Das Monster in mir - Psychothriller - Stacie Letizia Strauch - E-Book

Das Monster in mir - Psychothriller E-Book

Stacie Letizia Strauch

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Beschreibung

Der 17-jährige Liam Henning wird blutverschmiert und alleine in seinem Haus aufgefunden. Seine Eltern und sein kleiner Bruder sind spurlos verschwunden. Sofort wird er für den Mord an seiner Familie angeklagt. Herr Morel, ein bekannter Psychologe, nimmt sich Liams Fall an, in der Hoffnung den schweigenden Jungen wieder zum Reden zu bringen. Während er sein alltägliches Leben mit seinem 11-jährigen Sohn Finn und seiner Schwiegermutter Mary führt, versucht er Liams Vertrauen zu gewinnen. Die Suche nach der verschwundenen Familie führt ihn schließlich nach Russland, in die Stadt, in welcher ihn seine dunkle Vergangenheit wieder einholt. In der Nacht beginnt er von bisher unbekannten Erinnerungen des selbst ernannten "Monsters" in ihm zu träumen. Es ist mordsüchtig und unkontrollierbar. Doch ist alles nur ein Traum oder Realität?

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Seitenzahl: 240

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Über den Autor:

Stacie Letizia Strauch wurde am 02.06.2004 in Sangerhausen geboren und wuchs als ältestes von vier Geschwistern auf. Im Alter von 15 Jahren begann sie ihr erstes Buch zu schreiben. Schon als Kind schrieb sie gerne Kurzgeschichten und hatte eine lebhafte Phantasie. Mit 12 Jahren entdeckte sie ihre Liebe zu Horror, besonders zu Thrillern und Psychothrillern. Diese möchte sie anhand ihrer Bücher mit der ganzen Welt teilen.

Stacie Letizia Strauch

DAS MONSTER INMIR

Psychothriller

Originalausgabe

Deutsche Erstausgabe März 2021

Copyright © 2021 Stacie Letizia Strauch

Autor: Strauch, Stacie Letizia

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN 978-3-347-27306-1 (Paperback)

ISBN 978-3-347-27307-8 (Hardcover)

ISBN 978-3-347-27308-5 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlichen geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Ich bin so müde. Ich bin so müde davon dich zu vermissen, aber dich nicht zurück zu wollen.

01: 32 Uhr – 24.03.

>>Hallo? Bitte schicken Sie sofort jemanden! Ich habe Schüsse im Nachbarhaus gehört!“<<

>>Ich erinnere mich daran, wie ich mit dem Krankenwagen aus der Ausfahrt fuhr. Wir hatten zuvor eine ruhige Nacht erlebt; kaum Einsätze, geschweige denn wirkliche Notfälle. Es war allgemein ein eher ruhiger Monat gewesen, immer wieder ein paar kleine Arbeitsunfälle oder Kinder, die sich beim Spielen verletzt hatten - nichts Besorgniserregendes oder Katastrophales. Mein Kollege und ich wurden in eine wunderschöne, unauffällige Nachbarschaft gerufen. Ich war vorher noch nie dort gewesen. Die Schwester meiner Frau hatte sich dort im Herbst ein großes und modernes Haus für ihre Familie bauen lassen, doch aufgrund meines Jobs hatte ich vorher noch keine Gelegenheit gehabt sie zu besuchen. Die Straßen waren leer, niemand war mehr unterwegs in so einer kalten Märznacht und wir mussten nicht einmal die Sirene anmachen. Ich überprüfte die Adresse, die mir die Zentrale weitergeleitet hatte und wir hielten vor einem blauen Haus mit riesigem Vorgarten. Es hatte 2 Etagen, einige große Fenster, eine gigantische weiße Eingangstür und im Vorgarten stand eine Schaukel. Scheinbar ein Familienhaus. Desto mehr verwunderte es mich, dass wir wegen Schüssen, die die Nachbarin gehört hatte, gerufen wurden. Diese genannte Nachbarin konnte ich in dem weißen Haus nebenan aus dem Fenster schauen sehen. Ich überlegte zu ihr zu gehen und mit ihr zu reden, doch ich wollte mich erst der Situation im Haus bewusst machen. Im nächsten Moment trafen Kollegen aus der Polizei ein. Sie schienen bereits eine aufregende Nacht hinter sich gehabt zu haben, sie sahen müde und erschöpft aus. Nun waren wir 4 Personen, die auf das Haus blickten, unentschlossen und ein wenig verunsichert. Die Fenster des Hauses waren alle geschlossen und die Jalousien waren heruntergefahren. Langsam traten wir auf das Haus zu. Ich wagte einen Blick auf das Klingelschild, als mir bewusst wurde, dass es sich um das Haus meiner Schwägerin handelte. Mein Herzschlag stieg ins Unermessliche, ich fing an zu zittern und musste langsam atmen, um nicht die Fassung zu verlieren. Wer weiß, was die Nachbarin gehört hatte. Wir klingelten mehrere Male, doch niemand öffnete. Die Tür war offen, also lehnten wir uns vorsichtig dagegen. Die beiden Polizisten liefen mit ihren Waffen vor uns. Ich kann mich daran erinnern, wie ich auf eine riesige Menge an Familienfotos blickte. Ich erkannte meine Schwägerin, ihren Mann, die 3 gemeinsamen Kinder – meine beiden Neffen und meine Nichte. Innerlich betete ich zu Gott, dass ihnen nichts zugestoßen war. Ich dachte mir, dass sich wahrscheinlich ein paar Jugendliche einen Spaß erlaubt hatten und wir jeden Moment wieder zurückfahren könnten. Doch genau in diesem Moment leuchtete ich ein Stück weiter in den Flur und sah eine Menge an Blut. Die Wände, die Decke, der Boden, alle Familienbilder waren bespritzt und strahlten mich in einem leuchtenden und glitzernden Rotton an. Es war frisches Blut. Bemüht nicht die Fassung zu verlieren tastete ich mich mit den anderen weiter durch den Flur. Es war ruhig im Haus, es gab kein einziges Geräusch bis auf unsere Schritte. Der Flur war ursprünglich weiß gewesen, mit einem dunkelblauen Teppich und weißen Bilderrahmen um die bunten Fotos, mit einigen weißen Holzkommoden mit Bildern, Dokumenten oder Schlüsseln darauf. Jetzt war all das wunderschöne Weiß für immer zerstört – mit dem Blut meiner Familie. Einer der Polizisten schaute vorsichtig in das Wohnzimmer und ließ daraufhin langsam seine Waffe sinken. Er stand einfach im Türrahmen und blickte in den Raum. Ich war neugierig, wollte sehen, was er sah, aber hatte auch große Angst vor dem, was hinter der Wand auf mich wartete. Einen Schritt nach dem anderen wagte ich mich zu ihm und schaute dann in das Zimmer. Ich sah einen Jugendlichen auf dem Boden sitzen. Er hatte eine kurze, graue Hose und ein blaues T-Shirt an. Seine kurzen, blonden Haare standen in alle Richtungen und er starrte mit seinen leeren Augen auf die Wand, nur einige Zentimeter links von uns. Es war mein Neffe, 17 Jahre alt, ein guter Schüler und geliebter Bruder. Im ersten Moment kam mir sein Anblick unheimlich vor; ich hatte ihn als aufgeweckten Familienmenschen in Erinnerung. Aber als ich ein Schritt in den Raum machte und meine Taschenlampe auf ihn richtete, offenbarte sich etwas viel Schlimmeres. Wir blickten auf ein Blutbad. Überall war Blut. An den Wänden, auf dem Boden, auf der Kleidung meines Neffen. Das dunkelblaue Sofa, der riesige Fernseher, der weiße Glastisch, die Fenster. Ich sah in ein leeres Gesicht voller Blutspritzer. Er hatte blasse Lippen, blasse Wangen. Seine einst blonden, weichen Haare waren nun verklebt, er hatte blutige Handabdrücke auf seinem Körper und Kratzer und Schnitte, aus denen er blutete. Ich sah eine riesige Blutpfütze unter ihm, sah, wie sich der hellgraue Teppich mit der Flüssigkeit vollsaugte. Ich hatte noch nie so etwas Grausames gesehen. Mein Kollege lief direkt zu ihm und versuchte seine Wunden zu verarzten. Ich hingegen leuchtete über den Teppich, leuchtete den restlichen Flur entlang. Stühle lagen auf dem Boden, ein umgekippter Schrank versperrte den Weg, kaputte Bilderrahmen lagen herum. Überall lagen Glasscherben verteilt. Es hatte einen Kampf gegeben, einen blutigen Kampf. Die Tür am Ende des Flures war offen, die Blutspuren führten nach hinten in den Garten. Ich nahm entschlossen einen tiefen Atemzug und kroch unter dem Schrank durch, spürte das Blut an meinen Armen, an meinen Händen, an meinen Knien, spürte, wie sich alles nass und klebrig anfühlte. Ich trat langsam durch die Tür ins Dunkle, hatte Angst vor weiteren Überraschungen, doch ich sah nichts. Im Garten war alles normal, als wäre nie etwas passiert. Ein paar blutige Grashalme, mehr nicht. Ich weiß nicht, vielleicht war ich enttäuscht, weil ich gehofft hatte irgendwas, irgendwen, zu finden. Doch da war nichts. Nur mein Neffe, der in einer Blutlache hockte.<<

19: 44 Uhr - 05.05.

Mein Spaziergang nach Hause fühlte sich heute träger und länger an als sonst. Es roch nach frischem Brot, als ich an der Bäckerei vorbeilief, und durch das Schaufenster einen kleinen Jungen sah, der lächelnd eine Zimtschnecke in die Hände nahm.

Der Bäcker war neu in der Stadt, das Haus frisch renoviert und alle Wohnungen neu vermietet. Die Chefin soll eine nette, warmherzige Frau sein und bereits 4 Kinder großgezogen haben. Ich stellte mir eine stämmige Frau mit schulterlangen, braunen Haaren, Brille und roten Wangen vor, die ihre erwachsenen Kinder liebevoll in den Arm nahm.

Die Vorstellung erinnerte mich an meine Mutter. Sie war verstorben, als ich gerade einmal 10 Jahre alt gewesen war. Ich fand sie, als ich an einem wunderschönen Sommertag von der Schule nach Hause kam. Ihre leeren Augen starrten direkt in meine Seele, ihr lebloser Körper hing dort von der Wohnzimmerdecke und ich hatte damals nie verstehen können, warum sie gegangen war.

Ich wollte diese Erinnerung sofort wieder loswerden und konzentrierte mich stattdessen auf die wunderschönen, rosa Blumen am Gehweg. Ich spazierte heute nicht, sondern schleppte meinen erschöpften Körper in die Geborgenheit meiner warmen Wände.

Der Tag war überraschend anstrengend gewesen. Ich blieb, anders meiner Pläne, die ganze Gerichtsverhandlung auf meinem Platz sitzen. Ich beobachtete Menschen, hörte mir Zeugenaussagen an und musterte immer wieder die Gesichtsausdrücke des Angeklagten.

Enttäuschenderweise kam dabei nicht viel heraus. Ich wusste gar nicht, warum mich das enttäuschte, immerhin hatte ich schon vorher gewusst, dass er schwieg, beziehungsweise, dass er im Allgemeinen gar keine Reaktion von sich gab und, egal wie sehr ich mich bemühte, ich konnte nichts aus seiner Haltung lesen, außer, dass er sich unwohl fühlte.

Ich würde mich auch unwohl fühlen, wenn ich vor so vielen fremden Menschen sitzen würde, die keineswegs den Anschein machten, als würden sie sich für mein Wohl interessieren. Außerdem hielt ich an dem Glauben fest, dass er unschuldig war, nur war genau das der verwunderliche Punkt: Wenn er unschuldig war, warum schwieg er dann?

Unschuldige Menschen erwähnten normalerweise mehr als nur einmal ihre Unschuld.

Andererseits hatte er auch keine Schuld erwähnt.

Ich persönlich empfand es als unverantwortlich einen Jugendlichen, der soeben seine gesamte Familie verloren hatte, alleine vor ein Gericht zu setzen. Am liebsten wäre ich sein Anwalt gewesen, doch dafür fehlte mir das wichtige rechtliche Wissen. Ich wusste nicht, wie ich das Ganze aus gesetzlicher Sicht betrachten sollte, doch aus meiner persönlichen Sicht gehörte er sicherlich nicht in ein Gefängnis.

Er brauchte dringend Hilfe und das musste ich den Geschworenen verständlich machen.

Das war meine Aufgabe. Doch wie sollte ich den Richtern das erklären?

Ich lief auf ein paar Jugendliche zu, die sich am Straßenrand unterhielten und laut lachten.

Liam Henning war kein Verbrecher, der seine Familie ermordet hatte. Er hatte es verdient zu leben, zu heilen und er hatte es verdient, dass sich seine Unschuld in seiner ‚Strafe‘ widerspiegelte.

Ich sah schon von Weitem mein Auto und es fühlte sich an, als würde eine Last von meinen Schultern fallen, je näher ich meinem Heim kam. Ich blickte auf die frisch gestrichene Fassade meines zweistöckigen Hauses.

Der dunkelblaue Anstrich gefiel mir sehr gut und passte perfekt zu den gelbtönigen Häusern meiner beiden Nachbarn. Ich fühlte mich vollkommen, als ich auf den weißen Steinen zur Tür lief. Ich drehte den Schlüssel in meiner Haustür um und mir kam ein vanilliger Duft entgegen. Finn hatte die Kerzen angezündet, die Mary mir vor 2 Wochen zu meinem Geburtstag geschenkt hatte. Ich warf den Schlüssel in die Schale auf der Kommode und zog meine Schuhe aus.

Vor mir entfaltete sich ein riesiges Chaos und als ich auf die Papiere im Flur, den Stapel der Schuhe und die herumliegenden Jacken schaute, wurde mir bewusst, dass Finn und ich dringend wieder einen Aufräumtag veranstalten mussten.

Wir beide taten das viel zu selten.

Er war viel in der Schule oder mit Freunden spielen und ich war die meiste Zeit mit meiner Arbeit, einkaufen, kochen und Wäsche waschen beschäftigt. Im Herbst hatte ich außerdem den Vorgarten und die Fassade neu gemacht und im Winter die Garage und den Keller ausgemistet. Dabei hatte ich das ganze Spektakel im Haus ausgeblendet und letztlich ganz vergessen.

Ich schaute in den Flur und sah, wie Finn seinen Kopf aus dem Esszimmer steckte.

>>Hallo Papa, Oma ist zu Besuch. Es gibt Lasagne.<<

Also hatte doch nicht er die Kerzen angemacht, sondern Mary selbst. Ich lächelte und lief in Richtung Esszimmer. Vorsichtig schaute ich um die Ecke. Meine Schwiegermutter stand vor dem Tisch und schaufelte soeben riesige Kellen mit Lasagne auf die Teller.

>>Hallo Mary. Das ist aber eine Überraschung, dass du hier bist!<<

Sie drehte sich zu mir um und schenkte mir ein dickes Grinsen. Ihre Wangen waren rot und ihre schulterlangen, rot gefärbten Haare hatte sie nach oben gesteckt. Sie hatte zugenommen, seitdem sie vor 8 Jahren frühzeitig in Rente gegangen war. Etwas, das Celeste gestört und gesorgt hätte, doch für mich war es ganz plausibel. Es war für mich ein normales Verhalten und daher hatte ich es nie für nötig gehalten Mary darauf anzusprechen, solange es noch keine schwerwiegenden, gesundheitlichen Auswirkungen auf sie hatte.

Ich ging zu ihr und half ihr die Teller zu verteilen. Ich holte noch schnell einige Gläser aus dem Schrank und stellte eine Wasserflasche auf den Tisch.

Ich blieb kurz einige Sekunden in meiner Bewegung stehen und schaute auf die wunderschönen, dunkelblauen Rosen auf dem Tisch bis Mary wieder meine Aufmerksamkeit gewann.

>>Finn hat erzählt, dass du bei einer Gerichtsverhandlung warst – der Prozess um Liam Henning?<<

Sie schaute mich neugierig an, während sie die Kochschürze losband, auszog und über den Stuhl hängte. Ich wusste nicht genau, was ich antworten sollte, also nickte ich, doch schaute nicht zu ihr.

>>Wirst du ihn im Prozess begleiten? Bist du für oder gegen seine Unschuld?<<

Ich hatte gewusst, dass sie mich ausfragen würde und mich in gewisser Art und Weise darauf vorbereitet. In den letzten Tagen wurde viel von dem Fall in den Medien berichtet, doch als ich dem Notfallarzt im Gerichtssaal zugehört hatte, war mir erst bewusst geworden, wie viele Lügen die Medien verbreiteten. Es war nicht meine Aufgabe diese klarzustellen, obwohl ich es am liebsten getan hätte.

>>Ich werde vor Gericht aussagen müssen und werde wahrscheinlich auf seine Unschuld plädieren. Er ist ein 17-jähriger Junge und hat soeben seine Familie verloren. Es gibt natürlich einige Unschlüssigkeit, aber er macht auf mich nicht den Eindruck, als wäre er ein Mörder. Ich glaube er braucht einfach jemanden, der ihm zur Seite steht, um sein Schweigen zu brechen. Er braucht Hilfe, mehr nicht.<<

Ich schaute sie an. Sie zog einen Mundwinkel nach oben, doch sofort wieder nach unten, schaute in meine Augen und dann sofort wieder weg auf ihren Teller.

>>Ich denke, er ist schuldig. Er war der Einzige, der bei der Familie gewesen war. Es gibt keine Einbruchspuren, keine fremden Fingerabdrücke. Er muss es gewesen sein.<<

Ich wollte ihr widersprechen, sie fragen, ob dieser zierliche Junge den Eindruck machte, als hätte er seine Eltern und seinen kleinen Bruder umgebracht. Ich wollte sie fragen, wo die Leichen waren und ob er so aussah, als hätte er alleine den leblosen Körper seines Vaters aus dem Haus ziehen können. Ich wollte ihr sagen, dass die Tür bei Eintritt der Polizei offen stand.

Ich wollte sie so viel fragen, doch stattdessen nickte ich nur. Es war nicht meine Aufgabe den Fall richtigzustellen. Nach allem, was ich gesehen hatte, wusste ich, wie ich vor Gericht aussagen würde.

>>Denkst du, das Gericht hält ihn für schuldig?<<

Finn schaute mich mit seinen großen Kinderaugen an. Er war neugierig, ein wenig verängstigt. Jeden Tag hörte man von dieser grausamen Nacht – im Fernseher, im Radio, in der Zeitung.

Natürlich war das für einen 11-jährigen Jungen beängstigend, aber andererseits war es überwältigend. Ein Junge, der seine Familie umgebracht hatte – welch ein Spektakel. In den Medien berichtete man von Blutbädern und verschwundenen Leichen. Welcher kleine Junge wäre nicht begeistert darüber gewesen, dass der eigene Vater im Gerichtssaal aussagen durfte?

>>Ich weiß es nicht. Hier, wo wir leben, muss es keine gewisse Anzahl an Beweisen geben, weißt du? Wenn der Richter gute Laune hat, wird er für unschuldig gesprochen, wenn nicht, wird es für ihn schlecht aussehen.<<

Finn nickte und fing an zu essen.

Ich wusste nicht, ob das, was ich gerade gesagt hatte, auch meinen Gedanken entsprach. Natürlich war es irgendwie wahr. Es gab keine wirklichen Beweise für ihn, aber auch keine richtigen gegen ihn. Der Richter würde am Ende eher von der Schuld überzeugt sein.

Mary hatte recht, keine Einbruchspuren, keine beweisbare Fremdeinwirkung, keine Leichen, Liam schwieg. Da war es wohl kaum eine wichtige Frage wie er seine Familie getötet und aus dem Haus bekommen hatte.

Doch ich wollte zumindest versuchen Liam vor dem Schlimmsten zu bewahren. Mit einem guten und überzeugenden psychologischen Gutachten könnte er in eine Psychiatrie kommen. Ich würde es für den Richter plausibel machen, dass er eindeutig psychologische Hilfe benötigte.

Weg gesperrt in einer Psychiatrie konnte er einer Fliege genauso wenig zuleide tun wie im Gefängnis, nur mit dem Unterschied, dass ich sein Schweigen brechen konnte. Was, wenn ich Recht behielt und er es nicht war? Dann musste es jemanden anderen geben und diesen jemand müssten wir finden, damit der Richtige bestraft werden würde.

Ich starrte auf meinen Teller.

Vor lauter Nachdenken war mir der Hunger vergangen, doch ich wusste, wie traurig Mary werden würde, wenn ich es nicht mindestens probieren würde.

Ich war dankbar dafür, dass sie immer für Finn da war. Sie kam oft zu Besuch, räumte auf, kochte, half im Garten. Sie hatte nicht mehr viel zu tun und war froh aus ihrer kleinen Wohnung im 4. Stock ihres alten Wohnblocks herauszukommen. Finn war das Wichtigste in ihrem ganzen Leben, seitdem ihre Tochter und ihr Mann verstorben waren und ich war so froh darüber sie als Unterstützung zu haben.

Sie war für Finn extrem wichtig und er sagte mir oft genug, dass sie die beste Oma auf der ganzen Welt wäre. Diesen Sommer hatten die beiden sogar einen gemeinsamen Urlaub am Meer geplant.

Ich schaute wieder auf die Lasagne oder wohl eher hatte ich das Gefühl, dass die Lasagne mich anschauen würde. Ich wollte Mary nicht enttäuschen und aus Dankbarkeit aß ich den ganzen Teller leer.

Kurze Zeit später wusch ich den letzten Teller ab und stellte ihn in den Geschirrspüler. Mary stand bereits fertig in der Tür, umarmte Finn und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Finn lief die Treppen nach oben in sein Zimmer.

Ich ging zu Mary.

>>Bitte vergiss Finn nicht. Ich weiß der Prozess ist wichtig für dich, gibt dir wahrscheinlich auch viele Chancen, aber vergiss nicht, dass deine wichtigste Chance hier zu Hause sitzt und hungert. Ich habe euch beide sehr doll lieb! Wenn du Hilfe brauchst, dann ruf mich an. Ich habe ja eh nichts zu tun.<<

Sie zwinkerte, umarmte mich und spazierte aus der Tür.

Ich würde Finn nicht vergessen. Ich wusste, dass sie es nur lieb meinte, aber sie übertrieb.

Ja, der Prozess gab mir eine Chance, er gab mir die Chance Liam Henning zu helfen, ihn wieder zum Reden zu bringen, ihm ein lebenswertes Leben zu schenken und für Gerechtigkeit zu sorgen. Aber das würde mich niemals dazu bringen, die wichtigste Person in meinem Leben zu vergessen.

Ich schloss die Tür, lief die Treppen nach oben und klopfte an Finns Tür.

>>Ja?<<

Ich trat vorsichtig in sein Zimmer und sah, wie er bereits im Bett lag.

>>Ist alles okay?<<

>>Ja, ich bin nur sehr müde.<<

Er drehte sich zu mir um und schaute mich lächelnd an.

>>Wie war die Schule heute?<<

Jetzt setzte er sich hin und umarmte seinen Teddy.

>>Gut. Da waren 2 Jungs, die mich geärgert haben, aber ich habe sie einfach ignoriert, wie du es mir gesagt hast und dann sind sie wieder gegangen. Und dann haben wir einen Test geschrieben, ich wusste fast alles und…<<

Ich setzte mich auf die Bettkante und hörte ihm zu, wie er über seinen Tag sprach. Langweilige Lehrer, eine lustige Busfahrt, Papierflieger, die er gebastelt hatte, wie er mit seinen Freunden Fahrrad fuhr und Oma ihn angerufen hatte, um sich nach ihm zu erkundigen und schließlich, wie sie zusammen Lasagne gekocht hatten.

Er war ein wunderbares Kind.

Fröhlich, nett, hilfsbereit. Er war das Wertvollste, was ich besaß und ich war stolz – stolz auf mich, dass ich ihn so gut erzogen hatte und stolz auf ihn, dass er so ein gutes Kind geworden war.

>>Papa? Eines Tages will ich auch so werden wie du. Ich will Menschen helfen.<<

Ich lächelte.

>>Oh ja, das wirst du. Glaub nur an dich selber und halte an deinen Zielen fest, dann kannst du alles werden, was du willst.<<

Er kuschelte sich wieder in seine Decke und schloss die Augen.

>>Gute Nacht Finn. Ich habe dich lieb.<<

Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

>>Nachti Papa.<<

Ich ging aus dem Zimmer und schloss leise die Tür. Weiter hinten im Gang wartete mein Arbeitsplatz auf mich. Lose Papiere lagen verstreut auf dem Boden verteilt, einige Ordner lagen auf meinem Tisch und wo man hinsehen konnte, sah man Haufen von Stiften und Klebezetteln.

Ich legte die Ordner nach unten auf den Boden und schaltete meinen Computer an.

Es war so weit, ich musste das Gutachten schreiben. Ich wusste nicht wirklich, was ich schreiben sollte, aber als mein Finger die erste Taste berührte, sprühte es nur aus mir heraus.

Jeder Buchstabe, jedes Wort fand seinen Platz und einige Stunden später hielt ich einige Zettel in der Hand, die ich vorsichtig in einen Briefumschlag tat.

Ich würde ihm helfen, zumindest war das meine Hoffnung.

09: 35 Uhr – 25.05.

>>Guten Morgen Herr Morel.<<

Eine stämmige Frau, ich schätze um die 30 Jahre alt, mit langen, blonden Haaren, die in einem Zopf zusammen gebunden waren, lächelte mir zu. Sie trug einen langen, weißen Kittel, eine weiße Hose und weiße Turnschuhe.

Ich lächelte zurück.

Die helle Farbe wirkte entspannend auf mich und erfüllte mich mit Freude.

>>Guten Morgen.<<

>>Mein Name ist Maier. Ich bin für die Station, in der sich auch Liam Henning befindet, verantwortlich. Wenn Sie irgendetwas brauchen oder Fragen haben, lassen Sie es mich wissen. Ich werde Ihnen zunächst das Zimmer von Liam zeigen. Er ist im Moment beim Mittagessen.<<

Sie lief los und ich folgte ihr.

In der Klinik war es sehr kühl und leer. Graue Wände starrten mich an, der Boden bestand aus weißen Fließen und die Türen auf den hintersten Stationen aus kaltem, dickem Metall.

>>Essen die Patienten gemeinsam?<<

Ich wusste, dass es in jeder Klinik verschieden war und war interessiert an den Umständen, in denen Liam nun betreut wurde. Ich war mir nicht sicher welche Antwort ich zu hören erhoffte. Wenn er mit anderen essen würde, könnte er sich dort vielleicht mit Patienten anfreunden und wieder zum Reden gebracht werden. Andererseits könnte ihn das auch überfordern - vielleicht erfuhr oder sah er in einem gemeinsamen Speisesaal auch Dinge, von denen er lieber fernbleiben sollte.

Er wurde auf die am besten gesicherte und am besten betreute Station gebracht, die die Klinik besaß und sie war die Beste, die ich kannte. Dort waren unter anderem Patientin, die wirklich viele Menschen ermordet hatten und ich war der Meinung, dass es kein guter Umgang für Liam war sich mit solchen Personen anzufreunden.

>>Oh, sie essen alle zusammen. Aber keine Sorge. Wir haben genug Betreuer im Saal, die auf alle Patienten aufpassen. Bisher hatten wir nur gute Erfahrungen beim gemeinsamen Essen.<<

Ich nickte.

Am liebsten hätte ich mich über die anderen Patienten informiert, aber es war nicht mein Job. Ich war wegen Liam Henning hier und nicht wegen irgendwelchen Massenmördern, mit denen er gerade in einem Speisesaal saß – dieser Gedanke brachte mir ein unwohles Gefühl im Bauch.

Nach einigen Malen Abbiegen hielten wir vor einer riesigen Metalltür. Frau Maier öffnete sie mit einem der vielen Schlüssel an ihrem Bund. Ich hielt es für eine schlechte Idee Türen zu haben, die man mit einem Schlüssel öffnen konnte. Der Schlüsselbund konnte schnell geklaut werden oder ging verloren. Bei so vielen Schlüsseln würde ich sowieso den Überblick verlieren.

Ich hielt eher etwas von elektronischen Türen, die mit Passwörtern, Pins, Gesichts- oder Fingerabdrucksensoren geöffnet wurden. Vielleicht befanden wir uns dafür auch einfach in der falschen Station, denn wir waren inzwischen im hintersten Altbau der Klinik angelangt. Die Türen renovieren zu lassen wäre wahrscheinlich zu kostspielig und leider erhielten die meisten Kliniken gerade genug Geld, um das Wichtigste abzudecken und alle Ärzte und Schwestern ausreichend genug zu bezahlen. Jede Klinik im Land hielt sich gerade so über Wasser.

>>Hier vorne rechts befindet sich mein Arbeitszimmer. Wenn Sie möchten, können Sie einen kurzen Blick in Liams Unterlagen wagen.<<

Ehrlich gesagt wollte ich nicht in irgendwelchen Unterlagen herumschnüffeln, sondern mir mein eigenes Bild des Patienten machen. Außerdem wäre ein kurzer Blick gar nicht genug gewesen, sondern ich hätte vermutlich Stunden gebraucht, um die Dokumente und Protokolle auf mich einwirken zu lassen.

>>Wäre es auch möglich die Unterlagen digital an mich weiterzuleiten? Dann könnte ich mich zu Hause genauer damit beschäftigen.<<

Sie drehte sich um und schaute mich ein wenig überrascht an. Scheinbar kam es nicht oft vor, dass Psychologen wirklich ein Interesse an ihren Patienten oder wohl eher der Heilung ihrer Patienten hatten. Sie wirkte unsicher, überlegte und wusste zuerst keine richtige Antwort.

Dann schaute sie mich lächelnd an.

>>Ja, natürlich. Das ist kein Problem. Ihre Daten habe ich bereits, dann sollten Sie die Unterlagen morgen auf ihrem Schreibtisch haben.<<

Ich nickte dankbar und wir liefen weiter.

Erst jetzt blickte ich in den langen Flur.

Der Boden war dreckig, in den Neonröhren hing eine unzählbare Anzahl an Spinnennetzen und ich fühlte mich unwohl. Der dunkle, endlose Flur wurde von einer negativen Atmosphäre beherrscht und ich konnte mir vorstellen, wie verängstigend diese Umgebung auf einen Jugendlichen wirken musste, der soeben alles verloren hatte, was ihm lieb war – seine Familie.

Jetzt, wo ich diese Umstände kannte, wollte ich Liam am liebsten mit zu mir nehmen, auch wenn diese Vorstellung zu weit hergeholt war. Doch ich wollte nicht zu schnell urteilen. Vielleicht bot sein Zimmer eine kleine Überraschung, vorzugsweise eine positive.

>>Sie sehen nicht so aus, als würde Ihnen unser Gebäude gefallen? Stimmt etwas nicht Herr Morel?<<

Sie schaute mich mit ihren riesigen, neugierigen Augen an, hoffte auf eine Antwort, hoffte, dass ich mich möglichst wohlfühlte. Vielleicht hatte sie Angst, dass ich eine andere Psychiatrie beantragen und sie in ihrem Job versagen würde. Vielleicht hatte sie Angst davor sich selber, ihre Kollegen und ihren Chef zu enttäuschen. Ich denke, dass sie möglichst viel Anerkennung spüren wollte und es schmeichelte mich, dass ihr gerade meine Anerkennung besonders viel bedeutete.

Sie sah in mir jemanden, der deutlich über ihr stand, deutlich mehr bedeutete und das rührte mich ein wenig. Es kam äußerst selten vor, dass Menschen zu mir aufsahen, mich respektierten und meine Anerkennung verlangten.

Bei einigen Patienten hatte ich erlebt, dass sie in mir eine Vaterrolle sahen, dann war es ein ähnliches Phänomen. Einige empfanden Respekt, weil ich wohlhabend war und etwas Gutes in meinem Leben erreicht hatte. Einige fühlten sich geehrt Patienten eines Psychologen zu sein, der auch schon Promis in seinem Haus therapieren durfte. Viele meiner Patienten hingegen sahen in mir einen Feind. Viele kamen nicht freiwillig zu mir, wollten keine Hilfe. Manchmal fiel es mir sehr schwer eine Vertrauensbasis zu meinen Patienten aufzubauen, bei manchen fühlte es sich bis zum Schluss an, als wären sie Fremde, die in meinem Haus ein und ausgingen.

Frau Maier wäre wohl eine der Patienten gewesen, die sofort Respekt vor mir hatten und sich schüchtern auf die weiße Couch in meinem Therapiezimmer setzten. Sie wäre eine derjenigen gewesen, die dachten, dass sie nicht gut genug für einen so bekannten und guten Psychologen waren – zumindest war es das, was man sich über mich erzählte.

>>Nun, die Atmosphäre wirkt ein wenig düster. Das Phänomen habe ich allerdings auch schon in anderen Einrichtungen erlebt, also machen Sie sich darum keine Sorgen.<<

Ich lächelte ihr zu, um meine Worte zu verstärken. Vielleicht war es mir auch irgendwie wichtig ihr die erwünschte Anerkennung zu schenken. Als sie zurücklächelte und wir weiterliefen, wusste ich, dass sie zufrieden mit sich selbst war.

Ich wagte immer wieder Blicke nach links und rechts, doch konnte im Vorbeilaufen nur dunkle Schatten in den Räumen erkennen.

Das Positive an dieser Station war, dass man überall kleine Fenster aus Gitterstäben oder dicken Glasscheiben an den Türen vorfinden konnte, sodass man jederzeit einen Großteil des Raumes von außen betrachten konnte. Natürlich gab es in jedem Raum zusätzlich noch Kameras. Einige der Patienten hier waren sehr gefährlich. Entweder sie waren für sich selber oder für die Anderen eine Gefahr. Deshalb musste man sie jederzeit im Blick behalten, um eine gewisse Sicherheit in der Station voraussetzen zu können.

Ich fühlte mich nicht sicher.

Man hätte hunderte Kameras einbauen können und unendlich viele Wachtmeister aufstellen können und ich würde mich nicht sicher in diesem Gang fühlen.

Manchmal fragte ich mich, was mit Menschen passiert sein musste, damit sie freiwillig auf solch einer Station arbeiteten. Man hatte nie die Sicherheit, dass man unverletzt wieder nach Hause kam, wenn man überhaupt wieder nach Hause kam. Jederzeit konnte ein Patient auf freiem Fuß sein und mit einem Messer auf dich zu rennen. Viel zu oft hatte ich von grausamen Geschichten gehört, von Pflegern, die ermordet wurden oder die nun geistig geschädigt waren. Viel zu