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Da rettet man einem Kind das Leben und was passiert? Kein Dank oder gar eine Belohnung. Man stirbt und findet sich als Gehilfe des Todes wieder. Noch dazu soll man seine Arbeit machen. Ganz ohne Erklärung. Eine Kurzgeschichte mit Augenzwinkern.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Ich rannte, wie ich noch nie in meinem Leben gerannt bin. Normalerweise war ich ja noch nie so wirklich ein Sportler. Natürlich wusste ich vor dem Fernseher, was die Flaschen meiner Fußballmannschaft alles falsch machten, doch selbst hatte ich nie gespielt. Bewegung wurde in der heutigen Zeit aber auch massiv überbewertet. Immerhin, den Weg zur Arbeit legte ich stets per pedes zurück, wie der Lateiner sagt. Heute wäre ich aber besser mit dem Auto gefahren. Oder gleich zu Hause geblieben. Krank feiern, abtauchen und die Seele baumeln lassen. Dann wäre mir der Zirkus zumindest erspart geblieben. Doch ich schweife ab.
Also, ich rannte, so wirklich schnell. Hatte meinen Kopf gesenkt, atmete stoßweise und alle Energie in den Sprint gesteckt. Das Adrenalin mobilisierte neue Kräfte, die ich bisher nicht ansatzweise ahnte. Die Zeit um mich herum schien langsamer zu verstreichen. Der Regen peitschte mir ins Gesicht, ich hatte Mühe mich auf dem nassen Boden zu halten. Mein Körper fühlte sich komisch taub an. Irgendwo in mir spürte ich meine Lunge nach Sauerstoff schreien, das Herz rasen und mein Gehirn, begriff nicht, wie ich zu solch einer sportlichen Leistung fähig gewesen bin. Meine Oberschenkelmuskulatur machte mir mit einem rücksichtslosen Brennen deutlich, dass sie diese Situation überforderte.
Ich konnte es allerdings nicht dabei belassen, holte aus mir noch ein wenig mehr Power heraus. Oder: belassen, mobilisierte auf ein Neues meine Kräfte. Mein plötzlicher Anflug von sportlichem Eifer hatte einen Grund. Nur noch wenige Meter vor mir stand ein Kind, vielleicht zehn Jahre alt. Es wollte vermutlich gerade von der Schule nach Hause gehen. Wer weiß das schon. Was ich aber in diesem Moment genau wusste war, dass das Kind die Straßenbahn übersehen hatte.
Mit vollem Karacho kam das tonnenschwere Schienenfahrzeug auf das unachtsame Kind zu. Der Fahrer hatte die Situation bereits erkannt und eine Notbremsung eingeleitet. Fahrgäste machten unangenehme Bekanntschaft mit den Gesetzen der der Schwerkraft, verteilten sich von den hinteren Plätzen deutlich weiter nach vorne. Bremsklötze auf nacktem Stahl verursachten ein hässliches Quietschen. Kleine Steine in den Gleisen wurden zu Staub zermalmt.
In diesem Moment erkannte das Kind die Gefahr, in der es schwebte und starrte mit entsetztem Blick auf die heranrasende Tram. Der Fahrer sah bestürzt in die angsterfüllten Augen des Kindes, doch er war von Anfang an chancenlos gewesen. Mit dem Gewicht der Garnitur und dem Tempo war es eine einfache Rechnung. Eine letztendlich tödliche für das arme Kind.
Doch nicht mit mir. Nicht hier und heute, schrie es hinter meiner Stirn. Noch bevor andere Menschen in der Umgebung auf die drohende Gefahr aufmerksam wurden, hatte ich die bedrohliche Situation glasklar erkannt.
Dies war der Grund für meinen Sprint. Nicht etwa olympische Ehren oder ein verzweifelter Neujahrsvorsatz, schon in die Tonne getreten, bevor es ernst werden konnte. Nein, das Leben eines Kindes stand auf dem Spiel.
Sicher, ich war noch nie ein Held gewesen. Kritische Stimmen würden wohl anmerken, ich hätte bis auf Steuerabgaben noch nie etwas Wesentliches für die Gesellschaft beigetragen. Was meines Erachtens nach aber ohnehin Dienst genug an der Menschheit war. So lief ich also auf dieses Kind zu, ungeachtet der Gefahr. Ähnliches vollbrachten Helden ja immer wieder. Sie erreichten im letzten Moment das baldige Opfer und brachten es aus der Gefahrenzone. Zumindest war es in den zahlreichen Spielfilmen so gewesen und es sah auch immer sehr leicht aus.