Das Prager Trauma - Jonas Hannibal Schönberger - E-Book

Das Prager Trauma E-Book

Jonas Hannibal Schönberger

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Beschreibung

Doktor Silas Wilford Staufenberg ist ein erfolgreicher und renommierter Psychiater, einer der besten seines Faches. Und sich selbst der beste Patient. Geplagt von schrecklichen Tagträumen und Halluzinationen versucht er, seine zur Frau heranreifende Tochter vor sich in Sicherheit zu bringen, er fürchtet die Kontrolle über sich zu verlieren, und bittet einen alten Freund und Kollegen um Rat. Als ein Patient Staufenberg den Abschiedsbrief einer erhängten Frau vorlegt, wird eine folgenschwere Verkettung von Ereignissen losgetreten, die das Leben aller Protagonisten schlagartig verändert. Schönbergers Debut neu aufgelegt: Erschütternd, kühl, psychologisch. Die neu überarbeitete Fassung dehnt den Handlungsstrang weiter aus, beleuchtet weitere Hintergründe und bekommt einen neuen Schluss, der noch einmal alles verändert.

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Seitenzahl: 161

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Herrn Raphael Scheuringer

Meiner Großmutter

So wirst du schon im Versuche scheitern, mich zu

rufen. Es ist seltsam, dass du es nicht sehen konntest,

denn ich bete, dass du fällst.

es floss Champagner, ich schenkte dir Juwelen. Ich

hielt das höchste Blatt der Runde,

Zigaretten – doch Asche zu Asche und Staub zu

Staub. Du wirst mich niemals wachsen sehen,

dein eherner Griff wird mich eher zerbersten.

Meine Liebe, sieh mich im Regen tanzen,

dem ewiglich Schwarz verschrieben,

doch der Vogel breitet seine Schwingen.

Meine Liebe, sieh mich im Regen tanzen,

es regnet Blut.

Wenn die Weile dich nicht umbringt,

so tut es deine Hand.

Sieh‘, wie er mit dem Leben ringt,

Doch was einstürzt, ist nur die nächste Wand.

Meine Liebe, das Ende, zwar für mich

Doch ich verdammte dich des Vogels Flug

beizuwohnen, aber bevor der Wind nicht nachlässt,

kannst du nicht sterben und der Vogel nicht fallen.

Du kommst zu spät,

jetzt lass‘ ich nicht mehr ab,

deines Fleisches unter meiner Hand,

auf dass du ewig wandelst, des Nachts in Prag.

Das Prager Trauma

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

Prolog

Kapitel I: Espresso-Polit

Kapitel II: Empfehlung einer Frau

Kapitel III: Das Halada-Jubilar

Kapitel IV: Montmartre

Kapitel V: Tisíc dèti

Kapitel VI: Fenstersturz

Kapitel VII: Bekanntschaften

Kapitel VIII: Völser Hof

Kapitel IX: Pink floyd

Kapitel X: Gaetano

Kapitel XI: Glasflügel

Kapitel XII: Brand

Kapitel XIII: Gravidität und Trauma

Kapitel XIV: Unwohlsein

Kapitel XV: Asche und Aas

Kapitel XVI: Všichni jsou v nebezpečí

Kapitel XVII: Heilige

Kapitel XVIII: Moldau

Kapitel XIX: Väter

Kapitel XX: Vase

Epilog

Danksagung

Zu guter Letzt…

Leseprobe

Prolog

Kapitel 1

GELEITWORT

Wird von einem Trauma gesprochen, so ist oft der medizinische Terminus für eine Verhaltens- oder Belastungsstörung nach einem Schock gemeint. Ich beabsichtige den Begriff etwas auszuweiten.

Die Interaktion einer isolierten Gruppe mit den darin vertretenen Parteien nimmt aktiv daran teil, sich selbst zu beeinflussen und sich zu verändern, zu adaptieren und zu radikalisieren. Das Prager Trauma beinhaltet zwar ein klassisches Schocktrauma, wie es der Titel vermuten lässt, doch gemeint ist insbesondere die Auswirkung einer, oder mehrerer traumatischer Erfahrungen einer Person auf deren Umwelt. So betrübt das Trauma eines einzigen Menschen auch die Seelen und Gemüter aller, die ihm besonders nahestehen. Gemeint ist also eine, aus der Interaktion mehrerer Parteien resultierende, Traumatisierung.

Ferner, verlässt man den schlichten Sinn von Trauma als solchen, so findet sich darin das Wort Traum. Ein erweiterter Sinneszustand im Schlaf, den die Träumenden morgens verlassen können, doch in welchem die Traumatisierten oftmals bis zu ihrem Lebensende gefangen bleiben. Ein paralytischer und grausamer Zustand.

Es ist das Ferne, Unbekannte, dass die Gedanken oft am heftigsten antreibt und der verarbeitende Geist häufig fürchtet. Was bleibt, ist der voyeuristische Drang, das Trauma eines anderen zu entdecken, im Wissen, möglicherweise schreckliche Dinge zu sehen, doch ebenso im Wissen, auch positives und bereicherndes zu erleben. Dies ist auch der Grund, weshalb Sie den Figuren dieses Buches emotional nie besonders nahekommen werden – Sie sind ein distanzierter Beobachter, der Gutachter eines psychologischen Profils, dessen Sie nur Bruchstücke kennen.

Die Psyche des Menschen sei unantastbar, da sie in ihren Grundfesten zunächst nicht zu erschüttern ist. Ist diese These Unfug? In jedem Fall ist sie eine düstere. Ich betrachte es folgendermaßen: Es lassen sich situative Kräfte manipulieren, die den Menschen lenken und ihn schließlich in seinem neuen Kontext verändert scheinen lassen. Ebenso nehmen Umstände Einfluss, die der Mensch nicht kontrollieren kann. Weder der Einzelne noch die Masse, wie beispielsweise das Wetter. Jedoch adaptiert das Individuum nur, und tut dies auf der Basis seiner Psyche, die im eigentlichen noch immer die gleiche ist. In einem Kernsatz:

Ist ein Mensch von Grund auf Gut, so bleibt er es. Ist ein Mensch von Grund auf Schlecht, so bleibt er es. Was sich verändert ist nur der Umstand, die Perspektive und das Licht, das auf ihn fällt.

Es bleibt daher eine Streitfrage beinahe philosophischer Natur, ob man dieser These Glauben schenken darf oder sollte, inwieweit sie ihre Richtigkeit empirisch beweist, beziehungsweise in Fallbeispielen tatsächlich so auftritt. Die Bürde des Traumatisierten bleibt schlussendlich die gleiche – eine schwere – von der sich der Mensch unterschiedlich gut, oder gar niemals erholt.

PROLOG

Meeresbrise. Das Salz liegt in der Luft. Zart, aber doch bestimmt huschen kleine Windböen über den sandigen Untergrund, weg vom Wasser, hin zu sicherem Festland, um sich den Schwung an Palmen und Dünen zu nehmen. Das salzige Nass bricht sich am sanft steigenden Strand, versiegt zum Teil und zieht sich zu anderen Teilen zurück zum Muttermund des Meeres. Am Horizont vermag sich das Blau des Himmels kaum von dem des Wassers zu unterscheiden, nur die Sonne, die bereits niedriger steht, kräftigt den Kontrast und spiegelt sich golden auf der glatten Oberfläche. Der Sand verliert sich am Ufer prächtig wuchernder Natur, grüne, saftige Palmenblätter beugen unter ihrer Last die fetten Baumstämme fast bis auf den Grund. In einer langen, geschwungenen Narbe markieren sie den Beginn eines dahinter liegenden Laubwaldes, der in voller Blüte steht. Fern und leise gibt ein Motorboot einen kontinuierlich brummenden Tenor von sich und in der Nähe vermischt sich das Geräusch der sich brechenden Wellen mit Kinderstimmen.

Er lässt den feinkörnigen Sand durch seine Zehen und Finger rieseln und genießt die angenehme Wärme. Der tropische Duft reifer Mangos, Papaya und Ananas steht ihm in der Nase und paart sich mit dem herben Konter der Meeresluft. Sein schlaffer Körper liegt auf einem blauen Frottee-Handtuch, dass vom salzigen Wasser schon ausgeblichene Flecken zeigt. Wenngleich er seine Augen geschlossen hält, sieht er alles genau vor sich; das blaue Meer, den weißen Strand, die grünen Palmen.

Plötzlich wird er einer Gestalt gewahr, die einen Schatten auf seine Lider wirft, ihr Stand kreuzt sich genau mit dem Licht der Sonne. Als er seine Augen öffnet, spürt er im Gegenlicht zumindest weibliche Umrisse, das Antlitz jedoch bleibt geblendet verborgen. Es durchzieht ihn ein Gefühl von Geborgenheit, wie er es als Kind aus den Armen seiner Mutter kannte.

Sofort verebbt es und wird von animalisch gellender Erregung verdrängt, die nun schneller und treibender in ihm aufsteigt. Im Moment, da er sich erheben will, dreht die Frau ihm den Rücken zu und geht davon. Die unbefriedigte Lust treibt ihn hinterher. Der andere Blickwinkel lässt rötliches Haar erkennen, die Haut leuchtet blass und blendet verführerisch.

Zwar spürt er, dass er sich fortbewegt, doch ist es nicht er selbst, der seinen Füßen den Befehl zum Laufen gibt; es ist die Lust, die ihn voll Dominanz der Gestalt nachtreibt, die nun an Schnelligkeit zunimmt.

Er ist sich sicher, er sei zu einem Wettrennen gefordert, und würde belohnt, wenn er das Mädchen einhole – als ihm der Atem stockt und er merkt, dass sich der heiße Sand unter seinen Füßen verliert. Es wird blitzartig so hell, dass er sich die Augen bedecken muss, doch ebenso schnell wird es um ihn stockfinster und er hört einen infernalischen Schrei, dass es ihn erschauern lässt.

Der Boden begann zu beben, und rhythmisch schossen Gebäude wie Pilze aus ihm hervor. Es war Nacht, er stand auf einer spärlich beleuchteten Straße, deren Ränder von hohen Fassaden gesäumt waren. Seine nun einsetzende Furcht hatte ihm jegliche Lust genommen. Er sah sich um und erkannte barocke Altbauten, die ihm nur allzu bekannt vorkamen. Langsam schritt er die Straße entlang, in den, aus der Kanalisation aufsteigenden, Dunst gehüllt. Wenngleich er sich sicher war, schon einmal an diesem Ort gewesen zu sein – er konnte sich des Wann und Wo nicht entsinnen.

Noch grübelnd, wo er sich befand, ging er um eine Ecke und sah am Ende einer schmalen Gasse, welche er im Begriff war zu betreten, eine rote Tür. Es dauerte kaum noch einen Schritt und das Gefühl seiner Ängstlichkeit wich sofort ebendieser Lust, die ihn am Strand der Frau hinterher gehen ließ. Wenige Augenblicke später hatte er ein gutes Stück Weg zwischen sich und der Einmündung in die Gasse gebracht und stand vor der Tür. Anstelle einer Hausnummer oder eines Namens fand er einen aus der Wand ragenden Stahlpflock, auf dem ein großer Falke saß. Dieser sah ihn mit seinen wachen, dunklen Augen an. Als er die Hand dem Türgriff entgegenstreckte, reckte der Vogel das Gefieder, ließ den Blick jedoch die ganze Zeit auf ihm ruhen. Das veranlasste ihn zu zögern, doch dann griff er schnell nach dem Knauf und fand sich eintretend.

Vor ihm etablierte sich ein Labyrinth aus tausenden Spiegeln. Es war hell. Er wusste nicht wo sich eine Lichtquelle befand, er konnte zwar sehen, doch blitzte das sich spiegelnde Licht ihm immer wieder schmerzhaft in die Augen. Aber im fiebrigen Gedanken an sein Ziel zeigte er sich unbeeindruckt des Schauspiels aus Licht, Reflektion und seines vervielfachten Schattens. Er folgte einem Pfad, doch schlug sich kurz darauf den Kopf irgendwo an und fiel zu Boden.

Den Schmerz verdrängte er schnell, doch als er sich wieder aufgerichtet hatte, blickte ihn ein riesiges weißes Kaninchen an, mit blutroten Augen, steifen Ohren, die gen Himmel zeigten, und zitternden, silbrigen Fühlhaaren. Einen Moment lang hielten beide inne und nach Sekunden der Stille setzten sie gleichzeitig ihren Weg fort. Plötzlich vernahm er eine Stimme, die ganz in der Nähe sein musste, und so wunderbar war, dass sie nur zu dem Mädchen gehören konnte.

Schneller.

Kurz, so denkt er, hätte er am Ende des Spiegelpfads den roten Schopf noch erblicken können, bevor er verschwand. Das Versteckspiel kostete ihn Kraft, doch je weniger seine Lungen hergaben, desto größer wurde sein Verlangen und die einvernehmliche Geilheit.

Er steht nun am Ende des Spiegelpfades, wo er die Gestalt zuletzt sah und als er seinen Blick suchend schweifen lässt, entdeckt er ein weißes Tuch zu seinen Füßen. Schon als er sich danach bückt riecht er den betörenden Duft von Jasmin und Patchouli, in deren Essenzen der Stoff getränkt ist. Neben ihm steht ein Laternenpfahl, der die Szene in ein bedrohlich kaltes, blaues Licht taucht. Nebelschwaden steigen auf, dicht und in furchteinflößender Absicht, ihn zu verschlingen.

Er will das Tuch fest an sich klammern, doch erfühlen seine Hände in diesem Moment das samtige Fell einer kleinen Maus, die in seinem festen Griff zu ersticken droht. Sie sieht in mit angsterfüllten Augen an und er spürt das kleine Herz, welches immer schneller schlägt.

Vom Schreck gepackt wirft er das kleine Tier von sich und es knallt mit einem unsanften Geräusch auf den Asphalt.

Er fährt herum, denn aus dem dichten Nebel hört man unversehens das näherkommende, räuberische Kreischen eines Vogels, der nur einen Augenblick später zu erspähen ist.

Dem schnellen Anflug des Falken ausweichend sieht er, wie das Tier geschickt und blitzschnell mit seinen scharfen Krallen nach der Maus greift und einen ohrenzerberstenden Schrei ausstoßend, davonfliegt.

I ESPRESSO-POLIT

»Herzlich Willkommen in Prag, hatten Sie einen angenehmen Flug?«

Eine adrett gekleidete Dame der Lufthansa streckte ihm ihre Hand mit freundlichem Blick zum Gruß entgegen.

»Danke sehr, viel habe ich nicht mitbekommen«, und schüttelte ihr die Hand, »ich habe geschlafen«.

Sie gingen durch den Empfangssalon für Passagiere der First-Class, von draußen prasselte ein Regenschauer energisch im angehenden Dunkel der Nacht an die gläserne Fassade.

»Möchten Sie noch etwas essen, Doktor?«, und dabei warf die Dame einem ihrer Mitarbeiter, der hinter einem Schalter saß, einen anweisenden Blick zu. Dieser erhob sich und verschwand in einem Separee.

»Oh vielen Dank, aber meine Tochter wartet da-«, er brach ab, zuckte kurz überlegend die Schultern und sagte: »Ach, wieso eigentlich nicht«.

»Wunderbar!«, entgegnete die Dame mit heller Stimme. »Folgen Sie mir«.

Sie verließen den Empfangssaal, und er folgte ihrem trippelnden Gang durch das Flughafengebäude zur VIP-Lounge im Erdgeschoss. Man konnte nicht in den Salon hineinsehen, die Scheiben der Schiebetüren waren von milchiger Trübheit, und aufgrund einiger Schatten war nur zu vermuten, dass sich dahinter Menschen befänden. Die Frau holte eine Keycard aus dem kleinen Täschchen, das sie bei sich trug, und hielt es an einen Sensor an der Wand. Mit einem leisen Surren öffneten sich die Türen nach beiden Seiten.

»Auf Wiedersehen, Herr Doktor«.

Sich mit einem dankenden Händedruck verabschiedend, trat er ein.

»Ah, Staufenberg!«

Im Moment da er die Lounge betrat, war ein großer, stämmiger Herr mit Glatze und Brille von seinem Stuhl aufgesprungen, und hatte durch seinen lauten Ausruf die Aufmerksamkeit der Anwesenden erst vollends auf sich, und dann auch auf Staufenberg gelenkt, der mitten im Raum stand, doch schon bald setzte sich das teppichartige Gemurmel wieder fort.

»Entschuldigen Sie, alter Freund«

Der peinlichen Situation gewahr, ging der Mann auf Staufenberg zu und schüttelte ihm kräftig die Hand.

»Da sind mir die Pferde durchgegangen« Staufenberg musterte ihn.

»Ihr Elan ehrt mich Baumbach. Wie geht es Ihnen?«

Die beiden Männer gingen zu dem Platz an dem Baumbach eben noch seinen Kaffee getrunken hatte, und setzten sich gegenüber.

»Espresso um diese Zeit?«, und Staufenberg blickte dabei auf das kleine Porzellanservice auf dem Tisch.

»Silas ich habe noch die ganze Nacht zu tun, morgen marschieren die Quacksalber aus der Schweiz bei mir ein, du weißt ja, wie die sind. Da braucht man bizzli starkche Närven!«

Dr. Stefan Baumbach war ein befreundeter Kollege Staufenbergs, den er schon als junger Mann auf der Universität zu Hamburg kennen gelernt hatte. Damals war Baumbach noch wesentlich schlanker, hatte dunkelblondes Haar, von dem heute nicht auch nur eine Spur mehr übrig war, und galt seinerzeit als Draufgänger. Seine jugendlichen, gar ausschweifenden Partys, die er in dem Hause seiner Eltern veranstaltete, die selten zu gegen waren, gingen einst sogar durch die Presse. Keiner wusste bis heute warum, doch an einem Tag, bald nachdem er promoviert hatte, war er wie ausgewechselt gewesen, wesentlich gesetzter, zurückhaltender und zugleich strategisch, entspannter und doch zielstrebiger, als bisher.

Er verbrachte lange Zeit noch in Hamburg, und lernte dort einen Architekten kennen, verliebte sich und war ihm bis zu dem Tage treuer Partner, als ebendieser Mann bei einer Baubesichtigung von einem Gerüst in den Tod stürzte.

Es war der Tag der Beerdigung des Mannes, den Baumbach liebte, an dem Staufenberg ihn für lange Zeit das letzte Mal sah, bis ihn voriges Jahr ein Brief ereilte, in dem er Staufenberg zu Teil werden ließ, er habe in Österreich nahe Innsbruck ein altes Hotel gekauft, es saniert und daraus ein Kurhaus mit eigener Praxis gemacht. Staufenberg hatte lauthals auflachen müssen, als er die Zeilen las.

Hat der alte Hitzkopf es also tatsächlich getan. Schon zu Studienzeiten war Baumbach die Idee, psychologische Therapie mit Wellness zu verbinden, nie ganz aus dem Sinn gegangen – und das, obwohl er von seinen Kommilitonen und Freunden deshalb oft als Spinner tituliert wurde. Oder als Hitzkopf. Die Vision schien beinah vergessen, bis die Idee bei vielen Flaschen Wein mit Baumbachs großer Liebe neuen Schwung erhielt.

Der Architekt betreute seinerzeit die Sanierung und Erweiterung eines in die Jahre gekommenen Kurhotels, und, einige Liter Bordeaux später, empfand man, nun endlich einen sinnvollen Verwendungszweck für das üppige, elterliche Erbe Baumbachs gefunden zu haben.

Man einigte sich schnell mit dem Bauherrn, der ein entfernter Verwandter des Architekten war, und kaufte das Grundstück. Ohnehin habe man einen neuen Käufer oder Pächter gesucht, da das Gebäude jahrelang herrenlos vor sich hin gewuchert hatte.

Kurz vor der Fertigstellung schickte sich der Architekt zu einer letzten Baubesichtigung, aber rutschte unglücklich vom Baugerüst. Eine herumliegende Metallstrebe rammte sich ihm durch den Rücken und schoss durch den Bauch wieder hervor.

Der Architekt erlebte das Gebäude nicht mehr in seinem finalen Glanz.

Nur Tage vorher hatten beide noch ihren Umzug in ein Anwesen nahe Innsbruck geplant, im Heimatort des verblichenen Architekten.

Der Völser Hof instituierte sich schnell als Paradies für nicht nur die Reichen und Schönen, die das imposante Haus, mit seinem exzellenten Service und den hervorragenden Entspannungsangeboten lockte, auch andere Hypochonder zog es wegen dem angenehmen Ambiente in die Hallen des Kurpalastes.

Zu Ehren seines verstorbenen Mannes hatte er darauf bestanden, die Räumlichkeiten und die Fassaden fertigzustellen, und so erstrahlte der Bau bald in eindrucksvoller und modernster Natur.

Reich musste man wohl sein, um hier Urlaub zu machen, das Pauschalangebot mit medizinischer Basisversorgung, wie Baumbach es scherzhaft nannte, belief sich auf Beträge in einem satten, vierstelligen Bereich, pro Nacht versteht sich, doch schien es, als gäben seine Gäste diese Summen gerne aus; in gehobenen Kreisen schwärmte man von seiner Person nicht weniger als der Persona seines Hauses.

Staufenberg selbst war vorigen Sommer dort zu Besuch und, wenngleich er ein Mann war, den so schnell nichts mehr beeindruckte, zeigte auch er sich verblüfft, weniger ob dem Ambiente, mehr der Leistung Baumbachs, der so viel Herzblut in das Projekt gesteckt hatte.

»Schimpf‘ nicht mein Freund, du bist selbst einer von ihnen. Einer dieser Quacksalber«, entgegnete Staufenberg auf die etwas abfällige Erklärung Baumbachs.

»Was? Ich, ein Quacksalber? Aber wenn ich es dir sage, diese Leute kommen doch keineswegs aus Interesse an meinem Schaffen. Die Herrschaften wünschen wohl zu speisen, auf meine Kosten. Kein Wunder, ich war kürzlich in Zürich. 25 Franken habe ich für eine Margarita bezahlt!«

Staufenberg sah ihn an.

»Doch, doch, ich verstehe dich ja. Lass es dir nicht aufs Gemüt drücken und sieh es als Kompliment.«

»Ach, wenn Hans das alles gesehen hätte, du kennst ihn ja, er rang sich selten ein Wort des Lobes ab. Er hätte mir sicherlich gesagt er sei stolz, oder es erfülle ihn mit Freude was wir dort aus dem alten Gebäude gemacht haben; es wäre mir Kompliment genug gewesen. Aber entschuldige, ich will dich nicht damit behelligen.«

»Keineswegs«, entgegnete Staufenberg und bestellte sich ebenfalls einen Espresso, während einer der Ober die Wünsche der Herren aufnahm.

»Für mich auch noch einen, einen doppelten bitte sehr«, fügte Baumbach noch schnell hinzu, als sich der Kellner bereits umgedreht hatte.

Nachdem beiden serviert worden war, richtete Baumbach seinen Blick auf Staufenberg.

»Und wo kommst du her?«, und dieser ließ seine Augen sich kurz mit denen Baumbachs treffen, tat sich zwei Löffel Zucker in den Kaffee und sagte: »Lorena ist letzte Woche verstorben. Ich habe sie in Münster begraben lassen«.

»Oh, das ist bedauerlich, mein Beileid, ich hatte ja gar keine Ahnung. Du bist sicher erschöpft.«

Staufenberg sinnierte einen Moment, nahm einen Schluck aus der Tasse.

»Weißt du, wir sind uns in den vergangenen Jahren etwas fremd geworden, und so war auch mein Gefühl, als ich sie zu Grabe trug. Es schien fast als ließ ich eine Fremde in die Grube. Ich musste dann an meine, an unsere Eltern denken, und wie sie einmal sagten, Lorena und ich seien uns so verschieden. Und allerdings, ich konnte mich nicht auch nur einer Gemeinsamkeit entsinnen, mit Ausnahme der Liebe zur Kunst natürlich, und unserem Stammbaum. Aber als dann ihr Sarg in dem dunklen Loch verschwand, spürte ich einen Stich. Ich konnte nicht zuordnen, ob es nur der Schmerz der Vergänglichkeit war, der mich einholte, oder eine zwangsläufige Trauer, da sie eben meine Schwester war. Entfremdet, oder nicht. Als ich eine Schaufel Erde auf den schwarzen Sarg warf, zum letzten au revoir, da kam es mir ganz unversehens und gnadenlos. Baumbach, es gibt nur noch Katerina und mich. Noch dazu ist sie ein uneheliches Kind.«

Baumbach aber, der ihn die ganze Zeit beobachtete, unterbrach ihn: »Hoppla, warum denn auf einmal so katholisch? Entscheidend ist doch nur, dass dein Blut in ihren Adern fließt. Das kümmert heutzutage doch keinen mehr.«