Das Verlangen des Viscounts: Die Ladys vom Cavendish Square - Band 1 - Jane Feather - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Verlangen des Viscounts: Die Ladys vom Cavendish Square - Band 1 E-Book

Jane Feather

0,0
1,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Geheimnisse und prickelnde Leidenschaft erwarten Sie im Regency-Roman »Das Verlangen des Viscounts« von Jane Feather – jetzt als eBook bei dotbooks. London, zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die drei Freundinnen Cornelia, Livia und Aurelia hatten sich Abwechslung vom tristen Landleben auf andere Art erhofft, als von einem nächtlichen Überfall überrascht zu werden. Aber welcher Dieb bricht in eine alte Villa ein, ohne etwas zu stehlen? Und was hat der rätselhafte Harry Bonham im Sinn, der ausgerechnet diese Villa um jeden Preis kaufen möchte? Zwischen dem charmanten Viscount und der schlagfertigen Cornelia sprühen von der ersten Begegnung an die Funken – und bald erliegen sie der alles verzehrenden Sehnsucht nacheinander. Doch Harry verbirgt ein Geheimnis vor Cornelia, das einen dunklen Schatten über die Leidenschaft der beiden wirft … »Jane Feathers temporeiche Liebesromane garantieren viel Vergnügen, heiße Erotik und spannende Unterhaltung!« Publishers Weekly Begleiten Sie in der romantischen Regency-Trilogie »Die Ladys vom Cavendish Square« die drei Freundinnen Livia, Cornelia und Aurelia auf ihrer Suche nach der großen Liebe im London des 19. Jahrhunderts. Jetzt als ebook kaufen und genießen: »Das Verlangen des Viscounts« von Romance-Bestseller-Autorin Jane Feather. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 618

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

London, zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die drei Freundinnen Cornelia, Livia und Aurelia hatten sich Abwechslung vom tristen Landleben auf andere Art erhofft, als von einem nächtlichen Überfall überrascht zu werden. Aber welcher Dieb bricht in eine alte Villa ein, ohne etwas zu stehlen? Und was hat der rätselhafte Harry Bonham im Sinn, der ausgerechnet diese Villa um jeden Preis kaufen möchte? Zwischen dem charmanten Viscount und der schlagfertigen Cornelia sprühen von der ersten Begegnung an die Funken – und bald erliegen sie der alles verzehrenden Sehnsucht nacheinander. Doch Harry verbirgt ein Geheimnis vor Cornelia, das einen dunklen Schatten über die Leidenschaft der beiden wirft … »Jane Feathers temporeiche Liebesromane garantieren viel Vergnügen, heiße Erotik und spannende Unterhaltung!« Publishers Weekly

Über die Autorin:

Jane Feather wurde in Kairo geboren, wuchs in Südengland auf und lebt heute mit ihrer Familie in Washington D.C.. Sie studierte Sozialkunde und war als Psychologin tätig, bevor sie ihre Leidenschaft für das Schreiben entdeckte – und inzwischen eine internationale Fangemeinde begeistert.

Bei dotbooks erschienen von Jane Feather die Regency-Trilogie »Die Ladys vom Cavendish Square« mit den Einzelbänden »Das Verlangen des Viscounts«, »Die Leidenschaft des Prinzen« und »Das Begehren des Spions«. Außerdem erschienen in der Reihe »Das Erbe von Blackwood« die folgenden Bände (auch erhältlich als Sammelband unter dem Titel »Lords & Ladies: Gefährliches Verlangen«): »Das Geheimnis des Earls«, »Das Begehren des Lords« und »Der Kuss des Lords«.

Die Website der Autorin: www.janefeatherauthor.com

***

eBook-Neuausgabe November 2018

Dieses Buch erschien bereits 2008 unter dem Titel »Eine verruchte Affäre« bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2007 by Jane Feather

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »A wicked Gentleman« bei Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2008 bei Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Published by arrangement with Jane Feather.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Lapina und Period Images

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-96148-682-3

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Das Verlangen des Viscounts« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Jane Feather

Das Verlangen des Viscounts

Roman

Die Ladys vom Cavendish Square, Band 1

Aus dem Amerikanischen von Jutta Nickel

dotbooks.

Prolog

Er duckte sich in den Schatten der Eibenhecke, die den Square Garden umschloss, hielt den Atem an und lauschte. Obwohl er wusste, dass sie irgendwo in der Dunkelheit lauerten, hörte er nichts. Niemand war besser als sie, wenn es um Verfolgungen ging, und niemand schlüpfte ihnen geschickter durch die Maschen als er. Seine Hand glitt unter das Hemd und tastete nach dem kleinen Bündel, das er sich fest unter den rechten Unterarm geschnallt hatte. Sie durften es auf keinen Fall bei ihm finden.

Aus den großen Häusern auf der anderen Straßenseite drang kein Licht mehr. Sogar die Bediensteten lagen zu dieser nachtschlafenden Stunde schon im Bett. Hin und wieder trat der Mond aus den Wolken hervor und erhellte die blank polierten Stufen der kurzen Treppen, die vom Bürgersteig direkt zu den makellosen Eingangstüren mit Türklopfern aus glänzendem Messing führten; gepflegte schwarze Zäune umgrenzten das Areal um den Dienstboteneingang im Untergeschoss und die Küche.

Hinter ihm knackte es vernehmlich ... ein Eichhörnchen, das durch das trockene Laub huschte ... nein, es war kein Eichhörnchen. Sie waren es. Er war sich nicht ganz sicher, wie viele ihm auf den Fersen waren, vermutete aber mindestens zwei. Mit der Handfläche strich er über den Griff der kurzen Klinge, die in der Scheide an seinem Hüftgürtel steckte. Wenn es nur zwei waren – mit ihnen würde er fertig werden. Sollten es doch mehr sein, dann würden sie sich im schattenhaften Dunkel dieser kalten Februarnacht von allen Seiten auf ihn stürzen.

Mechanisch setzte er sich in Bewegung, beinahe schneller, als es ihm bewusst wurde, brach aus der Deckung und rannte quer über die Straße. Und jetzt konnte er sie hören, stampfende Schritte hinter ihm auf der Straße. Im fahlen Mondlicht entdeckte er eine Kutsche, die am Square um die Ecke preschte, vierspännig und beinahe im Galopp, geführt von einem Peitsche schwingenden jungen Mann und seinen zwei Begleitern, die betrunken auf dem Bock schwankten und mit lärmendem Gelächter die nächtliche Stille zerrissen.

Er kauerte sich auf den Boden. Nur wenige Zentimeter flogen die Hufe an ihm vorbei, als er auf den gegenüberliegenden Bürgersteig hechtete. Die Vorderpferde, die auf das kreischende Gelächter und die unbeherrschte Hand an den Zügeln ohnehin schon panisch reagierten, brachen aus und stiegen aus Angst vor dem Objekt, das plötzlich unter ihnen dahinrollte. Das Gelächter verwandelte sich in lautes Gebrüll, als die Männer sich seitlich neigten und die Kutsche auf zwei Rädern hing, bevor sie die Ladung verlor und umstürzte.

Der Mann hielt kaum eine Sekunde inne, taxierte den Lärm hinter sich mitten auf der Straße. Die Pferde versuchten, wieder in die Spur zu kommen, aber die Zügel hatten sich verdreht, und eines der vorderen Tiere war in den Vorderbeinen eingeknickt.

Der wüste Tumult reichte, ihm die Verfolger für ein paar wertvolle Minuten vom Leib zu halten. Regungslos hielt er inne. Seine Augen hatten sich inzwischen an das Halbdunkel gewöhnt, und der Blick schweifte durch die unmittelbare Umgebung. Die eleganten, gepflegten Fassaden der Londoner Aristokratie begrenzten den Square zu allen vier Seiten. Noch immer brannte kein Licht in den Häusern, obwohl die Kutsche höllischen Lärm gemacht hatte. Irgendetwas strich ihm um die Knöchel. Er erschrak, und wie aus Protest ertönte ein Schrei. Eine Katze strich ihm um die Beine und sprang die Treppe zum Dienstboteneingang ein paar Meter entfernt hinunter. Als er sich umschaute, starrte er in das nachtschwarze Dunkel eines winzigen Innenhofs. Zwei Augen glommen auf, als die Katze auf ein niedriges Fenstersims sprang. Dann war sie fort.

Instinktiv ging er die Stufen hinunter, tastete sich langsam vorwärts. Über ihm schwoll der Lärm an. Er presste sich an die Wand am Fuß der Treppe und entdeckte die Katzenaugen, die ihn vom Fenstersims aus anglühten. Aber diesmal blickten sie von drinnen nach draußen. Der Fensterrahmen war ungefähr fünfzehn Zentimeter hochgeschoben, mehr als eine Katze braucht, um durchzukriechen. Für einen Mann reichte es nicht. Natürlich war er schlank, aber doch längst nicht so biegsam wie ein Schlangenmensch.

Er legte die Handflächen unter das Fenster und schob mit aller Kraft. Zweifellos, das Fenster hatte sich bewegt. Die Katze protestierte mit einem lauten Miau und sprang hinunter. Wieder schob der Mann. Fünfundvierzig Zentimeter würden reichen. Er blieb vollkommen ruhig, obwohl seine Sinne hellwach und seine Nerven zum Zerreißen gespannt waren. Nicht das kleinste Geräusch durfte ihm entschlüpfen, nicht der feinste Geruch oder der leiseste Hauch seiner Verfolger. Das Fenster knarrte, blieb stecken, knarrte wieder – und war endlich weit genug nach oben geschoben.

Auf dem Bauch rutschte er durch den Spalt, ruderte mit den Beinen wie ein ungeübter Schwimmer und stützte sich mit den flachen Händen ab, als er auf die Steinfliesen plumpste.

Es roch so feucht und muffig, als ob die Ausdünstungen der Küche zu lange durch den Raum gewabert wären und die Abfälle zu lange herumgestanden hätten. Die Asche im Herd war längst kalt geworden, die Steinfliesen unter seinen Füßen klebten, und eine Ratte flitzte an der Holzvertäfelung entlang.

Harry Bonham fuhr mit den Händen über die Fesseln des Pferdes. Er hatte ihm gut zugeredet, damit es sich erhob. Der Schaum tropfte dem verschreckten Tier aus dem Maul, es schnaubte ängstlich und verzweifelt durch die Nüstern, senkte den Kopf und rollte mit den Augen. »Wie geht es den anderen, Lester?«

»Sie werden es schaffen, Sir«, verkündete sein Begleiter, spie angewidert auf das Kopfsteinpflaster und fügte hinzu: »Manchmal geschehen Wunder.«

»Ja«, bekräftigte der Mann, straffte sich und betrachtete den erschrockenen Kutscher. »Was ist mit Ihnen? Sind Sie verletzt?«

Betroffen ließ der Kutscher den Blick über die umgestürzte Kutsche und die panischen Pferde schweifen. »Nein ... nein, Sir. Danke. Dem Himmel sei Dank, dass Sie aufgetaucht sind, Sir. Es war nicht meine Schuld, Sir. Die besoffenen Kerle haben mir eine Pistole an den Schädel gedrückt und die Zügel aus der Hand gerissen. Konnte nichts tun, Sir, außer ihnen ihren Willen lassen. Zum Glück sind Sie aufgetaucht, Sir«, wiederholte er entschuldigend und immer noch vollkommen verwirrt.

Harry Bonham zog die Augenbrauen hoch. Ausgerechnet jetzt ... soweit es ihn betraf, konnte es keinen unglücklicheren Zufall geben als diese Begegnung. Er schaute sich um. Die drei jungen Männer, die die Zügel an sich gerissen hatten, waren aufs Pflaster gestürzt und erhoben sich mit unsicheren Bewegungen. Als sie schließlich wieder auf ihren zwei Beinen standen, schwankten sie wie junge Bäumchen im Sturmwind. An ihren extravagant gebundenen Krawatten und den grellbunten Gehröcken konnte man erkennen, dass es sich um Kandidaten des Four Horse Clubs handelte; junge Adelssprösslinge, die einen heftigen Kampf um ihren Platz in der gehobenen Gesellschaft ausfochten.

Harry schürzte die Lippen. Dümmliche Gören aus privilegiertem Hause, volltrunkene Schotten, die kaum in der Lage waren, einen Eimer zu tragen – geschweige denn, einen Vierspänner zu kutschieren. Und sie hatten nicht die geringste Ahnung, welche Arbeit sie in dieser Nacht mit ihren schottischen Dummheiten gestört hatten. Wut keimte in ihm auf, obwohl er gewöhnlich ruhig Blut bewahrte.

Er beugte sich hinunter und hob die lange Peitsche auf, die dem Kutscher im Durcheinander auf die Straße gefallen war. Er ließ sie durch die Luft schnellen, schnappte mit der behandschuhten Hand nach der Spitze und kam auf die drei jungen Männer zu.

Lester nickte zufrieden. »Helfen Sie mir mit den Pferden«, befahl er dem Kutscher.

Der Mann gehorchte eilig, obwohl er den Blick über die Schulter nach hinten gerichtet hatte und das Geschehen dort beobachtete.

Die drei jungen Männer starrten den Mann an, der sich auf sie zu bewegte. Er war in tadelloses Schwarz gekleidet, und wenn er nicht die obligatorische weiße Weste getragen hätte, hätte man annehmen können, dass er direkt vom Brookes's oder irgendeinem anderen noblen Club nach Hause ging. Aber er hatte den Mantelkragen bis in den Nacken geknöpft; auf dem Kopf trug er einen Bicorn, den er sich tief in die Stirn gezogen hatte. Die Augen glitzerten kalt im fahlen Mondlicht.

Die Hand zuckte, die Peitsche knallte, die jungen Männer brüllten, allerdings mehr aus Wut denn aus Angst oder Schmerz. Wieder knallte es, aber diesmal machte sich die blanke Panik in ihnen breit, als ihnen die lange Peitschenschnur über die Köpfe flog. Lester und der Kutscher mussten unwillkürlich lachen, als die Männer förmlich übereinander stolperten, während sie versuchten, vor der glühenden Rache der Peitsche zu flüchten ... und vor dem schwarz gekleideten Racheengel mit kaltem Blick, der gnadenlos auf sie zuschritt. Aber warum? Sie hatten doch kein Verbrechen begangen ... es war nichts Ungewöhnliches geschehen. Jeder schlug hin und wieder über die Stränge, und das, was sie sich erlaubt hatten, war schließlich auch nicht schlimmer, als hätten sie den Nachtwächter auf der Straße verprügelt.

Dennoch hüllte der Peitsche schwingende Fremde sich in unheilvolles Schweigen, während er seine Arbeit verrichtete. Schließlich zerriss der Schmerz den Nebel, in den der Alkohol ihr Bewusstsein getaucht hatte. Die drei Männer flüchteten sich in die Dunkelheit des Square Gardens, und die Peitschenhiebe ihres Verfolgers trieben sie weiter in die gewünschte Richtung.

Harry atmete tief durch, als sie im Gebüsch verschwunden waren, fing die Spitze der Peitsche ein und wickelte das Leder sorgsam um den Stiel, bevor er sich zur Kutsche umwandte und feststellte, dass die Pferde inzwischen ausgeschirrt worden waren. »Irgendwelche größeren Schäden?«

»Das Tier vorn links hat sich die Fessel gezerrt, Sir«, antwortete der Kutscher und streichelte den Hals des Pferdes.

»Ja. Ich habe es bereits bemerkt.« Harry griff in die Manteltasche und zog eine Karte heraus. »Bringen Sie die Pferde dorthin. Mein Stallmeister vollbringt wahre Wunder, wenn es um gezerrte Fesseln geht.«

Der Mann nahm die Karte und schaute sein Gegenüber fragend an. »Kann sie hinführen, M'lord, klar. Aber was ist mit der Kutsche?«

Harry zuckte die Schultern. »Nichts als teures Spielzeug für verwöhnte Gören. Es geht mich nichts an. Aber die Pferde schon.« Er drehte sich weg und fügte dann über die Schulter gewandt hinzu: »Giles macht einen ausgezeichneten Rumpunsch ... sagen Sie ihm, ich hätte gesagt, dass Sie ihn sich verdient haben.«

Der Kutscher hob die Hand grüßend an die Stirn. »Aye, M'lord. Danke, Sir.«

»Und an Ihrer Stelle würde ich mir in Zukunft sorgfältiger überlegen, für wen ich arbeite«, erklärte Bonham. »Ich werde meinem Verwalter mitteilen, dass wir Sie morgen erwarten. Wir brauchen einen Kutscher.« Zum Abschied hob er die Hand, trat auf den schmalen Bürgersteig und eilte die Straße entlang.

»Wir haben ihn verloren«, konstatierte er und ließ den Blick an den eleganten Häusern am Square entlangschweifen. Wieder flackerte die Wut in seinen kalten grünen Augen auf. »Wegen dieser verdammten Flegel ...«

»Aye, Sir«, stimmte Lester zu und bemühte sich um einen sachlichen Tonfall. In dieser Nacht herrschten eisige Temperaturen, und auch die Stimme seines Herrn hatte einen frostigen Klang. Dabei schienen seine Augen vor Wut Funken zu sprühen; sein Zorn war förmlich mit Händen zu greifen. Der Viscount war ebenso wütend auf sich selbst, wie auf die irregeleiteten jungen Männer, die er für ihre Verrücktheiten hatte strafen wollen. Harry Bonham hatte es zugelassen, dass sein scharfer Blick einen Moment lang abgelenkt worden war. Aber er war außer Stande, ein gestürztes Pferd zu ignorieren und drei anderen Pferden keinerlei Beachtung zu schenken, obwohl sie übereinander zu stolpern und sich die Beine zu brechen drohten.

»Wohin ist er verschwunden?«, murmelte Harry abschätzend, während er die Häuser betrachtete. »Er ist nicht zurück in den Square geflüchtet.«

»Sir, sind Sie sich sicher?« Lester schaute unschlüssig die Straße entlang. »In diesem Chaos konnte er ohne Schwierigkeiten flüchten, wohin auch immer.«

»Nein«, widersprach Harry bestimmt, »ich habe gesehen, dass sonst niemand auf der Straße war.« Er strich sich über die Knöchel auf der Hand und legte die Stirn nachdenklich in Falten. »Zünden Sie die Fackel an, Lester. Lassen Sie uns mal schauen, wo wir eigentlich sind.«

Sie waren nicht länger allein auf das Mondlicht angewiesen. Der höllische Lärm auf der Straße hatte inzwischen dazu geführt, dass in Dutzenden Häusern am Square das Licht angezündet worden war. Dennoch war niemand auf die Straße getreten. Es gehörte zu den Aufgaben der Nachtwächter, mit mitternächtlichem Lärm fertig zu werden. Eine Katze strich Harry um die Knöchel und schnurrte. Er schaute hinunter, und golden schimmernde Augen erwiderten seinen Blick. Kokett machte das Tier einen Katzenbuckel und beschnupperte seine Stiefel. Harry mochte Katzen beinahe genauso sehr wie Pferde. Er beugte sich hinunter, kraulte dem Tier den Nacken und sog den feuchten, würzigen Geruch des Fells ein.

»Wo kommst du denn her?«, murmelte er.

Als wollte sie antworten, rannte die Katze fort und schoss die Stufen zum Untergeschoss eines Hauses nur ein paar Schritte entfernt hinunter.

Plötzlich meldete sich sein Instinkt. Schon vor langer Zeit hatte Harry gelernt, seinem Instinkt zu vertrauen, und jetzt kam es ihm vor, als könne er seine Beute förmlich riechen. »Löschen Sie die Fackel«, befahl er flüsternd. Sofort standen sie im Halbdunkel. Nur hier und da schien das Licht aus den angrenzenden Häusern auf die Straße, und am Horizont schimmerte schon das schwache Grau einer frühen Morgenröte.

Leise wie auf Katzenpfoten schlich Harry die Stufen hinunter, entdeckte die schmale Fensteröffnung und drückte sich in die dunkelste Ecke eines kleinen Innenhofs. Inzwischen war er sich sicher, dass sein Opfer durch das Fenster verschwunden war. Er konnte Lester zwar nicht hören, spürte aber, dass sein Begleiter sich in die entgegenliegende Ecke des Innenhofs verzogen hatte. Nein, es kam nicht infrage, den Kerl ins Haus zu verfolgen. Denn es würde mehr schaden als nützen, wenn sie sich in der Dunkelheit in einem unbekannten Haus herumtrieben und Unheil anrichteten. Irgendwann musste der Mann wieder herauskommen. Und die Logik verriet ihm, dass er es auf demselben Weg tun würde. Falls er durch eine Tür schlüpfte, wäre er nicht in der Lage, sie hinter sich zu schließen, und er konnte es sich nicht leisten, auch nur die kleinste Spur seines Einbruchs zu hinterlassen. Nicht, wenn er, wie Harry vermutete, irgendetwas deponierte, was er später zurückholen wollte.

Sie warteten. Sogar der Schatten im Bereich des Untergeschosses verflüchtigte sich Stück für Stück. Die Morgendämmerung kroch bereits grau herauf, als sie hörten, wie das Fenster leise kratzte, als sie sahen, wie der schemenhafte Körper mehr und mehr Gestalt annahm. Sie warteten, bis die Gestalt sich vollständig durch den geöffneten Spalt gezwängt und sich langsam aus der Hocke aufgerichtet hatte. Erst dann bemerkte der Mann, dass er nicht länger allein war.

Lester sprang vor, und die beiden stürzten stöhnend zu Boden. Harry zückte die Pistole, aber für den Bruchteil einer Sekunde gelang es ihm nicht, Lester in dem wilden Gerangel der Gliedmaßen auszumachen. Dann zuckte es grell, und Lester schrie auf vor Schmerz und Überraschung. Er lockerte seinen Griff um den Mann, der sich sofort wie ein Gespenst in der Dämmerung aufzulösen schien, die Treppe zur Straße hinaufrannte und verschwand.

»Lieber Himmel«, murmelte Harry mit zusammengebissenen Zähnen und war einen Augenblick lang hin- und hergerissen zwischen dem Impuls, dem schnell flüchtenden Schatten des Körpers zu folgen oder sich um seinen verletzten Begleiter zu kümmern.

»Sir, nehmen Sie die Verfolgung auf«, Lester presste sich die Hand auf die Brust, »'s ist nur ein kleiner Kratzer.«

»Unfug«, stieß Harry brüsk hervor. »Es ist viel zu spät. Der Kerl ist längst verschwunden. Und das ist mehr als ein kleiner Kratzer.« Seine Stimme klang besorgt, als er neben Lester niederkniete und dessen Hemd öffnete. »Sie brauchen einen Chirurgen.« Er knöpfte sich den eigenen Mantel auf, zog sich die makellose Krawatte vom Hals, knüllte sie zusammen und presste sie auf die Wunde. »Halte sie fest. Ich bin in fünf Minuten zurück.«

Er eilte zur Ecke am Square, wo die ersten Droschken des anbrechenden Tages auftauchten und die Menschen zur Arbeit fuhren. Lester fluchte kraftvoll bei jeder Bewegung, als er Minuten später in die Droschke verfrachtet wurde und der Kutscher den Befehl erhielt, so schnell wie möglich zur Nummer elf in der Mount Street zu fahren.

Harry blieb, wo er war, schaute auf zu den Häusern, die sich über ihm erhoben und deren unbeleuchtete Fenster zur Straße zeigten. Irgendwo da drinnen befand sich das, wonach er suchte. Und wenn es ihm nicht gelingen würde, seinen nächtlichen Fehler bald wieder auszubügeln, dann wusste nur Gott allein, wie viele Menschen noch ihr Leben verlieren würden. Er brauchte Verstärkung, und zwar so schnell wie möglich. Eilig ging er in Richtung Pall Mall davon.

Kapitel 1

»Ausgeschlossen!«, rief die Stimme nachdrücklich, und die Handfläche knallte nicht minder nachdrücklich auf die Tischplatte aus Kirschholz.

Dann herrschte Schweigen. Gelassen und selbstsicher betrachteten die vier ältlichen Männer am Tisch die Frau, die ihnen gegenübersaß. Das Familienoberhaupt hatte sein Urteil verkündet. Mehr gab es nicht sagen.

Cornelia Dagenham senkte den Blick. Unter ihren Wimpern hervor musterte sie nachdenklich ihre backenbärtigen Gegenüber, deren rotwangige Gesichter sich in der glänzend polierten Tischplatte spiegelten. Sie strahlten jenes unbeirrbare Selbstbewusstsein aus, das nur solche Menschen besaßen, die in ihrem überaus privilegierten Leben noch nie Gegenwind verspürt hatten und niemals irgendwelche Entbehrungen hatten erdulden müssen.

Sie sah ihren Schwiegervater unverwandt an. »Ausgeschlossen?«, erwiderte sie mit kaum merklicher Verständnislosigkeit in der Stimme. »Ich verstehe nicht ganz. Ein kurzer Aufenthalt in London ist wohl kein unanständiges Ansinnen.«

Jetzt war es an dem alten Earl, sie verständnislos anzuschauen. »Aber natürlich, meine liebe Cornelia. Natürlich ist das Ansinnen unanständig. Mir ist noch nie etwas Unanständigeres zu Ohren gekommen.« Er ließ den Blick nach rechts und links schweifen, um sich seine Auffassung von den anderen Herren bestätigen zu lassen.

»Ganz recht ... ganz recht, Markby«, murmelte sein Nachbar. »Lady Dagenham, Sie müssen begreifen, dass es für Sie als Witwe ausgesprochen ungehörig wäre, wenn Sie sich in einem Haus in der Stadt niederließen.«

Cornelia verschränkte die Finger in ihrem Schoß, um zu verhindern, dass sie ungeduldig auf der Tischplatte trommelte. »Lord Rugby, ich hatte nicht vor, mich in der Stadt niederzulassen. Ich möchte London besuchen, mich zusammen mit meiner Freundin und meiner Schwägerin ein paar Wochen lang dort aufhalten. Wir würden in Grillons Hotel logieren, dem Gipfel der Anständigkeit, wie Sie zugeben müssen. Sämtliche Unanständigkeiten haben wir in unserem Alter längst hinter uns gelassen, und wir sind sehr wohl in der Lage, auf uns selbst achtzugeben, ohne dass unsere Umgebung missbilligend die Nase rümpfen müsste, selbst dann nicht, wenn wir vorhätten, uns in den Trubel der Saison zu stürzen, was nicht der Fall ist. Für die Kinder würde es ausgesprochen lehrreich sein ...«

»Unfug«, unterbrach der Earl of Markby und schlug wieder auf die Tischplatte. »Grober Unfug. Sie und Ihre Kinder gehören hierher. Es ist Ihre Aufgabe, die Erziehung von Stephens Sohn und Erben zu überwachen, der allerdings auch mein Erbe antreten wird. Sie haben Ihre Aufgabe erst dann erfüllt, wenn er alt genug ist, um nach Harrow zu gehen. Seine Erziehung wird hier auf Dagenham Manor stattfinden, ganz wie sein Vater es gewünscht hätte.«

Cornelia presste die Lippen aufeinander. Ein zarter Muskel in ihrer Wange zuckte. »Mylord, darf ich Sie darauf hinweisen, dass Stephen mir das alleinige Sorgerecht für unsere Kinder übertragen hat?«, erwiderte sie mit ruhiger Stimme. »Wenn ich der Auffassung bin, dass eine Reise nach London im Interesse der Kinder liegt, dann habe ich allein darüber zu entscheiden ... und nicht die Familie.«

Die rötlichen Wangen des Earls verfärbten sich tiefdunkel, und die Adern an seiner Schläfe traten hervor. »Lady Dagenham, ich dulde keinen Widerspruch in dieser Angelegenheit. Als Treuhänder sind wir verantwortlich für Viscount Dagenham, meinen Enkel, solange er minderjährig ist ...«

»Sie irren sich, Mylord«, unterbrach Cornelia mit erhobener Hand. Inzwischen war sie sehr blass geworden, und in ihren Augen, die gewöhnlich warm und himmelblau schimmerten, blitzte die kalte Wut. »Ich und nur ich allein trage die Verantwortung für meinen minderjährigen Sohn. Es handelt sich um eine Entscheidung, die mein Ehemann und ich gemeinsam getroffen haben.« Sie legte die Hand in den Schoß, verharrte regungslos und wich dem Blick des Earls nicht einen Wimpernschlag aus.

»In der Tat, Cornelia. Aber bitte bedenke doch«, eine neue Stimme mischte sich versöhnlich in die Auseinandersetzung, »du hast keinerlei Erfahrung mit dem Leben in der Stadt. Eine einzige Saison als Debütantin verleiht dir längst nicht jene weltläufige Erfahrung, die du für einen solchen Ausflug brauchst.«

Die grauen Augen zwinkerten ihr zu, eine weiche Hand streckte sich über den Tisch und tätschelte ihr den Arm. »Sei vernünftig, meine Liebe. Ihr seid unerfahrene Frauen, alle drei waschechte Landpomeranzen, man würde euch bei lebendigem Leibe auffressen. Wahrscheinlich würdet ihr noch nicht einmal die Reise überstehen ...« Die Hand gestikulierte lebhaft. »Denk doch nur an all die vertrackten Details. Die Kosten für das Hotel, für die Kutsche ... Angelegenheiten, über die du dir nie den Kopf hast zerbrechen müssen. Ohne männlichen Beistand kannst du eine solche Reise nicht bewältigen.«

Cornelia erhob sich. »Du meinst es gut, Onkel Carlton, und dafür danke ich dir. Aber glauben Sie mir, meine Herren ...«, ihr kalter Blick schweifte über die Gesichter der Männer, »Sie unterschätzen uns waschechte Landpomeranzen. Ich habe die Absicht, mich mit meinen Kindern einen Monat lang in London aufzuhalten, gleichgültig, ob Sie die Mittel aus dem Treuhandvermögen freigeben oder nicht. Ich wünsche einen angenehmen Nachmittag.«

Sie verbeugte sich mit einem angedeuteten Kopfnicken und wirbelte zur Tür herum, ohne den wütend gemurmelten Vorhaltungen des Earls auch nur die geringste Beachtung zu schenken; das galt auch für die Stühle, die über den Holzboden scharrten, als die Treuhänder sich hastig erhoben.

Es erfüllte sie mit Befriedigung, die Tür sanft hinter sich zu schließen. Doch kurz darauf brach die Fassade der Selbstbeherrschung zusammen. Sie verharrte still, atmete mehrmals tief durch und fluchte leise, aber nicht minder drastisch als ein Matrose.

»Die Sache ist vermutlich nicht besonders gut verlaufen, nicht wahr, Cousine?«, fragte eine sanfte Stimme aus dem schattigen Bereich unter der geschwungenen Treppe.

Als der Mann in ihr Blickfeld trat und sie bedauernd anlächelte, erkannte Cornelia sofort einen Cousin ersten Grades ihres verstorbenen Mannes. Nigel Dagenham war groß und schlaksig, wirkte aber trotz seiner langen Gliedmaßen athletisch und attraktiv. Der junge Mann war zwar nicht mehr jugendlich, aber auch noch kein erwachsener Mann. Die Kleidung, die er im Moment trug – eine wild gestreifte Weste samt unmöglich hochgebundener Krawatte –, ließ ihn viel jünger aussehen, als er es wahrscheinlich für möglich hielt. Die schillernde Mischung aus Violett und rötlichem Braun auf der Weste schmerzte Cornelia so sehr, dass sie für ein paar Sekunden die Augen schloss. Er würde ausgesprochen gut daran tun, wieder die bequeme Country-Kleidung anzulegen, die er vor seinem Aufenthalt in Oxford getragen hatte.

»Woher willst du das wissen?«, fragte sie schulterzuckend.

»Dein Talent zum Fluchen ist nicht nur ausgesprochen bewundernswert«, grinste er und wirkte noch jünger als zuvor, »sondern auch ausgesprochen verräterisch. Außerdem besitzt mein Onkel eine durchdringende Stimme. Ich muss gestehen, dass ich ein wenig zu dicht an der Tür gestanden habe.«

Cornelia musste unwillkürlich lachen. »Soll das heißen, dass du dein Ohr ans Schlüsselloch gepresst hast?«

»Nicht ganz«, korrigierte er, »aber es überrascht mich trotzdem nicht besonders, dass die Treuhänder sich weigern, dir die Zuständigkeit für Stevie zu überlassen.« Aus seinen schiefergrauen Augen blickte er sie mitfühlend an. Oft genug hatte die Familie ihn an die Kandare genommen, sodass er genau wusste, was Cornelia empfand.

»Es ist doch nur für einen Monat«, betonte sie nachdrücklich. »Um Himmels willen, ich habe doch nicht vorschlagen, ihn in die Äußere Mongolei zu verschleppen.«

»Sicher nicht«, stimmte er zu, immer noch voller Mitgefühl, »eigentlich hätte ich mich als Vermittler angeboten. Aber im Moment ist der Earl nicht besonders gut auf mich zu sprechen.«

»Wieder mal knapp bei Kasse, Nigel?«, hakte sie nach und bemerkte, dass sein Blick plötzlich wie verschleiert wirkte. Ihr verschwägerter Cousin hatte immer Schulden, und sie vermutete, dass seine allgemeine Neigung zu Extravaganzen in Oxford noch schlimmere Folgen als sonst gehabt hatte, weil er sich dort in exklusiven Kreisen bewegte und kostspieligen Vergnügungen hingab – solchen, die mehr mit Kartenspiel und Pferderennen zu tun hatten als mit schwierigen griechischen und lateinischen Texten.

»Die Gläubiger drängen ein wenig«, gestand er ein, »um ehrlich zu sein ... es wurde ... vorgeschlagen ... mich für ein paar Wochen von den Vorlesungen auszuschließen.« Nigel klappte die Schnupftabakdose auf, gönnte sich eine kleine Prise und verlieh sich dabei eine Aura der Weltläufigkeit, die Cornelia nicht überzeugte.

»Dann ist diese Relegation also nicht ganz freiwillig?«, meinte sie, »mit anderen Worten, du bist vom College geflogen?«

Schuldbewusst zuckte er die Schultern. »Du hast es kapiert, liebe Cousine ... für den Rest des Jahres. Aber da ist noch ein nebensächliches Detail, der Earl weiß nämlich noch nichts davon. Er glaubt, dass ich nur bis zum nächsten Quartal verschuldet bin. Und dass ich mich selbst entschlossen habe, mich ein paar Wochen lang von den verlockenden Fleischtöpfen fernzuhalten. Weil ich mich im Schoße der Familie erholen möchte.«

»Natürlich.« Cornelia schüttelte spöttisch den Kopf. »Trotzdem könntest du ihn ein wenig umschmeicheln«, tadelte sie. »Das ist dir noch nie schwergefallen. Spiel doch einfach den reumütigen Neffen, wie du es bisher immer gemacht hast. Der Earl wird dir dann schon entgegenkommen.«

»Wie witzig«, meinte Nigel, »genau deshalb bin ich hier. Ich bin dem alten Elend auf den Fersen, wohin auch immer er sich wendet.« Er grinste respektlos. »Ich stelle mich ihm als Adjutant zur Verfügung, wenn du nichts dagegen hast.« Nigel rückte die hochgeknotete Krawatte zurecht, zwinkerte ihr zu und machte sich bereit, die Bibliothek zu betreten, wo seine ältliche Verwandtschaft sich immer noch versammelt hatte.

Nigels Sorgen kümmerten Cornelia weniger, zu groß waren ihre eigenen Sorgen, die sich wie drohende Wolken über ihr zusammenballten. Sie ging durch die geflieste Halle zur Eingangstür des jahrhundertealten Anwesens des Earl of Markby. Ein Bediensteter mit Lederschürze setzte die Kohlenschütte ab, die er in der Hand trug, hastete zur Tür und öffnete.

»Kalt draußen, M'lady«, erklärte er.

Cornelia nickte zustimmend als sie hinausging, atmete tief durch und schüttelte den Kopf, als wolle sie eine erdrückende Last von den Schultern werfen. Die schneidende Februarluft bemerkte sie ebenso wenig wie die nackten Zweige, die sich im stürmischen Wind bogen, während sie über den Kiesweg vor dem Haus marschierte und auf den frostüberzogenen Rasen zustrebte.

Beim Fischteich blieb sie stehen. Zwischen den bleiernen Wolken am Himmel wirkte der Teich grau und wenig einladend, und sie beugte sich zu einem größeren Buchenzweig hinunter, der von einem der Bäume an den Seiten des Zufahrtsweges heruntergefallen war. Ihre trotzige Absichtserklärung war nichts als heiße Luft gewesen. Ohne irgendwelche Mittel war es ausgeschlossen, Dagenham Manor zu verlassen, mit oder ohne ihre Kinder.

Diesmal gab sie sich keine Mühe, ihre Stimme zu dämpfen. Cornelia stieß ein paar deftige Flüche aus und warf den Zweig mit Schwung in das grünliche, trübe Teichwasser. Es erleichterte sie in gewisser Hinsicht, gleichzeitig aber merkte sie, dass sie in dem zarten Musselinstoff und den dünnen Sandalen erbärmlich fror. Ihr Mantel hing immer noch in Markby Hall, aber um nichts in der Welt brachte sie es fertig, noch einmal zurückzugehen ... nicht, bevor die Versammlung dieser blasierten, gönnerhaften Treuhänder aufgelöst worden war. Ellie würde ihr einen Umhang borgen, und dann würde sie die zwei Meilen bis in ihr Heim nach Dagenham Manor zu Fuß zurücklegen.

Sie umrundete den Teich, bis sie an einer Lücke in der Ligusterhecke angekommen war, die die Gärten vom Farmland trennte. Jenseits des Farmlands erstreckte sich die Heidelandschaft des New Forest, aufgeforstet mit Ginsterbüschen, die ihrerseits den reichen Wäldern wichen, welche schon von den englischen Königen bejagt worden waren, bevor William Rufus, ein Sohn William des Eroberers, sein Leben durch den Fehlschuss mit einem Pfeil hatte opfern müssen. Oder war es gar kein Fehlschuss gewesen? Die Legende blieb an dieser Stelle seltsam unklar; nur der Gedenkstein namens Rufus Stone markierte ein paar Meilen weiter entfernt in der Heide den Ort, wo Rufus gestorben war.

Cornelia raffte die Röcke hoch und bahnte sich ihren Weg über die feuchte Wiese zu einem Gatter im Zaun, das den schmalen Pfad zum Dorf freigab. Kaum hatte sie das Gatter passiert, hastete sie, rannte beinahe, um die Kälte zu vertreiben, auf den Dorfanger mit dem hübschen Herrenhaus aus rotem Backstein zu, das sich ein Stück abseits der Straße erhob. Ihre Kindertage hatte sie in diesem Haus verlebt, und es waren in vielerlei Hinsicht idyllische Kindertage gewesen, in diesem Dorf, das zwischen dem Gebiet des New Forest und der blauen Meerenge von Solent eingezwängt lag. Aber die dörflichen Vergnügungen verblassen irgendwann ... Wie sehr ich mich nach einer Veränderung sehne, dachte sie grimmig, während sie nach dem Messingknauf griff.

»Eh, Lady Nell, Sie werden sich noch den Tod holen«, schimpfte die Haushälterin, kaum hatte sie die Tür auf das herrische Klopfen hin geöffnet. »Wie Sie so durch die Gegend laufen ... grad als wollten Sie im Unterkleid ausgehen.«

»Bessie, ist die Lady zu Hause?« Cornelia verschränkte die Arme vor der Brust.

»Im Kinderzimmer, Ma'am.«

»Ausgezeichnet.« Cornelia eilte auf die Treppe zu. »Tee mit Rum. Bitte.«

Die Frau lächelte sichtlich zufrieden. »Schon unterwegs, M'lady.«

Cornelia rannte die erste Stiege hinauf, eilte dann den Flur zur Treppe entlang, die zum Kinderzimmer im oberen Geschoss führte. Sie konnte bereits hören, wie sich die Stimme des Kindermädchens und die ihrer Schwägerin Aurelia mit den hohen Tönen mischten, die aus dem Mund der vierjährigen Tochter drangen. Obwohl sie wütend war und fror, musste Cornelia unwillkürlich lächeln. Die kleine Franny war eine Kraft, mit der man zu rechnen hatte, selbst wenn man am Boden zerstört war. Vorsicht ist besser als Nachsicht, das hatte der junge Lord Dagenham rasch begriffen, nachdem er sich das erste Mal auf ein Wortgefecht mit seiner kleinen Cousine eingelassen hatte.

Sie stieß die Tür zum Kinderzimmer auf, und zur Begrüßung schlug ihr die belebende Wärme des Kaminfeuers entgegen, zu dem sich der vertraute Geruch des heißen Bügeleisens gesellte, mit dem das Kindermädchen über die Wäsche glitt.

»Und, Nell?«, fragte Lady Aurelia Farnham sofort und nestelte sich die Finger ihrer Tochter aus dem blonden Haarschopf, bevor sie aufsprang. Eindringlich musterte sie die Schwägerin aus ihren braunen Augen und erriet auf Anhieb, in welcher Stimmung sie sich befand.

Cornelia schüttelte den Kopf. Der Wind hatte ihr die Haare aus den Nadeln gezaust. Sie zog die Nadeln heraus, sodass die langen honigfarbenen Zöpfe – so lang, dass sie fast darauf sitzen konnte – sich aus der einst adretten Steckfrisur um ihren Kopf lösten.

»Sie haben abgelehnt?«, vermutete ihre Schwägerin, neigte den Kopf zur Seite und hob die hellen Augenbrauen.

»Ja, Ellie, sie haben abgelehnt«, bestätigte Cornelia ohne Umschweife. »Ich bin der Vorladung nach Markby Hall gefolgt, um meinen Vorschlag mit ihnen zu besprechen ... aber ich habe gar keinen Vorschlag gemacht. Ich habe eine Erklärung abgegeben ...« Ihre Stimme kletterte ein wenig höher, und die blauen Augen glitzerten, als der Ärger wieder aufflammte.

»In meinem Brief habe ich meine Absichten erklärt. Ich habe nur angemerkt, dass ich eine Extrasumme aus dem Treuhandvermögen brauche, um die Reise zu finanzieren. Wie immer, wenn ungewöhnliche Umstände eingetreten sind ... und was haben sie gemacht? Sie haben mich wie ein dummes kleines Schulmädchen abgefertigt. Aber ich habe mich rundheraus geweigert, auf ihr Spiel einzugehen ... dir werden sie auch nichts anderes zu sagen haben, an deiner Stelle würde ich gar nicht fragen«, fügte sie hinzu und marschierte aufgeregt vor dem Kamin auf und ab.

»Es wäre sicher möglich, Carlton Farnham zu überzeugen. Du könntest versuchen, dich direkt an ihn zu wenden, denn er ist eher dein Treuhänder als meiner. Aber dir ist doch klar, welchen Einfluss der Earl auf sie alle ausübt?«

»Warum hat sich der Earl geweigert ... mit welcher Begründung?«, meinte Aurelia nachdenklich und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, als sie den wütenden Gesichtsausdruck ihrer Schwägerin bemerkte.

»Ach ja, die Begründung«, fuhr Cornelia fort und wärmte sich die Hände über dem Feuer. »Sieht so aus, als wären wir nichts als drei waschechte Landpomeranzen, denen es an Erfahrung und Weltläufigkeit fehlt, die außerstande sind, sich in der Stadt ohne männlichen Rat und Beistand zu bewegen und deren einzige Bestimmung darin besteht, die Kinder ihrer verstorbenen Ehemänner zu pflegen, damit die eines Tages so erzogen werden können, dass sie ihren Platz in der Welt ihrer Väter einnehmen können.«

»Aber Nell, wir haben doch das Sorgerecht«, betonte Aurelia. »Hast du ihnen das nicht gesagt?« Sie schaute Cornelia in die Augen. »Oh, doch, natürlich hast du es ihnen gesagt.«

»In der Tat«, stimmte Cornelia zu, straffte den Rücken und rieb sich die Oberlippe, bevor sie entschuldigend fortfuhr: »Ich habe ihnen jedenfalls erklärt, dass wir mit oder ohne Fonds reisen werden.« Sie zuckte die Schultern. »Das können wir natürlich nicht. Aber es hat gutgetan, es zu sagen.«

»Blasierte Wichtigtuer«, stieß Aurelia aus und warf einen schuldbewussten Blick auf ihre Tochter. Denn jene blasierten Wichtigtuer kontrollierten ihr Portemonnaie ebenso wie das ihrer Tochter, genauso wie sie über Cornelia und deren Nachwuchs zu bestimmen hatten. Deshalb war es nicht unbedingt vorteilhaft, wenn die unbefangen plappernde Franny im Kreise der Familie das Urteil ausplauderte, das ihre Mutter gefällt hatte.

»Lass uns in meinen Salon gehen.« Sie schob ihren Arm unter Cornelias und drängte sie aus dem Kinderzimmer.

Die Haushälterin erschien mit einem Tablett in den Händen auf der Treppe zum Kinderzimmer, als die beiden Frauen gerade vor die Tür traten. »Oh, der Tee mit Rum«, verkündete Cornelia. »Wir gehen in Lady Ellies Salon. Ich nehme das Tablett, Bessie.«

Die Haushälterin schwankte leicht zur Seite und überreichte das Tablett sichtlich erleichtert. »Gewürzkuchen«, meinte Cornelia und atmete hungrig den Duft ein, »Sie sind großartig.«

Bessie nickte, als hätte sie nicht mehr als ihre Pflicht getan. »Lady Nell, Sie sind durchgefroren bis auf die Knochen. Trinken Sie einen Schluck.«

»Das hatte ich auch vor«, bekräftigte Cornelia, lächelte warmherzig und eilte die Treppe hinunter. Aurelia folgte ihr. Sie betraten das gemütliche, ein wenig verwohnte Zimmer, das nach hinten auf den Garten zeigte. Cornelias Mutter hatte den Salon bewohnt, und Cornelia fühlte sich in ihm immer noch genauso zu Hause wie in ihrem eigenen Salon in Dagenham Manor. Mehr sogar, als sie sich selbst eingestehen wollte.

Sie stellte das Tablett ab, goss das duftende Getränk in zwei Tassen, reichte Aurelia eine und setzte sich elegant in den Sessel mit dem verschossenen Chintzüberzug neben dem Kamin. Sie gönnte sich einen Bissen Gewürzkuchen und nippte an dem Tee in der zierlichen Tasse aus Sèvres-Porzellan, während die blauen Augen ins Feuer schauten. Das dichte honigfarbene Haar fiel ihr über die Schultern, sodass sie viel jünger wirkte, als sie mit ihren achtundzwanzig Jahren eigentlich war.

Aurelia betrachtete sie über den Rand ihrer eigenen Tasse und erforschte sie mit einem Blick aus ihren sanften braunen Augen. »Bist du dir sicher, dass sie ihre Auffassung nicht ändern werden?«

»Onkel Carlton vielleicht. Wie ich schon sagte«, murmelte Cornelia. »Aber seine Stimme zählt nicht. Und der Earl wird sich nicht einen Millimeter bewegen.«

Aurelia wollte gerade antworten, als draußen auf dem Korridor hastige Schritte zu hören waren, die Tür aufgerissen wurde und eine Frau wie ein Wirbelwind hereinstürmte. Der kalte Februarwind hatte ihre Wangen mit einem frischen Ton gerötet und das tiefschwarze Haar zerzaust. Sogar die dichten schwarzen Augenbrauen schien der Wind durcheinandergebracht zu haben.

»Hat eine von euch beiden Verwandte, von denen sie bisher nichts ahnte?«, platzte Lady Livia Lacey in die Runde und gestikulierte wie wild mit einem dicht beschriebenen Pergament.

Cornelia löste den Blick vom Feuer, drehte sich in ihrem Sessel herum und wechselte mit Aurelia ein kurzes Lächeln. Es passierte gelegentlich, dass Livia nicht besonders logisch dachte. »Liv, wenn es so wäre, wie könnten wir es dann wissen?«

»Ja, richtig, vermutlich gar nicht«, stimmte Liv zu. »Oh, ist das Tee mit Rum? Ellie, lass mich einen Schluck probieren.« Ohne weitere Umstände bediente sie sich, nippte kurz und stöhnte übertrieben auf. »Einfach himmlisch ... draußen ist es wie in der Eishölle.« Sie musterte ihre Freundinnen. »Oh. Sieht so aus, als hättet ihr die Treuhänder nicht überzeugen können.«

»Um es in einem Wort zu sagen: Nein«, erwiderte Cornelia knapp.

»Was ist denn nun mit diesen Verwandten, von denen du gar nicht weißt, dass du sie hast?«, drängte Aurelia und befestigte eine Strähne ihres hellen, feinen Haares unter den Haarnadeln.

»Sieht so aus, als hätte ich eine Tante Sophia«, erklärte Livia, »nein, es sieht so aus, dass ich sie gehabt habe und nicht hätte oder habe. Irgendeine entfernte Cousine meines Vaters.« Sie machte es sich in der Ecke des Sofas gemütlich. »Vater kennt sich mit der Familie nicht besonders gut aus. Lady Sophia war wohl mit einem Halbbruder seines Onkels verwandt ... so ungefähr jedenfalls.«

Sie wedelte mit dem Pergament. »Wie dem auch sei, dies ist ein Brief von ihren Anwälten. Offenbar ist sie vor ein paar Tagen gestorben und hat mir ihr Haus am Cavendish Square vermacht.« Livia streckte ihren Freundinnen die geöffneten Handflächen entgegen. »Ist das nicht wundervoll? Warum passiert das gerade mir?«

»Ja, das ist in der Tat wundervoll«, bestätigte Cornelia und setzte sich gerade auf. »Ein Haus am Cavendish Square ist ein hübsches Vermögen wert, Liv.«

»Genau«, meinte Livia zufrieden. »Und weil ich im Moment sowieso keinen Penny im Portemonnaie habe ...« Sie neigte den Kopf zur Seite wie ein frecher Spatz. »Der Anwalt meinte, dass er schon ein Angebot für das Haus bekommen hat. Ein gutes Angebot, wie er sagt.«

Sie ließ den Blick über das Pergament schweifen. »Ein gewisser Lord Bonham ist offenbar interessiert, es zu erwerben. Dieser Mr. Masters, der Anwalt, hat mir nicht verraten, wie hoch das Angebot ist. Aber falls ich das Haus verkaufe, kann ich den Erlös investieren. Das wird mir ein Einkommen verschaffen ... vielleicht sogar eine Mitgift«, erklärte sie.

Sie hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Eine alte Jungfer aus dem Hause eines verarmten Pfarrers hat keine besonders guten Aussichten auf eine glänzende Partie, ganz gleich, ob sie in die Gesellschaft eingeführt ist oder nicht. Eine ausgezeichnete Erziehung ist noch lange kein Ersatz für ein Vermögen«, fügte sie hinzu und seufzte melancholisch.

»In solchen Fällen stehen die Bewerber nicht gerade Schlange«, fügte Cornelia mit einem Hauch Bitterkeit in der Stimme hinzu.

»Nein. Ihr zwei hattet eure Möglichkeiten«, stimmte Livia zu. »Und jetzt sind beide tot ...« Sie führte ihren Gedanken nicht zu Ende. »Tut mir leid«, merkte sie schuldbewusst an, »das klang vermutlich recht unsensibel, nicht wahr?«

»Aus jedem anderen Mund hätte es unsensibel geklungen«, erklärte Aurelia. »Aber wir wissen genau, wie du es gemeint hast.«

»Ellie und ich müssen bereits seit zwei Jahren mit dem Verlust fertig werden«, erklärte Cornelia und wandte den Blick wieder auf das Feuer. Die Heirat mit Stephen, Viscount of Dagenham, hatte nicht gerade ein Feuerwerk der Leidenschaft in ihr entzündet. Aber sie hatten einander gemocht und geschätzt, und sie hatten sich von Kindesbeinen an gekannt. Sie nahm an, dass sie bis ins hohe Alter kameradschaftlich hätten miteinander leben können. Natürlich keine sonderlich aufregenden Aussichten, aber doch unendlich viel leichter zu ertragen als die schreckliche Witwenschaft.

Sie hob den Kopf, musterte Aurelia und erkannte am starren Blick ihrer Schwägerin, dass ihr genau dieselben Gedanken durch den Kopf gingen. Ellie war mit Cornelias Bruder verheiratet gewesen. Auch in diesem Fall hatte es sich um eine kameradschaftliche Ehe gehandelt, die im Einverständnis mit den Familien arrangiert worden war und in der Schlacht am Trafalgar Square ein brutales Ende gefunden hatte. Natürlich waren den beiden noch die Kinder geblieben. Der fünfjährige Stephen und die dreijährige Susannah waren ihre Freude und ihr ganzes Glück, wie Franny für Aurelia Glück und Freude bedeutete. Aber das Glück und die Freude, die die Kinder schenkten, boten keinen Ersatz für Freundschaften mit Erwachsenen und die Freuden des Schlafzimmers. Ihr Mann Stephen und sie mochten den Gipfel der Lust vielleicht nicht erklommen haben, aber die regelmäßige Befriedigung ihrer körperlichen Bedürfnisse konnte als solides Fundament ihrer Ehe gelten. Jetzt erschien ihr das Leben öde und eintönig, und genau wie Aurelia war sie der Meinung, dass die Jahre sich in geisttötender Bequemlichkeit endlos vor ihr hinstreckten, die sie noch dazu in finanzieller Abhängigkeit von den Treuhändern zu verleben hatte.

Die Aussicht auf einen kurzen Aufenthalt in London hatte den Blick auf die Zukunft belebt: die summende Geschäftigkeit der großen Stadt mit ihren sozialen Zirkeln, die in Whistpartys, Fuchsjagden und ländlichen Tanzabenden ebenso wenig den Höhepunkt gepflegter Geselligkeit erblickten wie sie selbst; zumal die Menschen auf dem Lande geradezu aufdringlich nahe beieinander lebten und sich, praktisch wie abgeschnitten vom Treiben in der großen Welt, kaum je mehr zu erzählen hatten als ewig dieselben Klatschgeschichten.

Eine Aussicht, die die verdammten Treuhänder vernichtet hatten, ohne mit der Wimper zu zucken.

Es sei denn ... Überraschend richtete sie den Blick auf Livia; ihre Freundinnen wussten nur zu gut, was es zu bedeuten hatte, wenn ihre blauen Augen hell leuchteten.

»Was gibt's?«, fragte Aurelia und beugte sich in ihrem Sessel nach vorn.

»Ich dachte nur so«, murmelte Cornelia, »wenn wir für die Unterkunft nicht zahlen müssen, dann könnten wir es vielleicht vier Wochen lang in London aushalten. Mein Unterhalt ist nicht üppig, aber wenn ich vorsichtig bin ...« Sie hob die Augenbrauen, und ein feines Lächeln spielte um die wohlgeschwungenen Lippen.

»Das gilt auch für mich«, meinte Aurelia ohne weitere Erklärungen. »Wenn wir unsere Mittel bündeln ... wir brauchen nur ein einziges Kindermädchen für unsere Kinder. Liv, in dem Haus gibt es doch Personal, oder? Diese Lady Sophia muss doch wenigstens ein Hausmädchen und einen Koch gehabt haben.«

»Keine Ahnung«, meinte Livia bereitwillig, »aber ich vermute es. Und ich sollte mich auf den Weg machen, um mein Erbe zu inspizieren, nicht wahr? Ich sollte doch wenigstens eine Vorstellung haben, wie viel es wert ist, besonders deshalb, weil es schon einen potenziellen Käufer gibt. Es muss ein begehrtes Haus sein, wenn jemand so schnell Interesse zeigt.«

»In der Tat, du solltest es unbedingt inspizieren«, erklärte Cornelia mit fester Stimme. »Ausgeschlossen, dass du ohne Aufsicht auf Reisen gehst. Und kann es eine respektablere Aufsicht geben, als deine verwitwete Cousine und deren ebenfalls verwitwete Schwägerin? Kann es eine respektablere Unterkunft geben als das Haus der verstorbenen Lady Sophia Lacey am Cavendish Square?«

»Stimmt.« Livia nickte und lächelte über das ganze Gesicht. »Ich könnte mich sogar entschließen, das Haus nicht zu verkaufen. Finanziell macht es vielleicht sogar mehr Sinn, es zu behalten und zu vermieten. Schließlich muss ich mir jede Option durch den Kopf gehen lassen, nicht wahr? Die Miete würde mir ein regelmäßiges Einkommen sichern, und die Lage in der Stadt ist vorteilhaft. Es gibt ausgesprochen viele Menschen, die sich ein Haus für die Saison mieten wollen.«

»Es hängt natürlich vom Zustand des Hauses ab«, gab Aurelia zu bedenken. »Wer bei klarem Verstand ist, wird kein Haus mieten, bei dem beinahe die Mauern einstürzen.«

»Außerdem weiß ich rein gar nichts über die Lebensumstände dieser geheimnisvollen Tante«, grübelte Livia, »vielleicht hat sie bettelarm in der verfallenen Dachkammer gehaust und sich von Krümeln ernährt.«

»Liv, deine romantische Fantasie geht mal wieder mit dir durch«, konstatierte Cornelia, »ich bezweifle, dass sie bettelarm gelebt hat. Letzten Endes war sie eben doch eine Lacey.«

»Und die Laceys sind berüchtigte Pfennigfuchser«, merkte Aurelia an, »Liv ist eine große Ausnahme.« Sie lachte auf. »Wer weiß, vielleicht hat diese entfernte Verwandte tatsächlich an der Brotrinde genagt, während ihr das Haus über dem Kopf zusammengebrochen ist.«

»Kann sein. Aber warum ist dieser Lord Bonham dann so scharf darauf, es zu kaufen?«, erinnerte Cornelia. »Niemand kauft die Katze im Sack, es sei denn, er ist ein bisschen einfältig.« Sie streckte die Hand aus und nahm Livia den Brief aus den Fingern. »Viscount Bonham«, murmelte sie, »nie gehört.«

Sorgfältig faltete sie das Papier zusammen. »Ja, ich denke, es schickt sich, dass wir alle nach London fahren und das Anwesen inspizieren und ...«, der Glanz in ihren Augen vertrieb den letzten Rest ihrer Wut, » ... und den zukünftigen Käufer. Ich gestehe, dass der unbekannte Gentleman mich irgendwie neugierig macht. Wer weiß, Liv, vielleicht bietet er dir ja ganz neue Aussichten.«

»Ein Haus und ein Ehemann«, staunte Livia und wedelte spöttisch mit den Händen, »ich bezweifle, dass mir so viel Glück zuteil werden wird.«

»Das kann man nie wissen«, meinte Cornelia voller Zuversicht. »Aber eins nach dem anderen. Liv, du solltest deinen Anwälten schreiben.« Sie hielt den Brief in die Höhe und las die Kopfzeilen. »Masters & Sons in der Threadneedle Street ... schreib ihnen, dass du an einem Verkauf nicht interessiert bist, solange du nicht sämtliche Optionen geprüft hast.«

Ihre blauen Augen leuchteten noch stärker. »Wer weiß, welche Optionen das sein mögen ...«

Kapitel 2

»Abgewiesen?« Harry Bonham starrte den Gentleman an, der steif hinter dem massiven Schreibtisch in der Anwaltskanzlei der Threadneedle Street saß. »Warum? War das Angebot nicht angemessen?«

»Oh, doch, Mylord. Ich halte es sogar für sehr angemessen ... gemessen an ...« Akribisch ordnete der Anwalt die Papiere auf seinem Schreibtisch, sodass die Kanten der einzelnen Blätter peinlich genau übereinander lagen. »Gemessen an dem Zustand des Anwesens.« Er hob den Kopf und schaute in die grünen Augen seines Besuchers. »Wie ich Ihren Rechtsbeiständen bereits erläutert habe, Mylord.«

Der Anwalt hüstelte leicht indigniert. »Ich muss gestehen, dass ich erwartet hatte, in eigener Person mit Ihren Anwälten verhandeln zu dürfen. Es ist üblich, dass solche Angelegenheiten über die Rechtsbeistände der betroffenen Parteien abgewickelt werden.«

»Ich ziehe es vor, meine Geschäfte selbst zu erledigen«, erklärte Seine Lordschaft und winkte ungeduldig mit der Hand. »Verdammt, es geht einfach schneller. Immer dieser Unfug mit den Rechtsbeiständen. Und was den Zustand des Hauses betrifft, er interessiert mich nicht die Bohne.« Stirnrunzelnd ließ der Besucher den Blick über Masters schweifen. »Das habe ich Ihnen bereits erklärt. Wollen die Leute mehr Geld?« Mit zusammengekniffenen Augen lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, überkreuzte die Beine und nahm den Anwalt ins Visier.

Mr. Masters kramte unsicher in seinen Papieren. »Nein, Sir, davon ist bisher nicht die Rede. Bis jetzt ist kein Gegenangebot eingegangen.«

»Hm.« Harry schlug mit der Reitgerte auf seine Hirschlederhose und die Stiefel. »Und wem gehört das Haus, jetzt wo die alte Lady gestorben ist?«

Der Anwalt zögerte. Insgeheim fragte er sich, wo der Anstand blieb. Trotzdem hatte er den Eindruck, als zählte Viscount Bonham zu den Menschen, denen man besser nicht widersprach; außerdem enthielt der Brief der Lady keinerlei Vertraulichkeiten. Er überflog den Papierstapel, wählte ein Blatt aus und schob es über den Schreibtisch. »Einer gewissen Lady Livia Lacey, Mylord.«

Harry nahm das Schreiben in die Hand und las. Die Schrift war elegant, das Pergament glatt und unparfümiert, die Nachricht unmissverständlich. Es schien, als wolle Lady Livia ihre Erbschaft zunächst selbst inspizieren, bevor sie entschied, wie sie darüber verfügen wollte.

»Und wer ist diese Lady?«, drängte er und legte den Brief entschlossen auf den Tisch zurück.

»Ich glaube, dass Ihre Ladyschaft mit Lady Sophia Lacey entfernt verwandt ist, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, wie diese verwandtschaftlichen Beziehungen genau aussehen.« Masters griff nach dem Schreiben, ordnete es wieder korrekt in den Stapel ein und achtete noch sorgfältiger darauf, dass die Kanten nicht überstanden.

»Lady Sophia war nicht besonders pedantisch. Aber sie hat stur darauf beharrt, dass der Besitz an eine weibliche Verwandte übergeht, die ihren Namen trägt. Lady Livia erfüllt diese Konditionen.«

»Vermutlich irgendeine verschrobene alte Schachtel«, erklärte Harry ohne besondere Boshaftigkeit in der Stimme.

»Was das betrifft, Mylord, da wäre ich mir nicht so sicher«, erwiderte der Anwalt. »Die Handschrift sieht nicht nach einer verschrobenen alten Lady aus.«

»Nein, sicher nicht. Bestimmt hat sie eine jüngere Begleiterin, irgendeine Verwandte, die auf ihre Wohltätigkeiten angewiesen ist, mit ihrem Mops spazieren geht und die Korrespondenz für sie erledigt.« Harry streckte die Hand aus. »Zeigen Sie mir den Brief noch mal, Masters.«

Der Anwalt seufzte kaum hörbar, während er den ordentlichen Papierstapel durchwühlte, das Pergament herauszog und es über den Tisch reichte.

»Ringwood, Hampshire«, murmelte Harry. »Ein verschlafenes kleines Nest im New Forest. Hübsch dort. Aber warum sollte eine jungfräuliche Lady, die friedlich und zurückgezogen auf dem Lande lebt, sich eine Reise nach London aufbürden, um ein heruntergekommenes Anwesen zu inspizieren, für das sie bereits ein üppiges Kaufangebot erhalten hat?« Er schüttelte den Kopf. »Übersteigt meine Vorstellungskraft.«

Masters räusperte sich. »Sir, es ist immerhin denkbar, dass die Lady sich in ganz anderen Verhältnissen bewegt als wir annehmen.«

Energisch stellte Harry das überkreuzte Bein auf den Fußboden zurück. Der Anwalt zuckte unwillkürlich zusammen. »Möglich. Setzen Sie alle Hebel in Bewegung, um herauszufinden, wie die Verhältnisse der Lady beschaffen sind. Und bieten Sie dreitausend zusätzlich.« Er sprang schwungvoll auf.

Bestürzt starrte der Anwalt ihn an. »In der Tat, Mylord«, platzte er dann heraus, »ich muss Ihnen in aller Offenheit gestehen, dass ich Ihnen dringend abraten würde, wenn ich Ihr Anwalt wäre. Das Anwesen ist noch nicht einmal Ihr ursprüngliches Gebot wert. Und dreitausend zusätzlich ... das wäre grenzenlose Verschwendung ... auf Ehre und Gewissen, Sir ...« Seine Stimme verlor sich.

Der Blick des Viscounts wirkte beinahe schon mitleidig. Der arme Mann steckte sichtlich in einem Dilemma. Einerseits war er verpflichtet, die Interessen seiner Mandanten so vorteilhaft wie möglich zu vertreten, in diesem Fall die Interessen der verstorbenen und der gegenwärtigen Lady Lacey. Andererseits schrieb sein Gewissen ihm vor, sich stets redlich zu verhalten.

»Glauben Sie mir, Masters, ich weiß Ihren Rat zu schätzen«, erwiderte er ruhig, während er sich die Reithandschuhe überstreifte. »Und ich habe vollstes Verständnis, dass Sie zögern, das Angebot zu unterbreiten. Aber ich nehme mir die Freiheit, Ihre Ablehnung zurückzuweisen. Bitte seien Sie so freundlich, Lady Livia Lacey mein neues Angebot zu übermitteln. Und tun Sie Ihr Möglichstes, um mehr über ihre Lebensumstände in Erfahrung zu bringen.« Auf dem Weg zur Tür nickte er dem Mann zu und griff im Vorübergehen nach dem Reitumhang am Kleiderhaken. »Ich wünsche einen angenehmen Tag, Masters.«

Der Anwalt beeilte sich, seinen illustren Besucher die schmale Treppe hinunter zur Tür zu begleiten. Draußen fiel Schneeregen vom Himmel, und Harry zog sich den Umhang eng um die Schultern, während er den Blick die Straße hinauf und hinab schweifen ließ. Seine Begleitung zitterte in der schwarzen Weste und den Kniehosen.

»Gehen Sie rein«, befahl Harry. »Mein Bursche führt die Pferde herum, er wird in einer Minute wieder zurück sein. Gehen Sie rein, sonst holen Sie sich noch den Tod.«

Masters schüttelte seinem Besucher dankbar die Hand und zog sich zurück.

Harry stampfte mit den Füßen, um sich zu wärmen, schlug sich die Handflächen auf den Oberkörper und verfluchte seinen Burschen. Allerdings war er nicht besonders ärgerlich, denn er hatte dem Mann befohlen, die Pferde herumzuführen, damit deren Blutkreislauf sich nicht zu sehr verlangsamte. Der Bursche hatte, um seine Aufgabe zu erledigen, weiter als nur bis zum Ende der Straße und wieder zurück gehen müssen. Aber schon bald tauchten die beiden Pferde an der Ecke Cornhill auf. Der Bursche eilte mit kräftigen Schritten vorwärts, und als er seinen Herrn erblickte, trieb er sein eigenes Pferd und den agilen Braunen zu noch schnellerem Tempo.

»Teufel noch mal, Eric, ich dachte schon, Sie wären in das nächste Gasthaus eingekehrt«, sagte Harry, nahm dem Burschen die Zügel aus der Hand und schwang sich in den Sattel. »Bei dieser Kälte friert man sich ja den Hintern ab.«

»Aye, Mylord. Es tut mir leid, dass ich Sie habe warten lassen«, erwiderte der Mann ruhig. »Geht es jetzt nach Hause?«

»Ja. Aber geben Sie acht, die Straße ist rutschig.«

»Aye, M'lord«, murmelte der Bursche, »hab ich auch schon bemerkt.«

Harry warf ihm einen schnellen Blick zu und grinste. »Also doch, Eric. Geben Sie es ruhig zu. Ich habe es doch sowieso geahnt.« Er schnalzte mit der Zunge und drückte dem Pferd die Absätze in die Flanken. Der Braune warf den Kopf zurück, schnaubte den Atem durch die Nüstern in die Kälte und bewegte sich vorwärts.

Harry überließ das Pferd auf dem rutschigen Kopfsteinpflaster seinem eigenen Tempo und konzentrierte sich auf die überaus verwirrenden Neuigkeiten, die er gerade erfahren hatte. Wenn er nicht rechtmäßig in das Haus am Cavendish Square hineinkommen konnte, dann würde er zu ungewöhnlicheren Mitteln greifen müssen. Vor allem durfte er keine Zeit verlieren, sich das Bündel zurückzuholen.

Wer auch immer ursprünglich für den Diebstahl verantwortlich war, die Franzosen oder die Russen – oder vielleicht auch beide, wenn sie auf dieser Stufe gemeinsame Sache machten –, derjenige wusste, dass der Schlüssel zu dem Code irgendwo in jenem vernachlässigten Haus am Cavendish Square verborgen war. Eine Woche war vergangen, seit der Diebstahl und das Debakel auf der Straße zu Lesters Verwundung geführt hatten; er wusste, dass sie genauso verzweifelt versuchen würden, das Bündel wieder in die Finger zu bekommen, wie er selbst. Und sie hatten den Vorteil, dass sie genau wussten, wo sie suchen mussten, obwohl sie den wachsamen Augen des Ministeriums nicht entgehen würden, die das Gelände am Cavendish Square seit dem nächtlichen Aufruhr genau unter Beobachtung hatten.

Außerdem sah es nicht so aus, als würde es ihnen ohne Weiteres gelingen, die sonderbaren Menschen, die das Haus offenbar bewachten, auf legitime Weise zu passieren. Trotz seiner Befürchtungen musste er grimmig lächeln, als er sich ins Gedächtnis rief, wie die drei Hausdrachen der Lady Sophia ihn empfangen hatten. Nach den nächtlichen Ereignissen am Haus hatte er nachgeforscht und von dem Tod der Lady erfahren. Also hatte er an die Tür geklopft und sich eingebildet, dass er den perfekten Vorwand besaß, das Haus zu betreten und zu durchsuchen: Er hatte vorgegeben, den Wert des Besitzes wegen der Testamentseröffnung schätzen zu wollen.

Es war, um es so auszudrücken, ein ausgesprochen staubiger Empfang gewesen. Ein ältlicher Mann mit gekrümmtem Rücken und wässrigen Augen, dazu in schmutziger lederner Kniebundhose und Lederschürze, hatte ihm geöffnet, und die zwei ernst blickenden Frauen in schwarzen Kleidern, mit grünlich blassen Gesichtern sahen aus, als seien sie unvermittelt ihrem eigenen Grab entstiegen. Die drei starrten ihn an und schwiegen unerschütterlich, während er sein Anliegen erläuterte.

Der Mann, wohl der Butler, wandte sich an seine Gefährtinnen. »Ada, schon wieder einer. Kein Ausländer diesmal.« Dann hatte er ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen, die Riegel vorgelegt und Schlösser einrasten lassen mit einer Kraft, die sein Alter Lügen strafte.

Irgendwie musste es ihm gelingen, ins Haus zu kommen. Sein erster Gedanke war gewesen, dass es sich am leichtesten bewerkstelligen ließe, wenn er es besitzen würde. Aber dank Lady Livia sah es nicht so aus, als würde das Haus in absehbarer Zukunft ihm gehören.

Wie auch immer ...wie auch immer ...

Langsam verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. Vielleicht musste er das Haus gar nicht besitzen, um sich Zutritt zu verschaffen; vielleicht würde es reichen, wenn er der neuen Besitzerin ein wenig schmeichelte. Konnte es einen besseren Grund geben, ihr einen ersten Besuch abzustatten? Immerhin war er an ihrem Anwesen höchst interessiert und hegte die Hoffnung, sie vom Verkauf überzeugen zu können.

Er nickte zufrieden und trieb sein Pferd zur Eile an. Das Ministerium würde das Haus unter Beobachtung halten, bis Lady Livia Lacey in der Stadt eintraf. Dann würde er sich bei ihr einladen, sich umschauen und sehen, was es zu entdecken gab.

Trotz seines fertigen Planes konnte er es kaum ertragen, die Hände in den Schoß zu legen und ein paar Tage lang abzuwarten. Er beobachtete das Haus am Cavendish Square selbst, obwohl er wusste, dass die Observanten des Ministeriums die Sache viel besser erledigten als er.

Mehrere Tage und Nächte dauerte es, bis das stundenlange gebückte Ausharren in der Kälte endlich belohnt wurde. Es war Neumond, als sich jemand der Treppe zum Untergeschoss näherte ... ein Schatten, der noch dunkler war als die Schatten der Nacht ... der Mann hatte sich den schwarzen Umhang fest um die Schultern gezurrt, und der schwarze Hut hing ihm dicht über den Augen.

Endlich kam Bewegung in die Sache, und die Aussicht darauf wärmte Harry das Blut in den Adern. Er verließ den Beobachtungsposten hinter der Hecke des Square Gardens, schlich lautlos über das Gelände und verbarg sich hinter dem Zaun, der den Bürgersteig von der Straße abgrenzte. Dort wollte er warten, bis der Eindringling auftauchte – mit dem Bündel, wenn die Götter ihm gewogen blieben. Und wenn er sein Opfer selbst nicht zur Strecke bringen konnte, dann gab es vier weitere Männer, die an strategischen Punkten entlang der Straße und um den Square herum positioniert waren. Falls es notwendig war, würden sie die Verfolgung aufnehmen können.

Aber Harry war wild entschlossen, sich persönlich zurückzuholen, was ihm gestohlen worden war ... die Früchte stundenlanger komplizierter mathematischer Berechnungen und ausgefeilter geistiger Akrobatik ... es war eine private Angelegenheit, die weit über die Bedeutung hinausreichte, die der Diebstahl für den blutigen Krieg auf dem Kontinent besaß.

Die Explosion erschütterte die Gegend so stark, dass er abrupt aufsprang. Viele Monate lang hatte er sich einem mühseligen Training unterzogen. Aber all die Anstrengungen zählten nichts mehr, als der ohrenbetäubende Krach urplötzlich die ruhige, elegante Beschaulichkeit am Square Garden aufstörte. Fenster wurden aufgerissen, wüste Schreie gellten durch die nächtliche Stille, man sah, wie ein Körper schemenhaft aus dem Untergeschoss auftauchte und die Treppe hinaufrannte. Der Umhang hing zerfetzt an ihm hinunter, der Hut fehlte, und dem Mann standen schier die Haare zu Berge, fast so, als trüge er einen Heiligenschein.

Der Mann trat von der obersten Treppenstufe auf den Bürgersteig. Harry stürzte sich auf ihn, riss ihn nieder, und für einen kurzen Moment war bei dem wilden Gerangel auf dem harten Boden nicht zu erkennen, welche Gliedmaßen zu wem gehörten.

»Alles in Ordnung, Sir, wir haben ihn.« Man half ihm, sich wieder aufzurichten, während die anderen seinem atemlosen Opfer unter die Arme griffen.