Das Traumpaar - Barbara Cartland - E-Book

Das Traumpaar E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Zehntausende britische Touristen waren 1803 von Napoleon gefangen genommen worden als der Waffenstillstand zwischen Frankreich und England eintrat. Viele schafften es unterzutauchen - darunter auch Frau und Tochter von Sir Edward Waltham, der im vergangenen Winter gestorben war. Notdürftig schafft es Vernita, sich und ihre Mutter über Wasser zu halten indem sie für Pauline Borghese, die Schwester Napoleons, bezaubernde Kleider näht. Doch sie verliebt sich in den Liebhaber Paulines - kann sie sich und ihn vor dem Verrat an die Franzosen und an Napoleon retten?

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Das Traumpaar

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2015

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

1. 1805.

„Es ist fertig, Mama.“

Lady Waltham, die sich in ihre Kissen zurückgelegt hatte, öffnete jetzt die Augen und sagte mit weicher Stimme:

„Wie schön, mein Liebling.“

Ihre Stimme klang sehr schwach. Obwohl sie außergewöhnlich dünn war, so daß man sie fast mager nennen konnte, und so blaß, daß es den Anschein hatte, ihre Haut wäre durchsichtig, konnte man doch erkennen, daß sie einst eine sehr schöne Frau gewesen war.

Auch ihre Tochter Vernita war sehr dünn, hatte jedoch die Grazie und die Schönheit der Jugend. Jetzt erhob sie sich und zeigte ihrer Mutter ein Negligé zur Begutachtung.

Es war aus indischem Musselin, verziert mit feiner Lochstickerei und rosafarbenen Rüschen, die mit zarter Spitze besetzt waren.

Es schien so gar nicht in diese karge Dachkammer mit dem kahlen Holzfußboden zu passen, an deren Fenster nicht einmal Vorhänge hingen.

„Das hast du wunderschön gemacht, mein Liebes“, sagte Lady Waltham. „Hoffentlich bezahlen sie dich auch sofort.“

„Mama, ich habe mir überlegt“, sagte Vernita, „daß ich es diesmal nicht zum Maison Claré bringen werde, sondern direkt zur Prinzessin Borghese.“

„Das kannst du nicht tun!“ erwiderte Lady Waltham erschrocken mit ein wenig erhobener Stimme. „Das wäre viel zu gefährlich. Außerdem war es das Maison Claré, das dir den Auftrag gegeben hat.“

„Aber sie betrügen uns“, wandte Vernita ein. „Sie zahlen uns für alles, was wir machen, einen lächerlichen Hungerlohn. Aber an ihre Kunden geben sie es für ein Vermögen weiter.“

„Ohne sie würden wir jedoch verhungern“, gab Lady Waltham zu bedenken.

„Das werden wir sowieso, solange sie uns für unsere Näharbeiten nicht mehr zahlen“, erwiderte Vernita.

Sie sprach in der Mehrzahl, obwohl sie allein es war, die in den letzten Monaten diese Arbeiten verrichtete.

Lady Waltham war immer schwächer und kränker geworden. Aber sie wagten nicht, einen Arzt zu holen, zumal Vernita wußte, daß ihre Mutter keine Medizin, sondern gutes Essen brauchte, um gesund zu werden.

Es grenzte sowieso an ein Wunder, daß es ihnen bis jetzt gelungen war, zu überleben. Sie mußten sich verstecken, und nachdem sie alle Wertsachen, die sie besessen hatten, verkauft hatten, waren sie gezwungen, von dem zu leben, was ihrer Hände Arbeit ihnen einbrachte.

Zwei Jahre war es her, dachte Vernita, seit sie mit ihrem Vater nach Paris gekommen waren, wie Tausende von englischen Besuchern. Der Vertrag von Amiens hatte damals der jahrelangen Feindschaft zwischen Frankreich und England ein Ende gesetzt.

Der Sommer des Jahres 1802 war eine Zeit der Ruhe in England gewesen.

Nach jahrelangem Kampf, Hunger und Not erfreute sich jedermann an dem wiederhergestellten Frieden und wiederkehrenden Wohlstand.

Die humorvollen Briten hatten aufgehört, sich Sorgen wegen Napoleon Bonaparte, dem jungen Eroberer Österreichs und Italiens zu machen. Ja, sie hatten sich sogar damit abgefunden, daß er die holländische Küste kontrollierte.

Tausende von Touristen, die jahrelang darauf hatten verzichten müssen, fremde Länder zu bereisen, überquerten den Kanal. Die Häfen auf beiden Seiten waren überfüllt mit Persönlichkeiten von Rang und Namen.

Sir Edward Waltham hatte erst einmal gewartet, bis der größte Ansturm vorüber war, bevor er schließlich im folgenden Jahr mit seiner Familie die Reise nach Paris antrat.

Paris war so überwältigend und attraktiv, wie Vernita es erwartet hatte. Sie trafen dort viele Freunde und Bekannte, mit denen sie eine angeregte Zeit verbrachten.

Sie hatten Napoleon Bonaparte auf einem diplomatischen Empfang kennengelernt. Entgegen all den Karikaturen, die sie kannten und die ihn als ein Monstrum dargestellt hatten, war er ein attraktiver, beinahe schöner Mann.

Was für ein Schock war es daher, als im Mai desselben Jahres, als alle sich auf einen erlebnisreichen Sommer mit Bällen und Empfängen freuten, plötzlich der Waffenstillstand beendet wurde.

Napoleon Bonaparte tobte vor Wut.

Der Krieg, den er zwar angestrebt hatte, war nun viel zu früh eingetreten. Noch bevor seine Seestreitkräfte mobilisiert waren, hatte England bereits die Hälfte der Gebiete zurückgewonnen, die es durch den Friedensvertrag verloren hatte.

Die Engländer jedoch, die sich zu dieser Zeit in Frankreich befanden, begriffen nicht schnell genug, welche Folgen das Vorgehen ihrer Regierung nach sich zog, und so wurden Tausende britische Touristen gefangengenommen und interniert.

Diese Aktionen gegen Zivilisten standen im krassen Gegensatz zu jeder zivilen Rechtsprechung. Die britische Bevölkerung war daher aufs äußerste bestürzt und mehr und mehr davon überzeugt, es hier mit einer wilden Bestie zu tun zu haben.

Jedoch war dies absolut kein Trost für diejenigen, die aus ihren Häusern oder den eleganten Hotels vertrieben wurden, die sie für die Saison gemietet hatten.

Nur durch den glücklichen Umstand, daß ein Freund Sir Edwards, ein Mitglied der französischen Regierung, ihn rechtzeitig warnte, war es ihm möglich gewesen, in aller Eile mit seiner Frau und seiner Tochter die elegante Wohnung zu verlassen und ein Haus in einer der wenig attraktiven Seitenstraßen zu mieten. Dort vermietete man an jedermann, ohne viel zu fragen, wer er war und woher er kam.

Noch während Sir Edward Pläne schmiedete, wie er mit seiner Familie nach England zurückkehren könnte, was allerdings ein sehr aussichtsloses Unterfangen war, erkrankte er plötzlich schwer.

Vernita war überzeugt davon, daß das schlechte Wasser von Paris die Schuld daran trug.

Kaum hatte die Familie ihre neue Behausung bezogen, verschlechterte sich sein Zustand rapide und stieg die Temperatur in gefährliche Höhen.

Obwohl seine Frau und seine Tochter alles taten, um ihm zu helfen, starb er doch plötzlich nach einer Woche entsetzlicher Schmerzen und ließ die beiden Frauen bestürzt, hilflos und allein zurück.

Zu spät sagten sie sich, daß sie wohl doch das Risiko hätten eingehen sollen, entdeckt zu werden und besser einen Arzt zu Rate hätten ziehen sollen.

Aber es war fraglich, ob irgendein Doktor Sir Edward hätte retten können, da die schlechte medizinische Versorgung in Paris allgemein bekannt war.

Lady Waltham, die ihren Mann inniglich geliebt hatte, war von tiefer Trauer ergriffen und von diesem plötzlichen Schicksalsschlag wie gelähmt. So war es Vernita, die die Dinge in die Hand nahm und sich darum kümmerte, daß sie ihre verhältnismäßig elegante Wohnung verließen und in eines der Armenviertel zogen.

Sir Edward hatte ihnen eine verhältnismäßig große Summe Bargeld hinterlassen. Sofort nachdem er begriffen hatte, daß sie sich würden verstecken müssen, hatte er alles verfügbare Bargeld von der Bank abgehoben.

Aber Vernita war vernünftig genug, um zu begreifen, daß sie nicht ewig davon würden leben können. Der Krieg vor dem Waffenstillstandsabkommen hatte ganze neun Jahre angedauert, und obwohl es ihr fast das Herz zerriß, sagte sie sich, daß die nun aufs Neue entfachte Feindschaft zwischen beiden Ländern durchaus weitere neun Jahre andauern mochte.

„Wir müssen so sparsam wie möglich leben“, hatte sie zu Lady Waltham gesagt.

Die Reaktion ihrer Mutter war so hilflos, daß ihr nun völlig klar wurde, daß sie von jetzt an die Führung übernehmen und den Platz ihres Vaters einnehmen mußte. Es war jetzt ihre Aufgabe, die Entscheidungen zu treffen.

Ganz offensichtlich stimmte die französische Bevölkerung in die Haßtiraden Napoleons gegen die Briten ein.

Vernita erfuhr, daß die Rachsucht des Korsen so stark war, daß er alles durchsetzen wollte, dieses Volk von „unverschämten Händlern“ unterwerfen wollte, das sich seinen Plänen, die ganze Welt zu erobern, in den Weg gestellt hatte.

„Sie wollen uns zwingen, über den Kanal zu springen“, rief er aus, „und wir werden über den Kanal springen!“

Er setzte ganze Flotten von Kriegsschiffen in Richtung England in Bewegung und mobilisierte jeden französischen Hafen.

Die Franzosen stimmten in sein Kriegsgebrüll ein und verspotteten die Engländer, die sich einbildeten, ihr Land gegen eine solche Invasion verteidigen zu können.

Die Zeit verstrich, und im Jahre 1805 war Napoleons Hoffnung geschwunden, den Kanal überqueren und England einnehmen zu können. Die starke britische Flotte blockierte den Weg total. Das hatte jedoch nicht etwa zur Folge, daß man sich in Paris den Engländern gegenüber toleranter verhielt.

Jedes Mal wenn Vernita durch die Straßen von Paris ging, konnte sie förmlich den Haß spüren, der ihren Landsleuten von den „siegreichen Franzosen“ entgegengebracht wurde, die den Rest Europas kontrollierten.

Doch trotz all der Siege stiegen die Preise rapide, und es wurde für Vernita immer schwieriger, sich und ihre Mutter zu ernähren.

Lady Waltham hatte sich nie wieder von dem Schock erholt, den ihr der plötzliche Tod ihres Gatten versetzt hatte. Von Monat zu Monat, von Tag zu Tag schien sie schwächer und schwächer zu werden.

Manchmal glaubte Vernita keinen anderen Ausweg zu sehen, als sich den Behörden zu stellen.

Jedoch wehrte sich jede Faser ihres Körpers gegen den Gedanken, interniert zu werden, und ihr ausgeprägter Stolz hatte sie veranlaßt, den Kampf aufzunehmen, auch auf die Gefahr hin, daß sie beide dabei zugrunde gehen mochten.

Als sie jetzt ihre Mutter ansah, wußte sie, daß sie etwas unternehmen mußte, und zwar schnell.

Noch während der Arbeit an diesem kostbaren Negligé, das sie im Auftrag des Maison Claré anfertigte, hatte sie sich entschieden, es diesmal dem Kunden direkt zu bringen, für den es bestimmt war.

Sie wußte sehr wohl, daß die Prinzessin Pauline Borghese schon eine große Anzahl kostbarer Kleider gekauft hatte, die sie und ihre Mutter so sorgfältig angefertigt hatten.

Selbst als sich die Prinzessin im letzten Jahr in Italien aufhielt, hatte sie eine große Anzahl Kleider, Negligés und feiner Wäschestücke bestellt, die in Rekordzeit hatten angefertigt werden müssen, um dann mit einem Kurier schnellstens nach Rom gebracht zu werden.

Das Maison Claré bürdete seinen Näherinnen wahre Schweißarbeit auf.

Als Vernita dort das Material, das sie benötigte, abholte, hatte sie festgestellt, zu welch hohen Preisen man diese eleganten Kleidungsstücke an die Kunden weiterverkaufte und wie brutal man die Menschen, die sie herstellten, ausbeutete.

Durch die Krönungsfeierlichkeiten im letzten Jahr war die Nachfrage nach Wäschestücken gestiegen, die ebenso kostbar waren wie die Kleider, die man darüber trug.

Als Vernita dann protestierte und einwand, daß es unmöglich war, all die Aufträge in der erwarteten kurzen Zeit fertigzustellen, hatte man ihr kurzerhand befohlen, den Anweisungen Folge zu leisten, da man sie andernfalls entlassen und jemand anderen einstellen würde.

Zwar hielt Vernita dies für unwahrscheinlich, wagte jedoch nicht, ein Risiko einzugehen und sich offen zu widersetzen.

Nach ihrem letzten Negligé, das alle vorhergehenden an Eleganz und Schönheit noch übertraf, hatte sie sich nun entschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

„Ich werde Louise bitten, mir ihr bestes Kleid und ihren Hut zu leihen, Mama“, sagte sie jetzt laut. „Ich werde darin wie eine typische ,petite bourgeoise’ aussehen, und niemand wird auf den Gedanken kommen, daß ich etwas anderes bin, als ich vorgebe zu sein.“

„Aber das Risiko ist viel zu groß“, wandte Lady Waltham zaghaft ein. „Stell’ dir nur vor, man entdeckt, wer du in Wirklichkeit bist!“

„Dann werden wir ins Gefängnis gehen“, erwiderte Vernita, „und vielleicht wäre dies das Beste für uns. Wenigstens haben die Gefangenen zu essen.“

Lady Waltham stieß einen kleinen Schrei des Entsetzens aus, worauf Vernita an ihre Seite eilte.

„Ich scherze doch nur, Mama. Niemand wird auch nur einen Moment lang den kleinsten Verdacht schöpfen. Auch beim Einkaufen behandelt man mich nicht anders, als all die anderen armen, französischen Frauen, die jeden Sou dreimal umdrehen und nur den billigsten Kohl kaufen.“

„Wenn doch nur dieser entsetzliche Krieg endlich vorüber wäre“, seufzte Lady Waltham, „oder wir niemals nach Paris gekommen wären.“

Es ist alles nur meine Schuld, dachte Vernita wie schon so oft zuvor.

Da ihr Vater, als sie siebzehn geworden war, glaubte, ihr eine solche Reise ermöglichen zu müssen, hatten sie ihr Heim in Buckinghamshire verlassen, das seit fünf Generationen im Besitz der Walthams war.

Diese Gedanken verursachten ihr tiefen Schmerz und sie fragte sich verzweifelt, warum das Schicksal sie so hart behandelte. Dann jedoch erinnerte sie sich mit einem Lächeln an die Worte ihrer alten Nanny, daß es „keinen Sinn hatte, zu weinen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen war“.

Ihre Mutter und sie waren nun einmal hier in Paris, und sie konnten nichts weiter tun, als zu versuchen zu überleben.

Sie beugte sich hinab und küßte die kalte Wange ihrer Mutter.

„Ich gehe jetzt zu Louise hinunter“, sagte sie. „Sie ist sehr freundlich und ich bin sicher, daß sie mir helfen wird.“

Lady Waltham widersprach nicht, da sie wußte, daß Vernita ihren einmal gefaßten Entschluß auch durchführen würde.

Gleichzeitig jedoch konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren, wie grausam es doch war, daß ihre junge und schöne Tochter ihr Leben mit Näharbeiten in dieser Dachkammer verbringen mußte.

Daheim würde sie ihre Zeit damit verbringen, Bälle und Gesellschaften zu besuchen, oder sie würde auf ihrem Pferd über die weiten Wiesen reiten, die zum Gut ihres Vaters gehörten.

Was wird nur die Zukunft für sie noch bereithalten? fragte Lady Waltham sich besorgt.

Obwohl sie immer wieder inbrünstig gebetet hatte, daß Vernita ein armseliges Leben, wie sie es zur Zeit führten, erspart bleiben mochte, hatte sie niemals eine Antwort erhalten. Es schien, als hätte selbst Gott sie verlassen.

„Oh, Edward!“ rief sie jetzt aus. Sie sprach oft laut mit ihrem Gatten, wenn sie allein war. „Wo immer du auch sein magst, du kannst uns doch bestimmt helfen?“

Sie war so schwach, daß allein der Gedanke an ihren toten Mann ihr die Tränen in die Augen trieb, die sie jedoch schnell fortwischte, als sie Vernita die Treppen heraufkommen hörte. Sie wußte, daß es ihre Tochter jedes Mal aufregte, wenn sie sie weinen sah.

Vernita trat ein und trug ein schwarzes Kleid über dem Arm. Und in der Hand hielt sie einen kleinen schwarzen Strohhut.

„Ich wußte, daß Louise mir helfen würde. Sie war sehr freundlich“, sagte sie. „Aber ich muß sehr vorsichtig mit den Sachen sein, da dies ihr Sonntagskleid ist! Und nun paß auf, Mama! Ich werde mich jetzt verwandeln und genauso aussehen, wie sich Ihre Kaiserliche Hoheit eine Näherin vorstellt, die ihre feine Wäsche anfertigt.“

Gewöhnlich trug Vernita, wenn sie auf die Straße hinausging, einen Schal um den Kopf und einen formlosen Mantel, der ihre ausgezeichnete Figur verhüllte.

Sie tat dies nicht nur, um zu verhindern, daß man die Ausländerin in ihr erkannte, sondern hauptsächlich, um die jungen, liebeshungrigen Franzosen fernzuhalten.

Als sie jetzt das Kleid von Louise angezogen hatte, sah sie tatsächlich wie eine der „petites bourgeoises“ aus, allerdings auch sehr attraktiv.

Entsetzt sah Lady Waltham ihre Tochter an.

„So kannst du nicht auf die Straße gehen, Liebes! Wenn dich nun ein Mann anspricht. Du könntest beleidigt werden!“

„Ich gehe nur zur Rue du Faubourg Saint Honoré, Mama, und ich werde die Seitenstraßen benutzen. Es wird mich niemand ansprechen, das verspreche ich dir.“

„Ich hoffe nicht“, sagte Lady Waltham nervös. „Aber wirklich, Liebling, dieser unmögliche Hut ist wirklich recht kleidsam.“

„Du bist viel zu ängstlich, Mama“, erwiderte Vernita. „Aber du kannst unbesorgt sein, es wird mir nichts passieren.“

Sie packte das Negligé ein und sah sich noch einmal in dem Kämmerchen um, ob ihre Mutter vielleicht noch etwas benötigte.

„Mach’ dir keine Sorgen, wenn es ein wenig länger dauern sollte, bis ich zurück bin“, sagte sie. „Wenn ich das Geld für meine Arbeit gleich bekomme, werde ich noch Milch auf dem Weg kaufen. Und vielleicht, wenn ich so viel erhalte wie ich hoffe - auch noch ein Hähnchen!“

„Du solltest nicht so übertreiben“, erwiderte Lady Waltham fast automatisch.

„Tun wir das denn jemals?“ fragte Vernita, und in ihrer Stimme war die Bitterkeit nicht zu überhören.

Zärtlich küßte sie ihre Mutter.

„Wenigstens scheint die Sonne heute“, sagte sie. „Aber, liebste Mama, du solltest die Hände unter der Decke lassen. Du weißt doch, wie kalt sie sofort werden.“

Während sie dies sagte, dachte sie daran, wie streng dieser Winter gewesen war. Und wie oft war es ihr wie ein Wunder erschienen, daß sie und ihre Mutter morgens noch am Leben und nicht erfroren waren, denn sie hatten es sich nicht leisten können, ein wenig einzuheizen.

Doch oftmals, wenn sie des Nachts erwacht war, hatte sie besorgt gehorcht, ob ihre Mutter noch atmete.

Als sie jetzt die Treppen hinabeilte, dachte sie, daß es ihr guttun würde, an die frische Luft zu kommen. Es würde ihre Kopfschmerzen vertreiben, die daher rührten, daß sie zu lange über der Näharbeit gesessen und viel zu wenig gegessen hatte.

Das erste und zweite Stockwerk des Hauses waren etwas komfortabler und mit Teppichen ausgestattet. Und Monsieur und Madame Danjou, die Concierge und ihr Mann, waren immer sehr freundlich und hilfsbereit gegen sie gewesen.

Wenn sie jemals Verdacht geschöpft hatten, daß die Walthams nicht das waren, was sie vorgaben zu sein, so hatten sie sich niemals etwas anmerken lassen. Niemals hatten sie Lady Waltham oder Vernita gegenüber eine Andeutung verlauten lassen.

Sie kannten sie als Madame und Mademoiselle Bernier. Diesen Namen hatte Sir Edward ausgewählt, als sie sich verstecken mußten, da dies, wie er sagte, ein ebenso üblicher und häufiger Name war wie Smith, Jones oder Brown es in England waren.

Monsieur und Madame Danjou hatten eine Tochter, Louise, die im gleichen Alter wie Vernita war.

Da Louise Vernita sehr zugetan war, hatte sie ihr schon des öfteren vorgeschlagen, gemeinsam auszugehen. Vielleicht würde man einen jungen Mann finden, der sie begleiten und mit dem sie sich in einem der vielen billigen Lokale amüsieren konnten, wo sich die Jugend von Paris zu treffen pflegte.

Sie konnte nicht verstehen, daß Vernita diese Einladungen jedes Mal ablehnte mit der Begründung, sie könne ihre Mutter nicht alleine lassen.

„Du verschwendest deine Jugend“, hatte Louise oftmals mit einem leichten Anflug von Spott gesagt. „Wenn Sie nicht aufpassen, M’mselle, werden Sie noch im Kloster enden.“

Obwohl Vernita stets über diesen Gedanken lachen mußte, fragte sie sich doch insgeheim, ob sie wohl jemals ein anderes Leben kennenlernen würde als das in dieser kalten, ungemütlichen Dachkammer, in der ihre einzige Gesellschaft ihre kranke Mutter war.

Sie vermißte die jungen Leute ihres Alters, die sie in England gekannt hatte. Auch vermißte sie die Unterhaltungen mit ihrem Vater und die vielen Bücher, die sie zusammen gelesen hatten.

Sir Edward war ein sehr intelligenter Mann gewesen, der großen Wert auf eine gute Erziehung und Ausbildung seiner Tochter gelegt hatte. Jetzt jedoch hatte Vernita oftmals das Gefühl, daß sich ihr Gehirn in Sägemehl auflösen würde. Sie schien gar nicht mehr in der Lage zu sein, über etwas anderes als Geld nachzudenken.

„Mama braucht dringend etwas zu essen“; sagte sie sich jetzt, als sie ihrem Ziel entgegeneilte.

Wie sie es ihrer Mutter versprochen hatte, benutzte sie nur die kleinen, ruhigen Seitenstraßen und vermied die großen Boulevards, auf denen lebhafter Verkehr herrschte und die Menschen in den Cafés auf der Straße saßen und die Vorübergehenden beobachteten.

Schließlich war sie in der richtigen Straße angelangt, und sie fand auch ohne viel Mühe das Hôtel de Charost, dieses wunderbare Gebäude, das jetzt Ihrer Kaiserlichen Hoheit, Prinzessin Borghese gehörte.

Das Hôtel de Charost besaß ein eindrucksvolles Portal aus schwarzem Marmor. Das Wappen über dem großen Portal zeugte davon, daß der vorangegangene Besitzer weit edlerer Herkunft gewesen war, als man es von seinem jetzigen Besitzer sagen konnte.

Vernita ging durch das Tor hindurch und befand sich sodann in einem halbkreisförmigen Hof.

Plötzlich fühlte Vernita sich nervös und ein wenig ängstlich. Sie befürchtete, vielleicht abgewiesen zu werden und ihre Arbeit doch wieder im Maison Claré abliefern und dafür einen Hungerlohn in Empfang nehmen zu müssen.

„Was wünschen Sie?“ fragte ein Lakai in unfreundlichem Ton. Er schien nicht sonderlich von ihr beeindruckt zu sein.

Er trug eine grüne Livree und Vernita erinnerte sich, gehört zu haben, daß dies die Lieblingsfarbe der Prinzessin war.

„Ich bringe das Negligé, das Ihre Kaiserliche Hoheit bestellt hat.“

Schon fürchtete sie, der Lakai würde ihr das Negligé abnehmen, so daß sie keine Chance mehr haben würde, die Prinzessin persönlich zu sprechen und, wie sie insgeheim gehofft hatte, neue Aufträge in Empfang zu nehmen. Dann jedoch bedeutete ihr der Lakai, ihm zu folgen, und sie kam in eine große, vornehm ausgestattete Halle.

Vernita hatte keine Möglichkeit, sich weiter umzusehen. Sie wurde in einen Salon geführt, in dem die Prinzessin bereits mit verschiedenen Schneidern und Hutmachern verhandelte.

Die Prinzessin trug ein durchsichtiges Gewand, das die Formen ihrer griechischen Figur kaum verhüllte. Sie lag auf einer Chaiselongue, während man ihr Stoffe und Zubehör für ihre neuen Kleider vorführte.

Es schien jedoch, daß ihr heute weder die Modelle noch das empfohlene Material gefielen.

„Es ist alles nicht chic“, sagte sie gerade, als Vernita den Raum betrat. „Im Gegenteil, ich würde wahrscheinlich abscheulich darin aussehen. Es ist besser, Sie nehmen alles wieder mit und kommen mit neuen Vorschlägen wieder.“

„Mais, Madame ...“, wollte der Mann sie unterbrechen.

„Pardi! Ich kann nicht glauben, daß Sie mit mir streiten wollen!“

Der Ärger, der jetzt in ihrer Stimme zu hören war, stand in krassem Gegensatz zu ihrer zarten, lieblichen Erscheinung.

Die Zeitungen hatten schon viel über ihr Aussehen berichtet und sie mit einer klassischen griechischen Statue verglichen. Jetzt mußte Vernita feststellen, daß sie in der Tat schöner war.

Die Formen ihres Körpers waren perfekt, und sie besaß ein so liebliches Gesicht, daß es unvorstellbar erschien, jemandem könne es einfallen, sie zu verärgern.

Als der Schneider sich jetzt anschickte, den Raum zu verlassen, warf sie dem Gentleman, der neben ihr in einem Armsessel saß, ein amüsiertes, spöttisches Lächeln zu, wodurch ihr Gesicht unbeschreiblich attraktiv wirkte.

Es fiel Vernita schwer, den Blick von dieser Schönheit zu wenden. Als die Prinzessin sich jetzt jedoch einer Frau zuwandte, die zwei Hutschachteln bei sich hatte, betrachtete sie den Herrn an ihrer Seite.

Auch er war eine Erscheinung, die geradewegs aus einem Bilderbuch zu kommen schien. Er war schlank und sehr elegant und hatte sich mit gekreuzten Beinen im Sessel zurückgelehnt.

Er hatte einen leicht zynischen Ausdruck in den Augen und schien der ganzen Prozedur ein wenig geringschätzig zu folgen.

Er mußte sehr groß sein, wenn er aufstand, hatte breite Schultern, und seine persönliche Ausstrahlung erinnerte Vernita an ihren Vater.

Er war nicht mehr sehr jung, auf jeden Fall hatte er die Dreißig schon überschritten. Vernita fragte sich, wer er wohl sein mochte.

Als sie dann jedoch beobachtete, wie die Prinzessin ihn vertraulich anlächelte, war sie sicher, daß er zum Hause gehören mußte.

Die Zeitungen hatten schon viel über die diversen Liebesaffären der Prinzessin geschrieben, und das in einer Offenheit und Ausführlichkeit, die wenig Raum für die eigene Phantasie offenließen.

Es war allgemein bekannt, daß ihr Bruder Napoleon Bonaparte eilig darum bemüht war, ihr einen neuen Ehemann zu verschaffen, nachdem sie durch den Tod ihres ersten Mannes in der Schlacht zur Witwe geworden war. Er wußte sehr wohl um ihre Zügellosigkeit.

Seit zwei Jahren war sie jetzt bereits mit dem Prinzen Camillo Borghese verheiratet. Als seinerzeit ihre Verlobung bekannt geworden war, hatte Sir Edward Waltham bemerkt, daß es für eine Frau aus einer unwichtigen korsischen Familie eine außergewöhnlich gute Partie war, einen der edelsten und wichtigsten italienischen Aristokraten zu heiraten.

Als Vernita mit siebzehn Jahren nach Paris kam, war sie in dem romantischen Alter, in dem sie alle Geschichten und Berichte über den Prinzen Camillo Borghese begierig verschlang.