Dating On Ice - Jennifer Iacopelli - E-Book

Dating On Ice E-Book

Jennifer Iacopelli

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Beschreibung

Plötzlich verliebt! Gefühlschaos auf dem Eis

Adriana weiß, was von ihr erwartet wird: dass sie genau wie ihre Eltern zuvor als Eistänzerin Goldmedaillen gewinnt. Denn daran hängt nicht nur die Familienehre, sondern leider auch die Eisbahn der Familie. Um mehr Sponsoren anzuwerben, lässt Adriana sich darauf ein, mit ihrem Tanzpartner Brayden ein Liebespaar zu mimen. Ein gefährlicher Tanz mit dem Feuer, denn Adriana muss nicht nur ihren eigenen Exfreund von der neuen Liebe überzeugen, sondern sie merkt plötzlich, dass ihre Gefühle für Brayden verrücktspielen …

Winterromantik im Blitzlichtgewitter

Die perfekte Lektüre zum Träumen


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Seitenzahl: 389

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Bisher erschienen: GoldmädchenDating on Ice Deutsche Erstausgabe © 2022 Schneiderbuch in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Alle Rechte für die deutschsprachige Ausgabe vorbehalten © 2022 Jennifer Iacopelli Originaltitel: »Finding Her Edge« Erschienen bei Razorbill, an imprint of Penguin Random House LLC, New York Covergestaltung von Frauke Schneider Coverabbildung von Leo Troyanski / 123rf, Frauke Schneider E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck ISBN E-Book 9783505150791

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1. Kapitel

Das Mädchen und der Junge schweben übers Eis, halten sich bei den Händen und gleiten mit den Kufen ihrer Schlittschuhe in perfektem Gleichschritt über die glatte Oberfläche.

Besser gesagt, sie versuchen es.

»Okay!«, rufe ich. Meine Stimme ist nach dem langen Unterrichtstag heiser. Trotz meiner schmerzenden Waden kreise ich auf meinen Schlittschuhen so leicht und anmutig um sie herum, wie sie es hoffentlich eines Tages selbst beherrschen werden. »Du musst sie halten, aber nicht zu fest. Schleif sie nicht mit, Jackson. Denk daran, sie ist kleiner als du. Du musst deine Schritte an ihre anpassen.«

Die beiden Achtjährigen, die ich trainiere, lernen gerade, sich beim Eislaufen an den Händen zu halten und gemeinsam übers Eis zu gleiten, eine der wichtigsten Grundlagen des Paarlaufs.

Meine Stimme hallt bis zur Zuschauertribüne der Kellynch-Eishalle empor, dem Ort, an dem ich in meinem Leben mehr Zeit verbracht habe als zu Hause. Die Halle ist quasi mein Zuhause. Meine Schwestern und ich standen schon auf Schlittschuhen, noch bevor wir über den Rand der Seitenwand gucken konnten. Wenn man als Kind der Familie Russo zur Welt kommt, bleibt einem gar nichts anderes übrig.

»Er zieht dich nicht mehr, Sadie, du musst jetzt hinterherlaufen«, erinnere ich sie, als er nicht mehr an ihr zerrt und sie zurückbleibt.

Endlich kommen sie in einen Gleichschritt, ihre kürzeren Beine strecken sich etwas mehr, seine langen Schritte werden etwas kürzer, und von dort, wo ich stehe, sieht es richtig gut aus.

»Super!«, lobe ich sie. Die beiden strahlen mich an, ohne die Hände voneinander zu lösen. »Gut gemacht!«

Sadie reicht mir gerade mal bis zur Taille, und sie betrachtet sehnsüchtig meine Beine. »Ich wünschte, ich wäre so groß wie du, Adriana. Dann müsste ich nicht so lange Schritte machen.«

»Du bist perfekt, so wie du bist. Vergesst nicht, euch heute Abend gut zu dehnen, vor allem die Füße und Knöchel. Die müssen bis zum nächsten Training schön stark bleiben.«

»Das ist ja noch ewig hin«, murrt Jackson, während ich sie an den Rand begleite.

»Ach was«, erwidere ich und stecke meine Kufenschoner auf, als ich das Eis verlasse. »Nur die paar Wochen bis nach der Weltmeisterschaft.«

»Das ist ewig«, sagt Sadie. Mit acht kommen einem zwei Monate wahrscheinlich wirklich wie eine Ewigkeit vor.

Aber ehrlich gesagt, selbst mit sechzehn fühlen sie sich wahnsinnig lang an. In zwei Monaten ist die Eiskunstlauf-Juniorenweltmeisterschaft vorbei. Es wird der bisher größte Wettkampf meines Lebens sein. Ich kann es kaum erwarten.

Mein Partner und ich haben uns zum zweiten Mal in Folge qualifiziert, und dieses Jahr haben wir sogar eine reelle Chance auf Gold. In zwei Monaten bin ich also entweder Weltmeisterin … oder nicht.

Aber jetzt gerade bin ich Trainerin. Ich gebe schon seit ein paar Jahren Unterricht, aber in letzter Zeit ist es immer mehr geworden, weil ich möchte, dass der Laden läuft.

Ich winke Sadies und Jacksons Müttern zu, die im Elternbereich neben dem Eingang warten. An den Wänden hängen Banner mit den Erfolgen unseres Eissportclubs aus den letzten fünfzig Jahren – so lange gibt es den Verein schon.

»Ah, Adriana!«, ruft Sadies Mom und eilt auf mich zu. Ihre Schritte sind um einiges länger als die ihrer Tochter. »Wie gut, dass ich dich noch sehe, bevor du abreist!«

»Oh … ja«, sage ich und versuche zu lächeln.

»Bitte wünsch Elisa alles Gute von mir. Wir drücken ihr die Daumen!«

Ich bekomme sogar noch ein breiteres Lächeln hin. »Klar, mach ich.«

»Du musst so stolz auf sie sein. Deine große Schwester fährt zur Olympiade, Wahnsinn! Dein Vater ist bestimmt völlig aus dem Häuschen.«

»Auf jeden Fall.« Mit Mühe breitet sich mein Lächeln jetzt über mein ganzes Gesicht aus. Es ist nicht das erste Mal, und es wird nicht das letzte Mal sein. Olympia ist eine andere Liga als die Junioren-WM, klar. Elisa ist Einzelläuferin, und Einzelläufer erreichen den Höhepunkt ihrer Karriere in der Regel deutlich früher als Paarläufer. Wenn alles gut geht, kann ich in vier Jahren zum ersten Mal zu den Olympischen Winterspielen fahren.

»Na, wir wollen dich nicht aufhalten«, sagt Sadies Mom und lässt den Blick durch den Eingangsbereich schweifen, wahrscheinlich in der Hoffnung, noch Dad oder Elisa zu erwischen. Jackson und seine Mutter sind schon weg.

»Sadie, das war ein super Training heute! Wir sehen uns, wenn ich zurück bin.«

Ich verriegele die Tür zur Eisbahn hinter ihnen. Das war die letzte Unterrichtsstunde für eine ganze Weile. Schade, aber es geht nicht anders. Ich schalte die Lichter im Wartebereich aus und drehe das Geöffnet-Schild an der Tür auf Geschlossen.

Während Dad und Elisa zu den Olympischen Spielen nach Peking reisen, werden wir im Vorlauf der Junioren-WM die anderen Sportlerinnen und Sportler und ihre Trainer beherbergen. Dad war schon immer gut darin, andere um den Finger zu wickeln, besonders diejenigen, die unsere Familiengeschichte kennen. Wir hosten schon seit Jahren Vorbereitungscamps für Spitzensportler im Eiskunstlauf.

Bevor sie gestorben ist, hat Mom jeden Sommer Intensivkurse gegeben, die dafür bekannt waren, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dort auf ein ganz neues Level kamen. Der Verlockung, auf unserer legendären Eisbahn zu trainieren, kann man nur schwer widerstehen.

Und die Summe, die Dad mit den Trainern ausgehandelt hat, ist fast doppelt so hoch wie das, was wir jedes Jahr mit Unterricht, Geburtstagsfeiern und Eishockey zusammen verdienen. So schwer es mir fällt und so ungern ich unsere Schüler und alle anderen im Stich lasse, die Kellynch über die Jahre hinweg unterstützt haben, wir konnten es uns einfach nicht leisten, Einnahmen in dieser Größenordnung abzulehnen. Denn egal, wie berühmt und erfolgreich meine Familie jahrelang war, leider haben wir die schlechte Angewohnheit, mehr auszugeben, als wir verdienen. Sehr viel mehr.

Kellynch wurde von meinen Urgroßeltern eröffnet, noch bevor mein Dad mit dem Eislaufen anfing. In den letzten fünfzig Jahren ist hier der renommierteste Eiskunstlauf-Club des Landes entstanden. Insgesamt hat der Verein mehr Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen geholt als manche Länder – die meisten davon meine Eltern. Und unsere Halle ist auf dem neuesten Stand der Technik – für meinen Dad ist das Beste gerade gut genug.

Für Walter Russo wäre es unvorstellbar, an einem Ort zu arbeiten, der nicht dem entspricht, was man von einem Olympiasieger und Patriarchen der berühmtesten Familie im Eiskunstlauf erwartet. Das wäre ja noch in Ordnung, wenn es für ihn dafür hinnehmbar wäre, ein Auto zu fahren, das etwas bescheidener ist als das, was man von einem Olympiasieger erwartet, oder in einem Haus zu wohnen, das etwas weniger luxuriös ist als das, was man von der Familie eines Olympiasiegers erwartet. Was nicht der Fall ist.

Egal, wie oft wir die Eishalle vermieten und wie viel Unterricht wir geben, diese Ausgaben können wir damit nicht wettmachen. Und seit Elisas Olympia-Jahr näher rückt, wird es nur noch schlimmer. Eiskunstlauf ist immer ein kostspieliger Sport, ganz gleich, auf welchem Niveau man trainiert, aber Olympia ist noch mal eine ganz andere Nummer. Trainer und Choreographen und Kostümdesigner und Make-up-Berater … ganz zu schweigen von der PR-Agentur, die Dad angeheuert hat, um wirklich das Beste rauszuholen … Das ist alles teuer, und ganz egal, wie viel wir einnehmen, alles wird wieder ausgegeben.

Der Verein ist tief verschuldet, daher brauchten wir kreative Lösungen, und selbst ich muss zugeben, dass es eine von Dads besseren Ideen war, das ganze Junioren-Eiskunstlaufteam mitsamt Trainerinnen und Trainern bei uns einzuquartieren.

Unser Haus liegt gleich neben der Eishalle auf dem Grundstück der Familie. Ursprünglich war es ein kleines Haus, das meine Urgroßeltern gebaut haben, als sie nach ihrer Einwanderung aus Italien genug Geld gespart hatten. Inzwischen hat jede Generation daran weitergebaut, und so kamen neue Zimmer und Bäder, ein riesiger Pool im Garten, ein Fitnessraum im Keller und ein Fernsehraum im Obergeschoss dazu. Es gibt sogar eine Dachterrasse, von der aus man das ganze Örtchen Kellynch am Rand des Charles River überblicken und bis zur Skyline von Boston in der Ferne sehen kann.

Der ursprüngliche Teil des Hauses hat altmodisch geziegelte Wände und dunkle Fensterläden, der Rest dagegen ist ein Mischmasch aus Baustilen und Moden: hypermodern auf der Seite, die meine Großeltern in den Neunzigern renoviert haben, und Landhausschick auf der anderen Seite, wo meine Mom und mein Dad am Werk waren, bevor meine Schwestern und ich geboren wurden. Es sieht ziemlich wild aus, aber ich liebe es.

Ganz im Gegensatz zu dem Lärm, der mir entgegenschlägt, als ich durch die Haustür trete. Mindestens ein Dutzend Personen stehen im Eingangsbereich herum, zwei halten flauschige graue Mikrofone an langen Ständern über die Köpfe der anderen, und zwei weitere haben Kameras auf den Schultern, die sie aus verschiedenen Winkeln auf meinen Dad richten.

Die Eishalle zu vermieten ist eine Sache. Aber dieser Zirkus hier, egal, wie gut er bezahlt wird, eine ganz andere. Die Kamerateams sind schon seit Monaten bei uns, um die Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele zu dokumentieren. Als Tamara Jackson, die Präsidentin der United States Olympic Federation, Dad das Angebot eines Fernsehsenders vermittelt hat, eine Reality-TV-Serie über ihn und Elisa zu machen, hat Dad keine Sekunde gezögert. Das Geld war okay, es war zwar nicht ansatzweise genug, um uns aus den Schulden rauszuholen, aber es war Publicity, und da konnten weder Dad noch meine Schwester Nein sagen. Sie leben für Publicity.

Unser Alltag ist seitdem völlig auf den Kopf gestellt. Wir werden ständig beobachtet, und mein Dad und meine Schwester machen sich jetzt noch mehr Gedanken darüber, was sie anziehen sollen und wie sie vor der Kamera aussehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass keiner von ihnen in den letzten sechs Monaten zweimal dasselbe anhatte.

Ich schlängele mich zwischen den Leuten vom Catering durch, die unsere Möbel herumrücken und für Elisas Abschiedsparty heute Abend Tische und Stühle und sogar eine Bar aufstellen und die zusammen mit dem Kamerateam ein heilloses Gewusel ergeben. Dad regelt den Verkehr und überprüft dabei sein Aussehen im Spiegel über dem Kamin.

»Was würdest du sagen, welche Seite?«, fragt Dad und streicht sich die blonden Haare zurück, während er sich mit einem Seidentuch die Stirn abtupft. Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass er mich meint. Ich lege den Kopf schief und überlege, während er den Kopf hin und her dreht und auf mein Urteil wartet.

»Die rechte«, sage ich und zeige auf die entsprechende Gesichtshälfte, bevor ich mich an der Gruppe vorbeischiebe und auf die Treppe zusteuere.

Er nickt und mustert dann meinen zerzausten Dutt und meine verschwitzte Trainingskleidung. »Was ziehst du an, Adriana? Du kommst doch zur Party, oder?«

»Natürlich. Ich habe nur bis eben unterrichtet.«

»Eistanzen?«, hakt er nach, und er versucht eine neutrale Stimme. Dad ist nie neutral, schon gar nicht bei der Frage, was als echter Eiskunstlauf gilt. Eistanzen gehört seiner Meinung nach nicht dazu.

»Jep. Ich ruhe mich jetzt kurz aus, dann gehe ich duschen und mache mich fertig«, erwidere ich nur. Ich bin nicht in Stimmung, um unseren alten Streit neu aufleben zu lassen. Dafür bin ich viel zu kaputt.

»Argh! Wo ist Adriana? Ich brauche sie!« Elisas Stimme übertönt den Lärm, noch bevor sie sich selbst durch die Menge drängt.

Elisa ist in jeder Hinsicht mein Gegenteil. Obwohl sie ein Jahr älter ist als ich, überrage ich sie mit meinen Einsfünfundsiebzig um fast einen Kopf. Ihre Haare fallen ihr in honigblonden Wellen über die Schultern, ein starker Kontrast zu meinen dunklen Locken. Das Einzige, was wir gemeinsam haben, sind unsere braunen Augen, die wir von Mom haben.

»Hier bin ich!« Ich trete hinter einem stämmigen Kameramann hervor, der sich schnell umdreht, um eine Aufnahme von uns beiden zu bekommen.

Elisa packt mein Handgelenk und zieht mich so energisch zur Treppe, dass ich selbst mit meinen langen Beinen kaum Schritt halte.

»Kannst du dich um mein Gepäck kümmern? Ich weiß nicht, wie ich für Olympia packen und mich für die Party fertig machen soll. Ich kriege einfach nicht zusammen, was ich alles brauche. Die Liste, die sie uns geschickt haben, überfordert mich total!«, jammert sie, als wir in ihr Zimmer kommen. Sie nimmt die Liste von ihrer Kommode und drückt sie mir in die Hand, bevor sie dem Kameramann, der hinter uns hergehastet ist, die Tür vor der Nase zuknallt. Das hier soll wohl niemand im Fernsehen sehen.

Ich nehme die Liste und schaue mich in ihrem Zimmer um. Es herrscht ein totales Chaos. Überall liegen Klamotten – auf dem Boden, auf dem Bett, auf den Möbeln. Alle Schubladen sind ausgeräumt, und im Schrank hängen nur noch leere Kleiderbügel.

»Ähm, was hast du denn schon gepackt?«, frage ich, obwohl ich mir die Frage selbst beantworten kann. Ihre zwei Koffer hat sie auf das Bett gelegt. Sie sind leer. Elisa hat überhaupt nichts gepackt.

»Ich habe alles rausgeholt«, sagt sie und lässt sich auf die Chaiselongue in der Zimmerecke fallen.

Seufzend werfe ich einen Blick auf die Liste. Sie ist nicht weiter kompliziert. Da stehen ihre Olympia-Trainingseinheiten drauf und die Events, für die sie etwas Nettes zum Anziehen braucht. Mom hat sich vor Wettkämpfen immer zu uns gesetzt und uns beraten, wenn wir gepackt haben, und als sie krank wurde und schließlich gar nicht mehr da war, haben wir angefangen, uns gegenseitig zu helfen. Wenn Elisa verreist, ist es allerdings meistens so, dass ich packe und sie es überwacht.

Ich lege die Liste auf ihr Bett – in die letzte freie Ecke. »Okay, ich helfe dir, aber du sitzt auf den Leggings!«

Kichernd greift sie unter sich, zieht einen schwarzen Stoffklumpen hervor und wirft ihn mir zu. Noch bevor ich ihn auffangen kann, hat sie schon ihr Handy in der Hand und tippt darauf herum.

»Hat Brayden irgendwas gesagt?«, fragt sie, ohne aufzublicken, während ich ihre Leggings entwirre und ordentlich in eine Ecke des Koffers packe.

»Was soll er gesagt haben?«, frage ich und ziehe die Nase kraus. Brayden Elliot ist mein Eistanzpartner. Er ist achtzehn, und er und Elisa hatten mal was miteinander, vor zwei Jahren, als er und ich gerade angefangen hatten, zusammen zu laufen.

Es ist nicht gut ausgegangen.

Nicht, dass Brayden überhaupt je was mit einem Mädchen gehabt hätte, das gut ausgegangen wäre. Die Einzelheiten kenne ich nicht – und sie interessieren mich auch nicht, besten Dank –, aber ich weiß, dass er es war, der Schluss gemacht hat. Er ist immer derjenige, der Schluss macht. Und trotzdem, obwohl meine Schwester so ziemlich jeden haben könnte, den sie will, scheint sie die Hoffnung nicht aufgegeben zu haben, dass er seine Meinung ändert.

Ich persönlich kapiere das nicht. Brayden ist ein toller Partner, ein cooler Typ, und er sieht unbestreitbar gut aus, aber wenn der Begriff »manipulatives Arschloch« im Wörterbuch stünde, wäre sein Foto direkt daneben.

»Hat er nach mir gefragt?«

»Ich habe ihn seit dem Training heute Morgen nicht mehr gesehen.« Das ist zwar keine richtige Antwort, aber ich hoffe, sie merkt es nicht. Ich will ihr nicht sagen, dass Brayden nicht nach ihr gefragt hat, weil er einfach kein Interesse mehr an ihr hat. »Mach dir keine Gedanken um Brayden. Du fährst zu Olympia!«

»Ganz genau, und ich versuche gerade, mal einen Moment zu vergessen, dass der ganze Ruhm unserer Familie jetzt auf meinen Schultern liegt! Also was nun … hat er nach mir gefragt?«

Sie hat es also doch bemerkt. Andere Ablenkung.

»Er hat nichts gesagt«, erwidere ich. »Aber Sadie Mortensons Mom wünscht dir alles Gute.«

Okay, das war wohl nicht besonders hilfreich.

Elisa schnieft und scrollt durch ihr Handy. »Er hat mir nicht geantwortet, ob er heute Abend kommt oder nicht. Hat er die Party erwähnt?«

»Er hat gesagt, er versucht vorbeizuschauen.«

Ich verschweige ihr, was Brayden noch gesagt hat – dass er vorher ein Date mit einer neuen Flamme hat. Elisa würde explodieren.

»Das Training war ganz schön anstrengend. Vielleicht will er auch einfach schlafen.«

»Er könnte mir wenigstens alles Gute wünschen. Immerhin fahre ich zu Olympia!« Sie seufzt tief, doch dann scheint sie sich zu erinnern, dass sie nicht daran denken will. »Wünschst du dir nicht, du hättest nicht zum Eistanzen gewechselt? Du bekommst frühestens in vier Jahren die Chance.«

Das ist ein sehr altes Thema, auf dem sie immer wieder gerne herumreitet.

»Du weißt doch, dass ich für alles andere zu groß bin«, sage ich finster, wie immer, wenn jemand diesen wunden Punkt anspricht.

Elisa hebt kurz den Blick vom Display. »Na ja, egal. Wenn er heute Abend nicht kommt, dann sag ihm …«

Ich erfahre nicht, was ich Brayden sagen soll, denn in diesem Moment fliegt die Tür auf, und unsere kleine Schwester Maria stürmt ins Zimmer. Sie knallt die Tür so fest hinter sich zu, dass die Wände wackeln.

»Charlie ist so ein Idiot, ich kann ihn einfach nicht mehr sehen!«, heult sie und wirft sich auf den freien Platz neben Elisa. Maria ist zwei Jahre jünger als ich, aber manchmal kommt es mir so vor, als wären es zwanzig. Charlie ist Charles Monroe junior, ihr Eiskunstlaufpartner.

Sie macht Paarlauf, was in Dads Augen beinahe so akzeptabel ist wie Einzellauf. Meine Schwestern haben beide Dads blonde Haare geerbt, Moms zierliche Statur und den festen Glauben, dass Eistanzen eigentlich nicht in die Welt des Eiskunstlaufs gehört. Anscheinend gilt es nur als echter Sport, wenn man sich wie ein Kreisel dreht und seinen Körper durch die Luft schleudert. Im Gegensatz zu Dad haben sie aber kein Problem mit meiner Entscheidung, denn so müssen wir nie gegeneinander antreten. Auch Mom war froh darüber, dass sie sich nicht entscheiden musste, welche von uns sie anfeuern sollte, und sie wusste, dass ihre drei Mädels alle mit einer Goldmedaille nach Hause kommen würden, wenn sie auf dem Eis nur ihr Bestes gaben.

»Was ist denn los?«, fragt Elisa, als Maria sich neben sie kuschelt. Dabei wirft sie mir einen Blick zu und verdreht die Augen. Normalerweise hat Elisa keine Geduld für die Dramen unserer kleinen Schwester, aber jetzt scheint Maria eine willkommene Ablenkung zu sein.

»Er ist immer da, und er ist so süß und nett und … warum muss er denn schwul sein?«

»Ich weiß, es ist schwer«, sagt Elisa und drückt ihr die Schulter. »Aber vielleicht ist es besser so. Sport und Liebe zu verbinden kann ziemlich kompliziert werden. Das funktioniert meistens nicht, stimmt’s, Adriana?«

Ich erstarre. Mein Magen zieht sich zusammen, und die Luft um mich herum beginnt zu flirren. Elisa sieht mich an und wartet darauf, dass ich ihr beipflichte und Maria sage, dass es wirklich keine gute Idee ist, eine Beziehung mit einem Partner anzufangen. In ihrer Stimme schwingt keine Anspielung mit. Sie spricht nicht von … ihm. Sie erinnert sich nicht, dass ich in ihn verliebt war, bevor ich unsere Partnerschaft beendet habe. Wie ich Elisa kenne, erinnert sie sich vermutlich nicht mal an ihn.

An Freddie O’Connell, meinen ehemaligen Tanzpartner, meinen ehemaligen besten Freund und meine erste Liebe.

Als ich vor zwei Jahren einen Wachstumsschub hatte und zu meiner jetzigen Größe herangewachsen bin, konnte er nicht mithalten. Er war schon sechzehn, und niemand wusste, ob er je groß genug für eine erfolgreiche Eistanzpartnerschaft werden würde. Ich musste mich entscheiden.

Es war die schwerste Entscheidung meines Lebens, Freddie aufzugeben und mich mit Brayden Elliot zusammenzutun.

Jetzt läuft Freddie mit einer guten Freundin von mir, Riley Monroe, und die beiden sind ziemlich erfolgreich. So erfolgreich, dass auch sie zur Juniorenweltmeisterschaft fahren. Nach dem Training hier in Kellynch, das morgen beginnt.

Ich schiebe den Gedanken weit weg, wie schon so oft, seit Dad uns von der Vereinbarung erzählt hat, und tue so, als wüsste ich nicht, dass Freddie bald wieder hier sein wird, auf derselben Eisfläche wie ich. Die Welt des Eiskunstlaufs ist klein. Ich konnte ihm nicht ganz aus dem Weg gehen, aber Freunde sind wir nicht mehr. Ich kann an einer Hand abzählen, wie viele Worte wir seit seinem letzten Training in Kellynch miteinander gewechselt haben.

Das letzte Mal habe ich ihn bei der Nationalmeisterschaft gesehen, bei der Brayden und ich Riley und ihm die Goldmedaille vor der Nase weggeschnappt haben. Er hat getan, was von ihm erwartet wurde, hat mir die Hand geschüttelt und einen Glückwunsch gemurmelt, bevor ich aufs Podest gestiegen bin, um meine Medaille in Empfang zu nehmen. Aber er hat mir nicht in die Augen gesehen. Was ich ihm ehrlich gesagt auch nicht vorwerfen kann.

»Wie siehst du das?«, unterbricht Marias Stimme meine Gedanken. Es sind nur wenige Sekunden vergangen. Ich blinzle die Erinnerungen weg und konzentriere mich auf die Gegenwart.

Ich nehme ein Kleid von Elisas Bett, ein rotes, paillettenbesetztes Minikleid, von dem ich ziemlich sicher bin, dass es eigentlich mir gehört, falte es ordentlich zusammen und lege es in Elisas Koffer. Dann drehe ich mich zu meiner kleinen Schwester um.

»Ich finde, dass du jemanden verdienst, der genauso sehr mit dir zusammen sein will wie du mit ihm.«

Maria blinzelt einmal, zweimal, dann verzieht sich ihr Gesicht, Tränen sammeln sich in ihren Augenwinkeln, und ihre Wangen laufen rot an. »Aber ich kann nicht anders. Ich liebe ihn einfach!« Sie springt auf und tigert durchs Zimmer.

Elisa steht auf. Sie bewegt sich mit der Anmut einer olympischen Eiskunstläuferin, was sie ja auch ist. Sie greift in ihren Koffer und nimmt das Kleid heraus, das ich gerade hineingepackt habe. »Hier«, sagt sie und hält es Maria hin. »Das ziehst du heute Abend an. Ich trage Weiß, und das Kleid, das ich für Adriana ausgesucht habe, ist blau. Das wird perfekt für die Fotos. Ich mache dir die Haare und dein Make-up, und dann finden wir jemanden für dich, der zu schätzen weiß, wie toll du bist!«

Maria zieht Elisa durch die Tür und über den Flur in ihr Zimmer, und ich bleibe mit den zwei fast leeren Koffern allein zurück. Seufzend lasse ich den Blick über die Sachen schweifen, die bis morgen früh drin sein müssen, und mache mich an die Arbeit.

2. Kapitel

Die Party ist schon in vollem Gange, als ich endlich die Treppe runterkomme, frisch geduscht und nicht mehr in Trainingsklamotten, sondern in dem blauen Kleid, das Elisa für mich ausgesucht hat. Der Geschmack meiner Schwester ist teuer, aber er ist gut. Der Seidenstoff raschelt angenehm an meinen Oberschenkeln. Die Haare habe ich mir zum Dutt aufgesteckt, weil ich nicht genug Zeit hatte, um sie zu föhnen.

Ein Gähnen überkommt mich, und ich hebe schnell die Hand, um es zu verbergen. Zeit für ein Nickerchen hatte ich auch nicht.

Ich sehe viele bekannte Gesichter. Freunde von Elisa, Freunde von Dad, Sponsoren, Agenten, Mitarbeiter vom National Figure Skating Club FFSC, der United States Olympic Federation und von der Filmcrew, deren Kameras diese spektakuläre Abschiedsparty einfangen, die einer Königin würdig wäre. Aus den Lautsprechern quillt Musik, eine instrumentale Jazz-Kompilation, die mir bekannt vorkommt, deren Titel mir aber beim besten Willen nicht einfällt.

Kellner tragen Tabletts mit Getränken und Häppchen herum, die deutlich extravaganter aussehen als die Mozzarella-Sticks und Hähnchen-Nuggets, die der Imbiss in der Eishalle verkauft. Fluffiges Gebäck, das vermutlich mit Hummer gefüllt und mit Trüffelöl beträufelt ist, und anderer teurer Firlefanz, den Elisa und Dad für nötig gehalten haben.

Ich will gerade die letzten Stufen hinuntergehen und mich ins Getümmel stürzen, als zwei gedämpfte Stimmen zu mir hochdringen. Die Sprecher kann ich nicht sehen – sie sind neben der Treppe und ich bin außerhalb ihres Blickfelds –, doch eine der Stimmen kenne ich fast so gut wie meine eigene.

»Du meinst, es sollte kein Problem sein, eine Hypothek aufzunehmen?«, fragt Dad, aber es klingt nicht wirklich wie eine Frage.

»Das Grundstück ist einiges wert, dann das Haus in dieser Lage, insbesondere der Schulbezirk, und die Nähe zu Boston. Solltest du je verkaufen müssen, würdest du die Kosten mehr als wieder reinholen.«

Eine Hypothek. Auf den Ort, an dem wir leben. An dem wir trainieren. Auf mein Zuhause.

Das war mein einziger Trost in den letzten Jahren, als sich die Rechnungen immer höher gestapelt haben: dass das Haus, die Eisbahn und das Grundstück uns gehören und nicht belastet sind.

Ist es so schlimm geworden, dass wir das riskieren müssen?

Meine Haut kribbelt, und eine unangenehme Wärme durchströmt meinen Körper. Ich wische mir die Handflächen am Seidenkleid ab, doch dann balle ich die Fäuste, bis sich meine Fingernägel in die Handflächen bohren. Dieses blöde Kleid. Diese alberne Party. Das alles ist so unnötig, und dabei könnten wir alles verlieren. Das Blut rauscht in meinen Ohren.

Die Stimmen werden leiser, während ich verzweifelt versuche, mich zu beruhigen. Ich brauche ein Glas Wasser, kaltes Wasser. Ich entdecke die Bar am anderen Ende des Raums und steuere darauf zu. Der Typ hinter dem Tresen zieht die Augenbrauen hoch, als ich nur um ein Wasser bitte, aber er stellt es kommentarlos vor mir ab. Ich stürze es hinunter und bestelle noch eins. Diesmal schnaubt er. Vermutlich ist er es gewohnt, dass die Leute Tequila oder Wodka so exen. Ich leere auch das zweite Glas, hole lange und tief Luft und atme langsam wieder aus.

Ich muss mich zusammenreißen. Überall sind Kameras und noch mehr Augen. Menschen, die mich gut genug kennen, um sofort zu sehen, dass mit mir etwas nicht stimmt.

»Ich muss dich schon auf dem Eis ständig ermahnen, dass du lächeln sollst, muss ich es dir hier auch noch sagen?«

Ich drehe mich zur Seite. Meine Trainerin Camille Radinski hält ein Getränk in der Hand, das eindeutig kein Wasser ist. Ein leuchtend pinkes Schirmchen steckt in der Orangenscheibe am Rand ihres Glases, das ein schäumendes rosa Gebräu zum Inhalt hat. Camille ist schon ewig meine Trainerin, aber wir kannten uns schon davor. Meine Mutter und sie waren beste Freundinnen. Sie ist meine Patentante. Sie ist auch Elisas und Marias Patin, aber die beiden sind nicht so vertraut mit ihr wie ich.

»Diese verdammte Party«, knurre ich mit zusammengebissenen Zähnen.

»Deiner Mom hätte sie gefallen.«

Ich schnaube ungläubig. Mom hätte nicht gefallen, dass sie so wahnsinnig teuer ist, aber wenn Mom die Party geplant hätte, wäre es auch gar nicht so weit gekommen.

»Vergiss nicht, Adriana, dass ich sie besser kannte als alle anderen. Sogar besser als du. Deine Mom liebte gute Partys.«

»Sollten sie sich die Party nicht für hinterher aufheben? Bis sie, na ja, wirklich gewonnen hat?«

Camille schürzt die Lippen, ein klares Zeichen, dass sie meiner Meinung ist, aber vor mir nichts gegen Dad sagen will. Elisa hat gute Chancen, in Peking eine Medaille zu holen. Es wäre viel sinnvoller, eine Party zu feiern, wenn ihr das gelungen ist – und wenn wir es uns vielleicht sogar leisten könnten. Olympische Medaillen bedeuten Sponsoren, große Unternehmen, die viel Geld aus dem Fenster werfen können. Das könnte uns endlich aus dieser Misere herausholen. Dad müsste keine Hypothek auf das Haus aufnehmen und …

»Denk mal einen Schritt weiter«, unterbricht Camille meine Gedankenspirale, eine Fähigkeit, die sie in den letzten zehn Jahren, seit wir zusammenarbeiten, perfektioniert hat. »In vier Jahren feiern wir so eine Party für dich!«

»Nein.« Ich schüttele den Kopf. Partys wie die hier sind nichts für mich. Ich bin nicht mal sicher, ob ich eine Party wollen würde, wenn ich wirklich eine Medaille gewonnen habe. Schon die Vorstellung macht mich nervös, und ich wische mir wieder die verschwitzten Handflächen am Kleid ab.

»Solche Feiern sind wichtig, Adriana, vor allem wenn es um etwas so Großes und Einschneidendes wie eine Teilnahme an den Olympischen Spielen geht. Wenn Elisa nicht nach Peking fliegen würde, hätte ich darauf bestanden, dass wir eine solche Party für dich und deine Teamkameraden abhalten, bevor ihr nach Paris reist.«

»Paris …«, wiederhole ich und muss unwillkürlich lächeln. »Paris ist auf jeden Fall der coolste Ort, an den ich je für einen Wettkampf gereist bin.«

»In der Tat«, sagt Camille und nippt an ihrem Getränk, wobei sie ein genießerisches Summen von sich gibt, und diese kleine Pause genügt, dass meine Gedanken wieder dahin wirbeln, wo sie vorher waren.

»Hast du gewusst, dass Dad darüber nachdenkt, eine Hypothek auf das Haus aufzunehmen?«

Camille hustet und hebt eine Hand zur Nase, wo anscheinend etwas von dem Schaum gelandet ist. »Hat er dir das gesagt?«

»Ich … habe es zufällig gehört«, winde ich mich heraus. Eine Lektion übers Lauschen kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.

»Darüber solltest du dir keine Gedanken machen«, sagt sie, aber ihre Stirn ist gerunzelt, und ihr Mund bildet eine schmale Linie. Verwirrung.

Sie hat es nicht gewusst. Das heißt, dass Dad es nicht mit ihr besprochen hat, und das heißt, dass er ihre Meinung nicht hören will, weil er selbst weiß, dass es eine schlechte Idee ist.

»Wir dürfen das nicht zulassen«, sage ich, und wieder steigt Panik in mir auf. »Wir könnten das Haus verlieren, die Eishalle, alles!«

»Atmen, Adriana, atmen. Nichts davon liegt in deiner Verantwortung. Ich rede mit ihm, okay?«

Der Knoten in meiner Brust löst sich. Camille schafft es immer, zu Dad durchzudringen. Eigentlich ist sie die Einzige, auf die er noch hört.

»Und jetzt lächeln, deine Schwester kommt«, warnt Camille mich vor, während sie den Blick über meine Schulter richtet, und ich sehe, wie sich die Menge teilt, als Elisa in ihrem strahlend weißen Jumpsuit und mit glänzenden blonden Haaren auf uns zukommt.

Sie lächelt Camille an, bevor sie sich zu mir dreht. »Ist Brayden schon da?«

»Ich hab ihn noch nicht gesehen.«

»Argh, ich hatte gehofft, dass er kommt, bevor wir anstoßen, damit die Kameras ein gutes Bild von ihm kriegen. Bist du so lieb und sagst in der Küche Bescheid, dass sie noch eine Stunde mit dem Champagner warten sollen – oder wenigstens so lange, bis Brayden aufkreuzt?«

Ihre Stimme hebt sich am Ende des Satzes, aber eine Frage ist es nicht.

»Ich …«, beginnt Camille, doch ich schüttele den Kopf. »Danke«, sagt Elisa, bevor ihr Blick auf etwas hinter mir fällt. »Oh! Da sind die Vertreter von Nike, mit denen muss ich unbedingt reden.«

Und weg ist sie, bevor eine von uns etwas erwidern kann.

Ich sehe Camille an und verdrehe die Augen, dann stelle ich mein leeres Glas auf das Tablett eines vorbeieilenden Kellners und schiebe mich durch das Gedränge in Richtung Küche. Kellnerinnen und Kellner in schwarzen Hosen und weißen Hemden leeren und füllen ihre Tabletts, während die Küchenchefin ihnen Anweisungen zubrüllt.

»Hallo«, sage ich und versuche, sie auf mich aufmerksam zu machen, aber sie hört mich nicht und will mir eine Platte mit gefüllten Champignons in die Hand drücken, ohne überhaupt den Blick zu mir zu heben. »Äh, nein, danke«, sage ich, und sie schaut verwirrt auf. »Ich bin Adriana Russo, Elisas Schwester. Sie bittet darum, den Champagner noch einen Moment zurückzuhalten. Sie erwartet noch ein paar wichtige Gäste.«

Die Frau läuft puterrot an. »Aber wir haben die Gläser schon eingeschenkt! Der Champagner wird schal. Wie soll ich …« Sie verstummt und macht ein Gesicht, als hätte ich all ihre Hoffnungen zerschlagen, dass der Abend glattläuft.

»Es tut mir leid«, sage ich, beiße mir auf die Lippe und versuche, eine Lösung zu finden, bei der Elisa nicht ausrastet. »Es dürfte nicht mehr lange dauern.«

Ich nehme mein Handy aus der Tasche, tippe eine Nachricht, drücke auf Senden und hoffe wider besseres Wissen, dass der Empfänger sie schnell liest.

Beinahe im selben Augenblick höre ich den Summton eines Handys. Ich wirbele herum und sehe am anderen Ende des Raums Brayden an unserem Küchentisch lehnen, ein charmantes Grinsen im Gesicht und einen Champagnerkelch in der Hand. Er ist groß, leicht auszumachen inmitten der herumwuselnden Kellner mit seinem zerzausten sandfarbenen Haar, den breiten Schultern und biegsamen Muskeln, die stark genug sind, dass er mich hoch in die Luft heben kann, während wir gemeinsam übers Eis gleiten. Eine Locke fällt ihm in die Stirn, und seine blauen Augen in dem gebräunten Gesicht blitzen einer der Kellnerinnen zu. Auch sie ist blond, ihre Haare sind zu einem Bauernzopf geflochten, und sie hängt an seinen Lippen. Dann lächelt er sie an, und ich schwöre, ich kann das Seufzen des Mädchens quer durch die Küche hören.

»Vergessen Sie es«, sage ich zu der Küchenchefin. »Sie können anfangen.«

»Gläser auf die Tabletts und verteilen!«, kommandiert die Chefin, und die Kellnerinnen und Kellner, auch das Mädchen, das gerade noch mit Brayden gekichert hat, stehen stramm.

»Hey«, sage ich und gehe zu meinem Partner hinüber – Partner auf dem Eis, versteht sich. »Du bist doch noch gekommen.«

»Ich hab doch gesagt, dass ich es versuche.«

»Du hast gesagt, dass du ein Date hast, und das heißt normalerweise, dass du … bis zum Frühstück beschäftigt bist.«

Seine Augen blitzen, während er ungerührt mit den Schultern zuckt. »Ihre Studentenverbindung gibt eine Party, irgendwas mit einem Gelöbnis. Jungs sind nicht zugelassen.«

»Boston College? Boston University? Emerson?«

»Massachusetts Institute of Technology«, gibt er grinsend zurück. »Sogar die Überfliegerinnen lieben mich!«

»Oder die Ansprüche des MIT sinken.«

»Autsch«, sagt er, aber er muss lachen, und ich lache mit. Er steht auf und reicht mir einen Champagnerkelch vom Tablett neben sich. »Dom Pérignon Rosé. Weißt du eigentlich, dass das Zeug dreihundertfünfzig Dollar die Flasche kostet?«

Meine Augen werden groß beim Anblick der Theke, die mit Flaschen gefüllt ist, zu viele, als dass man sie zählen könnte.

»Mich überrascht weder der Preis, noch dass du ihn kennst«, entgegne ich, und die Wut und Panik von vorhin weichen der Erschöpfung. »Wenn die so weitermachen, kommen wir nie aus dem Schuldenberg raus.«

»He«, sagt er. »Es wird schon alles gut. Wenn sie aus Peking zurückkommen, schwimmt ihr im Geld.«

Ich nicke. Ich bin nicht in der Stimmung, ihm die Gründe aufzulisten, warum das vermutlich nicht stimmt. Seine Augen sind besorgt, aber er ist auch zappelig. Brayden hat keine Geduld für ernste Gespräche, und ich habe sie im Augenblick ehrlich gesagt auch nicht.

»Los, komm, Elisa hat extra mit dem Champagner auf dich gewartet. Die Küchenchefin hätte fast einen Herzinfarkt bekommen.«

»Sie hat auf mich gewartet?«, fragt er, und seine Augenbrauen schießen in die Höhe. »Warum?«

»Du weißt, warum«, entgegne ich, nehme das Glas, das er mir immer noch hinhält, und greife nach seiner freien Hand. »Na los, bevor wir es verpassen.«

Wir folgen einer Reihe Kellnerinnen ins Wohnzimmer. Braydens neue Eroberung dreht sich zu uns um, und ihr Gesicht wird finster, als sie seine Hand in meiner sieht. Armes Mädchen. Meinetwegen muss sie sich keine Sorgen machen. Brayden merkt wie immer nichts, und als alle ein Getränk haben und das Klirren einer Gabel an einem Glas die Gespräche verstummen lässt, zieht er mich rüber zur Wand.

In der Mitte des Raums stehen Dad und Elisa, prosten ihren Gästen zu und strahlen.

»Liebe Freunde«, sagte Dad, und sein Lächeln wird irgendwie noch eine Stufe heller, als sich alle Blicke auf ihn richten. Er liebt das Scheinwerferlicht noch genauso sehr wie in den Tagen seines Ruhms. Wahrscheinlich liebt er es heute sogar noch mehr. »Ich möchte euch allen danken, dass ihr heute Abend gekommen seid, um diesen wichtigen Tag in der langen Geschichte der Familie Russo mit uns zu feiern. Neben mir steht eine Olympionikin in zweiter Generation. Ich wünschte, Giulia könnte heute hier sein. Ich weiß, dass sie in diesem Moment auf uns herabschaut.« Er legt den Arm um Elisa und küsst sie auf den Scheitel, und die Gäste geben ein kollektives »Ohhh« von sich, bevor sie wieder verstummen, damit Dad weitersprechen kann. »Wie viele von euch wissen, ist das Erbe unserer Familie etwas, worauf ich unglaublich stolz bin, und ich wüsste niemanden, der würdiger wäre als Elisa, um diese Geschichte in Peking fortzuschreiben und uns Ruhm und Ehre und vielleicht sogar eine oder zwei Medaillen nach Hause zu bringen.« Er hebt sein Glas. »Auf Elisa!«

»Auf Elisa«, wiederholt die Menge, und alle trinken einen Schluck und applaudieren, bevor sie ihre Gespräche wieder aufnehmen.

»Auf Elisa«, sage ich leise und stoße mit Brayden an, ohne zu trinken.

Brayden schnaubt, doch dann sagt er: »Auf Elisa. Weißt du nicht, dass es Unglück bringt, wenn man nach einem Trinkspruch nicht trinkt?«

»Wäre es dir lieber, wenn wir zwei uns vor laufender Kamera Champagner reinziehen? Ich bin noch minderjährig.«

Wie aufs Stichwort ertönt neben uns ein leises Geräusch, der Zoom einer Kamera. Ich drehe mich um, und kaum eine Armlänge vor mir steht ein Kameramann, der seine Linse auf uns richtet. Ich deute mit dem Kinn auf ihn, und Brayden gluckst.

»Gutes Argument«, sagt er. »Aber weißt du was, in vier Jahren dackeln die hinter uns her, und dann bin ich zweiundzwanzig.«

»Na, viel Erfolg! Mich kriegst du nicht zu diesem Theater.«

Er zieht die Augenbrauen hoch. »Echt nicht? Wir zwei sind doch total gut zu vermarkten. Überleg mal, wie viel Geld wir machen könnten, da müsstest du dir keine Sorgen mehr machen, was der Champagner auf unserer Siegesparty kostet. Stell es dir vor«, sagt er, stellt sich hinter mich und legt den Kopf auf meine Schulter. »All diese Leute sind nur unseretwegen da, und wir haben unsere Goldmedaillen um den Hals. Nike und Adidas überbieten sich, wer unsere Aufwärmklamotten sponsern darf!«

Ich kann es mir tatsächlich vorstellen. Klar und deutlich. Ich weiß, dass wir gut sind. Besser als gut. Wir haben dieses Jahr an den regulären Nationalmeisterschaften teilgenommen – nicht nur bei den Junioren – und hätten beinahe gewonnen. Noch vier Jahre Training, vier Jahre, um unsere Verbindung auf dem Eis zu perfektionieren, dann könnte das alles uns gehören. Das und noch viel mehr. Olympisches Gold. Das ist der Traum.

»Vier Jahre sind eine lange Zeit«, sage ich.

»So lang nun auch wieder nicht«, entgegnet er. Sein Atem streift meinen Nacken, und ich zucke unwillkürlich zusammen.

Ein ganz kleiner Teil von mir, ein winziger, fragt sich, wie es wäre. Wir hatten auf dem Eis schon immer eine unglaubliche Chemie, und manchmal kann ich den Gedanken nicht unterdrücken, dass es abseits vom Eis nicht anders wäre. Aber die Neugier ist nicht so stark, dass ich vergesse, was für eine schlechte Idee es wäre, mich auf Brayden einzulassen, und zwar aus allen möglichen Gründen.

»Na, ihr«, sage ich und wende mich von ihm ab, da gerade Maria mit Charlie im Schlepptau ankommt. Charlie ist sechzehn, schwarz, seine Haare sind dicht am Kopf zu Zöpfen geflochten, und seine hellbraunen Augen springen immer von einem zum nächsten und nehmen gierig alles auf. Er ist etwa so groß wie ich, was ihn zum perfekten Partner für meine zierliche Schwester macht, zumindest auf dem Eis. Maria hat die Augenbrauen zusammengezogen, ihr Mund bildet eine schmale Linie, und Charlies sonst so freundliches Gesicht ist sichtlich verärgert. »Ist alles in Ordnung?«

»Alles super«, faucht Maria. »Aber es wäre noch besser, wenn Charlie endlich mit seinem Dad reden würde.«

»Ich habe doch mit ihm geredet, aber er hat gerade keine Zeit, so kurz vor Olympia. Er hat gesagt, er denkt darüber nach, wenn er aus Paris zurück ist.«

Charles Monroe senior ist Sportagent, einer der besten. Er vertritt Dad und Elisa. Er vertritt quasi uns alle, aber an uns Juniorathleten ist so gut wie kein Sponsor interessiert. Noch nicht. Der heutige Abend hat diese Welt schon ein Stück näher gerückt. Bei den Sponsoren steckt das große Geld – das Geld, das uns helfen könnte, das Haus zu halten oder, falls es zum Schlimmsten kommen sollte, mir das Training zu finanzieren, wenn ich alt genug bin, um allein weiterzumachen.

»Siehst du«, sagt Brayden und stößt seine Schulter an meine. »Es ist nicht zu früh, darüber nachzudenken.«

»Danke!«, sagt Maria mit einem Lächeln. Dann wendet sie sich Charlie zu. »Sogar Brayden sieht das so.«

Charlies Gesicht hellt sich auf, als er den Blick zu Brayden hebt. Er ist so offensichtlich, wie es nur geht, in meinen Partner verknallt, worin ihn Brayden, der nun mal so ist, wie er ist, nicht im Geringsten entmutigt, obwohl er durch und durch hetero ist.

»Meinst du wirklich, Brayden?«, fragt Charlie.

»Was schadet es, wenn wir uns schon früh über unsere Möglichkeiten schlaumachen?«, erwidert Brayden, zuckt lässig mit den Schultern und lächelt Charlie an.

Ich bin sicher, wenn Charlie dahinschmelzen könnte, würde er jetzt eine kleine Pfütze am Boden bilden.

Das Gedränge um uns lichtet sich nach und nach, und die Kellner beginnen, die Teller, Servietten und Gläser abzuräumen, die inzwischen jede freie Abstellfläche im Raum besetzen. Irgendwann sind nur noch ein paar Nachzügler im Zimmer. Dad und Camille unterhalten sich in einer Ecke. Elisa steht neben ihnen, und ihr Blick ist glasig, doch dann richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf mich.

Besser gesagt, auf Brayden.

Sie stößt einen kleinen Schrei aus, lässt Dad und Camille stehen und kommt zu uns herüber.

»Brayden, da bist du ja!«, sagt sie, und es gelingt ihr irgendwie, ihren zierlichen Körper in den schmalen Spalt zwischen uns zu schieben. Ich trete ein Stück zur Seite und werfe dem in die Ecke gedrängten Brayden über ihren Kopf hinweg einen mitleidigen Blick zu. »Warst du schon da, als wir angestoßen haben? Adriana sollte eigentlich dafür sorgen, dass sie warten, bis du kommst.« Sie dreht sich mit einem finsteren Blick zu mir um.

»Ich habe ihnen erst gesagt, dass sie loslegen können, als er da war«, werfe ich ein, werde aber ignoriert.

»Ich kann einfach nicht glauben, dass ich morgen zu den Olympischen Spielen fahre. Ich werde eine Olympionikin«, sagt Elisa und legt ihren Arm um Braydens.

»Ja, so funktioniert das wohl«, sagt er und lächelt angespannt, wobei seine Augen nicht mitlächeln.

»Willst du mir nicht viel Glück wünschen?«, fragt sie mit großen Augen.

»Du brauchst kein Glück«, erwidert Brayden schulterzuckend.

»Du hast recht«, stimmt sie ihm strahlend zu, doch ihr Lächeln verblasst, als Braydens Handy summt und er kurz einen Blick darauf wirft.

»Bitte entschuldigt mich, ich muss los. Gute Reise, Elisa.« Er beugt sich um sie herum zu mir. »Denk darüber nach, was ich gesagt habe, ja? Wir sehen uns morgen.«

Und bevor ich etwas erwidern kann, ist er weg.

»Was hat er denn gesagt? Worüber sollst du nachdenken?«, fragt Elisa, während wir zuschauen, wie er Dad und Camille zuwinkt und durch die Tür nach draußen verschwindet.

Ich schüttele den Kopf. »Nichts Wichtiges. Komm, wir helfen beim Aufräumen.«

Es ist spät, als das Wohnzimmer zumindest annähernd wieder so aussieht wie sonst, und es ist nach zwei Uhr morgens, lange nachdem Elisa und Maria ins Bett gegangen sind, als die letzten Kellner und das Kamerateam endlich unsere Einfahrt verlassen und in die Nacht verschwinden.

Camille und ich schnappen uns die Mülltüten, um sie an die Straße zu stellen.

»Gib die mir«, sagt Camille. »Du kannst dich ja kaum noch auf den Beinen halten. Wir trainieren morgen später. Schreib Brayden, dass ich vor zwölf Uhr keinen von euch sehen will.«

Ich schüttele den Kopf. »Nein, ich möchte nicht so kurzfristig umplanen. Die anderen kommen schon um eins.«

»Wie du meinst«, erwidert sie, eindeutig missbilligend, aber sie besteht nicht darauf. »Apropos alle anderen …«

»Camille!«, sage ich warnend. Es war mir gerade gelungen, es für eine kleine Weile zu verdrängen, aber jetzt gibt es nichts mehr, womit ich mich ablenken könnte. Keinen Unterricht, den ich halten muss. Kein Familiendrama, das ich lösen muss. Keine lächerlich kostspielige Party, an der ich teilnehmen muss. Sosehr mich unsere Geldprobleme beschäftigen, heute Abend kann ich nichts dagegen tun. Also liegt jetzt nichts mehr zwischen mir und der Tatsache, dass Freddie O’Connell morgen früh nach Kellynch kommt.

»Es ist ganz normal, wenn du nervös bist. Ihr zwei wart euch einmal sehr nahe. Ich weiß, dass es zwischen euch etwas … kompliziert geworden ist.«

»Kompliziert? Ja, so kann man es wohl nennen, wenn er durch mich durchschaut oder mich behandelt wie eine Fremde.«

Camille seufzt. »Du hast die beste Entscheidung getroffen, die du damals treffen konntest. Eistanz-Partnerschaften sind keine Abschlussbälle. Es sind Karriereentscheidungen. Es tut mir leid, wenn ich …«

»Nein, ich mache dir gar keine Vorwürfe. Du hast mir einen Rat gegeben, und ich habe ihn angenommen. Aber das heißt nicht, dass er nicht das Recht hat zu fühlen, was er fühlt.«

»Er war damals ein bisschen verliebt in dich, und wenn ich mich recht erinnere, beruhte das auf Gegenseitigkeit.«

»Ich war vierzehn, und wir waren Freunde. Wir haben davon geträumt, zusammen zu Olympia zu fahren, und ich habe diesem Traum ein Ende gemacht.«

»Du bist ihm davongewachsen, dagegen kann man nichts tun.«

»Es spielt keine Rolle mehr. Er tanzt jetzt mit Riley und ich mit Brayden, so ist das eben.«

»Das ist eine sehr erwachsene Sichtweise«, sagt Camille etwas argwöhnisch, als könnte sie nicht glauben, dass ich wirklich so erwachsen bin. Womit sie nicht falschliegt.

»Wir fahren zur WM! Alles hat super geklappt. Wie sollte ich das sonst sehen?«

»Auch du hast ein Recht auf deine Gefühle, Adriana. Du darfst für Freddie O’Connell fühlen, was du willst.«

»Genau«, stimme ich zu. »Und er darf für mich fühlen, was er will.«

»Hast du schon mal versucht, mit ihm darüber zu reden? Schließlich ist es zwei Jahre her.«

Ich schüttele den Kopf und seufze. »Ich weiß nicht mal, was ich sagen sollte. Ich will mich einfach nur darauf konzentrieren, Gold zu holen. Alles andere ist Nebensache.«

Camille lächelt. »Das höre ich gern.«

3. Kapitel

Es ist eiskalt draußen. Logisch. So ist Boston nun mal im Winter. Berge von Schneematsch türmen sich am Straßenrand am Ende unserer Einfahrt, und jeder Atemzug gefriert vor meinen Lippen. Die Sonne ist kaum mehr als ein fahler Schimmer am Horizont, und der frühe Morgen wirkt regelrecht unwirklich, selbst wenn man jeden Tag um diese Zeit wach ist.

Und das bin ich.

Allerdings bin ich normalerweise schon auf der Eisbahn und wärme mich für die erste Trainingseinheit des Tages auf. Heute dagegen stehe ich auf dem Bürgersteig und wippe von den Zehen auf die Fersen und zurück, damit meine Beine nicht einfrieren unter den dünnen Leggings, in die ich geschlüpft bin, weil mir nicht klar war, wie lange das hier dauern würde.

Dad und Elisa reisen heute nach Peking.

Bei jedem anderen Wettkampf würden sie einfach ins Auto steigen und zum Flughafen fahren, aber so einfach ist das nicht, wenn es um Olympia geht und überall Kameras herumstehen. Ein paar Fans haben sich am Straßenrand versammelt und schwenken Plakate und Stofftiere, die gleichen, die sie nach einer geglückten Kür aufs Eis werfen, und irgendein lokaler Nachrichtensender ist auch dabei. Der Kameramann gibt dem Fahrer der größten Limousine, die ich je gesehen habe, Anweisungen, wie der Wagen in die Einfahrt einbiegen soll. Und Dad und Elisa sind noch im Haus, weil sie anscheinend genau in dem Moment aus der Tür kommen müssen, wenn die Limousine vorfährt.

»Wie lange dauert das denn noch?«, quengelt Maria neben mir und reibt sich die Arme. »Die Kälte macht mich noch krank, wenn ich weiter hier herumstehe. Ich bin schon ganz heiser.«