Das Zen-Prinzip - Osho - E-Book

Das Zen-Prinzip E-Book

OSHO

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Beschreibung

"Zen ist ein Spiegel, ist eine Reflexion dessen, was ist. Zen mischt sich nicht mit irgendwelchen menschlichen Vorstellungen ein. Es bevorzugt nichts. Es fügt nichts hinzu, es lässt nichts weg. Deswegen ist Zen paradox – weil das Leben paradox ist. Wenn du sowohl das Gute wie das Schlechte akzeptierst und nichts bevorzugst, halten das Gute und das Schlechte einander die Waage, heben das Negative und das Positive einander auf. Plötzlich tritt Stille ein, gibt es weder Gut noch Böse – gibt es lediglich die Existenz, ohne jedes Werturteil."

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Seitenzahl: 278

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Dieses Buch ist eine gekürzte Version des unten genannten englischen Originaltitels. Alle Osho Diskurse sind als Originale publiziert worden und als Original-Audios erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden sie unter der online Bibliothek „Osho Library“ bei www.osho.com

Titel der Originalausgabe

Zen: The Path of Paradox

Ebookausgabe 2020

Umschlaggestaltung: Bunda S. Watermeier

Übersetzung: Prem Nirvano

Zusammengestellt von Sarito Carol Neiman

Copyright © 2005 Osho International Foundation. Alle Rechte vorbehalten

OSHO® ist eine registrierte Handelsmarke der Osho International Foundation, Schweiz, lizensiert durch diese. www.osho.com/trademarks

Copyright © 2005 Edition Osho in der Innenwelt Verlag GmbH, Köln

Alle Rechte vorbehalten.

eISBN 978-3-947508-71-6

OSHO

DAS ZEN PRINZIP

DER WEG DES PARADOXES

INHALT

Einführung

1. Ein leerer Himmel

2. Zu viel Zen

3. Der Gouverneur von Kyoto

4. Der Mann auf dem Berg

5. Ein gut gezielter Tritt

6. Der Weg des Paradoxes

Über den Autor

EINFÜHRUNG

INTRODUCTION

Zen geht über Buddha und über Laotse hinaus. Er stellt eine Vollendung und ein Transzendieren dar, sowohl des indischen Genius wie des chinesischen Genius. Der indische Genius erlangte seinen höchsten Gipfel in Gautama Buddha, und der chinesische Genius erlangte seinen höchsten Gipfel in Laotse. Und ihr Zusammentreffen … da verschmolz die Essenz der Lehre Buddhas mit der Essenz der Lehre Laotses zu einem einzigen Strom, so tief, dass sie heute nicht mehr auseinander zu halten sind. Man kann sogar nicht mehr sagen, was von Buddha stammt und was von Laotse, so restlos sind sie miteinander verschmolzen. Was da stattfand, ist nicht nur eine Synthese, sondern eine Integration. Aus dieser Begegnung wurde Zen geboren. Zen ist weder buddhistisch noch taoistisch und dennoch beides zugleich.

Vom „Zen-Buddhismus“ zu sprechen ist unrichtig, denn es ist weit mehr. Buddha ist nicht so irdisch wie Zen. Laotse ist ungemein irdisch, aber ganz so irdisch ist Zen wiederum nicht: Seine Vision verwandelt die Erde zum Himmel. Laotse ist irdisch, Buddha ist jenseitig, Zen ist beides – und indem es beides ist, gibt es einfach nichts Außerordentlicheres.

Die Zukunft der Menschheit wird sich immer mehr dem Ansatz von Zen annähern; denn die Begegnung des Ostens mit dem Westen ist nur durch so etwas wie Zen möglich – das irdisch und dennoch jenseitig ist. Der Westen ist sehr irdisch, der Osten ist sehr jenseitig. Wer soll da die Brücke bilden? Buddha kann die Brücke nicht sein; er ist der Inbegriff alles Östlichen, der eigentliche Duft des Ostens, ohne Kompromisse. Buddha ist so jenseitig, dass man ihn nicht zu fassen bekommt – wie sollte er da die Brücke bilden?

Laotse kann auch nicht die Brücke sein; er ist zu irdisch. China ist seit eh und je sehr irdisch gewesen. China gehört eher der westlichen Psyche als der östlichen Psyche an. Es ist kein Zufall, dass China das erste Land des Ostens war, das kommunistisch wurde, das materialistisch wurde, das eine gottlose Philosophie annahm, das den Menschen für nichts weiter als nur Materie halten konnte. Das kommt nicht von ungefähr. China ist schon seit fast fünftausend Jahren irdisch gewesen; es ist sehr westlich. Folglich eignet sich Laotse nicht als Brücke; er ist mehr wie Sorbas der Grieche.

Wenn ich mich so umsehe, scheint mir Zen die einzige Möglichkeit zu sein; denn im Zen sind Buddha und Laotse eins geworden. Die Begegnung hat bereits stattgefunden. Die Saat ist da, das Saatkorn für jene große Brücke, die Osten und Westen vereinigen kann. Zen wird sich als der große Treffpunkt erweisen. Es hat eine große Zukunft – eine große Vergangenheit und eine große Zukunft. Und das Wunder ist, dass Zen weder an der Vergangenheit noch an der Zukunft interessiert ist. Sein gesamtes Interesse gilt der Gegenwart. Vielleicht wird gerade das das Wunder möglich machen, denn die Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft ist die Gegenwart. Die Gegenwart gehört nicht der Zeit an. Habt ihr je darüber nachgedacht? Wie lang ist die Gegenwart? Die Vergangenheit hat eine Dauer, die Zukunft hat eine Dauer. Was ist die Dauer der Gegenwart? Zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, könnt ihr da die Gegenwart messen? Sie ist nicht zu messen; sie existiert praktisch nicht. Sie ist gar keine Zeit: Mit ihr dringt die Ewigkeit in die Zeit ein.

Und Zen lebt im Augenblick. Alles was es lehrt ist, in der Gegenwart zu sein: Wie schafft man es, der Vergangenheit, die nicht mehr da ist, zu entgehen, und sich auf die Zukunft, die noch nicht da ist, nicht einzulassen und einfach nur in dem, was ist, zu wurzeln und zentriert zu sein?

Der ganze Ansatz des Zen ist einer der Unmittelbarkeit. Aber eben darum kann es die Brücke bilden zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Es kann vieles überbrücken: Es kann Brücke sein zwischen Vergangenheit und Zukunft, es kann Brücke sein zwischen dem Osten und dem Westen, es kann Brücke sein zwischen Körper und Seele. Es kann Brücke sein zwischen schier unüberbrückbaren Welten – dem Diesseits und dem Jenseits, dem Weltlichen und dem Geheiligten.

1

EIN LEERER HIMMEL

AN EMPTY SKY

WIE DER LEERE HIMMEL HAT ES KEINE GRENZEN,

UND IST DOCH UNMITTELBAR HIER,

STETS TIEF UND KLAR.

WENN DU ES ZU ERKENNEN SUCHST,

KANNST DU ES NICHT SEHEN.

DU KANNST ES NICHT BEHALTEN,

ABER DU KANNST ES AUCH NICHT VERLIEREN.

INDEM DU ES NICHT ERFASSEN KANNST,

ERFASST DU ES.

WENN DU STILL BIST, SPRICHT ES.

WENN DU SPRICHST, IST ES STILL.

DAS GROSSE TOR STEHT WEIT OFFEN

UM ALMOSEN ZU GEWÄHREN,

UND KEINE MENGE VERSPERRT DEN WEG.

Ein paar grundsätzliche Dinge vorweg … Zen ist keine Theologie, sondern eine Religion. Und eine Religion ohne Theologie ist etwas Einmaliges. Alle anderen Religionen fußen auf der Vorstellung von einem Gott. Sie haben alle eine Theologie. Sie orientieren sich an Gott, nicht am Menschen: Es geht ihnen nicht um den Menschen, sondern um Gott. Nur für Zen gilt das nicht. Für Zen steht der Mensch im Mittelpunkt, ist der Mensch um seiner selbst willen da. Gott ist nicht etwas über der Menschheit, Gott ist etwas, das sich im Innern des Menschseins verbirgt: Der Mensch trägt Gott in sich, als sein Potenzial.

Folglich gibt es im Zen keine Gottesvorstellung. Wenn man will, kann man sogar sagen, dass es nicht einmal eine Religion ist – denn wie sollte es eine Religion ohne Gottesvorstellung geben? Vor allem Menschen, die als Christen, Muslime, Hindus oder Juden aufgewachsen sind, können sich einfach nicht vorstellen, was für eine Art Religion Zen eigentlich sein soll. Wenn es keinen Gott darin gibt, wird es damit zu Atheismus – was es aber nicht ist. Zen ist theistisch bis ins Mark – nur ohne Gott.

Dies ist der erste Grundsatz, den es hier zu verstehen gilt. Lasst ihn tief in euch einsinken und alles wird klar werden. Für Zen ist Gott nicht der Überbau der Religion, sondern in ihr enthalten. Er ist nicht irgendwo dort, sondern hier. Tatsächlich gibt es für Zen überhaupt kein Dort, ihm ist alles Hier.

Gott ist nicht Dann, sondern Jetzt – und eine andere Zeit gibt es nicht. Es gibt weder einen anderen Raum noch eine andere Zeit. Dieser Augenblick ist alles. In diesem Augenblick kommt die gesamte Existenz zusammen, in diesem Augenblick ist alles da. Wenn du das nicht erkennen kannst, heißt das nicht, dass es nicht da ist, sondern lediglich, dass dir der Blick dafür fehlt. Nach Gott brauchst du nicht erst zu suchen; du brauchst nur die Augen aufzumachen. Gott ist bereits der Fall. Gebet ist für Zen belanglos – zu wem denn beten? Es gibt keinen Gott, der irgendwo in den Himmeln thront und das Leben und die Schöpfung lenkt. Es gibt keinen Lenker. Das Leben spielt sich in Harmonie ab – ganz von sich aus. Da ist niemand, der es von außen befehligt. Gäbe es so eine äußere Autorität, wäre das eine Art Sklaverei. Der Christ wird zum Sklaven; desgleichen der Muslime. Wenn es Gott gibt, der Befehle erteilt, kannst du allenfalls nur ein Diener oder ein Sklave sein, verlierst du jegliche Würde. Nicht so im Zen. Zen verleiht dir eine gewaltige Würde. Da gibt es nirgendwo eine Autorität. Deine Freiheit ist absolut und endgültig.

Hätte Friedrich Nietzsche etwas von Zen gewusst, hätte aus ihm ein Mystiker werden können; stattdessen wurde er wahnsinnig. Er war auf eine bedeutende Tatsache gestoßen. Er sagte: „Es gibt keinen Gott. Gott ist tot – und der Mensch ist frei.“ Aber letztlich war er in der Welt der Juden und der Christen groß geworden – einer sehr engen Welt, bis obenhin von Begriffen zugenagelt. Irgendwie stolperte er auf eine große Wahrheit: Es gibt keinen Gott, Gott ist tot, folglich ist der Mensch frei. Damit war er auf die Würde der Freiheit gestoßen, aber das war zu viel: Das war für seinen Geist zu viel. Er wurde verrückt, wurde zum Berserker. Hätte er etwas von Zen geahnt, wäre er ein Mystiker geworden. Er hätte nicht verrückt zu werden brauchen.

Man kann auch ohne einen Gott religiös sein. Ja, wie kann man mit einem Gott religiös sein? Das ist die Frage, die Zen stellt, eine tief aufrüttelnde Frage: Wie kann ein Mensch mit einem Gott religiös sein? – denn Gott wird deine Freiheit zunichte machen, Gott wird dich beherrschen. Ihr könnt im Alten Testament nachschlagen, wo Gott sagt: „Ich bin ein sehr eifersüchtiger Gott, ich dulde keine anderen Götter neben mir. Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich. Und ich bin ein sehr gewalttätiger und grausamer Gott und ich werde dich zerstören und du wirst ins ewige Höllenfeuer geworfen werden!“ Wie kann der Mensch mit so einem Gott religiös sein? Wie kannst du da frei sein und wie sollst du da aufblühen? Ohne Freiheit ist kein Aufblühen möglich. Wie sollst du dein Bestes geben, wenn da ein Gott ist, der dich zwingt, der dich verdammt, der dich von hierhin nach dorthin treibt, dich manipuliert?

Zen zufolge wird der Mensch mit einem Gott Sklave bleiben, wird der Mensch mit einem Gott ein Götzenanbeter bleiben, wird der Mensch weiterhin in Angst leben. Wie sollst du in Angst aufblühen? Du wirst schrumpfen, du wirst vertrocknen, du wirst absterben. Zen zufolge waltet ohne einen Gott eine gewaltige Freiheit, waltet in der Existenz keine Autorität. Die Folge davon ist eine enorme Verantwortung. Denn seht: Solange ihr von jemandem beherrscht werdet, könnt ihr euch nicht verantwortlich fühlen. Autorität führt zwangsläufig zu Unverantwortlichkeit; Autorität führt zu Widerstand; Autorität führt zu Reaktion, reizt euch zu rebellieren – dann wollt ihr Gott umbringen.

Genau das meint Nietzsche, wenn er sagt: „Gott ist tot“ – nicht etwa, dass Gott Selbstmord begangen hat oder ermordet worden ist. Sondern dass man ihn ermorden muss. Mit ihm gibt es keine Möglichkeit frei zu sein – nur ohne ihn. Aber dann bekam Nietzsche es selber mit der Angst zu tun. Ohne Gott zu leben erfordert enorm viel Mut, ohne Gott zu leben erfordert enorm viel Meditation, ohne Gott zu leben erfordert eine enorme Bewusstheit – daran mangelte es. Darum sage ich immer: Er ist auf diese Tatsache gestoßen, es war eigentlich keine Entdeckung. Er hatte nur so im Dunkeln getappt.

Für Zen ist das eine Entdeckung, ist das eine unumstößliche Tatsache: Es gibt keinen Gott. Der Mensch ist für sich selber verantwortlich – und für die Welt, in der er lebt. Wenn es Leid gibt, seid ihr verantwortlich, niemand anderes. Ihr könnt eure Verantwortung nicht abwälzen. Wenn die Welt abstoßend ist und viel Schmerz erleidet, können wir niemanden dafür verantwortlich machen als uns selbst. Wir müssen die Verantwortung übernehmen.

Wenn es keinen Gott gibt, bist du auf dich selber zurückgeworfen. Nur so kann Wachstum geschehen, und wachsen musst du. Du musst dein Leben meistern, musst die Zügel selbst in die Hand nehmen, denn jetzt hast du das Sagen, also musst du umsichtiger und wachsamer vorgehen, denn egal was passiert, du wirst verantwortlich sein. Das ist eine Riesenverantwortung. So fängt man an, umsichtiger, wachsamer zu werden. So wird man zu einem Zeugen.

Und es gibt kein Jenseits … das Jenseits liegt in dir, jenseits von dir gibt es kein Jenseits. Im Christentum liegt das Jenseits jenseits von dir; im Zen liegt das Jenseits in dir. Also kommt es nicht darauf an, die Augen zum Himmel zu erheben und zu beten – das ist zwecklos, da betest du zu einem leeren Himmel. Das Bewusstsein des Himmels ist sehr viel kleiner als das deine. Der eine betet einen Baum an … Viele Hindus gehen hin und beten zu einem Baum, viele Hindus gehen zum Ganges und beten den Fluss an, viele beten eine Steinstatue an, viele beten den Himmel an und viele beten eine Vorstellung, eine Idee an: Da betet das Höhere das Niedere an.

Beten ist sinnlos, sagt Zen. Meditation genügt … du brauchst also vor niemandem auf die Knie zu fallen, lass diese alte Sklavengewohnheit sein; es kommt nur darauf an, dass du still und ruhig wirst und dich nach innen wendest, um deine Mitte zu finden. Genau diese Mitte ist nämlich auch die Mitte der Existenz. Wenn du zu deinem innersten Kern vorgedrungen bist, bist du damit auch zum innersten Kern der Existenz an sich vorgedrungen. Genau das bedeutet Gott im Zen, nur nennen sie es nicht „Gott“. Und es ist gut, dass sie es nicht „Gott“ nennen.

Das Erste also, was man sich merken muss, ist: Zen ist keine Theologie, sondern eine Religion – und auch das mit einem riesigen Unterschied. Zen ist nämlich keine Religion wie der Islam. Der Islam hat drei Grundpfeiler: Ein Gott, ein Buch und ein Prophet. Zen hat weder einen Gott noch ein Buch noch einen Propheten. Die gesamte Existenz ist die Offenbarung Gottes; die gesamte Existenz ist seine Botschaft. Und vergiss nicht, dass Gott nicht von seiner Botschaft zu trennen ist. Die Botschaft selber ist göttlich; sie bedarf auch keines Boten – mit all diesem Unfug hat Zen ein für allemal aufgeräumt.

Die Theologie fängt damit an, dass „nur ein Buch“ existiert. Sie braucht eine Bibel, sie braucht einen heiligen Koran. Sie braucht ein Buch, das vorgibt heilig zu sein, sie braucht ein Buch, das darauf pocht etwas Besonderes zu sein – dass es kein Buch gleich ihm gäbe. Dies kommt direkt von Gott, ist seine Verkündigung.

Zen zufolge ist alles heilig, wie kann sich da irgendetwas als besonders aufspielen? Jedes Blatt an jedem Baum und jeder Kiesel an jedem Strand ist besonders, einmalig, heilig. Schließlich ist ja nicht nur der Koran heilig, ist nicht nur die Bibel heilig. Wenn ein Liebender seiner Geliebten einen Brief schreibt, ist dieser Brief heilig. Zen heiligt das gewöhnliche Leben.

Bokoju, ein großer Zen-Meister, sagte immer: Welch ein Wunder! Welch ein Geheimnis! Ich hole Brennholz, ich hole Wasser. Welch ein Wunder! Welch ein Geheimnis! Und was tut er? Nichts weiter als Holz holen, als Wasser vom Brunnen holen. Und trotzdem sagt er: Welch ein Geheimnis! Das ist der Geist des Zen. Er verwandelt Gewöhnliches in Außergewöhnliches. Er verwandelt Plattes in Erhabenes. Er hebt die Grenze auf zwischen der Welt und dem Göttlichen. Das ist der Grund, warum ich sage: Zen ist keine Theologie, sondern reine Religion. Theologie verunreinigt Religion. Was ihre Religion betrifft, ist kein Unterschied zwischen einem Muslimen und einem Christen und einem Hindu, aber was ihre Theologie betrifft, ist der Unterschied riesig. Sie haben grundverschiedene Theologien. Und die Menschen haben sich wegen Theologien gegenseitig bekämpft.

Religion gibt es nur eine; Theologien gibt es viele. Theologie heißt: Philosophieren über Gott, Gott mit Logik beikommen wollen, das ist natürlich Unfug. Denn es gibt weder eine Möglichkeit Gott zu beweisen noch Gott zu widerlegen. Sich hierüber zu streiten ist irrwitzig. Man kann Gott sehr wohl erfahren, aber beweisen kann man ihn nicht – und nichts anderes versucht die Theologie immerfort. Wer sich das von ferne ansieht, der lacht sich schief, so lächerlich ist es.

Im Mittelalter haben christliche Theologen sich die Köpfe zerbrochen, ernstlich über Probleme nachgedacht, die für euch überhaut keine sind. Zum Beispiel: Wie viele Engel haben auf einer Nadelspitze Platz? Ganze Bücher hat man darüber geschrieben – fantastische Argumente für und wider …

Mulla Nasruddin ruft einmal den Tierarzt wegen seiner zwei Turteltäubchen: „Ich mach mir Sorgen um meine Vögel“, klagt er ihm. „Eine ganze Woche lang sind sie nun schon nicht mehr richtig in Fahrt gekommen.“

Der Arzt schaut ins Innere des Käfigs und fragt: „Ist der etwa ständig mit einer Erdkarte ausgekleidet?“

„Nein“, antwortet Mulla Nasrudin. „Die ist erst seit einer Woche da drin – seit das Zeitungspapier alle ist.“

„Na, kein Wunder also!“, befindet der Tierarzt. „Turteltäubchen sind sehr empfindsame Wesen. Sie reißen sich einfach zusammen, weil sie finden, dass unsre arme alte Erde schon genug unter Überbevölkerung leidet!“

Theologie ist völlig überflüssig. Und durch Theologie wird die Religion vergiftet. Ein wahrhaft religiöser Mensch hat keine Theologie. Er hat wohl die entsprechende Erfahrung, er hat die entsprechende Wahrheit, er hat dieses gewisse Leuchten, aber er hat keine Theologie. Aber ohne Theologie wären die Schriftgelehrten, die Pandits, die so genannten Weisen arm dran. Die Priester, die Päpste, die Shankaracharyas wären ohne ihre Theologie praktisch aufgeschmissen. Sie haben enorm von ihr profitiert: Ihr ganzes Geschäft basiert auf ihr.

Zen macht dem ein Ende. Es macht dem Priester einen Strich durch die Rechnung. Und sein Geschäft ist eines der schmutzigsten auf der Welt überhaupt, weil es auf nichts als Täuschung beruht: Der Priester hat keinerlei Ahnung von dem, was er anderen predigt. Der Theologe hat keinerlei Erfahrung, spinnt sich aber ständig irgendwelche Theorien zurecht. Er ist ebenso unwissend wie alle anderen – wenn nicht sogar noch unwissender. Aber seine Unwissenheit ist sehr, sehr beredt geworden. Seine Unwissenheit kommt sehr schmuck daher – ausgeschmückt mit heiligen Schriften, ausgeschmückt mit Theorien, so schlau und gerissen verbrämt, dass ihm kaum jemand seine Schwachpunkte nachweisen kann. Die Theologie hat zweifellos der Welt keinen Dienst erwiesen, den Priestern dagegen sehr wohl: Denen hat sie geholfen, die Menschheit auszubeuten im Namen törichter Theorien.

Treffen sich zwei Psychiater. Sagt der eine, er habe da grad einen hochinteressanten Fall von Schizophrenie.

Kommentiert der andere skeptisch: „Was soll so interessant dran sein? Gespaltene Persönlichkeiten gibt’s doch wie Sand am Meer.“

„Ja schon, aber dieser Fall ist wirklich interessant“, trumpft sein Kollege auf, „in diesem Fall zahlen nämlich beide.“

Auf die Art haben sich alle Priester über Wasser gehalten. Theologie ist Politik; sie spaltet die Menschen. Und wer die Menschen spalten kann, der beherrscht sie.

Zen betrachtet die Menschheit ungeteilt – es treibt keinen Keil zwischen sie, sondern schließt alle mit ein. Darum nenne ich Zen die Religion der Zukunft. Die Menschheit wächst nach und nach zu jener Bewusstheit heran, die auf alle Theologie verzichtet und sich für Religion als reine Erfahrung entscheidet.

Im Japanischen gibt es hierfür einen speziellen Ausdruck. Man nennt es Konomama oder Sonomama – das „Sosein“ der Existenz. Auf dieses SOSEIN – in Großbuchstaben – kommt es an. Dieses Sosein des Lebens ist Gott.

Nicht, dass es einen Gott gäbe, vielmehr ist das bloße Sosein göttlich: das Sosein eines Baums, das Sosein eines Felsen, das Sosein eines Mannes, das Sosein einer Frau, das Sosein eines Kindes. Und dieses Sosein ist etwas Undefiniertes, Undefinierbares. Du kannst dich in ihm auflösen, du kannst mit ihm verschmelzen, du kannst es schmecken – Welch ein Wunder! Welch ein Geheimnis! –, aber du kannst es nicht definieren, du kannst es nicht logisch nachweisen, du kannst es nicht in messerscharfe Begriffe kleiden. Begriffe töten es. Dann ist es kein Sosein mehr. Dann ist es ein Hirnkonstrukt.

Das Wort „Gott“ ist nicht Gott; der Begriff „Gott“ ist nicht Gott, genauso wenig wie der Begriff „Liebe“ Liebe ist oder das Wort „Speise“ sättigt. Zen sagt etwas ganz Einfaches. Es sagt: Denk dran, dass die Speisekarte nicht deinen Magen füllt. Aber genau das ist es, was die Menschen seit jeher tun: Sie essen die Speisekarte. Und natürlich ist es dann nicht anders zu erwarten, ist es vorauszusehen, dass sie unterernährt sind, dass sie stagnieren, dass sie nicht bei Kräften sind, dass sie ihr Leben nicht in vollen Zügen genießen. Sie haben keine echten Speisen genossen. Sie haben viel zu viel Worte um Speisen gemacht und haben darüber völlig vergessen, was „Speise“ ist.

Gott muss man essen, Gott muss man schmecken, Gott muss man leben – und sich nicht um ihn streiten. Alles Um und Drumherum ist Theologie. Und dieses Drumherum dreht sich immerzu im Kreise, trifft niemals ins Schwarze. Es ist ein Teufelskreis. Logik ist ein Teufelskreis. Und Zen unternimmt alles, um dich aus diesem Teufelskreis rauszuholen. Inwiefern ist Logik ein Teufelskreis? Weil die Lösung bereits in der Prämisse vorgegeben ist. Die Schlussfolgerung wird nichts Neues bringen; sie ist bereits in der Prämisse enthalten. Und dann bestätigt freilich der Schluss die Prämisse. Wie mit einem Saatkorn: Der Baum steckt bereits im Saatkorn drin, und dann produziert der Baum viele weitere Saatkörner, und in diesen Saatkörnern stecken wiederum Bäume. Es ist ein Teufelskreis: Saat, Baum, Saat, Baum. Und so weiter und so fort. Oder: Ei, Henne, Ei, Henne, Ei … so geht es weiter bis ins Unendliche. Es ist ein Kreislauf.

Aus diesem Kreislauf auszubrechen – um nichts anderes geht es im Zen. Dich nicht weiter in deinem Verstand im Kreise zu drehen mit Hilfe von Wörtern und Begriffen, sondern dich in die Existenz selber fallen zu lassen.

Nan-In, ein großer Zen-Meister, fällte einmal einen Baum im Wald, als ein Universitätsprofessor ihn besuchen kam.

Natürlich dachte der Professor: „Dieser Holzfäller wird sicher wissen, wo Nan-In wohnt,“ also fragte er ihn danach. Der Holzfäller nahm seine Axt in die Hand und sagte: „Für die musste ich viel Geld bezahlen.“

Aber der Professor wollte nichts von seiner Axt wissen, sondern nur, wo Nan-In wohne. Er hatte gefragt, ob er ihn vielleicht im Tempel antreffen werde. Aber was tat Nan-In? Hob die Axt hoch und sagte: „Für die musste ich viel Geld bezahlen.“

Dem Professor wurde etwas mulmig, aber ehe er weglaufen konnte, trat Nan-In schon näher heran und berührte den Kopf des Professors direkt mit der Axt. Da begann der Mann zu zittern und Nan-In sagte: „Die ist unheimlich scharf…“

Da suchte der Professor das Weite!

Als er kurz darauf in den Tempel trat, wurde ihm klar, dass der Holzfäller niemand anders gewesen war als Nan-In persönlich. Daraufhin sondierte er die Lage bei einem von Nan-Ins Schülern: „Ist der Mann etwa wahnsinnig?“

„Nein,“ sagte der Schüler. „Sie wollten wissen, ob Nan-In da sei. Und er bestätigte dies. Er bewies Ihnen sein ‚Dasein‘ – und sein ‚So-Sein‘. In dem Moment war er nämlich Holzfäller. In dem Moment, die Axt in der Hand, war er völlig erfüllt von der Schärfe seiner Axt. Ja, er war in dem Moment diese Schärfe. Er wollte damit sagen: „Ich bin da – indem ich so unvermittelt bin, indem ich so restlos im Augenblick bin. Ihnen ist das entgangen. Er wollte Ihnen nur demonstrieren, was es mit Zen auf sich hat.“

Zen kommt ohne Begriffe aus, ist nicht intellektuell. Es ist die einzige Religion der Welt, die das Unmittelbare predigt – unmittelbar zu leben von Augenblick zu Augenblick. Ohne Vergangenheit, ohne Zukunft.

Aber die Leute sind seit Urzeiten an Theologien gewöhnt, und durch diese Theologien werden sie kindisch gehalten, weil sie ihnen nicht gestatten erwachsen zu werden. Du kannst nicht wachsen, wenn du dich in eine Theologie einsperren lässt, also wie ein Christ lebst oder ein Hindu oder Muslime oder selbst wie ein Buddhist. So kannst du nicht wachsen: Du bekommst nicht genug Raum dazu. Du bist allzu eingeengt, auf engstem Raum; du bist darin gefangen.

Ein junger Pfarrer stahl aus dem Tresor seiner Kirche einhunderttausend Euro, spekulierte damit an der Börse und verlor. Daraufhin lief ihm seine bildschöne Frau weg. Verzweifelt ging er zum Fluss und wollte sich grade von der Brücke stürzen, als eine Frau im schwarzem Umhang, runzligem Gesicht und grauen Zottelhaaren ihn davon abhielt. „Nicht springen!“, krächzte sie. „Ich bin eine Hexe und ich gewähre dir drei Wünsche, wenn du etwas für mich tust!“ „Mir kann niemand mehr helfen“, antwortete er und erzählte, was ihm alles passiert war.

„Red keinen Quatsch,“ sagte sie. „Simsalabim! Das Geld liegt schon wieder im Tresor deiner Kirche. Simsalabim! Deine Frau ist wieder zu Hause und erwartet dich voller Sehnsucht. Simsalabim! Du hast jetzt zweihunderttausend Euro auf dem Konto!“

„D-d-d-das ist ja fantastisch!,“ stotterte der Prediger. „Und was muss ich jetzt für dich tun?“

„Die Nacht mit mir verbringen.“

Beim bloßen Gedanken, mit diesem zahnlosen Gespenst schlafen zu sollen, erschauerte er. Aber immerhin war es die Sache wert, und so gingen sie ins nächste Motel.

Am Morgen, als er die Folter überstanden hatte, zog der Pfarrer sich schnell wieder an, um nach Hause zu eilen, als die Schreckschraube im Bett krächzte: „Sag mal, Jungchen, wie alt bist du eigentlich?

„Zweiundvierzig!“, antwortete er stolz. „Warum?“

„Findest du nicht, dass du ein bisschen zu alt bist, um noch an Hexen zu glauben?“

Genauso läuft es. Wenn du an Gott glaubst, kannst du genauso gut an Hexen glauben, das kommt im gleichen Paket. Wenn du den einen Unsinn glauben kannst, kannst du auch allen möglichen andern Unsinn glauben. Aber erwachsen wirst du so nie. Du bleibst kindisch. Zen heißt Reife. Zen heißt, alles Wünschen aufzugeben und hinzuschauen, was Sache ist. Verwechsle nicht die Wirklichkeit mit deinen Träumen. Wasch dir deine Träume ganz aus den Augen, damit du sehen kannst, was wirklich los ist.

Alle Ideologien hindern dich daran, hinzusehen. Ideologien sind allesamt Augenbinden, sie nehmen dir die Sicht. Weder kann ein Christ sehen noch kann ein Hindu oder Muslime sehen. Weil ihr so von euren Vorstellungen voll gestopft seid, könnt ihr nur das sehen, was ihr gern sehen möchtet, seht ihr lauter Dinge, die gar nicht da sind, projiziert ihr immer nur, interpretiert ihr immer nur, schleppt ihr immerzu eine private Wirklichkeit mit, die es gar nicht gibt. Das führt zu einer Art Wahnsinn. Von hundert eurer Heiligen sind neunundneunzig Wahnsinnige. Zen heilt die Welt von ihrem Wahnsinn, heilt sie absolut. Es macht mit allen Ideologien reinen Tisch. Es sagt: Seid leer. Schaut ohne jede Vorstellung hin. Schaut den Dingen bis auf den Grund, aber ohne Vorstellung, ohne Vorurteil, ohne Vermutung. Seid nicht voreingenommen – das ist einer seiner Grundpfeiler. Für Theologie ist da also kein Platz; andernfalls bleibt ihr voreingenommen.

Begreift ihr den springenden Punkt? Wer eine Vorstellung hat, wird sie höchstwahrscheinlich von der Wirklichkeit bestätigt finden – denn der Verstand ist ausgesprochen erfinderisch. Natürlich wird seine Erfindung nur Einbildung sein. Wenn du Christus erwartest, kann er dir durchaus erscheinen. Wenn du auf Krishna hoffst, wirst du anfangen Krishna zu sehen … und alles wird pure Einbildung sein.

Zen steht fest mit beiden Beinen auf dem Boden. Im Zen muss man auf Einbildungen verzichten. Einbildungen wurzeln in der Vergangenheit: In der Kindheit hat man euch bestimmte Vorstellungen eingeimpft. Von Kindesbeinen an hat man euch in die Kirche, in den Tempel, in die Moschee mitgeschleppt, hat man euch zum Schriftgelehrten, zum Pundit, zum Priester geschickt. Man hat euch gezwungen Predigten anzuhören … mit allem Möglichen hat man euren Verstand gefüttert. Das dürft ihr nun nicht in die Wirklichkeit mitnehmen, sonst kommt ihr niemals dahinter, was Wirklichkeit ist. Werft eure Lasten ab. Dieses Lastabwerfen ist Zen.

Ein Bibelforscher hält Gottesdienste in einem Irrenhaus ab.

Eines Tages unterbricht ihn ein Zwischenruf von einem der Insassen, der brüllt: „Mein Gott, müssen wir uns dieses Gelaber wirklich anhören?“

Der Prediger, überrascht und verwirrt, wendet sich zum Wärter und fragt: „Soll ich aufhören?“

Worauf der Wächter antwortet: „Ach was, reden Sie ruhig weiter; das wird nicht noch einmal vorkommen. Dieser Mann hat höchstens alle sieben Jahre einen klaren Kopf.“

Es ist äußerst schwierig, in einer Wahnsinnswelt einen klaren Kopf zu behalten. Zen ist einfach und dennoch schwierig. Einfach, was Zen selber betrifft – da ist es das Einfachste von der Welt, aber schwierig aufgrund unserer festen Vorstellungen, aufgrund der Wahnsinnswelt, in der wir leben, die uns erzogen hat, die uns verdorben hat.

Das Zweite: Zen ist nicht Philosophie, sondern Poesie. Es spekuliert nicht, sondern überredet. Es streitet nicht, sondern singt einfach nur sein eigenes Lied. Es ist bis ins Innerste ästhetisch und überhaupt nicht asketisch. Es hält nichts davon, der Wirklichkeit arrogant und aggressiv zu begegnen, sondern glaubt an die Liebe.

Zen ist davon überzeugt, dass uns die Wirklichkeit, wenn wir mit ihr zusammenarbeiten, ihre Geheimnisse offenbart. Es entwickelt ein teilnehmendes Bewusstsein. Es ist Poesie, es ist reine Poesie – so, wie es reine Religion ist.

Zen ist sehr um Schönheit bemüht – weniger um Wahrheit bemüht, ausgesprochen bemüht um Schönheit. Warum? Weil ‚Wahrheit‘ ein trockener Ansatz ist. Nicht nur weil sie selber trocken ist, sondern weil alle, die sich sehr um die Wahrheit bemühen, ebenfalls austrocknen. Sie fangen an zu sterben. Ihr Herz vertrocknet, ihre Säfte hören zu fließen auf. Sie werden lieblos, sie werden gewaltsam, und sie gehen zusehends in den Kopf. Und Zen ist nichts Kopfiges, sondern etwas Ganzheitliches. Nicht, dass es den Kopf leugnet … aber er muss dorthin verwiesen werden, wo er hingehört. Ihm steht keine Vorzugsstellung zu. Er muss sich ins Gesamte einfügen – die Eingeweide sind ebenso wichtig wie der Kopf, die Füße sind ebenso wichtig wie der Kopf, das Herz ist ebenso wichtig wie der Kopf. Alles muss als ein Organismus zusammenwirken, kein Teil darf unterdrückt werden.

Philosophie ist kopflastig; Poesie ist umfassender. Poesie strömt mehr, Poesie ist mehr um Schönheit bemüht. Und Schönheit heißt Gewaltlosigkeit und Schönheit heißt Liebe und Schönheit heißt Mitgefühl. Der Zen-Sucher ist auf das Schöne in der Existenz aus … Im Vogelgezwitscher, in den Bäumen, in einem tanzenden Pfau, in den Wolken, im Gewitter, im Meer, im Wüstensand – überall vermag Zen Schönes zu entdecken. Natürlich wirkt sich da die Suche nach dem Schönen auch ganz anders aus … Wenn du nach Wahrheit suchst, bist du männlicher; wenn du nach Schönheit suchst, bist du weiblicher. Wenn du nach Wahrheit suchst, musst du dich zunehmend an die Vernunft halten; wenn du nach Schönheit suchst, musst du dich zunehmend an die Intuition halten. Zen ist weiblich. Poesie ist weiblich. Philosophie ist sehr männlich, sehr aggressiv; sie ist männlich gesinnt.

Zen ist passiv – darum wurde im Zen das Sitzen zu einer der wichtigsten Meditationsformen.

Einfach nur dasitzen – Zazen. Den Zen-Leuten zufolge passiert alles von selber, wenn du dich einfach nur hinsetzt und nichts tust. Alles geschieht von allein; du brauchst hinter nichts herzulaufen, du brauchst nichts zu suchen, du brauchst dir kein Bein auszureißen. Alles wird sich einstellen: Bleib du einfach sitzen. Wenn du still sitzen bleiben kannst, wenn du dich in eine ungeheure Beschaulichkeit fallen lassen kannst, wenn du dich entspannen kannst, wenn du alle Anspannung fallen lassen und zu einem stillen Teich voller Energie werden kannst, der nicht irgendwo hin will, der nach nichts sucht – beginnt Gott sich in dich zu ergießen. Dann eilt Gott von überall her auf dich zu: Du sitzt nur da, machst nichts. Der Frühling kommt und das Gras wächst von allein.

Und vergesst nicht: Wenn Zen sagt „Sitz einfach nur da“, heißt das auch einfach nur dasitzen – sonst nichts, auch kein Mantra murmeln. Wenn du ein Mantra murmelst, sitzt du nicht einfach nur da, sondern gehst wieder in irgendein papperlapapp, in irgendetwas Kopfiges rein. Wenn du buchstäblich gar nichts tust … kommen Gedanken, dann lass sie kommen; gehen Gedanken, dann lass sie gehen; kommen welche – gut; kommen keine – auch gut. Was auch immer geschieht – es geht dich nichts an, du sitzt einfach nur da. Wenn du müde wirst, legst du dich hin. Wenn du merkst, dass sich deine Beine verkrampfen, streckst du sie aus. Du bleibst natürlich. Schaust nicht einmal zu, rührst keinen Finger, in keiner Weise. Das ist es, was mit „einfach nur sitzen“ gemeint ist: Du sitzt nur da und es geschieht.

Zen ist der weibliche Ansatz; und Religion ist im Grunde weiblich. Wissenschaft ist männlich, Philosophie ist männlich – Religion ist weiblich. Alles Schöne auf der Welt – Dichtung, Malerei, Tanz – geht auf die weibliche Einstellung zurück.

Es mag nicht mal von Frauenhand stammen … denn Frauen waren bisher noch nicht frei, Kreatives zu schaffen. Ihre Zeit bricht gerade erst an. Je wichtiger die Rolle von Zen in dieser Welt sein wird, desto mehr Gewicht wird dem Weiblichen zukommen – es wird explodieren. Alles entwickelt sich wechselseitig. In der Vergangenheit herrschte der männliche Geist – siehe Islam und Christentum und Hinduismus. Die Zukunft wird weiblicher sein – weicher, passiver, entspannter, ästhetischer, poetischer. In dieser poetischen Atmosphäre wird Zen der Welt den entscheidenden Impuls geben.

Philosophie ist Logik; Dichtergeist ist Liebe.

Philosophie zergliedert, analysiert; Dichtergeist synthetisiert, fügt zusammen. Philosophie ist im Grunde zerstörerisch; Dichtergeist spendet Leben. Analyse ist die Methode der Philosophie – und zugleich die Methode der Naturwissenschaft, die Methode der Psychoanalytiker. Früher oder später wird die Psychoanalyse der tiefer gehenden Psychosynthese weichen müssen.

Assagioli hat viel mehr Recht als Sigmund Freud, denn seine „Psychosynthese“ kommt der Wahrheit näher. Die Welt ist eins. Sie bildet eine Einheit. Nichts bleibt draußen vor. Alles pulsiert zusammen. Wir sind alle miteinander verbunden, verknüpft. Das gesamte Leben ist ein Netz. Noch das kleinste Blatt am Baum ist mit dem entferntesten Stern verwandt. Wenn diesem Blatt etwas zustößt, wird auch jenem entferntesten Stern etwas zustoßen.

Alles hängt zusammen. Die Existenz ist eine Familie. Zen sagt: Zerlegt nicht, analysiert nicht!

Ein ostfriesischer Bauer wird als Zeuge in einem Eisenbahnprozess verhört. Er soll erzählen, was er von dem Unglück mitbekommen hat.

„Naja, Theo und ich sind auf den Gleisen marschiert, da hör ich einen Pfiff. Ich spring vom Bahndamm und lass den Zug vorbei, und bin dann wieder rauf auf die Schienen.