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Mit dem Tod ihrer Mutter muss Finnja lernen, sich dem Leben zu stellen. Aufgrund widriger Umstände muss die junge und unerfahrene Frau ihr Heim und ihren Ziehvater Pater Matthew verlassen. Sie opfert ihre Vergangenheit und flieht durch die Highlands nach Skye. Mit einer ungewissen Zukunft steht Finnja alleine einer Vielzahl unterschiedlicher Prüfungen gegenüber, die sie versucht, durch ihren Glauben und mit der Kraft der loyalen Liebe zu ihrem Gott Jahwe zu meistern. Gerade als sich ihr neues Leben als ein Segen erweist und sie es geschafft hat, sich einigen wenigen Menschen zu öffnen, muss sich Finnja zwischen der Liebe und dem Frieden für ihr neues Zuhause entscheiden. Wird Finnja durch die Härte des Lebens Schiffbruch an ihrem Glauben und an der Liebe erleiden?
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Seitenzahl: 905
Veröffentlichungsjahr: 2025
Impressum
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© 2025 novum publishing gmbh
Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt
ISBN Printausgabe: Dr. Angelika Moser
ISBN e-book: 978-3-7116-0171-1
Lektorat: Dr. Angelika Moser
Umschlagfoto: Stockeeco | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Prolog
Schottland, in der Zeit um Lammas 1379, Castle Cunningham
Donner durchdrang das alte Gemäuer und Regen prasselte schon seit Tagen auf die Erde nieder. Die Räume schienen das wenige noch verbliebene Tageslicht zu verschlucken. Der wild tanzende Feuerschein der Fackeln warf mysteriöse Schatten hinter drei Männer, die im großen Saal auf eine Nachricht aus dem Gemach von Lady Caitlin warteten.
Eine unwirkliche Stille lag um sie herum, die von dem Grollen des Gewitters, das draußen sein Schauspiel vorführte, unterbrochen wurde. Die Anspannung in der großen Halle konnte Krieger in die Knie zwingen.
Besonders ein Mann schien an der Hoffnung festzuhalten, dass sich alles noch zum Guten wenden würde: Lord Ryan MacLachlan.
Immer wieder hörten die Männer die Unheil ankündigenden Schreie von Lady Caitlin, seiner Frau. Mit jeder Wehe wich etwas mehr von der Lebensenergie aus ihrem Körper.
Es war Caitlins zweite Geburt. Lord MacLachlan hörte noch die beruhigenden Worte der Hebamme in seinen Ohren nachklingen: Das zweite Kind koste weniger Kraft als das erste und es würde bestimmt bis zum Abend auf der Welt sein. Die Erinnerung an diese hoffnungsvollen Worte förderte jetzt bei ihm eine Verzweiflung zutage, die durch Mark und Bein ging. Sie lag schon zu lange in den Wehen. Zwei Tage und eine Nacht ohne Ruhe hatte sie bereits hinter sich. Er wusste, dass ihre Kräfte sie bald verlassen würden. Sie klang inzwischen so erschöpft.
„Ich soll Euch rufen. Es sieht nicht gut aus.“ Die alte Frauenstimme der Hebamme unterbrach in gefasster Ruhe und ohne jede formelle Anrede die Stille. Tonlos blickte Lord MacLachlan in die Reihe der Männer, deren Mienen mitleidsvoll waren. Tapfer erhob er sich, wohl wissend, dass er zum Abschied gerufen wurde.
Mit starrem Blick folgte er der Hebamme die Stufen zum Gemach seiner Frau hinauf. Jede einzelne Stufe kostete Kraft. Nach Fassung ringend sammelte er sich und schob mutlos die dicke Holztür auf.
Er zögerte einen Moment und betrat dann widerwillig ihr Gemach. Der Weg in eine Schlacht wäre ihm um vieles lieber gewesen.
Caitlin schrie verzweifelt, und ihr Gesicht war von Schmerz verzerrt. Die Hebamme lag zur Hälfte auf ihrem Oberbauch und übte mit jeder Wehe Druck nach unten auf das Kind aus. Es war der verzweifelter Versuch, die Geburt zu unterstützen.
Pater Matthew, ein kleiner Mann in hohem Alter mit rundlicher Statur, bekleidet mit einer braunen Kutte, stand regungslos da. Auch ihm stand die Angst vor dem bösen Ausgang ins Gesicht geschrieben. Er wartete mit betrübter Miene und war vorbereitet, jederzeit eine Nottaufe durchzuführen, sobald die Hebamme ihm das Zeichen dafür geben würde. Pater Matthew war seit Jahrzehnten ein Vertrauter von Lady Caitlins Familie. Es brach ihm das Herz, Caitlin so leiden sehen zu müssen.
Lord MacLachlan stand wie versteinert im Raum, verfolgte das Geschehen und versuchte, Herr über sich selbst zu bleiben.
„Pater, beeilt Euch. Sie öffnet sich!“, klang energisch die Stimme der Hebamme, die ihn von Caitlins Seite an den weit geöffneten Muttermund zurückbeorderte.
Die Befürchtung, ein totes Kind zu gebären, war nun traurige Wahrheit geworden. Die Fruchtblase öffnete sich und das besiegelte Schicksal zeigte sich in seinem Schwall von grünem, übelriechendem Fruchtwasser.
Pater Matthew besprengte den Scheitel des Ungeborenen widerwillig mit geweihtem Wasser und taufte es im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, um der kleinen Seele angeblichen Frieden zu sichern. Nichts in der Heiligen Schrift wies darauf hin, dass eine Totgeburt nicht auf dem heiligen Acker begraben werden durfte. Dieser Aberglaube in dieser Überlieferung, die Angst vor Unheil, ließ das Volk dennoch daran festhalten.
Lord MacLachlan kämpfte um seine Fassung und versuchte, die Übelkeit, die in ihm aufkam, zu unterdrücken.
„Leistet ihr Beistand, Ryan“, beschwor ihn Pater Matthew barsch, „und sprecht ihr Mut zu. Ihr geht die Kraft aus.“
Er selbst setzte sich zu ihr ans Bett und kühlte Caitlins Stirn mit einem nassen Tuch. Mit der nächsten Wehe kam das Kind zur Welt.
Der Anblick ließ alle erschauern. Ein dunkelblau verfärbter Säugling lag regungslos zwischen ihren Beinen. Er musste mindestens seit zwei Tagen tot gewesen sein. Caitlin sackte erschöpft ins Kissen zurück. Endlich war es vollbracht.
„Ist es ein Mädchen oder ein Junge?“, erkundigte sich Caitlin erschöpft. Ihre zittrige Stimme verriet, dass die Totgeburt auch für sie nicht überraschend kam.
„Es ist ein Junge“, offenbarte die Hebamme. Bedauern klang in Pater Matthews Stimme: „Caitlin, du bist sehr tapfer gewesen.“ Wieder kühlte er ihre Stirn.
Die Nabelschnur wurde durchtrennt, das Kind grob gesäubert und in ein Leinentuch eingewickelt.
„Gebt es mir!“, sagte Lady Caitlin bestimmend, aus Angst, man würde es ihr verwehren. Jeder wusste um den Ernst der Lage. Niemand wagte zu widersprechen. Niemand würde einer sterbenden Mutter den Abschied von ihrem toten Kind verwehren. Das blaue Mündel wurde ihr behutsam in den Arm gelegt und zugedeckt. Zufrieden, ihren Willen bekommen zu haben, sackte sie erschöpft zusammen. Kurz darauf war sie eingeschlafen.
Und wieder wagte es niemand, das kleine Mündel aus dem Arm der Mutter zu nehmen.
Die Hebamme nahm die Fruchtblase vom Bett und öffnete sie mit beiden Händen gegen das fahle Licht des Fensters. Sie begutachtete sie gründlich, um sicher zu sein, dass sich alles gelöst hatte.
Und wieder verriet ihre Miene nichts Gutes. Behutsam tastete sie den Bauch nach der Gebärmutter ab. Mit jedem Druck drang erneut ein kleiner Schwall Blut aus der Scheide.
„Das Schlimmste ist noch nicht überstanden“, offenbarte die Hebamme ihre Erkenntnis. Die Bitterkeit in den Worten war deutlich.
„Die Gebärmutter zieht sich nicht zusammen!“ Alle vernahmen deutlich die traurigen Worte. Die entsetzten Blicke der Umstehenden hafteten flehentlich auf ihr, als wäre ihr die Macht über Leben und Tod gegeben worden und nur ein Wort der Gnade würde das Todesurteil verwerfen.
Der Geruch des lodernden Kaminfeuers vermischte sich mit dem süßlichen Duft von Blut. Es vergingen wenige Minuten, bis Caitlin in einem blutgetränkten Laken lag. Es war ein schauriger Anblick, den sie mit dem kleinen regungslosen toten blauen Mündel im Arm bot.
„Pater Matthew“, flüsterte sie ängstlich, „Pater Matthew.“
„Ich bin bei Euch, Lady Caitlin“, beruhigte er sie, nahm ihre Hand und schenkte so Hoffnung und Ruhe. Sie würde diesen letzten Weg nicht alleine beschreiten. Caitlin sammelte ihre letzten Kräfte und blickte flehentlich zu Pater Matthew. „Kümmert Euch um Finnja, versprecht es mir!“
Lord MacLachlans Blick traf Pater Matthew. Was für ein hasserfüllter Ausdruck doch in seinen Augen lag und seinen wahren Charakter zeigte.
Lady Caitlin stellte ihn durch die Bitte vor jedem Anwesenden in diesem Raume bloß. Jeder war sich im Klaren darüber, wie lästig Lord MacLachlan dieses Kind war. Doch heute wurde es ausgesprochen.
„Versprecht es mir!“, forderte Caitlin.
„Ich verspreche es“, gelobte Pater Matthew.
„Lehrt sie, alles zu halten, was Gott uns geboten hat, wie Ihr mich als Kind lehrtet!“, forderte Caitlin weiter auf ihrem Sterbebett.
„Ihr habt mein Wort, Caitlin“, stimmte er beruhigend zu.
Vertraut war dieser Moment wie in ihren Kindertagen. Alles war verschwunden: Rang, Titel und sogar die Anwesenheit von Lord MacLachlan.
Wütend stampfte er aus dem Gemach, beschämt über seine Bloßstellung, ihr Kind aus erster Ehe in aller Öffentlichkeit jemand anderem anzuvertrauen.
Gottes Sichtweise über Priester, die seine Schafe von ihm wegführen, anstatt zu ihm hinzuführen.
Auszug aus dem Briefdes Judas1
10 Ganz anders diese Leute! Über das, was sie nicht verstehen, reden sie mit abschätzigen Worten. Und das, wovon sie etwas verstehen – nämlich ihren Trieben zu folgen wie die vernunftlosen Tiere ihren Instinkten –, gerade das bringt ihnen den Untergang.
11 Weh ihnen! Sie haben den Weg eingeschlagen, den Kain gegangen ist; sie haben sich wie Bileam dafür entschieden, andere irrezuführen, weil sie sich Gewinn davon versprechen, und sie stürzen sich selbst ins Verderben, indem sie sich wie einst Korach gegen Gott auflehnen.
12 Ein Schandfleck sind diese Leute bei den gemeinsamen Mahlzeiten, zu denen ihr zusammenkommt! Denn sie feiern ohne Hemmungen mit, obwohl sie nur ihr eigenes Wohl im Auge haben, nicht das Wohl der Herde Gottes. Wolken ohne Wasser sind sie, die vom Wind vorübergetrieben werden, ohne den erhofften Regen zu bringen; Bäume, bei denen man zur Erntezeit vergeblich nach Früchten sucht, weil sie tot sind, abgestorben bis zur Wurzel.
13 Wild schäumende Meereswogen, die den Schmutz ihrer Schandtaten wie Gischt emporschleudern; aus der Bahn geratene Sterne, denen für immer und ewig ein Platz in der tiefsten Finsternis bestimmt ist.
14 Die prophetischen Worte, die Henoch, Nachkomme Adams in der siebten Generation, gesprochen hat, gelten auch diesen Leuten. „Seht“, sagte er, „der Herr ist mit seinen heiligen Engeln gekommen, einer unzählbar großen Schar,
15 Um über alle Menschen Gericht zu halten. Er ist gekommen, um alle, die ein gottloses und sündiges Leben geführt haben, für all ihr gottloses Tun zu bestrafen und für alle vermessenen Worte, mit denen sie sich in ihrer Gottlosigkeit gegen ihn gewandt haben.“
16 Ja, diese Leute beklagen sich bitter über Gott und sind mit ihrem Schicksal nie zufrieden. Sie folgen ihren Begierden, führen anmaßende Reden und schmeicheln sich bei anderen ein, weil sie sich davon einen Vorteil für sich selbst erhoffen.
I
Kapitel 1
Zehn Jahre später
Pater Matthews Zimmer glich einer Kräuterkammer des alten Ordens, in dem er selbst die Kräuter und die Kunst ihrer Verwendung erlernt hatte. Der Tisch war übersät mit Töpfen voll getrockneten und frischen Kräutern. Die Wände waren spärlich mit Holzregalen ausgekleidet, gefüllt mit Wurzeln, Schüsseln und Ölflaschen, angeordnet nach verschiedenen Größen und Wirkung. Frisch geschnittener Lavendel hing gebündelt an Schnüren in verschiedenen Höhen zwischen den Regalen. Ein intensiver wohlriechender Duft hüllte den kleinen Raum ein und übertönte den modrigen Geruch des alten Gemäuers. Das Lila des Lavendels war die einzige Farbe an diesem seltsamen Ort.
Tief in Gedanken versunken saß Pater Matthew in seinem robusten Ledersessel vor dem Feuer und ließ die Fingerspitzen über das dunkle Leder der Armlehne kreisen.
Das Alter nagte unaufhaltsam an seinem Körper, und tiefe Falten zeichneten sein Gesicht. Die Besorgtheit wich nicht von ihm, als sich leise die Tür öffnete und er Finnja erblickte. Sie war zu einer wunderschönen jungen Frau herangewachsen, zierlich, zerbrechlich und unschuldig in ihrer Erscheinung. Ihr braunes langes Haar war ordentlich zu einem Zopf geflochten, was für die Tochter des Burgherrn üblich war. Auch die Wahl ihrer Garderobe ließ ihre Bescheidenheit sowie ihre inneren Werte erkennen.
Jeden Tag kam Finnja zu ihm in diesen kleinen Raum. Sie wollte mehr aus Pater Matthews Büchern lernen, wie man mit Pflanzen Krankheiten heilen oder zumindest Linderung erreichen könnte.
Sie begrüßten sich immer auf dieselbe Art und Weise. Finnja kniete neben seinen Sessel, und Pater Matthew legte ihr die Hand auf die Wange – wie ein Vater, der stolz zu seiner Tochter sieht.
„Bleibt noch sitzen, Pater Matthew, ich werde zuerst alles vorbereiten.“
Sie wusste um sein betrübtes Herz, das er seit einigen Tagen mit sich trug, und versuchte, ihm vermehrt Arbeit abzunehmen.
„Finnja“, seufzte er schwer, „wir müssen ein ernstes Gespräch führen.“ Er schaute weiter besorgt ins Feuer.
Sie holte zögernd die Bücher aus dem Regal, stapelte sie in ihrem Arm und blieb beim Tisch nahe dem Kräuterregal stehen.
Sie wartete darauf, dass Pater Matthew damit begann, sie aufzuklären, was ihm so schwer auf dem Herzen lag.
„Was möchtet Ihr mit mir bereden?“, fragte sie leise, um den Anfang zu machen und räumte weiter den Tisch frei, um die Bücher absetzen zu können.
„Setz dich zu mir, mein Kind.“ Die Schwere in seinen Worten ließ Finnja aufhorchen. Sie setzte sich auf den kleinen Schemel, nahe dem Feuer neben ihn. Ihr wurde flau im Magen. Die bisherigen Gespräche galten ihrer Erziehung, Belehrung oder selten einer Rüge, aber nie war die Stimmung so ernst wie heute.
„Dein Stiefvater ist heute Morgen aufgebrochen, um einen Ehevertrag mit Devin MacLeods of Lewis auszuhandeln“, begann er.
„Ich freue mich für Rachel, sie wird bestimmt in Hochstimmung sein, meint Ihr nicht auch? Man sagt ihm nach, er sei sehr vermögend“, sprudelte es voller Erleichterung und Freude für ihre Stiefschwester heraus.
„Sie freut sich meines Erachtens etwas zu sehr, mein Kind, ebenso wie du. Mir kam zu Ohren, dass er an dir Interesse bekundet“, klärte Pater Matthew sie auf. Finnja verstand die Tragweite nicht, die dieses Gerücht innehatte. „Mit Geld ist fast alles zu erreichen“, beendete Pater Matthew seinen Gedanken.
In diesem Augenblick verstand Finnja nichts. Sie war jünger als Rachel und hatte auch nicht MacLachlans Blut. Finnja war die Tochter von MacRae, Caitlins erstem Mann, der von einer Schlacht gegen England nicht wieder nach Hause zurückgekehrt war.
Dann traf sie das Verstehen mit voller Härte. Stieftochter! Nun verstand sie die Sorge, die Pater Matthew in den letzten Tagen mit sich herumgetragen hatte.
„Nimm dich in Acht, Finnja. Es ist bis jetzt nur ein Gerücht, aber sollte Lord MacLachlan wirklich damit konfrontiert werden, weiß ich nicht, wie er reagieren wird, geschweige denn Rachel!“
Finnja wurde blass, als hätte sie einen Geist gesehen. Rachel war seit Kindheitstagen MacLeod of Lewis versprochen und erst vor fünf Monaten war er für die Unterzeichnung der Vorverträge in Cunningham gewesen. Die Verhandlungen dauerten über eine Woche und diese Zeit genossen beideausgiebig, um sich genauer kennenzulernen. Besonders Rachel nutzte die Zeit, ihn zu studieren und einzuschätzen.
„Es hatte mir den Anschein erweckt, als wäre er sehr von Rachel angetan“, erklärte Pater Matthew seinen Eindruck. Gedanken schossen Finnja durch den Kopf, die kein Ende nehmen wollten. Rachel hatte noch nie eine Rivalin in ihr gesehen, für Rachel war sie Pater Matthews Findelkind.
Rachel war eine durchtriebene Person, mit viel Ehrgeiz, die ihren Platz an der Seite desjenigen innehaben wollte, der nur Aufstieg bedeuten konnte. Devin MacLeods of Lewis! Er war ein einflussreicher Mann mit vielen Ländereien und den nötigen Mitteln.
„Wann erwartet man ihn zurück?“, fragte Finnja, um das Zeitfenster einschätzen zu können, bis wann sie eventuell damit konfrontiert werden würde.
„Ich vermute in einer Woche, so lange war MacLeods of Lewis in Cunningham. Mir scheint es eine realistische Zeit zu sein, wenn man neue Verhandlungen in Betracht zieht. Ich hoffe nur, dass es sich nicht bewahrheiten wird, da seine Grobheit bekannt ist, und Treue ihm nicht in die Wiege gelegt wurde. Es sind, soweit ich weiß, drei Bastarde von ihm gezeugt worden, von jeweils verschiedenen Frauen. Ich bete inständig, dass Gott dir so ein Leben ersparen möge.“
Finnja nahm jedes seiner Wörter auf und begriff die aussichtslose Lage, in der sie sich befinden würde, falls es wirklich eintreffen sollte. Sie saßen eine geraume Zeit schweigend nebeneinander, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
„Es ist bis jetzt nur ein Gerücht, oder?“, wollte Finnja noch einmal bestätigt wissen.
„Ja, aber ich befürchte, dass mehr Wahrheit darin liegt, als uns lieb sein wird.“
Die Betrübtheit wich nicht aus Finnjas Gesicht, während sie versuchte, die Bücher zu studieren, und dabei eins nach dem anderen wieder aus der Hand legte. Ihre Gedanken verselbständigten sich. Pater Matthew beobachtete Finnja. Was für eine anmutige, junge Frau aus ihr geworden war. Er war sich bewusst, dass sie mit siebzehn Jahren ins heiratsfähige Alter gekommen war. Doch dass ihr ein ähnliches Schicksal widerfahren sollte wie ihrer Mutter, brach ihm das Herz. Zu viele Jahre musste er Caitlins Leid mitansehen. Caitlin wurde wegen ihrer Ländereien geehelicht. Dass sie überhaupt ein Kind von Lord MacLachlan erwartet hatte, war dem vielen Wein zu verdanken, der ihn an diesem einen Abend beherrschte. Alles sollte an sein Fleisch und Blut übergehen.
„Finnja, reich mir bitte die Heilige Schrift und setz dich zu mir“, bat Pater Matthew, dessen Gesichtszüge sich zu einem weichen, aber bekümmerten Lächeln formten. Sie holte das schwere ledergebundene Buch aus dem Regal und brauchte mehrere Versuche, die Schrift aufzuschlagen, bis sich der Verschluss endlich öffnete. Sie übergab das Buch Pater Matthew, doch er winkte ab.
„Das Lesen strengt mich heute zu sehr an, mein Kind, lies du bei der Stelle weiter, an der wir das letzte Mal aufgehört haben.“
Finnja blätterte vorsichtig die wunderschön verzierten Seiten um, bis sie zu dieser Stelle kam. Andächtig begann sie mit dem Vorlesen aus Matthäus 23 Vers 23.2 „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gebt den zehnten Teil von Kräutern wie Minze, Dill und Kümmel und lasst dabei die viel wichtigeren Forderungen des Gesetzes außer Acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. Diese Forderungen solltet ihr erfüllen und das andere nicht außer Acht lassen.“, Pater Matthew schwelgte bei dem Klang ihrer Stimme einen kurzen Moment in Erinnerungen, wie er Finnja das Lesen als Kind gelehrt hatte.
„Verblendete Führer seid ihr! Mücken siebt ihr aus und Kamele verschluckt ihr.“
Der Nebel tanzte um ein schmales, langes Schiff, das auf Lewis Küste zusteuerte. Die Reling war mit einfachen Schnitzereien verziert, die zögerlich freigegeben wurden. Die Bug-Figur zeugte von vergangenen Schlachten und zeigte nur Reste von der ursprünglichen Handarbeit, die nicht mehr zu erkennen war. Der Rumpf erhob sich ebenso wie der Bug über das Schiff. Ein einzelner Mast hielt das von Witterung verfärbte, dunkle Segel, das vom Wind aufgebläht stolz seine ganze Größe preisgab. Das Schiff wirkte gruselig. Die Zeit nagte am gesamten Erscheinungsbild, auch wirkte es ungepflegt und nicht wie das eines wohlhabenden Mannes. Es zeichnete sich als Schatten im Nebel ab, der zur Anderswelt gehörte.
Die Männer wurden schon ungeduldig erwartet. MacLachlan hatte sich durch den Herbstnebel verspätet. Grob stieß das Boot gegen den Anlegesteg, und zügig wurde es mit den Tauen festgemacht. Von der anstrengenden Überfahrt gepeinigt, kletterten die Männer nacheinander aus dem Boot.
Ein alter drahtiger Mann geleitete Lord MacLachlan und seinen Sohn Callum durch das Burgtor von Castle Lamont, über den großen Platz der Vorburg bis zum Eingang des großen Saals. Letztendlich zeigte er auf MacLeod, der ihnen entgegenkam.
„Seid gegrüßt, Lord MacLachlan. Ich habe Euch mit Ungeduld erwartet.“
„Seid auch Ihr gegrüßt. Verzeiht uns die Verspätung, doch das Wetter schlug um, und wir kamen nur langsam und mühselig voran.“
Das tückische Wetter war ein stetiger Begleiter, und man ergab sich der Laune von Mutter Natur.
„Ich sehe, Ihr seid heute nicht alleine gekommen. Braucht Ihr etwa Verstärkung?“, scherzte Lord MacLeod, um die Stimmung etwas zu heben. Ihm war bewusst, dass Lord MacLachlan an Jahren vorgerückt war und somit die nötige Erfahrung besaß, Verträge zu seinen Gunsten auszuhandeln.
„Mich begleitet mein Sohn Callum. Es ist nie früh genug, die Kinder auf ihre künftigen Aufgaben vorzubereiten.“
MacLeod nickte zustimmend, dann zeigte er auf einen für zwei Personen gerichteten Platz am Kamin.
„Hol dir einen Stuhl“, wies ihn sein Vater an und zeigte auf die große Tafel mitten im Raum. Sie spiegelte Lord MacLeods of Lewis Vermögen wider, für den sein Clan bekannt war. Teures Mahagoniholz mit wunderschönen Schnitzereien. Während Callum sich um den Stuhl bemühte, reichte man Bier und gebratenes Fleisch mit etwas Brot als Beilage.
Die Magd wurde aus dem Raum geschickt, mit der Aufforderung, genügend Bier bereitzustellen.
„Ich wollte mit Euch Dinge bereden, die vielleicht nicht nach Eurem Sinn stehen, um gleich zum Geschäftlichen zu kommen“, begann Lord MacLeod mit einer selbstsicheren Art, untersetzt mit Respekt.
Lord MacLachlan hörte interessiert auf.
„Bei meinem letzten Besuch auf Eurer Burg handelten wir den Ehevertrag für Rachel aus.“ Abschätzend beobachtete er Lord MacLachlan.
Callum setzte den schweren Stuhl unbeholfen laut ab, gesellte sich dazu und unterbrach unwissend das Gespräch.
„Um es auf den Punkt zu bringen, ich möchte Euch bitten, mir Finnja zur Frau zu geben!“, beendete Lord MacLeod sein Anliegen.
Die beiden sahen sich schweigend an. Keiner wandte den Blick ab.
„Vater!“, warf Callum aufgebracht dazwischen.
„Schweig!“, wies er kalt seinen Sohn zurecht.
Callum wandte sich in seiner aufbrausenden Art an Lord MacLeod.
„Ihr könnt nicht jemanden zur Frau nehmen, in deren Adern nicht unser Blut fließt!“, empörte sich Callum.
„Genug, Callum!“, stauchte ihn sein Vater erneut zurecht.
„Aber …!“, Callum konnte seinen Einwand nicht beenden, der Blick seines Vaters ließ ihn schweigen.
„Geh und warte auf dem Boot!“ Der autoritäre Ton seines Vaters ließ keinen Widerspruch zu.
Wütend und gedemütigt verließ Callum den großen Saal. Seine Schritte hallten den ganzen Weg bis zur Türe nach. Schweigend hafteten ihre Augen auf Callum, bis er den Raum verlassen hatte, dann nahm Lord MacLachlan das Gespräch wieder auf.
„Mir kam so etwas schon zu Ohren“, offenbarte er und klang keineswegs überrascht, wie Lord MacLeod es eigentlich erwartet hatte. „Aber wie stellt Ihr Euch das vor? Finnja ist meine Stieftochter, wie Ihr sehr wohl wisst, somit würde nicht mein Blut mit Euch vermählt werden. Callum hat diese Tatsache eben lautstark zum Ausdruck gebracht. Welchen Nutzen würde es für mich haben?“ Er stellte seine Fragen gezielt als Profit witternder Geschäftsmann.
„Ich biete Euch weitere Ländereien, somit seid Ihr nicht im Nachteil. Hierbei bleiben die ausgearbeiteten Vereinbarungen für Rachel gültig, jedoch übertragen auf Finnja. Ihr wisst, dass ich hier das schlechtere Geschäft machen werde“, erinnerte Lord MacLeod of Lewis.
„Warum sollte ich darauf eingehen?“, MacLachlan schenkte sich etwas Bier nach. „Sagt mir nur einen guten Grund, der mich überzeugen könnte.“ Er nahm einen großen Schluck Bier, während die Antwort auf sich warten ließ.
„Geld, Lord MacLachlan. Geld und Ländereien“, lachte Lord MacLeod auf.
Er hatte den wunden Punkt getroffen, und Lord MacLachlan verhielt sich geradeso, wie sein Ruf ihm vorauseilte. Für seinen Vorteil würde er sogar seine Mutter verkaufen.
Also wurde der Vertrag umgeschrieben, die neuen Ländereien darin aufgenommen und unterzeichnet.
„Was hat Euch zu dieser Entscheidung veranlasst? Es hatte für mich den Anschein, dass Ihr von Rachel sehr angetan gewesen seid“, siegte nun die Neugierde MacLachlans.
Er ließ sich das bereitgestellte saftige Fleisch schmecken, während er auf seine Antwort wartete. Eine kleine Aufmerksamkeit von Lord MacLeod zur Stärkung für die lange Heimfahrt.
Nach langem Nachsinnen kam eine aufrichtige Antwort von Lord MacLeod.
„Ich kann es Euch nicht beantworten. Sie reizt mich auf eine Art, wie ich es seit langer Zeit nicht gefühlt habe. Ihr wisst sehr wohl, dass man mit Geld alles kaufen kann und es Türen in Schlafgemächer öffnet“, offenbarte er sich. „Finnja hat mein Interesse geweckt und ich gehe davon aus, es wird Euch bekannt sein, dass ich zarte Jungfern bevorzuge. Finnja erscheint mir eine unberührte und unwissende junge Frau zu sein. Vielleicht befriedigt diese Möglichkeit Eure Neugierde.“
Bei diesen Worten stand Zufriedenheit in Lord MacLeods Gesicht. Ein Jäger mit der Genugtuung, seine Beute erlegt zu haben. Doch das interessierte Lord MacLachlan nur am Rande. Sein Gewinn war größer als der, den er mit Rachels Heirat erwartet hatte, und um sie würde er sich später kümmern. Beide ließen sich das Essen zufrieden schmecken und stießen auf die Einigung an.
Lord MacLachlan bestieg am späten Abend das Boot.
Der Nebel lag schwer auf dem Wasser und gab die Sicht auf die Sterne frei. Es gewährte ihnen eine sichere Heimfahrt nach Castle Cunningham.
„Vater, seid Ihr darauf eingegangen?“ Callums Worte klangen fast wie eine Schelte an seinen Vater.
„Männer, ablegen!“ Er überging mit Beherrschtheit Callums Frage, was genug Antwort war.
„Warum demütigst du Rachel in so einem Ausmaß?“ Callums Zorn in seinem Ton war auch für die Mannschaftzu hören.
„Was weißt du schon von Geschäften!“, entgegnete ihm sein Vater energisch mit einer abwertenden Handbewegung.
„Dieser Handel hat uns mehr Geld eingebracht, als unsere Ländereien in vier Jahren erwirtschaften können. Rachel wird es verstehen müssen. Wenn es um das Wohl des Clans geht, muss auch die Tochter des Clanführers Opfer bringen. Merk dir das, Junge!“, seine Worte klangen endgültig und kühl, was Callum vor all den Männern bloßstellte, die ungefragt diese Unterhaltung mitanhören mussten.
Auf der ganzen Heimreise fiel kein weiteres Wort zwischen Vater und Sohn. Callum versuchte sich auszumalen, wie aufgebracht Rachel sein würde, und dass er nichts daran hätte ändern können. Rachels Vorwürfe, da er ja dabei gewesen war und nichts für ihr Wohl getan hatte, hallten jetzt schon in seinen Ohren. Allein die Vorstellung auf ihre Reaktion zermürbte ihn. Rachel sollte die Gemahlin von Lord MacLeod werden. Seine Schwester und niemand anders. Aufgebracht von dem Gedanken, dass Finnja den rechtmäßigen Platz seiner Schwester einnehmen würde, überkam ihn Entrüstung. Es blieb seinem Vater nicht verborgen. MacLachlan wartete auf Callums aufbrausende Reaktion, die unerwarteterweise ausblieb.
Die See war ruhig, und so kamen sie zügig voran. Castle Cunningham lag bei der Ankunft schon in tiefem Schlaf. Das bedeutete, morgen wäre der Tag, an dem er die Änderungen des Vertrags Rachel erläutern musste.
Das Frühstück war vielfältig und reichlich, doch kaum jemand hatte Appetit, außer Rachel. Sie strahlte förmlich über das ganze Gesicht. Callums Gesichtszüge schienen dagegen versteinert, es wirkte, als wäre er neidisch. So kannte sie ihn nicht. Gewöhnlich freute er sich immer für sie.
„Warum machst du so ein Gesicht! Mir scheint, dass du mir meine Hochzeit nicht gönnst.“
Callum schaute seinen Vater auffordernd an, nahm einen kräftigen Schluck Bier und knallte danach den Krug auf den Tisch.
„Warum sagst du Rachel nicht, was Tolles ausgehandelt wurde?“ Sein Blick fiel auf Rachel. Ohne auf die Reaktion seines Vaters zu warten, platzte es aus ihm heraus.
„Unser Vater hat ihm Finnja zugesprochen. Der Ehevertrag für dich wurde umgeschrieben!“
Nun war es ausgesprochen, und Callum beobachtete, wie Rachels Gesichtszüge entgleisten.
Sie verstand nichts von dem, was Callum in seinem Temperament von sich gegeben hatte.
„Vater, erklärt mir, warum redet Callum von Finnja in einem Atemzug mit meinem Ehevertrag mit Lord MacLeod?“, forderte sie eine Erklärung.
„Ich konnte nichts tun! Unser Vater hatte mich aufs Boot verwiesen!“, erklärte er sich mit einer besonderen Betonung auf ‚unser‘. Sein Versuch, sich zu rechtfertigen, ließ Rachel den Ernst der Situation erkennen.
„Vater, was wurde gestern Abend beschlossen?“ Sie war ganz sein Ebenbild, Gefühle hatten keinen Platz, wenn es um Macht ging.
„Finnja wird Lord MacLeod heiraten, allerdings nicht zu denselben Konditionen“, sprach ruhig der Geschäftsmann aus ihm.
„Der Clan hat so am meisten Vorteile, Rachel, denn nun haben wir noch Ländereien hinzubekommen, die nicht von geringem Wert sind, geschweige das Geld, mit dem er sich Finnja erkaufte“, offenbarte er den Grund der Abänderung.
„Sind die Verträge schon unterzeichnet?“, versuchte sich Rachel ein genaueres Bild der Lage zu machen, ob noch etwas zu ihrem Vorteil verändert werden könnte.
„Ja, es tut mir leid für dich“, es klang ironisch, mit vorgetäuschtem Mitleid.
„Wir werden den Anschein erwecken, als wäre MacLeod nicht gut genug für dich gewesen, was eine Ablehnung von deiner Seite nach sich zog. Somit wird dein Ruf nicht geschädigt. Wir müssen vorausschauen, um dich schnellstmöglich zu verheiraten, bevor man hinter die ganze Angelegenheit kommt. So erreichen wir zwei Ziele mit einer Handlung und das bringt uns doppelt so viel Geld ein als zuvor!“, sprach MacLachlan nüchtern die Fakten aus.
Rachel war entrüstet.
„Wie stellt Ihr Euch das auf die Schnelle vor, Vater? Jeder war im Bilde über Eure Entscheidung, was Lord MacLeod anbelangt!“, Rachel stemmte die Hände in ihre Hüfte.
„Wie wollt Ihr in kurzer Zeit eine gleich gute Partie arrangieren?“ Anklagend blickte sie zu ihrem Vater, stand auf, um noch aufgebrachter über seinen Entschluss zu werden.
„Weiß Finnja schon Bescheid?“ Sie hielt kurz inne, schaute ihren Bruder an, der mit dieser Situation überfordert war.
„Nein, ich habe sie heute Morgen mit dem Pater fortgeschickt, er soll sich um belanglose Dinge im Dorf kümmern. Finnja weicht nicht von seiner Seite, somit sind wir unter uns und können in Ruhe eine Lösung besprechen, die deine Lage verbessert.“
MacLachlan war ernster als gewohnt, und das ließ Rachel aufhorchen. Sie kannte ihren Vater gut, sie studierte seine Taktiken seit Kindheitstagen. Er lief in der großen Halle auf und ab, was Rachels Nerven offensichtlich strapazierte.
Callum saß am Tisch und fing zu essen an. Niemand war darüber verwundert. Er nahm sich bei schwerwiegenden Entscheidungen zurück. Sein diplomatisches Geschick stieg und fiel mit den Launen seiner Schwester und führte dazu, dass er außen vorgelassen wurde. Er ließ sich zu oft von seinem Gefühl leiten. Callum versuchte, es Rachel jederzeit recht zu machen, ganz im Gegensatzzu ihrem Vater, doch am Ende wirkte er unvernünftig und unbeholfen.
MacLachlan fasste langsam seine Gedanken in Worte.
„Ich habe eine Klausel in den Vertrag aufnehmen lassen, dass im Falle ihres Todes die Ländereien und das Geld in unserem Besitz bleiben.“
Einen Moment überlegte Rachel, was ihr Vater im Schilde führte. Dann begann sich ihr Gesicht aufzuhellen, und sie verstand voller Begeisterung den Plan ihres Vaters. Callum dagegen war entsetzt über diese Aussage seines Vaters. Auch wenn Finnja nur seine Stiefschwester war, sie war eine herzensgute Seele, die es nicht verdiente, wegen der Machtgier und Habsucht seiner Familie zu sterben.
„Vater, du kannst doch nicht …!“, gab er wieder seinen Unmut kund.
Sein Vater suchte wütend nach treffenden Worten.
„Geht dir die Ehre deiner Schwester nicht vor? Es erweckt mir den Anschein, als verstehe Rachel mehr von Politik und Handel als du!“ Erzürnte Blicke trafen Callum.
„Wie willst du das einmal aufrechterhalten, wenn du es beizeiten erben wirst?“, die Enttäuschung wurde durch die Lautstärke seines Vaters deutlich.
„Du Nichtsnutz!“, brüllte sein Vater, dass es in der großen Halle Echos warf.
Callum war nicht der Hellste, was politische Angelegenheiten betraf, doch sein Verstand funktionierte besser, als sein Vater ihm zutraute.
„Du bist eine Schande für den ganzen Clan!“ Angewidert von seinem Sohn, wandte er sich wieder Rachel zu.
„Wir werden erst einen Aufruf starten und dir einen Gemahl suchen, damit kein Verdacht aufkommt. Wir müssen Vorsicht walten lassen, es könnte sonst zu mehr Schaden führen, als es uns zum Nutzen ist. Wenn Lord MacLeod Verdacht schöpft, haben wir schneller Krieg zwischen den Clans, als uns lieb ist. Haltet euch das immer vor Augen, besonders du, Callum!“ Seine Unfähigkeit wurde ihm erneut vorgehalten in der Hoffnung, dass er endlich etwas daraus lernen würde.
„Ihr seid unübertroffenmit Eurer Hinterlist“, lachte Rachel laut auf, „wie konnte ich nur an Euch zweifeln!“
Callum konnte sich für diesen düsteren Plan nicht begeistern. Er wurde nicht ausgesprochen, dennoch war er offensichtlich. Er ließ sich nicht anmerken, wie sehr es ihm widerstrebte, Finnja aus dem Weg zu räumen, nur um des lieben Geldes willen. Mit der Erkenntnis, dass alles von seinem Vater geplant gewesen war, bis hin, ihn unter dieser Blamage wieder zurück auf das Boot zu schicken, um alles glaubwürdiger erscheinen zu lassen, entrüstete ihn. Callum spielte seine Rolle unter Anstrengung außergewöhnlich gut, sich für Rachel zu freuen, und lobte auch mehrfach seinen Vater für seine brillante Lösung. Aber hinter der Fassade suchte er nach einem Weg, Finnja aus der Gefahr zu bringen.
Es war ein wunderschöner sonniger Herbsttag mit dicken weißen Wolken, die sich immer wieder kurz vor die Sonne schoben und große Schatten auf die Erde warfen. Der Wind wehte mit einer schwachen Brise von der offenen See über das Land, durchsetzt mit dem salzigen Hauch, den das Meer freigab. In der Ferne verstummte langsam der Lärm des Dorfes, das hinter ihnen immer kleiner wurde. Finnja wandte ihr Gesicht zur Sonne, um die letzten warmen Strahlen in vollen Zügen zu genießen. Sie wiegte sich im Sattel ihrer Stute und klopfte immer wieder lobend den Hals des Tieres. Finnja und Saoire waren durch die Jahre aufeinander eingespielt. Das braune Fell glänzte in der Sonne mit einem rötlichen Schimmer.
Pater Matthew konnte diesen Ritt mit Finnja nicht genießen. Ihm schmerzten die alten Knochen durch den warmen Föhn, und die Sorge um Finnja belastete ihn sehr. Seit er von den Gerüchten gehört hatte, war seine Stimmung in Unbehagen gebettet. Die Ungewissheit um Finnja stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Macht ihr Euch immer noch Sorgen?“, fragte Finnja unbefangen, noch immer die Sonnenstrahlen genießend. Sie lebte im Hier und Jetzt, was Pater Matthew ein kleines Lächeln ins Gesicht zauberte.
„Du weißt, dass der Lord seit gestern Nacht zurück ist. Das heißt, es wird sich heute, spätestens morgen zeigen, ob es wirklich nur ein Gerücht bleibt. Du nimmst es zu leicht, Finnja, es besteht die Möglichkeit, dass es festen Bestand hat“, er stockte mitten im Satz, „falls dies wirklich der Fall sein sollte, ahne ich nichts Gutes. Lord MacLeod ist bekannt für seine Vorliebe und Zuneigung jungen Frauen gegenüber, genauso wie für seine Spielchen oder seine ausgelassenen Weinfeste.Von Rachel, sie wird es bestimmt nicht einfach hinnehmen“, betrübt ließ er den Kopf sinken. Ein Seufzer drang ausseiner Kehle. So viele Sorgen auf seinen Schultern zu tragen, war zu viel für sein altes Herz.
„Ich vermute nicht, dass er seiner Tochter den Platz abverlangen wird. Was für einen Sinn sollte das ergeben?“ Seit Finnja Zeit hatte, darüber nachzudenken, verstand sie die ganze Aufregung nicht.
Solange sie denken konnte, interessierte sich ihr Stiefvater nicht für sie. Im Gegenteil, er ignorierte sie seit dem Tod ihrer Mutter und behandelte sie wie ein lästiges Übel.
„Vielleicht klärt es sich heute, und Ihr könnt wieder beruhigt schlafen.“ Finnja versuchte vergebens, ihm die Sorgen zu vertreiben.
„Mein Kind, du weißt, was vor Gott geschlossen ist, kann kein Mensch mehr aufheben. Falls es also so kommen sollte, was ich wirklich nicht hoffe, musst du deine Pflicht als Ehefrau, ihn zu unterstützen, und die Anforderungen, die er an dich stellt, nach bestem Vermögen erfüllen. Lass keinen Anreiz zum Straucheln aufkommen, dass er einen Grund hätte, dich in Zucht zu nehmen.“ Es waren ernste Worte, die sich Pater Matthew in einem liebevollen Ton der Fürsorge von der Seele redete.
Finnja erhob erneut ihr Gesicht zur wärmenden Sonne. Anschließend ließ sie den Blick über das in der Ferne liegende Meer schweifen.
„Genießt den Ritt, Pater Matthew, lassen wir die schweren Gedanken beiseite. Die Aussicht ist viel zu schön, um übersehen zu werden. Pflichtet Ihr mir nicht bei?“
Schwermütig ließ er den Blick in die Ferne schweifen.
Den ganzen Ritt bis nach Cunningham versuchte Finnja, Pater Matthew mit alten, gemeinsam erlebten Geschichten aufzuheitern. Sie wusste, es war kaum möglich, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Finnja versuchte es weiter, bis sie das Burgtor erreichten.
Schweigend ritten sie in die Burg ein, wohl wissend, dass der Zeitpunkt, an dem man sie rufen würde, näherkam. Entweder zur Bestätigung der Verlobung von Rachel oder von Pater Matthews Befürchtung.
Ein Stallbursche lief ihnen mit einem Hocker entgegen. Er half Pater Matthew fürsorglich von seinem hohen Sitz herunter und bemühte sich gleichzeitig, ihn im Gleichgewicht zu halten. Nicht, dass er noch in seinem hohen Alter stürzte. Es war eine wackelige Angelegenheit, die bei jedem neuen Ritt zu einer größeren Herausforderung wurde. Es erweckte den Anschein, als könnte er nicht mehr lange reiten.
Finnja rutschte elegant und ohne Hilfe von ihrer Stute herunter. Sie wirkte klein, fast zerbrechlich neben dem weit überragenden Pferd. Sie führte Saoire in den Stall zur Tränke, versorgte die Stute mit Hafer und rieb ihr nass geschwitztes Fell trocken.
„Danke für den schönen Ritt. Ich werde mich heute Abend mit einem frischen Apfel revanchieren“, flüsterte sie dem Pferd ins Ohr. Finnja wünschte sichsich, Saoire könnte sie verstehen.
„Lady Finnja, Ihr werdet von Lord MacLachlan im Kaminzimmer erwartet“, richtete Ben, der Stallbursche, ebenfalls ein Schützling von Pater Matthew, ihr freundschaftlich aus.
„Ich danke dir, Ben. Wie ist die Stimmung heute?“, versuchte sie zaghaft etwas herauszufinden, da sich nun doch Unbehagen in ihrer Magengegend bemerkbar machte.
„Es ist wie immer, Lady Finnja, mir ist nichts Besonderes aufgefallen.“
Sie wertete es als ein gutes Zeichen, er müsste sonst außer sich vor Wut sein.
Trotzdem blieb ein mulmiges Gefühl im Bauch zurück. Es wäre fatal, wenn das Gerücht Wirklichkeit werden sollte. Hunderte von verdrängten Gedanken rasten jetzt willkürlich durch ihren Kopf.
Der Weg zum Kaminzimmer führte von den Stallungen quer über den Burghof. Pater Matthew erholte sich auf einer kleinen Bank vor dem Burggarten von dem kräftezehrenden Ritt. Ihre Blicke trafen sich und sprachen Bände. Es verlangte ihm danach, Finnja beizustehen, es blieb ihm jedoch verwehrt. Finnja musste diesen schweren Gang zur Wahrheit ganz alleine antreten.
„Bitte, setz dich kurz, mein Kind und lass uns ein Gebet für dich sprechen. Bitten wir Gott, dass Worte der Weisheit und der Vernunft aus deinem Mund kommen werden und du nicht die ganze Last alleine trägst.“
Finnja setzte sich dankend und lauschte seiner liebevollen Bitte an ihren Gott.
„Und denk an die Worte unseres Herrn Jesus Christus: Wenn sie euch an die Gerichte ausliefern, dann macht euch keine Sorgen, was ihr sagen sollt oder wie ihr es sagen sollt. Es wird euch im entscheidenden Augenblick schon eingegeben werden. Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird aus euch sprechen.“3
„Ich danke Euch, Pater Matthew.“ Finnja versuchte, ungezwungen zu lächeln.
Der Wind streifte ihr Haar aus dem Gesicht, was sie unwillkürlich an ihre Mutter erinnerte. Bilder aus vergangener Zeit blitzen auf. Manchmal waren sie stundenlang im Garten gesessen, haben die Sonne und den Wind genossen, und ihre Mutter hatte ihr Geschichten von biblisch treuen Männern und Frauen erzählt. Besonders an lauen Herbstabenden, wenn der sanfte Wind mit den Blättern gespielt und sie tanzen und rascheln gelassen hatte.
Finnja schöpfte Mut aus dem Gebet, hob ihren Kopf und lächelte Pater Matthew zu, um den Anschein zu erwecken, sie sei für dieses Gespräch gewappnet.
Finnja klopfte leise an die Tür. Der übertriebene Anstand, den ihr Stiefvater sie mit voller Härte lehrte, ließ sie warten, bis man sie hereinbat. Dann war es so weit. Mit klopfendem Herzen betrat sie den Raum. Finnja schaute sich ruhig um, erblickte Rachel, Callum und ihren Stiefvater. Sie versuchte erfolglos, die Situation einzuschätzen.
„Ihr habt nach mir verlangt. Ich hoffe, Ihr musstet nicht zu lange warten.“ Sie knickste vor ihm und senkte kurz respektvoll den Kopf.
„Finnja, schließ die Tür und setzt dich zu uns.“
Er wartete, bis sich Finnja zu ihnen gesellte.
„Es gibt viel zu bereden“, erklärte Lord MacLachlan zum Auftakt der Besprechung. Er machte eine kleine fingierte Pause, als würde er nach den richtigen Worten suchen.
Rachel stand der Hochmut nicht nur im Gesicht, sondern ihre ganze Haltung strotzte davon. Sie hob leicht das Kleid an, das übervoll mit teuren Stickereien war, und setzte sich auf den Stuhl, den ihr der Vater zuwies. Rachels herablassende Art ließ Finnja das Blut in den Adern gefrieren.
„Setz dich“, wies ihr Stiefvater Finnja an. Der kalte Tonfall war ihr vertraut, der Vorbote von vollendeten und unumstößlichen Beschlüssen. In Finnja stieg leichte Übelkeit auf, obwohl sie unwissend war, was genau auf sie zukam. Sie setzte sich auf den zugewiesenen Stuhl, ihr Rücken aufrecht in manierlicher Haltung und strich ihr Kleid glatt. So streifte sie unbemerkt die Feuchtigkeit von den Händen ab.
„Finnja, die Hochzeit wird nicht wie geplant stattfinden!“, hörte sie die Stimme ihres Stiefvaters, und sie hatte das Gefühl, als hätte ihr Herz aufgehört zu schlagen.
„Du weißt, die Ehre des Clans steht an erster Stelle.“ Seine Gedankenpause sollte dieser AussageGewicht beimessen, was auch prächtig funktionierte.
„Das Gespräch mit Lord MacLeod war nicht so lukrativ, wie ich es mir erhofft habe, was bedeutet, ich habe den Vertrag ausgeschlagen. Rachel muss um des Clans willen jemanden mit Einfluss heiraten, der sich im Kriegsfall verpflichtet, hinter uns zu stehen. Also jemanden, der uns Vorteile einbringt.“
Finnja versuchte, diese Informationen mit dem Gerücht zu verbinden, doch es ergab keinen Sinn. Die Argumente, die ihr Stiefvater vorbrachte, fügten sich nicht in dieses Bild und auch nicht in die Politik ein.
„Ich bedaure sehr,wie sich die Vorbereitungen entwickelt haben. Was wollt Ihr nun tun, da die Hochzeit schon bekannt gegeben wurde?“ Finnja versuchte, überrascht zu klingen, so wie es von ihr erwartet wurde. Den Vorteil ihres Wissens wollte sie nicht preisgeben.
„Lord MacLeod wollte trotz der anfänglichen Differenzen mit unserem Clan eine eheliche Verbindung eingehen, um seinen Ruf zu wahren und den Zusammenhalt zu stärken. Verstehst du, was ich meine?“
Ihr blieben die Worte in der Kehle stecken. Sie schaute sich um, und die Gesichter, die sie sah, ließen sie ihrer ausweglosen Lage bewusst werden.
„Was erwartet Ihr von mir, um die Ehre des Clans aufrechtzuerhalten?“, fragte Finnja unter Schock, und ahnte, welche Antwort sie erwartete.
„Ich habe der Vermählung mit dir zugestimmt. Unser Glück ist nur, dass du in der Woche seines Besuches einen guten Eindruck erweckt hast.“
Das aufgesetzte Gesicht ihres Stiefvaters war nicht zu verkennen, ebenso konnte man Callums Unzufriedenheit mit dieser Entscheidung deutlich sehen. Angst stieg in ihr auf. Sie hatte schon zu viele seiner Wutausbrüche erlebt, wenn es um sie und um seine Schwester Rachel ging. Und nun wurde Rachel von Lord MacLeod zurückgewiesen.
„Wie wollt Ihr nun weiter verfahren?“, erkundigte sich Finnja leise, während sie versuchte, ihre Haltung zu wahren.
„Er wird uns nach seinen Geschäften, die er noch in England zu erledigen hat, rechtzeitig mit seinem Besuch beehren, an dem eure offizielle Verlobung stattfinden wird.“ Sein Blick verstärkte den Beschluss.
„Die Bekanntmachung an diesem Tag wird nur eine kleine Verwirrung auslösen, die als Missverständnis abgetan wird.“
„Aber Rachel?“, Finnja klang fast andächtig.
„Schweig! Es ist alles zu diesem Thema gesagt. So wird es getan oder willst du unserem Clan Schande bereiten?“, sagte er energisch. Finnja wusste, dass keine weiteren Einwände geduldet werden würden. Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. Sie kämpfte, um die Fassung nicht zu verlieren, und hörte Pater Matthews Warnung, wenn das wirklich eintreffen sollte, dann …
Jetzt wurde das Gerücht wahr, und sie konnte nichts daran ändern.
„Es soll geschehen, wie Ihr es von mir erwartet“, stimmte Finnja in Trance zu. Tränen stiegen ihr in die Augen, was niemandem verborgen blieb.
„Die Welt bricht deswegen nicht zusammen, Finnja, es ist nur eine Heirat, die sowieso bald hätte folgen müssen“, spielte ihr Stiefvater die Situation herunter. Lord MacLachlans Ironie, die in diesem lächerlichen Versuch, sie zu beruhigen, lag, verletzte sie mehr als das gesamte Gespräch. Sie war einfach nur eine Marionette in seinem Spiel.
„Ich bitte um die Erlaubnis, mich entfernen zu dürfen“, erbat sie leise.
Ihr Stiefvater gewährte die Bitte. Finnja stand auf und knickste, als sie erneut die Stimme ihres Stiefvaters hörte.
„Geh nur, du wirst Zeit brauchen, dich wieder zu fassen.“
Ihr Blick traf Callum. In seinen Augen lag ungewohnte Bekümmertheit, die sie einen Moment lang innehalten ließ, dann verließ sie den Raum.
Finnja verlor auf dem Weg zur Kapelle ihre Fassung. Stumme, salzige Zeugen spiegelten ihr Gemüt wider. Pater Matthew erwartete sie schon. Auf diesen Anblick war er nicht gefasst gewesen. Er bemühte sich, Finnja zu beruhigen, doch die väterlichen Arme verhalfen dem Schmerz zum Gehör. Ihr Schluchzen war unerträglich. Finnja lag in seinen Armen, wie zu der Zeit, als ihre Mutter starb.
„Finnja, versuch dich zu beruhigen“, wiegte Pater Matthew sie und strich ihr dabei über das Haar.
„Schhhh“, behutsam versuchte er, ihr Trost zu spenden. Es benötigte Zeit, bis sich Finnja unter Kontrolle bekam. Sie schluchzte und schnäuzte sich die Nase. Sie sah grauenvoll aus. Ihre Augen waren rot unterlaufen und Flecken zeichneten ihr Gesicht.
„Erzähl mir, was passiert ist, vielleicht können wir …“
Sie unterbrach ihn mit einem verneinenden Kopfschütteln.
„Es ist anders, als man Euch zugetragen hatte. Alles ist bis ins Kleinste geplant. Sogar der Ausweg ins Kloster ist mir so versperrt. Er hat alles so inszeniert, als ob von mir die Ehre und der Frieden dieser zwei Clans abhingen. Und mit was für einer Genugtuung er das Gespräch beendet hat. Aber ich verstehe noch immer nicht, was für ein Vorteil das sein soll, mich anstatt Rachel zu verheiraten. Das ergibt alles keinen Sinn!“
Wieder gab sie den Tränen Raum.
Die Nähe Pater Matthews tat ihr gut, er gab ihr ein besonderes Gefühl der Geborgenheit, das sie nun dringend brauchte – genauso wie die vertraute Räumlichkeit, ihr Unterschlupf in diesem kleinen Hinterzimmer der Kapelle. Pater Matthew überlegte angestrengt, welchen Beweggrund Lord MacLachlan haben könnte, doch er war ebenso ratlos wie Finnja.
Nach geraumer Zeit wurde Finnja ruhiger, und sie erklärte ihm noch einmal genau den Verlauf des Gesprächs. Nicht einmal die arrogante Haltung von Rachel ließ sie aus. Pater Mathew stutzte verwundert, als sie von Callums Nichtbeteiligung erzählte. Es passte nicht zu seiner Art, wenn es um die Ehre seines Clans und insbesondere um die Ehre seiner Schwester ging. Man kannte ihn eher nur als aufbrausend, mit unüberlegten, voreiligen emotionalen Handlungen, die von mehr Schaden zeugten, als nötig gewesen wäre.
Pater Matthew setzte einen Teesud aus Baldrian und Melisse auf und hoffte, er würde Finnja etwas Ruhe geben. Sie umklammerte die Tasse, als könnte jeder einzelne Schluck Trost spenden. Pater Matthew saß in seinem Stuhl, starrte gedankenversunken ins Feuer und versuchte, sich auf all das einen Reim zu machen. Finnja dagegen saß auf dem Boden nahe beim Feuer, um die Wärme in vollen Zügen zu erhaschen. Ihre Hände waren eisig, genauso wie ihre gesamte Verfassung. Eine ganze Zeit lang lag Schweigen im Raum, nur das Feuer machte sich hin und wieder bemerkbar.
An der dicken Holztür erklang ein dumpfes Klopfen, das die ersten Male überhört wurde, bis es Pater Matthew aus seinen Gedanken holte. Er gab ein zermürbtes „Herein“ als Antwort.
Die Tür öffnete sich langsam. Callum brauchte viel Überwindung, in die Kammer einzutreten und sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
„Pater?“ Verblüfft schaute Pater Matthew auf, als er die Stimme erkannte und wusste, wer in der Tür stand.
„Callum, was führt dich zu mir?“, fragte Pater Matthew zurückhaltend. Finnja begrüßte ihn zaghaft, beschämt, dass er sie so aufgelöst sah.
„Ich muss mit Euch sprechen!“, ruhig und bestimmt sprach er weiter.
„Ihr seid im Bilde über das Gespräch, das mein Vater mit Finnja geführt hat?“, gab er den Grund seines Erscheinens preis.
„Ja, das bin ich.“ Pater Matthew rieb sich das Kinn, „nur den Sinn davon habe ich nicht verstanden!“ Er klang anklagend, obwohl er wusste, dass der Lord persönlich die Fäden in der Hand hielt. Die Rätselhaftigkeit der Situation nahm mit dem Umstand zu, dass Callums Verhalten während des Gesprächs und nun sein Erscheinen ebenso wenig Sinn ergaben wie alles andere.
„Darf ich mich zu Euch setzen?“ Finnja zeigte zum Erstaunen aller freundlich auf den Platz, der eigentlich ihr Stuhl gewesen war. Wie viel Demut Finnja ausstrahlte, ohne es zu wissen, dachte sich Callum jetzt im Stillen, obwohl er in der Vergangenheit nicht viel mit ihr zu tun haben wollte. Rachel war seine Schwester, nicht Finnja.
Doch der Plan seines Vaters öffnete ihm die Augen für die zierliche Person, die er immer bewusst gemieden hatte. Er setzte sich etwas unbeholfen auf den Stuhl und suchte nach den richtigen Worten.
„Möchtet Ihr eine Tasse Tee?“, fragte Finnja bemüht, nur das Nötigste zu reden. Sie wollte ihr Gefühl der Verzweiflung unter Kontrolle behalten. Doch am meisten versuchte sie, ihren Tränen Einhalt zu gebieten. Auch wartete sie aus Anstand, der ihr auf üble Art von Lord MacLachlan eingetrichtert wurde, auf eine Antwort.
„Nein.“ Er wendete sich Pater Matthew zu.
„Ihr müsst Finnja von hier fortbringen!“ Er überging Finnja wie ein unmündiges Kind, für dessen Ohren dieses Gespräch nicht vorgesehen war.
Callum hielt kurz inne. „Es ist unumgänglich!“ Aufrichtig besorgt schaute er zu Finnja hinüber.
„Ich bin schon seit einigen Tagen über diese Situation im Bilde, Callum. Nur was führt dich hierher zu mir mit so einer Aufforderung? Hast du Angst, da nun Finnja den Platz deiner Schwester einnimmt?“ Pater Matthew klang vorwurfsvoll.
Was Callum betraf, vielleicht wollte er seiner Schwester zu ihrem Recht verhelfen, das könnte ein möglicher Grund seines Besuches sein.
„Ich bin nicht wegen Lord MacLeods Frau hier, wer das auch immer sein wird. Gott möge sie beschützen, sondern wegen Finnja! Ihr müsst sie von hier fortbringen“, seine Worte klangen beängstigend ernst, was Finnja aufhorchen ließ.
„Callum, es gibt keinen Grund, der es rechtfertigen würde, dass ich mit Finnja von hier weggehen könnte. Dein Vater würde mich eher in den Kerker werfen, bevor die Ehre des Clans beschmutzt werden könnte, das wurde heute mehr als deutlich gemacht. Ein Mann Gottes zu sein, ist hier genauso hilfreich, als wenn ich eine Ratte wäre. Du warst doch selbst bei den Verhandlungen auf Lewis dabei, und du kennst deinen Vater sehr wohl!“ Hoffnungslosigkeit machte sich breit.
„Nein, war ich nicht“, erwiderte er wütend über seine Naivität, dann fing Callum zu erzählen an.
„Vater hatte das Treffen bis ins Kleinste geplant. Er setzte mein Temperament zu seinem Vorteil ein, so konnte er das Vertrauen von MacLeod erschleichen. Ich habe erst vor Ort erfahren, dass er Finnja als Braut bevorzugen würde. Darüber war ich empört, so wie es vorauszusehen war“, er hielt kurz inne. „Aufgebracht versuchte ich, ihn darauf hinzuweisen, dass es gar nicht zur Debatte stand. Ich kam nicht zu Wort, wie Ihr Euch vorstellen könnt. Er demütigte mich vor Lord MacLeod und schickte mich, gleich einem Unmündigen, zurück auf das Schiff.“
Er senkte den Kopf und holte tief Luft.
„Und was ist das Ziel, das er erreichen möchte?“ Pater Matthew verstand immer noch nicht, worin der eigentliche Vorteil liegen sollte.
„Er konnte eine Menge Ländereien dadurch erwerben, die mit Rachel nicht zum Gespräch standen, abgesehen von dem finanziellen Vorteil, der nur möglich war, da Finnja MacLeods Interesse geweckte hat.Er erklärte sich, wegen ihrer Zartheit im Charakter‘“, sein Blick schweifte zu Finnja hinüber.
„Frauen wie Rachel kann er zu Hunderten haben. Ihr versteht, was ich meine?“ Callum senkte beschämt den Kopf.
Pater Matthew nickte. Er verstand, was Callum ihm damit sagen wollte.
„Aber warum sollte Finnja die Vermählung nicht eingehen?“ Pater Matthew wartete nachdenklich auf eine Erklärung, die Callums Verhalten und seine Aufforderung, Finnja von hier fortzubringen, rechtfertigen würde.
„Vater hat den Vertrag so ergänzen lassen, dass im Falle von Finnjas Tod die Ländereien samt dem Geld in seinem Besitz bleiben.“ Er seufzte tief und es fiel ihm schwer weiterzureden. Diese neue Seite an seinem Vater war widerwärtig.
„Die Ergänzung will er zu seinem Vorteil ausbeuten, damit Rachel mit einem der wohlhabendsten Lords doch noch die Ehe eingehen kann. Er war ja schließlich von Rachel sehr angetan gewesen, bis er Finnja entdeckte und Erfahrungen über sie einholte. Und so wird auch Rachel bekommen, was sie besitzen möchte, ein ausschweifendes Leben mit Geld und Wein im Überfluss.“
Pater Matthew nickte nachdenklich, als der Schmerz der Erkenntnis ihn ergriff. „Dann ist ja alles noch schlimmer, als ich es befürchtet habe! Die Habgier macht ihn letztendlich zum Mörder.“ Diese Worte waren zu schnell laut ausgesprochen. Er konnte diesen Wandel nicht fassen. Pater Matthew kannte ihn so viele Jahre, doch damit hatte er nun einen neuen Höhepunkt erreicht.
„Denn eine Wurzel alles Bösen ist die Geldliebe, nach der einige getrachtet haben und von dem Glauben abgeirrt sind und sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt haben. –“4, zitierte Pater Matthew fassungslos die Heilige Schrift.
Finnja stand das Entsetzen im Gesicht, sie realisierte, was Callum gerade erklärt hatte. Tränen brachen wieder aus ihr heraus und schluchzend verlor sie die Fassung. Callum reagierte, bevor Pater Matthew sich mit seinen alten Knochen aus dem Stuhl erheben konnte. Er sprang auf, hielt Finnja in seinen Armen und spendete ihr Trost. Er wollte ihr Halt geben und sie bestärken, dass dies nicht das Ende war. Callum zeigte ein Verhalten, das Pater Matthew beeindruckte und mehr Wahrheit in seiner Handlung offenbarte, als Worte es vermochten. In all den Jahren hatte er so ein Verhalten bei Callum noch nicht beobachten können.
„Finnja, wir finden einen Ausweg, beruhig dich, ich bin hier, um das zu verhindern, verstehst du? Ich will dir helfen.“
Finnja konnte sich nicht beruhigen, ihr liefen die Tränen die Wangen hinunter, und Callum tupfte sie mit seinem Ärmel ab. Er versuchte, ihr Trost zu spenden. Es machte ihn wahnsinnig, Finnjas Verzweiflung mitansehen zu müssen.
Hilfesuchend wandte er sich an Pater Matthew.
„Kennt Ihr einen Ort, wo sie vor meinem Vater sicher ist?“
„Warum tust du das alles für Finnja?“, fragte Pater Matthew und blieb trotz seiner Beobachtung misstrauisch.
„Jemanden in einer Schlacht zu töten, Mann gegen Mann, um das Land und den Clan zu verteidigen, ist eine Sache. Eine junge Frau für Geld beiseite zu räumen eine ganz andere. Ich bin ein Krieger, aber kein Mörder!“ Er klang verletzt wegen des Misstrauens, das Pater Matthew ihm entgegenbrachte, nachdem er so viel riskiert hatte, um Finnja und ihn zu warnen.
„Bringt Ihr Finnja in Sicherheit, wenn es Euch an Vertrauen mir gegenüber mangelt. Hauptsache, Ihr tut es schnell!“
Finnja beruhigte sich langsam.
„Es gibt keinen Ort, an dem er mich nicht finden wird, das wisst Ihr selbst am besten. Jeder kennt mich, dafür hat man Sorge getragen.“ Finnja verlor den Mut zum Kämpfen und sprach ihre Gedanken aus.
„Und jeder kennt Euren Vater. Glaubt Ihr wirklich, jemand würde mich aufnehmen, um einen Streit zu provozieren, der in einem Krieg enden könnte? Euer Vater hat schon wegen Geringerem eine Schlacht begonnen.“
Er wusste, dass sie recht behielt, trotzdem wollte er sich nicht geschlagen geben. Sie mussten es versuchen!
In Pater Matthews Gedanken machte sich eine biblische Erfahrung breit, die Trost in einer hoffnungslosen Lage schenkte, und so ergriff er das Wort.
„Erinnerst du dich noch an die Geschichte des Propheten Elia, die Feuerprobe auf dem Berg von Karmel? Wer der wahre Gott sei, Jahwe5 oder Baal? Als Jahwe mit Feuer seine Macht bekundete und Elia voller Glaubens und Überzeugung achthundertfünfzig falsche Propheten töten ließ? Doch die Androhung der bösen Königin Isebell, ihn zu töten, und die Aussage, sie hätte alle Propheten Jahwes niedergemetzelt, hatte ihn in so tiefe Verzweiflung gestürzt, dass er in eine Höhle in den Bergen floh und sterben wollte. Erinnerst du dich, Finnja?“, Pater Matthew schaute ihr lange in die Augen.
„Ja, Pater, ich erinnere mich“, Finnjas Stimme war gebrochen.
„Erinnerst du dich auch, wie der wahre Gott ihn aufbaute und ihm seine Macht demonstrierte?“ Wieder wartete er auf Finnjas Antwort.
„Ja. Jahwe ging vorüber und ein großer und starker Wind zerriss Berge und zerbrach zerklüftete Felsen vor Jahwe her. Doch Jahwe war nicht in dem Wind. Und nach dem Wind, da war ein Beben und nach dem Beben das Feuer und nach dem Feuer kam eine ruhige leise Stimme und fragte ihn: Was hast du hier zu suchen?“6, Finnja wischte sich die Tränen ab.
„Und erinnerst du dich auch, wie Gott ihm zugesichert hat, dass er tausend übriggelassen hatte, dass er nicht alleine war?“
Wieder antwortete Finnja nur mit einem leisen „Ja.“
„Alles spielte sich nur in seinem Kopf ab. Die Einsamkeit, die Hoffnungslosigkeit, und er hatte vergessen, wer auf seiner Seite steht. Der wahre Gott, sein Gott. Und er bekam die Kraft, selbst mit dieser emotionalen Niederlage fertig zu werden.“
Ein langes, bedächtiges Schweigen lag im Raum, bis Callum es durchbrach.
„Pater, Ihr brecht am besten heute noch auf, ich weiß nicht, ob Lord MacLeod sich wirklich nach Englandaufgemacht hat, oder ob er doch schon auf dem Weg nach Cunningham ist. Das alles könnte zu Vaters Plan gehören, damit Finnja sich in Sicherheit wiegt.“ Schwermut lag in seinem Ton. Callum überreichte Pater Matthew einen kleinen Beutel mit Geld. Zumindest daran sollte die Flucht nicht scheitern.
„Ich muss gehen, bevor Vater mein Fehlen bemerkt. Nach dieser Offenbarung über Finnjas geplantes Ableben wird er mich im Auge behalten.“
Mit einem Blick, den Pater Matthew zu deuten verstand, erhob er sich und verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken. Dann wandte er sich Finnja zu.
„Finnja, hör auf Pater Matthew und vertrau keinem, verstehst du! Ich werde dir durch ihn alles zukommen lassen, was du brauchen wirst!“ Dann verließ er den Raum.
Finnja fühlte, wie sich der Boden unter den Füßen auftat, nicht nur, dass sie ihre Stellung mit dem Tod ihrer Mutter eingebüßt hatte, nun sollte sie ihr Zuhause verlassen und ganz verlieren. Doch dann hörte sie Pater Matthew.
„Mein Kind, er hat recht, es gibt keine andere Lösung, die deine Sicherheit gewährt. Wir werden heute bei Nacht aufbrechen. Richte deine nötigsten Sachen, aber halte dein Aussehen schlicht wie eine Magd.“
Mit dem letzten Funken Hoffnung erhob sie sich, um den Anweisungen zu folgen, die er ihr aufgetragen hatte, hielt aber doch nochmal inne.
„Ihr glaubt wirklich, dass das der richtige Weg ist?“
„Ich glaube, es ist der einzige Weg, mein Kind“, er hatte Mühe, seinen Kummer vor ihr verborgen zu halten.
„Pater, Ihr lehrtet mich, dass geschrieben steht, man soll Vater und Mutter ehren7. Wird mir Gott nicht zürnen, wenn ich mich dem Willen meines Stiefvaters widersetze?“ Diese Worte ließen Respekt bei Pater Matthew aufsteigen. Er hatte sie all diese Dinge aus Gottes Wort gelehrt. Niemand, den er kannte, hatte mehr Ehrfurcht vor Gott als diese zierliche Person, die zerbrechlich war wie ein getrocknetes Herbstblatt. Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm er ihr ihre Bedenken.
„Sagte Moses nicht in den Zehn Geboten, du sollst nicht töten?8 Und später, heißt es da nicht, Ihr Eltern, liebt eure Kinder. Gott wird höchstens über Lord MacLachlan ein Urteil sprechen, aber nicht über dich, mein Kind. Geh nun und tu, wie ich es dich geheißen habe.“
Pater Matthew überlegte angestrengt, wem er Finnja anvertrauen könnte, um ihre Sicherheit zu gewähren, doch fand er keinen passenden Ort. Seit Jahren fühlte er sich nicht mehr so von einer Verantwortung, die ihm auferlegt wurde, erdrückt wie in diesem Moment. Er fing an, zu Gott zu flehen, indem er ihm seine Zweifel, seine Hilflosigkeit, bis hin zu dem Gefühl der Ausweglosigkeit vortrug, dass das alles hier doch nicht sein Wille sein konnte, und er dringend seine Führung brauchte.
Endlose Minuten verstrichen, in denen sich seine Fassung aufzulösen schien, bis ihn ein Gefühl der Erleichterung und Beklommenheit zugleich überkam.
Ethain! Sie waren zusammen auf der Klosterinsel Inchcolm. Auf dieser Insel, abgeschottet vom Rest der Welt, begann ihre Ausbildung zum Glaubensmann. Ethain war jünger und nahm es bei weitem nicht so ernst wie Pater Matthew. Die Bedeutung von Demut war ihm fremd, trotz allem war er damals ein treuer Begleiter gewesen.
Pater Matthew blieb nichts anderes übrig, als ihm Finnja anzuvertrauen.
Ethain führte seinen Dienst in Old Elgol Stone durch. Die Burg war seit Generationen im Besitz von Lord Cameron MacConner, ein gutherziger alter Mann, den er seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Er hatte schon früh die Machenschaften von Lord MacLachlan durchschaut, was in einem blutigen Machtkampf endete. Lord MacLachlan würde nie auf den Gedanken kommen, Finnja könnte in Old Elgol Stone Unterschlupf gefunden haben.
Pater Matthew setzte sich an den alten Tisch, räumte die Bücher notdürftig beiseite, richtete Feder und Tintenfässchen und wählte seine Worte sehr gezielt,um diese Notlage zu erklären. Niemand auf der Burg Old Elgol Stone durfte von ihrer wahren Herkunft wissen. Nicht, dass es doch noch durch ein geschwätziges Dorfweib an Lord MacLachlans Ohren käme, wo sich Finnja aufhielt. Mit einem Wachssiegel des Ordens verschloss er sorgfältig den Brief. Er packte die nötigsten Dinge ein, Brot, Wasser und etwas Trockenfleisch, die für eine mehrtägige Reise erforderlich waren.
Finnja hatte ihre kleine Tasche mit den wenigen Habseligkeiten, von denen sie sich nicht trennen konnte, gepackt. Darunter das Wertvollste, was sie besaß: den Familienring ihrer Mutter. Er war fein und schlicht gearbeitet. Er wurde von Generation zu Generation von der Mutter an die Tochter weitergegeben. Pater Matthew hatte ihn ohne eine Regung seines Gewissens in der Nacht, in der Caitlin verstarb, heimlich an sich genommen. Für diesen Ring riskierte er mehr als nur seinen guten Ruf, doch um nichts in der Welt hätte er ihn Lord MacLachlan überlassen.
Es war das Einzige, was Finnja von ihrer Mutter geblieben war.
Ein vertrauenswürdiger Stallbursche wurde von Pater Matthew angewiesen, bei Dunkelheit zwei gesatteltePferde außerhalb der Burg zu postieren. Es war kein leichtes Unterfangen, unbemerkt, seiner Anweisung Folge zu leisten. Pater Matthew zollte ihn mit einem Wochenlohn.
Jeder schlich so unauffällig wie möglich aus der Burg, um sich am Treffpunkt, kurz nach dem Burgtor, einzufinden.
Ein mulmiges Gefühl überkam Finnja bei dem Gedanken an das Unbekannte, auch Wehmut lag darin, schließlich war Cunningham seit je her ihr Zuhause gewesen. Sie war sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Klaren darüber, was die Welt da draußen für sie bereithielt. Es hätte sie den letzten Funken Mut und Selbstachtung gekostet.
Der Nachthimmel war übersät mit Sternen, so weit das Auge reichte. Ein Anblick, der Ehrfurcht aufkommen ließ. Es war bitterkalt, wie es diese klaren Nächte in sich bargen. Das fahle Licht des Sichelmondes ließ erahnen, wo der kleine Pfad durch den Wald verlief. Sie hofften, durch das dichte Geäst den Blicken der Wachposten zu entgehen.
Es war die Zeit kurz vor dem Mondfest Lughnasadh.
Das trockene Laub unter den Hufen und das Schnauben der Pferde war das Einzige, was man hörte. Finnja hatte sich warm angezogen, doch die Kälte durchdrang ihren dicken Winterumhang bis zum Unterkleid. Es war eine endlos lange Nacht, als sie endlich beim Morgengrauen ein Quartier fanden, das die Pferde versorgte und sich mit der Erklärung zufriedengab,