Das Pfand der Leibe - Barbara Cartland - E-Book

Das Pfand der Leibe E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Die schöne Kezia und ihr Bruder Perry entstammen einem verarmten englischen Adelsgeschlecht. In ihrer Not beschließen sie, ein kostbares Brilliantenkollier an den reichen normannischen Marquis de Bayeux zu verkaufen. Um noch weitere wertvolle Stücke zu begutachten, kündigt der Marquis seinen Besuch in dem englischen Landhaus an. Da er jedoch in dem Ruf steht, ein unverbesserlicher Casanova zu sein, sehen die Geschwister Probleme auf sich zukommen. Um Kezia vor seinen Nachstellungen zu schützen, geben sie sich vor ihm als Ehepaar aus. Doch dann erweist sich der Marquis als überaus charmanter Gast, dessen Anziehungskraft Kezia nicht widerstehen kann.

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Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Das Pfand der Liebe

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2018

Copyright Cartland Promotions 1989

Gestaltung M-Y Books

1 ~ 1839

Kezia, die am Fenster stand und hinausschaute, stieß einen kleinen Laut des Entzückens aus, als sie den wohlbekannten Phaeton die Einfahrt heraufkommen sah. Sie lief den Korridor entlang, stürzte die Eichentreppe mit dem kunstvoll geschnitzten Geländer hinunter in die Halle und riß in dem Augenblick die Eingangstür auf, als ihr Bruder die Pferde zum Stehen brachte.

»Perry!« jubelte sie. »Ich habe dich gar nicht erwartet. Wie schön, daß du wieder da bist.«

Sir Peregrine Falcon händigte einem Reitknecht die Zügel aus und sprang aus dem Wagen.

Kaum hatte er die Stufen zum Vordereingang erreicht, rannte ihm seine Schwester entgegen und umschlang mit beiden Armen seinen Hals.

»Vorsicht, du ruinierst mir meine Krawatte«, protestierte er lächelnd.

»Was hat dich denn so vorzeitig nach Hause getrieben?« fragte sie, als sie zusammen in die Halle gingen. »Ist etwas geschehen? Du sagtest, du würdest einige Wochen wegbleiben.«

»Ich bringe Neuigkeiten mit, die dir bestimmt gefallen werden«, erwiderte Perry. »Zuerst möchte ich aber etwas trinken.«

Kezia zögerte.

»Wir haben nur noch den Claret, den ich für deine Rückkehr aufgehoben habe, und Cidre, denke ich.«

»Cidre wird genügen«, sagte Perry. »Den Claret brauchen wir für eine andere Gelegenheit.«

Sie sah ihn erstaunt an, doch da keine nähere Erklärung folgte, ging sie in die Küche.

Humber, der alte Butler, der ihrem Vater bis zu seinem Tod vierzig Jahre treu gedient hatte, saß bei der Anrichte und polierte Silber. Eines seiner Beine, das steif von Arthritis war, hatte er hochgelegt.

»Sir Peregrine ist nach Hause gekommen«, teilte ihm Kezia aufgeregt mit. »Er möchte ein Glas Cidre trinken. Nein, bleiben Sie sitzen«, wehrte sie ab. »Sagen Sie mir nur, wo ich ihn finde.«

»Er steht im Keller, damit er kühl bleibt«, erklärte Humber.

Er machte keine Anstalten, den Cidre zu holen. Die Rückkehr seines jungen Herrn bedeutete, daß er beim Dinner servieren mußte - eine Pflicht, die ihm nicht leichtfiel, denn er konnte sich nur mit Schmerzen bewegen.

Kezia öffnete die Kellertür und fand gleich dahinter in einem Regal einige Krüge mit selbstgekeltertem Apfelwein, der von einem Farmer des Guts stammte.

Sie nahm einen Krug und trug ihn gleich in die Bibliothek, da sie wußte, daß sie Perry dort antreffen würde. Diesen Raum pflegten sie immer zu benutzen, wenn sie unter vier Augen miteinander sprechen wollten.

Die Bibliothek war früher recht eindrucksvoll gewesen, doch jetzt empfingen einen dort ausgebleichte Vorhänge, die Sesselbezüge mußten dringend repariert werden, und der Teppich war an manchen Stellen zerschlissen.

Ihr Vater hatte zu seiner Zeit auf einem Tisch immer ein Tablett mit Getränken bereitgehalten, und ihr Bruder hatte diese Gewohnheit beibehalten, als er in den Besitz des Titels gekommen war. Nur hatte sich die Anzahl der Gläser stark verringert. Auf dem Tablett fand Kezia daher genügend Platz, um den Krug abzustellen.

Perry füllte sich ein Glas.

»Die Straßen waren heute unglaublich staubig«, erklärte er. »Ich habe die Fahrt aber in drei Stunden geschafft - eine Rekordzeit, meinst Du nicht?«

»Hast du schon zu Mittag gegessen, oder bist du hungrig?« erkundigte sich Kezia ein bißchen ängstlich.

Sie wußte, daß kaum Lebensmittel im Haus waren, und Humbers Frau Betsy, die für das Kochen zuständig war, sich ausruhte.

»Nein, ich habe etwas gegessen«, erwiderte Perry. »Die Pause habe ich von der Fahrtzeit abgezogen. Um bei der Wahrheit zu bleiben, es waren genau drei Stunden, sechzehn Minuten und ein paar Sekunden.«

Kezia lachte.

»Kein Wunder, daß du stolz auf dich bist.«

»Es gibt noch einen anderen Grund, stolz zu sein.«

Kezia sah ihn forschend an. Sie war neugierig, wie er das meinte, zugleich aber auch ein wenig besorgt.

Die letzte Zeit war ziemlich schwierig gewesen. Es ging ihnen finanziell so schlecht, daß sie ständig fürchtete, ihr Bruder, den sie zärtlich liebte, würde einmal nicht aus Liebe heiraten, sondern finanzielle Gründe entscheiden lassen.

Er war zwar ein verarmter Baronet, sah aber so gut aus, daß er in dieser Beziehung keine Schwierigkeiten haben würde. Perry wurde überall eingeladen. Er besaß Charme, verfügte über gute Manieren und trug durch sein fröhliches Wesen zum Gelingen jeder Gesellschaft bei, an der er teilnahm.

Frauen fühlten sich ohnehin von ihm angezogen. Doch da er außerdem ein hervorragender Reiter war, erfreute er sich auch bei den Männern großer Beliebtheit.

Nur Kezia wußte, wie demütigend er es empfand, daß alle seine Freunde reicher waren als er. Die Gastfreundschaft, die ihm in vollem Maße zuteilwurde, vermochte er nicht zu erwidern.

In der Vergangenheit waren einige seiner Freunde zu Besuch gekommen. Doch da er ihnen weder die Gesellschaft schöner Frauen bieten konnte, noch edle Pferde zum Reiten, wie das Gastgebern mit gut besetzten Ställen möglich war, waren sie schließlich ferngeblieben.

Kezia lebte daher Woche für Woche, Monat für Monat allein in dem architektonisch schönen, aber schon ziemlich baufälligen schwarz-weißen Haus, das sich seit Generationen im Besitze der Familie Falcon befand.

Es gehörte den Falcons, seit sie von Cornwall, woher sie ursprünglich stammten, nach Surrey übergesiedelt waren, um näher bei London zu wohnen. Das Leben in Surrey war ihnen angenehmer und amüsanter erschienen als ein Leben »am Ende der Welt«, wie Kezias Vater es ausgedrückt hatte. Sie selbst hatte sich, nicht nur ihres komischen Namens wegen, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Cornwall bewahrt.

Kezia sah sehr hübsch aus, obwohl sie ein selbstgenähtes Kleid trug. Es hatte weitgehend die Farbe verloren, und da es schon ein paar Jahre alt war, spannte es ein wenig.

Doch diese Äußerlichkeiten schmälerten nicht die Reize der jungen Frau. Die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster der Bibliothek drangen, malten rötliche Lichter auf ihre goldblonden Locken. Und in ihren grünen Augen schien der Sonnenschein blitzende Reflexe auszulösen.

Kezia wartete gespannt, daß ihr Bruder ihr nun den Grund für sein vorzeitiges Kommen nennen würde. Perry aber trank erst ein halbes Glas Cidre aus, ehe er ihre Neugier stillte.

»Ich glaube, ich habe das Collier verkauft«, sagte er schließlich.

Kezia stieß einen kleinen Schrei aus.

»Tatsächlich? Und wirst du den Preis halten können, den du dafür verlangst?«

»Ich bin mir eigentlich sicher, daß der Marquis den Schmuck, wenn er ihn sieht, nicht nur kauft, sondern auch die Summe bezahlt, die ich haben will.«

»Der Marquis?« wiederholte Kezia.

Perry trank noch einen Schluck, ehe er antwortete.

»Der Marquis de Bayeux.«

»Ein Franzose«, murmelte Kezia.

»Normanne«, verbesserte er.

»Wie ist es dir gelungen, ihn für das Halsband zu interessieren? Woher kennst du ihn?«

»Ich habe ihn vergangenes Jahr zum ersten Mal getroffen, als er bei Tattersall Pferde kaufte«, erklärte Perry. »Inzwischen sind wir uns von Zeit zu Zeit beim Rennen begegnet. Er kommt ziemlich häufig nach England. Vor zwei Tagen brachte ihn einer meiner Freunde, Harry Perceval... du erinnerst dich doch an Harry?«

»Ja, natürlich.«

»Nun, Harry brachte ihn zum White’s Club mit. Als er hereinkam, hörte ich hinter mir jemanden sagen: ,Da ist de Bayeux. Ich habe ihn heute Nachmittag in der Bond Street getroffen, wo er für eine schöne Frau Brillanten kaufte.‘«

Perry machte eine Pause in der Erinnerung an die Worte.

»In diesem Augenblick kam mir der Gedanke, er könnte der Mann sein, den wir schon so lange suchen.«

Kezia klatschte in die Hände.

»Oh Perry, hoffentlich hast du recht. Wir brauchen das Geld so dringend. Wie gut, daß wir nicht so töricht waren, die kleine Summe zu akzeptieren, die uns die Juweliere bisher angeboten haben.«

»Wenn der Verkauf in Ordnung geht, war es wert, auf den richtigen Mann zu warten, auch wenn es manchmal noch so schwerfiel«, sagte Perry.

Er schaute sich langsam um. Wie schäbig doch der Raum war! Er wandte sich an seine Schwester: »Du hast am meisten gelitten, und ich schwöre dir, daß ich das alles gutmachen werde. Du wirst nach London kommen und hübsche Kleider haben. Und dann werden wir einen unserer Verwandten dazu bewegen, dich im Buckingham Palast vorzustellen.«

»Das klingt wunderbar, wenn mir auch ein gutes Pferd lieber wäre als Ballkleider.«

»Du sollst beides haben«, versprach ihr Bruder. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Da der Marquis in zwei Tagen kommen wird, mußt du jetzt aber leider von hier verschwinden.«

Kezia schaute ihn erstaunt an.

»Wie meinst du das, daß ich verschwinden soll?«

»Wie ich es gesagt habe.«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Monsieur le Marquis ist nicht nur ein sehr vermögender Mann als Großgrundbesitzer in der Normandie mit einem Chateau und einem Haus in Paris, das nicht den besten Ruf besitzt. Er ist auch das, was man berühmt-berüchtigt nennt.«

»Inwiefern ist er berüchtigt?« fragte Kezia erstaunt.

»Nun, man sagt von ihm, er sei ein großer Frauenheld, ein Don Juan, vor dem keine Frau sicher ist. Er soll mehr Herzen gebrochen haben als Casanova!«

»Deshalb willst du verhindern, daß er mich zu Gesicht bekommt?«

»Genau. Du bist sehr jung, noch unschuldig und außerdem viel zu hübsch.«

Kezia lachte.

»Das ist schon absurd. Wenn der Marquis, wie du behauptest, in Frankreich so viel Erfolg bei schönen Frauen hat, wird er mich gar nicht zur Kenntnis nehmen.«

»Mag sein, trotzdem ist er gefährlich.«

»Wenn ich das weiß, kann ich ja vorsichtig sein«, hielt ihm Kezia entgegen.

»Es geht nicht nur um das Verhalten des Marquis«, sagte Perry. »Harry hat mir von seiner unwiderstehlichen Anziehungskraft auf Frauen erzählt. Sie scheinen sich ihm förmlich an den Hals zu werfen. Angeblich genügt ein Blick von ihm, und sie führen sich auf wie Mondsüchtige.«

»Davon glaube ich kein Wort. Falls mich der Marquis anblicken sollte, was ziemlich unwahrscheinlich ist, würde er dadurch nicht gewinnen. Er gehört offenbar zu den Männern, die mich einschüchtern. Ich wäre so beschäftigt, vor ihm wegzulaufen, daß ich gar nicht auf den dummen Gedanken käme, mich in ihn zu verlieben.«

»Da bin ich mir keineswegs so sicher«, sagte Perry. »Du wirst also verstehen, daß ich dich während der zwei Tage seines Aufenthaltes nicht hier haben will.«

»Und wer soll für ihn sorgen?«

»Es geht nicht nur um ihn.«

»Bringt er noch jemanden mit?«

»Das tut er. Ich finde es zwar unverschämt und beinahe beleidigend, aber ich kann mich nicht weigern, seine Begleitung aufzunehmen.«

»Wie meinst du das?«

»Der Marquis hat mir im White’s Club die Nachricht hinterlassen, er würde Donnerstag in Begleitung einer Madame de Salres kommen.«

»Und wer ist das?«

»Sie ist seine derzeitige . . .«

Perry verstummte, als ihm klar wurde, daß er beinahe etwas sehr Indiskretes gesagt hätte. Nach kurzer Überlegung fuhr er fort: »Wie ich gehört habe, ist sie eine sehr enge Freundin.«

»Du meinst, daß er sie liebt? Nun, dann ist ja alles in Ordnung. Er wird mich gar nicht bemerken. Wenn der Marquis an seiner Freundin so interessiert ist, daß er sie auf Reisen mitnimmt, muß ihm schon sehr viel an ihr liegen.«

»Das mag wahr sein«, stimmte Perry zögernd zu. »Trotzdem hat er kein Recht, sie ins Haus zu bringen, während du anwesend bist.«

»Du hast doch gerade gesagt, ich würde nicht da sein«, erinnerte ihn Kezia. »Vermutlich hast du ihm gar nicht mitgeteilt, daß deine Schwester in deinem Haus lebt und als Gastgeberin auftritt.«

Perry stellte das leere Glas auf den Tisch.

»Es hat keinen Sinn, darüber zu diskutieren«, sagte er in festem Ton. »Du mußt das Haus verlassen. Vielleicht kannst du so lange bei Nachbarn wohnen oder auch im Dorf beim Vikar.«

»Der Vikar würde es bestimmt sehr merkwürdig finden, wenn ich ihn bäte, bei ihm bleiben zu dürfen, weil du einen Hausgast hast, mit dem du nicht einverstanden bist.«

Perry runzelte die Stirn.

»Es muß doch einen Ort geben, wo du hingehen kannst.«

»Und was, glaubst du, wird geschehen, wenn ich wirklich gehe?« fragte Kezia. »Du weißt, was für Dienstboten wir im Haus haben - den alten Humber, dessen Rheumatismus so schlimm ist, daß er sich kaum ins Speisezimmer schleppen kann. Außerdem Betsy; sie ist zwar eine gute Köchin, doch ihre Fähigkeiten genügen keinesfalls für die Zubereitung komplizierter Speisen. Sie bringt ganz bestimmt kein Gericht zustande, das einem Franzosen genießbar erscheint und unserem Besuch angemessen ist.«

Auf Perrys Stirn bildeten sich, während er seiner Schwester zuhörte, ein paar steile Falten. »Mrs. Jones aus dem Dorf kommt zwar täglich für zwei Stunden, schafft es aber nicht einmal, die Betten ohne meine Hilfe zu machen. Sie vergißt alles, was sie tun soll, wenn ich sie nicht permanent daran erinnere.«

Als Kezia eine Pause machte, meinte Perry irritiert: »Dann muß du eben versuchen, im Dorf jemand anderen zu finden.«

»Und die betreffende Frau in zwei Tagen einarbeiten? Wie stellst du dir das vor? Das ist unmöglich!«

»Nichts ist unmöglich«, rief Perry ärgerlich. »Wenn wir den Marquis als Käufer verlieren, finden wir vielleicht nie mehr einen Interessenten für dieses wertvolle, teure Collier.«

Kezia hatte plötzlich eine Idee.

»Warum kann er es sich eigentlich nicht in London anschauen?«

»Weil ich ihm erzählt habe, daß es seit der Revolution 1789 in unserem Besitz ist. Ich erwähnte zufällig, daß Großvater es für unsere Großmutter kaufte, als sie von Reynolds gemalt wurde. ,Das Bild muß ich sehen!‘ rief er da. ,Ich habe einige Reynolds in meiner Sammlung und halte ihn für den besten englischen Maler, den es je gegeben hat. Vor allem seine Frauenportraits sind unübertroffen.‘ Als ich ihm zustimmte, bat er mich, herkommen zu dürfen.«

»Ich verstehe. Das Bild ist ja auch ein bißchen zu groß, um es nach London mitzunehmen.«

»Mir blieb gar nichts anderes übrig, als ihn einzuladen. Natürlich hatte ich keine Ahnung, daß er eine verwöhnte Französin mitbringen würde.«

Kezia warf ihrem Bruder einen Blick zu.

»Wenn sie wirklich so verwöhnt ist und sich hier nicht wohlfühlt, wird sie ihn vielleicht überreden, früher als beabsichtigt abzufahren, ohne den Halsschmuck zu kaufen.«

Perry sah ein, daß seine Schwester recht hatte. Er ging zum Fenster und schaute in den Garten hinaus, der ziemlich verwildert war. Es hatte sich schon lange niemand mehr darum gekümmert.

»Ich habe während der ganzen Fahrt hierher Pläne gemacht«, sagte er. »Sie betrafen Verbesserungen, die wir am Haus anbringen müssen. Zunächst sollten das Dach neu gedeckt und die Glasscheiben in den Fenstern ersetzt werden.«

»Wir brauchen in der Küche unbedingt einen neuen Herd«, warf Kezia ein. »Es ist ein Wunder, daß der alte so lange gehalten hat. Und wenn mit der Pumpe nicht bald etwas geschieht, haben wir demnächst kein Wasser mehr; es sei denn, wir holen es uns aus dem See.«

»Ich weiß, ich weiß«, stöhnte Perry. »Deshalb müssen wir uns ja bemühen, den Marquis zufriedenzustellen und das nicht nur in Bezug auf den Schmuck. Wir müssen ihm seinen Aufenthalt im Haus so angenehm wie möglich machen. Dazu gehört natürlich das ganze Drum und Dran, also beispielsweise, daß er etwas Gutes zu essen vorgesetzt bekommt.«

»Genau! Und aus diesen Gründen brauchst du mich«, sagte Kezia entschieden.

Perry legte die Hand an seine Stirn. Nur widerwillig gab er sein gutes Vorhaben, Kezia wegzuschicken, auf.

»Ich verspreche Dir und mir aber, so gut wie möglich sicherzustellen, daß du dich nicht zur Närrin machst! Nicht eines Mannes wegen, der nach Frankreich zurückgeht und vergißt, daß es dich überhaupt gibt.«

Kezia hob beide Hände.

»Wie kann ich dir nur begreiflich machen, daß ich mich bestimmt nicht in ihn verlieben werde? Ich wünsche nur, daß er sich hier wohlfühlt, guter Laune ist und den verlangten Preis bezahlt. Das ist alles.«

Perry durchquerte mit großen Schritten den Raum und blieb vor dem Kamin stehen. Er schaute seine Schwester an, als ob er sie noch nie gesehen hätte.

»In einem eleganten Kleid mit modischer Frisur würdest du in London sicher Aufsehen erregen«, stellte er unvermittelt fest.

»Vielen Dank, mein Lieber, es ist nett von dir, das zu sagen. Leider weißt du so gut wie ich, daß ich nie nach London komme, wenn wir nicht das Collier verkaufen; und die einzigen Lebewesen, die mich hier vielleicht sensationell finden, sind Humber, Betsy, Kaninchen und Krähen.«

Perry lachte.

»Das ist wahr. Nur warum habe ich so ein unbehagliches Gefühl, wenn ich dich bleiben lasse? Auch wenn das im Augenblick das Vernünftigste zu sein scheint. Hoffentlich bereuen wir es nicht!«

Seine Stimme klang so besorgt, daß Kezia vom Sofa aufstand, zu ihm trat und ihn auf die Wange küßte.

»Du bist ein wunderbarer Bruder und warst immer sehr, sehr gut zu mir. Ich finde, du solltest mir vertrauen.«

»Dir vertraue ich ja«, erwiderte Perry. »Es ist der verdammte Franzose, dem ich nicht über den Weg traue.«

Perry merkte am Schweigen seiner Schwester, daß sie schockiert war über seine Ausdrucksweise.

»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Bei Gott, ich wünschte, Mama wäre hier. Sie wüßte, wie man mit dieser Situation fertig würde.«

»Und ob sie das wüßte«, sagte Kezia weich. Einen Moment lang blickte sie versonnen in den Raum, dann rief sie: »Ich habe eine Idee.«

Perry ging erneut zum Fenster, wo er sich zu ihr umdrehte und sie fragend anschaute.

»Was ist das für eine Idee?«

»Deine Bemerkung über Mama hat mich darauf gebracht. Wenn sie und Papa Gastgeber des Marquis und seiner Freundin wären, gäbe es doch keine Schwierigkeiten, oder?«

»Natürlich nicht, wenn ich auch annehme, daß Mama sehr schockiert gewesen wäre, wenn die beiden ohne Anstandsdame ankommen.«

Er selbst fand es ziemlich beleidigend, daß der Franzose seine Geliebte in ein respektables Haus zu bringen gedachte. Doch das wollte er Kezia nicht sagen.

»Nun, meine Idee ist folgende: Ich werde mich als deine Ehefrau ausgeben.«

Ihr Bruder starrte sie fassungslos an.

»Du fürchtest, der Marquis könnte Annäherungsversuche machen, weil ich eine alleinstehende Frau bin. Gegenüber der Herrin eines respektablen Haushaltes wird er solches wohl nicht wagen.«

Perry nahm nicht an, daß die Tatsache, eine verheiratete Frau vor sich zu haben, den Marquis so beeindrucken könnte, wie Kezia es sich vorstellte.

Madame de Salres hatte zweifellos ebenfalls einen Ehemann, der in Paris zurückgeblieben war.

Gleichzeitig jedoch sah er ein, daß es die Dinge zumindest vereinfachen würde, wenn Kezia als seine Ehefrau auftrat. Er könnte erzählen, daß sie noch nicht lange verheiratet waren.

Kezia wartete schweigend, während Perry sich ihren Vorschlag sehr genau überlegte.

»Das wäre eine Möglichkeit«, antwortete er schließlich zögernd.

»Es ist eine vernünftige Lösung unseres Problems«, verbesserte Kezia. »Auf diese Weise kann ich hierbleiben und mich um alles kümmern. Ich kann die Dienstboten beaufsichtigen, damit sie ihre Pflichten erfüllen, und dazu einen Großteil des Kochens übernehmen. Glaube mir, ich bin mit diesen Dingen dann viel zu beschäftigt, um mit dem Marquis zu flirten, mag er auch noch so attraktiv sein.«

»Auf jeden Fall wirst Du bei mir mit einem äußerst eifersüchtigen Ehemann rechnen müssen!«

»Das ist gut. Ein so dickes Fell kann der Marquis doch nicht haben, um in deiner Gegenwart mit mir zu flirten.«

Da Perry sich dazu nicht äußerte, fuhr Kezia fort: »Nachdem eine Madame de Salres ihn begleitet, dürfte er nur Augen für sie haben, und mich wird er gar nicht bemerken.«

Perry wunderte sich, daß er daran nicht selbst gedacht hatte. Andererseits wurde ihm durch all die Erwägungen auch klar, daß seine Schwester noch schöner war als bei seinem letzten Besuch zu Hause.

Die Falcon-Frauen waren schon immer für ihre Schönheit berühmt. Die Portraits an den Wänden waren der beste Beweis dafür. Als sich Perry daran erinnerte, stieß er einen Laut des Unwillens aus.

»Dein Plan ist undurchführbar«, sagte er.

»Warum?«

»Deiner Ähnlichkeit mit dem Bild wegen, das im Wohnzimmer hängt. Papa pflegte zu sagen, du würdest der Frau des vierten Baronet gleichen, die von allen Offizieren, die unter Marlborough gekämpft haben, als außergewöhnliche Schönheit gepriesen und verehrt wurde.«

Kezia dachte einen Augenblick nach.

»Dann bin ich eben eine entfernte Cousine von dir und ebenfalls eine Falcon. Wir haben uns ineinander verliebt, weil wir uns schon seit unseren Kindertagen kennen.«

»Das könnte als Erklärung dienen«, meinte Perry, wenn auch mit leisem Zweifel in der Stimme.

»Es ist eine sehr vernünftige Erklärung, wenn du mich fragst«, sagte Kezia. »Falls sich der Marquis für unser Haus interessiert, kann ich ihm alles erzählen, was ich über die Falcons weiß. Das ist nur dann verständlich, wenn wir behaupten, daß ich selbst eine Falcon und mit der Familiengeschichte aufgewachsen bin sowie Kenntnis von allen Gespenstern und natürlich dem üblen Baronet habe, der für unsere gegenwärtige Lage verantwortlich ist.«

Da Perry sich dazu nicht äußerte, fügte sie nach einer Pause hinzu: »Du weißt, wie froh ich wäre, wenn wir die Halskette verkaufen könnten. Ich habe immer geglaubt, sie würde Unglück bringen.«

»Sie wird uns Glück bringen, wenn der Marquis den Preis bezahlt, den ich dafür verlange.«

Kezia hörte ihm nicht zu. Sie dachte daran, daß das Brillantcollier, das ihr Großvater seiner Frau geschenkt hatte, am größten Skandal des achtzehnten Jahrhunderts schuld gewesen war: an der sogenannten Halsbandaffäre. Im Jahr 178 hatte die Comtesse de la Motte, eine Abenteurerin, das kostbarste und phantasiereichste Halsband entdeckt, das je in Paris angefertigt worden war.

Mit Raffinesse brachte sie den Cardinal de Rohan dazu, den Juwelier davon zu überzeugen, daß der Schmuck ein angemessenes Geschenk für Königin Marie-Antoinette wäre.

Inzwischen aber hatte die Comtesse das Collier gestohlen, der darauffolgende Prozeß hatte in ganz Frankreich Aufsehen erregt.

Sie wurde verhaftet, konnte aber aus dem Gefängnis entkommen und flüchtete unter Mitnahme von einundzwanzig Brillanten, die sie aus dem Geschmeide entfernt hatte, nach London.

Dabei handelte es sich nur um einen kleinen Teil der Steine, aus denen das auffallende und riesige Schmuckstück bestanden hatte, das noch dazu das teuerste seiner Zeit war.

Die restlichen Brillanten waren neu gefaßt und zu einem herrlichen Collier verarbeitet worden. Dieses Collier eben hatte Lady Falcon, Perrys und Kezias Großmutter, von ihrem Ehemann als Geschenk erhalten.

Viele Historiker behaupteten, der Skandal um das ursprüngliche Collier sei Ursache für den Ausbruch der französischen Revolution gewesen.

Aus diesem Grund war Kezia zu dem Schluß gelangt, daß die Brillanten mit einer besonderen, negativen Magie belegt waren.

Das Collier wurde zur Zeit an einem geheimen Ort aufbewahrt, um es vor Diebstahl zu schützen, und Kezia hatte auch nie das Bedürfnis, es sich anzulegen.

Sie erinnerte sich nicht gern daran, daß ihre Mutter es drei Monate vor ihrem Tod auf einem Jagd Ball getragen hatte.

Wegen seines hohen Wertes ließ sich das Collier natürlich nur schwer verkaufen. Perry hatte es schätzen lassen und beschlossen, entweder den entsprechenden Preis dafür zu bekommen oder es dort zu lassen, wo es war.

»Es ist der einzige Gegenstand aus unserem Besitz, der zu verkaufen sich lohnt«, hatte er zu seiner Schwester gesagt, »unsere einzige Hoffnung, dieses Haus wieder in einen guten Zustand zu bringen und unser Leben nach unserem Geschmack zu gestalten.«

Kezia stimmte zu. Es brach ihr das Herz, zuschauen zu müssen, wie das Haus von Monat zu Monat mehr verfiel. Außerdem hätte sie sich sehr gewünscht, daß sie finanziell in der Lage gewesen wäre, wenigstens einige jüngere und aktivere Dienstboten zu beschäftigen.

Sie liebte ihr Heim genau wie die alten Leute im Dorf, für die sie und Perry eigentlich verantwortlich waren, und für die sie so wenig tun konnten.