Das Vermächtnis der Eistatzen, Band 2: Immerfrost - Kathryn Lasky - E-Book

Das Vermächtnis der Eistatzen, Band 2: Immerfrost E-Book

Kathryn Lasky

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Beschreibung

Ein großes Abenteuer für zwei kleine Eisbären – die neue Reihe von Bestseller-Autorin Kathryn Lasky! Die Eisbärenkinder Stellan und Jytte kennen nur ein Ziel: Ihre Mutter aus den Fängen der bösen Bären vom Eiskap zu befreien! Doch dafür brauchen sie die Hilfe ihres Vaters. Dieser hat schon einmal eine Rebellion gegen die Bären vom Eiskap angeführt – leider ohne Erfolg. Seit seiner Niederlage soll er sich im sagenumwobenen Bau des Immerfrosts versteckt halten. Hier hat in uralten Zeiten angeblich der weise Rat der Eisbären getagt. Mutig brechen Stellan und Jytte auf – doch der Weg durch das ewige Eis ist weit und tückisch ... Folge den Eistatzen in die frostigen Nordlande von Ga'Hoole und erlebe ein neues Abenteuer in der Welt von "Die Legende der Wächter" und "Der Clan der Wölfe"! Tier-Fantasy mit Eisbären für abenteuerlustige Jungs und Mädchen ab 10 Jahre *** Pfotenstarke Tier-Fantasy mit Eisbären von New York Times-Bestseller-Autorin Kathryn Lasky *** "Keine Angst, Jytte." Stellan versuchte, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken, während er sich niedergeschlagen umblickte. Alles, was sie unter Skagens Anleitung so sorgfältig geplant hatten, war auf einen Schlag wertlos geworden."Keine Angst?" Jyttes Stimme war kaum wiederzuerkennen, sie quiekte vor Wut und Enttäuschung. "Bist du verrückt? Die Welt hat uns einen bösen Streich gespielt. Alles ist aus den Fugen. Wie sollen wir jetzt den Bau des Immerfrosts finden?"Alle Tierfantasy-Reihen von Kathryn Lasky im Überblick: Das Vermächtnis der Eistatzen • Band 1: Zeitenwende• Band 2: Immerfrost• Band 3: EisrebellenDie Spur der Donnerhufe • Band 1: Flammenschlucht• Band 2: Sternenfeuer• Band 3: NebelbergeDer Clan der Wölfe • Band 1: Donnerherz• Band 2: Schattenkrieger• Band 3: Feuerwächter• Band 4: Eiskönig• Band 5: Knochenmagier• Band 6: SternenseherDie Legende der Wächter • Band 1: Die Entführung• Band 2: Die Wanderschaft• Band 3: Die Rettung• Band 4: Die Belagerung• Band 5: Die Bewährung• Band 6: Die Feuerprobe• Band 7: Der Verrat• Band 8: Die Flucht• Band 9: Das Vermächtnis• Band 10: Der Auserwählte• Band 11: Das Königreich• Band 12: Der Zauber• Band 13: Das Nebelschloss• Band 14: Die Verbannung• Band 15: Die Entscheidung• Band 16: Der Held

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2019Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2019 Ravensburger Verlag GmbHCopyright © 2018 by Kathryn Lasky. All rights reserved.Published by Arrangement with SCHOLASTICINC., 557 Broadway, New York, NY 10012 USADie Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Bears of the Ice. The Den of Forever Frost bei Scholastic Press.Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Hannover.Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch: Ilse RothfussLektorat: Franziska JaekelUmschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich unter Verwendung eines Fotos von © Robert Postma/Getty ImagesVignetten im Innenteil: Adobe Stock/Jeffrey DavisAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-47944-3www.ravensburger.de

Inhalt

Prolog

Eine Welt aus den Angeln

Eine rätselhafte Warnung

Gerüchte über Svern

Grübeleien eines Fleckenkauzes

Die Dunkelheit lockt …

Die sogenannten Legenden

Ein merkwürdiger Apparat

Nicht aus Lügen gemacht

Seelenfinder

Die Eulenversammlung

Blick durch die Eiswand

Dreis Traum

Honigfrost

Noch zweiundzwanzig Herzschläge

Am Rande von Ursulana

Der letzte Herzschlag

Der Weg der Seide

Der Seidenfeilscher

Plieks Plumpse

Ein Fenster zum Himmel

Ein vertrauter Geruch

Ein böser Streich?

„Wir sind deine Sprösslinge!“

Verschlüsselte Botschaften

„Ich, euch lehren?“

Was für ein Team!

Sverns Bau

Ein paar gute Bären

Denk wie ein Bär!

Schwarzfang

Mondsplitter

Sturz in den Abgrund

Ein Monster steigt auf, ein Stern fällt

Verräterin

Der Geist von Svrie

Die Sterne an ihrem Platz

Über die Autorin

„Der rote Komet brennt …“, hörte Svenna die Herrin des Läutens wispern. Die Bären hatten sich auf den obersten Brüstungen und Balkonen unter dem Zifferblatt der Uhr versammelt und blickten zum Himmel empor. Das rote Licht des Kometen, der durch die bitterkalte Nacht zischte, blutete über der Eislandschaft des Ublunkyn und zauberte tiefrote Striemen in das weiße Fell der Bären.

„Und jetzt beginnt das Chaos“, murmelte die Herrin des Läutens.

Svenna stockte der Atem. Wie konnte die Herrin des Läutens, die zum Kreis der obersten Zeithüter gehörte, derart gefährliche Worte aussprechen? Normalerweise gab sie nie ihre Gedanken preis. Aber Galilya, die schöne Bärin, war ihr ohnehin ein Rätsel. Anmutig stand sie da, den eleganten Kopf nach hinten geneigt, und schaute zu den Sternen auf, die im roten Widerschein des Kometen badeten. Ihr Fell, das weißeste, das Svenna je gesehen hatte, war rosig überhaucht. Die Schönheit dieser Bärin hatte fast etwas Unirdisches, obwohl sie in Wahrheit falsch und tückisch war, wie Svenna erfahren hatte, seit sie in ihrem Bau diente.

„Chaos? Wie das, Herrin?“, fragte sie vorsichtig.

Galilya warf ihr einen scharfen Blick zu, als wäre es Svennas Schuld, dass sie so scharfe Ohren hatte. Wie in aller Welt hätte sie diese Bemerkung überhören sollen?

„Wie das? Aberglaube, meine Liebe! Und schwarze Magie!“ Galilya stieß ein heiseres Kichern aus, das fast wie ein Bellen klang und nicht wie ein Bärenschnauben. „Aberglaube und schwarze Magie, das ist eine gefährliche Mischung.“

Svenna lief es kalt über den Rücken. Der Ausdruck „schwarze Magie“ erschien ihr so unnatürlich, so unbärenhaft. Aber das Eiskap war auch ein unnatürlicher Ort. Die Bären hier benahmen sich nicht wie Bären.

Dann zerriss ein grässliches Kreischen die Luft. Eine riesige Gestalt stürzte von der höchsten Brüstung auf die Eiswälle hinunter. Gellende Schreie stiegen von der Menge auf, die das Unglück mit ansah – nur die Herrin des Läutens zuckte mit keiner Wimper.

„Was … was ist das?“, stotterte Svenna.

„War“, erwiderte die Herrin seelenruhig. „Das war unser Chronos.“

„Der Chronos? Ivor Ahknah?“, rief Svenna entgeistert. Ihre Ohren legten sich flach an den Kopf und ihre Nackenhaare sträubten sich vor Grauen. Der Chronos war der zweithöchste Würdenträger unter den Zeithütern, er kam gleich nach dem Groß-Patek. Gemeinsam überwachten sie die heiligen Pflichten, die dafür sorgten, dass die Eisuhr störungsfrei weiterlief. Diese Bären glaubten ernsthaft, dass ihr lächerlicher Uhrenkult die nächste Große Schmelze verhindern konnte. Das war natürlich Unsinn, aber Svenna hatte am eigenen Leib erfahren, was mit Bären passierte, die es wagten, die Macht der Uhr infrage zu stellen.

„Ja, Ivor Ahknah.“

„Aber er ist doch schon so lange hier – eine Ewigkeit, oder nicht?“ Die anderen Zeithüter verehrten ihn wie einen Heiligen. Warum also dieses gewaltsame Ende?

„Eine Ewigkeit kann manchmal auch zu lang sein“, seufzte die Herrin des Läutens. „Wie ärgerlich – nun muss die ganze Bescherung wieder aufgewischt werden.“ Abrupt wandte sich die schöne Bärin um und verschwand in der Dunkelheit eines Eistunnels.

Totenstille hatte sich über die Eisuhr gesenkt. Dann ertönte die Stimme des Groß-Patek durch die Eishörner, die als Schalltrichter dienten.

„Der große Chronos Ivor Ahknah ist tot, wie es die Ankunft des roten Kometen prophezeit hat und es in den Auspizien Himmlischer Phänomene geschrieben steht. Lang lebe der neue Chronos, Torsenvryk Torsen.“

Was für ein verfluchter Ort, dachte Svenna. Aber sie musste überleben, um jeden Preis.

Nirgendwo auf dieser Welt, weder in Nunquivik noch in den Nordlanden von Ga’Hoole oder im Hinterland der Wölfe konnte es einen Bären geben, der entschlossener war als Svenna. Sie war zu allem bereit. Sie würde sogar töten. Und die Uhr zerstören. Sie würde ihr Leben opfern, wenn es sein musste, solange sie in der Gewissheit sterben konnte, dass ihren beiden Jungen nichts Böses zustoßen würde.

Als der rote Komet durch die Dunkelheit zischte und Mond und Sterne blutrot färbte, schwammen die drei Bärenjungen Stellan, Jytte und Drei durch die Eisschollen der N’yrthgar-Meerengen. Die Monde des Sterbenden Eises nahten, und die Rinnen, die das Nunquivik-Meer mit dem Wintermeer der Nordlande verbanden, waren mit hüpfenden Eisschollen übersät. Seite an Seite durchpflügten die Gefährten das Labyrinth aus zerborstenen Eisbergen, die träge in den Strömungen dümpelten, und alle drei hatten die ganze Zeit nur einen Gedanken im Kopf. Sie mussten Svenna retten, die Mutter von Jytte und Stellan, und mit ihr die ganze bedrohte Bärenwelt.

Svenna war von den Zeithütern entführt worden, den grausamen Bären, die über das Eiskap herrschten. Diese Zeithüter beteten die Große Eisuhr an und versuchten mit allen Mitteln, auch das restliche Königreich der Bären in ihre Gewalt zu bringen. Ihre Methoden waren entsetzlich – sie schreckten nicht einmal davor zurück, hilflose Milchjunge zu entführen, um sie der Uhr zu opfern. Svennas eigene Junge, Stellan und Jytte, waren diesem grässlichen Schicksal nur entkommen, weil Svenna an ihrer Stelle zum Eiskap gegangen war, um der Uhr zu dienen. Die beiden Jungen wären am liebsten sofort losgestürmt, um sie zu retten, als sie das erfahren hatten. Aber Skagen, ihr weiser Lehrer, hatte sie ermahnt: „Ihr könnt eure Mutter nur befreien, indem ihr eure eigene Art befreit.“ Mit „eigener Art“ bezeichnete er alle anständigen Bären, deren Lebenswelt von den Tyrannen am Eiskap bedroht wurde.

Es gab nur einen Weg, Svenna zu retten: Sie mussten die Eisuhr und die Macht des Groß-Patek zerstören, des obersten Zeithüters. Aber zuallererst mussten sie ihren Vater finden, einen berühmten Rebellen namens Svern, der lange gegen die Zeithüter gekämpft hatte. Er war seit Jahren spurlos verschwunden. Es hieß, er sei in die Nordlande zurückgegangen, zu dem sagenumwobenen Bau des Immerfrosts.

„Unser Vater muss irgendwo ganz in der Nähe sein. Ich spüre es“, sagte Jytte. Ihre Stimme bebte vor Aufregung.

Stellans Herz zog sich zusammen, wenn er seine Schwester so reden hörte. Er wusste ja, wie sehr sie sich nach ihrem Vater sehnte, den sie noch nie gesehen hatten. Aber inzwischen stand viel mehr auf dem Spiel als nur ihre Familie.

„Es geht nicht nur um Pa, Jytte. Wenn wir ihn finden, müssen wir ihn auf unsere Seite bringen, damit er uns hilft, die Eisuhr zu zerstören. Und dann müssen wir das auch wirklich tun.“ Er merkte selbst, wie brüchig seine Stimme klang, und einen Augenblick konnte er nicht weitersprechen, weil er Angst hatte, in Tränen auszubrechen.

Jytte patschte mit ihrer Pfote ins Wasser. „Willst du mir etwa vorwerfen, dass ich das alles nicht ernst genug nehme, Stellan? Mir ist unsere Mission genauso wichtig wie dir, damit du es weißt!“

„Aber du redest immer nur von Pa, obwohl es doch um etwas viel Größeres geht.“

Drei schaute bekümmert von Jytte zu Stellan. Er war der kleinste von allen und musste häufig als Friedensstifter einspringen, wenn die Geschwister sich wieder einmal in die Haare gerieten. Als Svenna den Meuchlerbären folgen musste, hatte sie Stellan und Jytte zu Dreis Mutter Taaka gebracht, eine Bärin, die sich als falsch und herzlos entpuppte. Die beiden Jungen waren aus dem Bau geflohen, um ihr Leben zu retten. Und schließlich war auch Drei weggelaufen, der kleinste von Taakas Wurf, weil seine Mutter ihn grausam misshandelt hatte.

„Ihr habt beide recht“, sagte Drei jetzt sanft. „Es ist nicht einfach, Svern von unserer Mission zu trennen. Aber das Wichtigste ist, dass wir die Uhr zerstören, ob wir ihn finden oder nicht.“

„Er ist irgendwo beim Bau des Immerfrosts. Ganz bestimmt!“, beharrte Jytte trotzig. Sie glaubte felsenfest daran, dass sie Svern finden würden, und wollte nichts anderes hören. „Skagen hat es doch gesagt.“

„Skagen hat gesagt, dass er wahrscheinlich dort ist, Jytte. Er war sich nicht sicher“, wandte Stellan vorsichtig ein. Er musste Geduld mit seiner aufbrausenden Schwester haben, damit sie nicht aus dem Fell fuhr vor Zorn.

„Wir kommen näher.“ Jytte hörte auf zu paddeln, legte ihren Kopf zurück und sah zum Himmel auf. „Vergiss nicht, Skagen hat gesagt, diese Meerengen schlängeln sich nach Süden und Westen und münden in die Fjorde – die Fjorde, wo unsere Mama und unser Pa aufgewachsen sind. Er hat es uns auf der Karte gezeigt.“

Drei und Stellan hielten ebenfalls inne und schauten zu den Sternen auf, die in der samtschwarzen Haut des wolkenlosen Nachthimmels funkelten.

„Wir sind jetzt südwestlich vom Svrie-Stern“, sagte Stellan. Er hob eine Pfote zu einem der beiden Sterne, die nach Norden zu dem Stern namens Immerfest zeigten. „Unser Leitstern. Der, der Mama …“ Seine Stimme versagte, als er an die letzten Nächte mit ihrer Mutter dachte. Svenna hatte angefangen, ihnen die Sterne zu erklären, und ihnen gezeigt, wie sie sich mit ihrer Hilfe in fremden Gegenden zurechtfinden konnten.

„Bald werden sie verblassen. Die Dämmerung bricht an. Und unser Leitstern verschwindet“, sagte Drei.

„Hey, ihr beide! Wer als Erster zur Dämmerung kommt“, rief Jytte, die immer ganz wild auf Wettkämpfe war.

„Ha!“, trumpfte Stellan auf. „Dann würdest du ja rückwärts schwimmen. Die Dämmerung bricht hinter uns im Osten an. Und wir schwimmen nach Westen.“

„Oh, Stellan, warum bist du immer so ein Spielverderber? Ich will doch nur mit euch um die Wette schwimmen, bis das Licht kommt und die Nacht verschlingt.“ Jytte stob davon und zog kraftvoll ihre Unterarme durchs Wasser. Von ihren Hinterbeinen gingen gleichmäßige Wellen aus.

Stellan hatte seine Schwester immer darum beneidet, dass sie wie ein Fisch durchs Wasser glitt. Ihre Hinterpfoten hatten genau die richtige Form, um das Wasser zu zerteilen, während sein Backbordhinterfuß leicht gebogen war, was das Paddeln viel schwieriger machte. Die Welle, die davon abging, war irgendwie schief.

Jytte drehte den Kopf herum und warf ihm einen schmollenden Blick zu. Oder war sie nur traurig? Ihre Augen hatten sich getrübt, als wäre sie von einem alten Kummer eingeholt worden. Dachte sie vielleicht an Skagen? Stellan wusste, dass Jyttes Launen blitzschnell umschlagen konnten. Skagen, ein alter Schneeleopard und eines der anmutigsten Geschöpfe der Frostlande, hatte ihnen fast genauso viel beigebracht wie ihre Mutter, auch wenn er nicht von ihrer Art war. Er hatte ihnen gezeigt, wie man Karten liest, hatte ihnen alles über Uhren und andere Zeitmesser erklärt, und er hatte sie vor der Eisuhr gewarnt, in der die armen kleinen Ticktacks geopfert wurden. „Vergesst nie, Kinder“, hatte er einmal gesagt, „eine Uhr ist nur ein Instrument, das die Anderen erfunden haben – keine allmächtige Gottheit, die man anbeten muss.“

„Alles in Ordnung mit dir, Jytte?“, fragte Stellan.

„Ja, natürlich“, sagte sie betont fröhlich, was gar nicht zu dem kummervollen Ausdruck in ihren Augen passte. Falls sie um Skagen trauerte, würde sie es jedenfalls nie zugeben.

Und schon schwamm Jytte wieder voraus und blickte zum Svrie-Stern hinauf. Es war ein schönes Gefühl, in seinem Licht zu schwimmen, das sich jetzt sanft im glasig dunklen Wasser spiegelte.

Svrie, das Oberhaupt des ersten Bärenrats im Bau des Immerfrosts, war ein Vorfahre von Stellan und Jytte gewesen. „In der guten alten Zeit von Svrie“, hatte ihre Mama oft gesagt, wenn sie eine Geschichte vom Längst-Vorbei erzählte, einer Zeit, in der die alten Bräuche noch geehrt und die Mythen und Legenden der Bärenclans von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurden. Und genau darauf schwamm Jytte jetzt zu – nicht nur auf eine Dämmerung, wie man sie jeden Tag erleben kann, sondern auf jene ferne Morgendämmerung, von der sie bisher nur gehört hatte. Die Zeit von Svrie war im Geist aller Bären eng mit den edlen Ratsmitgliedern verknüpft, die sich in der Eissternkammer im Bau des Immerfrosts versammelt hatten.

„Komm, Stellan!“, rief Drei. „Denk an Marven!“

Ja, Marven!, dachte Stellan freudig und zog mit kräftigen Bewegungen an Jytte vorbei. Der große Svrie war nicht ihr einziger berühmter Vorfahre gewesen. Auch Marven zählte dazu, ein Held aus der Zeit der Großen Schmelze, als der größte Teil des Bärenreichs überflutet war und es von gefährlichen Seemonstern nur so wimmelte. Marven war ein legendärer Schwimmer gewesen. Und er hatte viele der wilden Drachenwalrösser besiegt, die blutige Schneisen in die anschwellenden Fluten geschnitten und Tausende von Bären getötet hatten.

„Du hast mich besiegt!“, rief Jytte keuchend hinter Stellan her. „Und jetzt will ich nie wieder dieses Gejammer hören, dass du deine Hinterbeine nicht flach genug halten kannst, um richtig zu paddeln.“ Lachend holte sie ihn ein und zupfte ihn am Ohr. „Lust auf einen kleinen Wasserringkampf?“

„Keine Zeit für Ringkämpfe“, wehrte Stellan ab und schwamm von ihr weg. „Komm schon, Jytte, vor uns liegt Arbeit. Wenn mich nicht alles täuscht, erreichen wir jetzt die Fjorde, wo unsere Mama und unser Pa herkommen. Nach Skagens Karten führen sie zum Bau des Immerfrosts.“

Ein lautes Krachen zerriss die Luft und die Jungen wirbelten erschrocken herum. Ein riesiger Eisberg war gerade in zwei Hälften zerborsten. Er war so nah, dass sie das aufgewühlte Wasser spürten.

„Ach, da kalbt nur wieder ein Eisberg“, sagte Stellan, den Blick auf die beiden Eistrümmer geheftet, die im dunklen Wasser der Rinnen herumschwappten. Die Bruchstelle war nahezu makellos glatt, sodass die beiden Hälften wie das Flügelpaar eines mythischen Riesen-Eisvogels aussahen.

„Diese Rinne hier wird immer enger. Bald werde nicht mal ich noch hineinpassen.“ Drei zwang sich zu einem Lachen, aber Stellan entging nicht die Angst in seiner Stimme. Wenn sie hier stecken blieben, waren sie erledigt, das wusste er. Man brauchte nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie einer dieser grässlichen Zahngeher, ein Nachfahre der legendären Drachenwalrösser, sabbernd vor Gier auf sie zu schwamm.

„Wie heißen diese Wasserrinnen noch mal auf Krakisch?“, fragte Drei wieder betont fröhlich.

„Byssenklamm“, sagte Stellan.

„Byssenklamm“, wiederholte Drei nachdenklich. Ein wenig neidisch versuchte er sich auszumalen, wie es wäre, eine Mutter wie Svenna zu haben, die die Sprache ihrer Vorfahren beherrschte. Taaka, seine eigene Mutter, war auch aus den Nordlanden gekommen, hatte jedoch das Krakische vergessen und nur Nunqui mit ihm und seinen beiden Geschwistern gesprochen. Aber das war noch Taakas geringster Fehler gewesen: Sie war abgrundtief böse, die herzloseste aller Bärenmütter in den ganzen Hinterlanden.

Die Byssenklamm war inzwischen so eng, dass die drei Jungen nicht mehr nebeneinander schwimmen konnten. Jytte übernahm die Führung, gefolgt von Drei, während Stellan das Schlusslicht bildete.

Die Rinne war mit zerborstenem Meereis gefüllt, das in leuchtend blauem Wasser dahintrieb – ein Blau, wie die Jungen es noch nie gesehen hatten. Sachte dümpelten die Eisschollen in den darunterliegenden Strömungen. Manchmal konnten sie sogar auf eine besonders große hinaufklettern und dann von einer zur anderen springen.

„Eisspringen! Wie toll!“, schrie Drei. Er war klein genug, um selbst auf ganz winzigen Schollen zu landen, eine Sekunde lang darauf zu balancieren und dann zur nächsten weiterzuhüpfen. Nach einer Weile hielten sie inne, jeder auf seiner eigenen Eisplatte, um diese neue Landschaft in sich aufzunehmen, dieses fremde Reich, in dem Stellans und Jyttes Eltern geboren und aufgewachsen waren.

Jytte fing sofort wieder an, von ihrem Vater zu träumen, ihre absolute Lieblingsbeschäftigung. Svern musste ein unglaublich mutiger Bär sein, wenn er einen Aufstand gegen den Uhrenkult angeführt hatte, auch wenn sein Kampf gescheitert war. Hatte er Bär gegen Bär mit den grässlichen Meuchlern gerungen, deren Gesichter von blutigen Kampfnarben entstellt waren?

Aber Jytte war nicht die Einzige, die von Svern träumte. Auch in Stellans Geist stiegen Bilder von ihrem nahezu mythischen Vater auf, den sie nie gesehen hatten. Skagen hatte ihnen von Sverns besonderer Gabe erzählt. „Er war ein Yinqui, Kinder.“

„Ein Yinqui?“, hatte Stellan gefragt. „Was ist das?“ Das seltsame Wort ließ seinen Vater irgendwie noch geheimnisvoller erscheinen. War ein Yinqui etwas Gutes oder etwas Schlechtes? Und würden sie je die Gelegenheit bekommen, ihren Vater kennenzulernen, so wie sie ihre Mama gekannt hatten?

„Ein Eislauscher. Das ist eine ungewöhnliche Gabe. Svern konnte Geräusche durch dickes Eis hindurch wahrnehmen. Auf diese Weise hat er die Zeithüter am Eiskap ausspioniert.“ In Stellans Kopf entstand ein Bild von einem Bären mit übergroßen Ohren, eins davon lauschend ans Eis gepresst, und mit Augen, die vor Zorn blitzten, während er die Gespräche des Feindes abhörte.

Die Rinne war etwas breiter geworden. Jetzt schwamm nicht mehr so viel Brucheis darin, sodass der Wasserweg nahezu frei war. Staunend blickten sie sich um, während sie hindurchschwammen. Hier war alles so anders als in der Gegend, aus der sie gekommen waren. Nun sahen sie auch, wie bergig das Land war, mit hohen, zerklüfteten Gipfeln, die fast den Himmel streiften. Die Flanken dieser Gebirgszüge fielen steil ins Meer ab.

Drei richtete sein Augenmerk auf die zahlreichen Tiere, die über das Eis in der Nähe der Wasserrinnen huschten. Eine kleine Schar von Lemmingen wanderte über einen stark geschrumpften Schneefleck. Ein Polarfuchs schlich vorüber und Drei fiel auf, dass sein schneeweißes Fell sich bereits dunkler färbte, was darauf hindeutete, dass bald die schneelose Zeit anbrach. Die winzigen Vögelchen, die über ihnen kreisten – Blauschwingen wurden sie genannt –, warfen schon ihr Wintergefieder ab und darunter wuchsen ihnen bräunliche Federn, damit sie im Frühling besser getarnt waren.

„Hier ist es so anders“, sagte Drei, der all das Unvertraute freudig in sich aufnahm – als Beweis dafür, dass er eine ganz neue Welt betreten hatte, weit weg von Taaka, seiner schrecklichen Mutter. Drei hatte noch immer böse Träume von ihr, und je größer der Abstand zu ihr wurde, desto sicherer fühlte er sich. Für Stellan und Jytte war diese Reise die Erfüllung eines Herzenswunsches – die Begegnung mit ihrem Vater –, während Drei vor einem Albtraum flüchtete. Er wollte nur weg. Weit, weit weg von dem, was er auf der Welt am meisten fürchtete und hasste – seine Mutter.

„Sogar die Wolken sind komisch“, stellte Jytte fest. „Seht nur, sie färben sich lila. Habt ihr schon jemals lila Wolken gesehen?“

„Nein“, stieß Drei bedrückt hervor.

Stellan hob den Kopf. Ihm gefiel das Zittern in Dreis Stimme nicht, genauso wenig wie die Farbe dieser frühmorgendlichen Wolken. Der Wind drehte abrupt und dann spürte er ein leichtes Ziehen an seiner Backbordhinterpfote. War das eine dieser Unterströmungen, vor denen Skagen sie gewarnt hatte? Die Lemminge stürzten in wilder Flucht auf eine Eisklippe zu. Ein Fuchs verharrte plötzlich, als sei er am Boden festgefroren, und die Blauschwingen torkelten haltlos durch die Luft, von heftigen Windböen auf und ab geschleudert.

„Seht euch das an!“, rief Jytte und streckte eine Pfote aus. Der Himmel, der gerade noch dunstig blau gewesen war, mit dem Violett der aufziehenden Wolken gesprenkelt, riss hier und da auf. Lichtblitze zuckten durch das Blau, Funken sprühten von den Berggipfeln herab und ein knatternder Wind fuhr in die eisbedeckten Flanken der Bergketten. Selbst die Berge erbebten unter den grellen Lichtblitzen, die über den Himmel zuckten. Ein Sturzbach spaltete einen der hohen Gipfel und ein reißender Fluss, der gerade noch nicht da gewesen war, raste auf sie zu und fegte sie alle drei ins Meer.

In einem Wimpernschlag wurde die ganze Welt aus den Angeln gehoben. Jytte spürte die Gewalt des Wassers, das um sie herum und durch sie hindurchschwappte, das wild vor und hinter ihr aufschäumte. Hilfe, ich werde verschlungen! Die Kraft des Flusses zog die drei Bärenjungen unter Wasser. Stellan sah Drei hilflos in den Wellen strampeln und packte ihn mit dem Maul. Während er gegen die Strömung ankämpfte, hielt er verzweifelt nach Jytte Ausschau, konnte sie aber nicht sehen.

Stellans Lunge brannte wie Feuer, aber er konnte den Mund nicht öffnen, um Luft zu holen, ohne Drei aus dem Griff zu verlieren.

War das jetzt das Ende, nach allem, was sie miteinander durchgemacht hatten? Und wo war Jytte? Er musste Luft holen. Unbedingt. Seine Lunge drohte jeden Moment zu platzen. Aber er konnte auch nicht an die Oberfläche schwimmen. Es gab keine Oberfläche. Stattdessen wurde er hinuntergezogen, immer tiefer und tiefer, bis auf den Grund dieser erstickenden Schwärze. Etwas drückte auf seinen Rücken. Irgendein Gewicht. Aber Stellan war so benommen und erschöpft, dass er Drei langsam aus seinem Griff verlor. Er wollte es nicht, aber ihm blieb keine Wahl. Alles war nur noch ein Strudel aus Schmerz und Schwärze. Doch als Drei schon wegzudriften begann, wurde Stellan plötzlich von einer unsichtbaren Kraft direkt unter ihm hochgehoben. Er schoss an die Oberfläche, stieg wie ein Vogel in den Himmel hinauf, nur dass er keine Flügel hatte. Die Kraft, die ihn nach oben schleuderte, war hundertmal stärker als er, stärker als jeder andere Bär auf Erden.

Die Schwärze des Wassers wich zurück, wurde von zartem blauem Licht durchflutet. Stellan schnappte keuchend nach Luft, als er nach oben kam, und Sekunden später landete er auf einem Eisschelf an einem zerklüfteten, steilen Strand. Er riss den Kopf herum und sein Blick fiel auf zwei tropfnasse Klumpen ganz in der Nähe – atmende Klumpen! Jytte und Drei. Es war wie ein Wunder. Nein, es war ein Wunder. Alle drei am Leben und alle drei zusammen!

Drei war vor Stellans Füße geplumpst, sein kleiner Brustkorb hob und senkte sich rhythmisch. Jytte lag neben Drei und schlug gerade die Augen auf. Sie hustete ein bisschen, als wollte sie etwas sagen, aber es kam nur ein Wasserschwall heraus. Dann versuchte sie es erneut.

„Stellan.“ Sie sog die Luft ein, als sie einen kleinen Blutfleck auf seinem Fell entdeckte. „Dein Rücken! Ich habe dir das Fell vom Rücken gerissen! Du blutest! Aber nicht so schlimm.“

Ah, dachte Stellan, das war also das Gewicht auf meinem Rücken! Meine Schwester!

„Tut es weh?“

„Nein, nein, kein bisschen.“ Erleichtert schaute er Jytte an, die heil und unversehrt schien. Auch Drei kam jetzt wieder zu sich, setzte sich auf und rieb sich die Augen. Ungläubig starrten sie einander an. Jytte tätschelte sich behutsam, als wollte sie nachprüfen, ob noch alle vier Pfoten an ihr dran waren.

„Du hast uns gerettet, Stellan“, krächzte Drei mit heiserer Stimme.

„Nein, nicht ich. Das war etwas anderes“, wehrte Stellan ab, immer noch leicht benommen.

„Nicht du? Was soll das heißen?“, fragte Drei.

„Ich wollte dich gerade loslassen, Drei. Ich hatte dich im Maul, konnte aber nicht atmen, und dann … dann war da … ich weiß nicht, wie ich es erklären soll – eine Kraft, eine geheimnisvolle Kraft, vielleicht eine Strömung oder so …“ Er schaute auf den Fluss, den neu entstandenen Fluss, der ins Meer strömte. Die Byssenklamm, die sie durchschwommen hatten, existierte nicht mehr. Die Landschaft hatte sich völlig verändert.

„Wie sollen wir jetzt den richtigen Weg finden?“, stieß Jytte hervor, die ungewohnt panisch reagierte. „Und wie kommen wir zu Pa?“

„Keine Angst, Jytte.“ Stellan versuchte, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken, während er sich niedergeschlagen umblickte. Alles, was sie unter Skagens Anleitung so sorgfältig geplant hatten, war auf einen Schlag wertlos geworden.

„Keine Angst?“ Jyttes Stimme war kaum wiederzuerkennen, sie quiekte vor Wut und Enttäuschung. „Bist du verrückt? Die Welt hat uns einen bösen Streich gespielt. Alles ist aus den Fugen. Wie sollen wir jetzt den Bau des Immerfrosts finden?“ Bebend vor Entrüstung blickte sie sich um. Das war ja fast so, als hätte jemand absichtlich alles über den Haufen geworfen! „Nichts ist mehr wie auf unseren Karten“, schnaubte sie.

Drei sah Stellan an. „Lass mich auf deine Schultern klettern, Stellan. Dann kann ich besser sehen.“

Stellan kauerte sich nieder und Drei kletterte auf seine Schultern.

„Und jetzt mach dich so groß, wie du nur kannst“, sagte Stellan zu Drei.

„Und? Siehst du was?“, fragte Jytte aufgeregt.

Drei antwortete nicht gleich. „Dieser Fluss endet im Meer, dem Wintermeer, glaube ich, aber …“

„Aber was?“, hakte Stellan nach. Wenn sie in dieser neuen Landschaft nichts Vertrautes entdeckten, würden sie nie zum Bau des Immerfrosts finden.

„Da ist noch was.“ Drei spähte mit zusammengekniffenen Augen auf die fremde Szenerie vor ihnen. Neue Rinnen und Wasserwege hatten sich zwischen dem geborstenen Eis geöffnet und gaben den Blick auf etwas Scharfes, Blitzendes frei, das an die Oberfläche drängte. Und da – es waren gleich mehrere von diesen Dingern. „Das ist komisch“, murmelte Drei.

„Was?“, fragte Stellan, diesmal noch ungeduldiger.

„Etwas Langes, Scharfes, aber es sind nicht die Stoßzähne von Zahngehern.“

„Na hoffentlich!“, schnaubte Jytte.

Stellan spürte einen scharfen Schmerz in seiner Hüfte. Dort hatte ihn der Zahngeher erwischt, der ihnen damals den toten Belugawal abjagen wollte.

„Sieht irgendwie dünner und schärfer aus als die Stoßzähne von Zahngehern.“

„Jetzt sag doch endlich, was ist es? Was siehst du da?“, fauchte Stellan gereizt. Der Schmerz in seiner Hüfte wurde immer stärker, ein bohrender, pochender Schmerz.

„Weiß nicht“, murmelte Drei und starrte auf die seltsamen weißen Elfenbeinnadeln im Wasser. Die Rinnen wimmelten jetzt davon. Ein Schwarm von kleinen Vögeln schoss hinunter und zischte sofort wieder hoch, als hätten sie zu spät erkannt, wie nahe sie den tödlichen weißen Speeren gekommen waren. Das Nadelheer glitt näher auf das Eisschelf zu, auf dem die Bärenjungen hockten. Ein eigentümliches Klicken erfüllte die Luft. Stellan erkannte das Geräusch sofort wieder und seine Angst löste sich in Luft auf. Das also war die unerklärliche Kraft gewesen, die ihn an die Oberfläche getragen hatte.

„Wale“, flüsterte Stellan. „Die Geschöpfe, die uns gerettet haben.“

Die Wale kamen näher, tauchten einen Augenblick aus dem Wasser auf, um gleich darauf wieder hinabzusinken. Die seltsamen, spitz zulaufenden Elfenbeinnadeln – ihre Stoßzähne – schimmerten im Licht. In Wahrheit waren es spiralförmige Stoßzähne, wie die drei Jungen jetzt sehen konnten, als das Gewimmel nahe genug war. Langsam schwenkten die Wale ihre Stoßzähne im weichen Licht, ein atemberaubender Anblick. Dann jagten die geheimnisvollen Wassergeschöpfe Gischtfontänen in die Höhe, bis die ganze Luft davon erfüllt war.

„Nar… das sind Narwale“, wisperte Stellan. „Sie haben uns gerettet.“

„Du meinst, diese unsichtbare Kraft, das waren sie?“, fragte Drei ehrfürchtig.

„Ja! Sie haben dich gehalten, als mir die Luft ausging und ich schon dachte, ich hätte dich auf den tiefsten Meeresgrund fallen lassen.“

„Genau!“, rief Jytte. „Mama hat uns erzählt, dass ‚nar’ auf Altkrakisch ‚edel’ bedeutet. Das hier sind edle Wale. Narwale.“

Im selben Moment schnellte eines der majestätischen Geschöpfe aus dem Wasser und klopfte mit seinem gedrechselten Stoßzahn auf die Kante des Eisschelfs.

Und dann war es vorbei. Der Wal drehte ab und schwamm davon wie ein Komet, im Meer geboren, in einer Nacht, die nichts als Wasser war. Die drei Jungen blieben lange still, eine tiefe Ruhe senkte sich über sie.

Stellan drehte sich zu Jytte um und legte ihr eine Pfote auf die Schulter. „Wir finden den Bau des Immerfrosts, Jytte. Und wir finden unseren Pa. Ganz bestimmt. Ich weiß es einfach.“

Stellan glitt vom Eisschelf ins Wasser. Jytte und Drei folgten ihm. Das Wintermeer war voll hüpfender Eisstücke, die sich in dem unerklärlichen Sturm von den Berghängen gelöst hatten. Aber von den Narwalen keine Spur. Nichts rührte sich mehr, nur das Krachen und Splittern des Wintereises hallte in der Luft wider, denn der Frühling war gekommen und bald würde der Sommer folgen.

„Sieh mal einer an!“, hörten sie eine schwache Stimme rufen, als sie an einer Eisscholle entlangpaddelten. Jyttes Ohren zuckten. War es wirklich eine Stimme gewesen oder nur das leise Quieken des Eises? Das Eis quiekte nämlich ein wenig, bevor es zerbarst.

„Wer redet da?“, fragte Jytte.

„Ich.“ Die Stimme klang krächzend und brüchig und schien direkt aus dem Eis zu kommen.

Sprechendes Eis? Lächerlich!, dachte Jytte kopfschüttelnd.

Drei hatte die Stimme auch gehört. In seinen Ohren klang es, als redete ein winziges Geschöpf im Schlaf, während es durch einen bösen Traum irrte. Der Gedanke jagte ihm Schauer über den Rücken. Er selbst war manchmal auch sehr weit im Traum gewandert, nicht immer in seinen eigenen Träumen, sondern in denen anderer Geschöpfe. Drei war ein Traumgeher, wie manche es nannten. Andere hätten vielleicht gesagt, dass er die Gabe des zweiten Gesichts besitze.

„Hauch mich an“, flüsterte die Stimme.

„Was?“ Jytte hörte auf zu schwimmen und begann Wasser zu treten. Sie suchte den Rand der Eisscholle ab, hielt nach dem Besitzer der krächzenden Stimme Ausschau.

„Hier drüben. Nein … nicht mehr … sprechen … mein … Kopf … fällt sonst ab … einfach nur atmen …“

Mach ich doch, dachte Jytte, während sie mit den Augen die Eisböschung absuchte. Ich atme die ganze Zeit. Dann bemerkte sie einen kleinen grünen Kopf mit vorquellenden Augen, die von einer dünnen Eisschicht eingefasst waren. Die Augen starrten sie an.

„Du liebes bisschen!“, stieß Jytte hervor, als eines der Augen in dem grünen Kopf zu zwinkern begann.

„Ahhhh, es gibt doch nichts Besseres auf der Welt als griffige Doppelkonsonanten. ‚Bisschen …’ Da schmilzt einem glatt die Eiskruste weg“, sieß die Kreatur hervor.

„Was redest du da? Ich verstehe kein Wort.“ Jytte beobachtete gebannt, wie das merkwürdige Tier aus seinem frostigen Panzer auftauchte. Es war kaum halb so groß wie ihre Pfote und hatte eine seltsame grünliche Farbe.

„Hättest du einen Umlaut benutzt, zum Beispiel ‚auweh’ oder ‚auwei’ oder ‚eieiei’ … das hätte nicht funktioniert. Da wäre ich nicht aufgetaut. Aber zum Glück hast du ja ‚du liebes bisschen’ gesagt!“

„Was ist ein Doppelkonsonant? Und ein Umlaut?“, fragte Jytte.

„Mit wem redest du da?“, fragte Drei. Er hatte Jytte gerade eingeholt, zusammen mit Stellan, und jetzt traten sie ebenfalls Wasser.

Jytte drehte sich zu ihnen um. „Das weiß ich auch nicht so genau.“

„Lithobates sylvaticus“, verkündete das Wesen.

„Was?“, rief Stellan verblüfft. Was waren das für fremdartige Laute? Und erst diese seltsame kleine Gestalt, die sie von sich gegeben hatte!

„Ah, fantastisch, Jungchen! Dieser Atemstoß aus deiner mächtigen Lunge war alles, was noch gefehlt hat, um mich zu befreien.“

Und tatsächlich schmolz die Eishülle, in der das Tierchen steckte, unter Stellans warmem Atemhauch im Pfotenumdrehen weg. Jetzt hüpfte die Kreatur vom Rand der Eisscholle näher zum Wasser.

„Darf ich mich vorstellen? Ich bin, wie gesagt, ein Lithobates sylvaticus. Das ist der Name meiner Gattung. Und es bedeutet Waldfrosch. Ihr könnt mich auch einfach Sylvia nennen.“

„Waldfrosch oder Wortfrosch?“ Jytte schwirrte der Kopf von den vielen neuen Wörtern.

„Oh, ein wenig von beidem, aber wir wollen es nicht zu technisch angehen. Auf jeden Fall habe ich euch gespürt. Und ihr seid keine Sekunde zu früh gekommen.“

„Zu früh? Wofür?“, fragte Drei.

„Bevor der Sommer richtig anfängt. Ich bin nämlich, wenn ich das so sagen darf, ein Frosch für alle Jahreszeiten. Aber jetzt ist der richtige Sommer noch nicht da. Und ehrlich gesagt, ist es auch ein falscher Frühling. Wenn ich versucht hätte, mich aus meinem Eissarg zu befreien, hätte ich mir wahrscheinlich ein Bein gebrochen. Oder in diesem Fall, das Genick.“

„Aus deinem Eissarg?“, fragte Jytte. Das Wort klang irgendwie gruselig. „Was ist das?“

„Meine Totenkiste, mein Schrein, mein Sarkophag … oder wie wir Geschöpfe, die im Tiefschlaf überwintern, es nennen: mein Hibernaclum, mein Eisgrab.“

„Das sind Worte, die wir noch nie gehört haben“, sagte Drei.

„Es sind Todesworte“, entgegnete der Frosch gelassen.

„Aber du bist doch am Leben“, wandte Drei ein, während Stellan und Jytte den Waldfrosch nur staunend anstarrten.

„Mag sein, aber davor war ich tot.“

„Davor warst du tot?“ Jytte blinzelte. „Ich dachte, man kann nur einmal sterben. Und dann für immer.“

„Du sprichst in Rätseln“, sagte Stellan. Er verstand es einfach nicht – war diese Kreatur nun tot oder lebendig? Oder irgendetwas dazwischen? Nein, das war unmöglich.

„Du hast recht, ich spreche wirklich in Rätseln. Meine Art stirbt im Winter, müsst ihr wissen. Wir frieren ein. Unser Blut fließt nicht mehr. Unsere Augäpfel sind mit Eis überzogen und unser Herz hört auf zu schlagen.“

Jyttes Augen weiteten sich vor Staunen. „Du meinst, es hört richtig zu schlagen auf?“