Das steinerne Floß - José Saramago - E-Book

Das steinerne Floß E-Book

José Saramago

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Beschreibung

Mit einem Riss quer durch die Pyrenäen trennt sich die Iberische Halbinsel vom Rest Europas und treibt auf den Atlantik hinaus. Während sich Wissenschaftler und Politiker in Erklärungen versuchen, sieht sich das Volk in seinem ungebrochenen Glauben an Mythen und Legenden bestärkt. Einfühlend und komisch setzt sich der Nobelpreisträger José Saramago mit Ängsten und Träumen seiner Landsleute auseinander.

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José Saramago

Das steinerne Floß

Roman

Aus dem Portugiesischen von Andreas Klotsch

Hoffmann und Campe

Alles Zukünftige ist Erdichtung

Alejo Carpentier

Als Joana Carda die Erde mit dem Rüsterstock ritzte, begannen in Cerbère alle Hunde zu bellen und versetzten die Einwohner in Schrecken und Panik, denn seit Urzeiten glaubte man, dass, sobald hier Hunde bellten, die stets stumm gewesen waren, der Weltuntergang bevorstünde. Wie dieser zähe Aberglaube aufgekommen war, oder diese feste Überzeugung, was in vielen Fällen auf dasselbe hinausläuft, das weiß heute niemand mehr zu sagen, obwohl durch Werk und Wirken jenes vertrauten Spiels, dass einer das Vernommene um ein Quäntchen verändert weitererzählt, die französischen Großmütter ihre kleinen Enkel mit einer Geschichte unterhielten, der zufolge am hiesigen Ort, in der Gemeinde Cerbère, Département Pyrénées-Orientales, während der griechischen und mythischen Zeiten ein dreiköpfiger Hund gebellt hatte, der auf den Namen Kerberos hörte, wenn Fährmann Charon, sein Halter, ihn rief. Ebenso wenig weiß man, welche Mutationen dieser berühmte und laute Kanide durchgemacht haben mochte, bis herab zur neuzeitlichen und bewiesenen Stummheit seiner einköpfigen degenerierten Nachfahren. Damals, und diese Auffassung ist den meisten geläufig, besonders wenn sie der älteren Generation angehören, bewachte Hund Zerberus, so nämlich schreibt er sich in unserer Sprache und muss er ausgesprochen werden, angsteinflößend schrecklich die Pforte zur Unterwelt, damit keine Seele dieser zu entwischen wagte, später aber, mag sein durch der hinsterbenden Götter letztendliches Erbarmen, verstummten die Hunde für den Rest der Ewigkeit, auf dass mit dem Schweigen vielleicht auch die Erinnerung an die Unterwelt verlösche. Doch da das Immer nicht immer währen kann, wie es uns das moderne Zeitalter eigens bewiesen hat, genügte es in unseren Tagen, dass Hunderte Kilometer fort von Cerbère, in einem portugiesischen Ort, dessen Name erst später Nennung erfährt, eine Frau namens Joana Carda mit einem Rüsterstock die Erde ritzte, und schon rannten alle Hunde kläffend auf die Straße, sie, die, wie gesagt, nie gebellt hatten. Wäre jemandem eingefallen, Joana Carda zu fragen, welcher Gedanke sie dazu bewegt habe, mit einem Stock Kratzer in den Boden zu machen, da dies eher eine verspielte Halbwüchsige tue, nicht eine reife Frau, und ob sie die Folgen einer vermeintlich allen Sinns baren Handlung nicht bedacht habe, da solche, erinnert euch, doch die gefährlichsten sind, so würde sie vielleicht geantwortet haben, ich weiß nicht, was mich trieb, der Stock lag auf der Erde, ich griff ihn und zog den Kratzer. Kam Ihnen nicht der Gedanke, es könnte ein Zauberstab sein. Für einen Zauberstab schien er mir zu groß, und Zauberstäbe, so hörte ich immer sagen, sind aus Gold und aus Kristall, von Licht umflutet, und an der Spitze mit einem Stern. Wussten Sie, dass der Stock aus Rüsterholz war. In Baumgewächsen kenne ich mich nicht aus, später erfuhr ich, Rüster sei dasselbe wie Ulme und keines der beiden von übernatürlichen Kräften, auch wenn man die Namen austauscht, was aber diesen Fall betrifft, meine ich, hätte ein Streichholz gleiche Wirkung getan. Warum sagen Sie das. Was geschehen muss, geschieht, mit aller Kraft, unabwendbar, tausendmal hörte ich die älteren Leute dies sagen. Glauben Sie an die Zwangsläufigkeit der Dinge. Ich glaube an das, was geschehen muss.

In Paris lachten sie sehr über die flehentlichen Anrufe des Bürgermeisters, man hätte meinen können, er telefoniere aus einem Hundezwinger zur Fütterungsstunde, und lediglich auf die dringlichen Bitten eines Abgeordneten der Mehrheitspartei hin, der in jenem Ort geboren und aufgewachsen war, also mit den dortigen Legenden und mündlichen Überlieferungen vertraut, entsandte man zwei berufene Veterinäre des Deuxième Bureau nach dem Süden, mit dem Auftrag, das ungewöhnliche Phänomen zu studieren und einen Bericht vorzulegen, samt Vorschlägen für Maßnahmen. Die Einwohner, verzweifelt, da fast schon taub, hatten unterdessen auf den Straßen und Plätzen des friedvollen Badeortes, der jetzt eine Station der Hölle war, Brocken vergifteten Fleisches ausgelegt, ein höchst einfaches Vorgehen, dessen große Wirkung aber die Erfahrungen aller Zeiten und Breitengrade bestätigen. Insgesamt starb ein einziger Hund, doch die Überlebenden begriffen die Lektion, die bellenden und heulenden Tiere flohen jählings in die umliegenden Gefilde, wo sie, ohne erkennbaren Grund, nach wenigen Minuten verstummten. Als die Veterinäre endlich eintrafen, wurde ihnen der bedauernswerte Médor vorgeführt, kalt, aufgedunsen, so ganz anders, als es jenes glückliche Tier einst gewesen war, das Frauchen zu den Einkäufen begleitete und das, da schon betagt, gern in der Sonne schlief, vertrauensselig. Weil es auf dieser Welt allerdings noch einen Funken Gerechtigkeit gibt, hatte der Herrgott, auf poetische Weise, entschieden, dass Médor just an dem Fleischkloß stürbe, den das geliebte Frauchen, geklagt sei’s, einer ihr verhassten Hündin aus der Nachbarschaft zugedacht hatte. Der ältere Veterinär sagte beim Anblick der sterblichen Überreste, wir werden eine Autopsie vornehmen, was im Grunde nicht nötig war, konnte doch jeder Bürger von Cerbère, wenn er nur wollte, die Causa Mortis bezeugen, doch die Fakultät, so der geheimdienstliche Jargon, wünschte still unter der Hand, die Stimmbänder dieses Tieres zu überprüfen, das zwischen der nun schon des Todes wegen endgültigen Stummheit und dem einst anscheinend auf lebenslang vorbestimmten Schweigen immerhin etliche Stunden Stimme gehabt hatte, üblichen Hunden gleich. Vergebliche Mühe. Médor besaß keine Stimmbänder. Die Chirurgen waren bass erstaunt, doch der Bürgermeister wartete mit seiner amtlichen klugen Meinung auf, kein Wunder, die Hunde in Cerbère haben so viele Jahrhunderte nicht gebellt, dass sich ihnen das Organ zurückgebildet hat. Wie aber dann plötzlich. Ja, das weiß ich nicht, ich bin kein Tierarzt, aber unsere Sorgen haben ein Ende, die chiens sind verschwunden, wo sie jetzt stecken, hört man sie nicht. Médor, zerstückelt und dann schlecht zusammengenäht, wurde seiner wehklagenden Besitzerin ausgehändigt, ihr gleichsam ein lebendiger Gewissensbiss, denn das sind und bleiben die Gewissensbisse, auch nach dem Tode. Unterwegs zum Flugplatz, von wo aus sie nach Paris zu fliegen gedachten, entschieden die Veterinäre, in ihrem Bericht die beunruhigende Sache mit den abhandengekommenen Stimmbändern zu unterschlagen. Den endgültig abhandengekommenen, scheint es, denn in selbiger Nacht streunte durch Cerbère ein riesiger dreiköpfiger Hund, so groß wie ein Baum, jedoch stumm.

In diesen Tagen, vielleicht etwas bevor oder kurz nachdem Joana Carda den Boden mit einem Rüsterstock geritzt hatte, spazierte ein Mann am Meeresstrand, dies gegen Abend, zu einer Zeit, da das Wellenrauschen kaum vernehmbar ist, nur mehr kurz und verhalten wie ein grundloser Seufzer, und dieser Mann, der später sagen wird, er heiße Joaquim Sassa, wandelte längs der Flutmarke, auf der Scheidelinie vom nassen zum trocknen Sand, und manchmal bückte er sich, hob eine Muschel auf, eine Krebsschere, einen grünen Algenfaden, es ist nicht ungewöhnlich, dass einer sich so die Zeit vertreibt, und das tat der einsame Spaziergänger. Da ohne Beutel oder Tasche, um das Gefundene zu verwahren, warf er die toten Gegenstände, wenn er die Hände voll hatte, ins Wasser zurück, dem Meere, was des Meeres, Irdisches zu Irdischem. Doch die Regel hat ihre Ausnahmen, weiter vorn lag ein Stein, von den Fluten nicht mehr erreichbar, Joaquim Sassa hob ihn auf, ein schwerer Stein, abgeflacht, wie eine Scheibe, ungleichmäßig, wäre er wie die anderen gewesen, die handlich kleinen, glattrandigen, bequem zwischen Daumen und Zeigefinger passend, Joaquim Sassa hätte ihn flach über die glatte Wasserfläche geworfen, um ihn hüpfen zu sehen, kindhaft verzückt ob seiner Geschicklichkeit, bis er schließlich abgetaucht wäre, nachdem er den Schwung eingebüßt hätte, ein Stein, dem das Schicksal augenscheinlich seinen festen Weg gewiesen hatte, von der Sonne gebrannt, nur vom Regen benässt, nun in finstere Tiefe zu tauchen, um dort eine Million Jahre zu harren, bis dieses Meer verdampft ist oder, zurückweichend, den Stein binnen einer weiteren Million Jahre dem Festland wiedererstattet, Zeit genug, dass ein anderer Joaquim Sassa den Strand herunterwandelt und, ohne es zu wissen, die gleiche Gebärde und Bewegung vollführt, möge kein Mensch sagen, ich werde es nicht tun, kein Stein ist sicher und fest.

An den Sandstränden des Südens, zu dieser lauen Stunde, mag mancher das abschließende Bad nehmen, mag schwimmen, mit einem Ball spielen, in die Wellen tauchen, sich gemütlich auf einer Luftmatratze treiben lassen oder, auf der Haut den ersten Hauch des hereinbrechenden Abends spürend, sich so zurechtlegen, dass der Körper die letzte Liebkosung der Sonne empfängt, die sich für eine Sekunde auf das Meer legen wird, die längste aller Sekunden, weil wir sie anschauen und sie sich anschauen lässt. Doch hier, an diesem Strand im Norden, wo Joaquim Sassa einen Stein packt, einen so schweren, dass die Hände sofort ermüden, bläst kalt der Wind, und die Sonne ist schon zur Hälfte versunken, auch fliegen keine Möwen über den Wassern. Joaquim Sassa warf den Stein, er schätzte, dass er wenige Schritte vor ihm hinfiele, ihm fast noch vor die Füße, muss doch ein jeder von uns über seine Kräfte im Bilde sein, außerdem gab es hier keine Zeugen, die über den misslungenen Scheibenwurf hätten lachen können, er war im Begriff, über sich selber zu lachen, aber unverhofft schwang sich der Stein, dunkel und schwer, in die Luft, ging nieder, platschte auf die Wasseroberfläche, prallte ab und schoss in die Höhe, in hohem Bogen oder Sprung, fiel abermals, stieg erneut, und endlich tauchte er in die Flut, sofern das Weiß, das wir gerade erblickten, in der Ferne, nicht lediglich Gischtfetzen der gebrochenen Welle waren. Wie denn das, überlegte Joaquim Sassa, ganz baff, wie habe ich, mit so spärlichen Körperkräften, einen so schweren Stein so weit werfen können, hinein in das sich schon verdunkelnde Meer, und niemand hier, der zu mir sagte, gut gemacht, Joaquim Sassa, ich bin dein Zeuge für das Guinness-Buch der Rekorde, eine solche Tat darf nicht unbekannt bleiben, Pech hab ich, denn wenn ich erzählte, was hier geschehen ist, würden sie mich einen Lügner nennen. Eine sehr große Welle wogte aus der Ferne heran, schäumend und sich brechend, schließlich war der Stein ins Meer gefallen, diese Wirkung kennt ein jeder von den Flüssen seiner Kindheit her, sofern er in der Kindheit Flüsse hatte, dass geworfene Steine kreisförmige Wellen erzeugen. Joaquim Sassa eilte den Strand hinauf, und die Welle verlief im Sand, spülte Muscheln mit sich, Krebsscheren, grüne Algen, auch andere Algen, den Blasentang, blutrote Algen, den Riementang. Und einen kleinen Stein, einen handlichen, gut passend zwischen Daumen und Zeigefinger, wie viele Jahre mochte er das Licht der Sonne nicht gesehen haben.

Ein äußerst schwieriger Akt ist das Schreiben, eine von den höchsten Verantwortungen, man bedenke nur, welch erschöpfende Mühe, die Ereignisse in zeitlicher Abfolge ordnen zu wollen, zunächst dieses, dann jenes oder, sofern dies den Erfordernissen der Wirkung gemäßer ist, das heute Geschehene der Episode von gestern vorangestellt und andere nicht weniger gewagte Akrobatenstückchen, das Vergangene wie ein soeben Geschehenes, die Gegenwart als ein Fortlaufendes ohne Gegenwart oder Ende, doch wie sehr sich die Autoren auch mühen, eines wird ihnen nicht gelingen, nämlich schriftlich gleichzeitig zwei Vorkommnisse niederzulegen, die zur selben Zeit stattgefunden haben. Mag da einer meinen, die Schwierigkeit sei gelöst, wenn man die Seite zweispaltig hält, Kolumne neben Kolumne setzt, der Kniff ist naiv, da man ja doch zuerst die eine Hälfte schrieb und dann die andere, im Übrigen der Leser erst die eine liest und dann die andere oder umgekehrt, gut dran sind da die Opernsänger, unter den Singenden ein jeder mit eigenem Part, ihrer drei, vier, fünf, sechs, als da sind Tenöre, Bässe, Soprane und Baritone, alle singen verschiedene Worte, zum Beispiel der Zyniker spottet, die Naive fleht, der verspätete Galan eilt herbei, den Zuschauer interessiert die Musik, beim Leser dagegen ist das anders, er will alles erklärt haben, Silbe für Silbe, eine nach der anderen, so wie sie sich hier darbieten. Darum, erst nachdem von Joaquim Sassa die Rede war, wird hier nun von Pedro Orce gesprochen, als Joaquim einen Stein ins Meer warf und Pedro sich vom Stuhl erhob, geschah all das im selben Augenblick, mochte auch zwischen den Uhren eine Stunde Unterschied sein, weil die eine sich in Spanien befindet und die andere in Portugal.

Bekanntlich hat jede Wirkung ihre Ursache, und dies ist eine universelle Wahrheit, es lassen sich jedoch beim Urteilen Irrtümer manchmal nicht vermeiden, oder Fehler schlicht beim Erkennen, geschieht es doch, dass wir diese Wirkung jener Ursache zuschreiben, während es doch eine andere Ursache war, weit jenseits des Verständnisses, das wir haben, und des Wissens, das wir zu haben vermeinten. Beispielsweise schien bewiesen, dass die Hunde von Cerbère bellten, weil Joana Carda die Erde mit einem Rüsterstock geritzt hatte, dennoch aber wäre nur ein sehr leichtgläubiges Kind, sofern eines aus den goldenen Zeiten der Leichtgläubigkeit übrig geblieben ist, oder ein Unschuldswesen, falls der heilige Name der Unschuld so einfach in den Mund genommen werden darf, ein Menschenwesen, das, die Hand schließend, glauben könnte, es verwahre darin das Licht der Sonne, einzig ein solches Kind wäre fähig zu glauben, dass Hunde, die aus geschichtlichen so sehr wie physiologischen Gründen zuvor nie gebellt haben, nun mit einem Mal bellen könnten. In diesen zig Zehntausenden von Weilern, Dörfern, Marktflecken und Städten fehlt es nicht an Leuten, die da schwören würden, dass sie Grund und Gründe gäben sowohl für das Bellen der Hunde als auch für das Übrige, was kommen wird, weil sie gegen eine Tür stießen, einen Nagel beschnitten, eine Frucht abrissen, eine Gardine zur Seite schoben oder eine Zigarette anzündeten oder starben oder, nicht dieselben, geboren wurden. Annahmen dies, von den Toten und soeben Geborenen, Vermutungen, die weitaus schwerer zu billigen wären, da doch wir selber sie vorbringen müssten, wer aber dem Schoß der Mutter gerade entschlüpft ist, spricht noch nicht, und der Gestorbene und in den Schoß der Erde Getauchte ebenso wenig. Auch nützt es nichts, hinzuzufügen, dass für jeden noch genügend andere Gründe bleiben, sich selber für die Ursache aller Wirkungen zu halten, dieser Wirkungen, von denen wir gerade sprechen, und mehr noch jener, die unseren ausschließlichen Beitrag zum Funktionieren der Welt darstellen, mich würde interessieren, wie die Welt aussieht, wenn es keine Menschen geben wird und nicht die von ihnen hervorgebrachten Wirkungen, am besten gar nicht erst daran denken, an eine so schwindelerregende Unermesslichkeit, nun, es langt, wenn irgendwelche Tierchen überleben, irgendwelche Insekten, und es wird andere Welten geben, die der Ameise, die der Zikade, sie werden nicht Vorhänge beiseiteschieben, werden sich nicht im Spiegel betrachten, was bringt das schon ein, jedenfalls die einzige große Wahrheit ist, dass die Welt nicht tot sein kann.

Pedro Orce würde, wenn er es wagte, sagen, das Erdbeben habe ich verursacht, weil ich beim Aufstehen vom Stuhl mit den Füßen hart gegen den Boden trat, eine arge Mutmaßung von ihm, wenn nicht von uns, die wir leichtfertig zweifeln, falls ein jeder Mensch auf Erden zumindest ein Zeichen hinterlässt, könnte dieses Pedro Orces Zeichen sein, weshalb er erklärt, ich setzte die Füße auf den Boden, und die Erde erbebte. Eine außergewöhnliche Erschütterung war es, denn niemand ließ sich anmerken, dass er davon etwas gespürt hatte, und noch jetzt, nachdem zwei Minuten vergangen sind, als am Strand die Woge bereits zurückflutet und Joaquim Sassa zu sich selber sagt, wenn ich das erzähle, nennen sie mich einen Lügner, bebt die Erde, vergleichbar einer Saite, die, obwohl nicht mehr zu hören, weiter schwingt, Pedro Orce spürt das Beben mit den Fußsohlen, spürt es noch immer, als er aus der Apotheke auf die Straße tritt, und draußen tut keiner dergleichen, wie wenn man zu einem Stern aufschaut und sagt, welch hübsches Lichtlein, welch schöner Stern, und nicht wissen kann, dass jener mitten im Satz erloschen ist, es werden Kinder und Enkel die Worte wiederholen, die Ärmsten, sie reden von etwas Totem und wähnen es am Leben, nicht nur in der astronomischen Wissenschaft passieren solche Irrtümer. Hier ist es umgekehrt, alle Leute würden schwören, dass die Erde reglos ist, lediglich Pedro Orce könnte behaupten, dass sie bebt, obschon er ganz still blieb und nicht entsetzt umherrannte, überdies wanken die Mauern nicht, die Lampen hängen lotrecht unbewegt, und die Vögel im Bauer, die ja als Erste Alarm schlügen, schlummern friedvoll auf der Sitzstange, das Köpfchen unters Gefieder gesteckt, die Nadel des Seismographen zog und zieht unverwandt einen geraden Strich über das Millimeterpapier.

Am Morgen des folgenden Tages durchquerte ein Mann eine brache Ebene aus Buschland und Sumpfwiesen, er schritt über Pfade und Wege dahin, zwischen Bäumen, so hehr wie die ihnen verliehenen Namen, Pappeln und Eschen, und zwischen Gruppen von Tamarisken mit ihrem Geruch nach Afrika, es hätte dieser Mann sich keine größere Einsamkeit und keinen höheren Himmel wählen können, und über ihm flog mit gewaltigem Lärm ein Schwarm Stare dahin, begleitete ihn, ihrer so viele, dass sie eine riesige dunkle Wolke waren, gleichsam eine Gewitterwolke. Blieb er stehen, dann schwirrten die Stare im Kreis oder stießen herab in einen Baum, verschwanden im Gezweig, und das ganze Laubwerk zitterte, die Krone hallte wider von rauem Gekreisch, so als fände da drin eine blutig-wilde Schlacht statt. Und weiter schritt José Anaiço, so sein Name, und die Stare flogen plötzlich auf, alle zur gleichen Zeit, fruhhh. Kennten wir diesen Mann nicht und verlegten uns aufs Raten, wir würden ihn vielleicht für einen Vogelfänger halten oder denken, dass er, wie die Schlange, zaubermächtig und imstande wäre, andere Lebewesen auf sich zu bannen, dagegen ist gewiss, dass José Anaiço so sehr wie wir über die Ursachen dieser geflügelten Kirmes rätselte. Was mögen sie von mir wollen, diese Kreaturen, wundern wir uns nicht über das ausgefallene Wort, es gibt Tage, da sind die üblichen fehl am Platze.

Es schritt der Wanderer von Sonnenaufgang nach Sonnenuntergang, so hatte er Weg und Marsch gewählt, doch da er einem großen Gewässer ausweichen musste, wandte er sich, an dessen Rand entlang, im Bogen südwärts. Gegen Ende des Vormittags wird es warm werden, jetzt fächelt eine erfrischende, reine Brise, schade nur, dass sie sich nicht in der Tasche verwahren lässt, für die heißen Stunden. In diesen Gedanken, so vagen und unbeabsichtigten, als gehörten sie ihm nicht, wanderte José Anaiço hin, da fiel ihm auf, dass die Stare zurückgeblieben waren, dort hinten flogen sie, wo der Pfad die Krümmung beschrieb, längs des aufgestauten Wassers, ein zweifellos merkwürdiges Gebaren, aber bitte, wie man so sagt, wer geht, geht, wer bleibt, bleibt, ade, ihr Vögelein. José Anaiço hatte das Gewässer gerade umgangen, fast eine halbe Stunde beschwerlichen Wegs zwischen Schwertlilien und Brombeergestrüpp, er schlug die ursprüngliche Richtung ein, von Ost nach West, wie die Sonne, als plötzlich, fruhhh, die Stare wieder auftauchten, wo mochten sie nur gesteckt haben. Nun, für diesen Fall gibt es keine Erklärung. Wenn ein Schwarm Stare einen Menschen auf seinem morgendlichen Spaziergang begleitet wie ein treuer Hund seinen Herrn, wenn er wartet, bis dieser den Weg um das Wasser genommen hat, und ihm dann wie zuvor folgt, so verlangt da niemand Gründe oder Nachforschung, Vögel sind nicht von Vernunft geleitet, sondern von Instinkten, bisweilen so vagen und unbeabsichtigten, als gehörten diese nicht ihnen, wir sprachen von den Instinkten, jedoch auch von der Vernunft und den Gründen. Unterlassen wir es jetzt auch, José Anaiço zu fragen, wer er ist und was er im Leben macht, woher er kommt und wohin er geht, was man über ihn noch erfahren wird, das ausschließlich von ihm selber, und diese Zurückhaltung und Kargheit in der Mitteilung soll auch für Joana Carda und ihren Rüsterstock gelten, für Joaquim Sassa und den von ihm ins Meer geworfenen Stein, für Pedro Orce und den Stuhl, von dem er sich erhob, das Leben beginnt nicht bei der Geburt der jeweiligen Person, sonst wäre jeder Tag ein gewonnener Tag, die Leben fangen erst später an, manches Mal zu spät, nicht zu reden von jenen, die, kaum begonnen, schon endeten, darum also der andere ausrief, ah, wer wird die Geschichte all dessen niederschreiben, was hätte sein können.

Und diese Frau jetzt, María Guavaira geheißen, ein seltsamer Name, aber nicht Gerundium, die auf den Dachboden des Hauses stieg und da einen Sparstrumpf fand, einen von den altertümlichen, echten, die das Geld so wohl verwahrten wie ein Tresor, die symbolischen Rücklagen, die wohltuenden Ersparnisse, sie fand ihn leer und begann ihn aufzuräufeln, wie jemand, der seinen Händen Beschäftigung geben will. Darüber verbrachte sie eine Stunde, noch eine und noch eine, und der lange Faden aus blauer Wolle wollte kein Ende nehmen, so wenig wie der Sparstrumpf an Größe abnahm, es langten noch nicht die vier bereits erwähnten rätselvollen Geschehnisse, dieses hier beweist uns, dass der Inhalt, einmal wenigstens, größer sein konnte als das Gefäß. Bis zu diesem stillen Haus hallte das Rauschen des Meeres nicht, sofern Vögel vorbeifliegen, verfinstert ihr Schatten kein Fenster, Hunde mag es geben, doch sie bellen nicht, und die Erde, falls sie bebte, ist reglos. Zu Füßen der Aufräufelnden häuft der Faden sich zu einem Berg. María Guavaira heißt nicht Ariadne, mit diesem Faden werden wir nicht aus dem Labyrinth herausfinden, vielleicht werden wir uns, dank seiner, noch verirren. Das Ende, wo ist es.

Der erste Riss zeigte sich in einer großen Felsplatte, einer so glatten, wie es der Tisch der Winde ist, irgendwo in diesem zum äußersten Osten des Kettengebirges gehörenden und Monts Albères genannten Gebirgszug, der zum Meer hin gemächlich abfällt und wo nun die unglücklichen Hunde von Cerbère umherstreunen, eine Erwähnung dies nicht außerhalb von Zeit und Raum, denn alle diese Dinge sind, selbst wenn es nicht den Anschein hat, untereinander verbunden. Verstoßen, wie gesagt, vom heimischen Futternapf, und also der Not halber gezwungen, aus der unbewussten Erinnerung Fähigkeiten seiner in der freien Wildbahn jagenden Ahnen abzurufen, zum Fang irgendeines verirrten jungen Kaninchens, mag einer dieser Hunde, Ardent sein Name, dank dem äußerst feinen Gehör, das dieser Rasse eignet, das Platzen des Steines wahrgenommen haben, er mag, nur eben nicht knurrend, da hierzu außerstande, herbeigeeilt sein, die Nasenflügel blähend, mit gesträubtem Fell, so neugierig wie ängstlich. Der Riss, ganz fein, würde einen menschlichen Beobachter wie ein mit spitzem Bleistift gezogener Strich anmuten, sehr viel anders als jener mit einem Stock in die harte Erde gekratzte oder ein durch losen weichen Staub oder durch Schlamm gezogener, sofern wir uns mit solchen träumerischen Nichtigkeiten die Zeit vertrieben. Jedoch als der Hund herankam, verbreiterte sich der Riss, wurde tiefer Spalt und setzte sich fort, bis zu den Rändern der Felsplatte, und dann nach hierhin und nach dorthin, es passte die ganze Hand hinein, der Arm in Dicke und ganzer Länge, sofern hier ein wagemutiger Mensch zugegen gewesen wäre, sich mit diesem Phänomen zu messen. Hund Ardent hastete umher, unruhig, vermochte aber nicht zu entfliehen, ihn bannte diese Schlange, von der man weder Kopf noch Schwanzende mehr sah, und plötzlich verloren, in Zweifel, auf welcher Seite er bleiben sollte, ob in Frankreich, wo er sich gerade befand, oder in Spanien, das sich bereits drei Handbreit weit entfernt hatte. Dieser Hund indes gehört, Gott sei Dank, nicht zu denen, die sich mit den Situationen abfinden, der Beweis ist, dass er mit einem Sprung hinwegsetzte über den Abgrund, mit Verlaub diese augenscheinliche Übertreibung im Wort, und er befand sich diesseits, er zog die Höllengefilde vor, nie werden wir erfahren, welche Sehnsüchte die Hundeseele bewegen, welche Träume, welche Versuchungen.

Der zweite Riss, für die Welt jedoch der erste, erfolgte viele Kilometer entfernt von hier, nach dem Golf von Biskaya hin, nicht weit fort von jenem durch die Geschichte um Karl den Großen und seine zwölf Paladine auf schmerzliche Weise berühmt gewordenen Ort Roncesvalles, wo der in sein Olifant stoßende Roland den Tod fand, ohne dass Angelika oder Durandal ihm zu Hilfe geeilt wären. Dort, die Flanke der Sierra de Abodi entlang und hinab, auf der Nordwestseite, fließt ein Fluss, der Irati, in Frankreich entsprungen, er mündet in den Erro, der spanisch ist und ein Nebenfluss des Aragón, der dem Ebro Tribut zollt, welcher letztendlich alles Wasser fortführt und es in das Mittelmeer gießt. Auf der Sohle des Tales, am Ufer des Irati, liegt eine Stadt, Orbaiceta, und flussaufwärts befindet sich ein Staudamm, dortzulande embalse genannt.

Es ist an der Zeit, zu erklären, dass alles, was hier steht oder noch zu sagen sein wird, die reine Wahrheit ist, nachprüfbar auf jedweder Landkarte, sofern sie nur detailliert genug ist, vermeintlich so unbedeutende Informationen zu enthalten, denn die Eigenheit der Landkarten ist eben die, sie unterstellen Verfügbarkeit des verkleinerungsfähigen Raumes und dass sich in ihm alles ereignen kann. Und es ereignet sich. Schon sprachen wir von dem Schicksalsstab, schon überzeugten wir uns, dass ein Stein, obwohl der Wasserkante fern, abermals ins Meer fallen oder von dort zurückkehren kann, nun ist die Reihe an Orbaiceta, wo, nach dem durch den Bau eines Staudammes ausgelösten heilsamen Trubel vor vielen Jahren, wieder Ruhe eingekehrt war, in diese Provinzstadt in Navarra, die da zwischen den Bergen döste, nun aber neuerlich in Erregung gerät. Einige Tage lang war Orbaiceta Europas, wenn nicht der ganzen Welt, neuralgischer Punkt, dort scharten sich Regierungsvertreter, Politiker, zivile und militärische Führungskräfte, Geologen und Geographen, Journalisten und Mineralogen, Fotografen, Kameraleute von Film und Fernsehen, Fachleute aller Disziplinen, Inspektoren und Schaulustige. Jedoch Orbaicetas Berühmtheit wird nicht lange vorhalten, wenige Tage nur, kaum länger als die Rosen von Malherbe, und wie auch sollten Letztere überdauern, sind sie ja, wie ihr Name sagt, von schlechtem Kraut, doch reden wir von Orbaiceta, das nur so lange in aller Munde war, bis anderweitig eine höhere Berühmtheit herausgestrichen wurde, so ist das immer mit den Berühmtheiten.

In der Geschichte der Flüsse hatte es das noch nie gegeben, dass da ein Wasser seinen ewigen Lauf zieht und mit einem Mal nicht mehr, als würde plötzlich der Hahn zugedreht, beispielsweise einer wäscht sich die Hände in einem Becken, er zieht den Stöpsel, den Hahn hatte er bereits geschlossen, das Wasser fließt ab, wird weniger, verschwindet, was im Emaillebecken verblieb, wird bald verdunstet sein. Mit treffenderen Worten erklärt, das Wasser des Irati schwand wie eine Welle, die vom Strand zurückfließt und verrinnt, das Flussbett bot sich den Blicken dar, Steine, Schlamm, Schlick, springende Fische, die nach Luft schnappten und starben, das jähe Schweigen.

Die Ingenieure waren nicht vor Ort, als das Unglaubliche geschah, doch sie merkten gleich, dass etwas Außergewöhnliches im Gange war, die Anzeigen am Überwachungspult meldeten, dass der Fluss das große Becken nicht mehr speiste. In einem Jeep begaben sich drei Techniker hin, um den beunruhigenden Vorfall näher zu untersuchen, unterwegs, am Stausee entlang, erörterten sie die unterschiedlichen Vermutungen, dazu war Zeit auf der fast fünf Kilometer langen Strecke, und eine der Hypothesen ging dahin, dass ein Erdrutsch oder eine Verwerfung im Gebirge den Lauf des Flusses verändert habe, eine andere, dass dies ein Werk der Franzosen sei, der gallischen Heimtücke, entgegen der bilateralen Vereinbarung über die Flussgewässer und deren hydroelektrische Nutzung, eine andere, die radikalste, folgerte, dass die Quelle, der Born, die Ader einfach versiegt war, was man für ewig gehalten, hatte nun doch getrogen. In diesem Punkt gingen die Meinungen auseinander. Einer der Ingenieure, ein gefasst ruhiger Mensch, von der kontemplativen Spezies und dem Leben in Orbaiceta zugetan, fürchtete, man werde ihn weit fortschicken, die anderen rieben sich vor Vergnügen die Hände, vielleicht würden sie zu einem der Stauseen des Tajo versetzt, möglichst nahe Madrid und der Gran Vía. Über diesen persönlich bewegenden Erörterungen gelangten sie in den fernsten Winkel des Stausees, wo der Fluss einmündete, und der Fluss war nicht da, nur ein dünnes Rinnsal, noch getrübt von weicher Erde, ein glucksender Morast, ein Rinnsal, das noch nicht einmal eine Spielzeugmühle hätte antreiben können. Wohin, Blitz und Donner, ist der Fluss verschwunden, rief der Fahrer des Jeeps, und er hätte es nicht kräftiger und kerniger sagen können. Staunend, baff, verwirrt, auch beunruhigt, erörterten die Ingenieure ein weiteres Mal die schon dargelegten Hypothesen, dann, nachdem sie die praktische Nutzlosigkeit des Debattierens erkannt hatten, kehrten sie zu den Büros des Unternehmens zurück, fuhren nach Orbaiceta, wo die Geschäftsleitung, über das wundersame Verschwinden des Flusses schon informiert, ihrer harrte. Es gab heftige Diskussionen, viele Zweifel, Telefonate nach Pamplona und Madrid, und das Ergebnis des ermüdenden Tuns und Verhandelns war am Ende ein sehr einfacher Befehl, bestehend aus drei folgerichtigen, sich ergänzenden Teilen: flussaufwärts marschieren, feststellen, was passiert ist, und nichts den Franzosen sagen.

Die Expedition brach am folgenden Tag in aller Frühe zur Grenze auf, immer neben dem Fluss her oder das ausgetrocknete Bett in Sichtnähe, und als die müden Inspektoren dort ankamen, begriffen sie, dass es den Irati nie mehr geben werde. Durch einen Spalt von allenfalls drei Meter Breite stürzten die Wasser, tosend wie ein kleiner Niagara, ins Erdinnere. Auf der anderen Seite schon eine Ansammlung von Franzosen, naiv zu glauben, dass die Nachbarn, verschlagen und Cartesianer, von der Sache nichts merken würden, aber wenigstens zeigten sie sich überrascht und verwirrt wie die Spanier diesseits, und allesamt brüderlich vereint im Nichtwissen. Es kamen die beiden Seiten miteinander ins Gespräch, zu einem eher kurzen und wenig dienlichen, denn schwerlich gedieh es hinaus über Ausrufe berechtigten Entsetzens und zages Aufwerfen neuer Hypothesen seitens der Spanier, jedenfalls herrschte allgemeine Verwirrung, die nicht wusste, gegen wen sie sich richten sollte, die Franzosen lächelten schon bald wieder, sie immerhin blieben auch fernerhin bis zur Grenze Besitzer des Flusses, sie brauchten die Landkarte nicht zu korrigieren.

An diesem Nachmittag schwebten Hubschrauber beider Länder über der Stelle, sie fotografierten, Beobachter wurden mit Winden herabgelassen, hingen über dem Wasserfall, schauten und sahen nichts, nur den schwarzen Schlund und den gekrümmten Buckel des schillernden Wasserschwalls. Um irgendwie nützliche Vorkehr zu treffen, versammelten sich die städtischen Behörden Orbaicetas, seitens der Spanier, und Larraus, seitens der Franzosen, da am Fluss, unter einem hierfür aufgestellten und mit den drei Fahnen – der spanischen Bikolore und der französischen Trikolore, zuzüglich der Flagge von Navarra – geschmückten Zeltdach, in der Absicht, die touristischen Möglichkeiten eines in der Welt gewiss einmaligen Naturphänomens zu erörtern wie auch die Möglichkeiten seiner Ausbeutung in beiderseitigem Interesse. Da die vorliegenden Fakten zur Analyse nicht ausreichten und zweifelsfrei nur provisorischen Charakters waren, kam in puncto Verpflichtungen und Rechte der jeweiligen Seite kein aussagekräftiges Dokument zustande, doch wurde eine gemischte Kommission einberufen, die in kürzester Frist den Termin für die nächste und dann formelle Zusammenkunft ausarbeiten sollte. Allerdings brachte, in letzter Stunde, ein verwirrender Faktor das erlangte relative Einvernehmen durcheinander, nämlich fast gleichzeitig intervenierten, in Madrid und Paris, die Vertreter beider Staaten bei der Ständigen Kommission für Grenzangelegenheiten. Die Herren tischten eine schwerwiegende Frage auf, sage uns einer, wohin sich dieses Loch auftut, nach der spanischen oder nach der französischen Seite. Das schien ein Detail von minderer Bedeutung, aber nachdem die Begründung dargelegt war, wurde einem die Brisanz der Angelegenheit vollends klar. Unbestreitbar gehörte der Irati fortan ausschließlich Frankreich, dem Département Basses-Pyrénées, doch falls der Spalt sich in Gänze zur spanischen Seite, zur Provinz Navarra hin, aufgetan hatte, würde es noch vieler Unterhandlungen bedürfen, da nun einmal jedes der beiden Länder, gewisserweise, in gleichem Maße daran beteiligt wäre. War, im Gegenteil, auch der Spalt französisch, dann würde die Angelegenheit gänzlich deren Sache sein, so wie die Dinge an sich, der Fluss und der Schlund. In Anbetracht der neuen Lage und gedankliche Vorbehalte verhehlend, kamen die Behörden beider Seiten überein, miteinander in Kontakt zu bleiben, solange die wichtige Frage nicht geklärt war. Die Ministerien für Auswärtige Angelegenheiten beider Länder ihrerseits verkündeten in einer sorgsamst ausgearbeiteten gemeinsamen Erklärung die Absicht, dringlichst Gespräche fortzuführen auf der Ebene der erwähnten Ständigen Kommission für Grenzangelegenheiten, die, selbstverständlich, fachlich beraten würde von den entsprechenden geodätischen Expertenteams.

Auf diesem Höhepunkt der Ereignisse, bei reichem, mannigfaltigem internationalen Hin und Her, erschienen die Geologen. Zwischen Orbaiceta und Larrau gab es schon von allem ein bisschen, wenn nicht viel, wie vorher aufgezählt, nun kamen in Menge die Wissenschaftler von nah und fern, die Erforscher der Bodenbewegungen und Geländerverschiebungen, der geologischen Schichten und der Findlinge, sie kamen mit dem Hämmerchen in der Hand und beklopften alles, was Stein war oder wie Stein aussah. Ein französischer Journalist, mit Namen Michel und Zyniker, sprach zu seinem spanischen Kollegen, ernst dieser und mit Namen Miguel, der schon nach Madrid gemeldet hatte, dass die Spalte ab-so-lut spanisch sei, oder, geographisch und nationalistisch präzis ausgedrückt, navarresisch, die könnt ihr ruhig behalten, sprach der dreiste Franzose, falls ihr so danach giert und sie so dringlich braucht, wir haben allein schon im Cirque de Gavarnie einen Wasserfall von vierhundertzwanzig Meter Höhe, wir benötigen keine verkehrt sprudelnden artesischen Löcher. Miguel kam nicht der Gedanke, ihm zu antworten, dass es auch auf der spanischen Seite der Pyrenäen Wasserfälle gibt, sehr schöne und hohe, doch die Frage hier war eine andere, eine Kaskade unter freiem Himmel, das birgt kein Geheimnis, ist stets das Gleiche, vor aller Leute Augen, wohingegen man bei der Spalte des Irati zwar den Anfang sieht, aber das Ende nicht kennt, wie im Leben. Indes, es war ein anderer Journalist, übrigens Galicier und auf der Durchreise, wie es Galiciern so oft widerfährt, der die noch ausstehende Frage stellte, wohin fließt dieses Wasser. Es war zu der Zeit, da die Geologen beider Seiten wissenschaftlich bar und trocken diskutierten, und die Frage, wie von einem scheuen Kind, vernahm nur ebenjener, der sie hier niederschreibt. Da die Stimme galicisch war, und also zurückhaltend und wohlerwogen, ging sie unter in der gallischen Ereiferung und dem kastilischen Gepolter, doch dann wiederholten andere das Gesagte und maßten sich darin die Urheberschaft an, den kleinen Völkern schenkt halt niemand Gehör, eine Feststellung dies, die nicht dem Verfolgungswahn entspringt, sondern eine Augenscheinlichkeit der Geschichte ist. Die Erörterung der Gelehrten war für die Laien fast unverständlich geworden, dennoch blieb erkennbar, dass da zwei Hauptthesen zur Diskussion standen, die der Monoglazialisten und die der Polyglazialisten, beide verhärtet und einander bald feind, wie zwei antithetische Religionen, die monotheistische hie, die polytheistische da. Einige Erklärungen muteten interessant an, wie jene von den Deformierungen, gewissen Deformierungen, die herrühren konnten von einer tektonischen Hebung oder aber einer durch Erosion bewirkten isostatischen Kompensierung. Dies umso mehr, so wurde hinzugefügt, als eine Überprüfung der gegenwärtigen Formen des Kettengebirges die Behauptung zulässt, dass es nicht alt ist, geologisch gesprochen, versteht sich. Dies alles, möglicherweise, könnte mit dem Bruch in Verbindung stehen. Schließlich, wenn ein Gebirge solchen Kräftespielen, einem so gewaltigen Arm ausgesetzt ist, verwundert es kaum, dass es eines Tages nachgeben muss, zerspringt, bricht oder, wie im vorliegenden Fall, auseinanderreißt. So nicht bei der großen Felsplatte, die reglos auf den Monts Albères lag, sie aber bekamen die Geologen nie zu Gesicht, sie lag abseits fern, in trostloser Einöde, niemand näherte sich ihr, auch Hund Ardent, dem Kaninchen hinterdrein, kehrte nicht zurück.

Zwei Tage später waren die Mitglieder der Grenzkommission auf freiem Feld bei der Arbeit, sie vermaßen mit Theodoliten, überprüften anhand der Aufstellungen, rechneten mit Taschenrechnern, und dies alles verglichen sie mit den vorgenommenen Luftaufnahmen, die Franzosen dabei wenig zufrieden, denn schon bestand kaum mehr ein Zweifel, dass die Spalte spanisch war, so wie Journalist Miguel es mit Pioniergeist verteidigt hatte, da plötzlich wurde ein neuer Bruch gemeldet. Vom friedvollen Orbaiceta war fortan nicht mehr die Rede, auch nicht vom auseinandergerissenen Fluss Irati, sic transit gloria mundi und auch die Glorie von Navarra. Im Schwarm eilten die Medienmenschen, einige unter ihnen Frauen, zur Inspizierung der Ostpyrenäen, der nun kritischen Region, sie glücklicherweise besser zugänglich durch so viele und so vorzügliche Verkehrsmittel, dass da binnen Stunden die Macht der Welt zusammenfand, Leute gar aus Toulouse und aus Barcelona kamen. Die Straßen waren bald verstopft, zu spät entschieden die Polizisten der einen wie der anderen Seite, die Verkehrsströme umzuleiten, kilometerlange Autoschlangen, das mechanische Chaos, hierauf musste drastisch eingegriffen, mussten all diese Leute zur Umkehr auf die Gegenfahrbahn gezwungen werden, da galt es, die Leitplanken abzureißen, die Gräben zu füllen, rein die Hölle, recht getan hatten die Griechen, dass sie diese hierher auslagerten. In der Not taten die Hubschrauber gute Dienste, diese Flugmaschinen oder Riesenvögel, die an fast beliebigem Fleck aufsetzen können und, wenn das gänzlich unmöglich ist, sich in der Schwebe halten nach Art des Kolibris, sie schwirren hautnah an die Blume heran, die Insassen benötigen noch nicht einmal eine Treppe, ein Hüpferchen langt, sie tauchen in die Blumenkrone zwischen Staubfäden und Stempel, atmen die Düfte, oft von Napalm und verbranntem Fleisch. Sie hasten los, mit eingezogenen Köpfen, und eilen hin, um zu sehen, was geschehen ist, einige von ihnen kommen stracks vom Irati, schon mit tektonischer Erfahrung, aber nicht der hiesigen.

Die Spalte zerschneidet die Straße, nunmehr eine einzige große Standfläche, und zieht sich hin, wird schmaler nach den beiden Seiten, verliert sich hangabwärts, schlängelt sich hangaufwärts und verschwindet im Buschwerk. Wir sind hier punktgenau an der Grenze, der wirklichen, der Scheidelinie, auf diesem vaterlandslosen Streifen zwischen den Zollhäusern der zwei Polizeien, zwischen der aduana und der douane, zwischen der bandera und dem drapeau. Aus vorsichtiger Entfernung, denn die Möglichkeit, dass die Ränder der irdischen Wunde wegbrechen, ist nicht ausgeschlossen, wechseln Behörden und Techniker Sätze, bar an Sinn und an Wirksamkeit, dieses laute Durcheinander von Stimmen kann man nicht Dialog nennen, und sie benutzen Lautsprecher, um sich besser verständlich zu machen, indessen andere Personen, von höherem Rang, in den Gebäuden telefonieren, miteinander oder mit Madrid und Paris. Die Journalisten, kaum ausgestiegen, forschen nach, wie dies passiert ist, und nehmen alle dieselbe eine Geschichte auf, mit einigen Abweichungen, die ihre eigene Phantasie noch um etliches ausschmücken wird, aber, auf den einfachen Fall zurückgebracht, das Ereignis wurde von einem Autofahrer gemeldet, der am schon dunklen Abend hier vorbeikam und dabei spürte, dass sein Wagen plötzlich einen Hüpfer tat, als führen die Räder durch eine tiefe Querrinne, er stieg aus und sah nach, was dies bedeuten konnte, vielleicht Reparaturarbeiten an der Fahrbahndecke, unvorsichtigerweise nicht kenntlich gemacht. Der Spalt zu diesem Zeitpunkt eine halbe Spanne breit und etwa vier Meter lang, wenn überhaupt. Der Mann, ein Portugiese namens Sousa und mit der Ehefrau und Schwiegereltern auf Reisen, kehrte zum Wagen zurück und sagte, man könnte meinen, wir sind schon in Portugal, denkt euch, ein riesiger Graben, das hätte mir die Felge verbeulen oder die Achse brechen können. Nicht Graben und nicht riesig, doch die Worte, so von uns gesagt, haben ihr Gutes, sie helfen, denn allein schon weil übertrieben, besänftigen sie sogleich unseren Schrecken und unsere Erregung, und warum, weil sie dramatisieren. Die Frau, nicht sonderlich empfänglich für die Mitteilung, erwiderte, da schau, und er fand, er solle den Ratschlag befolgen, obwohl es vielleicht anders gemeint war, denn die Bemerkung der Senhora, mehr Ausruf denn kurz gefasste Empfehlung, gehörte zu jenen Sätzen, die stellvertretend als Erwiderung dienen, der Mann stieg wieder aus, prüfte die Felgen, erkennbare Schäden fand er nicht, ein Glück. Wenige Tage später, da schon in seiner portugiesischen Heimat, wird er ein Held sein, werden Fernsehen, Radio und Presse ihn befragen. Sie, Senhor Sousa, haben es als Erster gesehen, erzählen Sie uns, was Sie in jenem entsetzlichen Augenblick empfanden. Er wird es ungezählte Male wiederholen, und die herausgeputzte Geschichte gipfelt jedes Mal in einer bangen rhetorischen Frage, die erschauern lässt und ihm selber köstlichen, einer Ekstase vergleichbaren Schauder bereitet, wenn der Spalt größer gewesen wäre, das hat er schon überlegt, so wie man jetzt erzählt, wären wir da hineingefallen, weiß Gott wie tief, und mehr oder weniger dies war auch des Galiciers Überlegung gewesen, als er fragte, sofern man sich noch daran erinnert, wohin fließt dieses Wasser.

Bis wohin, das ist die Kernfrage. Erste objektive Vorkehr müsste es sein, diese Wunde zu sondieren, ihre Tiefe zu ergründen, sodann die geeigneten Maßnahmen zu erörtern, festzulegen und in die Tat umzusetzen, zwecks Schließung der Bresche, kein Ausdruck je rigoroser als dieser und also französischen Ursprungs, man könnte meinen, jemand hätte ihn sich eines Tages ausgedacht oder ihn eigens erfunden, damit er trefflichst angewendet würde, wenn die Erde einmal aufrisse. Die sogleich angestellte Sondierung ergab etwas mehr als zwanzig Meter Tiefe, verglichen mit den technischen Möglichkeiten des modernen Wegebaues ein Nichts. Aus Spanien und aus Frankreich, von nah und fern rückten Betonmischmaschinen an, jene interessanten Geräte, die mit ihren gleichförmigen Bewegungen an den Planeten Erde im Weltraum erinnern, Rotation, Fortbewegung, und wenn der Augenblick da war, spuckten sie den Beton aus, in gewaltigem Schwall, dieser zu besserer Wirkung dann noch versehen mit Mengen großen Gesteins und schnell bindendem Zement. Man war mitten im Füllen, als ein einfallsreicher Spezialist vorschlug, man sollte, wie früher bei den Wunden von Menschen üblich, einige Klammern anlegen, große Krampen aus Stahl, die beide Ränder festhielten und so gewissermaßen die Vernarbung der Wunde begünstigten und beschleunigten. Der Vorschlag wurde von der bilateralen Krisenkommission gebilligt, die spanischen und französischen Gießereien nahmen sogleich die erforderlichen Studien in Angriff, Legierung, Dicke und Profil des Materials, Maße der Bauklammer im Verhältnis zum gefassten Erdreich, jedenfalls lediglich den Spezialisten verständliche Einzelheiten, darum hier nur sehr oberflächlich aufgeführt. Die Spalte schluckte den Schwall an Stein und grauem Schlamm, als wäre es der Fluss Irati, der da ins Erdinnere fiel, man hörte in den Tiefen die Echos hallen und mutmaßte einen riesigen Hohlraum da unten, eine Kaverne, eine Art unersättlichen Schlund, falls das zutrifft, erübrigt sich weiteres Betonieren, da wird über den Riss eine Brücke geschlagen, vielleicht wirklich die einfachste und ökonomischste Lösung, man rufe die Italiener, die haben viel Erfahrung im Bau von Viadukten. Doch nach wer weiß wie viel Tonnen und Kubikmetern zeigte die Sonde siebzehn Meter Tiefe an, dann fünfzehn, dann zwölf, der Betonpegel stieg und stieg, die Schlacht war gewonnen. Die Techniker, die Ingenieure, die Arbeiter, die Polizisten, sie fielen einander jubelnd in die Arme, Fahnen wurden geschwenkt, die Fernsehberichterstatter, aufgeregt, verlasen die neueste Nachricht und warteten mit eigener Beurteilung auf, sie priesen den titanischen Kampf, das Epos der Gemeinschaft, die tatkräftige internationale Solidarität, sogar Portugal, dieses kleine Land, entsandte einen Konvoi von zehn Betonfahrzeugen, da ziehen sie die Straße hin, haben vor sich eine lange Reise, mehr als eintausendfünfhundert Kilometer, eine gewaltige Anstrengung, der Beton, den sie bringen, ist nicht mehr vonnöten, doch die Geschichte wird diese symbolische Geste festhalten.

Als die Auffüllung Straßenniveau erreichte, barst die Freude in ein kollektives Delirium, es war wie Jahresausklang, Feuerwerk und Silvestertrubel. Die Lüfte hallten vom Gehupe jener Autofahrer, die sich auch nach Räumung der Straßen nicht hatten abweisen lassen, heiser blökten die avertisseurs und die bocinas der Laster, und die Hubschrauber flatterten triumphal über den Häuptern, wie Seraphe von vielleicht keineswegs himmlischen Kräften. Immerfort klickten die Fotoapparate, die Kameraleute vom Fernsehen drängten heran, sie bezähmten die Nerven, und da, an den Rändern des Spalts, der nun keiner mehr war, hielten sie in Großaufnahme die unregelmäßige Betonoberfläche fest, diesen Beweis menschlichen Sieges über eine Laune der Natur. Und also konnten die Zuschauer, fern von da, in ihrem gemütlichen und sicheren Zuhause, live die Bilder von der französischspanischen Grenze, am Col de Perthus, empfangen, konnten sie, als sie schon lachten, vor Freude in die Hände klatschten und das Ereignis wie eine eigene Großtat feierten, jäh erleben, ihren eigenen Augen nicht trauend, sahen sie, wie da die Oberfläche des noch weichen Betons in Bewegung geriet und zu sinken begann, als würde die gewaltige Masse von unten her angesogen, langsam, unwiderstehlich, bis die Bresche wieder weit klaffte. Die Spalte hatte sich nicht verbreitert, und dies konnte nur eines bedeuten, dass die Wände nun nicht mehr in zwanzig Meter Tiefe zusammenliefen, sondern weitaus tiefer, um weiß Gott wie viel Meter. Die Kameraleute wichen zurück, erschrocken, doch die Berufspflicht, ihnen zum Instinkt geworden, sicherte das Weiterlaufen der Kameras, ein zittriges allerdings, und die Welt konnte die entsetzten Gesichter sehen, die uneindämmbare Panik, man hörte die Rufe, die Schreie, alles flüchtete, in weniger als einer Minute war die Standfläche leer, zurückgeblieben die verlassenen Betonmischer, hier und dort noch einer in Betrieb, mit rotierender Trommel, gefüllt mit einer Masse, die drei Minuten davor nicht mehr erforderlich schien, nun aber unnütz geworden war.

Zum ersten Mal strich ein Angstschauer über die Halbinsel und das anliegende Europa. In Cerbère, da nahebei, liefen die Leute ahnungsvoll auf die Straße wie ihre Hunde zuvor, sie riefen einander zu, es stand geschrieben, wenn sie bellen, geht die Welt unter, und das stimmte nicht ganz, nie hatte es geschrieben gestanden, doch in den großen Augenblicken bedürfen wir allemal großer Worte, und dieser Satz, es stand geschrieben, hat, weiß einer, warum, einen so hehren Rang, nimmt in den Handbüchern des fatalen Stils den vordersten Platz ein. Die Bürger von Cerbère, mit mehr Grund als sonst wer das Kommende fürchtend, begannen den Ort zu verlassen, wanderten, ein geschlossener Zug, in sicherere Landstriche aus, vielleicht dass der Welt Ende sie dort nicht ereilte. In Banyuls-sur-Mer, Port-Vendres und Collioure, um nur diese am Küstensaum gelegenen Orte zu nennen, blieb keine lebende Seele. Die toten Seelen, weil eben gestorben, blieben, mit jenem unerschütterlichen Gleichmut, der sie vom Rest der Menschheit scheidet, sollte einer je das Gegenteil behauptet haben, dass nämlich Fernando den Ricardo aufsuchte, tot der eine und lebend der andere, so war das unsinnige Spinnerei, mehr nicht. Doch einer dieser Toten, in Collioure, regte sich ein bisschen, als zögerte er noch, geh ich, geh ich nicht, nein, ins Innere Frankreichs jedenfalls nie und nimmer, nur er würde wissen, wohin, vielleicht erfahren wir es auch noch.

Zwischen den tausend Meldungen, Meinungen, Kommentaren und Rundtischgesprächen, die man tags darauf in den Zeitungen, im Fernsehen und im Radio verfolgen konnte, ging die knappe Bemerkung eines orthodoxen Seismologen fast ungehört unter, ich wüsste gern, wie dies alles geschieht, ohne dass dabei die Erde bebt, hierauf ein anderer Seismologe, einer der modernen Schule, ein pragmatischer und flexibler, erwiderte, zu gegebener Zeit werden wir es erklären. Nun, in einem Ort in Südspanien hörte ein Mann dieses gegensätzliche Gespräch, er begab sich von zu Hause nach Granada, um den Herren vom Fernsehen zu sagen, dass er seit mehr als einer Woche die Erde beben fühle, er habe bisher geschwiegen, weil er gemeint habe, niemand werde ihm glauben, hier sei er jetzt, in Person, damit man sich überzeuge, dass ein einfacher Mensch viel sensibler sein könne als alle Seismographen dieser Welt zusammengenommen. Das Schicksal fügte es, dass ein Redakteur ihm sein Ohr lieh, sei es aus Sympathie und gutem Willen oder angetan von der Ungewöhnlichkeit des Falles, in vier Zeilen wurde die Neuigkeit festgehalten und, wenn auch ohne Bildeinblendung, in den Abendnachrichten gesendet, mit augenzwinkerndem Vorbehalt. Tags darauf nutzte und weitete das portugiesische Fernsehen, in Ermangelung eigenen lokalen Materials, den Fall mittels Studiointerview mit einem Spezialisten für paranormale Phänomene, der aber, seiner wichtigsten Verlautbarung zu entnehmen, zur Aufhellung der Sache weiter nichts beitragen konnte, wie bei den sonstigen Fällen hängt alles ab von der Sensibilität.

Von Wirkungen und Ursachen ist hier viel die Rede gewesen, stets äußerst wohlüberlegt, unter Beachtung der Logik, nach gesundem Menschenverstand, die Vernunft wahrend, denn jedem leuchtet ein, dass aus einer Sackgasse niemand einen Rossio-Platz machen kann. Also mag man, natürlich und berechtigt, in Zweifel ziehen, dass jener von Joana Carda mit dem Rüsterstock über den Boden gezogene Strich das Auseinanderbrechen der Pyrenäen unmittelbar verursachte, was von Beginn an sacht unterstellt wurde. Nicht zurückweisen aber möge man die andere Tatsache und volle Wahrheit, dass Joaquim Sassa sich auf die Suche nach Pedro Orce begab, weil er über ihn in den Abendnachrichten gehört hatte und auch, was er gesagt hatte.

Europa, die liebende Mutter, war bekümmert ob des Schicksals ihrer Randländer im Westen. Überall in der Pyrenäenkette barsten die Granite, vervielfachten sich die Spalte, Straßen waren mit einem Mal durchschnitten, Flüsse, Bäche und Kaskaden tauchten in den Untergrund, ins Unsichtbare. Über die schneebedeckten Gipfel hin, aus der Luft gesehen, tat sich, schwarz und schnell, gleichsam eine Spur von Zündpulver, ein Spalt auf, wohinein der Schnee rutschte und mit dem matten Rauschen einer kleinen Lawine verschwand. Die Hubschrauber schwirrten hin und her, beobachteten die Gipfel und die Täler, waren vollgestopft mit Fachleuten, mit Spezialisten für alles, was nur irgend dienlich sein konnte, mit Geologen, sehr zu Recht, zumal ihnen jetzt das Arbeiten auf freier Flur verwehrt war, mit Seismologen, bass erstaunten, weil die Erde beharrlich ruhig blieb, nicht bebte, noch nicht einmal vibrierte, und mit Vulkanologen, insgeheim erwartungsvollen, obschon der Himmel rein war, frei von Rauch und Feuer, ein vollkommenes und blankes Augustblau, die Zündpulverspur nur mehr ein Vergleich, es ist gefährlich, die Vergleiche wörtlich zu nehmen, diesen und andere mehr, wenn wir es nicht lernen, uns zuvor zu wappnen. Nichts vermochte Menschenkraft gegenüber einem Kettengebirge auszurichten, das sich wie ein Granatapfel auftat, augenscheinlich ohne Schmerzen, nur eben, wer sind wir, dass wir es so genau wissen, weil es reif geworden und die Zeit gekommen war. Bare achtundvierzig Stunden nachdem Pedro Orce dem Fernsehen gemeldet hatte, was wir bereits wissen, konnte man die Grenze, vom Atlantik bis ans Mittelmeer, schon nicht mehr zu Fuß oder mit einem Landgefährt passieren. Und in den Senken an der Küste begannen die Meere, ein jedes auf seiner Seite, in die neuen Kanäle vorzudringen, in diese unbekannten, geheimnisvollen, immer größer werdenden Schlünde, mit ihren wie nach dem Lot gezogenen, senkrecht abfallenden Wänden, in glattem Schnitt, wobei die urzeitlichen wie die neueren Erdschichten zutage traten, die Synklinalen, die Toneinlagerungen, die Konglomerate, die ausgedehnten Kalk- und Sandsteinlinsen, die Schieferlagen, die schwarzen Kieselgesteine, die Granite und vieles mehr, was sich aus Mangel an Zeit und des Erzählers Ungenügen wegen nicht aufführen lässt. Nun wissen wir schon, welche Erwiderung dem Galicier gebührt hätte, der da fragte, wohin fließt dieses Wasser. Ins Meer, würden wir ihm antworten, es fällt hinab, zersprüht, als Niesel, kaskadenartig, je nach der Höhe, von der es sich hinunterstürzt, und der Menge, wir sprechen nicht vom Irati, der ist weit fort, doch man kann wetten, dass sich alles in der vertrauten Weise vollziehen wird, Wasserspiele, Regenbogen auch, sofern die Sonne in die finsteren Schlünde vorzudringen vermag.

Auf einer Breite von ungefähr hundert Kilometern beiderseits der Grenzen haben die Menschen ihr Zuhause verlassen, wählten die relative Geborgenheit des Landesinnern, heikel war es lediglich für Andorra, das wir, unverzeihlicherweise, fast vergessen hätten, es ist dies das Schicksal aller kleinen Länder, die sich doch lieber etwas größer hätten machen sollen. Anfangs waren da noch Zweifel, was das Endergebnis der Aufbrüche sein werde, es waren da Spalte auf der einen wie auf der anderen Seite, an beiden Grenzen, auch würden dessen Bewohner, nämlich Spanier, Franzosen und gebürtige Andorraner, ein jeglicher seinem natürlichen Hang folgen, unberufen oder aus augenblicklichen Erwägungen und Interessen heraus entscheiden, bei Gefahr, dass dadurch die Familien und sonstige Gemeinschaftsbande zerrissen. Endlich vollzog sich der durchgängige Bruch an der Grenze zu Frankreich, die etlichen tausend Franzosen wurden auf dem Luftwege evakuiert, in einer brillanten Rettungsaktion unter dem Decknamen Mitre d’Évêque, eine Bezeichnung dies, die den Bischof von Urgel, deren ungewollten Inspirator, sehr verdross, ihm andererseits aber die freudige Genugtuung gab, dass er künftig das alleinige Oberhaupt des Principado sein würde, sofern dieses, nur eben an Spaniens Flanke geklammert, nicht ins Meer fiele. In den durchweg entstandenen, nun wüsten Landstrichen patrouillierten, immer auf das Schlimmste gefasst, nur hier und da Militärtrupps, über denen immerfort Hubschrauber kreisten, um sie beim geringsten Anzeichen einer geologischen Instabilität sogleich aufzunehmen, auch streunten dort, zumeist vereinzelt, jene unausbleiblichen Plünderer umher, die bei allen Katastrophen aus ihren Schlupfwinkeln und Schlangennestern kriechen und, wie die sie erbarmungslos abknallenden Militärs, gleichfalls das Credo auf den Lippen trugen, dem Glaubenssatz gemäß, dass jedem lebenden Wesen Recht auf Liebe und Schutz seitens seines Gottes zusteht, außerdem könnte man, den Plünderern zu ihrem Guten oder ihrer Entschuldigung, anführen, dass, wer sein eigen Haus preisgibt, dieses und dessen Nutznießung nicht verdient, während im Übrigen sehr zu Recht der Spruch gilt, alles Gevögel frisst Korn, aber nur der Sperling zahlt, da möge ein jeder von euch zusehen, ob er Übereinstimmung zwischen der allgemeinen Weisheit und dem besonderen Fall findet.

Hier wäre es angebracht, zutiefst zu bedauern, dass diese wahre Geschichte kein Opernlibretto ist, dann nämlich würden wir an die Bühnenrampe einen Chor treten lassen, wie man ihn noch nie erlebte, zwanzig Sänger, lyrische und dramatische Stimmen jeglicher Koloratur, die Partien schmetternd, eine jede für sich oder vereint, nacheinander oder zugleich, will heißen die Zusammenkunft der spanischen und der portugiesischen Regierung, das Zerreißen der Stromleitungen, die Erklärung seitens der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die Stellungnahme des Nordatlantikpaktes, die heillose Panik der Touristen, der Sturm auf die Flugzeuge, die verstopften Autobahnen, die Begegnung Joaquim Sassas mit José Anaiço, beider Begegnung mit Pedro Orce, die Beunruhigung der Stiere in Spanien, die Erregung der Stuten in Portugal, der Alarm an den Küsten des Mittelmeeres, das Durcheinander der Gezeiten, die Flucht des riesigen und einflussreichen Kapitals, da hätten wir bald nicht mehr genügend Sänger zur Hand. Neugierige, um nicht zu sagen zweiflerische Geister, fragen nach der Ursache so vieler, so mannigfaltiger und so schlimmer Auswirkungen, als reichte es noch nicht, dass eine Gebirgskette mir nichts, dir nichts auseinanderbricht, noch dazu aus den Flüssen Wasserfälle werden und die Meere kilometerweit landeinwärts vordringen, nachdem sie sich so viele Jahrmillionen zurückgezogen haben. Und an diesem fatalen Punkt zögert die Hand, denn wie könnte sie einleuchtend, verständig die nächstfolgenden Worte niederschreiben, die unabänderlich alles festlegen, schon da es schwerlich gelingen dürfte, sofern überhaupt je möglich im Leben, Wahrheit und Dichtung voneinander zu trennen. Nun also, beenden wir endlich, was in der Schwebe harrte, verändern wir kraftgewaltig mit Hilfe des Wortes, was vielleicht nur durch das Wort veränderbar ist, gekommen, o ja, gekommen ist der Augenblick, zu sagen, dass sich die Iberische Halbinsel plötzlich entfernte, in Gänze und überall gleichmäßig, zehn Meter jäh, wer wird es mir glauben, es rissen die Pyrenäen von oben bis untenhin auseinander, als wäre eine unsichtbare Axt aus den Höhen herabgesaust, hinein in den tiefen Riss, und hätte Stein und Erde bis auf die Sohle des Meeres gespalten, nun, in der Tat, können wir den Irati fallen sehen, tausend Meter, wie das Endlos, im freien Fall, er öffnet sich dem Wind und der Sonne, gleichsam Kristallfächer oder Schweif eines Paradiesvogels, er ist der erste über dem Abgrund hängende Regenbogen, ist der erste Schwindel des Sperbers, der dahinschwebt mit feuchten Schwingen, siebenfarbig bemalten. Auch würden wir den Visaurín sehen, den Monte Perdido, den Pico Perdiguere und den Pico de Estats, Felswände von zweitausend, dreitausend Meter Höhe, unfassbar dem Auge, unergründbar, in der Tiefe neblig, vor Wasser und Ferne, und später, wenn sich dieser Raum verbreitert, werden die neuen Wolken kommen, so gewiss, wie es das Schicksal wirklich gibt.

Es verrinnen die Zeiten, es vermengen sich die Erinnerungen, es verschwimmen am Ende die Wahrheiten, die zuvor so eindeutigen und festumgrenzten, und dann, auf Erhellung dessen bedacht, was wir so ehrgeizig die strenge Genauigkeit der Fakten nennen, begeben wir uns an die Befragung der Zeitzeugnisse, der unterschiedlichen Dokumente, als da sind Zeitungen, Filme, Videoaufnahmen, Chroniken, persönliche Tagebücher, Pergamente, vor allem die Palimpseste, wir befragen die Überlebenden, und mit dem guten Willen der einen wie der anderen Seite vermögen wir gar dem berichtenden Greis zu glauben, was er in seiner Kindheit hörte, und aus allem werden wir irgendetwas folgern, mangels einhelliger Gewissheiten hält man sich an Mutmaßungen, doch wirklich erwiesen ist wohl, dass zu dem Zeitpunkt, als dann die elektrischen Leitungen rissen, auf der Halbinsel nicht ernstlich Angst herrschte, obwohl bereits das Gegenteil gesagt wurde, ein bisschen Panik schon, aber nicht Angst, die doch ein Gefühl anderen Kalibers ist. Freilich, noch lebhaft in Erinnerung ist vielen Menschen die dramatische Szene am Col de Perthus, als der Beton vor den Augen jener verschwand, die da schrien, Sieg, Sieg, doch die Episode war beeindruckend nur für die Zeugen vor Ort, die anderen nahmen von fern daran teil, zu Hause, im Pantoffelkino Fernsehen, sahen es in dem kleinen gläsernen Geviert, diesem Hof der Wunder, wo ein Bild das andere löscht, spurenlos, alles in verkleinertem Maßstab, auch die Gefühle. Und jene zartbesaiteten Zuschauer, denn die gibt es ja noch, die schon ein Nichts zu Tränen rührt und die den Kloß im Hals verhehlen, diese taten das Übliche, wie in dem Falle, wenn man den Hunger in Afrika und sonstige Kalamitäten nicht mehr erträgt, sie wandten den Blick ab. Ebenso wollen wir nicht vergessen, dass es in weiten Teilen der Halbinsel, im tiefen und tiefsten Inneren, wohin die Zeitungen nicht kommen und man vom Fernsehen wenig versteht, Millionen gab, jawohl, Millionen Menschen, die nicht begriffen, was da vorging, oder nur eine vage Vorstellung hatten aufgrund von Worten, deren Sinn sie halb begriffen oder nicht einmal, so vage nur, dass zwischen dem, was einer zu wissen vermeinte, und dem, was ein anderer überhaupt nicht wusste, gewiss kein großer Unterschied war.

Doch als auf der Halbinsel jäh alle Lichter erloschen, hernach in Spanien apagón genannt und negrum in irgendeinem portugiesischen Dorf, wo noch Wörter erfunden wurden, als auf dem Erdball fünfhunderteinundachtzigtausend Quadratkilometer Land unsichtbar wurden, da gab es keinen Zweifel mehr, das Ende von allem war gekommen. Es reichte die totale Finsternis, die nur fünfzehn Minuten währte, bis durch Notschaltungen die eigenen Energiereserven angezapft wurden, die nur sehr spärlichen zu dieser Jahreszeit, im Hochsommer, mitten im August, alles trocken, die Talsperren nur leidlich gefüllt, Mangel an Heizkraftwerken, die Kernkraftwerke verflucht, doch schon war die Halbinsel ein wahres Pandämonium, die Teufel losgelassen, nackte Angst, Hexensabbat, ein Erdbeben hätte moralisch keine schlimmere Wirkung hervorrufen können. Es war Nacht, vielmehr Abend, die meisten Menschen schon heimgekehrt, es sitzen die einen vor dem Fernseher, in den Küchen bereiten die Frauen das Abendbrot zu, ein geduldigerer Vater unterweist, unsicher, in den Problemen der Rechenkunst, es scheint, das Glück ist nicht eben groß, alsbald erkannte man, was es dennoch wert gewesen war, dieses Erschrecken, diese pechschwarze Finsternis, dieser auf Iberien gefallene Tintenklecks. Nimm uns das Licht nicht, o Herr, lass es wiederkehren, dann will ich dich bis zu meinem Lebensende um nichts mehr bitten, dies sprachen reuig die Sünder, die stets übertreiben. Wer in einer Senke hauste, durfte sich in einem verdeckten Brunnenloch wähnen, wer auf Bergeshöh wohnte, erklomm den Gipfel, und er gewahrte viele Wegstunden im Umkreis kein einziges Licht, als hätte die Erde ihre Bahn gewechselt und kreiste jetzt in einem sonnenlosen Raum. Mit zittrigen Händen wurden in den Häusern die Kerzen angezündet, die Taschenlampen, die für mögliche Stromausfälle, nicht diesen hier, aufbewahrten Petroleumlampen, die Armleuchter aus Feinsilber, die nur zur Zierde bestimmten bronzenen, die Handleuchter aus Messing, die vergessenen Ölfunzeln, schwache Lichter zusammen, die den Schatten mit Schatten bevölkerten und entsetzte Gesichter verschwommen erhellten, verzerrte, wie vom Wasser gespiegelte. Viele Weiber kreischten, viele Männer erbebten, von den Kindern wird man sagen, dass sie allesamt weinten. Nach diesen fünfzehn Minuten, die, so die Rede, einem wie fünfzehn Jahrhunderte vorkamen, obwohl niemand je so lange lebte, dass er solchen Vergleich hätte wagen können, kehrte der Strom wieder, langsam, flackernd, die Lampen alle blinzelten wie verschlafene Augen, sie warfen trübe Blicke ringsum, nahe daran, wieder in Traumdämmer zu sinken, ertrugen das Licht dann endlich, hielten es aufrecht.

Eine halbe Stunde später begannen das Fernsehen und das Radio wieder zu senden, sie brachten Nachricht über das Vorgefallene, und so erfuhren wir, dass zwischen Frankreich und Spanien alle Starkstromleitungen gerissen waren, einige Masten waren umgestürzt, durch unverzeihliche Säumigkeit hatte kein Ingenieur daran gedacht, die Leitungen totzulegen, da es schon nicht möglich war, sie herunterzuholen. Glücklicherweise hatte das künstliche Feuerwerk aus lauter Kurzschlüssen keine Opfer gekostet, dies eine reichlich ichbezogene Redensart, denn zwar waren Menschen nicht zu Tode gekommen, zumindest ein Wolf aber entging dem elektrischen Schlag nicht, er endete als ein rauchendes Häufchen Kohle. Doch die zerstörten Leitungen erklärten nur zur Hälfte den Stromausfall, die andere Hälfte, obwohl in ihrem Sinn absichtlich dunkel gehalten, wurde bald verstehbar offenkundig, wobei ein Nachbar dem anderen half, sie wollen nicht zugeben, dass es schon nicht mehr nur diese Erdrisse sind, in dem Falle wären die Leitungen nicht gerissen. Ja, was meinst denn du, Nachbar, was geschehen sein könnte. Weiß ist’s, vom Huhn gelegt, aber diesmal kein Ei, die Leitungen sind gerissen, weil zu straff geworden, sind zu straff geworden, weil die beiden Länder sich voneinander getrennt haben, dagegen wette ich meinen guten Namen. Was du nicht sagst. Ja, sag ich, sag ich, wirst ja sehen, am Ende müssen sie es zugeben. So geschah es, aber erst am folgenden Tag, als schon so viele Gerüchte im Umlauf waren, dass eine Meldung mehr, und wäre es die Wahrheit, die Verwirrung nicht weiter hätte steigern können, doch sagten sie nicht alles, und auch nicht eindeutig, wortwörtlich hieß es nur eben, eine Veränderung in der geologischen Struktur der Pyrenäen habe zu diesem durchgehenden Bruch geführt, eine Unterbrechung in der physischen Kontinuität, im Augenblick sind die Landverbindungen zwischen Frankreich und der Halbinsel unterbrochen, die Behörden verfolgen den Fortgang der Dinge aufmerksam, die Flugverbindungen werden aufrechterhalten, alle Flughäfen sind geöffnet und voll in Betrieb, es wird damit gerechnet, dass ab morgen eine Verdoppelung der Flüge möglich ist.