Das Schicksal mischt die Karten - Leni Behrendt - E-Book

Das Schicksal mischt die Karten E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Es war ein festfundiertes Unternehmen, das große Bankhaus Rauter & Söhne. Der Großvater des jetzigen Inhabers hatte es gegründet und zu Wohlstand gebracht, der sich im Laufe der Jahrzehnte durch Tüchtigkeit der Nachfahren und die stattliche Mitgift der Rauter-Frauen so gesteigert hatte, daß der Urenkel sich nun einen reichen Mann nennen konnte. Er war ein echter Rauter, der wie auch sein jetzt neun Monate altes Söhnchen den traditionellen Vornamen Justus Balthasar trug. Eben betrat er das Wohngemach, in dem sich augenblicklich niemand befand. Er setzte sich in einen tiefen Sessel vor dem Kamin, dem eine mollige Wärme entströmte. Gedämpft klang ein krähendes Kinderstimmchen zu ihm hin, dazwischen helles Frauenlachen, das dem Mann im Sessel das Herz warm werden ließ. Seine Hella, ja, das war schon ein liebes Ehegespons! Immer vergnügt und guter Dinge, immer zum Lachen bereit, unkompliziert und verträglich. Lächelnd sah er ihr entgegen, als sie jetzt eintrat, rundlich, rosig, frisch wie das blühende Leben. »Just, du bist schon zu Hause?« wunderte sie sich gleich der jungen Schwägerin Sidonie Rauter, die hinter ihr sichtbar wurde, schlank und biegsam, mit Haaren wie dunkel glitzernder Bernstein und Augen, in denen sich des Himmels Bläue verfangen zu haben schien. Sie nahmen beide Platz, und Hella fragte neugierig: »Wie war es in Thormanshöfen, was wollte der Baron überhaupt von dir?« »Mir sagen, daß er nun endgültig kapituliert, weil er am ersten April die hohen Zinsen nicht zahlen kann. Es war scheußlich, ich kam mir beinahe wie ein Henker vor. Also, Schwesterchen, bereite dich langsam auf die Würde einer Rittergutsbesitzerin vor.« »Kein erhebendes Gefühl«, brummte sie. »Am liebsten möchte ich dem armen Kerl den ganzen Krempel schenken, der allein nur durch die Schuld seines liederlichen Vaters wie ein Bettler von Haus und Hof gehen muß. Was wird er nun anfangen?« »Als Verwalter auf Thormanshöfen bleiben.

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Leni Behrendt Bestseller – 9 –

Das Schicksal mischt die Karten

Leni Behrendt

Es war ein festfundiertes Unternehmen, das große Bankhaus Rauter & Söhne. Der Großvater des jetzigen Inhabers hatte es gegründet und zu Wohlstand gebracht, der sich im Laufe der Jahrzehnte durch Tüchtigkeit der Nachfahren und die stattliche Mitgift der Rauter-Frauen so gesteigert hatte, daß der Urenkel sich nun einen reichen Mann nennen konnte. Er war ein echter Rauter, der wie auch sein jetzt neun Monate altes Söhnchen den traditionellen Vornamen Justus Balthasar trug.

Eben betrat er das Wohngemach, in dem sich augenblicklich niemand befand. Er setzte sich in einen tiefen Sessel vor dem Kamin, dem eine mollige Wärme entströmte. Gedämpft klang ein krähendes Kinderstimmchen zu ihm hin, dazwischen helles Frauenlachen, das dem Mann im Sessel das Herz warm werden ließ.

Seine Hella, ja, das war schon ein liebes Ehegespons! Immer vergnügt und guter Dinge, immer zum Lachen bereit, unkompliziert und verträglich. Lächelnd sah er ihr entgegen, als sie jetzt eintrat, rundlich, rosig, frisch wie das blühende Leben.

»Just, du bist schon zu Hause?« wunderte sie sich gleich der jungen Schwägerin Sidonie Rauter, die hinter ihr sichtbar wurde, schlank und biegsam, mit Haaren wie dunkel glitzernder Bernstein und Augen, in denen sich des Himmels Bläue verfangen zu haben schien.

Sie nahmen beide Platz, und Hella fragte neugierig: »Wie war es in Thormanshöfen, was wollte der Baron überhaupt von dir?«

»Mir sagen, daß er nun endgültig kapituliert, weil er am ersten April die hohen Zinsen nicht zahlen kann. Es war scheußlich, ich kam mir beinahe wie ein Henker vor. Also, Schwesterchen, bereite dich langsam auf die Würde einer Rittergutsbesitzerin vor.«

»Kein erhebendes Gefühl«, brummte sie. »Am liebsten möchte ich dem armen Kerl den ganzen Krempel schenken, der allein nur durch die Schuld seines liederlichen Vaters wie ein Bettler von Haus und Hof gehen muß. Was wird er nun anfangen?«

»Als Verwalter auf Thormanshöfen bleiben. Und zwar auf mein vorsichtiges Angebot hin, auf das er zu meiner Erleichterung ohne weiteres einging. Er meinte, lieber als Knecht auf dem Erbe seiner Väter schuften, als es durch gewissenlose Verwalter herunterwirtschaften lassen.«

»Furchtbar!« sagte Hella bedrückt. »Was mag den armen Menschen dieser Entschluß gekostet haben!«

»Eine ungeheure Selbstüberwindung. Als ich mit dem Inspektor unter vier Augen darüber sprach, liefen dem bestimmt nicht rührseligen Mann die hellen Tränen über das Gesicht. Der kennt seinen Herrn ja von Kindheit an und hängt an ihm mit unerschütterlicher Treue. Er hat mit ihm zusammen geschuftet, was Zeug und Leder hält, wie er sich ausdrückte. Doch alles umsonst. Zwei Jahre konnte der Sohn nach dem Tod des Vaters sein Erbe noch erhalten, mit Hängen und Würgen – auch ein Ausdruck des Inspektors – die kolossalen Hypothekenzinsen noch bezahlen. Doch da sich nun allerlei Schäden bemerkbar machen, gibt der Mann, der so verbissen um seinen Besitz kämpfen mußte, ihn eher auf, als ihn langsam verkommen zu lassen.

Dann würde er überhaupt nichts mehr aus ihm herauskriegen, während er jetzt noch mit einem Erlös rechnen kann.«

»Na ja…«, seufzte Sidonie. »Wat den eenen sien Uhl, is den andern sien Nachtigall. Dem Baron bedeutet das Gut Lebensnotwendigkeit, mir eine Belastung. Da hätte unser guter Papa mir lieber Geld vermachen sollen…«

»Das ich aus dem Bankbetrieb ziehen und diesen dadurch ernstlich hätte gefährden müssen«, warf der Bruder sachlich ein. »Unser Vater wußte schon, was er tat, als er mir das Bankhaus und dir die Hypotheken vermachte, die er auf die Bitte des Barons aufkaufte und somit dessen alleiniger Gläubiger wurde. Und daß er ein fairer und menschlicher Gläubiger war, brauche ich wohl nicht extra zu betonen.«

»Nein, das brauchst du nicht. Er wird schon dem Mann, der ihm sicher leid tat, Zugeständnisse gemacht haben. Wieviel ist die Klitsche denn eigentlich wert?«

»Klitsche? Meine liebe Siddy, Thormanshöfen ist eine Herrschaft, die sich außer dem großen Hauptgut noch über zwei stattliche Vorwerke und Tausende von Morgen Wald erstreckt. Wie wertvoll das alles ist, wirst du schon nach der Abschätzung erfahren, die morgen beginnt.«

»Und wenn die feststeht?«

»Dann kommt die Auseinandersetzung.«

»Muß ich dabei sein?«

»Nur wenn du willst. Bei der Überschreibung allerdings ist deine Gegenwart unbedingt erforderlich.«

Vier Wochen später war es soweit. Der Besitz wurde von Experten abgeschätzt, das Soll und Haben bis ins kleinste errechnet.

Dann fand die notarielle Überschreibung statt, und ein einundzwanzigjähriges Mädchen wurde Herrin eines feudalen Familienbesitzes, auf dem schon seit Menschengedenken die Freiherren von Thormans gesessen hatten.

Das Schicksal hatte die Karten gemischt und ließ nun die Menschen damit spielen.

Es war einige Tage später, als Justus Rauter mit Gattin und Schwester nach dem Mittagessen beim Mokka saß. Eine elegante Erscheinung, groß, schlank, mit peinlich geordnetem dunkelblondem Scheitel, scharfgeschnittenem Gesicht und graublauen kühlblickenden Augen, in denen es jedoch auch schalkhaft aufblitzen konnte. Wie zum Beispiel jetzt, als seine Hella eine Praline nach der andern hinter den rosigen Lippen verschwinden ließ.

»Teure Eulalie, denk an deine Taille!« summte er neckend. »Denk ans Zentimetermaß, iß dich satt am grünen Gras…«

»Dir servier ich früh und spät eine Schüssel voll Spinat«, gab sie schlagfertig zurück.

»Und ich tu den Hunger stillen – mit ’ner Tüte Schlankheitspillen«, gab Sidonie ihren Senf dazu – und dann lachten die drei sich vergnügt an.

Hella nahm zum Abschluß noch rasch eine Weinbrandkirsche und legte sich im Sessel zurück, so richtig satt und zufrieden.

»Für eine Weile wärst du ja nun versorgt.« Der Gatte besah sich schmunzelnd seine rosige Ehehälfte. »Was hast du später vor?«

»Deine liebwerte Gesellschaft aus vollem Herzen zu genießen. Oder gedenkst du etwa auch noch am Sonnabendnachmittag zu arbeiten?«

»Das gerade nicht. Aber ich werde mit Siddy nach Thormanshöfen fahren. Zieh keinen Flunsch, Kleine, es muß doch nun einmal sein. Der Baron rief mich am Vormittag an und bat um unser Kommen. Es gibt noch so vieles zu klären…«

»Das kannst du auch ohne mich tun.«

»Nein, ausgeschlossen, Siddy. Nachdem du verbrieft und versiegelt die Besitzerin bist, kann ich dir wohl nach wie vor mit Rat und Tat zur Seite stehen, aber ohne dich keine Entscheidungen treffen.«

»Du bekommst von mir eine unbeschränkte Vollmacht...«

»… die ich ablehne.«

»So willst du mich im Stich lassen?«

»Wenn du weiter so störrisch bleibst, könnte es schon passieren. Warum sträubst du dich eigentlich so dagegen, von deinem Eigentum Besitz zu ergreifen?«

»Weil ich mir wie ein Eindringling vorkomme«, brummte sie verdrießlich. »Gräßlich war mir bei der Überschreibung zumute. Ich sehe immer noch das wie versteinerte Männergesicht, sehe immer noch die bebende Hand, die den Namen unter das Dokument setzte. Ja, wäre der Mann durch sein Verschulden in Not geraten, dann würde es nur gerecht sein, ihn die Konsequenzen ziehen zu lassen. Aber für die Schuld eines liderlichen Vaters büßen müssen, das ist doch wohl eine grausame Härte. Am liebsten möchte ich das Gut verkaufen – oder darf ich das nicht?«

»Das schon, Siddy. Aber erstens wäre das nicht im Sinne unseres Vaters, und außerdem wäre Thormans damit in keiner Weise geholfen. Es könnte höchstens noch seine mißliche Lage verschlimmern, wenn er einen Herrn bekäme, der ihm gegenüber eben diesen Herrn herauskehrte, ihn als Untergebenen behandelte.«

»Das ist auch wieder wahr. Na schön, füge ich mich. Es heißt ja: Wem Gott gibt ein Amt, dem gibt er auch Verstand. Hoffe ich also, daß es auch bei mir zutrifft. Wann fahren wir?«

»Ich habe versprochen, um drei Uhr dort zu sein, also müssen wir aufbrechen. Kommst du mit, Hella?«

»Wenn ich nicht störe, dann mit dem größten Vergnügen. Ich bin nämlich schrecklich neugierig auf die Residenz der Herrin von Thormanshöfen. Klingt so richtig feudal.«

»Ob es nicht auch feudale Ohrfeigen gibt, meine spöttische Schwägerin?«

»Du meine Güte, nein, die sind immer vulgär.«

Da mußte Sidonie lachen, und vergnügt fiel Hella ein.

Wenig später brachen sie auf und bogen nach halbstündiger Fahrt in eine Allee ein, die Thormanshöfen mit der Chaussee verband. Sie führte durch ein breites Tor zu dem schloßartigen Gebäude.

Der Wagen hielt, ein Hupsignal, worauf ein Diener die Freitreppe herabeilte.

Hinter ihm wurde eine Dame sichtbar, die den Bankier freundlich begrüßte und sich mit seinen Begleiterinnen bekannt machen ließ: Frau Gudula von Wittbach, eine Tante des Barons, die nach dem Tod seines Vaters nach Thormanshöfen gekommen war und bisher seinem Hause vorgestanden hatte. Sie war groß, stattlich, blond und blauäugig, war ganz das, was man eine vornehme Dame nennt.

In ihrer gewandten Art hieß sie die Damen willkommen und sah dann ihrem Neffen entgegen, der durch die Anlagen, die das Schloß vom Wirtschaftshof trennten, eiligen Schrittes herankam.

Hella, die ihn zum ersten Mal sah, war von der Erscheinung betroffen, der etwas ungemein Vornehmes, Gebieterisches anhaftete. Seine Haltung war so unnahbar, daß sie ihm nach der Vorstellung nicht die Hand reichte.

Es war überhaupt für alle Teile ein peinlicher Moment, den der Bankier mit seiner verbindlichen Art überbrückte. »Da sind Sie ja, Herr Baron. Bitte über uns zu verfügen.«

»Dann bitte ich die Herrschaften in die Rentmeisterei, wo wir ungestört die Wirtschaftsfragen erörtern können.«

»Und wobei ich überflüssig bin«, setzte Hella hinzu. »Also werde ich mich an Ihre Fersen heften. Einverstanden, Frau von Wittbach?«

»Aber sehr, gnädige Frau.«

»Na, die wollen wir mal von vornherein streichen«, erklärte Hella in ihrer entwaffnenden Art. »Gehabt euch wohl, meine Lieben, nach getaner Arbeit meldet euch bei uns.«

Vergnügt ging sie an Frau von Wittbachs Seite die Freitreppe hinauf, während die anderen durch die Anlagen der Rentmeisterei zuschritten, wo Inspektor Gutbrod sie empfing und mit seiner jungen Herrin bekannt gemacht wurde. Er gefiel ihr auf den ersten Blick, der Mann mit der kernigen Gestalt, dem braun­roten Gesicht und den hellen blauen Augen.

Das sind gute Augen, dachte sie. Gute, treue Augen. Man kann ihnen vertrauen.

Die Rentmeisterei bestand aus einem großen Raum, in dem sich alles befand, was zu einem gut ausgestatteten Büro gehörte.

Der Baron nahm an dem Schreibtisch Platz, während die anderen sich auf die danebenstehenden Stühle setzten. Die schmale Hand mit dem schwergoldenen Siegelring griff nach einem engbeschriebenen Blatt, und die sonore Stimme, bei der man unwillkürlich aufhorchte, sprach: »Ich habe hier mal erst die notwendigsten Anschaffungen notiert…«

Nun folgten die Erläuterungen so knapp und klar, daß sie selbst einem Laien verständlich wurden.

Eine fremde Welt tat sich vor der jungen Sidonie Rauter auf. Sie hörte von Saatgut und Düngemitteln, von Heu und Klee, von Getreide und Hackfrüchten. Von Vieh, Pferden und Maschinen, von Acker, Weiden, Wald und Feld, von Inventar und Gebäudepflege. Erfuhr zum ersten Mal, was alles in der Landwirtschaft benötigt wurde.

Allmählich begann sich bei ihr Interesse an alledem zu regen.

Sie warf Fragen dazwischen, die bis ins kleinste beantwortet wurden.

»Und wie ist es mit der Überprüfung der Bücher?«

»Muß das sein, Herr Baron?«

»Unbedingt, Herr Doktor Rauter.«

»Wie oft?«

»In jedem Quartal.«

»Na, schön. April fällt ohnehin aus, da wir bereits Mitte März haben. Und bis zum Juli – nun, kommt Zeit, kommt Rat. Ist nun alles klar zwischen uns, Herr Baron?«

»Ja, Herr Doktor. Ich möchte Ihnen und Ihrer Schwester für das mir entgegengebrachte Vertrauen danken. «

»Das Sie auch – ach was, ich will keine Phrasen dreschen. Will Ihnen klipp und klar sagen, daß meine Schwester froh sein kann, den Besitz in den zuverlässigsten Händen zu wissen.«

Um keine Peinlichkeit aufkommen zu lassen, erhob er sich und die anderen mit ihm. Dann streckte er dem Mann, der schweigend verharrte, die Hand hin.

»Schlagen Sie ein, Herr Baron – und auch Sie, Herr Inspektor. Schließen wir ein Bündnis, dem kleinen Mädchen da zu Nutz und Frommen.«

Die Männerhände fanden sich mit festem Druck. Auch Sidonie verabschiedete sich mit Handschlag und verließ dann mit dem Bruder die Rentmeisterei.

*

Langsam schritten sie zum Herrenhaus zurück, das kühl und unnahbar anmutete in seiner schneeigen Weiße und den langen blitzenden Fensterreihen. Einige breite Stufen führten hinauf zum Portal, das von einem säulengetragenen Balkon überdacht wurde. Zu beiden Seiten des langen Gebäudes waren runde Erker ausgebaut, die über dem Dach zu spitzen Türmen verliefen. In der Mitte streckte sich der Hauptturm mit der Fahnenstange, die jetzt kahl war; denn ein Thormans regierten ja hier nicht mehr. Balkone und Altane vervollständigten den Bau, der die Bezeichnung Schloß mit Recht trug. Kein altes ehrwürdiges, doch stolz und feudal.

Auf den Podesten, welche die Freitreppe flankierten, standen große Marmorschalen, mit frischer Erde gefüllt, in die später Blumen gepflanzt werden sollten. Auch die Rabatten, die sich an der unteren Hauswand hinzogen, waren jetzt noch kahl, gleichfalls die Blumenkästen auf dem Balkon über dem Portal.

»Wenn hier erst alles blüht, muß es eine Pracht sein«, sagte Justus, der an der Seite der Schwester die Stufen hinaufstieg.

Da die Portaltür unverschlossen war, konnten sie sogleich die Halle betreten. Der weite Raum erhielt Licht teils durch die hohen, schmalen Buntglasfenster, teils durch das spitze Glasdach. Der Mosaikboden war stellenweise mit Teppichen belegt. Truhenbänke mit herrlichen Gobelins an den Lehnen behaupteten wuchtig ihren Platz. Auf den Borden standen altertümliche Humpen, Porträts in schweren Goldrahmen hingen an den Wänden. In einer Nische befanden sich hohe Spiegel nebst einer Kleiderablage. Vor dem Kamin standen tiefe Sessel, eine breite läuferbelegte Treppe führte nach oben – und über allem lag eine vornehme Ruhe, die geradezu einschüchternd wirkte.

»Wie in einer Kirche«, bemerkte Justus. »Also, machen wir uns auf die Suche nach den beiden Damen. Hinter welcher der vielen Türen mögen sie wohl stecken?«

»Ich glaube, dort.« Sidonie zeigte geradeaus. »Mir ist, als höre ich Stimmen…«

Womit sie recht gehört hatte; denn aus dem Zimmer, das sie zögernd betraten, rief ihnen Hella munter entgegen: »Nur immer hereinspaziert! Hier kann man futtern wie bei Muttern.«

»Was du ergiebig erprobt zu haben scheinst.« Ihr Gatte betrachtete schmunzelnd den wohlbestellten Kaffeetisch. Unter den Kuchen ist schon ganz nett aufgeräumt.«

»Wobei ich eifrig mitgeholfen habe«, gab Frau von

Wittbach der Wahrheit die Ehre.

Nachdem sie die beiden Hinzugekommenen versorgt hatte, sagte sie liebenswürdig: »Greifen Sie herzhaft zu! Stärken Sie sich nach dem schwierigen Vortrag, den Ihnen mein Neffe sicherlich gehalten hat. Sind Sie wenigstens ein wenig klug daraus geworden, Fräulein Rauter?«

»Klug gerade nicht, da mir die Landwirtschaft ein Buch mit sieben Siegeln ist. Aber was da alles angeschafft und instand gesetzt werden muß, das habe ich begriffen.

Falls Sie für den Hausstand auch noch Wünsche haben, rücken Sie nur damit heraus. Das ist dann schon ein Griff ins Portemonnaie«, schloß sie lachend, und fröhlich stimmte die Hausdame ein.

»Danke, Fräulein Rauter, ich habe keine Attacke auf die Börse vor. Sie haben mir ein so nobles Wirtschaftsgeld ausgesetzt, daß ich es kaum kleinkriegen werde. – Ja, hm – nun möchte ich Ihnen im Auftrag meines Neffen etwas von Wichtigkeit ausrichten. Er will Sie der Gutsbelegschaft als Herrin vorstellen und läßt fragen, wann es Ihnen paßt.«

»Das paßt mir überhaupt nicht!« warf Sidonie kurz ein. »Wozu das eigentlich? Für die Menschen ändert sich doch nichts, für sie bleibt alles beim alten. Selbst der Gebieter bleibt derselbe. Wenn ich mich da einmische, mache ich die Leute nur kopfscheu. Denn niemand kann zween Herren dienen.«

»Meine Schwester hat recht«, schaltete Justus sich ein. »Nur kein Aufsehen machen, das wäre ihr nur unangenehm, einfach zur Tagesordnung übergehen. Und nun, meine Lieben, wird es Zeit für uns, aufzubrechen.«

»Wollen die Herrschaften sich nicht erst noch das Haus ansehen und gleich dabei die Räume aussuchen, die Sie zu bewohnen wünschen?«

Dazu war man gern bereit und ließ sich durch das große Haus führen, das mit der gesamten Einrichtung verkauft worden war, bis auf das persönliche Eigentum des vorigen Besitzers, das er laut Vertrag hatte behalten dürfen.

Wohl war die Einrichtung hoch geschätzt worden, allerdings auch mit Recht, denn sie war äußerst wertvoll. Bewohnt hatte man unten nur vier Räume nebst dem Wintergarten, der sich dem Wohngemach anschloß, alles andere war kalte Pracht. Auch in der ersten Etage standen, außer beiden Zimmern der Hausdame, sämtliche Räume unbenutzt. Also konnte man unter mehr als einem Dutzend wählen, was hauptsächlich Hella mit Begeisterung tat. Sie fand drei zusammenhängende Räume mit Bad, die sie gleich mit Beschlag belegte.

»Schau mal, Just, die sind gerade wie für uns geschaffen!« erklärte sie eifrig. »Das große Zimmer für uns, die beiden kleineren für unsern Jungen und seine Pflegerin. Du bist doch einverstanden mit meiner Wahl, Siddy?«

»Selbstverständlich, Hella. Nimm nur das, was dir gefällt, damit du dich wohlfühlst und oft herkommst.«

»Dazu brauchst du mich erst gar nicht zu ermuntern. Ich werde mich oft genug hier einfinden, und wenn Justus geschäftlich verreisen muß, niste ich mich für die Zeit ganz hier ein. Und nun suchen wir ein Zimmer für dich aus, geliebte Schwägerin.«

Deren Wahl fiel auf den großen Raum, dessen vorgelagerter Balkon das Portal überdachte. Er war mit hellen Möbeln ausgestattet, die Polster überspannte glänzende buntgemusterte Seide. Alles in dem Gemach war hell, licht und froh. Angefangen bei den duftigen Gardinen, dem zartgemusterten flauschigen Teppich bis zu dem Stutzflügel, der inmitten des Zimmers in Weiß und Gold prunkte. In einer Nische stand das breite Bett, das man durch einen Vorhang verbergen konnte. Ankleidezimmer und Bad waren auch vorhanden, also war alles für ein verwöhntes Mädchen wie geschaffen.

»Das ist aber mal hübsch hier!« sagte Hella entzückt. »Sogar ein Flügel ist da. Wenn der nicht reizt, reizt gar nichts mehr.«

»Er reizt, Hellachen. Am Montag ziehe ich hier ein.«

Da nun alles geklärt war, fuhren die Rauters ab, und Frau von Wittbach begab sich in die Küche, um dort mit der Mamsell allerlei zu besprechen.

*

Inmitten der großen Küche stand der Herd, der zwei Feuerungen hatte, von denen jetzt jedoch immer nur die kleine in Betrieb war. Aber früher, als in dem gastfreien Haus ein reges Treiben herrschte, hatte manchmal der ganze Herd kaum ausgereicht. Doch jetzt – nein, das gefiel Mamsellchen aber auch gar nicht, die doch für ihr Leben gern kochte und brutzelte.

Auch jetzt stand sie am Herd und sah der Eintretenden in geharnischter Stimmung entgegen. Obwohl sie über eine ziemliche Körperfülle verfügte, war sie dennoch flink wie ein Wiesel. Unter dem wie blankgewichsten Scheitel rundete sich das Gesicht mit den prallen roten Backen; die kleinen graublauen Augen hatten einen scharfen Blick, dem sobald nichts entging.

Scharf war auch der gesunde Menschenverstand, der sich so leicht kein X für ein U vormachen ließ. Sie konnte arbeiten für zwei und war ihrer Herrschaft treu ergeben. Aber nur der »richtigen«. Die andere, die sich hier eingedrängt hatte, sah sie nicht für voll an.

»Sind sie endlich weg?« knurrte sie, dabei die Kochtöpfe herumstupsend, als wären sie an allem schuld. »Hoffentlich kommen sie so bald nicht wieder.«

»Annchen, wie kann man nur auf Menschen so böse sein, die man gar nicht kennt!«

»Ach was…«, winkte sie unwirsch ab. »Die machen sich hier breit, während unser armer Herr Baron…«

Sie wischte sich mit dem Handrücken über die tränenden Augen, und Frau von Wittbach sagte mahnend: »Wir haben uns damit abzufinden, Anna. Können froh sein, daß Fräulein Rauter uns übernahm, sonst hätten wir von hier fortmüssen…«

»O Gott, alles, bloß das nicht!«

»Na, siehst du. Bezwinge deinen Groll und tue weiter deine Pflicht, wie du es seit mehr als zwei Jahrzehnten hier so vorbildlich tatest.«

»Das werde ich schon, da soll mir keiner was nachsagen können. Ist das Fräulein wenigstens ein bißchen was wert?«

»Ich glaube schon.«

»Fällt es der gnädigen Frau denn gar nicht schwer, jetzt so – ich meine – nicht mehr als Herrin – man bloß so als Hausdame…?«

»Es fällt mir nicht so schwer, als wenn ich euch alle im Stich lassen müßte.«

»Großer Gott, nein – was sollten wir ganz ohne die gnädige Frau wohl anfangen!«

Ganz blaß war das sonst frische Gesicht, und Gudula streichelte über die pralle Wange ihrer Getreuen.

»Keine Angst, Annchen. Ich halte fest zu euch, wie es auch kommen mag. Wenn es sein muß, dann gehen wir eben alle von hier.«

»Dann ist’s ja gut.«

Getröstet ging Mamsellchen nun wieder behutsam mit den Töpfen um und sagte zögernd: »Ich hab hier ein so feines Gulasch, das unser Herr Baron so gern ißt. Ob Matthes ihm nicht ein Schüsselchen rüberbringen kann?«

»Auf keinen Fall, Annchen. Es darf aus dieser Küche nichts nach drüben getragen werden.«

»Na ja, ich dachte nur so. Ist das ein Jammer! Das alles frißt mich noch auf. Wird das Fräulein womöglich ständig hier wohnen?«

»Ich glaube nicht. Sie hat ein schönes Zuhause bei ihrem Bruder, der sein Schwesterchen zärtlich zu lieben scheint. «

»Ist er verheiratet?«

»Ja. Seine Frau finde ich reizend.«

»Na, na. Eindringlinge sind nie reizend«, brummte Annchen. »Hat das Fräulein etwa noch mehr Anhang?«

»Ja, ein Kind…«

»Was, das Fräulein hat ein Kind?« empörte die Brave sich, und die Hausdame lachte.

»Sie nicht, sondern ihr Bruder.«

»Ach so. Bringen sie das Balg womöglich auch noch hierher?«

»Anna –!«

Dieser zurechtweisende Ruf kam von dem Tisch her, an dem der Ehemann Mamsellchens saß, der sich bisher sehr schweigend verhalten hatte.

Wie es in Herrschaftshäusern öfter der Fall ist, hatte der Diener die Mamsell geheiratet. Dieser Ehe entsproß eine Tochter, die sich jetzt auf einer Schule befand, wo sie gründlich als Zofe und Stubenmädchen ausgebildet wurde. Da die Schule zu den besten gehörte, war sie gewiß nicht billig. Doch ihre Eltern hatten dafür gespart. Für ihre Einzige war ihnen das Beste gerade gut genug.

»Ich bin ja schon still«, sagte Annchen beschämt. Es kam selten vor, daß ihr Matthes, zu dem sie selbst nach zwanzigjähriger Ehe immer noch emporsah, sie zurechtwies. »Aber ein kleines Kind im Haus gibt immer Arbeit, und wir sind ohnehin schon ausgelastet genug. Um so mehr, da Selmas Arbeitskraft wegfällt.«

»Das weiß ich ja, Annchen«, begütigte Frau von Wittbach. »Ich werde dafür sorgen, daß noch ein Mädchen eingestellt wird.«

»Vielleicht kann es unser Dorettchen sein?« fragte die Mutter erwartungsvoll. »Sie hat jetzt ausgelernt und alle Prüfungen mit Gut bestanden. In den nächsten Tagen kommt sie nach Hause. Wie schön wäre es, wenn wir unser Kind bei uns behalten könnten! Sie wird schon ihre Arbeit zur Zufriedenheit erledigen.«

»Das wird sie gewiß, sonst wäre sie ja nicht deine und Matthes’ Tochter. Ich weiß nur nicht, ob nach der erstklassigen Ausbildung, die ihr zuteil wurde, das hier der richtige Posten für sie wäre.

Nun, wollen mal sehen«, beendete Frau von Wittbach das Gespräch, da ein Mädchen eintrat. »Ich gehe ins Verwalterhaus und werde dort zu Abend essen.«

*

Gudula durchschritt die Pforte und bog ab in einen Gang, der links von einer hohen Mauer, rechts von den Anlagen umgeben war und auf den Gutshof mündete. Der weite Platz war von Gebäuden umstanden. An den Querseiten von dem Verwaltungsgebäude und den Gutsbeamten-Häusern, hinter denen sich eine riesige Scheune erstreckte, an den beiden Längsseiten von Stallungen und Speichern. Ferner gab es Wagenremisen, eine Garage und Schuppen.

Inmitten des Hofes stand ein mächtiger Kastanienbaum, dessen dicken Stamm eine Bank umrundete – und überall herrschte mustergültige Ordnung und Sauberkeit.

In dieser Abendstunde lag der Hof verlassen da, denn das Tagewerk war vollbracht. Auch für den Verwalter, der geruhsam beim Abendessen saß in dem kleinen Gemach, das neben der Küche lag und dem früheren Bewohner des Hauses als Anrichteraum gedient hatte. Jetzt war er mit Möbeln aus dem Schloß behaglich ausgestattet.

Der Raum nebenan war so groß, daß die wuchtigen Möbel aus dem Arbeitszimmer des früheren Schloßherrn bequem Platz fanden. Auch die Sachen aus seinem Schlafzimmer hatte er mit herübergenommen, außerdem noch soviel, um ein Stübchen für seine Wirtschafterin und die Küche möblieren zu können.

Als Frau von Wittbach eintrat, sprangen ihr die beiden Hunde, Spaniel und Langhaardackel, freudekläffend entgegen. Erst als das liebe Frauchen sie getätschelt hatte, gaben sie Ruhe.