Das Waschbrettbauch-Massaker - Kurt Frischengruber - E-Book

Das Waschbrettbauch-Massaker E-Book

Kurt Frischengruber

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Beschreibung

Ein scheinbar irrer Messermörder treibt sein Unwesen in der Landeshauptstadt aller Kärntner. Und das ausgerechnet vor der wichtigsten Sportveranstaltung des Jahres. Der brutale Killer hat sich die bisher höchst erfolgreichen Sportler des städtischen Triathlonvereines als Opfer auserkoren, denn spätestens nach dem dritten Mord erkennen sogar die eher planlos agierenden Vertreter der Kriminalabteilung 2 ein klares Schema im Ablauf der Morde und der Wahl der Opfer. Glauben sie zumindest. Ist der Täter also doch kein wahllos mordender Irrer, sondern tötet er nach einem genauen Plan? Kommt er gar aus der Triathlonszene? Für den völlig unsportlichen und leicht demotivierten Oberstleutnant der Kriminalpolizei Hannes Senekowitsch und seinen frisch von der Polizeischule gefangenen Inspektor gestalten sich die Ermittlungen nicht gerade leichter, als sich auch auf diversen Nebenschauplätzen weitere hässliche Morde ereignen. Und während sich die Triathleten aus ganz Europa einen packenden Wettkampf mit unerwartetem Ende liefern, beginnt auch das hektische Finale der Mörderjagd – ebenfalls mit einem durchaus überraschenden Ausgang.

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Inhaltsverzeichnis

Das Waschbrettbauch Massaker

Impressum

Meinungen

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Epilog

Über den Autor

Vielen Dank, vielen Dank!

Das Waschbrettbauch Massaker

Kurt Frischengruber

Impressum

Handlung und handelnde Personen sind frei erfunden. Jede Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und lebenden Personen ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

 

eISBN: 978-3-902900-88-3

E-Book-Ausgabe: 2015

2014 echomedia buchverlag ges.m.b.h.

Media Quarter Marx 3.2

A-1030 Wien, Maria-Jacobi-Gasse 1

Alle Rechte vorbehalten

 

Produktion: Ilse Helmreich

Layout: Brigitte Lang

Covergestaltung: Elisabeth Waidhofer

Coverfotos: iStockphoto / vuk8691 & cajoer

Lektorat: Christine Wiesenhofer

E-Book-Produktion: Drusala, s.r.o., Frýdek-Místek

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.echomedia-buch.at

Für Urli, Resi und Hans.

Meinungen

Der Triathlon ist eine Ausdauersportart, bestehend aus einem Mehrkampf in den Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen mit ununterbrochener Zeitnahme.

(Wikipedia)

 

 

Triathleten sind solche Sportler, die in den einzelnen Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen so fürchterlich schlecht sind, dass sie nur durch die völlig sinnlose Aneinanderreihung dieser Disziplinen bzw. Zeiten irgendwie Beachtung bzw. Aufnahme in irgendwelche Ergebnislisten finden.

(ein bekannter Sportjournalist)

 

 

Sollen diese richtigen Deppen nur trainieren,

bis sie tot umfallen!

(der Oberstleutnant der Kriminalpolizei

Hannes Senekowitsch)

 

 

Sport ist Mord!

(aus dem Volksmund)

1

„Ihr wisst ja gar nicht, was ihr versäumt, schwachbrüstige Schattenparker, impotente“, dachte sich Dreier, als er den Reißverschluss seines neuen Neoprenanzuges langsam und lässig ganz nach oben zippte. Obwohl jetzt eigentlich objektiv betrachtet – langsam und lässig war vollkommen umsonst, weil ja um diese beinahe noch nachtschlafende Zeit keine Menschenseele zu sehen war. Keiner da, der da eventuell hätte zuschauen können. Alle noch in ihren warmen Bettchen, bis zur Nasenspitze zugedeckt, „diese Versager, Schnarchsäcke, Loser, Fettärsche, Jammerlappen, Weicheier, Warmduscher, Beckenrandschwimmer, Säufer!“

Dreier zog seinen Bauch ein, obwohl da ja eigentlich gar keiner war, weil hundertprozentiges, trainingsplanbedingtes, klassisches Waschbrettbauchsyndrom.

Nicht ein Lufthauch war zu spüren und wieder einmal hatte der durchtrainierte Vorzeige-Triathlet den See praktisch für sich allein. Die Digitalanzeige seiner Pulsuhr sprang auf 05.55. Routiniert zog sich Dreier die knallrote Badehaube über seine täglich frisch renovierte Stoppelglatze, versteckte den Autoschlüssel auf dem linken Vorderreifen seines alten, rostigen Volvos, schnappte sich seine Schwimmbrille und kletterte leichtfüßig über die nicht allzu hohe Uferböschung ganz hinunter zum See. Ein leichter Nebelschleier schwebte über dem Wasser, sonst nichts. Kein Laut, keine Bewegung auf der bläulich schimmernden Oberfläche, nicht einmal ein paar Mücken, ganz genau nichts. Die wenigen, eher klein gehaltenen und auch nicht mehr ganz so taufrischen Segel- und Ruderboote lagen noch fest vertäut an den ebenfalls schon etwas antiquierten Holzstegen der kleinen Marina am Klagenfurter Lendkanal, klassische Vierfarb-Touristenprospektidylle pur.

Dreier atmete mehrmals tief durch. Ready to go. Volle Konzentration. Ausgangsstellung. Durchstrecken. Umschauen. Auf den See schauen. Aufschauen. Noch einmal Umschauen. Noch einmal auf den See schauen. Zehen einziehen. Absprung. Kopfhaltung. Körper strecken. Luft anhalten. Eintauchen. Tauchphase. Auftauchen. Zehen wieder ausfahren. Lustschrei. Umschauen. Obwohl auch umschauen völlig überflüssig, weil sonst eh keiner da war, keine Menschenseele weit und breit.

Ein kurzer Druck auf die Pulsuhr, ein heftiges Ausblasen, ein intensives, sehr zufriedenes Stöhnen, beinahe schon ein Grunzen, und sofort zog Dreier mit rhythmischen, kräftigen Armschlägen eine pfeilgerade, weiß schäumende Schwimmspur durch das sonst absolut ruhige Wasser. Jetzt erst fühlte er sich wirklich gut. Jetzt war er in seinem Element. Schwimmen war ihm von den drei Einzelsportarten im klassischen Triathlon ja schon immer die liebste gewesen. Beim Schwimmen zeigte Dreier seinen in etwa gleichaltrigen Konkurrenten in der sogenannten M50-Klasse auch fast bei jedem Rennen immer wieder ganz klar den Auspuff. Seinen knapp zweiundfünfzig Lenzen zum Trotz fühlte sich Dreier noch immer wie ein fünfundzwanzigjähriger Fisch im Wasser. Da brachte ihn die altersbedingt vom Triathlonverband festgelegte und somit leider unvermeidliche M50-Klasse (= männlich, über 50 Jahre) nicht wirklich aus der Ruhe. Fit wie ein Turnschuh, machte sich Dreier meist mehr Gedanken über seinen nächsten One-Night-Stand als über die Tücken des Älterwerdens. Von den sporadisch auftauchenden, aber auch meistens schnell wieder verschwindenden Kreuzschmerzen jetzt einmal abgesehen. „Na ja, hat eh schon fast ein jeder in diesem Alter“, dachte er sich dann, „zuzüglich Prostataproblemen und Haarausfall.“ Außerdem, auch dieser etwas eigenartige Doktor Schmidinger – sein langjähriger Sportarzt – hatte letztens fast bewundernd „Alter, du bist ja noch beinander wie ein Dreißigjähriger“ von sich gegeben. „Mehr trainieren und weniger onanieren“, hatte Dreier darauf eher trocken geantwortet und wäre dabei vor Lachen beinahe vom Ergometer gefallen. Scherzergebnis, ein säuerlich eingefallenes Gesicht bei Doktor Schmidinger, aber völlig wurscht, weil laut Dreier war der gute Doc ohnehin ein richtiger Vollkoffer, absolut humorlos und sportlich unter jeder Kritik, nicht nur beim Triathlon.

Der Wörthersee fühlte sich angenehm frisch an. Es prickelte förmlich überall in Dreiers Gesicht. Ab und zu verirrte sich ein kleiner Schluck Seewasser in seinen Mund, eine Portion Wasserflöhe inklusive, doch das konnte den voll motivierten Dreier nicht davon abhalten, mit bestens aufeinander abgestimmten Arm- und Beinzügen, quasi wie ein halb aufgetauchtes Kampf-U-Boot durch die Badewanne der Kärntner zu pflügen. Die digitale Pulsanzeige seiner Uhr stieg rasch auf 145 Schläge. „Perfekt“, dachte sich Dreier, „Motor läuft, Betriebstemperatur erreicht, jetzt bin ich so richtig auf Touren, jetzt kann es ordentlich losgehen – Viererzug!“

Die erste der angepeilten roten Markierungsbojen zog flott links an ihm vorbei. Kurz hob er seinen Kopf, um seine Schwimmrichtung exakt beizubehalten, weil die entsprechende Orientierung im Wasser außerordentlich wichtig war für eine konkurrenzfähige Schwimmzeit. Auch die zweite Boje sah er schon näher kommen, als er plötzlich und irgendwie unerklärlich aus seinem nahezu perfekten Schwimmrhythmus geworfen wurde. Hoppla, was war denn das? Schwamm da irgendein selten saublöder Spaßvogel einfach so aus Jux und Tollerei hinter ihm her? Mehrmals glaubte Dreier, ein lautes Platschen oder so was Ähnliches von irgendwoher vernommen zu haben. „Unmöglich eigentlich“, dachte er sich. So früh traf er quasi nie auf einen Mitschwimmer und wenn wirklich einmal, dann konnte der sicher nicht einfach so locker hinter ihm herschwimmen, mit ihm mithalten im Wasser, wäre ja noch schöner. Trotzdem wurde Dreier ein wenig langsamer. Intuitiv, wie ohne sein Zutun. Ein eigenartiges, äußerst selten bis überhaupt nie verspürtes Gefühl der Beklemmung machte sich breit. Leicht panisch blickte er sich um. Aber nichts. Natürlich nichts. Absolut nichts. Kein Laut, kein Furz, kein noch so kleines Schaumkrönchen auf dem Wasser. Vorsichtig schob Dreier seine Schwimmbrille auf die Stirn, musste ein paar Mal kräftig gegen die behäbig aufgehende Sonne blinzeln, musste zweimal kräftig niesen. Welchen Schwachsinn hatte er sich da bloß wieder eingebildet?

Leicht verärgert schielte Dreier wieder auf seine Pulsuhr. Die ursprünglich angepeilte und in seinem Trainingsplan penibel vermerkte Soll-Trainingszeit war jetzt natürlich schon vollkommen futsch. Also folgten ein bewusstes Besinnen, ein Re-positionieren der Schwimmbrille, ein verächtliches Ausspucken, ein abermaliges Durchstrecken des muskulösen Bodys und der Versuch, wieder in seinen normalen Schwimmrhythmus zu kommen. „Dann eben nur noch Dreierzug“, dachte er sich, „was soll’s? Werden wir die geile Montschi heute Abend eben wieder einmal ordentlich durchziehen müssen, so quasi als Trainingsersatz außerhalb des Trainingsplanes. Und der korrekte Kalorienverbrauch wäre damit ganz nebenbei auch noch gewährleistet. Scheiß auf den Trainingsplan!“

Was hatte er sich da bloß wieder eingebildet? Wurde er jetzt möglicherweise doch langsam alt? Und war diese leidige M50-Klasse vielleicht doch die genau richtige Leistungsklasse für ihn? Umgeben von lauter Miniskusoperierten, Bandscheibenvorfallgestählten und potenziellen Hüftgelenksaustauschkanditaten? Jetzt musste Dreier schon wieder grinsen. Dachte kurz an das letzte Intensivwochenende mit Monika Mörz, Montschi genannt, innerhalb einer gewissen Zielgruppe verbal verfeinert auf die geile Montschi. Zuerst den ganzen Tag auf dem neuen, hypermodernen Carbonfaser-Mountainbike herumgeturnt. Dabei unzählige Höhenmeter gemacht. Geschwitzt wie die Pudel. Die dreierschen Eier ganz schön durchgeschaukelt. Dann am Abend im Bett den Puls trotzdem noch ordentlich weiter in die Höhe getrieben, ohne kontrollierende Pulsuhr versteht sich. Von wegen Ejakulationsprobleme oder Prostatabeschwerden. Da brauchte Dreier jetzt doch wirklich nicht an sein Alter denken oder an diese voll bescheuerte M50-Klasse, sondern sollte besser versuchen, wieder in einen ordentlichen Bewegungsablauf zu kommen. „Also los“, dachte er sich leicht verunsichert, „dann eben nur noch Zweierzug!“

Doch verdammt. „Himmelherrgottarschundzwirn!“ Schon wieder dieses eigenartige, mehrmalige, kräftige Platschen dicht hinter ihm. Oder doch unter ihm, wo die nächste rote Markierungsboje mittels einer dicken Stahlkette tief unten auf dem Seegrund verankert war? Oder links neben ihm, rechts neben ihm, vor ihm? „Das gibt es doch gar nicht“, murmelte Dreier jetzt schon regelrecht zornig. Ein wenig panisch geworden, fuhr er abermals abrupt herum. Drehte sich im Wasser einmal um die eigene Achse. Fuchtelte mit seinen beiden Armmuskelpaketen hektisch durch die glasklare Morgenluft. Beinahe fröhlich tanzten ein paar kräftige, weißgraue Schaumkronen hinter ihm auf der Oberfläche des Sees. „Meine eigenen? Natürlich meine eigenen, von wem denn sonst?“ Aber hatte er da nicht kurz einen schwarzen, lautlosen Schatten direkt unter sich durch das Wasser gleiten gesehen?

„Hey, ruhig Blut, alter Junge“, dachte sich Dreier, der jetzt wieder völlig zum Stillstand gekommen war. Aufrecht im Wasser postiert, strampelte er aus Stabilisationsgründen jetzt lediglich hin und wieder mit seinen Beinen. Wassertreten, wie man so sagt.

Schwimmbrille also wieder runter. Ausspucken. Durchatmen. Cool bleiben. Ja, vor allem cool bleiben. Und außerdem nachdenken. Nein, jetzt definitiv nicht an die geile Montschi denken. Nein, nachdenken, richtig nachdenken. Was konnte das denn schon groß gewesen sein? Ein mittlerer Fisch, ein größerer Fisch, ein Wasservogel oder doch der Scherz eines Triathlonkollegen? Zu wenig Schlaf, zu viel Sex, zu viel Training? Und schon wieder musste Dreier, der spürbaren Panik zum Trotz, ein wenig grinsen. Über sich selbst. Und auch über Monika Mörz. Ein echtes Prachtexemplar, ohne jeden Zweifel. Hirn, na ja, geht so. Aussehen, schon besser. Die Figur aber ohne jede Frage absolut 1a. Und die Titten, ach du meine Güte, Titten quasi für zwei. Aber was heißt da quasi für zwei? Genug Tittengröße vorhanden für ein halbes Damen-Triathlonteam. Sportlich außerdem schwer auf Zack. Die mit Abstand beste Triathletin im Verein. Zudem im Bett ein echter Volltreffer. Spaß und Spiel ohne Ende, Ausdauersportlerin eben und dazu noch äußerst kreativ. Da wurde im Training der klassische Triathlon dann immer öfters zum weniger klassischen Quadrathlon ausgebaut, trotz leidiger M50-Klasse.

Aber jetzt? Halfen ihm diese Gedanken in dieser Situation wirklich weiter? Abermals warf er einen Blick auf seine Pulsuhr. Puls eindeutig weiter im Steigen, trotz komplettem Stillstand im Wasser. Herzfrequenz definitiv nicht mehr im grünen Bereich. Die heutige Trainingszeit war inzwischen natürlich komplett zum Vergessen. Degradiert zum gemütlichen Wandertag im Wasser. War aber kein großes Problem für Dreier. Er war ohnehin schon wieder top in Form, und bis zum ersten Wettkampf der Saison – Olympische Distanz: 1500 Meter Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren, 10 Kilometer Laufen – war ja noch ein wenig Zeit. Also war dieser unfreiwillige Wandertag im Wasser kein Grund zur Aufregung, eher einfach zum Abhaken und zum Genießen. Abermals lugte Dreier in alle Schwimmrichtungen. Weit und breit nichts zu sehen. Schwimmbrille also schnell wieder über die Augen geschoben und die noch verbleibende Zeit nutzen für ein wenig schwimmende Regeneration. Gekonnt tauchte Dreier ab, versuchte, sich wieder ein wenig zu entspannen. Durch seine Schwimmbrille betrachtete er die Unterwasserwelt. Viel sehen konnte er allerdings nicht, denn das Wasser war ganz schön trüb hier draußen. Auch war die Schwimmbrille schon ein wenig angelaufen. Kein Wunder, bei dem ewigen Auf- und wieder Absetzen.

Viel, viel Wasser also um ihn herum. Absolute Trinkwasserqualität übrigens, zumindest laut dem Klagenfurter Langzeit-Bürgermeister Friedrich Bernsteiner, der jedes Jahr im Frühling äußerst medienwirksam ein Gläschen dieses Seewassers zu verkosten wusste, umringt von seinen Hofberichterstattungs-Journalisten.

Viel Wasser um ihn und außerdem noch ein paar dunkle Schatten unter ihm. Felsen? Holz? Illegal entsorgter Müll? Irgendeine Untiefe? Ein versunkenes U-Boot? Ein paar Meter vor ihm war die stählerne Kette einer weiteren Markierungsboje gerade noch zu erkennen. „Krokodil wird mich mit Sicherheit keines auffressen hier draußen, weißer Hai wohl auch keiner“, dachte Dreier, grinste erneut und begab sich ein weiteres Mal in Brustschwimmerposition. „Beschissener Altweiberstil“, dachte er, „aber sieht mich ohnehin keiner hier draußen!“

Brustschwimmen also zurück bis zum Ufer. Eine neue Erfahrung für Dreier, das würde er mit Sicherheit nicht einmal seiner Montschi erzählen. „Und was jetzt, verflucht“, dachte er sich, „was ist denn das schon wieder?“ Hatte sich der eine große, dunkle Schatten direkt unter ihm jetzt tatsächlich bewegt? Na, wenn schon, schließlich war er mitten im See, mitten in der Natur, da ging es eben etwas unruhiger zu als im städtischen Hallenbad.

Der große, schwarze Schatten unter ihm schoss plötzlich direkt auf ihn zu. Ungläubig, bewegungsunfähig, ja geschockt, starrte Dreier mit weit aufgerissenen Augen durch seine nun beinahe vollständig angelaufene Schwimmbrille nach unten. Kein Zweifel. Keine Einbildung. Kein Irrtum möglich. Jetzt war der dunkle Schatten nämlich nur noch ein paar Handbreit von ihm entfernt. Aber hoppla, was war denn das schon wieder? Von wegen schwarzer Schatten, registrierte Dreier. Das war kein Schatten, das war schlicht und ergreifend ein schwarzer Neoprenanzug. Außerdem eine Schwimmbrille und eine Schwimmhaube, alles in schwarz. „Verdammter Mist“, dachte er sich, „also doch einer dieser gehirnamputierten Vollidioten. Na warte, dir werde ich deine grenzdebilen Scherze aber jetzt ein für allemal austreiben!“

Ein kurzer Augenblick der Erleichterung, eine beinahe arrogante, lässige Abwehrbewegung mit der linken Schulter, ein versuchtes Tippen an die Stirn mit der einen, ein Ballen der Faust mit der anderen Hand, ein angedeuteter Fußtritt zum Schatten hin. Da verspürte Dreier den ersten brennenden Stich mitten in seinem Waschbrettbauch. Gewaltiger Schmerz, Höllenfeuer im Unterleib, unglaubliches Staunen, Panik pur, obwohl doch eigentlich auch schon wieder Faszination. Besser jetzt doch endlich Aufwachen aus diesem beschissenen Traum. Aufwachen, Alter! Einfach nur aufwachen! Dreier schrie. Der See erstickte den Schrei, Wasser drang in seinen Mund, der Schmerz kam wie ein wildes Tier. Ob weißer Hai oder doch Krokodil, vermochte Dreier in diesem Augenblick beim besten Willen nicht mehr zu definieren, unfreiwillige Definitionssperre sozusagen. Verzweifelt versuchte er eine Kraulbewegung nach vorne, um zu entkommen oder einfach nur, um irgendetwas zu tun. Schon spürte er den zweiten Stich, noch intensiver als den ersten. Dreier schrie abermals, riss seine Hände vor den aufgerissenen Bauch, spürte den dritten Stich, riss sich, aus welchen Gründen auch immer, die Schwimmbrille vom Kopf, zerrte an der Badehaube, trat mit den Füßen, boxte wutentbrannt ins Leere, spuckte, schrie, spuckte, schrie, spuckte, schrie. Schrie nicht mehr. Spuckte eine wahre Fontäne aus Blut. Spürte den vierten Stich nur noch peripher, dachte an Montschi, an die leidige M50-Klasse, an seinen Triathlonverein, an Mutter, Vater, Großvater, Großmutter, Bruder, Schwester, Krokodil, weißen Hai, Waschbrettbauch. Dachte dann an nichts mehr, spürte nichts mehr, nichts mehr, spürte absolut gar nichts mehr. Hatte genauer gesagt ausgespürt für immer.

Spürte auch nicht mehr, dass die Gestalt im schwarzen Neoprenanzug seinen Körper mit einer beinahe lässig anmutenden Handbewegung noch näher zu sich heranzog, um dieses blutige Werk stilgerecht und in aller Ruhe zu vollenden. Ein mächtiges Messer sauste herab auf den leblosen Körper, immer und immer wieder. Ein Meer von roten Blutblasen stieg behäbig hinauf an die Oberfläche, markierte schnell eine blutrote Stelle im ansonsten blaugrünen Ansichtskartensee. Dreiers Pulsuhr registrierte den Tod ihres Besitzers mit der notwendigen Präzision, absolutes Qualitätsprodukt eben. Mit einem monotonen Pieps erlosch die Anzeige für die Herzfrequenz, zeigte nur noch die Tageszeit: 06.24 Uhr.

Der schwarze Schatten war verschwunden, so schnell wie er gekommen war. Ein kleiner Mückenschwarm tanzte hektisch genau über dem roten Fleck auf dem Wasser. Dreiers Schwimmbrille trieb an die Oberfläche. Auch die knallrote Badehaube kam hoch und schaukelte irgendwie ein wenig zu beschwingt auf den Wellen. Trieb gemeinsam mit der Schwimmbrille mitten hinein in den blutroten Flecken im See.

2

Ungefähr 24 Stunden später, nur einige Kilometer entfernt vom mittlerweile wohl bereits sehr toten Vorzeigetriathleten Herbert Dreier, mitten in der Klagenfurter Altstadt. Der pinkfarbene Digitalwecker auf dem Nachttisch der schmucken Altbauwohnung zeigte 06.30 Uhr. Höchste Zeit zum Aufstehen eigentlich, weil ein kurzes Trainingsläufchen auch für diesen Morgen fix eingeplant war. Doch nichts dergleichen zu bemerken heute, denn die geile Montschi schrie, röchelte, japste, rang nach Luft, schwitzte, stöhnte, schien förmlich zu explodieren. Dünne Speichelfäden tropften ein wenig planlos aus ihrem weit aufgerissenen Mund hinunter auf ihre Brüste und weiter auf den Waschbrettbauch. Vermengten sich dort mit Schweiß, zogen dünne Rinnsale über die heiße, nackte, braun gebrannte, prickelnde Haut. Trafen sich dort beinahe liebevoll mit den Speichelfäden und dem Schweiß des unter ihr stöhnenden Waschbrettbauch-Lovers, welcher sich ebenfalls kurz vor der Explosion befand. Ein letztes Aufbäumen, ein letzter Lustschrei, ein letztes Durchstrecken der mächtig-prächtigen Hüften, dann ließ sich Monika Mörz schwer atmend zurück in den jetzt schon ordentlich angesabberten und schweißdurchnässten, karierten Polster ihres neuen, stylischen Doppelbettes fallen. Die jetzt verdammt geile Montschi blies ausgiebig die Luft aus, genussvoll, zufrieden, seelisch und körperlich im Einklang, aber auch am Ende ihrer Kräfte. Und das wollte was heißen.

Ebenso stöhnend und schwitzend war der durchaus attraktive Muskelmann unter ihrem dampfenden Körper heraus auf die andere Seite des Liebeslagers geglitten. Durchaus zufriedener Gesichtsausdruck auch bei ihm unschwer erkennbar. Montschis Stöhnen ging nahtlos über in das erschöpfte, zufriedene, etwas heisere Schnurren einer Katze. „Das war jetzt aber echt mehr als geil“, flüsterte sie weihnachtsglöckchenhell, „geil wie schon lange nicht mehr, das kannst du mir glauben.“ Genau beim Wort Orgasmus musste Mörz dann aber eher unfreiwillig an ihren Hin-und-Wieder-Lover Herbert Dreier denken, welcher ihr doch auch schon einige dieser Turbo-Orgasmen verschafft hatte, besonders beliebt nach gemeinsamen sportlichen Betätigungen, bevorzugterweise Triathlontrainings oder Mountainbike-Ausfahrten.

Zufälligerweise, wirklich absolut zufälligerweise, dachte Leopold Oschouschnig, genannt der schöne Leo, just in diesem Moment auch an seinen ewigen Konkurrenten, dieses arrogante Oberarschloch Dreier, dem er in der M50-Klasse meist aussichtslos hinterherhechelte, egal auf welcher Distanz, dem er aber scheinbar in puncto Orgasmus via Monika Mörz jetzt ein paar ordentliche Hörner aufgesetzt hatte. Warum ­Oschouschnig jetzt wohl ausgerechnet an Herbert Dreier denken musste? Intuition vielleicht? Einfach nur eine triathlontechnische Gedankenübertragung? Schadenfreude? Oder doch Neid? „Fickt dich dieser Idiot Dreier eigentlich auch noch immer?“, wollte Oschouschnig plötzlich und völlig unverblümt wissen. Monika Mörz überlegte nur kurz. „Ich wüsste wirklich nicht, was dich das angeht“, antwortete sie ziemlich wortkarg, „meine Lover suche ich mir schon noch selber aus, wenn du gestattest, und du bist tatsächlich nicht der Einzige!“

„Schon gut, geht mich ja nun wirklich nichts an, meine Süße, aber ausgerechnet dieser Dreier“, ließ Oschouschnig aber jetzt komischerweise nicht locker, „der ist ja wirklich das Allerletzte“.

„Also beim Triathlon staubt er dich aber jedes Mal ziemlich ab“, erwiderte Mörz schnippisch und wackelte dabei schon wieder sehr, sehr aufreizend mit ihrem schon leicht verblassten Arschgeweih. „Außerdem trainiere ich gerne mit ihm, aber wenn es dich tröstet, deiner ist größer, mein Kleiner!“

Leopold Oschouschnig benötigte ein paar Sekunden, um dieses Wortspiel auch wirklich zu begreifen, schaute kurz zufrieden hinunter auf seinen angeblich Größeren, setzte zu einer Antwort an, ließ es aber dann doch lieber sein, weil, na ja, weil die schon wieder fürchterlich geile Montschi hatte ihre Hand abermals nach seinem angeblich Größeren ausgestreckt und schnurrte und gurrte auf das Allerheftigste. „Scheiß drauf“, dachte sich der schöne Leo und ließ seinen noch immer schweißnassen Waschbrettbauch im Uhrzeigersinn für einige Sekunden über den riesigen Brüsten der geilen Montschi kreisen. Sein angeblich Größerer war jetzt aber auch wirklich wieder sehr groß geworden. Ziel anvisiert, durchtrainierter Triathletenkörper wieder in Ausgangsposition, Pulswerte dementsprechend natürlich wieder stark im Steigen. Jetzt noch schnell ein paar überflüssige Kalorien zu verbrennen, konnte ja auf keinen Fall schaden. Außerdem, es war massenhaft Zeit vorhanden, beiderseits. „Scheiß auf das Frühmorgenläufchen“, dachte sich die jetzt wieder extrem geile Montschi, „morgen ist schließlich auch noch ein Tag!“

3

Ebenfalls, wieder rein zufällig um 06.30 Uhr, am selben Morgen, draußen vor der Stadt, irgendwo am Ufer des Wörthersees an einer der wenigen Stellen, die noch öffentlich und vor allem kostenlos zugänglich waren.

„Neuer Tag, neues Glück“, dachte sich der Amtsrat Sieghard Sebastian Unterkircher, dem der Schädel gewaltig brummte, weil er gestern wieder heftig einen über den Durst getrunken hatte. Genau aus diesem kopfwehtechnischen Grund hatte sich Unterkircher präventiv schon am Vortag frei genommen, getarnt als normaler Krankenstand freilich, weil seine normalen Urlaubstage mittlerweile schon ziemlich aufgebraucht waren. Wobei ihm dieser Umstand keinerlei Gewissensbisse bereitete, schließlich ist ein heftig brummender Schnaps-Wein-und-Bier-Schädel alles andere als kerngesund, ergo kernkrank, und in seinem Job als Amtsrat der städtischen Finanzverwaltung nahm man diese Dinge ohnehin nicht so genau. Weil ja objektiv betrachtet eh nix zu tun war den ganzen Arbeitstag lang, eh keine Marie zum Verwalten mehr da, Ebbe im Budget, Kassa leer, wie man so sagt. Krankenstand ergo kein größeres Problem, eher sogar eine Erleichterung bei der täglichen Diensteinteilung. So hatten die Kollegen wenigstens ein bisschen mehr zu tun als nur herumzusitzen, an den Nägeln zu kauen oder im Internet zu surfen.

Das mächtige Schädelgedonnere also so gut als möglich ignorierend, hatte sich Unterkircher schon zeitig in der Früh so leise wie nur möglich aus dem gemeinsamen Ehebett gestohlen. Erstens, weil die Verdauungsgeräusche seiner, ihm seit mehr als 25 Jahren angetrauten Ehefrau, seinem allgemeinen Genesungsprozess nicht wirklich förderlich waren und zweitens, weil eine rasche Gesundung im Beisein seiner Frau sowieso von vornherein eine absolute „mission impossible“ gewesen wäre. Ehefrauenaugen auf bedeutete nämlich mit Sicherheit auch Ehefrauenschnabel auf und damit hundertprozentig auch Ehefrauenschnabel nicht mehr zu, den ganzen lieben, langen Krankenstandstag lang. Ehefrauengeschnattere im Stakkato unter Garantie. Nicht gerade erfüllt durch eine weltbewegende Themenauswahl oder durch neue, sensationelle Erkenntnisse und daher auch nicht gerade förderlich in puncto Abklingen der Kopfschmerzen, ganz im Gegenteil. Da saß der dicke Unterkircher lieber draußen am See und hielt seine Angel ein wenig lustlos ins glasklare Wasser. In diesem Sinne war das Fischefangen eigentlich völlig wurscht, gar nicht erst angepeilt, viel zu stressig, langsames Zurückgehen des Schädelgedröhns viel wichtiger, oberste Priorität.

„Heute bin ich wohl ganz allein hier draußen“, dachte sich Unterkircher noch leicht benebelt, „nicht einmal ein einziger dieser bescheuerten Triathlonvollidioten krebst heute da draußen im Wasser herum.“ Sport im Allgemeinen und dann natürlich die sportliche Extremversion Triathlon war für den gemütlichen Amtsrat quasi eine völlige Trottelei, weil erstens vertrieben diese Deppen immer die ohnehin schon recht wenigen Fische vor seiner Angel und zweitens „alles hirnamputierte, kleinschwänzige, tablettenschluckende Vollkoffer! Weil, warum um alles in der Welt freiwillig schwitzen?“

Unfreiwillig schwitzend holte sich Unterkircher ein erstes überlebenswichtiges Reparaturbierchen aus dem mitgebrachten Hightech-Kühlrucksack. Dieser Kühlrucksack gab außerdem ein nahezu perfektes Sitzkissen ab, also legte Unterkircher zuerst die restlichen mitgebrachten Bierflaschen in das seichte Uferwasser, beschwerte diese mit ein paar Steinen, um sich dann heftig keuchend mit seinem Allerwertesten auf besagtes Sitzkissen zu schmeißen und um so allmählich doch wieder zu gesunden. Erstes Reparaturbierchen sodann praktisch in Sekundenschnelle fast gänzlich ausgesoffen bis auf einen allerletzten Schluck. Kopfgedröhne sofort ein wenig im Abklingen, also hatte Unterkircher nicht viel mehr zu tun, als mit seinen müden Äuglein hinaus auf das Wasser zu starren. Fast wäre er so ins Land der Träume abgeglitten, weil er auch ein erhebliches Schlafdefizit aufzuweißen hatte, wäre da nicht sein enormer Reparaturbierdurst gewesen, der ihn quasi dazu zwang, den allerletzten Schluck aus seiner Flasche zu saugen, um sie daraufhin mit einem verächtlichen Grunzer hinaus aufs Wasser zu schleudern. Während er seine zitternden Finger schon gierig nach der nächsten Bierflasche ausstrecke, wartete er insgeheim auf das Aufschlagen der leeren Bierflasche auf der Wasseroberfläche, auf einen kleinen, frechen Platscher. Aber nix da Platscher, nix da Aufschlagen der Flasche auf dem Wasser, weil Aufschlagen der Flasche auf etwas ganz anderem. Nix Platsch, nur ein kaum vernehmbares Ping war zu hören. „Komisch“, dachte sich der rekonvaleszente Unterkircher, „sehr komisch, wenn nicht überhaupt äußerst bedenklich.“ Er versuchte, sich zu konzentrieren. Schwierig genug nach der letzten Nacht, weil Restalkohol natürlich schon wieder sehr stark vermischt mit Nachschubalkohol. Misstrauisch schielte er hinaus auf den See. „Vielleicht sollte ich doch nicht mehr so viel saufen“, dachte er sich und öffnete die zweite Flasche. Seine rot unterlaufenen, blau umrandeten, graugrünen Äuglein weiteten sich. „Häh? Was zum Teufel? Wie?“ Heftig zwickte er sich in seinen rechten Oberschenkel. Eigentlich konnte er gar nicht glauben, was er da sah, zu sehen schien. Oder was er sich vielleicht nur alkoholbedingt einbildete, da zu sehen. Delirium tremens? Alkoholismus im Endstadium?

Die leere Bierflasche war offensichtlich nicht wie geplant, unspektakulär auf die Wasseroberfläche geklatscht, sondern mitten drauf auf irgendein großes, schwarzes Etwas gefallen. Um danach auf diesem großen, schwarzen Etwas liegen zu bleiben und sonst gar nichts zu tun, die faule Sau, die leer gesoffene. Aber was heißt da liegen zu bleiben? Diese verdammte Bierflasche stand völlig aufrecht, wie von Hand hingestellt, auf diesem undefinierbaren großen, schwarzen Ding da draußen im See, nur ein paar läppische Meter vom Ufer entfernt.

Unterkircher nahm erneut einen kräftigen Schluck Gerstensaft, rülpste, kniff die Äuglein noch enger zusammen und versuchte, dieses schwarze Etwas da draußen genauer zu fixieren, besser einzuordnen, den Nebel zu lichten, das Rätsel zu lösen. Als er nach ein paar Sekunden der puren Konzentration die ersten Einzelheiten zu erkennen glaubte, spritzten ihm dicke Schweißperlen wie ein Wasserfall förmlich aus allen Poren. Ihm wurde eiskalt und dann wieder heiß, eiskalt und dann wieder heiß, eiskalt und dann wieder heiß, Schüttelfrostsyndrom. In einem Zug leerte er die zweite Flasche, rülpste erneut, schleuderte sie, nein, nicht auf den See hinaus, sondern sicherheitshalber auf die nahe Uferböschung, griff sich mit seiner rechten Hand an die Stelle, wo er sein Herz vermutete, erhob sich keuchend und stapfte, die Hosenbeine nach oben gekrempelt, wild entschlossen schnurstracks hinein ins kalte Wasser. Irgendwie fühlte er sich jetzt beinahe so wie ein richtiger Abenteurer, wie einst der große John Wayne oder zumindest so ähnlich.

„Hoffentlich bin ich nur besoffen, einfach nur besoffen“, dachte sich der Neo-Abenteurer Unterkircher-Wayne, doch als er dem großen, schwarzen Etwas ein wenig näher gekommen war, schwand diese Hoffnung rapide, schließlich konnte er diverse Einzelheiten jetzt immer deutlicher erkennen. Unterkircher schwankte. Ungläubig starrte er auf das bunte Vereinslogo des städtischen Triathlonvereines. „Jetzt ist es aus mit mir, jetzt hat mein allerletztes Stündlein geschlagen“, flüsterte Unterkircher und zitterte am ganzen Körper. „Jetzt sperren sie mich ein, jetzt habe ich ein für alle Mal ausgesoffen in diesem Leben. Jetzt habe ich doch glatt mit einer leeren Bierflasche einen dieser Vollkoffer-Triathleten erschlagen!“

Der Amtsrat Unterkircher war der vollkommenen Verzweiflung nunmehr sehr nahe. Wenn auch noch immer oder schon wieder stark alkoholisiert, Zweifel dennoch völlig ausgeschlossen, weil schwarzer Neoprenanzug mit Vereinslogo direkt vor ihm und außerdem ein paar Meter weiter draußen rote Schwimmhaube und Schwimmbrille gemächlich auf dem Wasser hin und her schaukelnd.

Fassungslos und völlig aufgelöst tappte er zurück ans Ufer, um sich seine dritte Flasche Bier (jetzt kein Reparaturbier mehr, sondern absolutes Überlebensbier) abzuholen und um zu überlegen, was jetzt wohl zu tun wäre, um einer drohenden Mordanklage – Tatwaffe Bierflasche, Alkoholkonsum aber ­sicher strafmildernd – vielleicht doch noch zu entgehen. Unterkircher sah sich um, keiner da, außer ihm selber und der mausetote Triathlet da draußen im Wasser. „Der muss weg von da, egal, wie und wohin. Aber dazu muss ich ihn wohl erst einmal da rausziehen, um ihn dann irgendwo an einer besser geeigneten Stelle für immer versinken zu lassen!“ Das Schädelgedröhne war in Anbetracht dieser komplizierten Gedankengänge völlig zum Erliegen gekommen. Fieberhaft überlegte er, was seine Frau wohl dazu sagen würde und beschloss, erst einmal seine dritte Flasche Bier zu leeren, um danach noch einmal hinaus zu dieser Wasserleiche zu waten, ganz egal, was seine Frau wohl dazu sagen würde. Ergo, dritte Flasche mit Hopfenwasser natürlich schnell wieder leer. Kein Problem soweit, weil Unterkirchers Rekord stand auf fünfundzwanzig großen Bierchen in einer Nacht anlässlich einer Weihnachtsfeier. Aber dennoch war die leere Tatwaffen-­Flasche draußen im See ein sehr großes Problem, weil Unterkircher eigentlich noch immer nicht recht wusste, was er jetzt eigentlich wirklich unternehmen sollte gegen diese beängs­tigende, absolute Gefährdung seines bisher eigentlich tadellosen Leumundes.

Schwankend, am ganzen Körper dampfend, stapfte er ­zurück ins knietiefe Wasser. Schwimmbrille und Schwimmhaube waren inzwischen ein wenig weiter hinaus auf den See getrieben, der tote Triathlet und die noch immer pfeilgerade stehende Bierflasche waren aber zu Unterkirchers Verzweiflung immer noch da. Eigentlich hatte er ja keine Angst vor Leichen, nie gehabt, die hatten doch eher etwas Friedlich-Unsportliches. In diesem Fall jedoch vermutete Unterkircher die Schuld ganz allein bei sich, dass diese Leiche eine Leiche geworden war, und er näherte sich deshalb nur sehr zögerlich. Schließlich stand er aber dann doch unmittelbar davor, wobei ihm das Seewasser noch immer nur gerade bis zu den heftig schlotternden Knien reichte. Verwirrt betrachtete der Amtsrat den Toten, Indizienlage laut Selbsteinschätzung mehr als erdrückend. Schwarzer Neoprenanzug, Wappen des bekannten Triathlonvereines, Stoppelglatze, Pulsuhr am Handgelenk, stehende Bierflasche ein wenig links unter dem Vereins­logo, drumherum ein wenig Blut. „Ach, du heilige Scheiße“, grunzte Unterkircher und wurde abermals von einem heftigen Schwindel erfasst, „das ist ja dieser Obermacho, das ist ja dieser Dreier!“

Jetzt wusste der Amtsrat Unterkircher nicht mehr, ob er jetzt lachen oder doch lieber weinen sollte. Lachen einerseits, weil dieser echte Unsympathler Dreier mausetot war, immerhin ein Trottel weniger in der Stadt. Weinen andererseits, weil dieser Dreier offensichtlich von seiner leeren Bierflasche erschlagen worden war und ergo fürchterliche Angst vorm Eingesperrtwerden, weil im Gefängnis regelmäßige und ausreichende Versorgung mit Alkohol keineswegs garantiert. Unterkircher schlug ein Kreuz, obwohl er das letzte Mal so ungefähr vor zehn Jahren eine Kirche von innen gesehen hatte, nahm seinen ganzen Mut zusammen, straffte sich, fluchte leise, schrie laut auf und dann packte er zu. Packte mit all seiner Kraft zu, um diese saublöde Dreierleiche irgendwie aus dem Wasser zu schaffen, Tatwaffe inklusive.

Langte also tatsächlich kräftig hin, so entschlossen wie nur möglich, aber da! Unterkircher erzitterte abermals heftigst, kotzte mehrmals im hohen Bogen über die Leiche in den See. Kotzte Unmengen von Bier und schrie. Unterkircher schrie wie von Sinnen, denn er konnte die eben neu gewonnene Erkenntnis kaum fassen. Scheinbar war er nämlich doch kein Mörder, kein skrupelloser Bierflaschenkiller, nur ein hirnverbrannter, verblödeter Säufer. Und die leere Bierflasche war augenscheinlich auch keine Tatwaffe. Triathletentot definitiv nicht durch den unglücklichen Bierflaschenwurf hervorgerufen, weil Unterkirchers Hände jetzt tief eingedrungen waren in Dreiers ehemaligen Waschbrettbauch, sich mitten drin befanden in den Eingeweiden des toten Triathleten, dessen Bauch von oben bis unten aufgeschlitzt worden war.

„Mit einer Bierflasche kann man keinen Bauch aufschlitzen!“, schrie Unterkircher, riss seine blutverschmierten Pratzen zurück an die frische Seeluft, starrte auf das bunte Gematsche rund um seine Finger, griff zitternd nach dem Handy in seiner Brusttasche, bekleckerte es ebenfalls ausgiebig mit Dreiers Eingeweidesaft und wählte, nein, nicht die Nummer seiner Frau, sondern treffsicher und durchaus durchdacht die Notrufnummer der Polizei.

„Meine Bierflasche hat ihn nicht erschlagen!“, schrie der Amtsrat wie von Sinnen in sein schleimüberzogenes Mobiltelefon, ehe seine Beine ohne jede Vorwarnung einfach unter ihm nachgaben, er wie ein gefällter Baum vornüberkippte und mit seinem Gesicht direkt in Dreiers Eingeweiden landete. Versank einfach mit seinem Kopf in Herbert Dreiers Waschbrettbauch. Gestank natürlich fürchterlich, Sicht null, aber zumindest kein akutes Kopfgedröhne mehr. Eigentlich gar nicht so ungemütlich bei näherer Betrachtung und im Sinne eines stressfreien Genesungsprozesses. Quasi ein Kopfwehtablettenersatz, wenn auch ein etwas ungewöhnlicher.

4

Schneller Szenenwechsel in eine schmucke Wohnung im Univiertel und direkt zu zwischenmenschlicher Vormittagsidylle pur. Fix und Foxi rasierten sich die wohlgeformten Beine. Gegenseitig. Und aus Koordinationsgründen natürlich nicht zeitgleich, sondern schön hintereinander. Also hatte Fix zuerst Foxis Beine komplett glatt rasiert und jetzt war eben Foxi bei Fix an der Reihe. Mit zärtlichen Bewegungen verteilte er das Rasierschaum-Gel auf Fixens Beinen, höchste erotische Anspannung inklusive, beide voll unter Strom, weil beide nur mit einer eng sitzenden, schwarzen, kurzen Radlerhose bekleidet und weil beide stockschwul bis zum Abwinken.

Fix und Foxi hießen natürlich nicht wirklich Fix und Foxi, das wäre jetzt aber wirklich zu viel des Guten. Fix hieß mit bürgerlichem Namen eigentlich ganz banal Horst Zwickenbarsch, während Foxi früher einmal auf den schlichten Namen Josef Klammer gehört hatte. Aber die Anrede Herr Zwickenbarsch oder Herr Klammer war längst Schnee von gestern. Fix und Foxi war schon vor Jahren vom lockeren Spitznamen zur eigentlich fixen, alleinigen Anrede mutiert, exakter Urheber nicht mehr definierbar. In jedem Fall war Fix durchaus dankbar für diese namenstechnische Mutation, war doch sein Familienname Zwickenbarsch nicht wirklich das Gelbe vom Ei, zu offensichtliche Reim-Möglichkeiten auf sein knackiges Hinterteil und überhaupt. Als Horst Zwickenbarsch und Josef Klammer kannte die beiden kaum noch jemand in der landesweiten Triathlonszene, maximal auf den diversen spitznamenfreien Anmelde- oder Ergebnislisten. Dafür waren Fix und Foxi absolute Begriffe im lokalen Triathlonsport. Beide übrigens weit weg von der M50-Klasse, sondern echte Eliteklassen-Starter und vor allem beim Radfahren wirklich extrem gut drauf, immer ganz vorne im Wind. Seit vielen Jahren gaben die beiden ein äußerst sportliches Pärchen ab, wohnten glücklich und zufrieden in einer modernen Wohnung mitten im Uni-Viertel und seit Jahren hatte man dieses farbenprächtige, schwule Duo in der Triathlonszene voll akzeptiert, obwohl bei den sogenannten eisernen Männern und Frauen schwul sein nicht gerade das Hipeste vom Hipen war. Dennoch, war die Leistung okay, war scheinbar auch das Schwulsein okay. Gelebte Fairness und Toleranz in der lokalen Triathlonszene ohne Zweifel vorhanden, zumindest nach außen hin.

Dafür war das Beinerasieren aber jetzt wirklich absolut hip bei fast allen Radfahrern und Triathleten, wobei über die wirklichen Beweggründe durchaus verschiedene Meinungen im Umlauf waren, bessere Hygiene, weniger Verletzungsgefahr, bessere Windschlüpfrigkeit, was auch immer. Für Fix und Foxi waren diese unterschiedlichen Beweggründe eigentlich schnurzpiepegal, weil für die beiden stand vor allem die regelmäßige, hoch erotische Enthaarungszeremonie im Vordergrund, mindestens einmal in der Woche. Die war nämlich, auf einen einfachen Nenner gebracht, ganz einfach nur geil.

Inzwischen war auch Foxi beinahe fertig mit besagter geiler Zeremonie an seinem Partner. Kontrollierend strichen seine Handflächen über die muskelbepackten Oberschenkel von Fix, wobei das eine oder andere Härchen, welches noch aufstand, letztendlich keinerlei Chance hatte, sich gegen den rosaroten Ladyshaver durchzusetzen, ratzfatz.

„Ich muss noch meine beiden Reifen aufpumpen vor unserer Trainingsausfahrt“, schnurrte Foxi plötzlich das Thema wechselnd und er meinte damit definitiv seine beiden Reifen am Rennrad, während seine Hand langsam, aber sicher von der eigentlichen Härchen-Kontrollstrecke abzuweichen drohte und sich jetzt doch eher auf das enge Radhöschen von Fix zubewegte. „Ja und dann volle Pulle eine ganze Seerunde, inklusive Bergwertung“, antwortete Fix schon spürbar erregt, „ein wenig mehr Regeneration ist laut unserem Trainingsplan ja erst wieder für die kommende Woche angesagt!“

Foxis Hände näherten sich dem schwarzen Radlerhöschen des Partners dessen ungeachtet weiter unaufhaltsam mittels zärtlichen, kreisenden Bewegungen. „Hast du eigentlich im Verein nachgefragt, ob jemand mitradelt heute?“, wollte er von seinem Trainingspartner und Lover wissen. „Nein, aber die wissen ja ohnehin alle, dass wir am Mittwoch kurz nach dem Mittagessen immer eine Trainingsrunde um den See fahren“, antwortete Fix, „warten wir einmal ab, vielleicht kommt ja der eine oder der andere. Bis dahin haben wir aber noch genügend Zeit für ein wenig Entspannung, oder?“ Ja genau, nunmehr war erst einmal Entspannung angesagt im Liebesnest der beiden, noch vor der geplanten Trainingsausfahrt. Foxis Hände hatten das Höschen von Fix erreicht. „Entspannung ist immer gut“, krächzte er und ließ den Ladyshaver achtlos auf den Badezimmerboden crashen. Die Pulswerte befanden sich jetzt natürlich im Steilflug, leicht feststellbar, auch ohne Pulsmessgerät, steigende Temperatur nämlich auch in der Wohnung, gerötete Gesichter, höhere Töne, heißere Ohren. Aufgeblasene Reifen auch, aber jetzt nicht unbedingt bei den Rennrädern. Alles zu seiner Zeit.

5

Früher Abend am selben Tag. Die Vorstandssitzung des örtlichen Triathlonvereines fand dieses Mal – und nicht zum ersten Mal – im schattigen Gastgarten des Gasthauses Seeblick statt. Nicht nur, weil der Besitzer des Seeblicks ein aktives und vor allem auch ein förderndes Mitglied des Vereines war, sondern auch, weil man es bei dieser Hitze im viel zu kleinen Besprechungsraum des Vereinsbüros nun aber wirklich nicht lange ausgehalten hätte. Außerdem war der schattige Gastgarten auch ein glasklares Synonym für kaltes Bier, und mit dem konnte man im Vereinsbüro schon gar nicht erst aufwarten.

Obmann, Stellvertreter und Kassier des Triathlonvereines waren seit Jahren ein perfekt eingespieltes Team, ja eigentlich auch ein perfekt eingesoffenes. Die aktive Triathletenzeit längst vorbei, der eigene Waschbrettbauch schon lange Vergangenheit (falls überhaupt jemals vorhanden) und der durchschnittliche Bierkonsum pro Vorstandsmitglied und pro Tag ungefähr auf demselben extrem hohen Level. Irgendwie passte da die immer braun gebrannte, vollbusige Vereinsschriftführerin nicht wirklich dazu, in ihren hautengen Designer-Trainingsklamotten. War aber andererseits ein notwendiges Übel, weil ohne aktiven Sportler oder aktive Sportlerin im Vorstand waren diese Sitzungen beschlussmäßig auch nicht das Wahre, zu viel Theorie, zu wenig Praxis. Außerdem war die Schriftführerin schon sehr lange mit an Bord, sehr kompetent und sehr engagiert. Und was wirklich zählte, sie war selber noch aktiv im Triathlonsport und auch durchaus erfolgreich, wenn auch nicht unbedingt mehr die Allerjüngste, eher schon Vorstufe zur W50-Klasse.

„Vorgestern habe ich Herbert Dreier getroffen“, begann der Vereinsobmann Sepp Putzgruber die Diskussion nach einer sehr kurzen, offiziellen Begrüßung, nach der Vorstellung der aktuellen Tagesordnungspunkte und nach einem großen Bier ex. „Der hat mich schon wieder auf das leidige Thema Nenngelder für seine Starts angesprochen, immer dasselbe.“ „Mich hat er diesbezüglich auch schon zwei- oder dreimal ungut angequatscht“, wusste daraufhin auch der Obmann-Stellvertreter Mike Mössler zu berichten, „aber da dürfen wir jetzt einfach nicht so mir nix dir nix nachgeben, der kann sich seine Nenngelder doch wirklich ohne Probleme selber leisten.“ Kurz hob der Obmann Putzgruber nach diesem Statement seines Stellvertreters die Hand, um sich ein zweites großes Bier zu ordern, bevor er fortfuhr, sich themenmäßig dazupassend zu ärgern. „Vorgestern hat er überhaupt gesagt, dass er sich einen anderen Verein suchen wird, wenn wir ihm die Nenngelder für seine Starts nicht wieder zurückzahlen, dieses präpotente Arschloch, ’tschuldigung, aber das muss auch einmal gesagt werden!“

Bei diesen nicht gerade höflichen Worten ihres Obmanns zuckte die Vereinsschriftführerin Monika Mörz kurz, aber sehr heftig zusammen. Beschloss dennoch, sich wenn möglich nichts anmerken zu lassen und auf keinen Fall zu intensiv Partei für Herbert Dreier zu ergreifen, weil Sex und Vereinsangelegenheiten zweifelsohne zwei verschiedene Paar Sportschuhe waren und weil außerdem ihre intensive sportliche und vor allem auch sehr intensive sexuelle Beziehung zu Herbert Dreier wirklich niemanden etwas anging, schon gar nicht diese drei unsportlichen Vereinsfuzzis und Wichtigtuer. Trotzdem konnte sich die geile Montschi die spitze Bemerkung „präpotentes Arschloch schreibe ich aber jetzt nicht ins Protokoll“ nicht verkneifen, was der Obmann Putzgruber durch das zeitgleiche Austrinken seines zweiten Bieres einfach ignorierte. „Wir fördern seit Jahren talentierte Jugendliche, indem wir die Startgelder übernehmen, aber nicht altersschwache M50-Klasse-Heinis“, mischte sich nun auch der etwas klein geratene Vereinskassier Horsti Senekowitsch in die Debatte, „steht sogar in unseren Vereinsstatuten. Soll er sich halt einen anderen Verein suchen, wenn er unbedingt meint, dieser nicht teamfähige Präpotenzler!“ Arschloch? Altersschwacher M50-Klasse-Heini? Präpotenzler? Jetzt konnte sich Monika Mörz doch nicht mehr ganz zurückhalten und ergriff das Wort, damit gleichzeitig auch relativ eindeutig Partei für Herbert Dreier, wobei es ihr aber gut gelang, relativ neutral, ja beinahe gelangweilt zu wirken. „Herbert Dreier ist einer der erfolgreichsten Triathleten unseres Vereines und hat noch in jeder Saison ein paar Podiumsplätze abgeräumt, nicht wirklich schlecht für unser Image, würde ich meinen, wenn auch nur noch in der M50-Klasse“, bemerkte die geile Montschi, momentan alles andere als geil, „und von altersschwach kann da echt keine Rede sein, ganz im Gegensatz zu einigen anderen.“

„Wen meinst du denn mit einigen anderen?“, wollte der Horsti Senekowitsch daraufhin relativ aufgeregt von ihr wissen, doch blieb der Schriftführerin eine Antwort erspart, weil der Obmann Putzgruber dessen ungeachtet lautstark nach dem Kellner, nach seinem dritten Bier und nach der Speisekarte rief, was wiederum den Stellvertreter Mössler dazu veranlasste, gleich noch eine Runde doppelte Schnäpse für die durstigen Vorstände zu ordern, die geile Montschi natürlich ausgenommen, weil die ja noch nie einen Schnaps mitgetrunken hatte.

„Ein bisschen weniger Alkohol bei unseren Vorstandssitzungen, meine Herren, und wir hätten Herbert Dreiers Startgeld für den nächsten Triathlon schon herinnen“, wurde Monika Mörz jetzt dennoch ziemlich frech und nippte dabei aufreizend an ihrem naturtrüben Apfelsaft. Diese Art der Diskussion konnten der Obmann, der Stellvertreter und der Kassier aber jetzt gar nicht gebrauchen. Wäre ja noch schöner, nur wegen diesem Dreier die Alkoholmengen momentaner und zukünftiger Vorstandssitzungen ernsthaft infrage zu stellen. „Na ja, was soll’s, Leute“, leitete Putzgruber deshalb seinen Kompromissvorschlag überraschend schnell ein, „wenn er beim kommenden Heimbewerb wieder unter die ersten drei kommt, kriegt er sein Startgeld eben wieder zurück. Alle einverstanden?“

Mössler und Senekowitsch beschränkten sich auf ein ­kurzes Nicken, waren sie doch inzwischen schon viel zu sehr mit dem genauen Studium der ziemlich umfangreichen Speisekarte des Seeblicks beschäftigt, und so blieb es an der Schriftführerin Mörz, diese einstimmige Einigung mit wenigen Worten im aktuellen Sitzungsprotokoll zu vermerken. „Wenn er unter die ersten drei kommt“, murmelte sie, während Putzgruber schon mit leichtem Zungenschlag sein viertes Bier ­bestellte. Thema abgehackt, nächster Tagesordnungspunkt: neuer, potenter Vereinssponsor in Aussicht, ja Gespräche darüber quasi kurz vor dem erfolgreichen Abschluss. Beste Kontakte der männlichen Vereinsvorstände zur örtlichen Bierbrauerei endlich erfolgreich intensiviert. Nur noch entsprechend umzusetzen, ganz im Sinne des Vereines, Jahressponsorbetrag noch genau zu vereinbaren und in diesem Zusammenhang auch ein entsprechender Naturalrabatt, lieferbar frei Haus. Was in Zukunft natürlich noch mehr wichtige Vorstandssitzungen im Seeblick zur Folge haben könnte und damit noch mehr Freibier für die Herren Vorstände. Herrliche Zeiten in Sicht. Zumindest für einige.

6

Rückblende um einige wenige Stunden. Zum See und zur Fundstelle der von oben bis unten aufgeschlitzten Wasserleiche. Wie ein Riesenhaufen Elend hockte der Bierflaschenwerfer Sieghard Sebastian Unterkircher auf dem unbequemen, dafür aber mobilen Bergesessel des Rettungsautos, mit dem man ihn ein klein wenig weg von der Leiche im Neoprenanzug auf einen nahe gelegenen kleinen Parkplatz geschleppt hatte. Die noch relativ junge, sehr attraktive Polizeiärztin hätte dem ermordeten Herbert Dreier sicher gefallen, weil sportliche Figur und alles, was so dazu gehört. Sie hatte Unterkirchers Gesicht inzwischen mit nassen Tüchern so halbwegs gereinigt, zumindest waren auf den ersten Blick keine eingetrockneten Eingeweidereste mehr von Herbert Dreier in seinem Gesicht auszumachen. Der Leichenauffinder selber war aber scheinbar völlig weggetreten, brabbelte unverständliches Zeug, zeigte immer wieder mit seinen Fingern hinaus auf die Stelle, an der er Dreiers Innereien unfreiwillig liebkost hatte und konnte es nicht vermeiden, noch immer in regelmäßigen Abständen pure Galle auf seine schon über und über besudelten Anglerstiefel zu kotzen. Herbert Dreiers sterbliche Überreste hatte man schon fachgemäß aus dem See gefischt, sein von oben bis unten aufgeschlitzter Triathletenkörper lag inklusive Waschbrettbauch rücklings am Ufer. Die leere Bierflasche war rechts daneben postiert, am Horizont war die Sonne gerade dabei, hinter zwei markanten Berggipfeln zu verschwinden, und ein rot-weißes Absperrband flatterte beinahe gemütlich im Wind. Fehlten eigentlich nur noch ein paar kamerabeschwerte Touristen zum ansichtskartenmäßigen Urlaubsglück.

Mächtig stolz und mit einer sich fast überschlagenden Stimme vermeldete die Polizeiärztin einen ersten, spektakulären Ermittlungserfolg. Eigentlich hatte sie Unterkirchers Handy aber nur deshalb so schnell gefunden, weil dieses blöde Ding mitten drinnen in Dreiers Eingeweiden plötzlich völlig pietätlos zu klingeln begonnen hatte. Abheben wollte aber unter diesen makaberen Umständen doch lieber niemand.

„Sport ist Mord!“, bemerkte der ebenfalls schon anwesende leitende Ermittlungsbeamte Oberstleutnant Hannes Senekowitsch, ein kleiner, etwas rundlicher Mittfünfziger, staubtrocken mit einem kurzen Seitenblick auf die Leiche.

Senekowitsch? Da lag wohl eine offensichtliche Namensgleichheit mit dem Vereinskassier vor, was aber leicht erklärbar war, weil der Oberstleutnant zufälligerweise direkt verwandt war mit dem Triathlonvereinskassier Horsti Senekowitsch, sein Cousin war, um es noch genauer zu definieren.

Der Oberstleutnant der Kriminalpolizei Senekowitsch und sein Team von der Kriminalabteilung 2 waren kurz zuvor eingetroffen – nach Unterkirchers leicht konfusem Anruf in der Notrufzentrale – und hatten erst einmal die Lage gepeilt. „Stressfrei“, wie der erfahrene Kriminalist Hannes Senekowitsch zu sagen und auch dementsprechend zu amtshandeln pflegte, nur keinen Herzinfarkt riskieren. Beide Herren Senekowitsch konnten übrigens die Blutsverwandtschaft kaum in Abrede stellen, weil die Ähnlichkeiten doch sehr, sehr groß waren, sprich eigentlich klein, zumindest körperlich. Beide gleich klein, beide eher gleich gemütlich so unterwegs im täglichen Leben und beide absolut nichts am Hut mit Leistungssport, geschweige denn mit Triathlon, sieht man von den ehrenamtlichen Tätigkeiten des Kassiers für den städtischen Triathlonverein einmal ab. Den Ermittler Senekowitsch hatte diese leidige Mordsache wieder einmal völlig auf dem falschen Fuß erwischt, zur völlig falschen Zeit genauer gesagt, weil jetzt konnte er seine eben erst begonnene Fastenkur gleich wieder abbrechen. Wer konnte schon eine nervenaufreibende Fastenkur gebrauchen, wenn er auf der anderen Seite sein gesamtes Hirnschmalz in Sachen Mördersuche abrufen musste. Dieser ewige und auf Dauer einfach nicht zu gewinnende Kampf mit den Kilos. Da konnte der bekennende Passivsportler und Chefermittler schon ein langes Lied davon singen. Was wiederum viel mit dem frühen Tod seiner Frau und mit dem sofortigen Aufgeben des Rauchens nach ihrem Ableben zu tun hatte. Seitdem kam der Oberstleutnant an keiner Schokolade oder an keinem Chipspackerl mehr vorbei, ohne sofort unbarmherzig zuschlagen zu müssen. Ersatz für diese blöden Glimmstängel eben.

Das allseits bekannte Logo des Triathlonvereines auf dem schwarzen Neoprenanzug der Wasserleiche war dem Oberstleutnant natürlich sofort aufgefallen, und irgendwie kam ihm der tote Triathlet auch ziemlich bekannt vor, sehr ziemlich bekannt sogar, aber momentanes absolutes Personen-Zuordnungs-Blackout, übrigens nicht das erste Mal. Seit seine geliebte Frau ihn verlassen hatte, ging es scheinbar überhaupt nur noch bergab, zumindest bildete er sich das des Öfteren ein. Hannes Senekowitsch zückte gerade sein Diensthandy, um nähere Informationen über den Toten bei seinem Cousin Vereinskassier einzuholen, als er bemerkte, dass der Hobbyangler Unterkircher zwar noch immer im Bergesessel des Rettungsautos saß und unverständliches Zeug daherbrabbelte, aber zwischendurch auch immer wieder eindeutig drei Finger extrem abgespreizt in die laue Frühsommerluft streckte. „Der will uns doch etwas sagen“, dachte Senekowitsch halblaut, „drei Bier wird er ja jetzt wohl hoffentlich nicht bestellen wollen!“

„Soweit ich das bis jetzt beurteilen kann, könnte es sich um drei, vielleicht aber auch vier Einstiche handeln, bevor er dann gänzlich aufgeschlitzt wurde“, bemerkte die fesche Ärztin, „aber das kann der Zeuge unmöglich wissen, obwohl er mit seinem Gesicht ja ziemlich tief drinnen war im eigentlichen Tatort, sozusagen.“

Unterkirchers Handy läutete erneut, schließlich war seine Ehefrau auch als ziemlich hartnäckig bekannt. Abheben war aber jetzt definitiv nicht mehr möglich, hatte die Polizeiärztin das Telefon inklusive der klebrigen Masse doch mittlerweile streng nach Vorschrift in eine dünne Plastikhülle verpackt und somit endgültig als Beweismittel sichergestellt. Ab sofort also kein Anschluss mehr unter dieser Nummer.

„Die Tatwaffe war höchstwahrscheinlich ein verdammt scharfes Messer“, meinte die Ärztin zu ihrem Chef, „typisches Tauchermesser würde ich sagen, die eine Seite der Klinge flach, die andere Seite mit diesen charakteristischen Zacken, Genaueres natürlich erst nach der Obduktion.“

„Aha“, grummelte der Oberstleutnant eher abwesend, wollte gerade wieder zu seinem Diensthandy greifen, um seinen Cousin doch noch anzurufen, als Unterkircher abermals seine ganze kriminalistische Aufmerksamkeit einforderte. „Drei“, stammelte der Amtsrat plötzlich spuckend und schwitzend, nach Luft japsend, „drei, drei, drei“ und streckte dabei immer wieder seine drei Finger in die Luft, jetzt definitiv nicht, um die vielen Fliegen um ihn herum zu verscheuchen, nein, das definitiv nicht, das war auch für den Chefermittler und sein Team klar erkennbar.

„Drei? Was um alles in der Welt meint der Idiot mit drei?“, fragte die Ärztin in die Runde, „hoffentlich liegen da nicht noch zwei weitere Leichen herum im Gebüsch oder draußen im See!“

„Drei Finger? Drei Leichen? Drei Uhr? Drei Bier? Nicht den blassesten Schimmer, was dieser Komiker meint“, bemerkte Oberstleutnant Senekowitsch, als es ihn plötzlich wie vom Blitz getroffen durchzuckte und er vor lauter Durchzucken beinahe rücklings in den See gefallen wäre. „Ich verdammter Idiot, wo ist denn mein Personengedächtnis geblieben, wo mein kriminalistisches Feingefühl“, stotterte Senekowitsch sichtlich betroffen. Wieder einmal sehnte er sich intensiv nach einem Glimmstängel, lutschte stattdessen leicht schmatzend an seinem rechten Daumen. Dann beförderte er mittels Fußtritt eine weitere herumliegende, leere Bierflasche hinaus in den See und begann, wie von der berühmten Tarantel gestochen um den noch immer hektisch brabbelnden und wild gestikulierenden Unterkircher herumzuhopsen. „Drei!“, schrie jetzt auch der Oberstleutnant wie aufgezogen, „drei, drei, drei!“ Verstohlen tippte sich die Polizeiärztin an die hübsche Stirn, denn der hopsende und schreiende Oberstleutnant begann jetzt ebenfalls, wie völlig von dieser öden Welt entrückt, drei Finger in die Luft zu strecken.

Ein erhebendes Bild. Unterkircher, sitzend im Bergesessel des Rettungsautos, und Senekowitsch um diesen Sessel herumtanzend. Beide dabei beinahe synchron drei Finger in die Luft streckend und beide beinahe im Duett immer wieder „drei, drei, drei“ schreiend, man möchte es eigentlich nicht für möglich halten.

Kurz dachte die Polizeiärztin schon daran, einen weiteren Rettungswagen für ihren Chef anzufordern, doch dann kam eigentlich schon gar nicht mehr erwartet die Auflösung.

„Drei bedeutet nicht drei!“, schrie Senekowitsch mit hochrotem Kopf. „Vier?“, fragte die Polizeiärztin völlig unmotiviert. „Fünf?“, setzte der ebenfalls anwesende, quasi frisch von der Polizeischule gefangene, junge Kriminalinspektor noch eins drauf. Der Chefermittler schien zu erbeben, schien auf der Stelle zerplatzen zu wollen. Platzte aber dann doch nur verbal. „Drei bedeutet nicht drei, ihr kriminalistischen Schwachköpfe. Drei bedeutet schlicht und ergreifend Dreier!“, brüllte er, und sein Schädel schien dabei förmlich zu zerspringen.

„Dreier, Dreier, Dreier!“, brabbelte jetzt auch der Amtsrat Unterkircher und reckte seine drei Finger noch weiter in die Frühsommerluft. „Der Tote ist Herbert Dreier“, hatte sich der Oberstleutnant schnell im Griff. „Herbert Dreier, ein bekannter Triathlet im Verein meines Cousins und ein ziemlich wilder Hund, sportlich und auch auf anderen Ebenen!“

Der etwas übereifrige Inspektor kritzelte ein paar Zeilen in seinen Notizblock, und der dicke Unterkircher war jetzt endgültig in eine redlich verdiente Ohnmacht gefallen. Das sichergestellte Handy klingelte erneut im staatseigenen Plastiksackerl. So war die Ohnmacht wohl auch besser für Unterkircher, ohne Stress. Und Stress würde er mit seiner Ehefrau noch genug bekommen, weil völlig unglaubliche Geschichte, ob mit oder ohne Bier, ob mit oder ohne Eingeweideresten im Gesicht. Das würde sie ihm niemals glauben. Unter gar keinen Umständen. In hundert Jahren nicht.

7

Dr. Michael Schmidinger, praktizierender Sportmediziner und gleichzeitig betreuender Arzt des Triathlonvereines, saß am unaufgeräumten Schreibtisch seiner schmucklosen Ordination in der Innenstadt und blätterte lustlos in den Ergebnissen der letzten sportmedizinischen Testreihe seiner ihm anvertrauten Triathleten.

Selber konnte der gute Doktor mit Sport und im Speziellen mit Triathlon nicht wirklich viel anfangen, weil auch er wie die meisten anderen Funktionäre absolut unsportlich war, quasi schon als Antisportler das Licht der Welt erblickt hatte.

In wirtschaftlicher Hinsicht aber war es eine durchaus ­interessante Zusammenarbeit für den Mediziner. Relativ viel Schotter für relativ wenig Leistung, sportärztliche Haupteinnahmequelle schon über die Jahre. Trotzdem war da schon irgendwie auch der Neid sein latenter Begleiter. Neid auf die tollen sportlichen Erfolge der einzelnen Vereinsmitglieder. Neid auf die durchtrainierten, gestählten Waschbrettbäuche. Neid aber auch auf die diversen erotischen Eroberungen der einzelnen Athleten, welche man in der Szene immer wieder gerne hinter vorgehaltener Hand genüsslich kolportierte. Schmidinger konnte auch da nicht mithalten, absolut chancenlos, Gene dazu nicht geeignet. Dürre, lange Bohnenstange könnte man sagen, beinahe rachitisch, postpubertäre Pickel im Gesicht und erotische Ausstrahlung weit unter jeder weiblichen Wahrnehmungsschwelle. Daher waren seine erotischen Erfolge im bisherigen Leben auch dementsprechend gering bis eigentlich gar nicht vorhanden, abgesehen vom gelegentlichen sportärztlichen Handbetrieb in der Ordination unter Zuhilfenahme von diversem erotischem Anschauungsmaterial. Aber sonst tote Hose im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht einmal bei der geilen Montschi hatte der gute Onkel Doktor landen können, und die war doch angeblich sonst nicht so abgeneigt.

Obwohl, probiert hatte er es schon bei der Vereinsschriftführerin. Beim letzten Fitness-Check nämlich, gar nicht so lange her, da hatte ihr der Doktor nicht nur Blut zwecks Ermittlung der Laktatwerte aus dem kessen Öhrchen abgezapft. Auch ihre prächtigen Titten hatte er damals kräftig begrapscht, na ja, zumindest kräftig begrapschen wollen, aber nur kurz, weil sofortige sehr heftige und sehr negative Reaktion von Mörz. „Du perverses Schwein“, hatte Montschi mit hochrotem Gesicht noch auf dem Ergometer sitzend hinausposaunt und sodann dem geilen Möchtegern-Grapscher spontan eine volle Breitseite auf seine lange Nase verpasst, sodass sich das abgenommene Blut ihres Laktattests gleich mit dem heftig ausspritzenden Blut aus Doktor Schmidingers Nase irgendwie vermischt hatte. Es folgte die sofortige Verarztung des Arztes durch seine Patientin, ohne viele Worte. Seitdem war eine tiefe Verachtung spürbar, durchaus gegenseitig. Aber andererseits auch wieder nicht so fürchterlich dramatisch. Weil jetzt doch sehr, sehr schlechtes Gewissen bei Monika Mörz vorherrschend, scheinbar doch zu viel Blut aus der sportärztlichen Nase. Ein sehr schlechtes Gewissen aber auch beim notgeilen Schmidinger, weil Medizinerehre und hippokratischer Eid und überhaupt.