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Vorsicht vor dem Schwarzen Kamel - es könnte überall um die nächste Ecke lauern, und das kann unangenehme Folgen haben. Dieser Band vereint in deutscher Erstübersetzung zwölf Erzählungen, in denen guten weißen Männern und Frauen im Orient von bösen braunen Männern oft unter Mithilfe übernatürlicher Mächte übel mitgespielt wird. Das ist der rote Faden, der sich durch diese Geschichten zieht, die in der Blütezeit der amerikanischen Pulp-Literatur in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorherigen Jahrhunderts erschienen sind. Wenn sich das Genre insgesamt schon nicht durch politische Korrektheit auszeichnet, so tut sich hier G. G. Pendarves im Besonderen hervor. Tibetanern, Tuareg und vor allem Jesiden werden Eigenschaften zugeschrieben, dass dem heutigen Leser die Haare zu Berge stehen möchten. Doch gemach - für ein gutes Ende ist (fast) immer gesorgt.
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Seitenzahl: 571
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Das schwarze Kamel
Die Macht des Hundes
Der verschleierte Leopard
Der geheime Pfad
Dreißig Silberlinge
Der Altar des Melek Taus
El Hamel, der Verlorene
Der Dschinn von El Sheyb
Abd Dhulma, der Herr des Feuers
Passierschein für die Wüste
Ein Werwolf in der Sahara
Der Herrscher von Zem-Zem
Nachwort
Originaltitel und Quellen
Literaturhinweise
Der Zug der Linie „L" dröhnte und ratterte die Bleecker Street entlang auf die Innenstadt zu und trug seine Last müder Passagiere noch weiter in die unwirtliche Düsternis voran.
Aber es war nicht das unfreundliche Wetter, das einen Mann dazu veranlasste, mit einem so offensichtlichen Widerstreben an der Bleecker Street auszusteigen. Er hielt sich im Schatten und ließ seine Mitreisenden vor sich durch die klappernden Ausgangsschranken gehen, und mehrmals blickte er besorgt über seine Schulter zurück, um sicherzustellen, dass ihm niemand die Treppe hinunter auf die Straßenebene folgte.
Das Weiß seiner Augen glänzte, als er sich von einem Verkehrsstrom in Richtung Süden aufgehalten sah, und anstatt zu warten, eilte er unter dem „L“ entlang, überquerte die Straße zwei Blocks weiter oben und kehrte zur Bleecker Street auf der anderen Seite zurück. Dann wandte er ihr wieder den Rücken zu und hastete stadteinwärts, drückte sich mehrere Blocks die Wooster Street entlang, um dann nach Osten abzubiegen und schließlich über die Greene Street wieder in die Vorstadt zurückzukehren.
Er schlüpfte und drehte sich durch die Menge – Pendler, die zu den Zügen nach Haus eilten, Botenjungen, Käufer, zusammen mit jener unbestimmten treibenden Masse der Menschheit, die den neutralen Hintergrund von New York bildet. Abel Gissing verschmolz ohne Anstrengung mit diesem Hintergrund, denn in seinem schlanken Körper, seinem schmalen Gesicht und seinen schattigen Augen gab es nichts, was ihn von den Hunderten unterernährter Männer und Frauen unterschied, die wie Unrat, der auf dem Busen der großen Gezeitenwelle treibt, die Straßen hin und her, auf und ab geschwemmt wurden.
Nur der Schein des Schreckens in seinen Augen, die nervöse Spannung seines Körpers, das schnelle Zischen eines eingezogenen Atems, als ein Passant ihn grob schubste, hoben ihn auf jeden Fall von der Masse ab. Hier war etwas Gejagtes, das Zuflucht suchte!
Als Gissing zum dritten Mal in die Bleecker Street kam, schaute er sich heimlich um, zögerte, überquerte die Straße, überquerte sie zurück. Dann endlich fasste er plötzlich einen Entschluss, schob die Tür eines düsteren kleinen Ladens auf, ging hinein, schloss sie schnell hinter sich und starrte sprachlos auf den Mann, der sich erhob, um ihm entgegenzutreten.
Isaak Volk erfasste die Situation mit der Intelligenz eines Menschen, der schon lange von seiner Gewitztheit gelebt hat und daran gewöhnt war, alle möglichen Situationen, egal wie kompliziert sie auch sein mochten, zu seinem eigenen Vorteil zu wenden.
Hier war ein Mann im äußersten Zustand panischer Angst! Offensichtlich hatte er etwas loszuwerden, oder er hätte nicht Zuflucht in einem Pfandhaus gesucht, und offensichtlich wollte er es sofort loswerden und würde sich nicht aufhalten, um lange zu diskutieren oder zu handeln.
Die Augen des Juden verengten sich, jeder Instinkt in ihm wachsam und geschärft. Hier war ein Vogel zur Hand, um ihn zu rupfen, und seine Finger waren begierig auf den Job.
Gefahr? Was sollte ihm die Gefahr! Isaak Volk war umgeben von Risiken aufgewachsen und groß geworden, denn man macht keine Geschäfte mit der Unterwelt und verkehrt nicht mit Giftmischern, Dieben und Mördern ohne Risiko. Gefahr ... Er war dahin gekommen, dass er den Geschmack davon brauchte, wie sich ein Matrose nach dem Hauch des Salzes auf seinen Lippen sehnt oder wie sich ein Wüstenwanderer grenzenlose Horizonte wünscht. Er legte seine schmutzigen, krallenartigen Hände auf den Tresen vor sich, lehnte sich darüber und beobachtete seinen Besucher schweigend.
Gelbe Lichtschimmer einer flackernden Öllampe, die von der niedrigen Balkendecke hing, enthüllten und verdeckten halb die Gesichter der beiden Männer, die dort wie zur Unbeweglichkeit erstarrt standen, und Misstrauen kämpfte mit größter Panik auf Abel Gissings blassen Zügen, während sich Gier, Geschick und unendliche Geduld auf der fahlen, mit Schmutz verschmierten Fratze des Juden abzeichneten.
Plötzlich ging Gissing mit leichten nervösen Schritten schnell zu dem Tresen hinüber und zog ein Päckchen unter seinem Mantel hervor.
„Nehmen Sie es!“, sagte er mit leiser, zittriger Stimme. „Nehmen Sie es! Ich habe von Ihnen gehört ... Ich weiß, dass Sie nichts fürchten – niemanden! Nehmen Sie es, und mögen Sie niemals ...,
Er brach ab, als der Türriegel heftig klapperte, sprang über den niedrigen Tresen, kauerte sich zwischen diesen und die Wand und umklammerte Volks Beine. Eine laute heisere Stimme war von draußen zu hören, verfluchte den Laden und alles darin einschließlich des Besitzers. Gissing erhob sich mit einem hörbaren Seufzer der Erleichterung.
„Ich dachte, es wäre ... er!“, murmelte er.
Volk öffnete inzwischen das Päckchen und nahm keinerlei Notiz von dem Verhalten seines Mandanten oder von den lauten Lästerungen, die vor seiner verschlossenen Tür weitergingen.
Volk entfernte die Öltuchumhüllung und legte so ein quadratisches Kästchen aus Sandelholz mit Elfenbeinintarsien und einem erhaben geschnitzten arabischen Schriftzug frei. Die „Hand der Fatima“ war exquisit dort geschnitzt, wo ein Schlüsselloch hätte erwartet werden können, und als Volk diese mit eifrigen, forschenden Fingern drehte, fand er das Kästchen in seinen Händen offen, und sogar seine harten Augen wurden beim Anblick des Schatzes darin weich.
Er zog ihn geschickt genug heraus, hielt die lange leuchtende Kette hoch ins Licht, und das Blut strömte heiß und schnell in seinen Venen, wie es einem Mann nach einem Schluck seltenen, lange gereiften Weins ergehen mochte.
„Rubine?“
„Nein“, antwortete Gissing flüsternd, „Rosensmaragde! Die Araber nennen sie den Zom Allahs ... den Zorn Allahs! Sie hat eine Geschichte, diese Kette von Steinen ..., zu lang, um Ihnen jetzt alles zu erzählen. Sie kam aus dem Osten, dem Fernen Osten, in der Antike ..., lange bevor sie die Araber zu fassen bekamen.“
„Und Sie ..., wo haben Sie sie her?“, fragte Volk, und seine schwarzen Augen bohrten sich in die ausweichenden Augen seines Besuchers.
„Aus ... Nordafrika ... der Wüste.“
„So!“, antwortete Volk „Und der Verschluss?“
„Ich habe es nie herausgefunden“, sagte Gissing. „Er ist natürlich nicht Teil der ursprünglichen Kette. Ich habe noch nie einen schwarzen Stein wie ihn gesehen, er ist in Form eines Kamels geschnitten, weil die Steine jetzt zu einer Geheimgesellschaft gehören, die Schwarze Kamele genannt wird. Mein Gott!... Die Schwarzen Kamele!“ war Gissings verzweifeltes Flüstern.
Volk zog sich an das Hinterzimmer seiner Höhle zurück und blieb dort eine lange Zeit, untersuchte die Juwelen und prüfte sie, während der andere Mann murmelnd und zitternd am Tresen wartete.
„Sie scheinen echt zu sein“, lautete schließlich Volks Urteil.
„Echt!“ Gissings Stimme brach auf einem hohen hysterischen Ton. „Würde ich für eine Kette von Glasperlen durch die Hölle gehen? Sie sind mehr wert, als Sie oder jeder Mann in dieser Stadt bezahlen kann. Sie sind unbezahlbar! Es gibt nichts wie sie auf der ganzen Welt, sage ich Ihnen! Sie stammen aus der Zeit von Tyros und Sidon und aus der Zeit, als die Phönizier Tarsus bauten und Silberminen in Spanien besaßen. Diese Steine wurden von ihnen aus Syrien gebracht und gingen in ihrem Besitz von König zu König über. Jetzt gehören sie den Schwarzen Kamelen und ihrem Anführer ...“
„Wer ist er?“
„Keine Namen ..., nicht einmal hier! Ich sehe sein Gesicht überall ... Ich höre seine Stimme! Er ist der Herr der Wüste ..., Herr über eine schreckliche Rasse in der Wüste. Ihre Festung ist eine riesige ummauerte Stadt, gebaut aus Salz, und vom Alter schwarz. Diese Edelsteinkette war die Herrlichkeit seines Volkes.“
„Aber was ist sein Volk?“ beharrte der Jude.
„Tuareg-Araber ..., der Abschaum der Wüste ..., Gesetzlose, Mörder, Räuber, Banditen jeder Art, die sich zusammengetan haben und sich die Schwarzen Kamele nennen, weil der Tod immer an ihrer Seite steht. Die Wüstenstadt ist ihr Hauptquartier, aber ihre Anhänger sind überall. Sie sind eine sehr starke, sehr schreckliche Geheimgesellschaft ..., Jünger des Zoroaster ...,Feueranbeter!“
Volk blickte ausdruckslos und ungläubig angesichts dieser fantastischen Geschichte. In dem kleinen staubigen Laden herrschte Stille. Der Besitzer der Stimme draußen war mit einem letzten Fluch zum Abschied gegangen, und der frenetische Verkehr hatte eine Pause eingelegt. Nur das brodelnde Flackern der Lampenflamme über ihren Köpfen war zu hören.
„Dieser Verschluss bedeutet Gefahr ... Er ist ein Symbol des Todes!“, fuhr Gissing im Flüsterton fort. „Tod für jeden, der das Heiligtum der Juwelen schändet! Tod für diejenigen, die den Zorn Allahs mit profanen Händen berühren! Tod für mich ..., für Sie ..., für jeden, sage ich Ihnen!“
Ein wildes Lachen kam über Gissings Lippen, aber der Jude klatschte ihm eine schmutzige Hand über den Mund.
„Tod für Sie, wenn Sie wollen! Was mich betrifft, ich habe keine Angst vor Ihren Arabern und Ihren Geheimgesellschaften. Außerdem ..., was hat die Wüste mit uns hier zu tun?“
„Das Schwarze Kamel bedeutet den Tod, sage ich Ihnen. Wandelt der Tod nicht hier ebenso wie in der Wüste?“
„Und wie ist es Ihnen gelungen, damit wegzukommen?“ Gissings Augen, die in widerwilliger, leidenschaftlicher Bewunderung fest auf die rosaroten Steine gerichtet waren, huschten angstvoll in die Richtung seines Gesprächspartners.
„Fragen Sie mich nicht, Mann“, sagte er bedeutsam. „Das ist meine Angelegenheit, nicht Ihre. Ich wünschte bei Gott, dass ich es nie gesehen, noch nie von den Schwarzen Kamelen und ihren heiligen Juwelen gehört hätte! Noch nie einen Araber gesehen hätte _ oder in die Nähe der Wüste gekommen wäre! Wenn ich nur könnte ...“
„Hören Sie auf damit!“, unterbrach ihn der Jude grob. „Ich gebe Ihnen meinen eigenen Preis für diese Steine, da Sie ..."
„Ihren Preis!“ Ein Hauch von Verachtung ließ die Stimme des anderen kräftiger erscheinen. „Sie sind unbezahlbar ..., unbezahlbar! Aber ja ..., ja ..., nehmen Sie sie“, fügte er hastig hinzu, als eine Windböe an dem verrückten Gebäude rüttelte und wild durch Lüftungsöffhungen und Löcher im Dach und in den Wänden heulte. „Verstecken Sie sie schnell, bevor ich meine Meinung ändere. An die langen Jahre zu denken, die ich in der Wüste verbrachte, um diese verfluchten Juwelen zu erlangen ... Tod auf fast jedem Schritt des Weges ... und jetzt ...“
Jetzt wollen Sie sie nicht haben.“
„Ich habe Angst ..., Angst!“ Die heisere Stimme sank auf ihren leisesten Ton. „Die Schwarzen Kamele sind mir auf der Spur. Er ist mir gefolgt ..., er ist hier in dieser Stadt ..., in dieser Straße vielleicht. Er ist ein Teufel ..., schrecklicher als der Tod selbst. Ich wage es nicht, die Steine zu behalten. Ich wage es nicht, sie zu behalten ..., aber ... aber ...“
Seine Hände bewegten sich hin zu der wunderbar schimmernden Reihe von Juwelen, jeder Stein das glühende, lebendige Herz einer Rose ..., das wahre Feuer und das innerste Wesen dieser perfekten Blume!
Isaak Volk ließ die Juwelen in das Kästchen fallen, schloss es und wickelte jäh das Öltuch darum.
„Zweitausend Dollar“, sagte er, und sein dünner gekrümmter Mund schloss sich wie ein Tellereisen über seinen Worten. „Das bringt ein paar Meilen zwischen Sie und die Schwarzen Kamele und all den Rest Ihres Phantomzoos, denke ich.“
Gissing antwortete nicht. Als die leuchtenden Rosenjuwelen seinem Blick entzogen waren, erstarb das letzte Flackern von Energie in ihm, und er brach zwischen den fettigen Kleidungsstücken zusammen, die an der Wand hinter dem langen Tresen hingen.
Der Jude brachte einen Fingerhut von abscheulichem Schnaps und zwang ihn dem anderen in die Kehle; dann zählte er eine Rolle von Banknoten ab und gab sie Gissing.
„Sie gehen besser“, sagte Volk. „Ich will hier keines Ihrer Kamele haben – schwarz oder weiß! Um nichts von den Bullen zu sagen. Kommen Sie jetzt – hinaus von hier!“
Halb trug, halb schob der Jude den unglücklichen Gissing grob stützend quer durch den staubigen Raum, zog den Riegel zurück und legte seinen Besucher geschickt auf den schleimigen, unebenen Stufen vor seiner Tür ab.
„Kommen Sie nie wieder hier in die Nähe“, warnte er. „Was Sie getan haben, weiß ich nicht – und kümmert mich auch nicht. Aber bringen Sie Ihre Probleme nicht hierher – das ist alles.“
Er betrat sein Haus wieder und verriegelte die Tür erneut von innen, und er begab sich direkt zu dem Kästchen aus Sandelholz, holte die Juwelen heraus und setzte sich, um sie in aller Ruhe zu untersuchen.
„Der Kerl war verrückt, denke ich!“, murmelte er nach einer Weile. „Ich würde mich an meinen Daumen hängen lassen, bevor ich sie so hergeben würde. Diese Geschichte von den schwarzen Kamelen! Wie zum ..., hat er sich das ausgedacht? Wovon ist er jedenfalls weggelaufen? Schwarze Kamele – ha! Diese Schönheit – und er berührte den Verschluss – „ist das einzige Kamel, das ich hier haben werde, nehme ich an.“
Es war ungefähr vierundzwanzig Stunden später, als Gissing zu dem Pfandladen zurückkehrte. Mitternacht war vorüber, und obwohl in modischeren Vierteln das Leuchten, das Wirbeln der Autos, das Tönen vieler Hupen noch anhielt, umhüllte in der Bleecker Street eine schwere, bleierne Stille das schmuddelige Viertel. Die endlosen Reihen grauer Dächer, die tristen Fenster, die hoch aufragenden Fabriken, die von Fliegenlarven befallenen Läden, die riesigen Lagerhäuser, die protzigen Kinos und die unbebauten Grundstücke, übersät mit Ziegelsteinen und Papier und Holz, all dies wurde in barmherzige Schatten gehüllt von einem untergehenden Mond, dessen schräge Silberstrahlen selbst der unschönen Umgebung der Bleecker Street Romantik verliehen.
Hier und da leuchteten die Lichter schwach, als Gissing dort entlangeilte, aber das kleine quadratische Fenster von Isaak Volks Haus lag im Dunkeln, und die Tür war fest verschlossen.
Gissing streckte eine vorsichtige Hand aus und hob den rostigen Riegel der ramponierten Tür an, und zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass der Riegel innen nicht zugezogen worden war. Die Tür öffnete sich langsam nach innen, als er sie von sich wegschob, und während er zögernd dastand, stieg die düstere, stinkende Atmosphäre des Innenraumes wie eine böse Wolke zu seinem Gesicht auf.
Sehr vorsichtig stahl er sich hinein, ganz sanft schloss er die Tür hinter sich und stand angestrengt horchend da, seine Augen weit offen und angespannt in dem Versuch, die tiefschwarze, übel riechende Dunkelheit der Bude zu durchdringen.
Allmählich verlangsamte sich sein Herzschlag, er leckte seine trockenen Lippen und schluckte krampfhaft. Er holte seine Taschenlampe heraus und schickte einen schmalen Streifen Licht quer durch die Düsternis und bewegte ihn hin und her durch den schmutzigen Raum, als er mutiger wurde.
Plötzlich hielt er das bewegte Licht still und zeigte auf eine dunkle Ecke, wo Volk ein altes Himmelbett verstaut hatte, auf dem einige unaussprechliche Bettlaken und ein paar schäbig aussehende Pelzmäntel gestapelt waren.
Vom Schock gelähmt hielt Gissing das Licht für eine merkliche Zeitlang still und hatte seine Augen auf den kräftigen Umriss einer Zeichnung gerichtet, die in schwarzer Holzkohle an der Wand neben dem Bett skizziert war. Es war die Darstellung eines Kamels – eines schwarzen Kamels –, das seine Taschenlampe ihm zeigte.
Nicht nur das. .., da war noch etwas anderes ..., etwas, auf das Gissing mit offenem Mund und einem kalten, kranken Gefühl in seiner Brust starrte und starrte.
Endlich begann er, mit einem seltsam schluchzenden tiefen Atemzug und aus Angst davor, dem, was er sah, den Rücken zu kehren, wieder zur Tür hin zurückzugehen. Als seine kalten Finger der hinter ihm tastenden Hand den Riegel berührten, schleuderte er seine Taschenlampe zu Boden, riss die Tür auf und ließ sie im Nachtwind hin- und herschwingen, während er unter dem Schatten des eisernen Daches des Bahnhofs der „L“ – Linie flüchtete, bis er nicht mehr laufen konnte.
Er wusste ohne jeden Zweifel, wer jetzt den Zorn Allahs besaß!
Es war Buzak, der Herrscher von El Zoonda – dieser arabischen Stadt in der Wüste, Hochburg der schrecklichen Bruderschaft der Schwarzen Kamele.
Buzak der Weißfuß, so genannt wegen seines verbrannten Fußes, dessen Haut durch seine Verletzung für immer gebleicht und zerknittert war.
Buzak, der ihn durch die Wüste und über die Ebene, durch Städte und über den weiten Ozean verfolgt hatte, bis er seine Juwelen wiedergefunden hatte.
Gissings Hände fuhren sich zitternd an die Kehle, als er sich an die aufgeblähten, verzerrten Zuge Isaak Volks erinnerte, wie er furchtbar an seinen eigenen Deckenbalken baumelte. Volk war langsam gestorben ...,Zoll und Zoll ... war ihm der Atem in unendlich kleinen Schritten aus dem Körper gepresst worden ..., mit vielen Pausen während der Folter, damit sich die Lunge des Opfers wieder füllen konnte. Ja! Volk war in dieser Nacht viele Tode gestorben, Gissing wusste es genau.
Er hatte lange genug in El Zoonda gelebt, um mit Buzaks Methoden schrecklich vertraut zu sein: Denn dort, geschützt durch seine kluge Verkleidung, sein intimes Wissen um die Wege und der Sprache der Araber und vor allem durch seine schmerzhafte Initiation als Mitglied der Schwarzen Kamele, hatte er viele unvergessliche Verbrechen des Weißfußes erlebt
Und dennoch ...,dennoch begann die schimmernde rosarote Ausstrahlung der verlorenen Juwelen wieder, ihm zuzuwinken..., ihm wie ein falsches Sumpflicht zu leuchten, das ihn hin zur Vernichtung lockte.
Dieser unvergleichliche Liebreiz ..., das Licht und die Wärme der ganzen Welt waren in diesen Steinen gefangen!
Er vergaß Isaak Volk ..., er vergaß vergangene Gefahren ..., er vergaß die fast übermenschliche Kraft und die Gerissenheit Buzaks, seines Feindes.
Er dachte nur noch daran, dass Buzak ihn verfolgt, ihn seines Schatzes beraubt hatte, den er lieber hatte als das Leben, und mit jeder Minute, die verging, war dieser Schatz immer weiter von ihm entfernt.
Gissings Angst fiel von ihm ab wie ein Mantel.
„Ich werde ihn verfolgen, wie er mich verfolgt hat“, beschloss er. „Ich werde ihn finden und töten, bevor er seine Wüstenstadt erreicht, und die Juwelen sollen mein sein ..., wieder mein.“
Es war ein verwandelter Gissing, der in Algier von Bord ging und den Zug nach einer kleinen Stadt mit weißen Mauern am Rande der Wüste nahm. Äußerlich verändert durch Bart und Brille, einen Tweed-Anzug von bemerkenswerter Aufmachung, Gamaschen, dicken Stiefeln und einen grünlichen Velourshut mit einer Feder, die in dessen Band steckte, so gab er das Bild eines ungereisten Touristen aus dem Land von Wagner und Bier ab.
Aber innerlich war die Verwandlung noch viel verheerender. Der ganze Charakter des Mannes war gegenüber dem des Gissings, der vor nur drei kurzen Wochen vor Angst zitternd in diesen Pfandladen in der Bleecker Street geschlichen war, erstaunlich verändert.
Ein Irrenarzt hätte erkannt, dass hier ein Mann war, dessen Verstand auf einen Abgrund zuwankte, ein Mann, der von einer fixen Idee besessen war und getrieben wurde, ein Mann, der aufgehört hatte, nachzudenken oder zu überlegen, und der in blind hetzenden Kreisen in Richtung der Mitte des Strudels zuraste, der ihn in Kürze in seinem Wirbel von Wahnsinn und Tod verschlingen würde.
Seine Angst vor Buzak wurde von der überwältigenden Raserei der Gier völlig überschwemmt, die ihn wie einen Dämon trieb. Blindes, ungebremstes, krankes Verlangen, das nach seinem verlorenen Schatz griff und die Hindernisse auf seinem Weg verbrannte, wie eine gefräßige Flamme an Holz und Stroh leckt.
Am nächsten Abend machte sich Gissing auf den Weg durch die gewundenen Gassen der Stadt mit ihren hohen Mauern, bis er vor einer nagelbesetzten Tür stand, die ihm sehr vertraut war. Er hob ihren schweren Eisenklopfer, und nach einer kurzen Pause wurde ihm die Tür geöffnet. Es gab eine schnelle Frage, eine Antwort und einen Ausruf in freudigem gutturalem Arabisch, als die Tür weit offen gehalten wurde, damit Gissing eintreten konnte.
Es dauerte eine Stunde, bis er wieder auftauchte, eingewickelt in einen voluminösen Burnus, dessen Kapuze weit über seinen Kopf und sein Gesicht tief nach unten gezogen war und der die seltsame Kleidung und die Maske völlig verbarg, die er darunter trug. Es war das zeremonielle Gewand, das jedes Mitglied der Schwarzen Kamele trug, wenn sie zu einer allgemeinen Versammlung zusammenkamen. Bei diesen Treffen verkleidete sich der Bruder vor dem Bruder so vorsichtig wie von einem Feind, und sie waren einander nur durch Zahlen bekannt. Sogar Buzak, der Erzteufel von allen, mischte sich auch als Zahl unter die geringeren Brüder, und niemand konnte sagen, was diese Zahl war.
Allein Buzaok hielt den Schlüssel zu der Identität jedes Bruders in der Hand, und deshalb hatte Gissing die arabischen Ziffern, die mit silbernem Faden in den Schleier genäht waren, den er trug, geschickt verändert, und er war nun 901.
Er musste die Möglichkeit riskieren, dass der echte 901 auf der Versammlung anwesend war, zu der er sich begab, aber sein ganzes Leben war nun ein gigantisches Risiko – Details beunruhigten ihn nicht!
Immer weiter ging er durch die übelriechenden, labyrinthartigen ursprünglichen Gassen, bis er eine dunkle, von Bäumen beschattete Allee und ein massives Eisentor erreichte, das in eine hohe weiße Wand eingelassen war.
„Das Schwarze Kamel geht schnell“, sagte er auf Arabisch, als sich eine große Gestalt näherte, die in einen Burnus wie sein eigener eingehüllt war.
„Wo geht es?“
„Über das graue Antlitz der Wüste“, lautete Gissings prompte Antwort.
Der Torhüter winkte ihn weiter, und in wenigen Augenblicken entledigte sich Gissing seines schweren Burnusses und stand in der reichen schwarzen Seidenrobe seines Ordens da.
Um ihn herum waren Dutzende ähnlicher Gestalten, alle in Schwarz, alle trugen einen Kopfschmuck in Form eines Kamels, alle mit einem langen schwarzen Seidenschleier, der unter den Augen bis zum Saum ihrer Gewänder fiel, und jeder Schleier war mit einer silbernen Zahl geschmückt. Sogar Stimmen wurden verstellt, und Gissing sprach wie der Rest durch ein kleines Mundstück, das die Sprache seltsam schrill und zischend machte.
Gissing wusste, dass Buzak in der Stadt war und Männer und Kamele und Proviant für die lange Reise durch die Wüste nach El Zoonda zusammenstellte. Diese Tatsache war leicht zu ermitteln gewesen. Und da er der Anführer der Schwarzen Kamele war, wäre sein Feind mit ziemlicher Sicherheit auf dieser, der wichtigsten Versammlung des Jahres anwesend.
Gissing mischte sich frei unter die Menge, so begierig, Buzak zu finden, dass er die Gefahr aus den Augen verlor, seine eigene Nummer von Angesicht zu Angesicht zu treffen. Wie entdeckte man Buzak? Wie unterscheidet man ihn in dieser Masse schwarz gekleideter Brüder?
In Paaren, in Gruppen, manchmal einzeln begannen die Brüder, sich wie ein Schwarm von Amseln in der großen Kuppelhalle niederzulassen, sich auf Stapel weicher Kissen zu legen oder sich mit gekreuzten Beinen auf wunderbare Seidenteppiche zu hocken, die über den Mosaikboden verstreut waren. Widersinnig genug sahen sie aus – düstere, makabre Gestalten an dem geräumigen, strahlenden Ort mit seinen geschnitzten weißen Säulen und maurischen Bögen, seiner orientalischen Farbenpracht, seinem Duft nach Weihrauch und Rosenöl und seiner allgemeinen Atmosphäre der Leichtigkeit und Sinnlichkeit.
Dann führte Glück – blindes Glück – dazu, dass sich Gissing in einem bestimmten Alkoven niederließ. Mehrere andere Brüder saßen bereits dort und tauschten Bemerkungen über die eigentümliche Sprache aus, die ihre Mundstücke hervorbrachten.
Einer der Insassoen des Alkovens bewegte sich leicht, um dem letzten Ankömmling Platz zu machen, und dabei zog er an der Robe eines Mannes an seiner Seite und entblößte einen Augenblick lang den eine Sandale tragenden Fuß seines Nachbarn. Es war nur ein flüchtiger Blick, den Gissing darauf hatte, aber das war genug. Er erkannte, dass der Fuß mit seiner gebleichten, faltigen Haut wie die Hand einer Waschfrau gerunzelt und zusammengezogen war.
Das war der Weißfüßige selbst – Buzak der Weißfuß, der da in Reichweite seiner Hand saß! Gissing zitterte aufgrund des Schocks seiner plötzlichen Entdeckung, und einen Augenblick lang flatterte die silberne Zahl auf dem Schleier seines Feindes und verschmolz undeutlich vor seinen Augen.
Er kämpfte verzweifelt gegen das Gefühl des blendenden Schwindels an und fürchtete, dass sein Glück dahin sein könnte, bevor es ihm möglich war, einen Nutzen daraus zu ziehen, und dass Buzak und seine Zahl wie eine Fata Morgana in der Wüste verschwinden würden. Er ballte seine Fäuste unter den langen, lockeren Ärmeln seines Gewandes und zwang sich zur Ruhe. Langsam hörte das Blut auf zu klopfen und in seinen Ohren zu rauschen, langsam klärte sich sein Sehvermögen, und er sah die glitzernde Zahl wieder scharf und deutlich.
„27.
Gissing lehnte sioch schwer gegen eine nachgiebige Masse von Kissen zurück und schloss die Augen.
„Ich habe ihn!“, sagte er sich, und ein gewaltiger Jubel stieg in ihm auf. „Ich habe ihn! Ich werde heute Abend meine Privilegien in Anspruch nehmen, solange das Glück mir hold ist ..., es kann mich jetzt nicht im Stich lassen! Was für ein Glück ..., was für ein erstaunliches, kolossales Glück ... In einer weiteren Stunde sind die Juwelen ... Nein, nein ... Ich darf noch nicht an sie denken.“
„Brüder des Schwarzen Kamels.“ Das seltsam zischende Gezwitscher zahlreicher Stimmen hörte abrupt auf, als Bruder 901 ein Dutzend Stufen zu einem Podium am Ostende des großen Saales hinaufstieg und sich gegen einen schweren safranfarbigen Brokatvorhang abzeichnete.
„Brüder des Schwarzen Kamels!“ Gissings Stimme war selbst in seiner Verkleidung von einem Ende des Raumes bis zum anderen zu hören. „Ich beanspruche eine Gunst und ein Privileg aus euren Händen.“
„Sprich, Bruder!“, antworteten Stimmen aus allen Richtungen.
„Heute Abend ist an diesem Ort mein Gesicht besudelt worden, und die größte Beleidigung, die ein Mann einem anderen zufügen kann, habe ich erlitten. Nur der Tod kann die Erinnerung an meine Schande auslöschen.“
„Sprich weiter“, beofahlen schrille Stimmen.
„Ich hörte zufällig das Gespräch zwischen zwei Brüdern hier heute Abend, als ich im tiefen Schatten hinter einer Säule saß. Ein Bruder prahlte einem anderen gegenüber, dass er der Geliebte meiner Frau wäre, und er warf Schlamm und Dreck auf meinen Namen als einem alten, schwachsinnigen Narren, der nicht in der Lage wäre, seinen eigenen Schatz zu bewachen.“
Einer der Brüder, ein außergewöhnlich großer Mann, stand auf und zischte:
„Es wurde dir großes Unrecht zugefügt. Welche Gunst erbittest du aus unseren Händen?“
„Das Privileg der Jagd!“
Bei diesen Worten brach ein Stimmengewirr los. Selten wurde dieses tödliche Privileg gefordert, und der Gedanke an das düstere Spektakel, das sie miterleben sollten, weckte die primitiven Emotionen der Araber zu fiebriger Hitze.
Der große Bruder sprach wieder:
„Es ist dein Recht, Bruder 901. Hast du die Strafe wohl bedacht, wenn du fehlst – sollte dein Bestreben nicht der Wahrheit entsprechen?“
Gissings angeheizte Vorstellungskraft war nicht der Lage, eine falsche Anschuldigung oder eine Strafe zu bedenken, und er antwortete:
„Ich kann nicht fehlen.“
„Sprich also, Bruder 901. Wer ist er, den du in die Finsternis jagen willst.., wer wird vor deinem Zorn fliehen in die Schatten der Nacht?“
„Wer Schande und Unehre über mein Haus gebracht hat, ist Nummer – 27!“
„Bruder 27 – 27 – 27!“
Der Ruf ging von Mund zu Mund, all die grotesken Kamelköpfe wandten sich und bewegten sich blindwütig hin und her, als jeder Bruder versuchte, den Besitzer der tödlichen Zahl zu identifizieren.
Daonn öffnete sich eine breite Gasse, um die Nummer 27 preiszugeben, die ein kleines Stück abseits stand, sehr still und ruhig und unheilvoll. Eifrige Hände ergriffen ihn, schubsten ihn, schoben ihn, bis er auf dem Podium seinem Ankläger gegenüberstand.
Bruder 27 war in der Tat in die Enge getrieben! Nur ein Genie oder ein Verrückter hätte einen solchen Plan entwerfen können, um ihn schachmatt zu setzen. Als einer der Brüder konnte selbst Buzak die Herausforderung der Jagd nicht ablehnen, ohne ein höchst heiliges und bindendes Gelübde zu brechen. Seine Gelübde zu brechen hieß, das Gesicht unwiderruflich vor den Brüdern, Prestige und Macht und letztlich die Führung zu verlieren, und das bedeutete auch das Ende von ihm als Herrscher von El Zoonda, denn die Schwarzen Kamele waren die Macht hinter seinem Thron, und sie allein sorgen für die Sicherheit des grausamen unmenschlichen Anführers in seiner eigenen Stadt.
Die Jagd musste stattfinden – und Buzak musste wie ein Ding aus dem Dschungel dem Jäger ausgeliefert kriechen, wenn nicht das Glück ihn von seinem unerbittlichen Feind erlöste.
Gissing lachte in seinen neu gewachsenen Bart, als er ruhig auf die schwarze Gestalt starrte, die ihm gegenüberstand.
„Welcher Wahnsinn hat dich ergriffen?“, zischte eine Stimme unter dem Schleier von 27. „Ich sprach kein Wort von deiner Frau – oder von irgendeiner Frau.“
„Waollahi! Deine Erinnerung ist so kurz wie dein verbleibendes Leben!“
„Du sollst heute Abend kalt unter dem Mond liegen“, war die Antwort. „Ein gejagtes Ding hat Zähne und Klauen!“
„Du sagst es wohl! Klauen zu lang und scharf, deshalb werde ich sie für dich stutzen!“, war Gissings Erwiderung.
Während dieses kurzen Dialogs hatten sich all die Brüder geräuschlos zurückgezogen, die wie Rußflocken aus dem geräumigen Saal dahingeschmolzen waren, aber ihr bestürztes Reden waor von allen Seiten zu hören, wo die tiefen Balkone um die vier Wände herum verliefen.
Die Lichter gingen mit der schnellen Plötzlichkeit eines Schlages aus, und nur eine rote Mondsichel hoch über der zentralen Kuppel des prächtigen Daches streute ein unheilvolles Leuchten auf der Szene. Der große Bruder – der für diesen Abend nach dem reinen Zufallsprinzip zu diesem Amt ausgewählte Sprecher – gesellte sich nun zu den beiden auf dem Podium.
„Ich werde die Regel vortragen, Brüder des Schwarzen Kamels!“ Er überreichte Gissing einen Revolver. „Du, der Jäger, erhältst diese Waffe. Mögest du treffsicher sein, wenn deine Sache gerecht ist. Schwöre jetzt, nur auf das Signal der Glocke hin zu schießen... Schwöre auf die heiligen Feuer deinen Eid, Bruder 901!“
„Bei dem Roten Feuer von Eblis,
Bei dem weißen Feuer von Sonne, Mond und Sternen,
Bei den Feuern von Liebe und Hass,
Bei dem heiligen, nie erlöschenden Feuer auf
des Zoroasters Altar – schwöre ich!“
Der Sprecher wandte sich an Bruder 27:
„Dies ist für dich, oh Gejagter! Dies soll den Jäger warnen, dass seine Beute ihr Wesen treibt, um zu toöten oder getötet zu werden. Lasse sie ertönen, sobald du mein Befehlswort hörst. Schwöre jetzt deinen Eid, dass du meiner Stimme gehorchst!“
Bruder 27 nahm die kleine Messingglocke von dem großen Araber entgegen und schwor, wie Gissing es getan hatte.
„Oh, Jäger!“, fuhr der Sprecher fort. „Erst beim Klang der Glocke, darfst du schießen. Dreimal soll deine Beute dich warnen, dass sie in deiner Nähe ist ..., dreimal soll deine Rache sprechen. Aber wenn es dir nicht gelingt zu töten, dann hast du dich als Lügner und Verfluchter erwiesen, und den Tod der Sieben Flammen sollst du in dieser Nacht sterben.“
„Oh, Gejagter!“, fuhr die Stimme fort. „Dreimal sollst du deine Glocke auf mein Befehlswort hin läuten. Mögen deine Zähne und Klauen dich beschützen, wenn du unschuldig bist!“
Der Sprecher nahm Buzak am Arm und führte ihn zur Westwand und zog sich zurück, sodass sich die Kämpfer über die Länge der Halle gegenüberstanden. Nach kurzer Zeit ertönte die Stimme wieder von einem Balkon aus.
„Der Mond geht unter! Der Jäger und seine Beute wandeln im Dunkeln. Die Jagd beginnt!“
Das rote Licht der Mondsichel verflog, und die große Halle war in ganz und gar undurchdringliche Dunkelheit getaucht. Die Zeit schien stillzustehen. Kein Flüstern, kein Atmen war zu hören. Die Brüder hätten sich in schwarzen Marmor verwandelt haben können, so ungemein still waren sie, während in der Halle unter ihnen der Tod auf geräuschlosem Fuß schlich.
Als sich Gissing vorwärts bewegte, schien die duftende Luft mit der dröhnenden Wut eines Schneesturms in Neuengland an seinen Ohren vorbeizurauschen. Feurige Kometen blitzten und wirbelten vor seinen angestrengten Augen, als er in das heiße, dichte Schwarz starrte und starrte. Sein Kopf fühlte sich an wie ein Ballon, der bis zum Platzen mit sengender Luft gefüllt war, während seine Füße schwer und kalt waren und wie Säcke mit nassem Sand an seinen Knöcheln zerrten.
„Gib das Warnsignal, Gejagter!“
Das Kommando war wie ein Stromschlag. Eine Glocke ertönte, auf einen Lichtstoß folgte ein scharfer Knall; dann gab es das Geräusch von herabfallendem Glas, und Gissing erkannte, dass sein Schuss in einem der großen Spiegel sein Ziel gefunden hatte, mit denen die Wände verkleidet waren.
Wieder die Dunkelheit wie in der Grube, die schreckliche Stille, das furchterregende Geräusch seiner eigenen Herzschläge und das Klicken seiner trockenen Zunge in seinem Mund. Jahre und endlose Jahre lang ging es weiter, dieses Wandeln in einer heißen schwarzen Welt, wo sich Hände ausstreckten, um ihn an der Kehle zu packen! Die Hände des Würgers, die im Dunkeln nach ihm tasteten ...,tasteten ...,tasteten!
„Gib das Warnsignal, Gejagter!“
Wieder die Glocke – wieder der Blitz und der Knall! Wieder senkte sich die sanfte, dichte Stille herab, während sich Jäger und Gejagter blind in der Hölle hin- und herbewegten.
Gissings Instinkt, der von seinem verdrehten Denken auf ungewöhnliche Empfindsamkeit eingestimmt war, ließ ihn mit dem Rücken zu der Wand stillstehen, die eine ausgestreckte Hand berührt hatte. Er stand da wie ein Stein, während die Jahrhunderte an ihm vorbeiglitten; er stand und litt dort allein – äußerst schrecklich allein –, während um ihn herum alle Seelen aus der Hölle befreit vorbeirauschten, während er allein bleiben musste ...,allein!
„Gib das Warnsignal, Gejagter!“
Die Glocke läutete fast an Gissings Ellenbogen, und auf seinen Schuss folgten ein heftiges Zischen vor Wut und das dumpfe Geräusch eines Sturzes.
Schnell wie das Licht war er an Buzaks Seite, tastete den reglosen, hilflosen Körper ab, klopfte ..., fühlte ... und suchte hektisch! Ah!... Hier in der Achselhöhle war etwas! Ein Ruck noch einer und ..., Gissing zog eine kleine Chamoisledertasche unter der breiten Bandage hervor, die sie dicht an Buzaks Körper gehalten hatte, und steckte sie in seinen eigenen Gürtel.
Dann stellte er mit einer geschickten, sicheren Handbewegung fest, dass seine Kugel den Würger verletzt, aber nicht getötet hatte, denn das Herz schlug langsam und stark. Als der rote Mond wieder über ihm leuchtete, lief er den Brüdern entgegen, die in die Halle zurückströmten.
Er rannte wie ein hurtiges Feuer mitten unter sie, und mit wahnsinniger Wut riss er Schleier um Schleier von den Gesichtern der erstarrten Brüder. Auch seinen eigenen riss ab und trampelte mit seinen Füßen darauf, und als die ihres Schleiers beraubten Brüder ebenso irre wie Gissing selbst zu schreien und zu rennen und zu gestikulieren begannen, konnte nach ein paar Sekunden niemand sagen, wer den Anschlag begonnen hatte, denn Gissing lief hin und her und weinte und schrie seinen entschleierten Zustand heraus wie der Rest.
Die Verwirrung war beängstigend. Zerrissene Schleier wurden aufs Geratewohl von den empörten Brüdern vom Boden aufgehoben, und jeder versuchte, seine Gesichtszüge wie auch immer zu bedecken. Gissing allein wählte seinen Schleier, den er aufnahm, unter Beachtung seiner Zahl, damit es sich bei dieser Zahl nicht um die 901 handelte!
Er hatte ihn fest aufgezogen, stand da in aller Ruhe und tastete nach dem Paket in seinem Gürtel, als plötzlich der Ort in alle Farben eines Sonnenaufgangs in der Wüste gebadet war, als sich eine getönte Kugel nach der anderen mit Licht anfüllte.
Der Sprecher trat hervor, und nachdem er festgestellt hatte, dass Bruder 27 verwundet, aber nicht getötet war, nahm er die Situation mit dem wahren Fatalismus des Ostens hin und wählte den bequemsten Weg aus seiner misslichen Lage.
„Das ist die Tat eines Schaitans [Dämons], der heute Abend unter uns weilt!“, sagte er schließlich. „Wer kann gegen das Schicksal ankämpfen? Es stand geschrieben, dass wir von diesem schrecklichen Teufel heimgesucht werden sollten ..., und was geschrieben steht, das steht geschrieben! Lasst uns die Mächtigen zu Hilfe rufen, damit dieser Schaitan aus unserer Mitte vertrieben wird.“
Dieser Gedanke lenkte die mutigeren Brüder ab, aber die Mehrheit war zu erschüttert, um unter einem Dach zu verweilen, das einen so bösen Geist beherbergte, und da Gissing unter letzteren war, beeilte er sich, mit ihnen zu entfliehen, bevor ihm ein schlimmeres Übel widerfuhr.
Und jetzt, da er die wunderbaren Juwelen erneut in Händen hielt, war sich Gissing wieder des kalten Schattens einer monströsen Angst bewusst. Buzak war noch am Leben – und wo unter dem weiten Bogen des Himmels gab es einen Ort der Sicherheit und des Friedens für den Mann, der ihm zweimal den heiligen Zorn Allahs gestohlen hatte?
Gissings Gedanken wandten sich hungrig Amerika zu – seinem eigenen Land und seinem eigenen Volk; aber die Drohung von Isaak Volks baumelndem Körper lag wie ein abscheulicher Schatten über diesem riesigen Kontinent, verdunkelte seine Rückkehr in seine Heimat und löschte sie so schnell aus, wie seine Sehnsucht sie sich ausmalte.
Nach schlaflosen Stunden der quälenden Unentschlossenheit erkannte er allmählich, dass nur der Gedanke an die große geheimnisvolle Wüste ihm Frieden brachte. Der eindringliche Liebreiz der stillen Wildnis zog ihn immer stärker an, während sein Geist andauernd wieder in feuerroten Kreisen auf ihn einschlug, die ihn immer näher und näher an Buzak heranzubringen schienen.
In Reaktion auf seine letzte Tortur nach den drei Wochen, in denen er geplant und sich bemüht hatte, die Juwelen wiederzubeschaffen, bauschte er nun die Allmacht seines Feindes und seine eigene Gefahr ebenso leidenschaftlich auf, wie er sie vor Kurzem noch beide ignoriert hatte.
Endlich ging er in Burnus und Sandalen, seine Haut dunkel wie die der Wüstenbewohner gefärbt, den blauen Littram der Tuareg über Nase und Mund gezogen, hinunter zum Suq1, um die neuesten Nachrichten und Gerüchte der Stadt zu hören.
„Maleish! Würdest du erwarten, dass ich Orangen in der Größe von Wassermelonen wachsen lasse? Siehe, diese aus meinem Obstgarten sind mehr als lobenswert! Wie Honig und Tau kühlen sie die ausgetrocknete Kehle, und ..."
Gissing drückte dem Händler ein Geldstück in die Hand, nahm die Orangen entgegen und ließ sie in den hängenden Zipfel seiner Kapuze fallen.
„Eine Karawane?“, fragte er gleichgültig und wies mit einem Rucken des Kopfes in die Richtung einer geschäftigen Gruppe von Männern in einer entfernten Ecke des Marktes.
„Du sagst es“, antwortete der Händler. „Es ist der Scheich Daouad el Wahab, der zu seinen Zelten in den Tueyk-Bergen zurückkehrt.“
„Das ist eine weite Reise, bei den Propheten!“, rief Gissing aus.
„Er hat sich eine neue Frau gekauft, denn die erste ist zornig, weil sie immer noch die ganze Arbeit in seinem Hause erledigen muss, nachdem sie ihm zwei Söhne geboren hat. Sie lässt Daouad nicht in Frieden, zetert Tag und Nacht!“
„Also wird er den Grund für seine Unruhe noch verdoppeln!“
„Wah! Er wird alt und dick, und Kirfa, seine erste Frau, taucht ihre Zunge nicht in Honig.“
„Er bricht jetzt auf, dieser Scheich Daouad?“
„Noch in dieser Nacht“, antwortete der Händler. „Aber eine andere und größere Karawane geht nach Süden, wenn der neue Mond aufgeht.“
Gissings Herz schlug langsam und schwer in seiner Brust, als er seinen Gesprächspartner fragend ansah.
„Dies ist keine gute Zeit für eine Karawane, ob klein oder groß“, bemerkte er.
„Bei Allah, hast du Weisheit hinter deinen Zähnen. Diese Karawane geht nach El Zoonda.“
„Buzak!“, war Gissings heiserer Ausruf.
„Wer sonst!“, bestätigte ihm der Händler.
„Er reist in Eile.“
„Schnell wie der heiße Südwind, wenn er über die Wüste weht. Außerdem verfolgt er jemanden, der ihm einen bösen Streich gespielt hat.“
Gissing wanderte weiter durch den Suq und erhielt von allen Seiten mal die Bestätigung, mal die Bestreitung der Geschichte des Obsthändlers. Der Markt brummte von Buzaks Namen, aber keine zwei Berichte stimmten überein.
Schließlich bemerkte er einen Kameltreiber, der seine Tiere tränkte, und aufgrund seiner ungewöhnlichen Geschäftigkeit hielt Gissing ihn für einen der Sklaven Buzaks, und obwohl er weit von den anderen entfernt war, näherte sich der Weiße ihm mit Vorsicht.
„Du bist in Eile“, bemerkte er.
„Es ist notwendig“, lautete die mürrische Antwort, aber dann schmolz er sogleich dahin, als sich seine willigen Finger über einer Münze schlossen. „Buzak der Scheich will im Morgengrauen aufbrechen.“
„Wohin, mein Bruder?“
Der Sklave zögerte, und eine weitere und größere Münze fand den Weg in seine Hand.
„Ich will es dir sagen, denn du hast mich Bruder genannt, der ich doch nur ein Sklave unter deinen Füßen bin. Außerdem kann ich mit deinem Gold vielleicht noch die Freiheit erlangen.“
„Sprich, in Allahs Namen!“, bat Gissing ihn inständig.
„Die Karawane wird im Morgengrauen aufbrechen, aber Buzak der Scheich reitet nicht mit ihr weiter! Das ist etwas, was ich zufällig gehört habe, während ich angekettet und vergessen im Hof lag – aber es ist die Wahrheit. Buzak, mein Meister, wird heimlich in dieser Stadt bleiben, damit er nach einem Feind suchen kann, der ihm großes Übel zugefügt hat.“
Gissings rot geränderte, blutunterlaufene Augen blickten lange in das pockennarbige, elende Gesicht des Sklaven.
„Das schwörst du, bei Allah?“
„Bei Allah und bei Allah. Mögen meine Knochen in der Wildnis verrotten und Schakale sie zerpflücken, wenn ich lüge! Möge meine Seele nach Eblis hinabgehen, und Schaitans mich für immer quälen, wenn ich die Wahrheit vor euch verberge. Außerdem ist es ein weißer Mann, der Buzak verletzt hat, einer, der mit den Zungen der Wüste spricht und in jeder Hinsicht wie wir ist. All dies kam mir zu Ohren, als Buzak mit einem sprach – Hassan ibn Shesh. Dieser Hassan soll die Karawane nach El Zoonda führen und auf der Reise herausfinden, wenn er kann, ob Buzaks Feind bereits in die Wüste geflohen ist.“
„Hassan ibn Shesh!“ Ein neuer Stich der Angst durchfuhr Gissing, als er sich an die obszöne Masse Fleisch und das sehr böse Gesicht des Besitzers dieses Namens erinnerte. Dies war Buzaks erster Berater, der außergewöhnliche Hofnarr, dessen Aufgabe es war, für neue Freude und neues Vergnügen in El Zoonda zu sorgen, indem er neue und spektakuläre Todesarten für Buzaks Opfer erfand.
Unter dem Littram2, den er trug, verzerrte sich Gissings Gesicht vor Panik, und sein Impuls war zu laufen ..., zu laufen! und zu laufen! Um aus dieser Stadt zu kommen, in der Buzak war, um blind irgendwohin zu laufen ...,wohin auch immer ..., aber um jeden Preis wegzulaufen!
Mit Gewalt hielt er sich in Schranken und ließ mit zitternden Händen ein drittes Geldstück in die begierige Hand des Sklaven fallen.
„Allahs Friede sei mit dir!“, murmelte er heiser, wandte sich vom Brunnen ab und machte sich unauffällig auf den Weg zu der Karawane des Daouad el Wahab. Mechanisch schlängelte er sich zwischen den Marktbuden und Pyramiden aus rotgoldenen Orangen dorthin durch, wo der ehrwürdige Scheich in einem schneeweißen Turban, einem blauen und scharlachroten Burnus und goldenen Hausschuhen friedlich dasaß und seinen Dienern Anweisungen erteilte.
„Du bist auf der Reise nach Süden, oh Scheich?“, fragte Gissing nach der üblichen Begrüßung
„Selbst wenn“, lautete die würdevolle Antwort. „Wer bist du, und warum fragst du?“
„Ich bin Arzt – Fahd el Raschid – und möchte eilig nach Aufiz zurückreisen, wo meine Frau krank darniederliegt. Ich kam wegen bestimmter Arzneien in diese Stadt und muss schnell zu ihr zurückkehren. Ich würde dich gut für deine Gesellschaft und deinen Schutz bezahlen, und für alles andere, was du verlangst.“
Der alte Scheich überlegte in seinem langen schneeweißen Bart, während Gissings Hände nervös unter seinen schützenden Ärmeln arbeiteten. Es folgte ein langes Argumentieren und Feilschen, und Gissing zwang sich dazu, mit der Begeisterung eines geborenen Arabers daran teilzunehmen, und das Geschäft wurde schließlich abgeschlossen.
All die langen, heißen Stunden bis zum Mittag saß Gissing in einem der Zelte Daouads und beobachteten den Suq und insbesondere den Teil davon, in dem sich Buzaks Karawane auf ihre Reise vorbereitete.
Während der Siesta geschah es, dass der Schatten der kolossalen Masse Hassan ibn Sheshs, des Ratsherrn von El Zoonda, auf den Eingang des Zeltes fiel, in dem Gissing saß.
Gissing blickte direkt in Hassans kleine schwarze Augen, die in Fleischrollen eingegraben waren, und dieser Schock beruhigte die wirbelnden Gedanken, die ihn in den Wahnsinn trieben. Die Notwendigkeit zu handeln war eine gewaltige Erleichterung, und sein verstörter Geist war auf einmal kalt und klar. Er zog das Messer aus seinem Gürtel und trieb es immer wieder in den bebenden, schwabbeligen Körper des Ratsherrn.
Kein Aufschrei hatte die tiefe Stille der heißen Mittagszeit gestört, und Gissing zerrte den massigen Körper unbeobachtet in sein Zelt und betrachtete ihn leidenschaftslos.
Lange saß er da und brütete ernst über sein Problem, und sein Gehirn fand dabei Erleichterung in der notwendigen Konzentration. Auf einmal ließ er die Klappe seines Zeltes herunter, kniete sich hin und begann, wild in dem weichen Sand zu graben. Während der ganzen glühend heißen Stunden des Nachmittags schuftete er, und die Sonne ging rot und tief im Westen unter, bevor er seine Aufgabe erledigt hatte.
Dann öffnete er seine Zeltklappe und setzte sich erneut in den Eingang, der sandige Boden glatt unter seinen Füßen, und von Hassan ibn Shesh gab es überhaupt kein Zeichen mehr. Gissing spürte kaum die schreckliche Erschöpfung seines Körpers, denn sein Gehirn brannte wie heiße Kohle in seinem Kopf, und seine Augen starrten glasig unter seinen zuckenden Brauen.
Die Dunkelheit brach herein, und Daouad und sein kleines Gefolge waren endlich aufgebrochen: Die Reihe der Kamele bewegte sich mit protestierendem Brüllen in Richtung Süden und in die unermessliche Wüste, und Gissings heiße Finger klammerten sich um eine kleine Chamoisledertasche, die an einer Kette um seinen Hals hing, als er zusah, wie die terrassenförmig angeordneten Lichter der Stadt in ihren weißen Mauern hinter ihm schwächer wurden.
Es war im Morgengrauen des zehnten Tages, als Daouad entdeckte, dass sich der Arzt Fahd el Raschid nicht in seinem Zelt befand und dass sein Kamel auch nicht mit dem Rest angebunden war. Solange er es wagte, sich auf dieser beschwerlichen, wasserlosen Route innezuhalten, wartete der alte Scheich, während seine Sklaven hinausritten, um eine Spur des Vermissten zu entdecken. Sie suchten jedoch vergeblich, und schließlich machte sich der alte Scheich sehr schweren Herzens mit seiner neuen Frau und seinen Sklaven ohne den Arzt wieder auf den Weg.
Und weit draußen ritt Gissing über das weit gespannte Meer aus Sand weiter und weiter und hielt eine rosarote schimmernde Schönheit in seinen Händen.
Er war endlich allein ..., allein mit seinem Schatz ..., dieser unvergleichlichen Pracht vergangener Tage. Hier konnte er ihn anbeten ...,von seinem glühenden Leben trinken ..., das Blut wieder stark in sich pulsieren fühlen, als das schreckliche herrliche Ding, das er gewonnen hatte, im Sonnenlicht blitzte.
Sein Schatz ..., sein Leben ..., sein eigen! Er ritt immer weiter über den blendenden Sand ..., immer weiter bei Sonnenlicht und Sternenlicht ..., weiter und weiter, bis weder Nahrung noch Wasser übrig waren und sein Kamel auf die Knie sank, um nie wieder aufzustehen.
Es war alles eins für Gissing. Er drängte sich an das sterbende Tier, lächelte seine rosaroten Juwelen an und flüsterte heiser mit seinem Schatz.
Er spürte niemals den beißenden Nachtwind, der ihm bis auf die Knochen wehte, denn die Flamme im Herzen jedes vollkommenen Steins, den er hielt, wärmte ihn bis in die Seele.
Im Morgengrauen versagte seine schnell flüsternde Stimme, und die kalten Hände, die seine Juwelen vor seine sich trübenden Augen hielten, fielen schwer an seinen Seiten zu Boden.
Sehr kalt und still saß Gissing da, als die die letzten blassen Sterne schimmerten und verschwanden ..., nicht mehr in der Lage zu sehen, wie die Sonne die tanzenden, magischen Flammen des Zornes Allahs zum Leben erweckten ..., denn der Schatten des Schwarzen Kamels lag dunkel und schwer auf seinen Augenlidern.
Aber der Zorn Allahs blitzte und blitzte wieder im Auge der aufgehenden Sonne.
1 Markt.
2 Ein blauer Schleier, der von den Tuareg über Mund und Nase getragen wird.
Grüße, Effendi! Ich grüße dich im Namen Allahs des Barmherzigen!“ Benson zügelte sein Pferd, als sich der Araber auf seinem staubigen braunen Kamel näherte. „Du hast keine Neuigkeiten?“, fragte er zurück.
„Keine“, sagte Abu Koi. „Es ist wahr, dass ein Engländer an der Oase Wad Eles war; wir fanden ihn dort mit vielen Dienstboten ..., und töricht im Sand grabend! Aber es war nicht dein Engländer.“
Der Manager der El Adrar-Mine runzelte nachdenklich die Stirn, starrte über die weite gelbe Ebene. Bisher hatte er seine kleine Gemeinschaft aus Einheimischen und weißen Männern mit beachtlichem Erfolg beherrscht. Er war geradlinig in seinen Methoden, und obwohl er wenig Sympathie für die raffinierte, verschlagene Art der Araber hatte, war er niemals ungerecht. Er hörte ihnen zu, nahm sie oft nicht ernst und ließ ihnen mehr freie Hand, als dies ein schwächerer Mann für klug gehalten hätte.
Jetzt, zum ersten Mal in seiner siebenjährigen Erfahrung in El Adrar, sah er sich einem Problem gegenüber, das er nicht lösen konnte. Es war einen Monat her, dass sein leitender Angestellter, Stephen Adams, so unerklärlich verschwunden war. Es war ein Geheimnis, und mehr als alles andere war Benson ein Geheimnis verhasst!
„Du bist sicher, dass du keinen Fehler gemacht hast? Du würdest Adam Effendi erkennen, wenn du ihn siehst?“ Bensons Blick wandte sich wieder dem dunklen, von der Sonne verwüsteten Gesicht des alten Arabers zu.
„Hat Allah mich mit Blindheit gestraft, dass ich ihn nicht kennen sollte? Welcher Mann könnte sein Gesicht verwechseln ..., mit einem Auge so blau wie der See von Kefel-dour selbst und das andere schwarz wie Iblis3!“
„Nein, du könntest kaum außerstande sein, ihn zu erkennen“, gab Benson zu. „Lass uns jetzt nach El Adrar zurückkehren – ich muss nachsehen, ob die Polizei von Béjaïa bereits ihren Bericht geschickt hat.“
Als sie sich El Adrar näherten – mit seiner Handvoll von Flachdachhäusem und den Hütten der Einheimischen wie Vogelnester an die felsige Küste geklammert -, sah Benson, dass sich auf dem winzigen Marktplatz eine ungewöhnliche Menschenmenge versammelt hatte, und er ritt hin, um den Grund festzustellen.
„Es ist Daouad!“, informierte ihn Abu Koi in einem ehrfurchtsvollen Flüsterton.
Benson unterdrückte einen ärgerlichen Ausruf. Bei jeder Gelegenheit traf er auf diesen Namen! Daouad, der Träger des Schleiers, der Hexer, der Mann, den Adams in einem Augenblick der Provokation ,Hund‘ genannt hatte und der diese Beleidigung jetzt auf geheime und schreckliche Weise gerächt hatte, sagten die Dorfbewohner.
Immer dieser ewige Daouad! Benson wurde schon vom Klang seines Namens übel. Es gab nicht den Hauch eines Beweises, dass Daouad irgendetwas mit Adams’ Verschwinden zu tun hätte; im Gegenteil, es gab das unbestreitbare Zeugnis, dass dem nicht so war, aber dennoch wuchsen und wuchsen die geflüsterten Gerüchte.
Auf dem Rücken seines Pferdes konnte Benson über die Köpfe der gedrängten, erregten Menge hinwegsehen. In ihrer Mitte stand die verschleierte Gestalt Daouads, vor dem die Leute in Ehrfurcht zurückschreckten, und sie ließen einen weiten Ring um ihn. Er hielt eine lange Peitsche in der Hand, und ihre böse Schnur schnellte ständig vor wie die Zunge einer Schlange, um einen erbärmlichen gelben Hund anzutreiben, der sich im Staub vor ihm wälzte.
Das Tier wurde gnadenlos von einem bösartigen schwarzweißen Köter malträtiert, und sein gelbbraunes Fell war rot von Blut. Das Ende war jetzt eine Frage von Minuten, denn der schwarzweiße Hund hatte die Kehle des anderen fest im Griff, und der gelbe Hund hatte es fast aufgegeben, sich zu wehren.
Benson glitt von seinem Pferd herab und wollte sich gerade seinen Weg durch die Menge bahnen, als er eine Hand auf seinem Arm spürte. Er drehte sich um und fand Abu Koi an seiner Seite, der leise und eindringlich sprach. „Es ist eine schlimme Sache, sich zwischen Daouad und seinen Spaß zu drängen! Er wird dir Böses antun!“
Benson war an die gedankenlose Grausamkeit der Araber gewöhnt, und bis zu einem gewissen Punkt hielt er es für klug, sich nicht einzumischen; aber ein Impuls stärker als er selbst drängte ihn jetzt dazu, den gelben Hund vor seinem Schicksal zu bewahren. Er schüttelte die Hand ab, die ihn zurückhielt, stieß die Eingeborenen mit den Ellenbogen beiseite und stand eine Minute später mit dem rauchenden Revolver in der Hand da, während sich der schwarzweiße Köter mit einer Kugel im Gehirn herumwälzte.
Daouad und der Engländer sahen sich über seinen toten Körper hinweg an, während der gelbe Hund nach Luft schnappte.
Der Araber lachte verächtlich: „Der Effendi ist gnädig! Möge er Gnade erfahren, wenn seine Stunde kommt!“ Seinen unverschämten Worten war eine Drohung zu entnehmen, und ein Murmeln der Angst lief durch den Ring der Zuschauer.
Benson war von einer äußerst ungewohnten Wut ergriffen. „Du bist lästig, Daouad! Ich will dich hier in El Adrar nicht haben, wo du die Frauen und Kinder mit deinen Geschichten von Teufeln und Hexerei erschreckst! Wenn ich ein abergläubischer Mensch wäre, würdest du jetzt im Gefängnis stecken, weil du Adams Effendi mit deinen Zaubersprüchen belegt hast ..., aber ich will dir nicht schmeicheln, indem ich dich zu ernst nehme. Lass mich nichts mehr von diesen Dummheiten hören!“
Ohne auf mehr zu warten, drehte sich Benson auf dem Absatz um und winkte Abu Koi, der mit den Augen voller Angst weiter zurückstand.
„Bringe den gelben Hund in meine Ställe“, befahl Benson, bestieg sein Pferd wieder und ritt durch das Dorf zu seinem großen weißen Haus am Meer.
Eine halbe Stunde später erschien Abu Koi vor der Veranda, wo es sich Benson mit einem Longdrink neben sich gemütlich gemacht hatte.
„Ist der Hund in meinen Ställen?“, fragte er.
„Nein, Effendi! Daouad der Führer hat das Tier in sein eigenes Haus mitgenommen.“
„Was!“, stieß Benson aus, und sein vorheriger Ärger kehrte in einer heißen Welle zurück
„Meister, ich hatte Angst“, sagte der andere einfach. „Du kannst mit der Magie eines weißen Mannes Daouad und dem Teufel widerstehen, der in ihm wohnt, aber ich kann das nicht.“
„Dann muss ich selbst gehen und den Hund holen“, erwiderte Benson nach einer langen Pause.
Abu Koi schreckte zurück, hielt sich die Hand vor das Gesicht und klagte. „Auch du, auch du wirst wie Adams Effendi verschwinden! Daouad wird ..."
„Ich sage dir, Daouad hatte überhaupt nichts mit Adams Effendi zu tun!“, unterbrach ihn Benson ungeduldig. „Das habe ich nachgeprüft. Daouad war an jenem Tag oben in den Hügel von Beni Gaza. Und es war hier in diesem Dorf, wo Adams Effendi verschwunden ist. Er wurde gesehen, als er sich über die Brücke dem Dorf näherte und die Straße entlangging, wo sie im Schatten der Eukalyptusbäume liegt!“
„Fürwahr!“, antwortete Abu Koi. „Und jenseits dieser Bäume wohnt Daouad!“
„Aber Daouad war an jenem Tag nicht dort ..., und ich habe das Haus und die Gärten durchsuchen lassen, bevor er aus Beni Gaza zurückgekehrt ist.“
„Daouad war an jenem Tag da“, gab Abu Koi feierlich zurück. „Was schon, wenn er um diese Stunde in Beni Gaza gesehen wurde! Hat er nicht die Macht, einen Teufel gleich ihm zu kleiden ..., und so zu erscheinen, wo er will?“
„Ich nehme an, dann glaubst du, dass sowohl Daouad als auch Adams Effendi in dem Haus waren, als ich es durchsuchte?“
„Meister, ich glaube es. Sie waren dort, aber Daouad hat dafür gesorgt, dass deine Augen blind waren, dass du nicht sehen konntest!“
„Das ist verdammter Unsinn!“, sagte Benson und stiefelte über die Veranda.
Es war mehr als nur die Frage, einen jämmerlichen gelben Köter zu retten, überlegte Benson, als er die Dorfstraße hinaufging, wo eine schnelle blaue Dämmerung hereinbrach, die von Feuerschalen mit glühender Holzkohle und dem Glühwürmchen gleichenden Schimmer der Pfeifen von Rauchern erhellt wurde. Ja ..., es ging um eine Herausforderung Daouads! Der Mann hatte ihm die Stirn geboten, indem er den Hund behielt, und Benson hatte die Absicht, diesen unverschämten Führer in den Augen der leichtgläubigen Dorfbewohner zu demütigen.
Als er sich Daouads Wohnhaus näherte und gerade dabei war, den dichten Schattengürtel zu betreten, der von den Bäumen über die staubige Straße geworfen wurde, erhob sich ein langgezogenes Heulen und verklang wieder mit einer unbeschreiblich klagenden Kadenz. Benson war überrascht von dem Anflug von Furcht, den er verspürte, und straffte ungeduldig die Schultern.
„Das ist ansteckend ..., dieses Gerede von Geistern und Teufeln“, murmelte er. „Ich werde bald ebenso töricht sein wie jeder unwissende Bettler in El Adrar!“
Wieder dieser klagende unmenschliche Laut ..., und die Eukalyptusbäume raschelten mit zitternden Blättern eine Warnung, als er erstarb ...
Als Benson dann nach vorn schaute, überkam ihn wieder eine Furcht so heftig und markdurchdringend, dass es ihm schien, er bekäme weiche Knie. Ein paar Meter entfernt stand auf der kleinen Brücke jenseits der Bäume die große verschleierte Gestalt Daouads ..., anscheinend aus dem Boden aufgetaucht!
Der Engländer rief sich all seinen gesunden Menschenverstand zu Hilfe. „Er hat mich natürlich erwartet“, dachte er, „und versucht jetzt ein paar von seinen Zaubertricks.“
Bedächtig holte er sich eine Zigarette heraus und zündete sie mit ruhigen Händen an.
„Nun denn, Daouad!“, sagte er zu der bewegungslosen Gestalt. „Ich komme wegen dieses Hundes.“
„Der Hund ist mein Hund“, gab die tiefe Stimme zur Antwort.
„Du kannst das nächste Woche vor dem Friedensrichter geltend machen, wenn du willst. Du verstehst es nicht, ein Tier zu behandeln, und ich erhebe Anspruch darauf. Wenn du es mir nicht sofort übergibst, lasse ich dich festnehmen!“
„Auch du hast also Angst!“
„Nicht vor einem arabischen Hund!“
„Hund! Das mir erneut, dieses Wort!“
Die verschleierte Gestalt kam näher, und Benson fing den Schimmer der dunklen Augen zwischen dem Turban und dem Littram auf.
„Sieh, weißer Mann! Sieh und erkenne die Macht des Hundes!“
Benson spürte einen flüchtigen Wind über sein Gesicht streichen, und seine Augen brannten, als würde er in die Mittagssonne starren. Die duftige Düsterkeit der Eukalyptusbäume schwand, und an ihrer Stelle sah er einen ausgedehnten Streifen grauer Wüste, von dessen sandigem Boden die Hitze in sichtbaren Wellen aufstieg, um mit dem grellweißen Licht des Himmels darüber zusammenzutreffen. Quer durch die Wüste bewegte sich dunkle Masse von Reitern mit Wurfspeeren vorbei. Eine große Armee, und an ihrer Spitze ritt Daouad, der Führer, der stolzeste und majestätische von allen in diesem ruhmreichen Stamm.
„Die Diener des Hundes!“ Eine Stimme klang schwach in Bensons Ohr.
In der Wüste wurde es schnell dunkel, und unter einem roten Mond sah Benson eine Welt von Zelten und den Schimmer von Lagerfeuern, die sich über den Sand bis hin zu weit entfernten Grenzen erstreckten.
Aber sein von Entsetzen gepackter Blick konzentrierte sich auf etwas im Vordergrund des Bildes. Etwas kaum Menschliches, das blind und sich windend über den nachgiebigen Sand kroch, während Daouad es mit seinen Sandalen tragenden Füßen trat und seine Sklaven zu weiterer Folter drängte.
Als Benson gebannt hinstarrte, griff sich der Führer eine flammende Fackel aus der Kohlenpfanne neben sich und winkte mit gebieterischer Hand. Ohne die Kraft, sich zu widersetzen, stolperte Benson nach vorn, bis er Daouds Opfer gegenüberstand. Aus dessen verzerrten, geschwärzten Gesichtszügen trafen zwei Augen auf die seinen, die Augen eines Mannes aus der Hölle, aber von Benson nicht zu verwechseln. Denn eines war blau wie der See von Kef-el-dour und das andere schwarz wie Iblis!
Daouad lachte unverschämt, als er sah, dass Benson verstand, und schleuderte mit einer heftigen Gebärde die lodernde Fackel in das Gesicht seines Opfers.
Emeut strich dieser glühende Wind über Bensons Gesicht; er sah die Wüste nicht mehr, sondern nur noch die kleine Brücke, die silbrigen Stämme der Eukalyptusbäume und die große, verschleierte Gestalt Daouads, die das Mondlicht vor ihm verdeckte.
Bis in das Innerste seiner Seele erschüttert von dieser plötzlichen Öffnung der Tore zur Hölle, holte er tief Atem, wich er dennoch trotzig nicht von der Stelle.
„Versuche es noch einmal, Daouad!“, sagte er, indem er seine Stimme mit einer immensen Willensanstrengung festigte. „Ein sehr sauberer Trick, das gebe ich zu, aber ...“
„Und doch hast du große Furcht gehabt, weißer Mann!“, sagte der Führer und deutete auf die Hände des anderen. Benson blickte unwillkürlich nach unten und sah, dass seine Handflächen die tiefen Eindrücke seiner eigenen Fingernägel aufwiesen. Er biss sich auf die Lippen angesichts dieser verräterischen Zeichen ..., aber seine Augen waren ruhig und fest, als er Daouad gegenübertrat.
„Ich gebe zu, dass du mich überrumpelt hast“, antwortete er leichthin. Da dies jedoch nur ein Zaubertrick ist ...“
Daouad lächelte böse „Es war ein echtes Bild, das du erblicktest. Hast du mich nicht Hund genannt?“
„Wenn ich das glaubte“, erwiderte Benson mit stockenden und undeutlichen Worten wegen einer plötzlichen Trockenheit seines Mundes, „solltest du gehängt werden, bevor der Tag anbricht, Hund, der du bist!“
Die Augen des Arabers blitzten, und er erhob eine Hand in einer drohenden Gebärde. Benson zog seinen Revolver und nahm ihn augenblicklich aufs Korn.
„Genug dieser Dummheiten!“, schnauzte er. „Ich will diesen gelben Hund sofort.“
Daouad kam ein paar Schritte näher.
„Schieß, weißer Mann! Versuche deine Magie gegen meine!“, war die unverschämte Antwort.
In Weißglut vor Wut betätigte Benson den Abzug, und nichts geschah.
„Bei Iblis!“, machte sich der Araber über ihn lustig. „Sagte ich nicht, du hättest Angst? Als du nicht mehr weiter wusstest vor Furcht und vor Staunen über meine Magie, habe ich dir den Stachel gezogen, ohne dass du es gemerkt hast.“
Benson konnte einen tiefen Atemzug nicht unterdrücken. Es stimmte ..., der Teufel hatte seine Patronen entfernt, während er wie ein unwissender Eingeborener verwirrt und ängstlich dagestanden hatte.