.

»Wobei mich das nicht sonderlich erstaunt, wenn Ihr mir die Bemerkung erlaubt«, fügte Lebrun hinzu. »Sollte dieses Mädchen tatsächlich so etwas wie eine Vorahnung gehabt haben, könnte es sich schnell dem Verdacht der Hexerei ausgesetzt sehen.«

»Sicher«, erwiderte die Medici spitz. Sie ließ den Wein in ihrem Becher kreisen. »In diesem Land hält man ja selbst die Wissenschaft der Astrologie noch für übernatürliche Zauberei«, sagte sie. Aus ihren Worten klang nur zu deutlich die Arroganz der Italienerin, die sich der Überlegenheit ihrer heimatlichen Kultur bewusst war.

»Glaubt Ihr, dass dieser Unfall mit dem Mühlrad wirklich nur ein unglücklicher Zufall war?«, fragte sie dann.

»Ihr meint, ob etwas anderes dahinterstecken könnte? Ein Anschlag etwa?«, erwiderte Lebrun.

»Ja.« Sie nickte. Die Überlegung war durchaus gerechtfertigt, denn die politische Situation war angespannt. Der Friede von Amboise hatte den Bürgerkrieg mit den Hugenotten zwar zum Stillstand gebracht, doch die Medici machte sich keine Illusionen; weder die Protestanten noch das erzkatholische Lager um die Herzogsfamilie Guise-Lorraine würden sich damit lange zufriedengeben. Das Feuer war gelöscht, aber unter ihrer aller Füße schwelte noch immer die Glut, und der kleinste Vorfall konnte erneut einen Brand entfachen. Nachdenklich trank sie einen Schluck. Sie wusste, dass die Guise nach Rache lechzten. Im letzten Jahr war ihr Familienoberhaupt, der Herzog de Guise, bei einem Attentat durch einen Hugenotten ums Leben gekommen, und ungeachtet der Tatsache, dass man den Mörder hingerichtet hatte, verlangte die Familie nun die Verurteilung des protestantischen Anführers, des Admirals de Coligny. Sie beschuldigten ihn, der Auftraggeber des Anschlags gewesen zu sein. Obgleich Catherine de Medici, wie die Guise, Katholikin war, hielt sie diese Anschul digung für mehr als abwegig – es passte einfach nicht zu Colignys Persönlichkeit, eine solche Tat zu begehen. Sehr viel wahrscheinlicher schien es ihr dagegen, dass die Guise hofften, sich auf diese Weise eines unliebsamen Gegners zu entledigen, um ihre Macht zu stärken. Nun, Gott sei Dank würde ein Gericht darüber entscheiden, ob Coligny schuldig oder unschuldig war.

»Mit Verlaub, wenn Ihr auf die Guise anspielt, das glaube ich nicht, Euer Majestät«, sagte Lebrun, der sie gut genug kannte, um zu ahnen, was in ihr vorging. »Einen Moment lang habe ich das auch überlegt, aber ich bin mir sicher, sie wissen die Ehre zu schätzen, dass Ihr zu der Taufe kommt.«

»Das hoffe ich!«, erwiderte sie und stellte ihren Wein ab. Die Medici griff nach einem Stück Mandelnougat, das in einer Schale auf dem Tisch stand. Sie konnte dieser Süßigkeit einfach nicht widerstehen.

Ein unmutiger Seufzer entrang sich ihren Lippen. Wie gern hätte sie auf die Teilnahme an dieser Taufe verzichtet. Nicht ein mal die Aussicht, ihre Tochter Claude wiederzusehen, die die

5

Schon von Weitem sah Madeleine, dass ihre Mutter in der Tür stand. Ihr Gesicht, das von einer weißen Haube umrahmt wurde, unter der man den Ansatz ihres dunkelblonden Haars erkennen konnte, war angespannt. »Da bist du ja endlich!«, stieß sie beim Anblick ihrer Tochter erleichtert hervor. »Wo warst du nur so lange? Man hat erzählt, die Brücke unten am Fluss sei eingestürzt … Ich habe mir schon Sorgen gemacht!«

»Mir geht es gut, aber ich habe das Unglück gesehen!«

Ihre Mutter zog sie in die Arme, und Madeleine spürte, wie sie ein wohltuendes Gefühl der Geborgenheit durchströmte. »Gott sei Dank ist dir nichts passiert!«, sagte Elisabeth Kolb.

Sie nahm ihrer Tochter den Korb ab, und Madeleine folgte ihr benommen in die Küche, einem länglichen Raum mit Steinboden, einer Herdstelle, zwei langen Holztischen und einigen Schemeln. An der Wand und den Regalen waren nicht nur die üblichen Utensilien zum Kochen untergebracht, sondern auch zahlreiche Phiolen, Amphoren, Tontöpfe und Mörser zu sehen – Gerätschaften, die man zum Trocknen und Zubereiten von Kräutern und Medikamenten brauchte. Die Küche gehörte zum Haus des Gewürzhändlers und Apothekers Legrand, dem ihre Mutter Elisabeth den Haushalt führte und bei Arbeiten für seine Apotheke half. Der Lohn, den sie verdiente, war karg, aber er reichte, dass sie stets genug zu essen und ein Dach über dem Kopf hatten. Das war mehr, als die meisten hatten, wie ihre Mutter oft zu sagen pflegte.

Madeleine sah, dass sie gerade dabei gewesen war, einen Berg frischer Kräuter von Wurzeln und Blättern zu säubern und sie zu Bündeln zusammenzubinden. Später würden sie zum Trocknen aufgehängt werden.

Ihre Mutter wandte sich zur Feuerstelle und füllte ihr aus einem Topf einen Teller mit Rübensuppe, die noch dampfte.

Sie drückte ihr einen Löffel in die Hand. »Hier iss, das wird dir guttun!«, sagte sie.

Doch Madeleine verspürte keinen Hunger. Die Ereignisse waren ihr auf den Magen geschlagen. Noch immer fühlte sie eine tiefe Angst, wenn sie daran dachte, was vorhin mit ihr geschehen war.

»Wenn du fertig bist, kannst du mir helfen!«, sagte ihre Mutter, die ein Husten unterdrückte. Madeleine nickte. Ihr fiel auf, dass sie schlecht aussah – ihr gebeugter Rücken, die tiefen Linien und Falten in ihrem Gesicht. Sie wirkte müde.

»Maman, ich muss dir etwas erzählen …«, sagte sie plötzlich zögernd. Ihre schmalen Finger spielten fahrig mit dem Löffel. Sie musste mit irgendjemandem darüber sprechen, was geschehen war. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber die Brücke, die eingestürzt ist …«

Ihre Mutter hatte den Kopf zu ihr gewandt, und Madeleine suchte einen Moment lang nach den richtigen Worten, bevor sie fortfuhr: »Ich habe es gesehen, ich meine, vorhergesehen – bevor es geschehenist!«

Ihre Mutter drehte sich mit einer abrupten Bewegung ganz zu ihr herum. »Unsinn!«, sagte sie scharf.

»Doch! Es ist wahr. Ich habe es wirklich vorhergesehen«, sagte Madeleine aufgelöst. »Es war schrecklich! Ich habe die Schreie gehört und die Menschen und Reiter gesehen, wie sie in den Fluss gestürzt sind …« Etwas in dem Blick ihrer Mutter brachte sie zum Verstummen. Das Gesicht von Elisabeth Kolb war zu einer undurchdringlichen Maske geworden.

»Wie kannst du so etwas behaupten? Das hast du dir nur eingebildet!«

»Nein, das habe ich nicht«, widersprach Madeleine verzweifelt. »Ich habe es wirklich gesehen.« Ihre Stimme war unwillkürlich lauter geworden. Sie fühlte sich ungerecht behandelt. Dass ihre Mutter ihr nicht glaubte, traf sie. Ihre blaugrauen Augen nahmen unwillkürlich einen dunkleren Ton an, wie immer, wenn sie aufgebracht war.

»Schluss jetzt damit!« Elisabeth Kolb griff ihre Tochter hart am Arm. »Ich verbiete dir, jemals wieder solchen Unsinn zu behaupten, hast du mich verstanden?« Ihr Mund war zu einem schmalen Strich geworden.

Ihre heftige Reaktion verwirrte Madeleine. Glaubte sie wirklich, dass sie sich alles nur einbildete?

»Mein Gott, Magdalena!«, sagte ihre Mutter, sie plötzlich bei der deutschen Form ihres Namens nennend. »Begreifst du denn nicht, wie gefährlich es in diesen Zeiten ist, solche Dinge zu behaupten? Man landet für viel weniger auf dem Scheiterhaufen«, fuhr sie ihre Tochter an. Ihr strenger Tonfall ließ den deutschen Akzent, den sie nie ganz abgelegt hatte, plötzlich deutlich hörbar werden. Ihre Familie stammte ursprünglich aus der Pfalz. Madeleine und ihre Mutter waren erst nach dem Tod des Vaters nach Frankreich gekommen.

Das junge Mädchen senkte unter ihrem eindringlichen Blick betreten den Kopf, denn es begriff durchaus, was sie meinte. Die ständigen Unruhen, der Krieg gegen die Hugenotten – eine auf gepeitschte, hoch erregte Stimmung herrschte im Land. Es stimmte, es war nur allzu leicht, der Ketzerei oder auch der Hexerei verdächtigt zu werden. Deshalb hatte sie selbst es ja auch noch nicht einmal gewagt, Agnès die Wahrheit zu sagen. Und sie waren noch dazu Ausländer, Menschen, die schneller als alle anderen verdächtigt wurden, etwas getan zu haben, wie ihre Mutter ihr immer eingeschärft hatte.

Elisabeth Kolb schwieg. »Verstehst du, was ich meine, Madeleine?«, fragte sie dann.

Sie nickte. »Ja«, sagte sie leise. Sie musste an die Königinmutter denken und wie begierig sie darauf aus gewesen war zu erfah ren, was sie gesehen hatte. Was wäre geschehen, wenn sie die Wahrheit gesagt hätte? Intuitiv hatte sie sich dagegen entschieden. Eingeschüchtert fuhr Madeleine mit dem Finger die Maserung der Tischplatte nach. Sie hätte ihrer Mutter gerne von der Begegnung mit der Königinmutter erzählt, aber das wagte sie plötzlich nicht mehr.

»Was hast du denn da?«, entfuhr es Elisabeth Kolb in diesem Moment. Ihr Blick war voller Schreck auf die Hand ihrer Tochter gefallen, auf der man noch immer die Striemen sehen konnte.

Madeleine bedeckte sie eilig mit der anderen Hand. »Nichts, ein Offizier hat versucht, mich aus dem Weg zu treiben!«

Ihre Mutter sah sie ungläubig an. »Ich werde dir nachher etwas Salbe geben.« Sie fuhr in ihrer Arbeit fort, doch dann wandte sie sich erneut zu ihrer Tochter. »Siehst du, manchmal glaubt man etwas zu sehen, und dabei täuschen einen nur die eigenen Sinne«, sagte Elisabeth Kolb abschließend, bemüht, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen, während sie mit dem Messer weiter die Kräuter bearbeitete. Ihre Knöchel traten weiß unter der Haut hervor, so fest umspannte sie den Griff. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie nicht gewillt war, weiter über das Thema zu reden.

»Steh auf. Du kannst dich schon mal etwas nützlich machen.« Sie deutete auf zwei Eimer. »Hol frisches Wasser vom Brunnen.«

Madeleine erhob sich gehorsam. Auf dem Weg nach draußen zum Brunnen ergriff sie eine bedrückende Furcht. Sie hatte sich diese Dinge nicht eingebildet, dachte sie. Was stimmte nur nicht mit ihr? Niemals zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so einsam gefühlt.

6

Im Frühsommer erreichten die Champagne unheilvolle Nachrichten aus dem Süden. In Lyon sei die Pest ausgebrochen, so hieß es. Gerade als der König mit dem Hof dort angereist sei.

»Ich sage Ihnen, diese ungläubigen Protestanten haben absichtlich verseuchte Lebensmittel über die Grenze von Genf gebracht, um den König und den Hof zu infizieren! Wahrscheinlich hat Calvin persönlich das in Auftrag gegeben«, stieß Monsieur Gastine hervor, der in der Apotheke von Monsieur Legrand stand. In seinen Augen loderte die Empörung. Der Arzt, der auf ein Medikament wartete, das der Apotheker für ihn fertig mischte, war überzeugter Katholik.

Madeleine, die von ihrer Mutter die Aufgabe bekommen hatte, im Hinterraum die Regale sauber zu wischen, lauschte aufmerksam dem Gespräch. Bereits vor einigen Tagen war ein reisender Händler hier gewesen, der erzählt hatte, dass man trotz des Friedensabkommens in vielen Teilen des Landes weiter versuchte, die Hugenotten zu bekämpfen. Überall wurden geheime katholische Vereinigungen gegründet – sogenannte Ligen –, die es sich zum Ziel gesetzt hätten, den katholischen Glauben mit allen Mitteln zu verteidigen.

Der alte Legrand blickte den Arzt beunruhigt an. »Bei dem Allmächtigen, die Pest? Das ist ja schrecklich! Ist denn jemand von der königlichen Familie erkrankt?«, fragte er. Erst im letzten Jahr war die schreckliche Epidemie in Paris ausgebrochen, und viele Tausende in der Hauptstadt waren gestorben.

»Nein, der König und der Hof haben sich sofort nach Crémieu begeben. Aber ich sage Ihnen, wir werden es noch alle bereuen, dass wir diese Protestanten nicht ein für alle Mal ausgerottet haben! Diese Schuld wird Gott uns nicht vergeben«, verkündete Gastine unheilvoll. Madeleine konnte durch den Türbogen erspähen, wie er bei den letzten Worten mahnend den Zeigefinger gen Himmel erhob. Sie wischte nachdenklich weiter. Er sprach aus, was viele dachten: dass der Friede von Amboise, der den Protestanten im begrenzten Rahmen die Ausübung ihrer Religion gestattete, eine unverzeihliche Schwäche des Königs und nichts anderes als ein großer Fehler war. Vor allem hier im Herrschaftsgebiet der Guise-Lorraine sahen das viele so. Keiner von ihnen hatte vergessen, dass der Herzog de Guise erst im letzten Jahr nach gewonnener Schlacht heimtückisch von einem Protestanten ermordet worden war.

»Nun ja, ich für meine Verhältnisse bin froh, dass endlich wieder Frieden in Frankreich herrscht«, erwiderte der alte Apotheker höflich, der wie immer um ausgleichende Worte bemüht war.

Gastine schnaubte nur verächtlich. »Frieden? Für welchen Preis und vor allem für wie lange, werter Monsieur Legrand? Um unseren Gott und Glauben zu verraten und nur, damit die Protestanten bei der nächsten Gelegenheit erneut das Schwert gegen uns erheben?« Er nahm die fertige Arznei von Legrand entgegen und schüttelte den Kopf. »Nein, wie hat es Pater Denis in der Messe gesagt: Gott wird uns verdammen, wenn wir zu schwach sind, seinen Feinden Einhalt zu gebieten!« Mit diesen prophetischen Worten entschwand er aus der Apotheke.

Madeleine konnte hören, wie dem alten Legrand ein lautes Seufzen entschlüpfte, als sich die Ladentür hinter ihm schloss. Sie tauchte den Lappen wieder ins Wasser. Wie die meisten hatte auch sie die Predigt von Pater Denis am Sonntag in der Messe gehört. Es war eine düstere, donnernde Rede gewesen. Die Pest und Hungersnöte, die die Menschen zurzeit überall im Land erleiden müssten, sie seien nur ein Vorbote von Gottes Gericht, das sie alle erwartete. Ein mahnendes Zeichen des Allmächtigen für die Sünde, die sie auf sich luden, weil sie im eigenen Land die Ketzer akzeptierten. Madeleine wrang den Lappen aus. Sie fragte sich plötzlich, ob es wieder Krieg geben würde. Ein ungutes Gefühl bemächtigte sich ihrer. Nur zu genau erinnerte sie sich noch an den Ausbruch der Kämpfe vor zwei Jahren. In der gesamten Gegend waren Soldaten rekrutiert worden. Sogar einige Söldnertruppen aus den deutschen Fürstenstaaten waren hier entlanggekommen und hatten sie alle in Angst und Schrecken versetzt. Ihre Mutter hatte Madeleine tagelang verboten, das Haus zu verlassen, und wenn die Soldaten kamen, hatte sie sich im Schuppen hinter dem Brennholz verstecken müssen. Die Kämpfe und Schlachten selbst hatten sich jedoch vor allem im Gebiet der Loire, um Paris, Rouen und im Süden des Landes abgespielt. Doch auch in der Champagne hatten sie die Folgen des Krieges zu spüren bekommen. Die Lebensmittel waren teuer und für die meisten Menschen kaum noch bezahlbar geworden. Viele mussten hungern, und ihre Mutter war noch immer ständig in Sorge deshalb.

»So sauber war es hier ja schon lange nicht mehr!«, ertönte in diesem Moment die Stimme von Monsieur Legrand hinter ihr. Der alte Mann, der seinen kurz gestutzten grauen Bart noch nach der Mode des verstorbenen Königs Henri II. trug, war unerwartet auf der Schwelle aufgetaucht.

»Ich bin gleich fertig«, sagte Madeleine. Eine leichte Röte überzog ihre Wangen, denn über ihren Gedanken hatte sie fast ihre Arbeit vergessen.

Der alte Legrand lächelte leicht. »Lass dir Zeit. Du kannst mir danach beim Abmessen helfen!«

Sie nickte. In den letzten Jahren waren die Augen des Apothekers schlechter geworden, und er bat sie oder ihre Mutter daher gelegentlich, ihm zu helfen. Madeleine ging ihm gerne in dem kleinen Labor zur Hand. Sie konnte etwas lesen und schreiben – ihre Mutter hatte es ihr beigebracht. Die eingravierten Zahlen auf den Gewichten abzulesen, bereitete ihr daher keine Schwie rigkeiten, doch die Aufschriften auf den vielen Tiegeln und Behältern konnte Madeleine nicht verstehen, denn es waren lateinische Bezeichnungen. Etwas Geheimnisvolles ging von diesen unbekannten Namen aus, die nicht nur pflanzliche Mittel bezeichneten, sondern auch tierische und mineralische Substanzen wie Pul ver aus Korallen, Hirschhorn und Schlangenhaut oder seltene Steine und Edelmetalle. Viele dieser Essenzen und Stoffe kamen von weit her. Aus Asien, der Neuen Welt oder Ländern, die Persien oder Türkei hießen und von denen Madeleine nicht einmal gewusst hatte, dass es sie überhaupt gab. Manchmal erzählte der alte Apotheker, der selbst keine Kinder hatte, etwas über die Arzneien, und sie hörte ihm gespannt zu.

»Opium ist nicht nur der wertvollste Stoff, um Schmerzen zu bekämpfen«, erklärte er heute, als er mit seinen faltigen Fingern einen kleinen Schrank aufschloss und vorsichtig einen Behälter hervorholte. »Es schützt in den richtigen Mengen auch vor Gift, vor allem vor dem einiger Schlangen. Schon die alten Römer wussten das und haben es deshalb genommen!« Er wies Made leine an, auf der Balkenwaage das Zehntel einer Unze abzumessen, und schloss den Behälter, um ihn dann wieder sorgfältig im Schrank zu verschließen. Den Schlüssel verwahrte er stets an einem Bund an seinem Rockschoß.

Schließlich nahm er mit behutsamen Bewegungen einige weitere Tiegel und Tinkturen aus den Regalen. »Siehst du, der Mensch und alles Leben besteht aus vier Elementen – aus Feuer, Erde, Wind und Wasser«, sprach er weiter. Er wandte sich zu ihr. »Und weißt du, warum jemand krank wird?«

Madeleine schüttelte interessiert den Kopf. Darüber hatte sie noch nie nachgedacht »Nein. Warum?«

»Wenn sich diese vier Elemente bei einem Menschen nicht im Gleichgewicht befinden und eines von ihnen zu stark oder zu schwach in den Säften des Körpers vorhanden ist, dann wird man krank!« Er öffnete einen weiteren Tiegel und reichte ihn ihr. »Miss genau den zwanzigsten Teil einer Unze ab!«

Sie entnahm dem Gefäß, das die Aufschrift Myristicae trug, die geforderte Menge und wog sie. Der Apotheker beobachtete ihre Handgriffe, bevor er das Pulver in einen Becher gab, noch einige Tropfen einer Tinktur hinzufügte und das Ganze mit einem feinen Spachtel zu einer Masse verrührte.

»Ein Medikament muss dieses Ungleichgewicht bekämpfen, indem man dem Patienten das Gegenelement zuführt«, fuhr er fort. »Opium in dieser Form hier verarbeitet, ist zum Beispiel wärmend – es hilft, wenn die Krankheit, in diesem Fall der Schmerz, durch zu viel Kälte hervorgerufen wurde.«

Madeleine hörte ihm fasziniert zu und betrachtete die unscheinbare klebrige Masse in dem Becher, die den Patienten von seinen Schmerzen befreien würde. Schon immer hatten sie diese Dinge interessiert. Auch ihre Mutter verstand viel von Kräutern und Heilpflanzen, doch im Gegensatz zu Legrand sprach sie nicht gerne darüber. Darüber musst du nichts wissen, pflegte sie knapp zu antworten.

Das Mädchen dachte erneut darüber nach, was Legrand erzählt hatte, und zog die Stirn kraus. »Und was ist, wenn jemand einen Unfall hat, ist dann auch das Gleichgewicht der Elemente gestört?«, fragte sie, denn sie hatte plötzlich den Müllergesellen Guillaume vor Augen, dessen Bein man nach dem Unfall mit dem Mühlrad amputiert hatte. Glücklicherweise hatte er die schreckliche Prozedur gut überstanden. Einen Augenblick lang zog sich bei der Erinnerung an diesen Tag wieder alles in ihr zusammen.

Legrand nickte. »Ja, eine Verletzung erzeugt meistens zu viel Feuer!«

»Madeleine?«, war in diesem Augenblick der laute Ruf ihrer Mutter zu vernehmen. »Da bist du ja!«, sagte sie, als sie in der Tür auftauchte. »Ich habe dich schon überall gesucht. Du solltest doch die Regale putzen. Was machst du hier?« Ihr Ton war wie so oft in den letzten Wochen streng – ständig überhäufte ihre Mutter sie mit Arbeit, als wollte sie sie bestrafen, und hatte ihr sogar verboten, sich mit Agnès zu treffen.

»Ich habe sie gebeten, mir beim Abwiegen zu helfen! Meine Augen sind ja leider nicht mehr die besten«, erklärte Legrand.

»Entschuldigt, das wusste ich nicht!«, erwiderte Elisabeth Kolb, die sich rechtzeitig daran zu erinnern schien, dass sie vor ihrem Dienstherrn und Brotgeber stand. Dennoch war ihrem Gesichtsausdruck anzumerken, dass es ihr nicht gefiel, dass Madeleine ihm zur Hand ging. »Nun, wenn Ihr ihre Hilfe braucht!« Sie wandte sich zu ihrer Tochter. »Wenn du hier fertig bist, komm in die Küche«, sagte sie und verschwand mit einem knappen Kopfnicken wieder in Richtung des Flurs.

»Geh nur!«, sagte Legrand leise zu dem Mädchen. »Den Rest schaffe ich auch so.«

Madeleine nickte bedauernd, denn sie wäre lieber geblieben und hätte ihm weiter geholfen.

Unweit Schloss Moulins, Januar 1566,

7

Die Frau, die am späten Abend mit schnellen Schritten durch das Palais de Guise-Lorraine eilte und in das Gemach des Kardinals stürzte, war von ausnehmender Schönheit. Selbst die Wut, die ihr ins Gesicht geschrieben stand, konnte der Anmut ihrer Erscheinung nichts anhaben. Mit einer aufgebrachten Geste riss sie sich die Kapuze ihres nerzgefütterten Umhangs vom Kopf, während sie dem Kardinal, Charles de Lorraine, und seinem Bruder Claude, Herzog d’Aumale, einen vernichtenden Blick zuwarf.

»Weder der Medici noch Euch werde ich jemals verzeihen, so gedemütigt worden zu sein. Einzig mein fünfzehnjähriger Sohn hat es gewagt, sich wie ein Mann zu verhalten!«, stieß Anne d’Este hervor, die keine andere als die Witwe des Herzogs de Guise war.

In ihrer Stimme schwang der Zorn über die Erniedrigung, die sie über sich hatte ergehen lassen müssen. Coligny war freigesprochen worden! All die Jahre, in denen sie und der Clan der Guise Beweise gesammelt, Richter bestochen und sich in jeder nur erdenklichen Weise bemüht hatten, beim König eine Verurteilung des Mörders ihres Mannes zu erzwingen, waren unwiderruflich verloren. Und nun hatten sie nicht nur eine bittere Niederlage erlitten, sondern waren auch noch gezwungen worden, sich öffentlich mit ihren Erzfeinden, diesen protestantischen Ketzern, dem Admiral de Coligny und seinen beiden Brüdern, zu versöhnen. Den Mördern ihres Gemahls! Es war Anne d’Este anzusehen, dass sie am liebsten den nächstbesten Gegenstand durch den Raum geschleudert hätte, doch stattdessen wandte sie sich zum Kardinal, der mit dem Tod ihres Gatten das Familienoberhaupt der Guise geworden war. Wie stets schien seine hochgewachsene Gestalt mit dem ebenmäßigen Gesicht die Ruhe selbst, was sie nur noch mehr aufbrachte.

»Wie konntet Ihr diesem Mann nur die Hand reichen!«, fuhr sie ihn an.

»Was hättet Ihr vorgeschlagen? Dass man vor den Augen des Königs über ihn herfällt?«, erwiderte Claude, Herzog d’Aumale, anstelle seines Bruders. Missmutig blickte er sie aus seinen schrägen Augen an. Seine kräftige, breitschultrige Figur verriet die Jahre, die der drittgeborene der Guise-Brüder im Kampf verbracht hatte. Er empfand die erzwungene Versöhnung kaum weniger demütigend als seine Schwägerin. Alle wussten, dass er von Anfang an dafür gewesen war, die Angelegenheit selbst zu regeln. Und nun dieses Urteil! Er war bei der Verkündung nicht einmal dabei gewesen, denn der König hatte seine Anwesenheit für unerwünscht erklärt. Aus Angst, die Guise könnten das Urteil nicht akzeptieren, hatten Charles IX. und seine Mutter, die Medici, die Anzahl der beteiligten Personen so gering wie möglich gehalten. Die verfeindeten Parteien hatten nur unter strengsten Anordnun gen überhaupt nach Moulins reisen dürfen, und es war ihnen angekündigt worden, dass demjenigen, der wagte, die Hand an die Waffe zu legen, der Tod drohte.

Charles de Lorraine hatte schweigend den Wortwechsel der beiden verfolgt und erhob sich nun aus seinem Stuhl. Das flackernde Kaminfeuer warf sein Licht auf die purpurrote Kardinalsrobe, die ihn umhüllte. Er schätzte seine Schwägerin. In den letzten Jahren war er überrascht gewesen zu entdecken, wie intelligent sie zu taktieren wusste. Sie hatte alles richtig gemacht – sich dem König bald Hilfe suchend als Witwe präsentiert, die im Namen ihrer Kinder Gerechtigkeit erflehte, und es dann wieder zum richtigen Zeitpunkt verstanden, mit ihrem Gefolge die Macht und Stärke des Hauses Guise zu präsentieren, das einem Königshaus ebenbürtig war. Doch Michel de l’Hospital, der Kanzler der Medici, hatte den Rat geschickt zugunsten der Protestanten zu beeinflussen gewusst. Zu viele von ihnen befürchteten, dass sie, die Guise, erneut zu mächtig werden und eines Tages sogar nach der Krone trachten könnten. Allen voran die Königinmutter, darüber war sich Charles de Lorraine völlig im Klaren.

Er war einen Schritt auf seine Schwägerin zugegangen und legte ihr die Hände auf die Schulter. »Wir hatten keine Wahl, Anne! Das Urteil des Königs nicht zu akzeptieren hätte unser aller Untergang bedeutet«, sagte er ruhig. »Coligny wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen, glaubt mir!« Seine Augen verdunkelten sich unwillkürlich, als er die unschöne Szene im Saal noch einmal vor sich sah. Sie, die Guise, auf der einen Seite, und der Admiral und seine beiden Brüder auf der anderen – beide Parteien gleichermaßen vom Hass aufeinander erfüllt, während der König im Beisein des Rats das Urteil bestätigte. Es sprach den Admiral de Coligny von jeder Schuld und Mittäterschaft an dem Mord des Herzogs de Guise frei. Anschließend hatte die Medici eine Geste der Versöhnung zwischen den Todfeinden verlangt – zum Wohle Frankreichs. Es erfüllte den Kardinal noch immer mit Stolz, dass sein fünfzehnjähriger Neffe, Henri de Guise, der Sohn seines ermordeten Bruders, sich geweigert hatte, dieser Forderung nachzukommen. Sein jugendliches Alter gestattete ihm ein solch aufrührerisches Verhalten. Er selbst dagegen hatte keine Wahl gehabt, doch als er Coligny die Hand reichen musste, hatte er sich geschworen, nicht eher zu ruhen, bis dessen Leichnam vor seinen Füßen läge.

»Nie werde ich das der Medici, dieser hergelaufenen florentinischen Krämerstochter, verzeihen!«, sagte Anne d’Este später zu ihm. Sein Bruder war bereits gegangen, doch er hatte seine Schwägerin gebeten, noch zu bleiben. Sie hatten an einem Tisch am Kamin Platz genommen, und er sah den Hass, der noch immer in ihren Augen glomm. Er wusste, dass sie die Wahrheit sprach. In ihren Adern flossen das Blut und der Stolz französischer Könige – ihre Mutter, Renée de France, war eine Tochter Louis XII. gewesen.

»Keiner von uns wird das«, sagte er schlicht. Entschlossenheit stand in seinem Gesicht mit der hohen Stirn. Mit seinen einund vierzig Jahren war der Kardinal nicht nur einer der reichsten, sondern auch mächtigsten Kirchenfürsten Europas. Zu seinem Besitz gehörte das Bistum Metz genauso wie die vermögenden Abteien von Cluny und Fécamp. Bereits mit vierzehn Jahren war Lorraine zum Erzbischof von Reims ernannt worden, und mit dreiundzwanzig Jahren hatte man ihn zum Kardinal erhoben. Gerade erst war er als Gesandter von einem Konzil des Vatikans zurückgekommen, und nun beabsichtigte er, sich in erforderlicher Weise um diese Familienangelegenheit zu kümmern, in der es um die Ehre und den Ruf des Hauses Guise ging. Mit kalter Miene nahm er die Karaffe mit dem Wein und schenkte zwei Gläser ein. Im Schein des flackernden Kerzenlichts reichte er seiner Schwägerin eines. »Ich verspreche Euch, Coligny wird sterben, und auch wenn es keine Beweise geben darf, wird jeder wissen, dass mit seinem Tod der Mord Eures Gemahls und unseres Bruders, des Herzogs de Guise, gerächt wurde!«, erklärte er.

Sie blickte ihn an, und zum ersten Mal an diesem Tag entspannten sich ihre Züge. »Danke«, sagte sie und strahlte mit einem Mal etwas Verletzliches aus. »Ich werde erst wieder Frieden finden können, wenn es ihn nicht mehr gibt!«

Der Kardinal neigte den Kopf und hob sein Glas wie zur Besieglung eines Abkommens. Der Krieg war noch lange nicht beendet – er hatte gerade erst begonnen.

Éclaron, Januar 1566, im selben Monat …

8

Kniehoch türmte sich der Schnee in diesem Winter 1566 vor der Tür. Der Anblick des unschuldigen Weiß, das Madeleine noch vor wenigen Wochen in Begeisterung versetzte, hatte in den letzten Tagen etwas Unbarmherziges und Grausames bekommen. Eisblumen zeigten sich am Fenster, und im Haus, das nur noch in der Küche geheizt wurde, weil das Brennholz knapp geworden war, hinterließ der eigene Atem neblige Schwaden in der Luft. Madeleine, die alle drei Unterröcke und die beiden Kleider, die sie besaß, übereinander trug, legte auch im Haus schon lange ihren Umhang nicht mehr ab. Dennoch fror sie.

Selbst die Alten konnten sich nicht erinnern, jemals eine solche Kälte im Land erlebt zu haben. Das Wasser in den Seen und Flüssen war gefroren, und die meisten Straßen und Wege waren nicht einmal mehr mit dem Pferd passierbar.

Madeleine riss sich vom Anblick des Schnees los, der ihr doch keine Antwort auf ihre Fragen geben konnte. Sie war achtzehn Jahre alt, und eine schreckliche Leere und Angst erfüllte sie. Was sollte nun werden? Ihre Unterlippe zitterte, und sie presste den Kiefer fest zusammen, als sie sich entschlossen abwandte und den Flur entlang zum Zimmer von Monsieur Legrand lief.

Der alte Mann saß in einem pelzgefütterten Rock hinter dem Schreibtisch. In seiner Hand hielt er ein Vergrößerungsglas, durch das er mit nachdenklicher Miene ein Schriftstück studierte. Er wirkte zerbrechlich in seinem Stuhl, doch das täuschte, denn die Kälte und der Hunger hatten ihm trotz seines Alters nichts anhaben können.

»Madeleine? Ich wollte auch schon mit dir sprechen!«, sagte er. Das Mitgefühl, das in seiner Stimme schwang, schnürte ihr für einen Moment die Kehle zu. Sie nickte und versuchte sich zu sammeln, um nicht vor ihm in Tränen auszubrechen. Schließlich blickte sie ihn geradeheraus an. »Kann ich bleiben?«, fragte sie.

Er schaute sie überrascht an.

»Ich würde die Arbeit von ihr machen und könnte Euch auch in der Apotheke helfen. Bitte!«, fügte sie leise hinzu. Ein flehentlicher Unterton lag in ihrer Stimme.

Der Apotheker legte das Vergrößerungsglas zur Seite. »Genau darüber wollte ich mit dir reden«, sagte er sanft. Er blickte sie an und seufzte. »Ach, Madeleine, ich würde dir gern anbieten zu bleiben, aber das geht leider nicht.« Er deutete auf das Schrift stück in seinen Händen. »Das hier ist der Letzte Wille deiner Mut