Deine dunkle Seite - Jaime Lynn Hendricks - E-Book

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Jaime Lynn Hendricks

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Beschreibung

In der Anonymität des Internets kann sich jeder verstecken, auch ein Mörder

"Du bist als Nächstes dran!" - Diese Nachricht schockiert vier Teilnehmende einer New Yorker Thriller-Convention. Sie erhalten sie kurz nach dem tragischen Mord an einer berühmten Autorin, die für einen Preis nominiert war. Absender ist ein anonymer Twitteraccount, der die vier weiterhin bedroht. Um herauszufinden, wer sich dahinter verbirgt, sind die eigentlichen Konkurrierenden gezwungen, zusammenzuhalten. Doch können sie sich gegenseitig überhaupt trauen? Oder ist der Mörder bereits unter ihnen? Als nach und nach Fotos und Dokumente auf Twitter auftauchen und ihre dunkelsten Geheimnisse enthüllen, beginnt ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel ...

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Seitenzahl: 444

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

Über das Buch

Auf einer New Yorker Thriller-Convention wird eine Autorin ermordet – und vier weitere Teilnehmer erhalten verstörende Drohnachrichten auf Twitter: Sie sollen die Nächsten sein! Um herauszufinden, wer sich hinter dem anonymen Account verbirgt, müssen die eigentlichen Konkurrenten zusammenhalten. Doch können sie sich überhaupt trauen? Oder ist der Mörder einer von ihnen? Als nach und nach Fotos und Dokumente bei Twitter erscheinen, die ihre dunkelsten Geheimnisse offenlegen, beginnt ein gefährliches Katz- und Mausspiel …

Über die Autorin

Jamie Lynn Hendricks war zwanzig Jahre in der Druckindustrie tätig, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte. Mit dem Thriller FINDING TESSA gab sie 2021 ihr Debut. DEINE DUNKLE SEITE wurde als erstes ihrer Bücher ins Deutsche übersetzt. Sie lebt mit ihrem Mann und einem Hund in Florida.

JAMIE LYNN HENDRICKS

Deine dunkleSeite

THRILLER

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Holger Hanowell

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe: Copyright © 2023 by Jamie Lynn Hendricks Titel der Originalausgabe: »I didn’t do it« Originalverlag: Scarlet, an Imprint of Penzler Publishers

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten. Textredaktion: Ralf Reiter Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter der Verwendung von Motiven von © shutterstock: Kaspars Grinvalds | JuShoot E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-7517-5593-1

luebbe.delesejury.de

Prolog

Donnerstagabend

Am Abend vor der Preisverleihung hätte Kristin Bailey ein Nervenbündel sein müssen. Stattdessen nippte sie gelassen an einem Glas Merlot und plauderte mit den anderen, die für den Thriller des Jahres nominiert waren. Sie stieß an mit Kevin Candela, Marco Crimmins und Larry Kuo, als könne sie nichts aus der Ruhe bringen. Die Einzige, die noch fehlte, war Vicky Overton, da ihr Flug von Florida Verspätung hatte.

»Und? Schon nervös wegen morgen?«, wollte Kevin wissen.

Kristin richtete das Stirnband zurecht, das sie immer trug, und schüttelte langsam den Kopf. »Wegen der Preisverleihung? Kein Stück. Aber morgen früh leite ich um halb acht das Panel Trauma, Drama oder Vergeltung.« Sie stöhnte bei der Uhrzeit. »Muss das so früh sein?«

Kevin lächelte. »Ich weiß. Ich nehme auch daran teil. Um drei Uhr halte ich dann einen Vortrag für Große Leinwand oder Kleine Leinwand.«

»Ich habe mir vorgenommen, zu allen Podiumsdiskussionen zu gehen. Es ist toll, dass in diesem Jahr so viele Autorinnen und Autoren teilnehmen. Ich kann es kaum abwarten, die Leute persönlich kennenzulernen.«

Vor einigen Jahren war Kristin von Iowa nach New York gezogen, und in den nächsten Tagen veranstaltete ihre neue Heimatstadt für alle Bestseller-Autorinnen und – Autoren der New York Times und USAToday das Murderpalooza – die Thriller-Convention des Jahres.

Larry meldete sich zu Wort, starrte aber weiterhin auf sein Handy. »Auf Twitter meinen die Leute, Kevin ist ein sicherer Kandidat für den M-TOTY-Preis.« So nannten alle in der Branche den Thriller-of-the-Year-Preis des Murderpalooza.

»Sehe ich auch so. Dein Buch hat mir sehr gefallen, Kevin«, sagte Kristin. »Eure natürlich auch«, fügte sie hinzu, wobei sie erst Larry und dann Marco ansah. »Und Vickys. Es ist eine Ehre, nominiert zu werden.«

Das war die erforderliche Phrase, die Autorinnen und Autoren benutzten, wann immer sie für einen Preis im Gespräch waren. Zwei Jahre zuvor war Kristin mit dem Agatha Award ausgezeichnet worden. Und es stimmte, es war wirklich eine Ehre, nominiert zu werden. Sie hatte sich nie wohler gefühlt als unter ihresgleichen.

»Los, wir machen ein Foto von uns für Twitter. Alle Nominierten«, schlug Larry vor.

»Sollten wir nicht auf Vicky warten?«, meinte Kristin.

»Stimmt. Tja, wie auch immer, sie ist spät dran. Morgen können wir ja noch ein Foto machen.«

Kristin hatte kein gutes Gefühl dabei, und zwar gleich aus mehreren Gründen. Sie und Vicky hatten dieselbe Agentin, außerdem mochte sie Vicky, auch wenn die jüngsten Vorfälle vielleicht eine andere Geschichte erzählten. Doch das war ein Geheimnis, jedenfalls bisher.

Zu viert quetschten sie sich auf das Sofa für das Selfie. Larry postete das Foto, taggte alle und veröffentlichte es auf Book Twitter, wo alle, die an der Convention teilnahmen, während der nächsten zwei Tage dem Murderpalooza-Hashtag folgen würden.

Kristin schaute hinüber zur Bar und fing den Blick von Mike Brooks ein. Mike war einer ihrer besten Freunde in der Branche, aber das wussten nur wenige. An diesem Abend mussten sie sich aus dem Weg gehen. Denn schließlich wollten sie nicht, dass die Leute redeten. Er nickte ihr knapp zu, ehe er sich wieder seinem Begleiter zuwandte: Davis Walton. Kristin kannte Davis von einem Workshop für kreatives Schreiben aus dem Mittleren Westen. Sie beide hatten auch dieselbe Agentin. Allerdings sprach Kristin nur noch mit ihm, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Seitdem Davis einen Verlagsvertrag hatte, war er ein völlig anderer Mensch. Sie verachtete ihn. Denn sie kannte sein wahres Ich.

Eine halbe Stunde später erhielt Kristin die SMS, auf die sie gewartet hatte, und wusste, dass sie in ihr Zimmer gehen und dort warten musste. Sie wollte gerade Schluss für heute machen, als Vicky Overton mit ihrem Freund hereinkam, einem freien Lektor namens Jim Russell. Sie sahen beide kaputt und geschafft aus – glasige Blicke, hängende Schultern. Kristin vermutete, dass es an den Verspätungen der langen Anreise lag, aber vielleicht steckte noch etwas anderes dahinter. Sie kannte Jim gut genug, um seine Mimik zu deuten.

Vicky hatte bereits eine Tragetasche voller Bücher dabei, und jetzt schien sie zu den Autorinnen und Autoren zu wollen, um die Bücher signieren zu lassen, denn, ja, Schreibende fangirlen sich gegenseitig. Jims und Kristins Blicke trafen sich, dann senkte er sofort den Kopf und starrte zu Boden. Kristin war sich sicher: Jim wollte nicht, dass Vicky mitbekam, wie dick befreundet sie waren. Die beiden begrüßten ein paar Leute, dann winkte Vicky Kristin zu und lächelte. Kristin schlug es auf den Magen.

Das Schuldgefühl.

Als Vicky und Jim die Hotelbar verließen, blieb Vicky noch kurz stehen, um mit einer jungen Frau zu sprechen, die sie offenbar kannte. Dann zeigte sie dieser jungen Frau, wo Kristin war, und als sich ihre Blicke trafen, verschlug es Kristin den Atem.

Oh nein! Sämtliche Panels, Preisverleihungen und Vorträge waren schlagartig vergessen. Ihre Stalkerin war hier. Und das machte Kristin echt nervös.

1. Kapitel

Vicky Overton

Freitag, 11:30 Uhr

Es ist Freitagmittag, als ich beschließe, dass ich meine Agentin hasse. Da ich extra von Florida nach New York geflogen bin, um an dieser Convention teilzunehmen, hatte ich damit gerechnet, dass sie mich mit offenen Armen empfangen würde. Aber nein, Penelope Jacques kommt wie immer zu spät. Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass ich ihr persönlich begegne, und wieder kommt sie zu spät. Es hätte mir eine Warnung sein müssen, aber ich war nun mal eine aufstrebende Schriftstellerin und habe in ihr meine Retterin gesehen. Nachdem ich nämlich über Jahre nur Absagen erhalten hatte, nahm ich das erstbeste Angebot an, das man mir machte. Nicht, dass sie allgemein eine schlechte Agentin wäre, sie ist einfach schlecht für mich.

In der Zwischenzeit habe ich ein kühles Glas Weißwein ausgetrunken und warte in dem Restaurant auf der Park Avenue auf unser Arbeitsgespräch beim Lunch. Ich rede bewusst von Arbeit, denn ich bin fest entschlossen, sie zu fragen, warum sie sich nicht richtig ins Zeug legt. Schließlich war mein Debütroman ein kleiner Erfolg. Er steht sogar auf der Liste für das heiß begehrte Murderpalooza, auf dem der Thriller des Jahres gewählt wird. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass mein Roman nicht gewinnt (»aber es ist eine Ehre, nominiert zu werden«). Und deshalb meinte Penelope, ich solle mich persönlich auf der Convention blicken lassen. Der Flug ist absetzbar, und die Convention bezahlt zwei Hotelübernachtungen für die Nominierten. Also ein Kurzurlaub für mich und meinen Freund – er hat darauf bestanden, mitzukommen. Er ist nämlich auch in der Branche, aber er bräuchte nicht an dieser Convention teilzunehmen.

Bislang hat Penelope überhaupt gar nichts mit meinem zweiten Manuskript angestellt, sie braucht Ewigkeiten, um auf meine E-Mails zu antworten. Das ist frustrierend, weil ich so eine prima Klientin bin – ich halte mich an die Deadlines, die sie mir setzt, ich beklage mich nicht. Inzwischen habe ich mein drittes Manuskript fertig, und sie hatte nicht mal Zeit, es zu lesen. Sie hat nicht mal auf meinen Entwurf für mein viertes Buch geantwortet, ich habe dann trotzdem angefangen, es zu schreiben, denn das tun Autorinnen eben. Wir können einfach nicht die Hände in den Schoß legen, wir drücken lieber die Tasten am Keyboard. Ich hoffe, dass es ihr gefällt und dass sie Zeit hat, es zu lesen, sobald es fertig ist.

Ich schaue auf meine Uhr. Eine Viertelstunde zu spät. Fast zwanzig Minuten. Mein Freund Jim möchte heute Nachmittag gern ein paar Touristensachen machen, und jetzt haben wir Zeitdruck. Ich weiß nur, dass ich gegen fünf Uhr wieder an der Hotelbar sein muss. Denn dort treffen sich die Autorinnen und Autoren auf ein entspanntes Gläschen nach all den Tagen, die mit Meetings und Panels angefüllt waren, ehe es mit den Verlagsleuten und Literaturagentinnen und Literaturagenten zum Dinner geht. Jim meinte, er würde derweil die Zeit damit verbringen, mein drittes Manuskript Korrektur zu lesen, obwohl ich ihm schon jede überraschende Wendung erzählt habe, die darin vorkommt. Man kann sich wirklich nicht darauf verlassen, dass ich den Mund halte, wenn es um Plots und Geheimnisse geht. Ich bin dann immer so aufgeregt.

Endlich schneit Penelope herein. Ich schätze sie auf etwa vierzig, sie ist ziemlich groß, trägt eine schwarze Hose und ein zartrosafarbenes Seidentank, an dem man bereits die Schweißflecken erahnen kann. Sie streicht sich ihr langes dunkles Haar aus dem Nacken. Draußen ist es an die dreißig Grad, aber wenn man dreißig Junis in Florida verbracht hat, merkt man die Hitze kaum noch. Während sie sich dem Tisch nähert, fällt mir auf, dass ihr das Make-up im sommersprossigen Gesicht verläuft und auf ihren Wangen verschiedenfarbige Spuren hinterlässt.

»Meine Vicky!«, ruft sie übertrieben, lässt das Haar wieder in den Nacken fallen und kommt mir mit ausgebreiteten Armen entgegen. Als ich aufstehe, haucht sie mir Küsschen auf beide Wangen (sie ist ja schließlich Französin) und hängt dann ihre unverschämt lange Designer-Handtasche über die Stuhllehne. »Tut mir so leid, dass ich spät dran bin. Davis Waltons Filmagentin hat mich so lange am Telefon aufgehalten.«

Sie schnappt sich eine Cocktail-Serviette aus Papier und tupft sich den Schweiß aus dem Gesicht, während ich innerlich koche, dass ich so vollkommen uninteressant bin. Mein Debütroman hatte jede Menge Follower auf Instagram, trotzdem habe ich kein Angebot für eine Serie oder einen Film bekommen. Denn in diesem Jahr dreht sich alles um Davis Walton, von der Berichterstattung in der New York Times bis hin zu seinen ausgezeichneten Kritiken in den Fachzeitschriften und dem Abschluss eines Blockbuster-Filmvertrags. Das geht nun schon drei Monate so, dabei ist sein Buch noch gar nicht erschienen. Penelope hat sich nur auf das konzentriert, was mit Davis zu tun hatte, und da wundert es mich nicht, warum ich null Aufmerksamkeit bekomme. Sie hat eben ihre Lieblinge.

»Sie tragen das Haar anders«, bemerkt sie.

Es ist nicht mehr mausbraun – einer dieser Farb-Conditioner hat es ein bisschen dunkler gemacht, mit einem Touch Scharlachrot, fast Violett. Ich liebe es. Die kreative Ader in mir mag es, Grenzen auszutesten. Brünett, blond und rothaarig – das finde ich inzwischen alles langweilig.

»Wie läuft’s bei Davis so?«, erkundige ich mich, weil ich eigentlich nichts gegen ihn habe. Wir folgen uns gegenseitig in den sozialen Medien und kaspern manchmal ein bisschen herum. In dieser Hinsicht sind wir Schreibenden großartig, ständig promoten wir uns gegenseitig. Ich freue mich schon, ihn heute Abend zu treffen; gestern Abend waren wir zu spät dran, um noch unter die Leute zu gehen. Unser Flug hatte über Stunden Verspätung wegen Unwettern in Tampa, und später benahm sich Jim seltsam und behauptete, er sei total müde von der Reise. Wir kamen an der Hotelbar vorbei, wo man alle antrifft, haben ein paar Leute begrüßt, und ich ließ mir ein paar Bücher signieren, aber damit hatte es sich dann auch schon. Eine halbe Stunde, wenn’s hochkommt. Davis war dort, zusammen mit Mike Brooks und ein paar anderen Autorinnen und Autoren, aber sie waren von bewundernden Fans umschwärmt, deshalb wollte ich mich nicht aufdrängen.

Wie dem auch sei, es ist ja nicht Davis’ Schuld, dass Penelope ihren Job nicht macht. Ich freue mich für ihn.

»Oh, Davis hat viel zu tun, ständig promotet er irgendetwas«, sagt Penelope. »Bee hat das ganze Marketing-Team für ihn engagiert.«

Bee Henry. Alle nennen sie Bee, denn – kein Witz – die Frau heißt in Wirklichkeit Banana Henry. Sie ist die Programmleiterin bei einem der größten Verlagshäuser. Bei der Akquise war sie so fasziniert von Davis’ Roman, dass sie beim Bieten zu viel für seinen Vorschuss hingeblättert hat. Also ehrlich, wer bekommt für sein Debüt schon einen Vertrag über zwei Bücher und einen siebenstelligen Betrag? Bei meinem nächsten Vertrag will ich eine fünfstellige Summe aushandeln. Jetzt muss Bee zusehen, dass sie das Geld wieder reinkriegt, deshalb ist auch alles auf Davis ausgerichtet.

»Da wir gerade von Bee sprechen – haben Sie daran gedacht, ihr meinen zweiten Roman zu schicken?«, frage ich hoffnungsvoll.

Penelope hatte mein Debüt bei einem Boutique Publishing House untergebracht, und die wollten nur ein Buch – als Debüt war ich denen zu riskant. Sie nennen es »Boutique«, anstatt gleich zu sagen, dass sie weder eine Marketing- noch eine Werbeabteilung haben, also stehe ich ziemlich allein da. Jim hat mir ein bisschen Geld geliehen, auch wenn wir zu jener Zeit erst ein paar Monate zusammen waren. Ich nahm etwas von meinen Rücklagen und beauftragte eine Presseagentin, damit mein Buch Publicity bekam. Sie hat ihren Job ganz gut gemacht, und jetzt bin ich für den Heiligen-Gral-Preis hier beim Murderpalooza nominiert, obwohl meine Verkaufszahlen nicht gerade durch die Decke gegangen sind. Ich hoffe, dass der anhaltende Trubel rund um die Preisverleihung und mein Buch mich für jemanden wie Bee Henry und ihre überdimensionale Marketingabteilung attraktiv machen.

Da ich Penelope bisher nur einmal begegnet bin, kann ich ihre Mimik schlecht deuten, aber sie trommelt mit den Fingern auf den Tisch, winkt dann eine Bedienung zu sich und bestellt Wasser. Auf einer Gesichtshälfte ist ihr Selbstbräuner in der Hitze oxidiert, und jetzt sieht es so aus, als hätte sie Ausschlag.

»Ich habe Ihr zweites Manuskript schon an Bees Team geschickt, und sie haben es abgelehnt«, sagt sie.

Das ist mir neu. Wieso hat Penelope mir nicht erzählt, dass der größte Verlag dort draußen kein Interesse hat? Was hat sie eigentlich für Pläne mit mir? Ich hasse es, dass ich so denke: eigentlich für Pläne. Ich bin Schriftstellerin – eigentlich ist ein Füllwort und sollte gestrichen werden, aber jetzt im Ernst, wie sieht eigentlich ihr Plan aus? Außerdem, was konnte ich schon von jemandem erwarten, der Banana heißt? Mein leeres Weinglas verhöhnt mich, und plötzlich bin ich wie ausgedörrt.

»Tatsächlich«, fährt sie fort – tatsächlich! –, »habe ich es an verschiedene Verlage geschickt, und niemand will es haben. Wie wäre es, wenn wir es auf Eis legen? Schreiben Sie einfach ein neues Manuskript.«

Mir sinkt das Herz. Ich möchte ihr am liebsten sagen, dass diese Beziehung wohl nicht so gut funktioniert, aber ich halte erschrocken inne. Offensichtlich hat sie vergessen, dass ich erst kürzlich ein Manuskript fertiggestellt habe, außerdem hat sie meinen Entwurf für mein viertes Buch vergessen. Da sieht man, wie wenig ich ihr bedeute. Was fange ich jetzt mit den zwanzigtausend Wörtern an, die ich schon geschrieben habe? Nein, ich werde jetzt nicht in ihrem Beisein heulen, obwohl mir danach zumute ist.

Stattdessen sage ich: »Mir wäre es wirklich lieber gewesen, Sie hätten mir das früher gesagt.« Wirklich lieber. Wieder so ein Füllwort. Streichen! »Ich hätte einiges umschreiben können, ehe wir sämtliche Optionen verfallen lassen. Gibt es denn nicht irgendein Feedback aus dem Lektorat, mit dem ich arbeiten könnte?«

Ihre Augen werden schmal. »Ich denke, wir sollten eine andere Richtung einschlagen.«

Wir. Weil wir wieder Partner sind, nachdem sie mich über Monate ignoriert hat. Gott sei Dank, dass ihr Handy klingelt und die unaussprechliche Wut niederringt, die sich in meinem Bauch aufgestaut hat.

Sie blinzelt und sagt: »Da muss ich kurz rangehen, Sie verstehen.«

Vermutlich ist es Davis. Der Goldjunge.

Während sie das Gespräch entgegennimmt, greife ich auf die Gedankenliste meiner Ideen zurück, für den Fall, dass Penelope, die Zerstörerin meiner Träume, beschließt, als Nächstes mein Konzept für Buch Nr. 4 zu zerquetschen. Soll ich über die beste Freundin schreiben, die Geheimnisse hat? Über die Hochzeit, die nie stattfand? Den Ehemann, der seinen Geschäftspartner ermordet hat? Penelopes Miene nach zu urteilen, könnte man meinen, dass ihr jemand gesteckt hat, ihr Mann habe gerade seinen Geschäftspartner um die Ecke gebracht.

»Ich bin gleich da«, sagt sie leise und beendet das Gespräch. Ihre tränenfeuchten Augen sehen in meine Richtung. Sie öffnet den Mund, um etwas zu sagen, doch sie bringt kein Wort heraus. Sie blinzelt mehrmals hintereinander, als könne sie es nicht fassen, und sagt dann schließlich: »Kristin Bailey ist tot. Der Room Service hat sie in ihrem Hotelzimmer gefunden. Sie wurde erstochen.«

»Was?« Die einzige Reaktion, zu der ich fähig bin.

Kristin Bailey ist das weibliche Pendant zu Davis Walton, und das sage ich, obwohl er mehr Geld und mehr Aufmerksamkeit bekommen hat als jemand, der weitaus talentierter als er selbst war. Kristins Roman ist ebenfalls auf der Liste für den M-TOTY, und ich habe ein Vorab-Leseexemplar von Davis’ Buch bekommen, das im Herbst erscheinen soll. Kein Vergleich, was den Schreibstil angeht – Kristin ist viel besser –, aber Davis ist nun mal ein Mann. Hier, nimm einen Keks und einen Sack voller Geld,MISTERAch-so-toll.

Dennoch. Ermordet? Es fällt mir schwer, das zu begreifen. Warum sollte sie jemand töten wollen? Ich meine, abgesehen von mir. Okay, schlechter Scherz. Freundschaftlicher Wettbewerb und so weiter. Unsinn. Für uns Thrillerautoren ist das ein Motiv, oder etwa nicht?

Penelope schluchzt in ihre Stoffserviette. Kristin war schließlich auch eine ihrer Klientinnen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich schiebe mein volles Wasserglas in ihre Richtung, sie schnappt es sich und nimmt einen Schluck, taucht dann einen Zipfel der Serviette ins Glas und tupft sich die Augen. Bei den Tränen und dem dicken Make-up wird alles nur noch schlimmer, aber das sage ich ihr natürlich nicht.

»Die Hotelleitung versucht, vorerst kein Wort darüber zu verlieren. Sie wollen nicht, dass Chaos auf der Convention ausbricht. Ich muss los. Wir besprechen das zu einem späteren Zeitpunkt, einverstanden?«, sagt Penelope und schiebt nach: »Ich muss sofort Davis informieren.«

Zu einem späteren Zeitpunkt? Tatsächlich wählt sie Davis’ Nummer in meinem Beisein. Wieder tatsächlich – streichen! Ich bin extra wegen dieses Treffens und der Veranstaltung heute Abend hierhergeflogen. Der Rest des Nachmittags wird der reinste Wahnsinn sein. Kristin wurde in ihrem Zimmer ermordet. Ob ich überhaupt das Hotel betreten kann? Es ist ja jetzt ein Tatort.

Ich bekomme ein SMS-Signal, während Penelope sich die Tasche umhängt. Mein Handy liegt mit dem Display auf dem Tisch, also drehe ich es um und rechne mit einer Nachricht von Jim. Aber die SMS kommt von einer mir unbekannten Nummer.

Wusstest du, dass Kristin mit deinem Freund Jim geschlafen hat? Check seineSMS. Vielleicht bist du die Nächste.

2. Kapitel

Davis Walton

Freitag, 11:30 Uhr

Was ist das für ein Lärm, verdammt? Ein Staubsauger?

Ich drehe mich auf den Rücken, der Wecker zeigt halb zwölf an. Mittags oder nachts? Die Verdunkelungsrollos sind zugezogen. Moment. Es ist Mittag. Ich sehe einen Lichtschimmer.

Scheiße, ich habe fast bis mittags geschlafen. Wieder. Habe die Veranstaltungen am Morgen verpasst. Der Reinigungsservice zieht mit dem Staubsauger durch den Flur. Vielleicht sollte ich besser das Bitte nicht stören-Schild an die Tür hängen, weil ich vollkommen nackt bin. Habe ich natürlich gemacht. Ist ja nicht mein erstes Rodeo.

Neben mir ist das Bett leer, aber benutzt. Gestern Abend habe ich dieses Mädchen mitgenommen, oder? Ein echter Fehlgriff, aber sie – Janie? – hat sich mir ja geradezu an den Hals geschmissen. Es war unten an der Bar, nach den ersten Veranstaltungen. Nach dem gemeinsamen Dinner mit meiner Literaturagentin Penelope, meiner Filmagentin Susan, meinem Verleger Gary und meinem Presseagenten Billy. Sie alle kamen, um mich zu feiern – bei Steaks, die hundert Dollar kosteten. Wieso auch nicht? Ich bin es wert. Ich bin Davis Walton.

Als ich wieder im Hotel war, gönnte ich mir noch einen Schlummertrunk, um gut schlafen zu können. Was knockt mich besser aus als noch ein bisschen mehr Alkohol? Ich wollte mich auch mit ein paar anderen Schriftstellern austauschen, mit denen, die ich noch nicht persönlich kennengelernt habe. Ich weiß noch, dass Mike Brooks an der Bar Hof hielt. Wir kamen gut miteinander klar, hatte ich auch nicht anders erwartet. Ich habe versucht, nicht zu dick aufzutragen, während er mir die Ohren volljammerte, was alles bei ihm nicht geklappt hatte. Der Typ wurde schon als der nächste Lee Child gehandelt. War er ja auch – jedenfalls vor gut zehn Jahren. Vier fette New York Times-Bestseller. Damit war er wieder im Spiel nach der Jahrtausendwende. Sein fünfter Roman wurde verrissen. Mit den Büchern Nr. 6 bis Nr. 8 jagte er seiner Fangemeinde hinterher, aber er kam nie wieder an den Hype heran, der damals um seinen Namen gemacht wurde. Angeblich hat er ein neues Projekt mit einem Co-Autor, ist aber alles streng geheim. Ein Buch, mit dem er die Branche im Sturm erobern will.

Er sollte sich lieber auf weitere Misserfolge gefasst machen. Wahrscheinlich hat er die letzten Pressemitteilungen der Branche nicht gelesen, denn ich habe gerade einen Lauf.

Nach dem Bier genehmigten wir uns Tequila Shots, dann Scotch. Man kennt das ja: wenn schon, denn schon. Spätestens als ich mein Sakko ablegte und die Ärmel hochkrempelte, wollten alle auf der Convention ein Stück von mir abhaben. Andere Literaturagenten steckten mir heimlich ihre Visitenkarten zu, für den Fall. Mit gerade einmal dreiunddreißig bin ich der Star beim Murderpalooza.

Als dann dieses Mädchen mit ihrer Freundin auftauchte – gut möglich, dass sie Janie hieß –, konnte ich kaum noch die Augen offen halten. Ich erinnere mich, dass sie klein war, sie reichte mir gerade bis zur Schulter, dabei saß ich auf dem Barhocker. Sie hatte langes dunkles Haar, und sie war eher unauffällig – kann mich an nichts speziell erinnern, obwohl sie mir irgendwie bekannt vorkam. Man kennt sich eben in der Branche. Liegt an meinem Kater und dem leicht vernebelten Geist, dass ich mich an keine Details erinnern kann. Mike Brooks war da schon längst nach Hause gefahren, zu seinem Klotz am Bein in der Upper East Side, wo er wohnt, und Janie ergriff die Initiative (fuhr mir mit allen fünf Fingern durch mein dichtes Haar), also bin ich drauf angesprungen. Ihre Pitbull-Freundin mit dem Ehering, Connie, drängte sie mir regelrecht auf.

Ich bin clever genug zu wissen, was Janie wollte. Vor ihren Freundinnen prahlen. Wie sie den großen Star aus L.A. gevögelt hat. Ich kann mich zwar vor Angeboten kaum retten, aber ich schätze, sie hat mich überzeugt, und offenbar ist auch was gelaufen zwischen uns, obwohl ich mich nicht erinnern kann. Aber da liegen eine Kondompackung und ein verirrter Lippenstift auf dem Fußboden.

Um ehrlich zu sein, ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich die Hotelbar verlassen habe. Ich hätte beide Frauen haben können letzte Nacht.

Mein Handy ist in meiner Hosentasche, und die Hose liegt direkt neben der Kondompackung, also stehe ich auf und ziehe das Handy heraus. Ich entsperre das Display und werde förmlich erschlagen von all den grünen Nachrichten. Schätze, ich werde mich wohl nie an die zahllosen SMS und verpassten Anrufe jeden Morgen gewöhnen. Es war gut, dass ich letztes Jahr von Illinois nach L.A. gezogen bin, perfekt getimt, da Penelope Jacques sich einen Monat später endlich auf meine E-Mails meldete und mein Buch vermarkten wollte. Sie hat mir große Sachen in Aussicht gestellt. Ihre Agentur ist die Topadresse, wenn es darum geht, Bücher zu verfilmen. Und die besitzen die Rechte. Bislang hat sie sich an die Vereinbarungen gehalten. Ich stehe im ›Buch des Monats September‹, sie hat das in Reeses Hände gelegt, hat ganzseitige Anzeigen in allen Fach- und Unterhaltungsmagazinen des Landes geschaltet. Damit nicht genug, denn auf allen Websites bin ich bei den mit Spannung erwarteten Veröffentlichungen an erster Stelle. Bisher haben drei ausländische Verlage angekündigt, das Buch zu übersetzen. Ich mache Penelope zu einer reichen Frau.

Während ich mir die Voicemails anhöre (irgendwelche Leute aus der Branche, die was von mir wollen, Zeit für ein persönliches Gespräch), ziehe ich die Rollos auf, und meine Pupillen verengen sich – wie ein Schwanz, der im kalten Wasser schrumpft. Autsch. Ich muss mehrmals blinzeln und suche nach meiner Sonnenbrille; sie liegt auf dem Nachttisch. Ich setze sie auf und schaue aus dem Fenster, die Straße liegt achtundvierzig Stockwerke unter mir. Mein Verleger hat die Penthouse-Suite für mich reserviert. Gott, jetzt stehe ich hier innen cool mit Sonnenbrille.

Aber es gibt ja noch die Welt da draußen, also sollte ich sie nutzen. Ich schnappe mir den Hotelkugelschreiber und den Notizblock und öffne die Schiebetür zu meinem privaten Balkon. Im Grunde ist es eine Terrasse, rote und graue Backsteine mit Pflanzkübeln voller bunter Blumen. Zwei Liegestühle stehen am anderen Ende, direkt neben einer Minibar. Mein Blick fällt auf einen schmiedeeisernen Tisch mit vier Stühlen und Sonnenschirm, und ich rücke mir einen der Stühle zurecht, während ich eine Voicemail nach der anderen lösche. Erstaunlich, aber obwohl ich so hoch oben bin, kann ich immer noch die hupenden Autos hören. Weiß denn keiner in dieser Stadt, wie man fährt? Da sind mir ja der Verkehrsinfarkt und der Smog in L.A. noch lieber als dieser Lärm hier.

Wieder klingelt das Handy, während ich mir die Messages anhöre, und es ist Penelope. Ich lächele, ehe ich rangehe, damit sie mir die gute Laune gleich anmerkt. Wir Schriftsteller benutzen gerne eine Phrase, die nur auf Papier richtig zur Geltung kommt: Er lächelte, aber dieses Lächeln erreichte seine Augen nicht. Niemand denkt so oder spricht es laut aus. Nie. Ich sorge dafür, dass mein Lächeln meine Augen erreicht. Denn ich bin schließlich Mr. Nice Guy, bescheiden, so steht es jedenfalls im Gentlemen’s Quarterley, und das bestätigen alle, mit denen ich zu tun habe.

»Hey, Penny, was gibt’s?«

Den Spitznamen habe ich Penelope gleich bei unserem ersten Gespräch gegeben, und sie war so begeistert von mir, dass sie mir erlaubt, sie so zu nennen – aber nur mir.

Ich höre ein Schniefen. »Davis?«

Es klingt wie eine Frage. »Ja, ich bin’s. Alles okay bei dir?«

»Nein. Kristin Bailey. Sie … man hat sie in ihrem Zimmer gefunden. Man hat auf sie eingestochen.«

»Was?« Ich gehe zu einem der Liegestühle und öffne die Minibar. Leer. Verdammt. Ich brauche einen Drink, um das zu überstehen. »Ach du Scheiße! Ist sie okay?«

»Sie ist tot, Davis.«

Alles Mögliche schwirrt mir im Augenblick durch den Kopf.

Ich bin aus dem Schneider.

»Oh mein Gott. Wo bist du?«

»Ich hatte mich früh zum Essen mit Vicky Overton getroffen, aber ich gehe jetzt. Ich fahre ins Hotel. Können wir uns in einer halben Stunde in der Nähe der Bar treffen? Aber sag noch niemandem etwas.«

»Auf keinen Fall. Kann ich noch irgendwas für dich tun?«

»Nein. Rede mit keinem von der Presse, falls du einen triffst. Warte, bis ich da bin.«

Sie hat das Gespräch beendet. Nicht mit der Presse reden? Das ist so, als würde man einem Politiker sagen, er solle keinen Tweet absetzen. Ich bin ein Naturtalent vor der Kamera.

Im Bad versuche ich wieder, das Licht anzumachen. Als ich gestern eincheckte, hatte ich keinen Schimmer, was ich tun sollte. Wieso leuchtete das Display eines iPad, das an der Wand hängt? Natürlich bin ich mit iPads vertraut, aber im Dunkeln kapiere ich nicht, was die Icons bedeuten, und seit wann gibt es keine Lichtschalter mehr? Als alles eingeschaltet ist, springe ich in die Dusche, um mir den Geruch von Alkohol und Janie aus den Poren zu waschen, aber die ganze Zeit muss ich an die Versprechen denken, die Kristin Bailey und ich uns gegeben haben. Heißt das jetzt, dass ich nicht mehr zu liefern brauche? Zugegeben, dass sie aus dem Rennen ist, ist nicht das Schlechteste für mich, es sei denn, sie hat irgendjemandem erzählt, was sie wusste.

Ein Handtuch um meine nasse untere Hälfte geschlagen, wische ich über den beschlagenen Spiegel, schnappe mir wieder mein Handy und fange an, die Nachrichten zu durchforsten. Diejenigen, die von fremden Nummern kommen, fangen immer an mit »Hi, hier ist Soundso, wir haben uns bei Soundso getroffen.« Als ich eine Nachricht von einem unbekannten Absender sehe, die nicht so anfängt, macht mich das neugierig.

Da steht nur:

Ich weiß von deinem Deal mit Kristin. Vielleicht bist du der Nächste.

3. Kapitel

Mike Brooks

Freitag, 12:00 Uhr

Und wann kommst du zurück?«, fragt mich meine Frau Nicole.

Ich schlüpfe in mein Sportsakko, obwohl es draußen verdammt heiß ist, aber Nicole hat die Fenster zugemacht. Sie lebt schon ihr ganzes Leben in New York – ist hier geboren und aufgewachsen –, und eigentlich mag sie frische Luft und Autohupen. Wenn Nicole also alle Fenster schließt, dann versucht sie, die kühle Luft innen zu behalten, was wiederum bedeutet, dass die Hitze draußen unerträglich sein muss. Wir haben einzelne kleine Klimaanlagen in jedem Zimmer unseres klassischen Sechs-Raum-Apartments, das noch von vor dem Krieg stammt. Nicole bearbeitet mich schon lange, in ein schickes neues Gebäude mit zentraler Klimaanlage umzuziehen, aber ich mag den alten Stil. Bei dem Wort »alt« zucke ich ein bisschen zusammen, sehe ich doch, dass mein dunkles Haar in letzter Zeit ganz schön grau geworden ist. Meine Hose sitzt gefühlt jeden Tag ein bisschen strammer. Auf die Fünfzig zuzugehen ist kein Spaß.

»Ist nur zum Lunch mit Vita«, sage ich.

»Hm«, macht sie, ehe sie hinzufügt: »Bin überrascht, dass sie dich noch nicht fallen gelassen hat.« Sie sagt das halblaut vor sich hin, aber ich höre es trotzdem. Ich nehme ihr nicht übel, dass sie mir seit gut fünf Jahren mit solchen Spitzfindigkeiten kommt.

Klar, sie hat mich vor zehn Jahren geheiratet, als ich auf dem Höhepunkt meines Ruhmes war. Ich war siebenunddreißig und arbeitete gerade an meinem vierten New York Times-Bestseller – einer wurde sogar verfilmt.

Vier Bücher und zehn Jahre später habe ich keinen Hit mehr gelandet. Da ich gerade davon spreche, mit meinem jüngsten Projekt werde ich mich zurück ins Rampenlicht kämpfen. Ich verfolge nämlich einen Ansatz, der sehr avantgardistisch ist, gemeinsam mit einem Co-Autor, der streng geheim bleibt. Ich habe über fünfzigtausend Fans da draußen, die meinen Newsletter abonniert haben und alles Mögliche spekulieren, aber bislang weiß niemand, wer dieser Co-Autor ist. Nicht einmal meine Frau. Meine Agentin Vita Gallo hatte Leseproben per E-Mail an Lektorate geschickt, um Interesse zu wecken, kaum dass ich ihr mein Manuskript überlassen hatte.

»Vita glaubt eben noch an mich. Sie hat für die nächsten Tage Treffen mit einer Reihe von Verlegern vereinbart, um zu versuchen, mein neues Buch persönlich an den Mann oder die Frau zu bringen. Diese Convention ist eine gute Sache.«

Nicole steht vorm Spiegel und fährt sich mit beiden Händen durch ihr gebleichtes Haar, dann bringt sie ihr chirurgisch vergrößertes Geschenk zum Vierzigsten unter ihrem Kleid zur Geltung – sie hatte unsere Zwillinge mit fünfunddreißig bekommen und wollte mit vierzig ein Lifting, aber irgendwie ist daraus Körbchengröße D geworden. Zufrieden mit sich, sitzt sie auf der Bettkante und zieht High Heels an, weil sie eine Freundin zum Lunch trifft.

»Wirst du Vita verraten, wer dein geheimnisvoller Co-Autor ist?«, fragt sie, steht dann auf, kehrt mir den Rücken zu und hebt das Haar im Nacken an.

»Nein.« Ich mache den Reißverschluss ihrer roten Structured Blouse zu. »Ich habe dir ja schon gesagt, dass das absichtlich geheim ist. Die Leute überschlagen sich mit ihren Mutmaßungen. Der andere Autor möchte aber nicht, dass man weiß, wer er oder sie ist.«

»Es soll keiner wissen, oder will dieser Jemand sich nicht an die Titanic ketten?« Sie zieht eine perfekt gezupfte Braue hoch.

Ja, ich weiß, ich sinke schneller auf den Meeresgrund als dieses milliardenschwere blaue Diamantencollier.

»Tut mir leid«, sagt sie schnell und fasst sich an die Frisur. »In letzter Zeit ist alles wie eine Achterbahnfahrt, und ich komme mir ein bisschen vernachlässigt vor. Du arbeitest jetzt seit einem Jahr daran. Außerdem ging es mir nicht gerade gut. Aber ich will das nicht an dir auslassen.«

Als ich Nicole kennenlernte, war ich dreiunddreißig. Sie war die Begleitung eines Gasts auf meiner Party anlässlich der Veröffentlichung meines dritten Buchs, damals schrieb sie noch für The Atlantic, nachdem sie es mit ihrem eigenen Roman aufgegeben hatte. Sie bahnte sich ihren Weg zu mir, und sie fiel mir sofort auf. Es lag an ihrer perfekten, ebenmäßigen Nase. Eine solche Nase haben Schönheitschirurgen bestimmt als Anschauungsobjekt für »danach.« Und ihre Nase war natürlich. Ich musste daran denken, wie gut wir zwei auf Fotos aussehen würden.

Klar, so narzisstisch können nur Autoren denken. Alles dreht sich um uns, und in Wirklichkeit – die Erfahrung habe ich gemacht – ist niemand mehr mit uns beschäftigt als wir selbst. Leserrezensionen im Netz? Jeder übergeht sie, nur wir sind wie besessen davon. Kritiken in Fachzeitschriften? Wir schauen immer zuerst nach unserem Namen – ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt eine Fachzeitschrift oder ein Feuilleton gelesen habe, weil ich wissen wollte, was die Kritiker über andere Schriftsteller schreiben.

Während der letzten fünf Jahre habe ich mit meiner lahmen Detective-Crime-Drama-Leserschaft zu kämpfen, dabei scheint es sich bei den meisten Bestsellern um grelle kommerzielle Strandlektüre-Thriller mit zig überraschenden Wendungen zu handeln. Mein langjähriger Verleger hat mich letztes Jahr fallen gelassen, nach acht Büchern. Vita hatte mich gebeten, ich solle endlich sagen, wer mein geheimer Co-Autor ist, damit sie es potenziellen Verlegern und dem Rest der Literaturwelt erzählen kann.

Kein Stück. Ich habe eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschrieben. Selbst Nicole weiß nicht, mit wem ich den Großteil des Jahres meine Abende verbracht habe.

»Ich weiß, Honey, und es tut mir leid, dass dieses Buch so viel meiner Zeit geraubt hat. Aber es kommen bessere Zeiten. Vita glaubt an mich«, wiederhole ich mich.

Nicole steht vor dem Spiegel und trägt Lipgloss auf, presst kurz die Lippen aufeinander, verzieht den Mund zu einem Lächeln und fährt mit dem Zeigefinger über ihre Zähne, wie ein Junkie, der die Qualität von Kokain überprüft. Sie hört mir gar nicht zu. Und ich kann es ihr kaum verübeln. In letzter Zeit bin ich ein solcher Langweiler gewesen, in diesem Jahr habe ich mich in einen alten Mann verwandelt: Ich werde demnächst achtundvierzig, Nicole ist gerade erst einundvierzig geworden. Für mich heißt es immer Dinner um sechs und ab ins Bett um acht Uhr. Natürlich nur, wenn ich zu Hause bin.

»Oh, ehe ich gehe, wie lief es denn gestern Abend?«, erkundigt sie sich schließlich, offenbar interessiert. Ich hatte ihr eine Nachricht geschickt, dass ich mich mit Davis Walton treffe, dem Alleskönner. Dem Wunderkind, dem alle nacheifern.

So, wie ich früher mal war.

»Ganz gut«, antworte ich. »Davis ist noch geblieben, als ich gegangen bin. Er hatte Spaß, war umgeben von Frauen.«

Davis ist ein verdammter Schürzenjäger, wenn man den Kommentaren auf den Websites und den Flüsternetzwerken Glauben schenken darf.

Mich hat seit zehn Jahren keine mehr angemacht. So ist das eben bei abgehalfterten Typen wie mir.

Aber da war dieses eine Mal …

»Schätze, die haben ihn nicht in Ruhe gelassen. Muss nett sein, so jung zu sein.« Sie grinst.

Treffer – versenkt.

»Ich muss jetzt los, ich bin mit Donna verabredet«, sagt Nicole. »Die Kinder kommen gegen halb sechs aus dem Camp zurück, und Janina ist dann nachher hier, um sie in Empfang zu nehmen, falls ich später komme. Du bist wahrscheinlich auch wieder spät zu Hause, oder?«

Was würden wir ohne unsere Gelegenheits-Nanny Janina machen? Ich nicke. »Lunch mit Vita, dann schaue ich mir ein paar der Podiumsdiskussionen an und treffe mich mit den anderen an der Bar, ehe wir noch einen Happen essen vor der eigentlichen Preisverleihung. Ich habe mit Suzanne Shih und Dustin Feeney gechattet. Beide sind Klienten von Vita, daher haben wir Pläne geschmiedet.«

Sie sieht mich aus leicht verengten Augen an. »Von Dustin habe ich schon mal gehört. Aber wer ist Suzanne Shih?«

Ich meide ihren Blick. »Neu. Jung. Vita hat sie vor etwa fünf Monaten unter Vertrag genommen, ich bin ihr nur einmal begegnet. Ich glaube, sie sind mit dem Lektorat fertig, und Vita ist dabei, ihr Buch auf den Markt zu bringen. Ich habe das Manuskript gelesen. Es ist gut.«

Es ist gut. Es wird diese Woche auf der Convention einschlagen. Alle mögen diese spritzigen Freunde-mit-brennenden-Geheimnissen-die-das-Leben-aller-ruinieren-Romane. Hoffentlich gibt es da draußen noch einen Verleger, der alte weiße rauchende Männer in Trenchcoats und Fedora-Hüten mag, die dabei sind, Mafiaverbrechen aufzuklären.

Nein. Das war der Stoff meiner alten Romane. Mein neues Projekt ist der schillernde neue Kram, den alle lesen wollen.

Mein Handy klingelt. Vita.

Ich halte in Nicoles Beisein einen Zeigefinger hoch, als wäre ich eine gefragte Person, die einen Augenblick der Ruhe für einen superwichtigen Anruf braucht. »Hey, Vita, bin auf dem Sprung«, sage ich.

Ihr italienischer Akzent dröhnt durch mein Handy. »Nein, nein, komm nicht!«

Heilige Scheiße. Sie lässt mich fallen. Meine Karriere ist zu Ende. Offenbar sieht man mir meine Panik an, denn Nicole fragt mit stummen Lippenbewegungen: Was? Schätze, sie hat gesehen, wie mir die Farbe aus dem Gesicht gewichen ist. Ich konnte es jedenfalls spüren.

»Es hat einen Mord gegeben«, erzählt Vita weiter. »Kristin Bailey. E morta. Sie ist tot. Sie haben sie in ihrem Zimmer gefunden. Erstochen.«

Ein hoher durchdringender Ton geht durch meinen Kopf, wie ein Feedback am Mikrofon, und ich habe das Gefühl, dass mein Gehirn in zwei Hälften zerfällt. Kristin Bailey ist tot. Sie war meine Freundin. »Ich muss zum Hotel. Wir sehen uns da. Heilige Scheiße.«

»Sag niemandem was. Das Hotel will die Sache noch geheim halten, aber es ist schon auf Twitter.«

Twitter. Der Fluch jedes Schriftstellers. »Wir sehen uns.«

Ich beende das Gespräch und lasse das Smartphone in meine Sakkotasche gleiten. Unglaube erfasst mich, und ich stelle mir ihr Gesicht vor. Ihr Lächeln. Die Konzentration. Vertieft in Arbeit. Zwei aufgeklappte Laptops, ein Stapel Notizbücher mit handgeschriebenen Notizen, daneben ausgedruckte Seiten, damit sie ihren Plot strukturieren konnte. Sie strahlte eine irre Ruhe aus, die sich auf alle übertrug, die sie kannte. Sie hatte eine farbige Mutter, ihr Vater stammte aus Brasilien – sie war eine echte Schönheit. Ihre natürlichen Locken hatte sie immer mit einem Tuch gebändigt, die kleinen weißen Kragenhemden steckte sie in die Hose. Slipper. Immer adrett. Ich kenne niemanden, der sie nicht mochte.

Aber jemand hat sie umgebracht. Kristin Bailey ist tot.

Ich wiederhole das in Gedanken. Kristin Bailey ist tot. Das kann doch nicht wahr sein!

Ich liebte sie, aber nicht in romantischer Hinsicht. Sie war ein großartiger Mensch und eine verdammt gute Autorin. Sie war meine Freundin, und jetzt ist sie nicht mehr da. Ich schwöre, dass mir all das als Erstes durch den Kopf geht. Dann erst kommt der selbstsüchtige Teil: Werde ich überhaupt noch imstande sein, dieses Buch zu verkaufen – unter meinem Namen – jetzt, da meine geheime Co-Autorin ermordet worden ist?

Ich bekomme eine Nachricht, als ich zur Haustür gehe. Ich hole das Smartphone aus meiner Jacke. Die Nummer ist mir nicht bekannt, und ich ahne, dass ich wieder erbleiche.

Ich weiß, dass ihr das Buch gemeinsam geschrieben habt. Wie passend für dich. Vielleicht bist du der Nächste.

4. Kapitel

Suzanne Shih

Freitag, 12:00 Uhr

Wisch mir einer das Lächeln aus dem Gesicht. Nur zu!

Als ich zusammen mit den anderen der schreibenden Zunft auf die Tür zuhalte, kann ich nicht glauben, dass ich hier bin. Ich kann nicht glauben, dass ich heute Morgen mit meiner Agentin Vita gefrühstückt habe. Gott sei Dank, dass wir woanders essen waren, ich habe nämlich gehört, dass die Eier beim Büfett kalt und gummiartig sind und sowieso um acht Uhr schon weg sind. Ich kann nicht glauben, dass ich auf dem Murderpalooza bin und dass meine Agentin sich mit waschechten Verlegern aus New York über mein Buch unterhalten wird! Ich werde berühmt. Bin berühmt. Das wollte ich immer schon sein.

Meine Freunde im beschaulichen New Jersey konnten es gestern Abend nicht fassen, als sie auf den Fotos, die ich ihnen schickte, sahen, mit wem ich an der Hotelbar abhing. Okay, ich habe nicht wirklich mit ihnen abgehangen, aber sie waren alle da. Oh mein Gott, Davis Walton! Mike Brooks! Meine Lieblingsautorin Kristin Bailey war auch dort, aber ich hatte keine Gelegenheit, mich ihr vorzustellen. Vicky Overton kam mit einem Typen, der vermutlich ihr Freund ist. Ich bin fast in Ohnmacht gefallen, als sie mich ansprach, sie meinte sogar, wir würden uns heute auf einen Drink treffen, wenn alle später am Abend zurückkommen. Ihr könnt mir glauben, dass ich das in den Social Media verbreite. Die meisten meiner Freunde sind noch auf der Hochschule oder machen irgendwelche Einsteigerjobs, aber ich werde bald eine Autorin sein, die ihr Buch veröffentlicht, auf du und du mit der gesamten Mystery/Suspense/Thriller-Riege von Barnes & Noble. Und das alles, obwohl ich nächsten Monat erst vierundzwanzig werde!

Ich komme gerade von dem Panel Showing vs. Telling, das die Convention veranstaltet. Das war wieder so ein Event, bei dem ich nicht still sitzen konnte, weil ich voller Aufregung verfolgte, welche Autorinnen und Autoren da zu Wort kamen und welche Leute um mich herum im Publikum saßen. Leibhaftig. Wenn ich sage, dass ich diese Autorinnen und Autoren vergöttere, dann ist das noch untertrieben.

Meine Schulter tut weh von der Tragetasche mit all den Büchern, die ich seit heute Morgen mit mir herumschleppe. Habe ich wirklich zwölf Hardcover-Neuerscheinungen mit der Kreditkarte meiner Eltern bezahlt? Ja, habe ich. Eines Tages wird jemand genauso aufgeregt sein, meine Bücher mit sich herumzuschleppen. Wenn ich berühmt bin.

»Tolle Strähnchen«, sagt eine junge Frau zu mir, als wir beide den Konferenzraum verlassen, dann lächelt sie und streckt mir ihre Hand entgegen. »Hi, ich bin Tara Kretz. Bist du zum ersten Mal hier?«

»Hi, danke! Ja, erstes Mal für mich. Suzanne Shih.«

»Nett, dich kennenzulernen.«

Ich schüttele ihr die Hand, berühre dann unbewusst die pinken Strähnchen, die ich mir kürzlich in mein langes glattes schwarzes Haar habe machen lassen. Meine Mutter hätte mich am liebsten gekillt, als ich vom Friseursalon zurückkam. Meine Eltern sind so »traditionell«. Aber ich bin Künstlerin. Schreiben ist Kunst. Ich lasse mich viel von meinem So-gut-wie-Freund Constantine inspirieren. Wir sind erst seit ein paar Wochen zusammen. Er hat die Schule geschmissen und spielt in einer Band – meine Eltern werden auf der Stelle tot umfallen, wenn sie ihn kennenlernen, mit seinem gebleichten Haar, den Piercings und Tattoos an den Unterarmen.

Außerdem hat hier die Hälfte der Leute einen Regenbogen-Haar-Look. Leute wie ich. Allerdings habe ich mich dazu durchgerungen, mich etwas konservativer zu kleiden, nicht wie sonst im Punk-Rock-Style. Normalerweise komme ich in zerrissenen Jeans, Leder und Spitze, aber heute trage ich ein schwarzes Kleid mit kurzen Ärmeln – und mit Taschen. Der Heilige Gral der Frauenwelt.

»Wie hat dir die Diskussion gefallen? Ganz spannend, oder? Hast du eine Agentur?«, will Tara wissen.

Ja, habe ich. Das ist so cool. »Ja, ich habe erst kürzlich bei Vita Gallo unterschrieben. Sie schickt mein Manuskript bald an die Verlage. Für heute hat sie einige Meetings vereinbart. Das ist so nervenaufreibend.«

Tara nickt, und ihre rotblonden, nicht regenbogen-gestylten Locken passen perfekt zu ihrem pfirsichfarbenen Teint. Vermutlich ist sie nur ein paar Jahre älter als ich. Definitiv keine dreißig. Sie trägt einen schwarzen Rock, ein Tanktop und einen Blazer, den ich auch gerne hätte, weil es hier drin saukalt ist. Ich schätze sie als ruhig und nett ein. »Prima. Ich bin bei Jeff O’Malley unter Vertrag. Wir haben erst letzte Woche einen Deal mit Bee Henrys Team ausgehandelt. Angela Rivera wird den Text überarbeiten.«

Ich habe Angelas Namen in den Danksagungen von mindestens einem halben Dutzend Büchern gesehen, die ich gelesen habe. »Dann bist du ja in guten Händen.« Gott, ich glaube, ich würde sterben vor Glück, wenn Bee Henry mein Buch kaufen würde.

Tara schaut auf ihre Uhr. »Hast du Hunger? Habe gehört, dass sie oben in der Bar gute Tapas haben.«

Obwohl er selbst ein launischer Rocker ist, sagt Constantine immer, ich sei »kaugummi-fröhlich«, und meint, es würde besser zu meinem Typ passen, wenn ich pinkfarbenes Zeug mit Rüschen tragen würde, was auch immer das heißen soll. Würde ich dann nicht so aussehen wie eine Kaugummi-Packung mit Bazooka Joe? Ich gebe zu, meine Wangen tun weh von dem Dauerlächeln, das ich seit heute Morgen aufsetze, und jetzt geht’s mit einer Freundin zum Lunch.

Wisch mir einer das Lächeln aus dem Gesicht. Nur zu!

»Klingt großartig!« Ich muss mir abgewöhnen, so zu sprechen, als gäbe es immer ein Ausrufezeichen am Ende. Aber wie gesagt, ich kann nichts dafür. Kaugummi-fröhlich. »Denkst du, ich habe noch kurz Zeit, diese Tasche schnell auf mein Zimmer zu bringen? Ich schleppe sie schon seit mehr als drei Stunden mit mir herum.«

Tara holt zwei Bücher aus ihrer Handtasche. »Die sind von der New York Times-Liste der letzten Woche. Werden auch nicht leichter mit der Zeit.« Sie lacht.

Nur zwei Bücher? Sie hat nicht das Zeug dazu, berühmt zu werden.

Die Stimmung verändert sich, sobald wir den notdürftigen Lobby-Bereich betreten. Leute stehen herum, und alle haben ihre Tragetaschen mit Büchern vollgestopft. Einige haben sogar kleine Trolleys mit Büchern. Doch wo bis eben die ganze Zeit wild geplaudert wurde, verstummen die Leute reihum und machen Pssst! Leise! Und da fordert jemand alle mit strenger Stimme auf, nicht stehen zu bleiben, sondern sich links zu halten, die Treppe hinauf in Richtung große Lobby. Soll mir recht sein, denn da wollen wir ja sowieso hin. Als die Menge sich teilt, sehe ich etliche Polizeibeamte in Uniform.

Oh. Ich verdränge das Gefühl, dass sie auf der Suche nach mir sind, und drücke meine große Ledertasche enger an meinen Leib.

»Was ist hier nur los?«, wispert Tara, und zwischen ihren Augenbrauen bildet sich eine Falte. Ob sie doch älter als dreißig ist?

Ich zucke mit den Schultern. Bitte mach, dass es hier nicht um mich geht und um das, was heute Morgen passiert ist.

Das Stimmengewirr wird allmählich wieder lauter, eine Mischung aus Erstaunen und Panik. Einige Leute halten sich vor Schreck eine Hand vor den Mund, während sie auf ihre Handys starren; andere fassen sich ergriffen an die Herzgegend. Die Stimmen werden lauter. Jemand schreit Oh mein Gott!

»Was ist passiert?«, frage ich einen Mann neben mir. Moment, das ist nicht irgendjemand, das ist ja Kevin Candela! Ich habe zwei seiner Bücher gelesen, und er wird für den M-TOTY-Preis heute Abend gehandelt. Allerdings ist der Zeitpunkt fürs Fangirling unpassend, weil offenbar irgendwas Schlimmes passiert ist.

Er wendet sich mir zu, Schweißperlen auf der Stirn. »Ich kann nicht glauben, dass das wahr ist, aber auf Twitter heißt es, Kristin Bailey ist tot.« Zuerst kapiere ich nicht, was er zu mir sagt, weil oh mein Gott Kevin Candela spricht mit mir! Und dann … was?

»Tot?«, ruft Tara. »Ach du verdammte Scheiße!«

So viel dazu, dass ich sie als ruhig und nett einschätze.

Zumindest weiß ich jetzt, was es mit dem ganzen Trubel auf sich hat. Es geht gar nicht um mich. Mist.

Dann passiert das, was man nicht wahrhaben will. Die Fahrstuhltüren gehen auf, und umgeben von vier uniformierten Männern und einem Mann, auf dessen Jacke Coroner zu lesen ist, steht eine fahrbare Trage. Die Leute halten vor Schreck den Atem an, jemand zeigt auf die Trage und ruft etwas. Aber dort wird niemand mit Sauerstoffmaske auf der Trage zu einem Krankenwagen gebracht. Nein, es ist ein geschlossener Leichensack, der zu einem wartenden Van geschoben wird.

Weil ich befürchte, dass mir übel wird, halte ich mir eine Hand vor den Mund. Nicht Kristin. Bitte, nein!

Bestimmt sieht es komisch aus, wie ich dastehe und eine Hand in meine Tragetasche gleiten lasse. Von zu Hause habe ich drei Taschenbücher von Kristin Bailey mitgebracht, die ich mir von ihr signieren lassen wollte. Mein Idol … ist tot … und liegt in einem Sack. Ich will nicht wahrhaben, dass das geschieht. Sie starb in dem Glauben, dass ich verrückt bin. Bin ich aber nicht. Ich konnte es nicht klarstellen, und jetzt wird sie nie mehr meine Bücher signieren.

In der erschrockenen Menge fangen einige an zu weinen. Ich habe Kristin nicht persönlich kennengelernt, auch wenn ich mir das immer gewünscht habe, zumal wir uns per E-Mail ausgetauscht haben. Ich dachte, ich würde sie an diesem Abend in entspannter Atmosphäre mit ein paar anderen Autorinnen und Autoren treffen, dann könnte sie sehen, wie normal ich ticke, aber dazu wird es wohl nicht mehr kommen, oder?

Schlimmer noch, denn ich weiß, dass man mich mit Fragen löchern wird. Berühmt werden hatte ich mir anders vorgestellt. Das Smartphone vibriert in meiner Handtasche. Das rüttelt mich wach, und ich versuche, unbemerkt in die Tasche zu greifen, damit niemand meinen Kristin-Fanclub sieht. Ich blicke auf das Display. Eine Nachricht von einer mir unbekannten Nummer, und als ich sie lese, bleibt mir fast das Herz stehen.

Ich weiß, dass du Kristin gestalkt hast. Weiß das sonst noch jemand? Vielleicht bist du die Nächste.

5. Kapitel

Vicky Overton

Freitag, 12:00 Uhr

Als Penelope mir hier gegenübersaß, hastig Wasser trank und heulte, schrieb ich unter dem Tisch??? zurück an die unbekannte Nummer, die mir erzählen will, dass Jim mich mit einer Toten betrogen hat und dass ich vielleicht die Nächste bin. Ich wollte nicht, dass Penelope meine zittrigen Finger sieht. Ich hoffe, meine Reaktion war angemessen, denn ich tat genau das, was meine Charaktere immer machen, wenn sie eine furchtbare Nachricht erhalten. Die Hand vorm Mund, die weit aufgerissenen Augen, das Oh mein Gott. Sie ist ja schließlich Literaturagentin, keine Psychologin. Sie würde nie bemerken, dass ich das vorgetäuscht habe, aber gemischte Gefühle sind eine Untertreibung, wenn die Nachricht wahr ist, die ich gerade bekommen habe. Kristin und Jim? Ich kann ihn schlecht beschuldigen, ehe ich nicht weiß, was da läuft.

Mein Display leuchtet auf, und meine Nachricht kommt als unzustellbar zurück. Wer hat sie mir geschickt, verdammt? Penelope hatte sich verspätet und ist dann abgehauen, bevor wir zu dem kommen konnten, was ich mit ihr besprechen wollte. Anstatt sich mit mir zum Lunch zu verabreden, hat sie in meinem Beisein Davis angerufen und ihn gebeten, sich mit ihr an der Bar zu treffen. Sie hat mir sogar die Rechnung aufgehalst – sogar streichen! – über mein einsames Glas Wein. Tja, okay, ich will ehrlich sein, ich habe mir noch eins bestellt und die Rechnung beglichen. Wie sie sagen würde: C’est la vie!

Nachdem ich die Rechnung bezahlt habe, schicke ich Jim eine Nachricht. Ich muss mir das erst mal durch den Kopf gehen lassen und dann einen Blick auf sein Handy werfen. Ich lasse ihn wissen, dass es hier einen Notfall gab, dass Penelope wieder weg ist und ich den Rest des Tages frei habe. Ich nenne ihm die Details erst dann, wenn er vor mir steht, denn seine Reaktion wird mir Stoff für die Bücher der nächsten Jahre geben: Ich wusste, dass er es nur vortäuschte, denn ich konnte ihm das Schuldgefühl am Gesicht ablesen; das kurze Luftholen, das verzögerte Blinzeln … Er schreibt sofort zurück und sagt, ich solle bleiben, wo ich bin. Er will sich mit mir zum Essen treffen, da er gerade nichts anderes zu tun hat.

Klar. Seine Geliebte ist tot.

Er fragt, wo wir uns treffen, und ich nenne ihm die Straßenkreuzung. Die Kundschaft um mich herum sieht aus wie die typischen Power-Lunch-Leute mit Oberhemden und langen Hosen und »Lassen Sie uns später noch einmal darauf zurückkommen«-Gerede. Ich merke, dass ich unabsichtlich bei einigen Unterhaltungen lausche und mich frage, ob irgendjemand von der Convention hier ist. Kristins Name wird nicht erwähnt, deshalb gehe ich davon aus, dass hier nur Banker, Anwälte und Werbefachleute sitzen. Als ich endlich die Aufmerksamkeit des Kellners habe, entschuldige ich mich dafür, dass ich die Rechnung schon so schnell beglichen habe, und bitte ihn, eine neue Bestellung aufzunehmen, als Jim hereinkommt. Man erkennt ihn sofort, insbesondere in der Stadt. Liegt wahrscheinlich daran, wie er sich kleidet. Mit seinen Adidas-Flip-Flops und dem bescheuerten Cap schreit er geradezu in die Welt hinaus: Ich komme aus Florida! Ich schrumpfe etwas auf dem Stuhl zusammen. 

Jim ist immer supergebräunt – super – streichen! Das dunkle Haar, das unter dem Cap hervorlugt, kräuselt sich, vermutlich von der Luftfeuchtigkeit, denn so ist es die meiste Zeit über daheim in Florida. Mit seiner sonnengebräunten Haut und den erschreckend blauen Augen ist er ein echter Hingucker. War er immer schon.



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