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Tristesse im Job, Selbstzweifel und eine komplizierte Liebschaft bestimmen ihren Alltag. Und dann schenkt ihr Freund ihr auch noch einen Staubsauger zu Weihnachten! Barbara wird klar: Diese Beziehung ist am Ende angelangt. Wäre da nicht ihr Herz, das immer wieder gegen ihren Kopf rebelliert. Einen anderen Mann würde es für sie nie geben, da ist sie sich ganz sicher. Bis durch eine schicksalhafte Begegnung mit ihrem Lieblingssänger neuer Schwung und eine alte Liebe in ihr Leben kommen. Können ihre lang vergessenen Mädchenträume wahr werden? Und darf man überhaupt mit Mitte 40 noch an Märchen glauben?
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Seitenzahl: 679
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
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© 2024 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99146-909-4
ISBN e-book: 978-3-99146-910-0
Lektorat: Birgit Himmüller
Umschlagabbildung: Josephine Wegner
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Einleitung
Die in dieser Geschichte beschriebenen Personen und Ereignisse sind rein fiktiv. Auch die erwähnten prominenten Persönlichkeiten sind in den angegebenen, fiktiven Szenarien natürlich nicht involviert oder damit in Verbindung zu bringen. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen oder realen Ereignissen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Barbara Blume macht Schluss
Im Jahr 2011, Anfang Januar
Trennung! Barbara Blume macht Schluss mit ihrem Liebhaber.
So könnte ein Titel in der GALA lauten. Wenn ich berühmt wäre. Dann hätte ich der Klatschpresse einiges zu bieten. Wäre ich Julia Roberts oder Verona Pooth, wären für mich mindestens ein halbes Jahr lang die Titelseiten sämtlicher Boulevardzeitungen reserviert. Ich würde den ganzen Tag nur Interviews geben und hätte eine Armee von Paparazzi rund um die Uhr vor meiner Wohnung. Selbst meine Nachbarn und Freunde würden reich von den Gagen für ihre Auskünfte über mich und mein Liebesleben. Wie das wohl wäre, so ein Leben als VIP? Ich würde alle Neuigkeiten meiner filmreifen Geschichte jeden Morgen selbst lesen können. Ich würde mal über einen roten Teppich spazieren. Oder ich würde bei Frauke Ludowig zu einer Sondersendung von „Exclusiv“ eingeladen. Ja, wie das wohl wäre? Eigenartig? Beängstigend? Aufregend? Ich gerate ein bisschen ins Träumen bei der Vorstellung, mein Leben könnte für andere Menschen interessant sein. Natürlich bin ich nicht berühmt, und werde es voraussichtlich auch nicht werden. Ich bin eine völlig unbekannte Bürokauffrau, die sich mit einer Kollegin ein abgelegenes Büro teilt. Ist auch unwahrscheinlich, in meinem Job Ruhm zu erlangen. Es sei denn, man überweist eine Million auf sein eigenes Konto und wird zur Fahndung ausgeschrieben. Und für so was mangelt es mir an krimineller Energie und Nervenstärke. Also bleibe ich unbedeutend in der Weltgeschichte und in der Klatschpresse. Niemand wird von meinem mutigen Schritt erfahren. Ich bin nur Barbara Blume. Meine engen Freunde nennen mich Barbi. Nicht zu verwechseln mit der berühmten Barbie, die vorzugsweise pink trägt. Ich bin Barbi aus Bielefeld, die kein Mensch kennt, und die aus ihrem Kummer keinen Profit schlagen kann, weil es keine Sau interessiert.
Es ist nicht so, dass ich mich nach Berühmtheit sehne. Im Gegenteil. Die armen Stars und Sternchen tun mir schon leid, wenn sie morgens nicht unbehelligt im Out-of-Bed-Look zum Bäcker gehen können. Als Frau hast du es besonders schwer. Du musst immer gut aussehen, sonst wirst du irgendwo am Strand ungefragt abgelichtet, und die Presse stürzt sich auf deine Problemzonen wie Aasgeier auf ihre jüngst verstorbene Beute. Selbst ich als normal Sterbliche habe vor meinem Sommerurlaub immer das dringende Bedürfnis, noch eine Radikal-Diät zu machen in Verbindung mit ganz vielen Situps, Chrunches und Plank Hip Dips. Ich bin nicht mehr die Jüngste und es wird immer schwieriger, die Kaffeestreifen und Pizzen kurzfristig zu verbrennen.
Vor drei Monaten habe ich meinen 40. Geburtstag gefeiert. Ich hatte, meinem Alter angepasst, Freunde zum Brunch eingeladen. Irgendwann wurden die Partys unbeliebt, die bis in den frühen Morgen dauern und mit einem fiesen Kater enden. Mancher Gast ist heute froh, wenn man an einem Samstagvormittag um 11:00 einlädt. Spätestens um 14:00 werden kreative Entschuldigungen gefunden, um sich zu verabschieden. Man hat in unserem Alter schließlich noch so viel anderes zu tun. Die Wäsche muss gewaschen und gebügelt werden, der Garten muss gepflegt werden, die Kinder wollen vom Fußball abgeholt und die Schwiegermutter will zum Kaffeekränzchen gefahren werden.
Es ist immer schwieriger geworden, Termine zu finden, die allen Gästen zusagen. Doch an meinem Ehrentag waren sie alle da. Sogar mein Lover kam in meine kleine, aber feine Wohnung, und es wurde ein schöner, ausgelassener Geburtstag. Das lag hauptsächlich an meiner lieben und feierwütigen Freundin Katja, die noch bis spät in die Nacht blieb, während sich die Sektflaschen in meinem Altglas-Korb stapelten. Geht doch.
Mein Leben ist an Normalität nicht zu überbieten. Ich habe einen stinklangweiligen Job in der Buchhaltung eines mittelständischen Unternehmens, das Maschinen entwickelt und herstellt. Zweimal in der Woche gehe ich zum Sport und am Wochenende laufen. Ich treffe mich mit Freunden zum Essen oder auf Stadtfesten. Regelmäßig besuche ich die Konzerte von Chris de Burgh, dem ich seit meiner frühen Jugend ein bisschen verfallen bin. Nachdem ich ihn mit 14 Jahren zusammen mit Mama das erste Mal live gesehen hatte, war ich drei Jahre lang verliebt. Seine Poster hingen über meinem Bett und seine Musik lief in Dauerschleife. Natürlich gab es noch andere Stars wie Depeche Mode oder Hubert Kah, die ich auch ganz gut fand. Niemand kam jedoch an Chris heran. Mittlerweile habe ich ungefähr 150 seiner Konzerte besucht.
Ich mag Filme wieForrest GumpoderSchlaflos in Seattlemit Tom Hanks und natürlichDirty Dancing. Und selbstverständlich muss ich mir auch beiPretty Womanimmer wieder die eine oder andere Träne aus dem Auge wischen, wenn die Szene läuft, in der Vivian Edward verlässt, passend untermalt von Roxettes TränenschockerIt must have been love. Ich bin ein sensibler Mensch. An schlechten Tagen bringt mich ein böses Wort von meinem Chef oder ein totgefahrener Igel seelisch aus dem Gleichgewicht. Selbst in fiktive Geschichten kann ich mich so reinsteigern, dass ich im schlechtesten Fall die nächsten zwei Wochen vor Rührung oder Drama nicht schlafen kann. Meine Lieblingsfilme habe ich hundertfach immer wieder mit Freude angesehen, meine Lieblingsbücher habe ich immer wieder gerne ein zweites oder drittes Mal gelesen. Wenn mir etwas gefällt, bin ich eine treue Seele. Das trifft auch auf meine Freundinnen zu:
Katja:
Wir kennen uns seit der Grundschule. Also aus Zeiten, als Songs aus dem Radio aufgenommen und die Hausaufgaben morgens im Bus voneinander abgeschrieben wurden. Katja versprüht immer gute Laune. Man könnte sie locker als Alleinunterhalterin engagieren. Ihr Humor und ihre Sprüche sind unschlagbar. Sie ist selbst dann fröhlich, wenn sie gar keinen Grund dazu hat. Sie kann lachen, obwohl ihr zum Weinen zumute ist. Es ist ihr immer wichtig, eine gute Tochter, eine liebe Freundin und eine verlässliche Arbeitnehmerin zu sein. Für ihr gutmütiges Verhalten hat sie immer Erklärungen. Meistens beginnen ihre Sätze mit „Ja, aber …“. Dann werden die Bedürfnisse anderer immer als wichtiger betrachtet als ihre eigenen. Sie hat eben ein Herz aus Gold und dazu strahlend blaue Augen wie ein Saphir. Ich bin froh und stolz, dass sie meine Freundin ist.
Brunhild, genannt Bruni:
Ich kenne sie seit dem Abitur, mit dem SchwerpunktWirtschaft und Rechnungswesen.Damals kam sie jeden Freitagnachmittag nach der Schule mit zu mir nach Hause. Halb verhungert warteten wir sehnsüchtig auf den Moment, in dem Mama vom Einkaufen kam. Dann gab es Mettbrötchen, und anschließend schauten wir ALF. Bis heute zitieren wir gerne Sprüche wie: „Kate, wo ist denn die Auflaufform? Die Katze passt nicht in den Toaster.“oder„Meine Erklärung für das kaputte Fenster geht in Richtung Einstein: das Versagen der Schwerkraft.“Bruni beeindruckt nicht mit Mode, außer mit einem verdienten Negativpreis für die schlimmste Jogginghose, die ich in meinem Leben zu Gesicht bekommen habe. Ich habe mich immer kaputtgelacht, wenn sie mich zu Hause empfing in einem dunkelgelben, durchlöcherten Exemplar, deren Knie so ausgeleiert waren, dass jeweils ein Wombat dort Platz gehabt hätte. Bruni überzeugt mit Klugheit und kennt sich super mit Computern aus. Außerdem ist sie sehr kreativ, was man in der Kombination nicht oft findet. Sie ist im Inneren ein sensibler Mensch, aber sie ist alles andere als schwach. Sie kann hart sein in ihren Entscheidungen und manchmal auch zu sich selbst. Ich habe sie selten weinen sehen. Sie ist eine besonders wichtige und enge Freundin.
Marina:
Auch sie kenne ich seit der Höheren Handelsschule. Sie hat schmale Wangen und dunkle Mandelaugen, für die ich damals hätte morden können. Mit ihr bin ich oft einen trinken gegangen, wenn wir nach der Schule Langeweile hatten. Sie war die erste meiner Freundinnen, die Sex hatte, und da hörte ich etwas neidisch ihrer Berichterstattung zu. Marina ist eine selbstbewusste Frau. Schüchternheit ist ein Fremdwort für sie. Sie kann gut reden und sich gut präsentieren. Damit ist sie bisher gut durchs Leben gekommen. Ihr Selbstwertgefühl ist im Gegensatz zu meinem verlässlich, und ihre Ratschläge sind beängstigend ehrlich. Wäre sie nicht meine Freundin, wäre das eine Katastrophe.
Ich brauche dringend diese Freundinnen, die mich unterstützen. Denn ich habe seit acht Jahren ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann. Na ja, jetzt ja nicht mehr.
Eine Woche ist nun vergangen, seit ich Schluss gemacht habe. An dem verhängnisvollen Tag überredete mich Katja, den Abend mit ihr, ihrem neuen Freund und ein paar anderen Leuten zu verbringen. Es war der letzte Tag im Jahr, und das musste natürlich gefeiert werden. Ich bin kein großer Fan von Silvester. Die Erwartungen an diese Nacht sind meistens sehr hoch. Mit Freunden nur zu Hause hocken und Fondue machen reicht schon lange nicht mehr. Und am 1. Januar wollen einige ihr komplettes Leben ändern, obwohl es bis dahin ja völlig ok war. Mehr Sport, mit dem Rauchen aufhören, weniger arbeiten, mehr Geld sparen etc. Mein guter Vorsatz war, dass ich mir keinen machte. Ich wünschte mir nur, den Abend zu überleben. Und schlimmer konnte mein Leben auch nicht mehr werden.
„Keine Widerrede, du kommst heute mit. Verkrieche dich nicht und hab ein bisschen Spaß mit uns. Du musst unbedingt Felix kennenlernen. Er ist Polizist“, teilte Katja mir mit, und ich wusste, dass sie einNeinnicht akzeptieren würde.
Da hat sich meine Freundin also einen Polizisten geangelt. Also einen Mann, der mit Schusswaffen umgehen kann, was ja schon klischeehaft einen Reiz auf Frauen ausübt. Ich habe etwas gemischte Gefühle. Einerseits kann man sich sehr beschützt fühlen, wenn man mit einem Freund und Helfer unterwegs ist. Andererseits schaut der natürlich genau hin, wenn man es vielleicht mal mit den Gesetzen nicht so genau nimmt. Also nicht, dass ich das vorhätte, ich meine das natürlich rein hypothetisch.
Katja liebt Karneval, Weihnachten, Geburtstage und Silvester und lässt auch sonst keine Gelegenheit aus, um zu feiern. Und wenn sie Lust auf eine Party hat, möchte sie alle ihre Liebsten dabeihaben. Nachdem ich versucht hatte, mein Äußeres halbwegs vorzeigbar zu machen, was aufgrund meiner vorausgegangenen Heulattacken wirklich eine top Leistung war, trafen wir uns im Stadtpalais. In Insiderkreisen nennt man den Schuppen auch gerne die „Restetruhe“.
Als ich ankam, stand Katja mit einem Mann an der Theke, den sie aus dem Tennisclub kannte. Nach einer kreischenden Begrüßung und Umarmung stellte sie mich vor.
„Er ist Millionär“, flüsterte sie mir ins Ohr. Sie fand das offenbar erwähnenswert, als wäre das eine besonders gute, hervorzuhebende Eigenschaft eines Mannes. Rolf, der Millionär, musste so um die 60 sein. Er befand sich in Gesellschaft von reichlich jungen Damen, die sich in einer Menschentraube versammelt hatten und warteten, bis sie an der Reihe waren, mit ihm Champagner zu trinken.
Offensichtlich war er ziemlich angetrunken, als er mir seine Visitenkarte mit seiner Privatnummer in die Hand drückte.
„Ich gebe dir hier meine Nummer, bitte stecke sie sofort weg und zeige sie niemandem. Ich würde dich gerne wiedersehen. Bitte ruf mich an.“
Ich nahm die Karte an mich und steckte sie diskret in meine Jeans. Offenbar genoss ich Rolfs Vertrauen.
„Was möchtest du trinken? Champagner?“
„Ja, sehr gerne“, piepste ich etwas schüchtern.
Anscheinend hatte er Interesse an mir und begann eine Unterhaltung. Die war jetzt aber nicht so spannend. Ich stellte fest, dass Männer mit Geld sehr von sich überzeugt sein können und auch gerne Umgangsformen außer Acht lassen, ohne sich dafür auch nur im Geringsten zu schämen. Rolf kam mir mit seinem Gesicht so nah, dass ich seine feuchte Aussprache deutlich spürte. Es war lediglich der Tatsache geschuldet, dass ich zur Höflichkeit erzogen wurde, dass ich nicht auf der Stelle das Weite suchte. Ich habe als Kind noch gelernt, jemanden ausreden zu lassen, ob es mir gefällt oder nicht. Und Rolf konnte reden. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, widmete er sich einer anderen Dame, die ihn freudig begrüßte. Ich beobachtete, wie hübsche und wahrscheinlich halbwegs intelligente Frauen ein regelrechtes Battle veranstalteten, um bei dem Typen Eindruck zu machen, der außer Geld und Spucke nichts zu bieten hatte. Also sorry, da musste ich wirklich nicht mitmachen.
Auf meiner Flucht vor Rolf begegnete ich einem Paar dunkler Augen, die mich lüstern anblickten. Es war Toli, ein weiterer Bekannter von Katja, den sie mal am Ballermann kennengelernt hatte. Er sagte mir direkt und unverblümt, ich sei sehr süß, und fragte, ob er mich drücken dürfe. Dabei grinste er breit. Also wirklich! Was war denn das für eine plumpe Anmache? Ich ließ mich für einen Moment darauf ein, bereute es aber sofort, als ich Tolis Hände auf meinen Hüften fühlte. Ich hielt nach Katja Ausschau. Da kennt sie haufenweise solche zwielichtigen Typen, und ich muss zusehen, wie ich mit denen klarkomme. Ich sah sie eng und innig mit ihrem neuen Freund Felix auf der Tanzfläche. Toli musste wohl den Eindruck bekommen haben, ich sei sehr liebesbedürftig und bereit, denn er fing an, mich zu küssen. Ich redete mir ein, ich müsste es meinem Ex mal so richtig zeigen, und küsste zurück.
Wie lange würde es wohl dauern, bis der Trost meines Herzschmerzes einsetzte? Da stand ich nun knutschend mit einem Unbekannten in einem Club und tat so, als wäre mein gebrochenes Herz gar nicht mehr da, frisch nach dem MottoGirls just want to have fun. Ich musste mir eingestehen, dass es gar keinen Spaß machte. Vielmehr empfand ich mehr und mehr eine gewisse Abneigung gegen meinen Knutschpartner, dessen Küsse viel zu nass, viel zu plump und viel zu lieblos waren. Wirklich zu dumm, dass ich so was nicht genießen kann. Ich frage mich, wie andere das machen. Marina zum Beispiel kann ständig die aufregendsten Sex-Erlebnisse mit unterschiedlichen Partnern haben, es sei denn, sie ist gerade in einer festen Beziehung. Aber mir liegt der One-Night-Stand nicht. Sex ohne Liebe? Das geht bei mir nicht. Er ist nicht mal annähernd ein kleiner Trost. Es ist nur eine traurige Bestätigung, dass so ein missglückter Artgenosse desjenigen, der mein Herz erobert hat, es niemals schaffen würde, mich in sinnliche Sphären zu katapultieren. Und das tut nicht gut, nein, es tut weh! Und so tat ich das Einzige, was mir in dieser Situation noch blieb. Ich ging heulend zum Ausgang. Katja begleitete mich.
„Süße, du warst so tapfer den ganzen Abend. Das hätte ich nicht durchgehalten.“
„Ich will doch nur meinen Brummbär“, antwortete ich schluchzend. „Warum tut der denn nichts? Er hat nicht mal eine SMS geschickt zum Neujahr.“
Sie schaute mich mitfühlend an. „Kommst du klar, oder soll ich dich nach Hause begleiten?“
„Nein, ist lieb, aber da muss ich allein durch. Viel Vergnügen noch mit Felix, dem Kommissar.“
Ich ging raus in die kalte Neujahrsnacht. Die Luft war frostig und zum Teil lag Schnee auf den Gehwegen. Die Kälte drang tief in mein Gemüt ein. Sie stieg in mir hoch wie der Gefrierbrand an einer Tiefkühlpizza. Ich ging zur Haltestelle, um den Nachtbus zu nehmen. Meine Schritte knirschten im Schnee. Was, wenn ich jetzt einfach erfriere? Meine Füße fühlten sich schon an wie abgestorben. Wann würde mein Herz erfrieren? Kann es sein, dass ich eines Tages wach werde und nicht mehr an ihn denken muss? An das, was wir hatten? An das, was hätte sein können, wenn er nicht so feige gewesen wäre und mir eine Chance gegeben hätte?
Am nächsten Morgen wachte ich mit höllischen Schmerzen auf. Unter dem Einfluss des restlichen Alkoholgehaltes im Blut krabbelte ich aus dem Bett, um die Toilette aufzusuchen und dann Glassplitter zu pillern. Ich bin ja eigentlich tough, aber das tat echt verdammt weh. Doch da war noch etwas, das noch mehr schmerzte als die schlimmste Blasenentzündung aller Zeiten: die Trennung von Brummbär! Der Versuch, mich abzulenken, war ja total gescheitert. Obwohl ich immerhin zwei Telefonnummern mit nach Hause gebracht hatte. War das vielleicht doch ein Erfolgserlebnis? Konnte ich stolz darauf sein, zwischen einem Millionär mit feuchter Aussprache und einem Grabscher wählen zu können? Wer kann das schon von sich behaupten? Das beweist doch, dass ich zumindest noch Chancen auf dem Markt habe. Eine kleine Hoffnung, dass vielleicht irgendwann jemand dabei ist, den ich so lieben könnte wie Herrn Björn Schatz.
Bei einem Blasen-Nieren-Tee dachte ich darüber nach. Hatte er sich vielleicht gemeldet? Ich checkte mein Handy: negativ. Ich checkte meine E-Mails: nichts. Ach, was hatte ich denn erwartet? Der Herr ist wahrscheinlich jetzt gekränkt, weil man ihm sein Spielzeug weggenommen hat. Ganze acht Jahre hatte ich ihm als solches gedient. Acht Jahre meines Lebens war ich das Mittwochabend- und das Samstagvormittag-Entertainment. Damit ist jetzt Schluss, Herr Schatz! Ach, wäre es schön, wenn ich dich jetzt ganz schnell vergessen könnte. Das tun, was du verdient hast. Dich aus meinem Leben verbannen und mich sofort mit Rolf UND Toli verabreden. Ich könnte deiner Frau noch ein paar eindeutige, heiße Bilder ihres treulosen Ehemannes zukommen lassen, damit du auch nicht glücklich wirst. Ja, das wäre gerecht. Auf meinem Computer hatte ich einen OrdnerErotikgenannt. Dort sind Fotos zu finden, auf denen mein Ex-Geliebter in eindeutigen Posen zu bestaunen ist. Zum Beispiel Brummbär mit Plüsch-Handschellen ans Bett gefesselt, Brummbär nackt am Strand von Formentera oder Brummbär nur mit Schürze bekleidet in meiner Küche beim Nudeln kochen. Was wäre das für ein Skandal, wenn ich seiner Frau diesen Beweis für das Doppelleben schicke, das ihr Mann seit geraumer Zeit führt! Was für ein Triumph wäre es, wenn ich auch sein Leben zerstören würde! Das wäre die Rache, die er verdient hätte.
Ja, Rache ist süß! Es tut gut, den Ex leiden zu sehen, selbst wenn es nur in deinen Gedanken geschieht. Und das ist nichts Verwerfliches, sondern normal. Jeder Liebeskummer-Ratgeber beschreibt diese Phasen bei einer Trennung. Nach der Trauerphase kommt die Phase der Wut, in der ich mich jetzt wohl befinde. Na bitte, dann läuft doch alles nach Plan, wie bei jedem Liebeskummer halt. Das ist doch auch irgendwie beruhigend! Statt meine möglichen Verehrer anzurufen oder mich einem Racheakt hinzugeben, legte ich mich wieder ins Bett. Ich wollte nur die Decke über den Kopf ziehen und die böse Welt draußen lassen. Träumen von einem Leben mit meinem Liebsten, das ich nie wieder haben werde. So verschlief ich den kompletten Neujahrstag. Ich hatte allerdings auch nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Außer meiner Mutter hatte niemand versucht, mich zu erreichen. Ich musste sie zurückrufen und ihr ein frohes neues Jahr wünschen. Mama ist eine herzensgute Frau mit großen Träumen und wenig Mut, im Inneren Rebellin, außen ein sanfter Engel. Sie hat sich ihr ganzes Leben immer mit viel zu wenig zufriedengegeben. Zum Beispiel mit meinem Vater. Die Heirat war eine reine Vernunft-Entscheidung. Anschließend hatte sie eine oder zwei Affären, die ich ihr wirklich von Herzen gegönnt habe. Das Schicksal meinte es nicht gut. Ihr außerehelicher Freund starb mit 41 an einem Herzinfarkt. Ich war noch klein, doch ich erinnere mich sehr gut und schmerzlich an die Wochen, in denen meine Mama von morgens bis abends nur weinte. Nur ihr Ehemann merkte von alledem nichts. Mein Vater ist ein unsensibler, unerotischer, gleichgültiger Zeitgenosse, der sich nie um die Gefühle seiner Frau gekümmert hat. Wäre ich ein exakter Mix aus meinen Eltern, wäre ich jeweils zur Hälfte Langeweile und Anregung. Halb Enthusiasmus, halb Schlaffheit. Halb Reisefreund, halb Stubenhocker. Ich wäre Träume gegen Nüchternheit. Zum Glück komme ich wesentlich mehr nach meiner Mutter.
Mittlerweile haben sich meine Eltern damit arrangiert, dass es in ihrer Ehe nicht um Liebe geht. Es geht um Sachen wie: Was wird heute gekocht? Oder: Können wir die Ausgaben für die Medikamente von der Steuer absetzen? Oder: Wann holen wir die Pflaumen bei Tante Regine ab? Meine Mutter hatte nie den Mut, meinen Vater zu verlassen. Aus der aktiven Frau mit Hang zum Träumen und ein bisschen Verrücktheit in ihren Genen ist eine alte und ängstliche Person geworden. Allerdings widmet sie sich gerne meinem Leben, unterstützt mich und gibt mütterliche Ratschläge, egal was ich gerade verbockt habe.
„Barbara, wie geht es dir? Ich mache mir Sorgen.“
Was sollte ich sagen? Dass es mir hundeelend geht, ich einen schlimmen Kater habe und kurz davor bin, das Bild von einem nur mit Schürze bekleideten Brummbär an seine Frau zu schicken?
„Ach Mama, es ist gestern spät gewesen, aber ich hatte einen schönen Abend. Ich hatte mich vorhin nochmal hingelegt.“
„Ach so, na ja, dein Vater und ich haben zu Mitternacht auch ein Glas Sekt getrunken, dann sind wir schnell ins Bett gegangen. Hat sich dein Brummbär noch mal gemeldet?“
„Nein, hat er nicht.“
„Ach, es ist immer dasselbe: Du bist unzufrieden, dann machst du Schluss, und merkst dann, dass du ohne ihn auch nicht glücklich bist.“
„Ja, das sind tolle Aussichten, nicht wahr? Ich werde mit ihm nicht glücklich und ohne ihn auch nicht.“
„Ach, mein Kind, wenn ich nur wüsste, was richtig ist.“
„Ich weiß es selbst nicht, Mama. Aber ich muss das jetzt durchziehen. Es ist doch auch seine Entscheidung. Er hätte etwas ändern können, hat er aber nicht. Ich bin doch keine 18 mehr. Ich kann doch nicht mein Leben lang immer nur Geliebte sein. Aber ich weiß nicht, ob ich es ohne ihn schaffe. Er ist doch meine große Liebe.“
Mir schossen schon wieder die Tränen in die Augen. Herzschmerz tut so unendlich weh. Soll ich die große Liebe aufgeben? Was ist, wenn ich nie wieder einen Mann finde, den ich wenigstens halbwegs nett finde? Ich hätte niemanden, der sich um mich und meine Bedürfnisse kümmert. Werde ich dazu bestimmt sein, allein essen zu gehen und allein durch den Wald zu laufen? Und es wäre niemand da, mit dem ich meine Begeisterung für einen Sonnenuntergang oder einen klaren Sternenhimmel teilen könnte. Wenn ich ein Bild aufhängen wollte, müsste ich Dübel und Schraube selbst anbringen. Und was wäre mit Sex? Ich musste nochmal schnell meine Mails checken, Wunder passieren ja jeden Tag.
Sie haben Post,meldete mein Computer! Mein Herz begann zu rasen. Sechs Mails, davon fünf von Ebay-Kleinanzeigen, denn ich hatte meinen Kleiderschrank inseriert, und eine war von BRUMMBÄR. Zitternd öffnete ich den Eingang:
„Meine Liebste, es trifft mich sehr hart, aber ich kann dich verstehen, ehrlich. Du hast gehofft, dass ich für immer bei dir bleibe, aber ich war zu feige, etwas Neues aufzubauen, auch aus Angst, dass es vielleicht nicht gut geht mit uns beiden. Ein Zurück hätte es für mich nicht gegeben. Die Angst war wahrscheinlich doch größer, als die Liebe zu dir. Doch eins musst du wissen: So innig wie dich habe ich nie einen Menschen geliebt und das wird auch immer so bleiben. Ich kann die Liebe nicht einfach abstellen. Du hast mir in den acht Jahren mehr gegeben, als ich dir geben konnte, aber in meinem Herzen warst du immer die Nummer 1, auch wenn es nicht so aussah. Ich habe versucht, jede freie Minute, die möglich war, mit dir zu verbringen, aber ich verstehe, dass das nicht genug für dich war. Nun verschwinde ich aus deinem Leben, das tut uns beiden sehr weh. Für dich ist es besser. Du hast noch viel Zeit vor dir, um glücklich zu werden. Wenn du irgendetwas brauchst oder Hilfe benötigst, lass es mich wissen, ich kann nicht im Bösen von dir gehen. Wenn ich auf Papier geschrieben hätte, wäre alles nass. Pass auf dich auf. Immer dein Brummbär“
Ich steckte mir eine Zigarette an, denn ich hatte mich an Silvester spontan entschieden, wieder mit dem Rauchen anzufangen. Dann griff ich zum Telefon. Musste unbedingt mit jemandem reden, also rief ich Katja an.
„Er akzeptiert einfach meine Entscheidung. Das ist ja eine ganz linke Nummer. Er versucht doch gar nicht, mich zurückzubekommen, oder?“
„Ganz ehrlich? Ich hätte mehr von ihm erwartet. Im Prinzip ist das nur eine Zusammenfassung der Gesamtsituation, mehr nicht. Er macht keinen Vorschlag. Er versucht nicht, dich umzustimmen. Und er will auch nichts ändern. Ich denke, du hast die richtige Entscheidung getroffen. Männer müssen auch mal merken, dass sie nicht alles haben können. Du hast ihm doch wohl nicht geantwortet?“
„Nein, auf was auch? Er hat ja nicht mal gefragt, wie’s mir geht.“
„Ich bin stolz auf dich, Barbi. Du schaffst das. Guck mich an: Nach der Trennung von Oliver habe ich nun endlich wieder einen netten Kerl, mit dem ich mich gut verstehe. Ok, er sieht nicht aus wie Brad Pitt, aber er ist lieb zu mir. Und wir haben wirklich Spaß zusammen.“
„Liebst du Felix?“
„Ja, ich glaube schon.“
Katja ist noch mit Oliver verheiratet. Nachdem sie ihn vor zwei Jahren beim Fremdgehen erwischt hatte, war sie sofort aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen.
„Ich kann unmöglich mit einem Mann leben, der sich mit einer anderen vergnügt hat“, sagte sie.
Sie hatten eine schöne, große Hochzeit mit riesigem Tamtam. Dann reisten sie in den Flitterwochen auf die Bahamas. Zwei Jahre ist das erst her. Und dann kam Katja auf die Idee, das Handy von Oliver zu inspizieren, nachdem er sich irgendwie auffällig benommen hatte. Ich frage mich, wieso ein Mann eine gutaussehende, fröhliche Frau, die in Vollzeit arbeitet und noch mit Liebe für ihren Mann das Essen kocht, betrügen kann. Sind Männer so konstruiert, dass sie sich keine Gelegenheit entgehen lassen können? Konnte er zu der Dame aus Sachsen einfach nicht nein sagen, weil es in seiner Programmierung nun mal so vorgesehen ist? Immerhin ist er mit Katja weiterhin befreundet. Die beiden treffen sich regelmäßig zum Laufen, da sie sportlich immer ein eingespieltes Team waren. Ich glaube, dass Katja einfach noch nicht richtig loslassen konnte und sich etwas von dem Alltag mit Oliver bewahren wollte. Trennung von Bett und Tisch, aber nicht von Gewohnheiten. Auch der gemeinsame Freundeskreis wurde weitestgehend aufrechterhalten. Nach Katjas Trennung sind wir viel ausgegangen, und fast jedes Mal lernte sie einen neuen Mann kennen. Da gab es den Boxer, den Porschefahrer, den Studenten, den Biker, den scharfen Sven und nun den Kommissar. Meine Freundin hat es seitdem richtig krachen lassen. Für mich blieben da immer nur die doofen Trottel, die weder außen noch innen irgendwelche Werte zu bieten hatten. So wie Stefan. Ich hatte mich von ihm in der Bierbörse anquatschen lassen, mit den Worten:
„Wie heißt du? Hast ’n Freund?“
Es erinnerte mich ein bisschen an die archaischen Triebe eines Höhlenmenschen, wie ich von ihm auf die Tanzfläche gezogen wurde, doch als Wolfgang Petry losträllerte, ergab sich für mich die Chance, Stefan verdutzt stehenzulassen. Er grölte dann allein weiter: „Wahnsinn! Warum schickst du mich in die Hölle? Hölle, Hölle, Hölle …“
Na ja, wenn du in die Bierbörse gehst, solltest du auch nicht davon ausgehen, dort einen gutaussehenden Kerl mit Niveau zu treffen, der sich eventuell ausgerechnet noch in dich verlieben könnte. Das wäre dann ein Film. Aber das hier ist das wahre Leben.
Der heutige Morgen ging genauso los wie die davor. Ich wachte auf und spürte als Erstes meine Blase. Dann spürte ich einen Stich, der so fies ins Herz geht. Der dir unmissverständlich klarmacht, dass du noch lebst, aber etwas nicht stimmt. Und dass noch vor dem Frühstück der erste Heulanfall auf dem Plan steht.
Nun stehe ich im Badezimmer und schaue mich im Spiegel an. Habe ich mich trotz meiner 40 Lebensjahre gut gehalten? Bin ich noch schön? Habe ich noch Chancen? Dank regelmäßiger Fitness mit Step Aerobic und Bauch-Beine-Po habe ich die meisten meiner Problemzonen halbwegs in den Griff bekommen. Außer mein Bindegewebe. Neigt man zu Cellulite, gibt es nichts, was man dagegen machen kann. Ich habe es mit teuren Cremes und Zupfmassagen versucht, mit scharfen Senfsalben und kalten Brausen. Inzwischen habe ich es aufgegeben. Ich müsste außerdem meine Arme etwas mehr trainieren, und meine Knie sehen an den Seiten etwas speckig aus. Unschöne kleine Besenreiser haben sich an meinen Waden breitgemacht wie feine Spinnengewebe im Morgentau. Meine Brüste sind auch nicht das, was Männer anhimmeln würden. Ich trage Größe 80B, das heißt kleiner Busen, aber ein großer Brustumfang, was natürlich umgekehrt vorteilhafter wäre. Du kannst zwar mit Push-up-BHs eine Menge zaubern und das Dekolleté praller aussehen lassen, aber spätestens, wenn er dir die Kleider vom Leibe reißt, merkt dein Lover sowieso, dass du gemogelt hast. Aber dann wird er auch nicht sagen „sorry, mir gefallen deine Brüste nicht“ und dich aus dem Bett schmeißen. Und wenn doch, dann hast du auch nichts verpasst.
Männer sollen ja sowieso relativ entspannt mit den weiblichen Problemzonen umgehen und manches Körperteil, das wir an uns nicht leiden können, sogar sexy finden. Wie zum Beispiel einen dicken Po. Wenn wir jenseits der 30 sind und uns in eine Skinny Jeans trauen, die normalerweise Teenagern vorbehalten ist, schauen wir uns von allen Seiten selbstkritisch im Spiegel an. Männer hingegen sabbern bereits bei dem Anblick und wollen den Beischlaf am liebsten sofort in der Umkleide von Zara vollziehen. Kommen wir also zumeinemHintern, denn den fanden bisher alle meine Exfreunde mehr als in Ordnung. Es soll ja so sein, dass jeder Mensch irgendwelche optischen Vorteile hat, die jeden auf seine individuelle Weise schön wirken lassen. Bei mir ist es der Po, denn er ist schön rund und macht in einer engen Jeans eine gute Figur. Fragt sich nur, wie lange noch. Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich mich eher für ein hübsches Gesicht entschieden, denn das bekommen meine Mitmenschen ja viel öfter zu sehen. Meines entspricht leider nicht dem Schönheitsideal. Unter einer zu breiten Nase wirken meine Lippen zu schmal. Die Wangen, die schmal sein sollten, sind bei mir recht breit ausgefallen. Meine Augen schwanken je nach Stimmung zwischen grün und braun. Mein Lächeln lässt mich brav und verlässlich wirken, einer gutmütigen Kuh nicht unähnlich. Und das bin ich ja irgendwie auch. Heute helfe ich meiner Optik mit ein bisschen Make-up und einem aufpolsternden Lipgloss nach, und schon sehe ich etwas netter aus. Noch ein bisschen Mascara auf die Wimpern und mein Blick wird tief und geheimnisvoll. Meine problematischen Haare werden dank meines Glätteisens zu einer glänzenden, weich fallenden Frisur.
An diesem Morgen gebe ich mir alle Mühe, gut auszusehen. Weiß nicht, was mich geritten hat, aber mein dusseliges Herz glaubt an die Liebe. Vielleicht trennt Brummbär sich doch noch spontan von seiner Frau. Es kann einfach nicht vorbei sein. Noch nicht. Vielleicht heute schon könnte er aller Vernunft zum Trotz mit seiner Zahnbürste vor meiner Tür stehen. Sollte der Fall eintreten, muss ich wenigstens annähernd wie eine Göttin aussehen. Eine Versöhnung und ein neues Leben möchte ich nicht verheult und ungestylt im Schlafanzug beginnen. Ich entscheide mich für ein kurzes, graues Strickkleid mit Strumpfhose. Eigentlich mag Brummbär lieber nackte Beine, aber im Winter kann er das wohl nicht erwarten, gerade jetzt, wo ich mit meiner Blase Probleme habe. Ich schlüpfe in meine Puschen, auf denen ein Lämmchen aufgenäht ist und die die AufschriftUnschuldslammtragen. Brummbär hat so ähnliche, nur mit einem Hirsch und der AufschriftImmer auf der Pirsch. Die habe ich ihm mal zu Nikolaus geschenkt. Schließlich sollte er sich hier wohlfühlen, und dazu gehören auch warme Füße.
Geschminkt, gestylt und nett gekleidet schalte ich den Computer ein. Keine weiteren Mails. Im Herzen spüre ich wieder diesen grausamen Stich. Ich antworte:
„Lieber Brummbär,
eine Garantie gibt dir keiner. Das ganze Leben ist ein Risiko. Du hast nicht an UNS geglaubt und mir nicht vertraut. Aber ich hätte dich niemals im Stich gelassen. Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt. Das war so, seit ich dich kenne, und das wird auch immer so bleiben. Es ist so traurig, dass wir keine Chance haben. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne dich glücklich zu sein. Alles, was bleibt, ist die Erinnerung und die Vorstellung, was hätte sein können. Kann dich nicht vergessen.
Immer deine Maus“
Ich speichere die Mail unter „Entwürfe“. Am späten Abend schicke ich sie ab.
Schlafen wir mal wieder miteinander?
„Du, sag mal, schlafen wir mal wieder miteinander?“
Diese Frage hörte ich in den letzten acht Jahren häufiger. Meistens kam sie in direkter Weise immer dann, wenn ich meinen Schatz einige Zeit mit Liebesentzug bestraft hatte. Hin und wieder hatte ich triftige Gründe, gekränkt, beleidigt und enttäuscht zu sein. Unsere Dates waren mir immer heilig. Doch Brummbär hatte die Angewohnheit, unsere festen Treffen manchmal zu verschieben, vorzuverlegen oder im schlimmsten Fall ganz abzusagen, weil er ja schließlich so viel andere wichtige Dinge zu tun hat. Sein Beruf als KFZ-Gutachter reicht ihm da schon lange nicht mehr. Er ist außerdem auch noch Vorsitzender des Sportvereins und seit einigen Jahren in der CDU. Das hat ihm den Posten des Seniorenbeirats gebracht. Ja, mein Freund kümmert sich um die alten Leutchen in Bielefeld. Oft steht er deshalb in der Zeitung und erwartet dann immer Lob und, wie soll ich sagen, eine Art Besitzerstolz von mir. Was natürlich schwer ist, wenn man offiziell keinen Besitzanspruch hat. Auch seinen Trainerposten beim Judo übt er noch immer mit Begeisterung aus. Ende der 80er-Jahre war ich dort auch mal Mitglied, nachdem ich mit Katja einen Selbstverteidigungskurs in dem Sportverein gemacht hatte. Ich muss zugeben, dass ich mich nur angemeldet hatte, weil ich den Mann einfach total sympathisch und extrem sexy fand. Meine Teilnahme war erfolgreich, zumindest was unsere Liebschaft anging. Sportlich lief es nicht so gut. Ich brauchte zwei Jahre, bis ich immerhin die Prüfung zum weiß-gelben Gürtel bestand. Manchmal zeigte Brummbär an uns Judokas, wie man jemanden mit gezielten Handgriffen innerhalb von Millisekunden auf den Boden schmeißt. Wenn er mich dafür auswählte, bekam ich Herzklopfen. Meistens auch einen roten Kopf. Und wenn ich dringend das Bedürfnis hatte, ihm näherzukommen, tat ich so, als hätte ich Kreislaufprobleme. Dann kümmerte er sich liebevoll um mich und meinen Gesundheitszustand und fragte meistens nebenbei, ob ich ihn denn nicht mal wieder anrufen wolle, damit wir ein Date vereinbaren können. Zu den weiteren Aktivitäten des Herrn Schatz zählt die Kunst. Er malt Aquarellbilder, und das ziemlich erfolgreich. Oft muss er eine Ausstellung vorbereiten oder sich um die Vermarktung und den Verkauf seiner Bilder kümmern. Klar bin ich auch stolz auf sein Talent. Die Bilder sind sehr schön. Er hat auch mal eins von mir gemalt. Darauf bin ich in freizügiger Pose zu bestaunen, mitten in den Dünen auf der Insel Langeoog. In meiner Wohnung hängen mehrere Bilder von ihm. Es ist nicht so, dass ich Ahnung von Kunst habe, aber ich liebe Farben. Kürzlich hatte ich ihn gebeten, ein abstraktes Bild zu malen. Es besteht aus Rot-, Lila-, Orange- und Gelbtönen. Es passt hervorragend zu meiner Einrichtung und erzeugt eine Gute-Laune-Stimmung, was ja nie schaden kann. Ein anderes Bild zeigt eine Dame, die den Zeigefinger hebt, in einem schwarzen Kleid und mit riesiger Sonnenbrille vor knallrotem Hintergrund. Sie sieht etwas streng aus. Wir haben das Bild daherKeine Schulden machengenannt.
Bei all den Aktivitäten, die mein Liebster ständig um die Ohren hatte, war es wohl verständlich, dass ich mich öfter vernachlässigt fühlte. Auch passte es mir gar nicht, wenn er von mir erwartete, dass ich mich nur nach ihm zu richten hatte. Schließlich hatte ich noch einen Vollzeitjob, er konnte sich seine Arbeit einteilen und bereitete sich schon auf den Ruhestand vor. Aber das Schlimmste war, wenn er mit seiner Gattin in den Urlaub fuhr. Meistens rückte er erst sehr spät mit der grausamen Wahrheit raus, denn er wusste, dass Ärger vorprogrammiert war. Wer mag schon den Gedanken, dass der Liebste statt mit dir mit seiner Gattin am Titisee sitzt oder auf Sylt am Meer und die Tage und, was noch schlimmer ist, die Nächte auf engstem Raum mit ihr verbringt? Da kann er mir noch so oft sagen, dass da nichts läuft, und er das nur macht, um mal rauszukommen, da er doch den Urlaub so bitter nötig hat. Für mich war es jedes Mal ein Albtraum. So gab es immer mal Streit zwischen uns. Ich konnte schließlich nicht zulassen, dass ich für ihn zur Selbstverständlichkeit wurde. Dann sagte ich öfter ein Date ab, und wenn wir uns sahen, verweigerte ich ihm Zärtlichkeiten. Und dann kam die bereits erwähnte Frage:
„Schlafen wir mal wieder miteinander?“
„Ich weiß nicht …“
„Hast du denn keine Lust mehr auf deinen Brummbär?“, fragte er dann und lächelte dabei zuckersüß.
Sollte ich nachgeben? Oder mein Beleidigtsein noch etwas auskosten? Ich ging ja nie so weit, dass wir uns ernsthaft stritten oder gar trennten. Ich wollte ihn nur ein bisschen verunsichern. Damit er sich wieder mehr Mühe gibt. Manchmal hatte ich schon ein bisschen Sorge, er könnte am Ende wirklich nicht mehr mit mir schlafen. Das Liebemachen mit ihm ist ja schon etwas Besonderes. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns so selten sehen, denn, ich hatte es erwähnt, ich bin ja nur seine heimliche Geliebte. Aber dieses Seltene machte den Reiz aus. Es hatte gar keine Chance, zur Alltäglichkeit zu werden. Auch der Altersunterschied störte mich nie. Es ist nämlich so, dass Brummbär 30 Jahre älter ist als ich. Oft wird in solchen Fällen Reichtum vermutet. Doch den hat er nicht zu bieten. Es ist nicht so, dass es ihm finanziell schlecht geht, aber davon habe ich nicht viel. Ich habe weder auf seine Rente noch auf sein Erbe irgendwelche Ansprüche. Sein charmantes Auftreten und sein wunderschönes Lächeln reichten völlig aus, um mich zu überzeugen. Und diese Liebesbedürftigkeit in seinen Augen machte ihn für mich einfach unwiderstehlich. Ich möchte auch betonen, dass er nicht wie über 70 aussieht und sich auch nicht so verhält. Durch seinen Sport hat er einen gut trainierten Body, bis auf ein klitzekleines Bäuchlein, das ihm etwas Unperfektes gibt. Seine vielen Aktivitäten halten ihn geistig fit, wie man so schön sagt.
Was die Liebe angeht, hatte ich bisher eher ein bescheidenes Leben. Meine Exfreunde kann ich wirklich an einer Hand abzählen. Ich hatte vor der letzten Liebschaft mit Brummbär zwei längere Beziehungen. Zwei Jahre lang war ich mit Heiko Schmidt zusammen. Dann hat er mich mit Alex betrogen. Sieben Jahre habe ich es mit Udo Bohlmann ausgehalten. Dann habe ich ihn betrogen. Meine einzige Jugendliebe dauerte nur sechs Wochen, aber ich möchte sie hier trotzdem erwähnen. Was habe ich wegen Markus Meppmann gelitten. Mittlerweile ist er längst verheiratet. Und das mit dem Mädchen, das er direkt nach mir kennenlernte. Sie wurde eine biedere Steuerfachgehilfin, seine Ehefrau und Mutter von zwei Kindern. Mit ihr hat alles reibungslos funktioniert. Und was war mit mir nicht ok? Habe mich das mein Leben lang gefragt. Obwohl ich ein stilles Wasser bin, kann man nicht behaupten, dass es mit mir langweilig ist. Als ich mit Markus zusammen war, habe mich sehr um Romantik und Ekstase bemüht. Einmal habe ich ihn im „Big Monster“ auf der Kirmes hemmungslos geküsst. Ein anderes Mal überredete ich ihn, durch den Maschendrahtzaun in den Safari-Park in Schloß Holte-Stukenbrock einzubrechen, da der Eintritt immer so teuer war. War ich ihm zu anstrengend? Wurde ihm schwindelig mit mir? Nachdem er völlig überraschend mit mir Schluss gemacht hatte, habe ich viel Tagebuch geführt, meinen Freundinnen die Ohren voll gejammert und Kuschelschnulzen von meinem Lieblingssänger Chris de Burgh laut und endlos gehört. Und während ich noch hoffte, er würde mich anrufen und es bereuen, mich so schändlich aus seinem Leben verbannt zu haben, ging er schon händchenhaltend mit Tatjana über die Kirmes und knutschte mit ihr im Musikexpress. Ich war 17 und dachte, mein Leben sei vorbei. Einige Male habe ich Markus auch Briefe geschrieben, wie diesen hier:
„Hallo Markus, mir tut im Inneren etwas weh. Es ist wohl die Sehnsucht nach dir. Aber du bist nicht da. Niemand ist da, nur meine verdammten Gefühle für dich, die dir völlig egal sind. Doch ich bin nicht irgendwer, meine Liebe ist nicht irgendwas. Meine Liebe ist etwas Besonderes, so wie jede. Ich bin etwas Besonderes, so wie jede. Also bin ich eigentlich gar nicht besonders. Verstehst du das? Ich verstehe gar nichts mehr. Ich weiß nur, dass ich dich nie wieder gernhaben kann, obwohl ich dich liebe. Du bist echt scheiße! Barbara“
Das ist jetzt schon echt lange her. Selbstverständlich habe ich diese in tiefster Pubertät verfassten Briefe niemals abgeschickt. Ich hebe sie seitdem auf. Als Mahnmal! Sie sind fünfmal umgezogen und nun, wenn ich sie lese, ist mir das Mädchen mit der Handschrift, die meiner so ähnlich ist, fremd. Nur diesen fiesen Schmerz, ausgelöst durch Liebeskummer, den erkenne ich wieder. So oft wie ich daran gelitten habe, möchte ich fast sagen, Barbara und Liebeskummer, das gehört irgendwie zusammen. Der Liebeskummer ist mein fieser Kumpel geworden. Ich kenne ihn gut, und oft sind wir zusammen einen trinken gegangen. Ich habe in den ganzen Jahren nicht herausbekommen, wie man ihn am schnellsten wieder loswird. Weder mit 17 noch mit 40. Er ist hartnäckig. Er beißt sich fest und will nicht gehen. Und er lässt mich Dinge tun, die mich komplett lächerlich machen, oder bringt mich dazu, sinnlose Racheakte zu verüben. Einmal habe ich eine Freundin an Silvester überredet, zum Haus von Markus’ Eltern mitzukommen. Wir hatten vorher reichlich Sekt getrunken und ich steckte übermütig einen Böller in den Briefkasten der Meppmanns. Dann liefen wir kichernd davon. Wir tranken noch einen Sekt auf unsere erfolgreiche Mission, rauchten eine Zigarette und fühlten uns großartig. Manchmal überlege ich heute noch, solche oder ähnliche Aktionen zu wiederholen. Nicht, weil ich Markus vermisse. Sondern, weil er mich so mies behandelt hat. Aktuell findet sich leider niemand, der da noch mitmachen würde.
Mit meinem Freund Heiko war ich sogar schon zusammengezogen. Als er Schluss machte, habe ich mich komplett zum Vollhorst gemacht. Es war vielleicht meinem jugendlichen Alter von 24 Jahren geschuldet, denn ich machte alles falsch, was man nur falsch machen kann. Ich bat ihn, uns noch eine Chance zu geben. Um es ihm leichter zu machen, schenkte ich ihm ein Fotoalbum mit allen schönen Momenten aus unserer Beziehung. Ich hatte wirklich Hoffnung, dass es ihn beeindrucken und er zu mir zurückkehren würde. Er kam natürlich nicht zu mir zurück. Ich heulte mir mal wieder die Augen aus und glaubte, nie wieder jemanden zu finden, den ich so lieben könnte wie Heiko Schmidt. Nach vier Monaten gab es eine kleine Genugtuung: Seine Neue hatte schon wieder Schluss gemacht. Es ging das Gerücht um, sie sei eine Nymphomanin und es gäbe eine Liste, in der jeder Typ mit Foto und Bewertung der sexuellen Leistung aufgenommen würde. Alle Jungs wurden von ihr spätestens nach vier bis fünf Monaten wieder abserviert. Und Heiko Schmidt ging es nicht anders. Ich war nach der Trennung wieder in meine alte Wohnung gezogen und hatte mich mittlerweile mit dem Ende abgefunden. Als die Dame weg war, erinnerte sich Heiko wieder an mich. Es ist ein Phänomen. Ich glaube, die Ex-Lover spüren es, wenn man drüber weg ist. Und das scheint ihnen auch nicht recht zu sein. Ich wurde angerufen und unter fadenscheinigen Vorwänden in seine Wohnung gelockt. Es war nicht zu übersehen, dass er die Sache inzwischen bereute und sich womöglich einen Neuanfang ausmalte. Und dann machte ich mal etwas richtig. Ich ließ ihn abblitzen. Ein Gefühl der Überlegenheit und absoluten Befriedigung! Ein paar Wochen später erlaubte ich mir mit meinen ehemaligen Nachbarn Roland und Andrea noch einen Spaß. Die beiden hatten sich auch mit Heiko zerstritten. Es waren quasi Gleichgesinnte. Wir klingelten bei ihm. Er öffnete die Tür und sah uns erstaunt an.
„Wir wollten uns entschuldigen“, sagte Roland todernst.
Heiko erwiderte irritiert: „Wie jetzt? Ja … dann kommt doch erst mal rein.“
„Nee, lass mal“, sagte ich, „eigentlich wollten wir dir nur ein schönes Leben wünschen. Tschüss.“
Andrea wiederholte meine Worte.
„Schönes Leben noch, Heiko.“
Wir lachten, und dann gingen wir einfach wieder. Ja, die Aktion war lächerlich und kindisch. Aber von dem Tag an fühlte ich mich wesentlich besser. Glaubt mir, liebe Mitstreiterinnen, man ist nie zu alt, um sich über den Ex lustig zu machen. Man ist nie zu reif, um sich eine fiese Rache auszudenken. Als Katja von Olivers Seitensprung erfahren hatte, wollte sie im Namen der Ossi-Schlampe, wie sie die Dame seither bezeichnet, eine Anzeige aufgeben:Swetlana, jung und unersättlich, sucht Männer für scharfe Spiele. Sie war nur mit Mühe davon abzubringen. Nach einer Flasche Prosecco hat sie die Frau direkt angerufen, um sie persönlich zur Schnecke zu machen. Auf meine Frage, was sie denn alles gesagt hätte, antwortete sie nur:
„Keine Ahnung. Aber ich glaube, das Richtige.“
Danach ging es ihr besser. Es befreit ja auch die verletzte Seele, wenn man mal Dampf ablässt.
Meinen letzten Freund Udo musste ich dann verlassen. Irgendwie hat es nie gepasst zwischen uns. Ich hatte mich damals auf ihn eingelassen, weil ich ein bisschen Trost gesucht hatte nach dem Debakel mit Heiko. Niemals hätte ich gedacht, dass ich mal zu ihm ziehen würde, und dass ich sieben Jahre brauchen würde, um ihm den Laufpass zu geben. Udo mochte keinen Sport, außer im Fernsehen, und er ging ungern aus. Er amüsierte sich lieber im Schlafzimmer oder im Wohnzimmer, das über einen überdimensional großen Fernseher verfügte. Seine Lieblingssendungen warenNotrufmit Hans Meiser undBarbara Salesch, die Richterin mit der knallroten Kurzhaarfrisur. Was hatte ich einen Hals, wenn die Dame mich nachmittags, wenn ich von der Arbeit kam, anglotzte und das Urteil verkündete. Udo saß entspannt davor, mit Käffchen und Zigarettchen, und erzählte mir, was ich von der Verhandlung so Spannendes verpasst hatte. Nicht, dass es mich interessiert hätte. Ich wäre an manchen Tagen am liebsten gar nicht nach Hause gegangen. Udo war auch ständig knapp bei Kasse und ließ sich dann gerne von mir durchfüttern. Ich hatte drei unzufriedene Jahre mit Udo, dann zog ich in eine eigene Wohnung. Weitere drei Jahre später war es dann endgültig vorbei. Ich muss zugeben, dass ich mich gerne vor solch schwerwiegenden Entscheidungen drücke. Und dass ich manchmal ziemlich verpeilt bin. Wir verabredeten uns etliche Wochenenden, fast ausschließlich bei mir, und verbrachten die Zeit im Bett oder vor dem Fernseher. Gerne auch beim Essen, denn Udo hatte immer großen Hunger. Jeden Freitag füllte ich den Kühlschrank, jeden Sonntagabend war er leer. Und Udo fuhr satt nach Hause. War ich zu schwerfällig, um zu merken, dass er mich nicht glücklich machen konnte? Hatte ich Angst vor Veränderungen? Ich langweilte mich zu Tode und unternahm nichts dagegen.
Am 11. September 2002 passierte dann etwas Überraschendes. Etwas seltsam, dass es genau der erste Jahrestag der schrecklichen Anschläge auf das World Trade Center war. Ein Datum, das für mich auf immer und ewig unvergessen bleibt. Ich war mit Bruni, ihrer Kollegin Anneliese und meiner Kollegin Roswitha auf dem Weinmarkt in Bielefeld, als ich IHN sah. Als der direkte Anschlag auf mein Herz und mein geruhsames Leben erfolgte. Der liebevolle Blick und dieses zarte, fast schüchterne Lächeln trafen mich volle Kanne. Bruni sagte, ich hätte ausgesehen, als hätte mich David Copperfield persönlich in Trance versetzt. Hätte ich weglaufen sollen? Vor dem Schicksal, das nun seinen Lauf nahm? Ich lief nicht weg. Ich ging ihm entgegen, bis wir uns direkt in die Augen sahen. Ich strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Er auch. Dann geschah das unglaublich Wunderbare. Er drückte mich. Innig. Ich atmete seinen Duft ein. Lagerfeld, sein Aftershave. Nirgendwo riecht es so intim und erotisch wie an ihm. Schon damals konnte ich stundenlang an ihm herumschnüffeln. Es versetzte mich in einen Zustand der Glückseligkeit. Er war meine erste große Liebe gewesen, wenn man mal von Markus Meppmann und der platonischen Liebe zu Chris de Burgh absieht. Und diese Liebe hatte einiges zu bieten. Es gab nur heimliche Treffen, anfangs immer in seinem Auto, da ich noch keine eigene Wohnung hatte. Den ersten Sex mit ihm hatte ich in einem Golf II, die Scorpions sangenStill loving youdazu. Etwas später kaufte er sich einen Mercedes. War aber auch nicht bequemer. Einen Sommer fuhren wir mit dem Motorrad nach Bayern an den Kochelsee. Wir schliefen im Zelt und kochten Bohneneintopf mit dem Campingkocher. Nach zweieinhalb Jahren trennte ich mich schweren Herzens. Zehn Jahre war das her.
Und nun stand der Mann vor mir, lächelte unfassbar süß und stellte die typischen Fragen, wenn man sich so lange nicht gesehen hat.
„Wie geht’s dir? Bist du noch bei Schluppe? Wo wohnst du jetzt? Du siehst super aus.“
Brummbär erzählte folgendes: Er hat das Sachverständigen-Büro an seinen Sohn Rudolf abgegeben und hilft nur noch gelegentlich aus. So hat er nun viel Zeit, in den Urlaub zu fahren. Er hat ein weiteres Haus gekauft und renoviert die Wohnungen, um sie dann zu vermieten. Markus Meppmann, der sich mittlerweile als Installateur selbstständig gemacht hat, saniert dort die Bäder. Wir erzählten und lachten, als plötzlich eine kleine, dicke Frau auf uns zukam. Sie stampfte wütend mit den Füßen und sah Björn mit strafenden Blicken an.
„Das ist eine Bekannte von Markus Meppmann“, erklärte Brummbär seiner Gattin.
„Na ja, schließlich war ich ja auch lange beim Judotraining dabei“, fügte ich hinzu.
Ich bemühte mich um eine arrogante Haltung. Ich hatte eindeutig die bessere Figur und war wesentlich jünger und hübscher. Die kleine Frau verzog keine Miene, sprach kein Wort und drehte dann auf dem Absatz wieder um. Er drückte mich nochmal sehr innig, als wir uns verabschiedeten.
„Kann es sein, dass er dir noch was bedeutet?“
Bruni und ich standen angelehnt in der Stadtbahn Linie 1 auf dem Weg nach Hause, nachdem wir reichlich Weine verkostet hatten. Ich seufzte vor mich hin und starrte gedankenverloren Löcher in die Luft.
„Mmmmm, kann schon sein.“
„Du siehst aus, als wärst du verliebt.“
„Mmmmm, ich glaube, da ist noch was … es war so schön, ihn zu sehen. Ja, ich glaube, er bedeutet mir noch etwas. Ist das so schlimm?“
„Sei nur vorsichtig! Nicht, dass das ganze Elend wieder von vorne beginnt.“
„Heute will ich das nur genießen. Er hat mich so lieb angeguckt … Ich muss aussteigen, schlaf gut, wir hören voneinander.“
Hatte sie wirklich „Elend“ gesagt?
Über Marienkäfer und Entzugserscheinungen
Katja versuchte nach der Trennung von Oliver, ihren Kummer zu kompensieren, indem sie nach anderen Männern Ausschau hielt, und ich war ihre passende Begleitung. Große Hoffnungen, dass ich vielleicht auch einen unverheirateten Mr. Right kennenlernen würde, machte ich mir nicht. Ich denke an den Abend, als wir ihren frisch unterschriebenen Mietvertrag nach ihrem Auszug feierten. Zunächst war es gar nicht gut um unser Treffen bestellt. Meine Krisselhaare waren für mich stets ein unkalkulierbares Risiko gewesen, besonders wenn ich ausgehen wollte oder einen wichtigen Termin hatte. Da reichten ein bisschen höhere Luftfeuchtigkeit, ein kleiner Windstoß oder geringfügiges Schwitzen, und die Biester plusterten sich auf und standen chaotisch in alle Richtungen meines Hauptes ab. Deshalb schaffte ich mir vor zwei Jahren ein Glätteisen an. Dies ist meiner Meinung nach eine der großartigsten Erfindungen der Menschheit, die mir zu wesentlich mehr Würde und Selbstbewusstsein verholfen hat. Ich konnte mich seitdem viel besser entspannen, in dem Wissen, mein Haar würde sich nicht eigenwillig in etwas verwandeln, das mit Frisur nichts mehr zu tun hat. Nie wieder wollte ich so eine schlimme Situation wie die erleben, als ich in einem angesagten Shop in Bielefeld ein neues Kleid für die Vernissage von Brummbär gekauft hatte. Die Verkäuferin machte mich darauf aufmerksam, dass mir das Kleid gutsteht und dann sagte sie: „Aber die Haare!“ Dazu muss ich sagen, dass ich mit dem Fahrrad gekommen war und der Fahrtwind meine Bemühungen um eine Frisur eiskalt zunichtegemacht hatte. Für mich war es die absolute Demütigung.
Ich zog mein geliebtes Glätteisen durch die Haarsträhnen, aber nichts passierte. Es hatte über Nacht den Geist aufgegeben. Einfach so. In meiner Frisur-Katastrophen-Not fand ich schließlich noch einen alten Lockenstab, den ich früher immer zum Stylen benutzte. Draußen nieselte es, was die Frisur dann endgültig ruinierte. Ich sah aus wie ein alter Naturbesen im Sturm.
Ich traf Katja am Rathaus.
„Ich habe heute den Mietvertrag unterschrieben!!“
„Du hast was? Das ist super!“
Katja und ich kreischten wie närrisch gewordene Teenager und drückten uns.
„Ich bin so stolz auf dich. Weißt du was? Wir lassen uns nichts mehr gefallen! Wir machen nur noch, was uns Spaß macht.“
„Genau. Ich will jetzt auch erst mal nur an mich denken. Ich will keinen, für den ich wieder kochen und bügeln darf und der dann zum Dank mit einer Älteren aus dem Osten ins Bett geht. Hast du übrigens eine neue Frisur?“
„Nein, eine böse Laune der Natur.“
Nach dem Essen beim Italiener gingen wir in eine Bar. Neben mir saß ein Typ, der mich die ganze Zeit anlächelte. Na bitte, es ging doch trotz struppiger Haare. Was für ein lustiger Abend! Mit zunehmendem Alkoholpegel amüsierte ich mich prächtig. Der Typ quatschte mich dann tatsächlich an. Er redete viel. Hauptsächlich von sich. Ich musste mir etliche Storys über seine Ex-Beziehungen anhören, welche schweren Enttäuschungen er im Leben schon erlebt hat, und dass er immer ausgenutzt wurde von den ach so bösen Frauen. Der Typ war wirklich ein Auslöser für Depressionen.
„Junge, wundert dich das wirklich? Schau dich an, du Seelenwrack, so willst du eine Frau glücklich machen?“, dachte ich mitleidslos und sage mitleidsvoll:
„Ach, das ist ja traurig. Aber du findest bestimmt auch noch die Richtige!“
Ja, das bin ich. Immer nett und höflich.
Am Ende landeten wir noch in der Bierbörse, obwohl ich mich zunächst geweigert hatte. Die Bierbörse erfüllt nur einen Zweck: Abschleppen oder abgeschleppt werden. Hier wird Musik von Wolle Petry oder Marianne Rosenberg gespielt. Katja lernte an dem Abend Volker kennen. Wir nannten ihn den Boxer, und er sah wirklich zum Fürchten aus. Wie ein Türsteher oder ein Bodyguard oder eben ein Boxer. Ich würde ihm nachts nicht so gern begegnen, wenn ich ehrlich bin.
„Bist du dir sicher? Der Typ?“, fragte ich etwas besorgt.
Sie fuhr mit der Hand durch ihre langen, blonden Haare und sagte, dieBad Boyswürden sie mehr reizen als dieGood Boys.
„Weißt du, das ist doch mal was anderes als immer so ein netter Schwiegersohn, der sich bei den Eltern einschleimt.“
„Ja, das ist was anderes, da hast du recht.“
Lange gehalten hat es mit dem Typen übrigens nicht. Heute beschreibt Katja ihn so:
„Der hatte ja nicht viel in der Birne, aber er konnte echt super schwere Kisten und Möbel schleppen, als ich umgezogen bin.“
Was mich anging, lernte ich mal wieder nur Volltrottel kennen, von denen einer so hartnäckig war, dass ich unseren Boxer um Hilfe bitten musste. Der Typ kapierte dann aber sehr schnell, dass ich kein Interesse hatte. Eins verstehe ich nicht: Warum haben manche Männer ein Auftreten wie Mr. World, obwohl sie außer einem Pickelgesicht und einer Bierfahne nichts weiter bieten können? Sende ich unbewusste Signale, die völlig falsch verstanden werden? Sehe ich so aus, als suche ich einen Mann, der mich begrabscht, Intelligenz und Aussehen unwichtig? Ein Bekannter sagte mal zu mir, ich hätte so eine liebe, mütterliche Art. Eine gutmütige Milchkuh eben! Daran muss ich dringend arbeiten.
Mit Brummbär war alles anders. Seine zarte Umarmung tat gut, seine Worte verzauberten mich, seine Berührungen machten süchtig. Nachdem wir uns auf dem Weinmarkt wiedergesehen hatten, vergingen eineinhalb Wochen, ohne dass wir voneinander hörten.
„Was soll ich bloß machen? Er meldet sich nicht.“
Meine Kollegin Roswitha schaute mich mitfühlend an.
„Ja, er ist bestimmt unsicher. Er weiß ja nicht, wie Sie jetzt leben, ob Sie verheiratet sind oder Kinder haben.“
Wir saßen bei Schluppe in der Buchhaltung, an unserem Arbeitsplatz. Unser Boss und Prokurist Eberhard Groschke war zur Pause. Trotz der über 20 Jahre, die wir schon zusammenarbeiten, siezen wir uns noch immer. Das heißt aber nicht, dass wir nicht über vertrauenswürdige Dinge sprechen. Meine liebe Kollegin weiß mehr von mir als meine Mutter, und wir können uns alles erzählen. Natürlich nur, solange der Chef nicht im Büro ist. Und sie hatte auch diesmal recht. Wo sollte Brummbär denn anrufen? Bei mir zu Hause war schlecht, weil er nicht wusste, dass ich allein wohne. Meine Handynummer hatte er nicht. Woher auch? Damals gab es noch keine Handys. Er rief mich früher auf dem Festnetz meiner Eltern an, um sich mit mir zu verabreden. Meistens während er abends noch Büroarbeiten erledigte, und das war immer an einem Dienstag oder Donnerstag ab 18:00. Ich musste dann immer zu Hause und in Reichweite des Telefons bleiben, sonst hätte ich seinen Anruf verpasst und damit die Chance, ihn zu treffen. Meine Mutter wusste ja Bescheid, aber mein Vater durfte unter keinen Umständen ans Telefon gehen. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass es mal Zeiten gab, in denen man noch keine eigene Telefonnummer hatte. Und das einzige zugängliche Exemplar durch eine Schnur fest mit der Wand verbunden war. Wie viel Zeit meines Lebens verbrachte ich damit, auf seinen Anruf zu warten? Das könnten in Summe ein paar Wochen gewesen sein. Manchmal rief er auch gar nicht an. Dann verbrachte ich zusätzlich meine Zeit damit, zu grübeln, warum er sich wohl nicht gemeldet hatte. Machte ich gerade den gleichen Fehler noch mal? War ich dabei, blind in mein Unglück zu rennen? War ich stark und selbstbewusst genug, um ihn wieder abservieren zu können, wenn es nicht gut laufen würde? Würde ich mich dagegen wehren können, mich zu verlieben? Konnte ich aufhören, wann immer ich wollte? Es ist ein bisschen wie mit dem Rauchen. Wenn du lange genug nicht rauchst, fehlt dir irgendwann nichts mehr. Aber Achtung! Eine einzige Zigarette kann dich zurück in die Sucht treiben. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Wahrscheinlich kann man das auch auf andere Suchtkrankheiten übertragen, wie zum Beispiel Alkoholsucht. Und Liebe würde ich jetzt auch mal einfach unter Suchtkrankheiten einordnen. Ich nahm mir jedenfalls vor, vorsichtig zu sein.
Noch am selben Abend fand ich seine Handynummer im Telefonbuch unterKFZ-Gutachter und Sachverständiger Dipl.-Ing. Schatz. Sollte ich oder lieber nicht?
Ich tue ich mich mit Entscheidungen schwer, wenn nicht eine Seite klar schwerer wiegt als die andere. Einerseits hegte ich die Befürchtung, ich könnte wieder große Gefühle entwickeln, die mich auf Dauer nicht glücklich machen konnten. Andererseits spürte ich eine unbändige Sehnsucht nach Abenteuer, Gefühlen und Herzklopfen. Ich könnte eine SMS schicken, das wäre ja erst mal harmlos und ich bräuchte nicht gleich mit ihm zu reden. Erst mal vorsichtig rantasten an Herrn Schatz. Das schien mir eine gute Lösung zu sein. Ich trank ein Gläschen Prosecco und dann tippte ich in mein Handy:
„Kennst du eigentlich Entzugserscheinungen?“
Ich fand die Frage super. Deutlich, aber nicht eindeutig! Ich wählteabschickenund mein Handy meldete brav:Nachricht wurde versendet.Jetzt hieß es abwarten. Keine Minute später piepte es:
„Kenn’ ich. Wer will das wissen?“
Oh, ich fühlte ein anregendes Kribbeln in der Magengegend. Seit langer Zeit spürte ich mein Herz mal wieder schneller schlagen, und ein heftiger Adrenalin-Schub verursachte einen wohligen Schauer. Mein Leben war wieder aufregend! Ich wusste gar nicht mehr, wie sich das anfühlt! Ich hatte sechs Jahre Einöde hinter mir und nun empfing mich eine blühende Landschaft voller Reize.
„Wer wohl?“,schrieb ich spontan zurück.
Jetzt musste doch der Groschen gefallen sein, oder? Ich zuckte zusammen, als das Handy klingelte. Ein Anruf mit unterdrückter Nummer! Oh Gott! Das konnte nur ER sein! Und ich war unfähig, dran zu gehen. Wie gelähmt saß ich da und lauschte dem Klingeln, bis es verstummte. Mein Selbstbewusstsein ist eine treulose Tomate und verlässt mich gern in entscheidenden Situationen.
Am nächsten Morgen bekam ich eine SMS. Mit zitternder Stimme las ich Roswitha den Text vor:
„Ein Marienkäfer hat bei einer einjährigen Lebenserwartung bis zu 3 Monate keinen Partner, um sich dann an einem Tag 4 bis 8 Mal zu paaren! Soviel zu Entzugserscheinungen!“
Häh? Was hatte das denn zu bedeuten? Und was sollte ich darauf antworten? Hat der immer noch nicht kapiert, dass ichichbin? Und was hat das mit Marienkäfern zu tun?
„Auf jeden Fall noch nicht gleich antworten. Frühestens in zwei Stunden.“
Roswitha hatte recht. Ich musste ruhig bleiben. Und natürlich durfte nicht der Eindruck entstehen, ich hätte auf seine SMS gewartet. Erstmal sollte ich in Ruhe überlegen, was man darauf antworten soll.
„Dem haben Sie ein Rätsel aufgegeben. Er hat bestimmt die ganze Nacht überlegt, wer ihm so was schreiben könnte.“
„Ich habe geglaubt, er wäre sofort auf mich gekommen. Aber anscheinend hat er mehrere Verflossene, die da infrage kommen würden. Ich werde ihn noch ein bisschen hinhalten. Er hat’s verdient.“
Zu wertvoll für Sex
„Ich will dich!“, hörte ich mich sagen.