Das Schicksal kennt dein Glück - Michelle Zerwas - E-Book

Das Schicksal kennt dein Glück E-Book

Michelle Zerwas

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Beschreibung

Nach einem langen Arbeitstag ist Polizistin Jana zu später Stunde auf dem Weg nach Hause, als ihr eine Frau vors Auto läuft. Verletzt und verwirrt steht sie im Scheinwerferlicht, denn sie ist kurz zuvor Opfer eines Verbrechens geworden. Jana kümmert sich um sie und nimmt sie kurzerhand mit nach Hause. Sie kann sich selbst nicht erklären, warum sie sich vom ersten Augenblick an zu Feli hingezogen fühlt und das Bedürfnis hat, sie zu beschützen. Vielleicht hat es mit einem schrecklichen Erlebnis aus ihrer Vergangenheit zu tun. Verdrängte Erinnerungen kommen wieder ans Tageslicht und Jana erkennt, dass sie und Feli sich nicht ohne Grund begegnet sind. Erst wenn der Täter geschnappt wird, können beide wieder in Frieden leben, doch es gibt wenig Spuren und es scheint aussichtslos, ihn zu fassen. Während die Ermittlungen laufen, kommen sich Jana und Feli immer näher.

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Michelle Zerwas

Das Schicksal kennt dein Glück

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

1. Kapitel

Endlich war die Vorlesung an der Uni beendet. Rund um Feli brach Hektik aus. Alle packten so schnell wie möglich ihre wenigen Sachen zusammen. Auch Feli wollte so schnell wie möglich nach draußen, denn die Temperaturen im Hörsaal waren auf unerträgliche Weise im Laufe des Tages immer weiter angestiegen. Feli fühlte sich müde und schläfrig. Mindestens die Hälfte der Vorlesungen hatte sie nicht mitbekommen. Ihr Gehirn hatte den Dienst verweigert.

„Wir sehen uns heute Abend. Du kommst doch?“, rief ihr Lola zu. Sie war schon fast an der Tür des Raumes angekommen.

„Ja klar, wir sehen uns heute Abend.“

Lola, zufrieden mit dieser Antwort, schloss sich der Schar der Studierenden an, die eilig dem Ausgang zuströmten.

Feli atmete tief durch als auch sie endlich das Gebäude verlassen hatte. Draußen war es zwar auch nicht kühler, aber die Luft war wenigstens nicht so abgestanden und stickig und es wehte ein ganz leichter Wind.

Feli machte sich auf den Weg nach Hause. Sie wohnte noch bei ihren Eltern, die allerdings für zwei Wochen verreist waren. Eine eigene Wohnung konnte sie sich nicht leisten. Ihr Studium finanzierte sie mit einigen Jobs. Trotzdem war das Geld bei ihr immer knapp und wenn ihre Eltern ihr nicht immer wieder unter die Arme greifen würden, dann hätte es schon manches Mal ganz schlecht ausgesehen. Feli dankte es ihnen mit guten Noten und tadellosem Benehmen. Wenn sie abends ausging, betrank sie sich nie und war immer zur vereinbarten Zeit zu Hause.

Feli hatte es nicht weit bis nach Hause, deshalb brauchte sie nicht lange. Eigentlich hatte sie zu nichts mehr Lust an diesem Nachmittag. Das Wetter hatte sie träge gemacht und sie wollte sich nur ein wenig ausruhen. Außerdem musste sie für die abendliche Party fit sein, zu der sie eingeladen war. Tanita, ihre Freundin, wollte in einem Club ihren 24. Geburtstag feiern. Doch leider wartete zuvor noch etwas Arbeit auf sie. Das Aquarium, mit den Zierfischen ihrer Mutter, musste dringend sauber gemacht werden. Eigentlich wollte ihre Mutter das noch erledigt haben, bevor sie in den Urlaub startete. Allerdings war der Urlaub eine sehr spontane Entscheidung gewesen, es war sehr hektisch zugegangen und so hatte Feli angeboten das Säubern zu übernehmen. Diese Prozedur schob sie nun schon einige Tage vor sich her, doch so langsam musste sie es mal erledigen, da sie mittlerweile Angst um das Leben der Fische hatte.

Lustlos machte sie sich an die Arbeit. Den Aufwand hatte sie jedoch total unterschätzt. Sie brauchte Stunden und hatte zum Schluss kaum noch Zeit, um sich für die Party zu stylen. Es reichte gerade noch um unter die Dusche zu springen und das erstbeste Outfit im Schrank zu suchen. Sie wählte eine eng anliegende Jeans und ein hellblaues Glitzertop, packte schnell die wichtigsten Dinge in eine Tasche und verließ mit ein wenig Vorfreude das Haus.

Nach einem zwanzigminütigem Fußmarsch erreichte sie den Ort, an dem die Party steigen sollte. Sie war schon öfter in diesem Club gewesen. Laute Musik schallte ihr entgegen, die noch um einige Dezibel lauter wurde, als sie den Club betrat. Sofort ließ sie ihren Blick schweifen, suchte ein bekanntes Gesicht. Es war noch früh am Abend und deshalb nicht so voll. Nur vereinzelt tanzten einige Leute zum Rhythmus der Musik. Deshalb dauerte es nicht lange, bis Feli ihre Freundin Tanita entdeckte. Mit großen Schritten eilte sie auf ihre Freundin zu, umarmte sie und wünschte ihr alles Gute zum Geburtstag.

Nachdem sie auch Lola und einige andere Leute begrüßt hatte, besorgte sie sich etwas zu trinken an der Bar.

Je später der Abend wurde, desto mehr füllte sich der Club. Das Publikum war sehr abwechslungsreich, für jeden war etwas dabei. Der Club war so eine Art Geheimtipp für Lesben und Schwule, aber auch heterosexuelle Feierfreudige kamen gerne her.

Nachdem Feli mit all ihren Freunden mehrfach angestoßen hatte, mischte sie sich unter die Tanzenden. Sie war schon länger wieder auf der Suche nach einer Partnerin. Bisher hatte sie nicht viel Erfolg gehabt. Seit sie sich von ihrer letzten Freundin getrennt hatte, war sie Single und das waren nun immerhin schon zwei Jahre.

Unauffällig ließ sie ihren Blick schweifen und entdeckte einige sehr gutaussehende Frauen. Allerdings traute sich Feli meistens nicht eine Frau anzusprechen. Wenn ihr eine Frau gefiel, lächelte sie sie möglichst oft an und versuchte Blickkontakt herzustellen. Sie hoffte immer, dass ihr Gegenüber den ersten Schritt machte. Doch dazu kam es meist nicht. Auf diese Weise hatte sie wahrscheinlich schon einige Chancen verpasst.

Heute jedoch wollte sie mal von sich aus die Initiative ergreifen. Immer wieder blieb ihr Blick an einer bestimmten Frau hängen. Sie tanzte schon eine ganze Weile allein zwischen all den Menschen auf der Tanzfläche. Sie war groß und schlank, braune leicht wellige Haare umrahmten ihr Gesicht. Sie trug eine schwarze enge Hose, dazu ein gelbes hautenges Top, bewegte sich gekonnt im Rhythmus der Musik und hatte sichtlich Spaß dabei. Allein der Anblick dieser Frau löste bereits ein leichtes Kribbeln in ihr aus. Mit einem flatternden Gefühl im Bauch näherte sie sich langsam der unbekannten Schönen und tanzte wenig später dicht neben ihr. Ihre Blicke trafen sich, sie lächelten sich an. Die schöne Unbekannte tanzte auf sie zu. Ihre Körper berührten sich immer wieder für einen kurzen Moment. Sie legte ihre Hände auf Felis Hüfte und tanzte mit ihr zusammen weiter. Niemals hätte Feli gedacht, dass es so einfach sein könnte.

Nachdem sie eine Weile miteinander getanzt hatten, näherte sich die unbekannte Frau Feli noch weiter und sagte dicht an ihrem Ohr: „Lass uns etwas trinken gehen.“

Feli folgte ihr zur Bar. Als beide einen Drink zur Erfrischung geordert hatten, nahm die Unbekannte Felis Hand und ging voraus in den ruhigeren Bereich des Clubs. Im zweiten Stock befand sich eine gemütliche Lounge, in der es eher ruhig zuging und man die Möglichkeit hatte sich in normaler Lautstärke zu unterhalten.

Sie setzten sich an einen kleinen Tisch.

„Ich bin Cora“, stellte sich die Unbekannte vor und reichte Feli die Hand.

„Freut mich dich kennenzulernen. Ich bin Feli.“

„Bist du öfter hier? Ich habe dich hier noch nie gesehen.“

„Ab und zu, aber ich habe dich hier auch noch nie gesehen.“

„Dann haben wir uns wohl immer ganz knapp verpasst.“

„Sieht ganz so aus.“

Sie lächelten sich an und nippten verlegen an ihrem Cocktail.

„Bist du allein hier?“, fragte Cora.

„Nein, eine Freundin feiert heute Abend ihren Geburtstag hier im Club.“

„Oh, und ich halte dich davon ab mit zu feiern.“

„Das macht nichts. Ich befinde mich ja in guter Gesellschaft.“ Die Worte kamen wie von selbst über Felis Lippen und sie war über sich selbst verwundert, weil sie normalerweise nicht so draufgängerisch war, eher der schüchterne Typ.

„Das kann ich nur zurückgeben“, meinte Cora lächelnd. Sie hob ihr Glas und prostete Feli zu. „Auf einen schönen Abend.“

Feli tat es ihr gleich. „Auf einen schönen Abend.“

Lächelnd sahen sie sich in die Augen und waren nur wenig später in ein angeregtes Gespräch vertieft.

„Cora, du musst sofort mitkommen!“, wurde ihre Unterhaltung jäh unterbrochen, als eine Frau an ihrem Tisch auftauchte. Sie nahm Feli nur am Rande wahr und sprach gleich weiter auf Cora ein. „Du musst mir helfen Elli nach Hause zu bringen. Sie ist betrunken, benimmt sich total daneben und es ist nur noch eine Frage der Zeit bis sie aus dem Laden raus fliegt.“

Genervt verdrehte Cora die Augen und wandte sich an Elli.

„Kannst du das nicht allein bewältigen? Brauchst du dafür unbedingt meine Hilfe?“

„Wenn ich dich nicht brauchen würde, hätte ich dich bestimmt nicht überall gesucht. Ich hatte schon Angst du könntest nach Hause gegangen sein. Also hilfst du mir jetzt, oder was?“

„Ja, okay. Warte einen Moment!“ Mit einem entschuldigenden Lächeln wendete sie sich wieder Feli zu.

„Nun endet unser Abend leider schneller als erwartet. Ich muss meine Mitbewohnerin vor größerem Schaden bewahren. Das ist der Nachteil, wenn man in einer WG wohnt.“

„Da kann man nichts machen. Dann rette mal die Ehre deiner Mitbewohnerin.“

„Lass uns doch unsere Unterhaltung ein anderes Mal fortsetzen.“ Cora begann in ihrer Tasche zu kramen und reichte kurz darauf Feli einen Zettel mit ihrer Telefonnummer. „Ich würde mich freuen, wenn du dich meldest.“ Sie lächelten sich nochmal kurz zu, dann verschwand Cora in der Menge.

Nun saß Feli allein an ihrem Tisch und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Hin und wieder nahm sie einen Schluck von ihrem Cocktail. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, als Lola auf sie zukam.

„Hier steckst du. Ich hab dich schon überall gesucht.“

Sie ließ sich auf den nun leeren Stuhl gegenüber Feli nieder.

„Was machst du hier? Willst du Wurzeln schlagen, oder was? Ich dachte, wir sind zum Feiern hier!?“

„Bis eben war ich noch mit einer sehr hübschen Frau in ein angeregtes Gespräch vertieft“, setzte Feli zu einer Erklärung an.

Lola unterbrach sie. „Da du ja nun wieder allein bist, kannst du auch wieder zurück auf die Tanzfläche kommen. Dort geht nämlich so richtig die Party ab. Das darfst du dir nicht entgehen lassen.“

Doch Feli war nicht mehr so recht nach Party zumute. Eigentlich wollte sie nur noch nach Hause.

„Ich glaube, ich gehe jetzt“, meinte Feli.

„Das kannst du nicht machen. Nun komm schon, bleib noch etwas und feier mit uns.“

„Nein, ich bin nicht in Stimmung und gerade auch echt müde.“

„Sei keine Spielverderberin. Was willst du denn zu Hause? Außerdem ist Vivi mit dem Auto da und ich habe uns beiden schon einen Platz reserviert. Fahren ist doch so viel cooler als laufen.“

„Das ist echt lieb, aber ich habe es ja nicht weit bis nach Hause.“

Lola tat gespielt beleidigt. „Hm, ich kann dich wohl nicht mehr umstimmen, oder?“

„Nein. Sei mir nicht böse, aber ich möchte jetzt gehen. Ich verabschiede mich noch von Tanita, wenn ich sie finde und dann bin ich weg.“

Feli stürzte sich wieder ins Gewühl, aber auch nach einigem Suchen konnte sie Tanita nicht entdecken. Deshalb ging sie ohne sich zu verabschieden.

Draußen war es angenehm kühl nach der Wärme im Club, wenngleich auch draußen die sommerlichen Temperaturen zu spüren waren. Die Luft war mild und Feli atmete die frische Luft ein. Es war bereits dunkel und nur noch wenig los auf den Straßen. Ihr war ein wenig mulmig zumute, aber sie machte sich selbst wieder Mut. Was sollte schon passieren? Sie hatte es nicht weit bis nach Hause. Warum sollte ausgerechnet ihr etwas zustoßen?

Sie spazierte los und kämpfte mit jedem Schritt gegen ihre Angst an. Sie ging schneller als sonst und sah sich immer wieder um, ob ihr jemand folgte. Beinahe bereute sie es, dass sie Vivis Angebot nicht angenommen hatte und bei ihr im Auto mitgefahren war. Doch das war nun nicht mehr zu ändern.

Nach einer Weile erreichte sie eine Unterführung. Daran hatte sie ja überhaupt nicht gedacht. Schon am helllichten Tag war ihr dieser Ort unheimlich. Feli hatte sie bisher nur selten nachts durchquert und da war sie nie alleine gewesen. Immer war mindestens eine ihrer Freundinnen dabei gewesen.

Feli überlegte, einen anderen Weg einzuschlagen, entschied sich aber für die Abkürzung durch die Unterführung. Wieder versuchte sie sich selbst Mut zu machen. Was sollte schon passieren? Sie schätzte die Wahrscheinlichkeit gering ein, dass ausgerechnet ihr etwas passierte.

Als sie den Anfang der Unterführung erreichte, pochte ihr Herz wie verrückt. Für einen Moment verspürte sie das Verlangen umzukehren, schalt sich dann aber selbst einen Angsthasen. Sie wollte sich selbst ihren Mut beweisen.

Nach den ersten Metern fragte sie sich, ob die Unterführung schon immer so dunkel gewesen war. Nur wenige Lampen erleuchteten den Weg. Feli begann zu frieren. Sie wusste nicht, ob daran die kühlere Nachtluft schuld war oder ihre Angst.

„Gleich habe ich es geschafft. Das Ende ist schon zu sehen. Nur noch ein bisschen“, murmelte Feli vor sich hin. Sie hoffte, damit ihre Angst vertreiben zu können, stellte aber fest, dass ihr das nicht gelang.

Sie bereute es nun diesen Weg gewählt zu haben. Unbewusst beschleunigte sie ihre Schritte. In ihrem Kopf gab es nur noch einen Gedanken. Sie wollte weg von diesem Ort, so schnell wie möglich.

Als sie das Ende der Unterführung beinahe erreicht hatte, tauchte plötzlich wie aus dem Nichts ein Mann vor ihr auf und versperrte ihr den Weg. Trotz des sommerlichen Wetters trug er eine Jacke und hatte die Kapuze über den Kopf gezogen.

Feli wurde von einer entsetzlichen Panik befallen. Sie hatte das Gefühl ihr Herz bliebe für einen Moment stehen, nur um kurz darauf loszurasen. Für einen Moment war sie wie gelähmt. Dann drehte sie sich blitzschnell um und rannte um ihr Leben. Der Mann nahm die Verfolgung auf und hatte sie rasch eingeholt. Er griff nach ihrem Arm, stoppte sie und drehte sie unsanft zu sich herum.

Feli hatte inzwischen Todesangst und versuchte sich zu befreien. Mit ihrer freien Hand schlug sie auf den Unbekannten ein. Sie trat nach ihm und schrie laut um Hilfe. Vielleicht war ja in der Nähe noch jemand unterwegs, der sie hören konnte.

Der Unbekannte ließ sich davon nicht beeindrucken. Er schlug Feli brutal mit der Faust ins Gesicht. Für einen Moment war sie benommen, dann schmeckte sie Blut. Felis Kampfgeist kehrte zurück und sie versuchte abermals sich zu befreien. Schnell musste sie feststellen, dass sie absolut keine Chance hatte zu entkommen, weil er stärker war als sie. Sie versuchte noch einmal durch ihre Schreie jemanden in der Nähe auf sich aufmerksam zu machen, erntete dafür aber weitere Schläge. Der Täter ging sogar noch weiter. Er presste sie an die Wand und drückte mit einer Hand ihren Hals zu.

„Wenn du noch einmal schreist, bring ich dich um. Ich ficke auch tote Frauen.“ Feli hatte das Gefühl zu ersticken. Sie wünschte sich beinahe er würde sie umbringen. In Anbetracht dessen was er mit ihr vorhatte, schien der Tod die bessere Alternative zu sein.

Feli glaubte schon zu sterben. Die Umgebung verschwamm vor ihren Augen. In ihren Lungen war kein Sauerstoff mehr. Endlich gab er ihre Kehle frei und sie rang keuchend nach Luft. Er hielt sie mit eisernem Griff fest und stieß sie unsanft vor sich her. Ihr Hals schmerzte und schieres Grauen erfasste sie. Sie wusste, was auf sie zukam und es gab keine Möglichkeit zu entkommen. Immer wieder hörte man von Vergewaltigungen und stets glaubte man einem selbst könnte so etwas nie passieren. Davon war auch Feli immer ausgegangen.

Er stieß Feli in ein nahe gelegenes Gebüsch. Bevor sie einen weiteren Befreiungsversuch starten konnte, warf er Feli hinunter auf den Boden und setzte sich auf sie. Feli spürte seine Erektion an ihrem Bein und ein noch nie so stark empfundenes Ekelgefühl stieg in ihr hoch. Gleichzeitig wusste sie, dass es kein Entrinnen gab und sie die Sache über sich ergehen lassen musste.

Der Unbekannte öffnete hastig ihre Hose und versuchte sie nach unten zu ziehen. Da ihm das nicht schnell genug ging, zerriss er sie und machte sich dann an seiner eigenen zu schaffen. Sein Atem beschleunigte sich. Feli roch seinen Atem und drehte angewidert den Kopf zur Seite.

Mit einem heftigen Stoß drang er brutal in sie ein. Feli unterdrückte einen Schrei. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solche Schmerzen verspürt. Sie hatte das Gefühl innerlich zerrissen zu werden. Immer wieder stieß er heftig in sie. Er keuchte und stöhnte über ihr. Als die Schmerzen sie fast ohnmächtig werden ließen, stöhnte der Kerl über ihr noch einmal laut, ergoss sich in sie und sank schlaff auf sie herab. Erst als die Motorengeräusche eines Autos zu hören waren und immer näher kamen, hatte der Kerl es auf einmal sehr eilig. Voller Panik sprang er auf und rannte davon.

Feli war unfähig sich auch nur einen Millimeter zu rühren. Ihr gesamter Körper bestand aus Schmerz. Sie spürte etwas Klebriges zwischen ihren Beinen. Eine erneute Welle des Ekels überschwemmte sie. Sie musste schnellstens diesen Ort verlassen, denn sie befürchtete, ihr Peiniger könnte zurückkehren. Ein weiteres Mal überlebte sie diese Qual nicht. Beinahe wünschte sich Feli der Täter hätte sie umgebracht.

Sie versuchte aufzustehen. Die Schmerzen, die sie dabei empfand, trieben ihr die Tränen in die Augen und nahmen ihr die Sicht. Feli hielt sich an einigen Ästen des Gebüschs fest und zog sich daran nach oben. Dann stolperte sie unbeholfen zur Straße zurück.

2. Kapitel

Jana war gerade auf dem Heimweg. Wieder einmal war sie länger im Polizeipräsidium geblieben. Die Menge ihrer Überstunden war kaum noch zu überschauen. Wenn sie so weiter machte, konnte sie irgendwann zehn Jahre früher in Rente gehen. Doch was sollte sie zu Hause? Dort kehrten die Erinnerungen zurück, die sie verdrängte.

Sie war die Akten der aktuellen Fälle nochmal durchgegangen, immer auf der Suche nach neuen Hinweisen. Vielleicht hatte sie etwas übersehen, irgendein Detail, das zur Lösung des Falles führte. Jana hasste ungelöste Fälle. Sie legte einen unfassbaren Ehrgeiz an den Tag und verbiss sich regelrecht in ihre Fälle. Mit ihren gerade mal 26 Jahren hatte sie auf diese Weise schon viel erreicht und war nicht umsonst stolz auf sich selbst. Natürlich musste sie dafür auch Opfer bringen. Ihr Privatleben blieb komplett auf der Strecke. Doch das nahm Jana gerne in Kauf. Sie liebte ihren Job mehr als alles andere. Heute allerdings fühlte sie sich richtig erschöpft. Seit zwölf Stunden hatte sie fast ohne Pause gearbeitet. Sie freute sich auf eine heiße Dusche und ihr Bett.

Sie erreichte die Unterführung. Nun war sie nur noch drei Häuserblocks von zu Hause weg. Für einen Moment war sie unaufmerksam und bemerkte deshalb erst im letzten Moment, dass jemand die Straße überquerte. Jana trat auf die Bremse und das Auto kam mit quietschenden Reifen zum Stehen.

Wütend stieg Jana aus. Diese Besoffenen sollte man wirklich härter bestrafen, dachte sie.

Gerade als sie losschimpfen wollte, ließ der Anblick der jungen Frau ihren Atem stocken. Ihr Gesicht war tränenverschmiert, in ihren Haaren hatten sich Blätter und Zweige verfangen. Doch das Schlimmste war die blutbefleckte Jeans und die zerrissenen Klamotten. Die junge Frau stand im Scheinwerferlicht und erinnerte Jana an ein verschrecktes Reh.

Jana näherte sich ihr vorsichtig. Die Frau wich panisch zurück. Offenbar stand sie unter Schock. Jana versuchte durch reden ihre Angst zu mildern.

„Keine Angst, ich bin von der Polizei. Es wird Ihnen nichts mehr geschehen.“

Feli verstand kaum etwas. Die Worte drangen nicht zu ihr durch. Nur das Wort „Polizei“ hatte sie seltsamerweise vernommen. Als ihr klar wurde, dass sie gerettet war, versagten ihre Beine den Dienst und sie schlug hart auf dem Boden auf.

Jana eilte sofort zu ihr und kniete neben ihr nieder. Feli war ohnmächtig. Jana versuchte zu ihr durchzudringen. „Hallo? Können Sie mich hören?“ Sie versuchte Feli aus ihrer Ohnmacht zurückzuholen.

Als Feli endlich die Augen öffnete, atmete Jana erleichtert auf.

„Was ist passiert?“, fragte Jana besorgt. Eigentlich konnte sie es sich denken. In den letzten Jahren hatte sie so einiges gesehen.

Zuerst sah es so aus, als könnte sie nicht antworten. Erst nach langen Minuten brachte Feli endlich einen Ton heraus. „Ein Mann… er… hat mich überfallen… und…“, Felis Stimme brach ab. Die wenigen Wortfetzen reichten Jana jedoch aus, um sich ein Bild vom Tathergang zu machen.

„Ich werde Verstärkung anfordern. Können Sie aufstehen?“

Feli kämpfte sich mühsam auf die Beine. Jana half ihr dabei und geleitete sie zum Auto. Sie öffnete die Beifahrertür und half Feli beim Einsteigen. Sie ging zum Kofferraum und kehrte kurz darauf mit einer Decke zu Feli zurück, die sie ihr wortlos reichte. Im Anschluss ging sie um das Auto herum und ließ sich auf dem Fahrersitz nieder. Von dort forderte sie Verstärkung an. Zwei Kollegen fuhren zufällig ganz in der Nähe Streife und waren deshalb schnell vor Ort.

Jana erklärte in wenigen Worten was vorgefallen war. Oliver, einer ihrer Kollegen schätzte die Situation richtig ein und sagte: „Ich glaube nicht, dass wir den Täter noch erwischen. Der ist längst über alle Berge.“

„Wir sollten trotzdem nachsehen. Es ist unsere Pflicht nichts unversucht zu lassen“, sagte Jana scharf und funkelte Oliver böse an. Der hob beschwichtigend die Hände. „So habe ich das nicht gemeint. Natürlich schauen wir uns den Tatort an.“

„Ihr schaut euch um“, verbesserte Jana. „Ich bringe das Opfer ins Krankenhaus.“

„Das ist nicht deine Aufgabe, oder?“ Oliver zog fragend eine Augenbraue nach oben.

„Und wenn schon. Das hat dich nicht zu interessieren“, sagte Jana unfreundlich.

„Ist ja schon gut. Du musst wissen was du tust.“

Oliver und sein Kollege Norbert verschwanden in der Dunkelheit, während Jana zu ihrem Auto zurückkehrte. Feli saß noch immer zusammengekauert auf ihrem Sitz, hatte die Arme um sich geschlungen und starrte aus dem Fenster.

„Die Kollegen werden die Gegend absuchen“, erklärte Jana.

Von Feli kam keine Reaktion.

„Ich werde Sie jetzt ins Krankenhaus bringen.“

Endlich rührte sich Feli. Erschrocken sah sie Jana an. „Ich will nicht ins Krankenhaus!“, wehrte sie sich.

„Ich weiß, aber es muss sein. Es ist wichtig, dass wir Spuren und Beweise sicherstellen können und Ihre Verletzungen sollte sich ein Arzt ansehen.“

Feli wusste, dass Widerstand zwecklos war und ergab sich erneut in ihr Schicksal. Diesmal, das wusste sie, drohte ihr allerdings keine Gefahr. Die Polizistin machte lediglich ihren Job und wollte nur ihr Bestes.

 

Sie benötigten zwanzig Minuten bis zum nächsten Krankenhaus. Feli redete während der ganzen Fahrt kein Wort und auch Jana schwieg. Sie fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre einen Krankenwagen zu rufen, anstatt selbst zu fahren. Oliver hatte Recht. Es gehörte nicht zu ihren Aufgaben.

Als Jana und Feli in die Notaufnahme kamen, sprach Jana wenige Worte mit der Dame an der Anmeldung und gleich darauf konnte Feli in eines der Behandlungszimmer durchgehen. Bevor sie ging, warf sie Jana einen hilfesuchenden Blick zu.

„Ich warte hier auf Sie!“, sagte Jana, ohne vorher darüber nachzudenken.

Als Feli sich in die Hände der Ärzte begeben hatte, ließ Jana sich auf einen freien Stuhl fallen.

Sie ließ die Ereignisse der letzten Stunden Revue passieren. Die Begegnung mit der jungen Frau setzte ihr mehr zu als alle ihre bisherigen Fälle. Sie fragte sich, warum sie sie persönlich ins Krankenhaus gebracht hatte. Normalerweise rief sie den Rettungswagen und kümmerte sich nicht weiter darum. Warum hatte sie diesmal anders reagiert? Bilder aus ihrer Vergangenheit tauchten vor ihren Augen auf. Bilder, die sie lange Zeit erfolgreich verdrängt hatte. Ereignisse, über die sie nicht mehr nachdenken wollte, nicht jetzt. Nein… Mit größter Mühe schob sie die Gedanken beiseite. Schwäche konnte sie sich jetzt nicht erlauben.

Stattdessen betrachtete sie die anderen Patienten, die auf eine Behandlung warteten. Einige von ihnen warfen ihr feindselige Blicke zu, weil sie ihre Begleiterin an den Wartenden vorbei geschmuggelt hatte.

Eine Frau mit einem kleinen Kind hatte alle Hände voll zu tun, um das quengelnde Kind zu beruhigen. Ein junges Mädchen, das von seiner Mutter begleitet wurde, hatte ein blutiges Handtuch um ihren Arm gewickelt. Einige ältere Menschen saßen herum und blätterten gelangweilt in einer Zeitschrift.

Immer mehr Leute strömten in die Notaufnahme. Einige von ihnen wurden energisch abgewimmelt und wieder nach Hause geschickt. Doch es blieben noch genug übrig, die im Wartebereich Platz nahmen.

Jana starrte in den Gang, in dem Feli verschwunden war und hoffte, dass sie in guten Händen war. Es schnürte ihr das Herz zusammen, wenn sie daran dachte, was sie nun durchmachte. Während sie wartete, verspürte sie immer wieder den Wunsch ihr beizustehen.

Jana wusste, dass sie die Ereignisse nicht zu nahe an sich ran lassen durfte. Es war ein Fall wie jeder andere. Sie fühlte sich hin und her gerissen.

Über eine Stunde wartete sie, bis Feli endlich in Begleitung eines Arztes zurückkehrte. Sie sah sehr mitgenommen aus. Ihr Gesicht war verquollen vom Weinen. Als der Arzt auf Jana zukam, stand Jana auf und befand sich nun mit dem Arzt auf Augenhöhe.

Er reichte Jana die Hand. „Guten Abend. Ich bin Dr. Fischer, der behandelnde Arzt von Frau Seus.

Jana schüttelte die Hand des Arztes. „Maxein, mein Name. Ich bin von der Polizei.“

„Haben Sie irgendwelche Fragen an mich bezüglich Ihrer Ermittlungen?“

„Ich würde jetzt gerne die Patientin nach Hause bringen. In den nächsten Tagen werde ich Sie aber nochmal kontaktieren und Ihnen einige Fragen stellen.“

„In Ordnung. Melden Sie sich einfach an und ich werde Ihnen für Ihre Fragen zur Verfügung stehen.“

Jana bedankte sich und der Arzt verabschiedete sich von ihr und seiner Patientin.

Jana und ihr Schützling standen sich einen Moment schweigend gegenüber, bis Jana das Wort ergriff. „Wir sollten allmählich fahren.“

Feli nickte und folgte ihrer Retterin zum Auto.

Bevor Jana den Motor startete, wandte sie sich an ihre Begleiterin. „Sagen Sie mir wo Sie wohnen, dann bringe ich Sie nach Hause.“

Ein panikartiger Ausdruck trat in Felis Gesicht. „Ich will nicht nach Hause“, sagte sie mit schwacher Stimme.

„Dann bringe ich Sie zu einer Freundin“, schlug Jana vor.

„Nein“, protestierte Feli. „Meine Freunde sind alle noch auf der Party.“

Nun war Jana ratlos. Was sollte sie jetzt tun? Wenn die Frau sich weigerte ihr eine Adresse zu nennen, konnte sie nichts machen. Sie konnte sie schlecht auf die Straße setzen.

„Soll ich jemanden benachrichtigen, der Sie abholt?“, versuchte Jana es erneut.

Feli schüttelte den Kopf.

„Aber es gibt doch sicher jemanden, der sich Sorgen um Sie macht?“

„Nein, niemanden.“

Jana gab so schnell nicht auf und fragte erneut nach. Vielleicht war die Frau verwirrt, was in Anbetracht der Situation nicht verwunderlich war. Jana hatte keine Lust sich morgen mit einer Vermisstenanzeige rumzuschlagen.

„Gibt es keinen Freund, der auf Sie wartet oder Ihre Eltern, die sich Sorgen machen?“

„Ich habe keinen Freund und meine Eltern sind verreist“, erklärte Feli.

Jana sah nur noch einen Ausweg. „Ist es denn in Ordnung für Sie, wenn ich Sie erstmal mit zu mir nehme? Morgen können wir dann weitersehen.“

Feli nickte.

Jana hatte ein komisches Gefühl dabei. Professionalität sah eindeutig anders aus. Sie ließ das alles viel zu nah an sich heran, aber im Moment hatte sie keine andere Wahl. Außerdem wollte sie endlich nach Hause. Ihr Tag war lang gewesen und sie brauchte dringend etwas Schlaf.

„Ich bin Jana“, stellte Jana sich vor.

„Feli“, sagte eine leise Stimme vom Beifahrersitz.

Eine Weile später hielten sie vor Janas Haus. Während der Fahrt hatten sie kaum gesprochen. Feli hatte nur aus dem Autofenster in die Dunkelheit gestarrt und Jana wusste nicht was sie sagen sollte. Sie wollte Feli mit ihren Fragen nicht zu nahe treten. Dennoch fühlte sie sich hin und her gerissen. Vielleicht hätte Feli sich gerne mit ihr unterhalten, wusste aber auch nicht, wie sie das Gespräch beginnen sollte. Jana fühlte sich überfordert mit der Sache, schließlich war sie keine Therapeutin. Sie war beinahe erleichtert, als sie Feli in ihre vier Wände führen konnte, in denen sie sich sicherer fühlte. Allerdings fühlte sich Feli alles andere als wohl. Jana spürte das und versuchte Feli die Unsicherheit zu nehmen.

„Ich denke, du willst erstmal ins Bad“, meinte Jana und zeigte Feli den Weg. „Saubere Handtücher liegen bereit. Nimm dir einfach alles was du brauchst. Ich werde dir etwas zum Anziehen vor die Badezimmertür legen.“

Mit diesen Worten ließ sie Feli allein und ging erstmal in die Küche. Dort ließ sie sich erschöpft auf einen Stuhl sinken, stützte den Kopf in die Hände und seufzte tief.

Worauf hatte sie sich da bloß eingelassen? Vielleicht wäre es besser gewesen Feli in der Obhut des Krankenhauses zu lassen. Dann hätten die Ärzte sich um sie kümmern können und dafür sorgen müssen, dass Feli nach Hause kam. Kaum hatte sie diese Gedanken in ihrem Kopf gehabt, schämte sie sich schon dafür. Es war nicht fair von ihr so zu denken. Felis Erzählung hatte sie entnommen, dass es gerade niemanden gab, der sich um sie kümmern konnte. Jana wollte sich gar nicht ausmalen, was vielleicht aus Feli geworden wäre und sie brach sich keinen Zacken aus der Krone, wenn sie sich an diesem Abend um sie kümmerte.

Ihr Blick wanderte zur Küchenuhr. Der Zeiger rückte immer näher auf Mitternacht zu. Jana schlurfte müde ins Schlafzimmer und suchte einige Kleidungsstücke für Feli heraus, die sie wie versprochen vor der Tür des Badezimmers platzierte.

Als Feli nach einer halben Stunde immer noch nicht aus dem Bad raus gekommen war, machte Jana sich Sorgen. Was wenn Feli in der Dusche zusammengebrochen war und nun ohnmächtig da lag? Besorgt lief sie wieder in Richtung Bad und lauschte. Das Wasser lief noch. Unruhig ging Jana vor der Tür auf und ab und überlegte was sie tun sollte. Dann kehrte sie unverrichteter Dinge ins Wohnzimmer zurück und beschloss noch etwas zu warten.

Weitere fünfzehn Minuten später wartete sie immer noch vergeblich auf Feli und so schlich sie wieder zur Badezimmertür. Noch immer hörte sie das Rauschen des Wassers und hatte für eine Sekunde ihre nächste Wasserrechnung vor Augen. Sie schalt sich jedoch sofort selbst für diesen Gedanken. Wie konnte sie ausgerechnet daran denken? Was war sie nur für ein Mensch? Aber manchmal dachte man Dinge, die man nicht denken wollte. Die Gedanken kamen einem einfach in den Kopf, ohne dass man etwas dagegen tun konnte. Man war machtlos.

Jana achtete nicht weiter auf die Zeit. Irgendwann musste Feli wieder auftauchen. Sie konnte sich schließlich nicht ewig in der Dusche verstecken.

Als Jana auf dem Sofa kurz vorm Einschlafen war, erschien Feli endlich im Raum. Jana hatte sie nicht kommen hören und erschrak deshalb ein wenig.

„Wie geht es dir?“, fragte Jana. Kaum hatte sie die Frage ausgesprochen, kam sie sich schon blöd vor. Wie sollte es Feli schon gehen?

„Jetzt geht es mir etwas besser“, sagte sie leise und schenkte Jana ein kaum sichtbares Lächeln.

„Hast du Hunger? Magst du was essen?“, fragte Jana.

Feli schüttelte den Kopf. „Nein, danke.“

„Solltest du doch noch Hunger kriegen, bediene dich einfach. Mein Kühlschrank ist eigentlich immer gut gefüllt.“

„Danke“, sagte Feli. „Ich weiß deine Hilfe sehr zu schätzen.“

„Wie heißt es immer so schön: Die Polizei, dein Freund und Helfer“, zitierte Jana.

Feli nahm sich eine Decke, die auf dem Sessel lag und kauerte sich damit im Sessel zusammen.

„Möchtest du reden?“, fragte Jana vorsichtig. Sie wollte Feli wenigstens die Möglichkeit dazu bieten sich ihr anvertrauen zu können. Doch Feli schüttelte den Kopf.

„Lieb von dir, aber ich möchte nur meine Ruhe haben. Das ist nicht böse gemeint und hat auch nichts mit dir zu tun.“

„Gut, dann werde ich mal unter die Dusche gehen.“

Einerseits war Jana froh aus Felis Gesellschaft fliehen zu können. Es war lange her seit sie das letzte Mal eine Frau in ihrem Haus gehabt hatte.

Das herabrieselnde Wasser in der Dusche konnte für einige Minuten ihre zahlreichen Gedanken vertreiben. Nach der Dusche fühlte sie sich erfrischt und wie neu geboren. Danach führte sie ihr Weg wieder zu Feli. Zu ihrer Verwunderung fand sie Feli tief und fest schlafend vor. In Janas Abwesenheit hatte sie sich wie eine Katze auf dem Sofa zusammengerollt. Ihr Atem ging ruhig und regelmäßig und sie sah sehr friedlich aus.

Jana betrachtete Feli lange und irgendwann ertappte sie sich bei dem Gedanken, dass sie Feli ausgesprochen hübsch fand. Eine Haarsträhne hing ihr ins Gesicht. Jana trat näher und konnte ihren Blick nicht von Feli abwenden.

Plötzlich stöhnte Feli im Schlaf und begann um sich zu schlagen. Erschrocken hielt Jana die Luft an. Sie wollte nicht von Feli dabei ertappt werden, wie sie sie heimlich beobachtete. Feli hatte so viel Schreckliches durchgemacht in den letzten Stunden. Glücklicherweise wachte sie nicht auf und beruhigte sich kurz darauf wieder. Gerade als Jana in ihr Schlafzimmer gehen wollte, wurde Feli erneut unruhig. Jana hielt inne und hoffte, dass Feli einfach weiterschlief. Feli warf sich auf dem Sofa hin und her.

„Nein, lass mich“, murmelte sie. Dann schlug sie um sich, begann um Hilfe zu rufen. Der Schrei war für Jana wie ein Messerstich in ihrem Inneren. Sie eilte an Felis Seite und versuchte sie aufzuwecken.

„Feli, wach auf, bitte.“ Sie rüttelte vorsichtig an Felis Schulter.

Endlich wachte Feli aus ihrem Alptraum auf, war aber dennoch nicht ganz bei sich. Sie wehrte sich gegen Jana, schlug ihre Hand von ihrer Schulter und schrie in Panik.

„Feli, bitte beruhige dich! Es ist alles in Ordnung.“

Ihre Worte drangen nicht zu Feli durch. Noch immer schrie sie und schlug wild um sich.

Jana packte Felis Hände und hielt sie sanft aber bestimmt fest. „Beruhige dich, Feli! Es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit.“

Endlich erreichten die Worte Feli und sie beruhigte sich ein wenig. Jana legte ihren Arm um sie und zog sie an sich. Feli klammerte sich an Jana und begann zu weinen. Jana streichelte behutsam über Felis Rücken. „Es ist alles gut, Feli. Ich bin bei dir und ich werde dich beschützen. Das verspreche ich dir!“ Im selben Moment, als die Worte ihren Mund verließen, schwor sie sich, dieses Versprechen zu halten und wenn es das Letzte war, was sie tat. Sie wollte den Täter finden, der Feli das angetan hatte. Er musste bestraft werden.

Ich habe einmal versagt und alles falsch gemacht, dachte Jana. Das wird mir nie wieder passieren.

Feli war nur schwer zu beruhigen. Jana schenkte ihr ganz viel Geduld und Liebe. Sie nahm Feli beschützend in den Arm und streichelte sie beruhigend. Sie hätte Feli gerne ihre Schmerzen und die Angst genommen, doch das Einzige, was sie tun konnte, war, für sie da zu sein und ihr beizustehen.

Es dauerte lange bis Feli sich beruhigte. Jana blieb so lange bei ihr, bis sie wieder einschlief. Irgendwann hörte Jana nur noch Felis leises, gleichmäßiges Atmen. Zur Sicherheit wartete sie noch eine Weile, bis Feli wirklich tief und fest schlief. Dann hob sie Feli sanft hoch, trug sie ins Gästezimmer, legte sie sanft aufs Bett und deckte sie zu. Das alles geschah, ohne dass Feli etwas davon mitbekam.

Leise schlich Jana aus dem Zimmer. Sie ließ die Tür offen und auch ihre Schlafzimmertür schloss sie nicht. Sie befürchtete, Feli könnte einen weiteren Alptraum haben. Dann wollte sie für sie da sein.

Völlig erschöpft ließ Jana sich in ihr Bett fallen. Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Die Ereignisse der letzten Stunden hatten sie so aufgewühlt, dass sie trotz ihrer Erschöpfung nicht einschlafen konnte. Immer wieder lauschte sie, ob Geräusche aus dem Gästezimmer zu hören waren, aber es blieb still.

Es ist schon so lange her, seit eine Frau das letzte Mal in meinem Haus gewesen ist, dachte Jana. Viel zu lange. Sie genoss Felis Anwesenheit, bedauerte aber die Umstände ihres Kennenlernens. Zugleich wusste sie aber auch, dass es ein Fehler gewesen war Feli mit in ihr Haus, in ihr Leben, zu nehmen. Sie durfte ihre Fälle nicht zu nah an sich heran lassen. Sie musste professionell bleiben. Doch immer wieder sah sie Feli vor ihren Augen. Was wenn sie schon längst nicht mehr nur einer ihrer Fälle war? Irgendetwas musste sie ja dazu veranlasst haben Feli anders zu behandeln als andere Opfer.

„Ich brauche dringend eine ordentliche Portion Schlaf“, murmelte Jana leise vor sich hin. Sie drehte sich auf die Seite, schloss die Augen und versuchte an nichts mehr zu denken.

 

3. Kapitel

Als am nächsten Morgen Janas Wecker klingelte, konnte sie kaum die Augen öffnen, so müde war sie. Sie hatte gerade mal drei Stunden geschlafen.

Sofort hatte sie die gestrigen Ereignisse wieder vor Augen. Stöhnend quälte sie sich aus ihrem Bett, schlurfte zum Telefon und wählte die Nummer des Polizeireviers. Sie konnte unmöglich heute arbeiten gehen. Nicht in ihrem Zustand. Außerdem musste sie sich um Feli kümmern. Das hatte höchste Priorität.

Nach dem zweiten Klingeln hatte sie Oliver am Telefon. Sie teilte ihm ihr Anliegen mit und bat ihn ihre Worte weiterzugeben. Oliver reagierte überrascht, aber als Jana auf seine neugierigen Fragen nicht einging, gab er auf, fragte nicht weiter nach und wünschte ihr stattdessen gute Besserung.

Erleichtert beendete Jana das Gespräch. Sie ging in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein. Mit lautem Getöse bereitete die Maschine Jana eine Tasse Kaffee zu. Sie schüttete den Kaffee in Höchstgeschwindigkeit in sich hinein und hoffte auf die Wirkung des Koffeins.

Immer wieder lauschte sie, ob Geräusche aus dem Gästezimmer zu hören waren, aber es blieb still.

Es ist schön, endlich wieder eine Frau in meinem Haus zu haben, dachte Jana. Sie genoss es Feli bei sich zu haben, bedauerte aber, dass sie sich nicht unter anderen Umständen kennengelernt hatten. Dann hätte ich sie vielleicht nicht mal bemerkt, überlegte Jana. Sie wusste, es war ein Fehler Feli in ihr Leben zu lassen. Es war nicht gut für sie, wenn sie ihre Fälle zu nah an sich heran ließ. Doch nicht immer siegte die Vernunft. Immer wieder sah sie Feli vor ihren Augen. Sie war jetzt schon mehr, als nur einer ihrer Fälle, sonst hätte sie in der Nacht ganz anders gehandelt.