Delicate Desire - Kathryn Harvey - E-Book

Delicate Desire E-Book

Kathryn Harvey

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Beschreibung

Ich habe dich nie vergessen … oder dir vergeben
Eine prickelnde Romance voller Leidenschaft und Spannung

Geld, Glamour und Macht. Für all das und mehr steht die Stadt der Reichen und Schönen – Beverly Hills. Heimat des Rodeo Drive, die wohl exklusivste Shoppingmeile der Welt. Hier hat die junge und schöne Beverly Highland eine schicke Herren-Boutique gegründet und zum Erfolg gebracht. Doch hinter den Kulissen ihres Geschäfts verbirgt sich eine Welt, die noch exklusiver ist: Der geheime Club "Butterfly". Hier können erfolgreiche, aber von der Liebe enttäuschte Frauen ihre wildesten sexuellen Fantasien ausleben. Auch Beverly selbst wurde in ihrer Vergangenheit verraten und verletzt und sie schwor sich erfolgreicher zu werden, als es ihr je jemand hätte zutrauen können. Nun steht Beverly an der Spitze von Hollywoods gehobenen Kreisen mit nur einem Ziel vor Augen: Rache. Und zwar an dem Mann, der für ihr Unglück verantwortlich war. Ein Mann, den sie all die Jahre niemals aus den Augen gelassen hat …

Erste Leser:innenstimmen
„Spannend und sexy – eine tolle Romantic Suspense!“
„Ein richtiger Pageturner, mitreißend und voller Herzklopfen.“
„Gefühle, Geheimnisse und eine einzigartige Liebesgeschichte!“
„Beverly Hills ist ein tolles Setting für diese Romance voller Rache und Leidenschaft!“

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Seitenzahl: 919

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses E-Book

Geld, Glamour und Macht. Für all das und mehr steht die Stadt der Reichen und Schönen – Beverly Hills. Heimat des Rodeo Drive, die wohl exklusivste Shoppingmeile der Welt. Hier hat die junge und schöne Beverly Highland eine schicke Herren-Boutique gegründet und zum Erfolg gebracht. Doch hinter den Kulissen ihres Geschäfts verbirgt sich eine Welt, die noch exklusiver ist: Der geheime Club "Butterfly". Hier können erfolgreiche, aber von der Liebe enttäuschte Frauen ihre wildesten sexuellen Fantasien ausleben. Auch Beverly selbst wurde in ihrer Vergangenheit verraten und verletzt und sie schwor sich erfolgreicher zu werden, als es ihr je jemand hätte zutrauen können. Nun steht Beverly an der Spitze von Hollywoods gehobenen Kreisen mit nur einem Ziel vor Augen: Rache. Und zwar an dem Mann, der für ihr Unglück verantwortlich war. Ein Mann, den sie all die Jahre niemals aus den Augen gelassen hat …

Impressum

Erstausgabe 1988 Überarbeitete Neuausgabe Januar 2025

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-547-4

Copyright © 1988, 1988 by Kathryn Harvey Titel des englischen Originals: Butterfly

Published by Arrangement with Barbara Wood  Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2008, FISCHER Taschenbuch Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2008 bei FISCHER Taschenbuch erschienenen Titels Butterfly (ISBN: 978-3-59616-858-3).

Übersetzt von: Kalla Wefel Covergestaltung: D-Design Cover Art unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © mrbigphoto shutterstock.com: © oksanashu Korrektorat: Johannes Eickhorst

E-Book-Version 19.12.2024, 17:57:43.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Delicate Desire

Prolog

Es hätte jede beliebige Insel in einem grünen Meer auf der Welt sein können. Eine weiße Villa stand oben auf einer steilen Klippe, von der man die aquamarinblauen Tiefen und brandenden Wellen übersehen konnte. Eine 30-m-Hochseejacht lag vor Anker, die Besatzung trug schmucke Uniformen und hielt das Schiff jederzeit bereit, falls der Mann und die Frau auf der Klippe Lust verspürten, es zu benutzen. Hinter der weißen Villa war ein exotischer Swimmingpool; eine Frau schwamm darin. Sie genoss die klare Luft und die Ruhe ihres Zufluchtsortes. Unter einer leise flatternden Markise war ein Festmahl aufgetischt worden: Schalen mit Kaviar auf Eis, frischer Hummer und Krabben, kandierte Früchte, aus der ganzen Welt importierter Käse; in Weinkühlern standen vier Sorten Wein bereit. Niemand war zur Bedienung da. Die beiden Liebenden wollten allein sein.

Sie kletterte aus dem Marmorpool, stieg die gewundene, weiße Treppe hinauf und ging durch zwei korinthische Säulen hindurch, wo Chaiselongues in der Sonne warteten.

Sie bewegte sich träge. Sie fühlte sich heiß und verliebt und zum Sex bereit.

Den Badeanzug zog sie nicht aus. Das würde er für sie erledigen. Stattdessen streckte sie sich in der Hitze aus und richtete ihren Blick auf den Fernsehapparat, der im Schatten der gestreiften Markise stand. Er lief. Er lief immer. Sie wartete auf etwas.

Kurz darauf kam er aus dem Haus, in seiner Sonnenbrille reflektierte das schimmernde Wasser des Pools. Sein langer, weißer Bademantel war offen, darunter war er nackt. Sie blickte ihn an, während er langsam auf sie zukam. Er war groß und geschmeidig, mit kräftigen Muskeln und festen Oberschenkeln; er ging mit dem Schritt eines olympischen Siegers einher.

Neben ihrer Chaiselongue blieb er stehen. Sie langte träge mit einer Hand nach oben. Die Hitzewellen, die wie eine Fata Morgana von den weißen Wänden der Villa emporstiegen, schienen ihre Knochen zu erweichen. Sie rekelte sich und genoss das Gefühl des weichen Plüschstoffs an ihrer nackten Haut.

Er kniete sich neben sie. Sie spürte, wie seine kräftigen Hände sanft über ihre Beine strichen. Er spielte am Band ihres Badeanzugs und küsste die Innenseiten ihrer Oberschenkel.

Aber als seine Hand hochfuhr und sich seine Finger unter den elastischen Stoff tasteten, hielt sie ihn plötzlich zurück.

Er sah sie an, versuchte, ihren Gesichtsausdruck hinter der riesigen Sonnenbrille zu deuten, und erkannte, dass ihr Blick auf den Fernseher gerichtet war.

Er blickte auf den Bildschirm. Und da war sie endlich, die Sendung, auf die sie gewartet hatte – eine Nachrichtensendung von der anderen Seite der Erde, via Satellit.

In ihr wurde von zwei Beerdigungen berichtet. Eine fand in Houston, die andere in Beverly Hills statt. Beerdigungen, die wichtig genug waren, in die ganze Welt übertragen zu werden.

Sie legte sanft ihre Hand auf seinen Kopf und streichelte ihn fast geistesabwesend, während sie sich die feierlichen Prozessionen aufmerksam ansah. Eine fand vor dem Hintergrund kalifornischer Palmen statt, Menschen trafen in großen Limousinen ein. Der Leichenwagen war weiß, hier wurde eine Frau beerdigt. Die andere fand unter der unerbittlichen texanischen Sonne statt und wurde von Männern mit Cowboyhüten begleitet, die den Sarg eines Mannes aus einem schwarzen Leichenwagen hoben. Einen Augenblick war sie nicht mehr hier auf dieser felsigen, entlegenen Insel, wo sie eine wundervolle, erregende Idylle erlebte. Sie fühlte sich zurückversetzt … zurückversetzt an den Anfang des unglaublichen Weges, der schließlich mit diesen beiden Beerdigungen am selben Tag geendet hatte, fünfzehnhundert Meilen voneinander entfernt …

Januar

1

Dr. Linda Markus saß am Frisiertisch und wollte sich gerade das Haar bürsten, als sie ein Geräusch hörte.

Ihre Hand erstarrte. Am Handgelenk trug sie eine Goldkette, an der ein Amulett hing, ein Schmetterling. Während sie regungslos dasaß und in die Nacht horchte, zitterte der Schmetterling an der zierlichen Kette und glitzerte im Lampenlicht.

Sie suchte den hinteren Teil des Schlafzimmers im Spiegel ab. Nichts schien außergewöhnlich. Da waren das überdimensionierte Bett auf dem Podest, die Satinvorhänge des Baldachins und der gekräuselte Matratzenüberwurf, alles in einem zarten, pfirsichfarbenen Ton gehalten. Auf dem Bett lagen ihr weißer Krankenhauskittel, die Bluse und der Rock sowie ihr Arztkoffer, den sie nach einem harten Tag im Operationssaal hingeworfen hatte. Auf dem Teppich lagen italienische Lederschuhe neben dem hellbraunen See ihrer Strumpfhose.

Sie horchte. Aber alles war still.

Sie fuhr fort, sich das Haar bürsten.

Es fiel ihr schwer, sich zu entspannen. Es gab so vieles, woran sie denken musste, so vieles, was ihre Aufmerksamkeit erforderte: der Patientin der Intensivstation; die Operationsbesprechung am Morgen; die Rede, die sie noch für das jährliche Bezirkstreffen der Ärztevereinigung schreiben musste.

Und dann diese verwirrenden Anrufe, die sie von dem Fernsehproduzenten Barry Greene erhalten hatte – dabei gehe es um kein medizinisches Problem, wie er auf dem Anrufbeantworter gesagt hatte. Bis jetzt hatte sie noch keine Zeit gefunden, ihn zurückzurufen.

Da war wieder das Geräusch! Ein heimliches, fast hinterlistiges Geräusch, als ob jemand draußen wäre, der hereinzukommen versuchte; als ob sich jemand bemühte, ungehört zu bleiben …

Während sie langsam die Haarbürste auf den Toilettentisch legte, atmete Dr. Markus tief ein, hielt den Atem an und drehte sich um.

Sie starrte auf die geschlossenen Vorhänge. War das Geräusch von der anderen Seite der Fenster gekommen?

Mein Gott! Waren die Fenster verschlossen?

Zitternd vor Angst starrte sie auf die schweren Samtvorhänge. Ihr Puls begann zu rasen.

Minuten schienen zu vergehen. Die Uhr aus der Zeit Ludwigs XV. über dem Marmorkamin tickte, tickte, tickte.

Die Vorhänge bewegten sich.

Das Fenster war offen!

Linda hielt den Atem an.

Eine kühle Brise schien durch den Raum zu wehen, als sich die Vorhänge allmählich teilten. Auf den champagnerfarbenen Teppich fiel ein Schatten.

Linda sprang auf und rannte, ohne nachzudenken, ins Ankleidezimmer. Als sie die Tür hinter sich zuzog, war sie von Dunkelheit umhüllt; sie tastete sich an der Wand entlang bis zu der geheimen Schublade.

In ihr sollte ein Revolver sein.

Als sie die Schublade entdeckte, zog Linda sie verzweifelt auf und griff hinein. Das kalte Metallstück fühlte sich obszön an; es war lang und hart und schwer. Ob der Revolver funktionieren würde? War er überhaupt geladen?

Als sie wieder an der Tür des Ankleidezimmers war, presste sie das Ohr dagegen und horchte. Leise Geräusche verrieten, dass jemand durch das geräumige Schlafzimmer schlich: das Knarren des Bleiglasfensters, das Rascheln der Vorhänge, das leise Huschen von gummibesohlten Schuhen auf dem Teppich.

Er war dort drinnen. Er war im Schlafzimmer.

Linda schluckte und verstärkte den Griff am Revolver. Um Himmels willen, was hatte sie damit vor? Ihn erschießen? Sie begann zu zittern, ihr Herz pochte.

Was, wenn er auch eine Waffe hatte?

Linda horchte. Sie konnte hören, wie er im Zimmer umherging.

Sie langte nach unten, umfasste den Türknopf und zog die Tür einen Spaltbreit auf.

Da war er – an der gegenüberliegenden Wand. Er schob gerade ein Gemälde beiseite und betrachtete das Kombinationsschloss eines kleinen Safes.

Linda musterte ihn. Ihre geübten Arztaugen entdeckten unter dem engsitzenden, schwarzen Rollkragenpullover und der Hose den Körper eines Mannes, der sich in Form hielt. Sein Alter konnte sie nicht schätzen – Gesicht und Haare waren von einer schwarzen, gestrickten Skimaske bedeckt – aber er war drahtig. Hübsch geformte Pobacken und Oberschenkel zuckten unter dem schwarzen Stoff.

Linda bewegte sich nicht und atmete nicht, während sie ihn dabei beobachtete, wie er gekonnt den Safe öffnete und hineingriff.

Dann drehte er sich plötzlich um, als ob er gespürt hätte, dass sie ihn beobachtete. Er starrte auf die Tür zum Ankleidezimmer; Linda sah, wie die beiden dunklen Augen argwöhnisch durch die Skimaske lugten; unter der schwarzen Wolle zeichneten sich ein grimmiger Mund und ein kantiger Unterkiefer ab.

Sie wich von der Tür zurück und hielt den Revolver zitternd in den vorgestreckten Händen. Der einzelne Lichtstrahl, der in das winzige Zimmer fiel, traf auf den glänzenden Platinschmetterling, der an ihrem Handgelenk hing, und warf einen silbrigen Glanz auf das Mieder und den Nylonslip an ihrem Körper.

Sie wich zurück, so weit sie konnte, blieb dann, den Finger am Abzug, stehen und hielt den Blick auf die Tür gerichtet.

Zunächst bewegte sich die Tür nur leicht, als ob er sie testen wollte. Dann schwang sie ganz auf, und seine dunkle Silhouette zeichnete sich gegen das schwach beleuchtete Schlafzimmer ab.

Er blickte zunächst auf den Revolver, dann in ihr Gesicht. Obwohl seine Gesichtszüge verborgen waren, bemerkte Linda eine Unsicherheit an ihm, glaubte, in seinen Augen Unentschlossenheit aufflackern zu sehen.

Er näherte sich ihr einen weiteren Schritt und betrat das Ankleidezimmer. Dann noch einen Schritt und noch einen.

»Keinen Schritt näher«, sagte Linda.

»Ich bin unbewaffnet.« Seine Stimme klang überraschend freundlich und kultiviert; die gepflegte Stimme eines Schauspielers. Er hatte nur drei Wörter gesprochen, und dennoch hatte sie in ihnen eine Spur von … Verletzlichkeit wahrgenommen.

»Raus hier«, sagte sie.

Er starrte sie weiterhin an. Zwischen ihnen lagen nur noch ein, zwei Meter; Linda konnte die Rundungen der Bizepse unter dem engen Pullover sehen, das ruhige An- und Abschwellen seines Brustkorbs.

»Ich meine es ernst«, sagte sie, den Revolver auf ihn gerichtet. »Ich werde schießen, wenn Sie nicht verschwinden.«

Schwarze Augen in einem verborgenen Gesicht musterten sie. Als er wieder sprach, schwang eine Spur von Ungläubigkeit in seiner Stimme mit, als ob er gerade etwas entdeckt hätte. »Sie sind schön«, sagte er.

»Bitte …«

Er trat noch einen Schritt näher. »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich hatte keine Ahnung, dass ich in das Haus einer Lady eingedrungen bin.«

Ihre Stimme war nur ein Flüstern. »Stehenbleiben.«

Er schaute nach unten auf die Halskette in seiner Hand, den Gegenstand, den er gerade aus dem Wandsafe genommen hatte. Es handelte sich um einen langen Perlenstrang, der am Ende verknotet war.

»Ich habe nicht das Recht, das hier zu nehmen«, sagte der Eindringling und hielt die Kette hoch. »Sie gehört Ihnen. Sie gehört zu Ihnen.«

Unfähig, sich zu bewegen, starrte Dr. Markus in die dunklen Augen, während die mit schwarzen Handschuhen bedeckten Hände die Halskette über ihren Kopf hoben, sie über das Haar nach unten streiften, bis sie auf ihrem nackten Hals direkt über der Spitze des Mieders zum Liegen kam.

Die nächtliche Stille schien sich zu intensivieren, als sich der Dieb langsam die Handschuhe auszog, wobei sein Blick auf ihren Augen haften blieb. Dann nahm er den Perlenknoten in die Hand und richtete ihn so aus, dass er zwischen ihren Brüsten lag.

Bei seiner Berührung hielt Linda den Atem an.

»Ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagte er in einem ruhigen, intimen Ton. Sein maskiertes Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt. Die schwarzen Augen waren von schwarzen Wimpern und der schwarzen Wolle der Maske umrahmt. Sie konnte seinen Mund erkennen, die schmalen, festen Lippen und die weißen Zähne. Er senkte den Kopf und sagte noch leiser: »Ich hatte nicht das Recht, Sie zu erschrecken.«

»Bitte«, filterte sie. »Tun Sie das nicht …«

Er hob eine Hand und berührte ihre Schulter. Sie spürte, wie der Träger ihres Mieders langsam nach unten glitt. »Wenn Sie wirklich wollen, dass ich gehe«, sagte er, »dann gehe ich.«

Linda schaute zu ihm auf, und ihre Blicke trafen sich. Als die beiden Träger des Mieders von der Schulter fielen, senkten sich ihre Arme, und der Revolver fiel auf den dicken Teppich. Seine Hände bewegten sich so behutsam und erfahren wie beim Öffnen des Wandsafes, strichen über ihre fiebrige Haut und schienen die Art, wie sie zitterte, zu genießen. Als Spitze und Satin von ihren Brüsten glitt, schloss Linda die Augen.

»Eine so schöne Frau wie Sie habe ich noch nie gesehen«, sagte er. Seine Hände berührten sie sanft. Er wusste, wo er streicheln, wo er innehalten, wo er sie festhalten musste. »Sagen Sie mir, dass ich gehen soll«, sagte er erneut und neigte den Kopf, so dass sein Mund fast auf ihrem lag. »Sagen Sie’s mir.«

»Nein«, hauchte Linda. »Gehen Sie nicht …«

Als seine Lippen die ihren berührten, spürte Linda, wie ein Schock ihren Körper durchfuhr. Plötzlich wollte sie diesen Mann. Unbedingt. Hier und jetzt.

Er zog sie in seine Arme. Sie spürte die grobgestrickte Wolle seines Pullovers auf ihren nackten Brüsten. Seine Hände streichelten ihren Rücken, dann fuhren sie nach unten und glitten unter das Gummi ihres Slips. Linda konnte kaum atmen. Sie erstickte an seinen Küssen. Seine Zunge schob sich in ihren Mund. Ihre Oberschenkel pressten sich gegen ihn; sie spürte seine Erregung.

Ist es möglich? fragte sie sich zweifelnd. Ist es möglich, dass ich nach all den Jahren endlich mit diesem Fremden …

Und dann wurde die Stille von einem Geräusch unterbrochen. Es war ein aufdringliches, penetrantes Summen, das aus dem Schlafzimmer kam.

Er hob den Kopf. »Was ist das?«

»Mein Signalgeber. Verdammt!«

Linda drängte sich an ihm vorbei, lief zu ihrer Handtasche, griff nach dem kleinen Gerät und schaltete es aus. »Ich muss einen Anruf erledigen. Ist das ein echtes Telefon?« fragte sie und zeigte auf den im Boudoirstil gehaltenen Apparat auf dem Nachttisch. »Kann ich damit nach draußen telefonieren?«

Er blieb in der Tür zum Ankleidezimmer stehen, verschränkte die Arme und lehnte sich gegen den Türrahmen. »Heben Sie einfach ab. Das Mädchen wird Ihnen ein Amt geben.«

Während Linda die Nummer wählte, blickte sie auf den prächtigen Körper in Schwarz und spürte, wie ihre Verärgerung anwuchs. Sie hatte sich auf ein riskantes Spiel eingelassen; sie hatte keine andere Wahl gehabt. Es hatte die Chance bestanden, ein paar Stunden ungestört zu verbringen, bevor sie ins Krankenhaus zurückkehren musste, aber daraus wurde nichts. »Sein Blutdruck ist gefallen«, teilte ihr die Schwester von der Intensivstation mit. »Dr. Cane meint, er hat eine innere Blutung.«

»Okay. Bringen Sie ihn wieder in den OP. Sagen Sie Cane, er soll ihn wieder aufmachen. Ich bin in Beverly Hills. Ich werde etwa zwanzig Minuten brauchen.«

Sie hängte auf. Sie hatte den Anruf erledigt, ohne auch nur einmal ihren Namen zu erwähnen – die Schwestern auf der Intensivstation kannten Lindas Stimme –, und sie drehte sich wieder zu dem Fremden mit der Skimaske um. »Tut mir leid«, sagte sie, während sie in aller Eile die Perlenkette ablegte und nach ihren Kleidungsstücken griff. »Da kann man nichts machen.«

»Ist schon in Ordnung. Mir tut’s auch leid.«

Sie sah ihn an. Sein Gesicht konnte sie zwar nicht erkennen, aber seine Stimme klang aufrichtig bedauernd. Dennoch wusste sie, dass das Bedauern nicht echt war. Er wurde dafür bezahlt, sich ihr zu fügen.

Nachdem sie sich angezogen hatte, griff sie nach dem Krankenhauskittel und dem Arztkoffer und eilte zur Tür. Linda hielt inne und lächelte ihn ein wenig betrübt an, als sie daran dachte, was hätte sein können. Dann griff sie in die Handtasche, holte einen Hundertdollarschein hervor und legte ihn auf den Tisch neben der Tür. Normalerweise hätte er ihn erst danach erhalten. Es war nicht seine Schuld gewesen, dass sie unterbrochen wurden.

»Aber ich habe nichts getan«, sagte er leise.

»Nächstes Mal können Sie’s wieder gutmachen.«

Linda ging in einen Flur hinaus, der zu einem eleganten, angenehm diskreten Hotel hätte gehören können. Sie eilte an geschlossenen Türen vorbei und schaute auf die Uhr. Sie hätte es wirklich nicht riskieren sollen, heute Nachmittag ins Butterfly zu gehen, nicht, wo ein Patient auf der Intensivstation lag. Aber sie hatte sich seit Wochen auf diesen Besuch gefreut, hatte ihn bereits etliche Male wegen medizinischer Notfälle verschoben.

Als sie um die Ecke bog, traf Linda auf eine Hausangestellte, eine junge Frau mit einem schwarzen Rock und einer weißen Bluse mit einem Schmetterling, der mit goldenem Garn auf die Tasche gestickt war. »Ist alles in Ordnung, Madam?« fragte sie. Die Angestellte kannte Dr. Markus’ Namen nicht; alle Mitglieder des Butterfly waren anonym.

»Ich habe einen dringenden Anruf erhalten.«

»War der Gesellschafter zufriedenstellend?«

Sie erreichten den Fahrstuhl. »Er war tadellos. Ich würde gern einen neuen Termin abmachen. Am besten telefonisch.«

»Wie Sie wünschen, Madam. Auf Wiedersehen.«

Als sich die Türen flüsternd schlossen, nahm Linda schnell die schwarze Harlekinmaske vom Gesicht und verstaute sie in der Handtasche. Sie rieb sich die Wangen, falls die Maske Striemen hinterlassen haben sollte.

Der Fahrstuhl brachte Dr. Markus nach unten ins Erdgeschoß und führte in die Messing-und-Mahagoni-Eleganz von Fanelli’s hinein, einem der in Beverly Hills angesehensten Männerbekleidungsgeschäfte. Sie hastete durch die Glastüren, die auf den Rodeo Drive führten, und trat in das blendende Licht eines grellen Januarnachmittags hinaus. Linda setzte ihre übergroße Sonnenbrille auf und gab dem Parkplatzwächter ein Zeichen. Es war ein warmer, klarer südkalifornischer Tag. Linda fühlte sich an Zitrushaine erinnert, und sie wünschte sich, sie würde jemanden haben, mit dem sie diesen Tag gemeinsam verbringen könnte.

Aber es gab niemanden, und wahrscheinlich würde es niemals jemanden geben. Heute, im Alter von achtunddreißig Jahren und nach zwei gescheiterten Ehen und unzähligen erfolglosen Beziehungen, hatte sie sich damit abgefunden.

Obwohl, dachte sie, als sie die unscheinbare, schmucklose Fassade des Butterfly hinaufblickte, obwohl dort oben eigentlich jemand war, mit dem sie einen solch atemberaubenden Tag verbringen könnte … aber sie musste ins Krankenhaus, und er musste sich um andere Frauen kümmern.

Der Wächter holte den roten Ferrari, sie gab ihm ein großzügiges Trinkgeld und reihte sich in den fließenden Verkehr des Wilshire Boulevards ein. Als sie die Fenster öffnete und sich den Wind durch das blonde Haar wehen ließ, merkte Linda, dass sie erst lächeln, dann lachen musste. »Ich komme wieder!« rief sie laut in den gewaltigen Verkehr von Beverly Hills hinein. »Komme, was da wolle, Butterfly. Ich komme wieder!«

2

Als Jamie das erste Mal in Miss Highlands Swimmingpool geschwommen war, dachte er, sie sei nicht zu Hause. Er zog sich aus dem Wasser und schüttelte sich in der frischen Morgensonne. Dann blickte er nach oben und sah, dass sie an einem der Fenster im oberen Stockwerk stand und auf ihn herabschaute. Erst erschrak er darüber, dann bekam er Angst, denn die reiche Beverly Highland hätte dafür sorgen können, dass er weder in Südkalifornien noch sonst wo jemals wieder Arbeit finden würde.

Aber zu seiner Überraschung bewegte sie sich damals nicht vom Fenster fort, brüllte ihn nicht an und rief auch nicht nach den Sicherheitsleuten, die das weitläufige Anwesen in Beverly Hills bewachten. Die Hand am Vorhang ruhend, stand sie einfach nur da, wobei ihr Blick auf ihm haften blieb. Plötzlich bekam Jamie furchtbare Angst, dass jeden Moment Polizisten aus Beverly Hills kommen und ihn abführen würden. Er zog sich die Jeans an und machte sich wieder daran, das Wasser im Pool zu reinigen. Von Zeit zu Zeit schaute er hinauf, und jedes Mal sah er sie dort oben.

Er wurde in Rekordzeit fertig, fuhr mit dem Lieferwagen fort und litt die nächsten paar Tage Höllenqualen, zumal er erwartete, zusammengestaucht zu werden, weil er im Swimmingpool einer Kundin geschwommen war – obendrein mit nacktem Hintern! Aber merkwürdigerweise kam bis heute nie eine Beschwerde.

Beim zweiten Mal war er aus reinem Übermut im Pool geschwommen. Er nahm an, dass sie zu Hause war – der Rolls-Royce Silver Cloud, von dem jeder wusste, dass er ihr Lieblingswagen war, stand in der Garage. Zudem konnte er sehen, dass der Chauffeur am Excalibur arbeitete. Er fragte sich, ob sie erneut ans Fenster kommen würde, und sprang absichtlich mit einem lauten Platschen ins Wasser.

Als er wenige Minuten später nackt und tropfend aus dem Pool stieg, sah er, wie sie ihn wieder von dort oben beobachtete.

Und auch damals gab es merkwürdigerweise keine negative Reaktion.

An diesem Morgen war es das dritte Mal. Er drückte auf den Summer am schmiedeeisernen Tor und wies sich beim Wachmann aus. Dann fuhr er mit dem Pool-Wartungswagen die lange Zufahrt hinunter bis hinter das Haus, wo er den angenehmeren Teil des Morgens damit verbringen würde, Miss Highlands riesigen Swimmingpool zu reinigen. Er legte sich die Geräte und Chemikalien zurecht, hielt inne und schielte zum Haus hinauf. Sie stand bereits am Fenster.

Fast hätte er gewunken, ließ es aber. Stattdessen stemmte er die Hände in die Hüften und blickte über das blaugrün schimmernde Wasser, als träfe er eine Entscheidung. Er dachte: Sie will, dass ich es tu.

Obwohl sie eine Persönlichkeit war, die fortwährend im Rampenlicht stand und ein Liebling der Medien war, war von der zurückgezogen lebenden Miss Highland in der Öffentlichkeit tatsächlich nur sehr wenig bekannt. Sie lebte völlig allein in einem der größten Häuser von Beverly Hills, umgab sich mit einem Stab von Sekretärinnen, Beratern und Schmarotzern, jettete regelmäßig im Privatflugzeug von Küste zu Küste, zählte Politiker und Filmstars zu ihren Freunden, gab zu jeder der Jahreszeiten die Party und besaß den elegantesten Swimmingpool der Häuser, die auf Jamies Route lagen. Aber sie war so etwas wie ein Rätsel. Wenigstens war sie für alle anderen ein Rätsel, dachte Jamie, als er gerade begann, seine Jeans auszuziehen. Aber für ihn nicht: Er war zu dem Schluss gekommen, sie erkannt zu haben.

Beverly Highland war für ihre unerschütterliche Moral bekannt. Sie war eine der größten Unterstützerinnen des Gründers der Bewegung für moralischen Anstand«, des Fernsehpredigers Reverend … wie hieß er doch gleich? Alle hielten die keusche Miss Highland für eine wahrhaft sittsame Frau Saubermann, die alles, was Spaß machte, mit geschürzten Lippen missbilligte. Aber sie hatte ein kleines, schmutziges Geheimnis, entschied Jamie: Sie verspürte einen Heidenspaß beim Beobachten von jungen Männern, die nackt im Pool schwammen.

Also gut, was soll‘s? dachte er. Falls er sie genug erregen konnte, würde sie ihn vielleicht zu einem Techtelmechtel inmitten ihrer Dollarscheine einladen. Er kannte Botenjungen, die goldene Rolex-Uhren besaßen, nur weil sie alten Damen in Beverly Hills zur Hand gingen.

Er zog den Reißverschluss nach unten und streifte sehr langsam und aufreizend die Jeans herunter. Dann blieb er kurz am Beckenrand stehen, gab ihr Gelegenheit, einen ausführlichen Blick auf seinen Körper zu werfen – auf den er sehr stolz war und für den er sehr viel tat, um ihn in Form zu halten –, und sprang dann glatt und sauber wie ein heißes Messer, das durch warme Butter fährt, ins Wasser. Unter Wasser torpedierte er sich durch die gesamte Länge des Pools und kam am anderen Ende wieder an die Oberfläche, wo sein blonder Schopf im hellen Sonnenlicht auftauchte. Dann zog er seine Runden. Lässig und träge stieß er die Arme vor und schaufelte das Wasser mühelos hinter sich zurück, vor und zurück, vor und zurück, schließlich rollte er sich auf den Rücken, ließ das Wasser von sich herunterrinnen und brachte seine sonnengebräunte Haut zum Glänzen.

Als er sich, ohne außer Atem zu sein, aus dem Wasser zog, streckte er die Arme über den Kopf und schüttelte sich das Wasser ab. Zu wissen, dass sie ihn beobachtete, machte Jamie scharf. Er spürte, wie er allmählich steif wurde, und es gefiel ihm, weil sein Schwanz sich sehen lassen konnte. Dann zog er sich die Jeans an und machte sich wieder daran, den Pool zu reinigen. Nach einigen Minuten schaute er nach oben und sah, dass sie verschwunden war.

Beverly ließ den Vorhang los und wandte sich vom Fenster ab. Sie hatte seinen Namen herausbekommen. Jamie.

Dann verdrängte sie den Gedanken an ihn.

Ihr Büro war sehr sachlich eingerichtet. Ganz im Gegensatz zum Rest des Hauses, das übermäßig luxuriös und elegant ausgestattet war, war Beverly Highlands Arbeitsplatz praktisch und nüchtern gehalten. Es gab zwei große Schreibtische – ihren und den ihrer Privatsekretärin –, Aktenschränke aus Mahagoniholz, einen Computer und einen Kopierer. Maggie, ihre energiegeladene Sekretärin, hatte sich noch nicht zur Arbeit gemeldet. Es gab Briefe zu diktieren, Gästelisten mussten durchgegangen und Bitten um Spenden geprüft werden. Zudem mussten Einladungen besprochen werden, um zu sehen, welche Beverly annehmen und welche sie ablehnen sollte. Beverly Highland war Aufsichtsratsvorsitzende verschiedener großer Firmen, saß im Vorstand der Vereinigung Amerikanische Frauen für internationale Verständigung«, war die Vorsitzende vom –Komitee für Kulturförderung der Handelskammer Los Angeles« und gehörte dem »Präsidentenkomitee für Philosophie und Menschlichkeit« an. Zudem gab es einige persönliche Gelddinge, um die sich ihr Buchhalter zu kümmern hatte, und drei Pressemitteilungen zu erledigen, die ihr Pressesprecher durchsehen musste. Zu Beverlys Mitarbeiterstab gehörten außerdem zwei Privatsekretärinnen und ein PR-Mann.

Als sie ihren Platz am Schreibtisch wieder eingenommen hatte, schenkte sich Beverly aus der silbernen Kanne etwas Kräutertee in eine Tasse aus Sevresporzellan. Die morgendliche Luft wurde von seinem würzigen Aroma erfüllt. Beverly fügte keinen Zucker hinzu und knabberte nur an einem der köstlichen Zitronenplätzchen, die auf dem Teller lagen. Mit Einundfünfzig achtete Beverly Highland darauf, ihre Diät genau einzuhalten.

Sie schaute auf den Kalender auf ihrem Schreibtisch; er war in einen antiken Goldrahmen eingesetzt, ein Geschenk von einem Verleger, der unbedingt ihre Lebensgeschichte verlegen wollte.

Ein Datum darauf war rot eingekreist: 11. Juni.

Es war der Tag, für den Beverly Highland lebte. Der Tag, an dem der Parteitag der Republikaner in Los Angeles eröffnet werden sollte. Alles, was sie tat, jeder Schritt, den sie unternahm, galt ausschließlich diesem Tag.

Niemals zuvor, dessen war sie sicher, hatte ein Präsidentschaftskandidat mit so viel Optimismus auf eine so entschlossene Unterstützerin gebaut wie der Mann, der die »Kirche der frohen Botschaft«, das evangelische Millionen-Dollar-Fernsehimperium, gegründet hatte. Als er letztes Jahr verkündet hatte, er dächte darüber nach, sich für das höchste amerikanische Amt zu bewerben, geriet Beverly in Verzückung. Eine solche Entscheidung wäre für sie damals die Erfüllung eines Traums gewesen. Und jetzt, wo er sie getroffen hatte und man mit Volldampf auf die Vorwahlen im Juni zusteuerte, wuchs Beverlys Angst von Tag zu Tag an – er musste es schaffen.

Und mit ihren Verbindungen und Millionen wollte sie dafür sorgen, dass er es schaffen würde.

Sie nippte an dem mit Zimt gewürzten Tee und schaute auf sein Foto, das in einem Zinngussrahmen auf ihrem Schreibtisch stand. Er hatte es signiert und »Gelobt sei der Herr« dazugeschrieben. Sein charismatisches Lächeln strahlte ihr entgegen.

Der Reverend hatte Beverly Highland nur oberflächlich kennengelernt, bei Dinners für den Wahlfonds und auf verschiedenen politischen Veranstaltungen mit großer Breitenwirkung. Er wusste nur wenig von ihr, aber sie kannte ihn genau. Schon seit Jahren hatte sie jeden Tag seine »Stunde der frohen Botschaft« gesehen und sie nur einmal verpasst, als sie wegen einer Hysterektomie, bei der Komplikationen aufgetreten waren, im Krankenhaus gelegen hatte. Während des langwierigen Genesungsprozesses hatte sie sich in ihrem privaten Krankenzimmer einen Videorecorder aufstellen lassen. Auf diese Weise konnte sie sich die Bänder seiner Predigten ansehen. Und wie sie damals der Presse nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus mitteilte, seien es diese »Stunden der frohen Botschaft« gewesen, die bei ihr den Heilungsprozess beschleunigt hätten. Ihn auf dem Bildschirm zu sehen und seiner dynamischen Stimme zuzuhören, erzählte sie den Reportern, habe ihre Seele mit Kraft und Stärke erfüllt.

Ungefähr dasselbe hatte sie ihm kurz danach schriftlich mitgeteilt und einen Scheck über eine Million Dollar beigefügt.

Sie blickte auf den Kalender, 11. Juni.

Die »Kirche der frohen Botschaft« war die größte »elektronische Kirche« der Vereinigten Staaten. Die Kirche strahlte ihre Sendung täglich über elfhundert Fernsehstationen aus, veröffentlichte wöchentlich die »Zeitschrift der göttlichen Macht«, besaß eine Schallplattenfirma, zwei Fluglinien, das meiste von Houston und nahm jeden Monat Millionen von Dollar ein. Es wurde geschätzt, dass sich fast neunzig Prozent der Bevölkerung des Südens die »Stunde der frohen Botschaft« wenigstens einmal die Woche ansahen oder anhörten; die tatsächliche Mitgliederzahl der Kirche für die gesamte Nation war unmöglich festzustellen.

Jedenfalls gab es keinen Zweifel, dass der Reverend ein äußerst einflussreicher Mann war.

Und er legte besonderen Wert auf moralischen Anstand.

Während Beverly die Tasse absetzte, stand sie vom Schreibtisch auf und ging wie automatisch wieder ans Fenster. Mit der Hand am Vorhang sah sie nach unten auf den prächtigen, terrassenförmig angelegten Garten, der sich von dem hochgelegenen Haus aus über den ganzen Hang erstreckte. Man hätte niemals vermutet, dass das landschaftlich sehr schön und kunstvoll gestaltete Anwesen nicht weit entfernt vom hektischen Geschäfts- und Einkaufsviertel von Beverly Hills lag.

Ihr Blick richtete sich nach unten auf den Pool.

Sein Name sei Jamie, hatte ihr ihre Sekretärin berichtet.

Beverly beobachtete ihn, wie er das Reinigungsnetz durch das limonengrüne Wasser des Pools führte. Sein langes, blondes Haar, das vom Schwimmen noch nicht ganz getrocknet war, fiel ihm wie bei einem Wikinger bis auf die Schultern. Und die Jeans war zu eng. Sie fragte sich, wie er sich darin überhaupt bewegen konnte. Er hatte so einen Po, auf den Mädchen heutzutage zu stehen schienenrund und knackig.

»Tut mir leid!« ertönte hinter ihr eine atemlose Stimme. »Ich bin auf dem San Diego Freeway steckengeblieben. Wieder mal!«

Beverly drehte sich um und sah, wie ihre Sekretärin Maggie hereinstürmte – die Handtasche über der Schulter, die Arme voller Papiere; in einer Hand hielt sie krampfhaft einen Diplomatenkoffer fest.

»Immer mit der Ruhe«, sagte Beverly lächelnd. »Wir haben noch ein paar Minuten Zeit.«

»Ich schwöre, es muss sich um eine Verschwörung handeln«, grummelte Maggie und griff nach dem Telefonhörer. Während sie die Nummer der Küche tippte, sagte sie: »Der Verkehr wird von Tag zu Tag schlimmer. Ich könnte schwören, ich sehe jeden Morgen dieselben abgewürgten Autos, die die Straßen blockieren … Hallo, Küche? Hier Maggie. Würden Sie uns bitte etwas Kaffee hochschicken? Und Schokoladenkuchen. Danke.« Maggie Kern, 46, war mollig und hatte auch vor, so zu bleiben.

Während sie die Papiere auf dem Schreibtisch hin und her schob und noch immer etwas von einer Verschwörung vor sich hinmurmelte, für die sie die Busgesellschaft verantwortlich machte, die auf diese Weise die Leute zum Busfahren zwingen wolle – »Ich schwöre, jeden Tag werden dieselben Autos abgewürgt, nur um die Schnellstraße zu verstopfen« –, schaute Beverly wieder nach unten auf den jungen, blonden Mann von der Pool-Wartungsfirma.

»Ah!« stieß Maggie erfreut aus, als Kaffee und Kuchen eintrafen, und stellte den Fernsehapparat an. Beverly wandte sich überstürzt vom Fenster ab und eilte zum Samtsofa. Die beiden Frauen setzten sich hin, zogen die Schuhe aus und stierten auf den Bildschirm.

Bevor sie morgens mit der Arbeit begannen, sahen sie sich jeden Tag erst die »Stunde der frohen Botschaft« an. Selbst wenn Beverly reisen musste und die beiden im Privatjet über das Land flogen oder wenn sie sich in einer anderen Stadt in einem Hotelzimmer aufhielten, verbrachten sie die erste Stunde des Tages damit, dem Reverend zuzusehen.

Prostitution und Pornographie waren die Themen, auf die er es am meisten abgesehen hatte, zudem hatte er einen schockierend anschaulichen Antiabtreibungsfilm produziert. Er organisierte Überfälle auf Pornokinos, schickte Bibeln und eifrige, junge Prediger in die Finsternis der 42. Straße und des Hollywood Boulevards und hatte, wie Beverly Highland auch, dazu beigetragen, dass das Playboy-Magazin aus den Regalen der Supermärkte verbannt worden war.

Sollte er zum Präsidenten gewählt werden, würde er ein sauberes Amerika erschaffen, so hatte er versprochen.

Die Gitarren und der Chor der frohen Botschaft stimmten ein flottes Kirchenlied an, und dann erschien er und brüllte sein Fernsehpublikum an: »Brüder und Schwestern, ich habe für euch eine frohe Botschaft!«

Es gab keinen Zweifel: dieser Mann war wirklich unwiderstehlich. Er sprühte Energie aus wie ein feuerspeiender Drache. Man spürte förmlich seine Hitze durch das Glas des Fernsehschirms strömen. Sein elektrisierender Geist schien aus seinem energiegeladenen Körper zu strömen. Es war kein Wunder, dass der Reverend so populär war, und das selbst bei Nichtgläubigen. Seine direkte und einfache Art verkaufte sich gut. Ein Journalist hatte einmal sarkastisch kommentiert, dass der begeisternde Gründer der Kirche der frohen Botschaft den Australiern Kängurus verkaufen könnte. Aber was der Reverend verkaufte, war Gott. Gott und Moral.

Und das Hauptangriffsziel seiner heutigen Predigt war eine Zeitschrift namens Beefcake-, angeblich ein Magazin für Frauen, das sich aber wegen seiner Fotografien von nackten Männern in verführerischen Posen großer Beliebtheit bei Homosexuellen erfreuen sollte. »Ich nehme heute meine frohe Botschaft aus Paulus‘ Brief an die Römer«, brüllte der Reverend über ganz Amerika hinweg. »Und Paulus sagte, dass, weil Menschen solche Narren sind, Gott sie darum auch dahingegeben hat in ihrer Herzen Gelüste, in Unreinheit, zu schänden ihre eigenen Leiber an sich selbst. Darum hat Gott sie auch dahingegeben in schändliche Lüste; denn ihre Weiber haben verwandelt den natürlichen Umgang in den unnatürlichen.«

»Brüder und Schwestern!« polterte er, während er mit gewaltigen Schritten über die Studiobühne einherschritt. »Es tut mir in der Seele weh, so etwas zugeben zu müssen, aber in unserem wunderschönen Land gibt es heute Sünde und Korruption. Sündennester, in denen der Satan seine Lakaien ausbrütet. Wo Frauen ihre Körper verkaufen und Männer der Wollust und Sünde verfallen. Genau diese Orte sind es, die die Stärke unseres wundervollen Landes untergraben. Wie soll Amerika weiterhin die Nummer eins bleiben, die führende Nation, an die sich letztendlich alle Länder der Welt um Hilfe wenden, wenn wir solches Teufelswerk mitten unter uns tolerieren? Wenn Männer in Häuser der Prostitution gehen, was wird dann aus dem heiligen Stand der Ehe? Wenn Frauen ihre Körper verkaufen, wie sollen unsere Kinder dann rein aufwachsen und von Gottes Wort erfahren?«

Der Reverend zeigte drohend mit dem Finger gen Himmel und wischte sich schnell mit einem weißen Taschentuch über die schweißnassen Augenbrauen. »Ich sage, wir müssen diese Häuser der Sünde und Korruption einreißen! Wir müssen sie ausfindig machen, wo immer sie sind, und sie zum Einsturz bringen! Wir werden die Fackeln der Rechtschaffenheit tragen und sie gegen die korrupten Wände dieser Häuser schleudern und zusehen, wie sie brennen wie Satans eigenes Höllenfeuer!«

»Amen«, sagte Beverly Highland.

»Amen«, sagte Maggie.

Als die Sendung vorbei war, saßen die beiden eine ganze Weile schweigend da, dann seufzte Beverly und sagte: »Wir sollten uns lieber an die Arbeit machen. Es sind nur noch sechs Monate bis zur Vorwahl. Es gibt noch eine Menge zu tun.«

Während sich ihre Sekretärin an den Schreibtisch setzte, ging Beverly Highland wieder ans Fenster und schaute hinaus.

Sie war noch gerade rechtzeitig gekommen, um zu sehen, wie der Pool-Wartungswagen über die lange Zufahrt davonfuhr.

3

Für Trudie Stein war es nichts Neues, mit einem Fremden Sex zu haben. Gewöhnlicherweise verbrachte sie ihre Samstagabende immer so. Als sie zu dem Butterfly-Logo über der Tür hinaufsah, kam sie zu dem Schluss, dass es allerdings etwas völlig Neues war, unter solch spektakulären Umständen mit einem Fremden Sex zu haben.

Und es erregte sie unglaublich.

Als sie die Parkmarke von dem Parkwächter entgegennahm und hörte, wie er mit der stahlblauen Corvette von der Bordsteinkante losfuhr, verspürte Trudie plötzlich einen unerwarteten Angstschock.

Aber wovor sollte sie Angst haben? Schließlich kam ihre Cousine Alexis bereits seit Wochen hierher; Alexis, die Trudie immer wieder von den phantastischen Wundern dieses Hauses erzählt hatte. »Dort kannst du deine Phantasien voll ausleben«, hatte Alexis ihr gesagt. Und dann gab es noch Dr. Linda Markus, für deren Strandhaus Trudie eine Sonnenterrasse und einen Fitnessbereich entworfen hatte. Laut Alexis war Dr. Markus schon weit länger Mitglied des Butterfly gewesen. Es war sogar Linda Markus gewesen, die Trudies Cousine zur Mitgliedschaft geraten hatte. Die beiden waren seit ihrem Medizinstudium sehr enge Freundinnen. Und da war nun Trudie, dreißig Jahre alt, sie stand auf dem Bürgersteig des Rodeo Drive, kurz vor der Schwelle, hinter der sich ihre sehnsüchtigsten Phantasien erfüllen sollten. Ein aufrichtiges Dankeschön an Dr. Markus.

Alexis hatte ihr erklärt, wie das Butterfly funktionierte. Da es sich um einen kleinen ›Privatclub‹ handelte, durfte jedes Mitglied nur eine weitere Person vorschlagen. Dr. Markus hatte ihre beste Freundin Alexis gewählt, und Alexis hatte sich entschlossen, ihre Cousine Trudie zu empfehlen. Zur Orientierung war Trudie vor zwei Wochen, kurz nach Weihnachten, zu einem Gespräch mit der Geschäftsführerin hierhergekommen. Vor drei Tagen hatte sie ihr persönliches Armband erhalten und war jetzt wie die beiden anderen ein Vollmitglied mit allen Rechten und Vergünstigungen, die einem das Butterfly bot.

Trudie schlug den Mantelkragen hoch und blinzelte in der kalten Januarsonne zu dem Gebäude hinüber.

Was einem das Butterfly bot …

»Ich sag dir was, Trudie«, hatte ihr Alexis gesagt, »das Butterfly hat bei mir schon Wunder vollbracht. Es hat mir geholfen, mich selbst zu finden, mir über mich selbst klarzuwerden. Vielleicht bedeutet es für dich ja auch die Rettung.«

Die Rettung; diese erhoffte sich Trudie zweifellos. Der unwürdige Teufelskreis von Nächten mit Männern, die nie wieder anriefen oder sich im Licht der Morgendämmerung als Enttäuschungen erwiesen, hatte Trudie Stein auf einen verschlungenen Pfad geführt, der ins Nichts führte. Dabei wünschte sie sich verzweifelt, mit irgendjemandem irgendwohin zu gehen.

Nun, zunächst musste dieser erste Schritt gemacht werden. Also machte sie ihn, direkt durch die Glastür von Fanelli’s, dem vornehmen Männerbekleidungsgeschäft von Beverly Hills mit dem geheimnisvollen Schmetterling auf der schlichten Fassade. Trudie kannte das Geschäft. Vor Jahren war sie schon einmal hierhergekommen und hatte ihrem damaligen Freund ein teures Sporthemd gekauft, aber der hatte sich um die Achse gedreht und es seinem Freund geschenkt. Das Geschäft wirkte mit seinem Messing und Mahagoniholz elegant. Es wimmelte dort zurzeit von Kunden, die Weihnachtsgeschenke zurückbrachten oder umtauschten.

Trudie verharrte einen Moment, um ihren rasenden Puls zu beruhigen. Ein paar der Gesichter in der Menge erkannte sie: da war der Regisseur, dessen Swimmingpool sie entworfen hatte; da war das Rock-Idol Mickey Shannon, der versuchte, möglichst unauffällig zu wirken; und drüben bei den Toilettenartikeln erkannte Trudie Beverly Highland, die berühmte Dame der Gesellschaft.

Kurz fragte sich Trudie, ob auch sie ein Mitglied des geheimen Unternehmens ein Stockwerk höher war. Aber jeder wusste, was für eine ergebene Unterstützerin der ›Kirche der frohen Botschaft‹ Beverly Highland war und was für ein vorbildlich sittsames Leben sie führte. Außerdem konnte Trudie sehen, dass sie kein verräterisches Schmetterlingsarmband am Handgelenk trug.

Als sie sich ihren Weg durch die Menge bahnte, wusste Trudie, dass die meisten der Kunden in dem Geschäft nicht wussten, was sich oben abspielte. Das jedenfalls hatte ihr die Geschäftsführerin versichert. Diese Leute waren tatsächlich hier, um einzukaufen-nur wenige wie sie selbst steuerten auf den hinteren Teil des Geschäftes zu und vergewisserten sich, dass das Armband zu sehen war —das Armband, das aus feinen Goldgliedern bestand und an dem ein Amulett in der Form eines Schmetterlings hing.

Schließlich erreichte sie den Showraum, wo rührige Dressmen der auf Stühlen sitzenden Kundschaft die neuesten Modelle vorführten. Dieser Teil des Geschäfts wurde von einem speziellen Mitarbeiterstab beaufsichtigt, Frauen mit schwarzen Röcken und weißen Blusen, auf deren Taschen Schmetterlinge gestickt waren.

Trudie wusste, dass sich diese Frauen von den anderen Angestellten, die im vorderen Teil des Ladens arbeiteten, unterschieden. Nur diese Frauen wussten, wohin der Privataufzug führte.

Trudie hatte schon zuvor männliche Models gesehen. Selbst einige der Männer, an die sie Arbeiten vergab, jobbten nebenbei als Model. Diese Männer, die fortwährend der Sonne ausgesetzt und von der harten Arbeit gestählt waren und gewöhnlich blondgelocktes Haar hatten, schienen in Seidenblazern und grauen Flanellhosen genauso gut auszusehen wie in staubigen Jeans und T-Shirts. Aber nach Trudies Ansicht hätten die Models von Butterfly ihre Prachtkerle nur beschämen können. Und jetzt wusste sie auch, warum, jetzt kannte sie den wahren Grund, weshalb sie so gut aussahen; mit der modischen Kleidung hatte es jedenfalls nichts zu tun.

Trudie setzte sich hin, lehnte das Angebot, Tee oder eine Flasche Perrier zu trinken, ab und sah der Modenschau zu, die ein täglicher Programmpunkt von Fanelli’s war.

Gebannt hielt sie ihren Blick auf den Eingang zum Umkleideraum der Models gerichtet. Die Männer kamen einer nach dem anderen heraus und schritten langsam zwischen den sitzenden Gästen umher, von denen die meisten Frauen waren. Die Models trugen verschiedene Modelle, vom Lederblouson bis hin zum Pyjama von Savile Row, und die Männer selbst deckten, was Alter, Körperbau und äußeres Verhalten anging, eine ganze Bandbreite von Typen ab. Für jede etwas, dachte Trudie, während ihre Erregung wuchs.

Die Messinguhr an der Wand tickte. Die Männer kamen einer nach dem anderen aus dem verborgenen Umkleideraum, schlenderten umher, lächelten, setzten sich in Positur und verschwanden wieder. Einige Kundinnen standen auf und gingen, andere kamen herein und setzten sich hin. Die meisten verließen mit Paketen unterm Arm den Raum (aber wie Trudie sehen konnte, betrat keine den speziellen Aufzug im hinteren Teil des Ladens).

Während sie sich die Männer genau ansah – besonders den einen mit dem Seemannspullover und der Figur von Arnold Schwarzenegger und den kleinen, drahtigen Asiaten im Kung-Fu-Freizeitlook –, fielen Trudie zwei andere Frauen auf, die dort schon genauso lange gesessen hatten wie sie. Trudies Blick richtete sich auf ihre Handgelenke. Die beiden Frauen trugen das Armband mit dem Schmetterling.

Und dann sah sie ihn.

Er hatte graumeliertes Haar und ein vornehmes Aussehen, war vielleicht um die Sechzig und führte einen exquisiten, schwarzen Kaschmirmantel vor. Trudie war plötzlich außer Atem. Er war phantastisch.

Ihn. Ihn wollte sie sich auswählen.

Aber jetzt, da der eigentliche Augenblick gekommen war, an dem sie ihrer Phantasie freien Lauf lassen konnte, fühlte sich Trudie plötzlich schüchtern und unerklärlich widerwillig. Ich hab mir schon so häufig die Finger verbrannt …

Wenn man sie sah, konnte man annehmen, dass Trudie Stein mit ihren Männerbekanntschaften durchschlagenden Erfolg haben musste: sie war eine große, gutaussehende Blondine, die modische Kleidung trug, ihre Haare zu einer struppigen, flotten Frisur aufbauschte und einen dreißigtausend Dollar teuren Wagen fuhr. Wenn sie sich auf einer Baustelle aufhielt, trug sie Shorts und einen Pullunder ohne BH, die ihren gebräunten, athletischen Körper hervorhoben, und sie kommandierte mehr als zwanzig Männer auf einmal herum. Das Problem war, dass zu viele von ihnen in ihr nur eine x-beliebige aufgeplusterte Blondine sahen, ein reiches, hirnloses und leichtes Opfer, das in dem harten Baugeschäft anscheinend allein nicht klarkam und deshalb »einen Mann um sich brauchte«.

Während sie den Mann mit den silbergrauen Haaren in den Umkleideraum verschwinden sah, ließ Trudie es zu, sich eine schmerzliche Erinnerung ins Gedächtnis zurückzurufen, die sie normalerweise in die entferntesten Winkel ihres Gehirns verdrängte.

Es war die Erinnerung an eine Nacht, die bereits mehr als ein Jahr zurücklag. Die Pool-Saison begann abzuflauen – Trudies Firma hatte am meisten zwischen Frühjahr und Sommer zu tun. Als man sich jenen November um die letzten Details kümmerte – künstliche Wasserfälle mussten funktionieren, Springbrunnen wurden in Gang gesetzt und Inspektionen mussten erledigt werden –, war der große Auftritt von Greg Olson gekommen, ihrem Subunternehmer für Maurerarbeiten. Ein Mann, mit dem sie monatelang harmlose Flirts gehabt hatte. »Wir werden bald nicht mehr viel zu tun haben, Trudie«, sagte er ihr damals mit seiner gedehnten Stimme, an der sie immer mehr Gefallen fand. »Die Geschäfte werden uns nicht mehr im Weg stehen. Was hältst du davon, wenn wir zusammen etwas trinken gehen?«

Nun, Greg Olson besaß eigenes Geld, fuhr einen Allante, konnte jede Frau haben, die er wollte, und schien nicht unter dem Druck zu stehen, permanent seinen Machismo unter Beweis stellen zu müssen wie die meisten der anderen Burschen. Folglich kam Trudie zu dem Schluss, dass er ungefährlich war, und lockerte ihre anfängliche Abwehrhaltung. Und es ging auch alles gut – wenigstens zunächst. Sie aßen zu Abend und tanzten in einem Restaurant am San Vicente, im Westen von Los Angeles. Danach eine anregende Fahrt über den Pacific Coast Highway. Und dann – fuhren sie auf einen Parkplatz! Wie ein Teenagerpärchen.

Trudie gefiel es. Die ganze Szene war so köstlich kindisch, dass ihr etwas liebenswert Unschuldiges anhaftete. Die Konsequenz daraus war, dass Trudie früher nachgab, als sie es zuvor geplant hatte. Später, als sie sich den Sand von der Kleidung klopften, während sie das Steilufer hinaufkletterten, um zum Auto zurückzugelangen, sagte Greg: »Mann o Mann, du warst gut da unten. Du hast uns ganz schön zum Narren gehalten.«

»Wie meinst du das?« fragte Trudie, nachdem sie in den Wagen gestiegen war. Doch sie kannte bereits die Antwort und fürchtete sich vor ihr, wollte sie nicht hören und wünschte sich plötzlich, sie wäre heute Abend mit Greg Olson nicht ausgegangen und hätte auf ihre verdammte Vorahnung gehört, als diese ihr gesagt hatte: Sei auf der Hut! Er hat etwas mit dir vor.

»Wir haben dich alle für lesbisch gehalten. Einige der Jungs haben sogar eine Wette darauf abgeschlossen.«

Später, als die Pool-Saison wieder begann, suchte sich Trudie einen neuen Subunternehmer für Maurerarbeiten. Zudem führte sie für sich selbst eine neue eiserne Regel ein: nie mehr mit einem Geschäftspartner ausgehen.

Folglich blieben nur die samstagabendlichen Bekanntschaften; Fremde in Singles-Kneipen, die sich als heftige Liebhaber, egoistische Liebhaber, fragwürdige Liebhaber herausstellten, und Typen, die danach nichts anderes zu sagen hatten als: »War’s gut für dich?«

Er kam wieder zum Vorschein, der Mann mit den graumelierten Haaren, und das Herz schlug ihr bis zum Hals.

Dieses Mal trug er einen Trenchcoat aus Leder und um den Hals einen weißen Seidenschal. Als er an ihr vorbeiging, glaubte Trudie, dass er ihr ein Extralächeln zuwarf. Sie blickte zu den beiden anderen Frauen hinüber: eine war bereits verschwunden; die andere schrieb etwas auf einen Zettel und gab ihn einer Angestellten.

Trudie öffnete hastig ihre Handtasche und holte einen kleinen Notizblock hervor. Sie war plötzlich beunruhigt und hatte Angst, dass er bereits vergeben war. Warum hatte sie hier so lange herumgesessen?

Ihre Hand zitterte beim Schreiben. Das hier war unglaublich! Es war phantastisch!

»Was machst du im Butterfly?« hatte sie ihre Cousine gefragt.

»Alles, was du dir nur vorstellen kannst, Trudie. Man ist dort sehr entgegenkommend.«

»Und was ist mit Linda Markus? Was macht sie, wenn sie dort hingeht?« Und Alexis hatte gesagt: »Linda mag Verkleidungen. Außerdem gefällt es ihr, wenn sowohl sie als auch der Mann Masken tragen.«

Masken! dachte Trudie, als sie der Angestellten nervös den Zettel übergab. Und wie würde es mit ihrem Liebhaber mit den graumelierten Haaren sein? Würde er es wirklich schaffen, ihre sehnsuchtsvollen Phantasien zu erfüllen? Würde sie, wenn sie nach oben ginge, dort wirklich all das vorfinden, was sie gerade auf den Zettel geschrieben hatte?

Trudie musste nicht lange warten. Sie saß mit verschlungenen Händen da, während Minuten zu verrinnen schienen – Trudie Stein, die normalerweise so abgeklärt und ruhig war, wenn es um Sex ging. Und sie betete, dass ihr die andere Frau nicht mit dem graumelierten Model zuvorgekommen war. Dann kam die Angestellte zurück, murmelte: »Hier entlang, bitte«, und Trudie folgte der Frau in den Privataufzug.

Zuvor hatte sie sich stundenlang den Kopf über ihr Auftreten für diesen ›Spezialtermin‹ am heutigen Abend zerbrochen. Während des Aufbaus ihrer Pool-Firma und des damit verbundenen Kampfes, die Firma in dieser von Männern beherrschten Domäne zu etablieren, hatte Trudie lernen müssen, ihre natürliche Weiblichkeit zu unterdrücken und eine bärbeißige, aggressive Art anzunehmen. Hätte sie das nicht getan, hätte sie keiner der Kerle, die für sie arbeiteten, ernst genommen, und keiner der Aufträge wäre erledigt worden. Die Konsequenz daraus war, dass man sie für ein penetrantes Weib hielt, das den Komplex hatte, beweisen zu müssen, wenigstens genauso gut wie ein Mann zu sein, und das wusste sie.

Während der Arbeit versuchte sie immer mit Shorts und Pullunder als »geschlechtsloses« Wesen aufzutreten (für den Busen konnte sie nichts), aber sobald sie Schreibbrett und Bauzeichnungen wegräumte und für einen Abend in der Stadt bereit war, brachen Trudies urweibliche Instinkte wieder durch. Für ihren ersten Abend im Butterfly hatte sie sich besondere Kleidung angeschafft: einen Wollrock, der bis zu den Knöcheln reichte, eine Bluse aus hellblauer Seide und eine Halskette und Ohrringe aus Silber. Trudie wusste, dass sie jetzt sehr feminin wirkte, zumal sämtliche Nachwirkungen der Bauarbeiten geschwunden waren.

Die Angestellte führte Trudie durch einen leisen Flur, an geschlossenen Türen vorbei, bis hin zum letzten Raum, wo sie mit ihrer sanften Stimme sagte: »Wenn Sie hier bitte hineingehen würden.«

Trudie ging hinein.

Und die Tür wurde hinter ihr geschlossen. Jetzt stand sie allein in einem kleinen, intimen Esszimmer, das mit Sofa und Stühlen im französischen Barockstil, mit vollen Bücherregalen und einem dicken Teppich geschmackvoll eingerichtet war. Der Tisch war bereits mit einer weißen Leinendecke, Porzellangeschirr, Kristallgläsern und Kerzenleuchtern gedeckt. In einem silbernen Sektkübel stand eine eisgekühlte Champagnerflasche; das gedämpfte Licht beleuchtete festlich einen Kristallaschenbecher und eine Rose in einer schmalen Vase. Aus unsichtbaren Lautsprechern kam leise Musik.

Trudie konnte kaum glauben, wie aufgeregt sie war. Trudie Stein, die von ihrem Vater gelernt hatte, in keiner Situation die Kontrolle zu verlieren und immer diejenige zu sein, die das Kommando führte. Selbst auf ihren samstagabendlichen Streifzügen, wenn sie fremde Männer kennenlernte und mit ihnen nach Hause fuhr, war sie immer diejenige, die das Sagen hatte, und das ohne eine Spur von Angst oder Selbstzweifeln.

Jetzt ertappte sie sich dabei, wie sie sich in Kurzform fragte: Was mache ich hier eigentlich, um Himmels willen?

Aber hatte ihr Vater ihr nicht beigebracht, immer nach den Ster

nen zu greifen, sich die Träume ihrer Herzenswünsche auszumalen? Hatte er ihr nicht alles vom Baugeschäft beigebracht, sie mit auf Bausteilen genommen, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, und hatte er seinem einzigen Kind nicht ein Selbstwertgefühl, einen Sinn für Individualität und Unabhängigkeit eingeimpft? Hatten sich ihre Eltern nicht um diesen Punkt gestritten? Die Mutter wollte, dass ihre Tochter den traditionellen Weg einschlug, einen Mann fand und eine gute Ehefrau und Mutter wurde. Für den Vater stand fest, dass sich die Welt, dass sich die Zeiten änderten und dass seine Tochter ihr Leben selbst in die Hand nehmen würde. Sam Stein hatte ihr bis zum Tage seines tragischen und viel zu frühen Todes beigebracht, zu träumen und diese Träume wahr zu machen.

Nun, war es nicht das, was sie hier gerade im Butterfly vorhatte? Oder, wie es ihre Cousine ausgedrückt hatte, nach einer ›Rettung‹ zu suchen? Als Trudie jetzt Schritte auf dem Flur hörte, hoffte sie, vielleicht in diesen vier Wänden Antworten zu finden. Vielleicht würde sie entdecken, wonach sie eigentlich suchte, herausfinden, was es war, das sie an Samstagabenden aus ihrer Wohnung trieb und das sie zu zwingen schien, diese fraglos unbefriedigenden und manchmal verheerenden zufälligen Bekanntschaften mit Fremden einzugehen. Trudie war hier nicht nur wegen des Sex – den konnte sie überall haben. Sie war hier in der Hoffnung, Lösungen zu finden.

Auf der anderen Seite des Zimmers war eine zweite Tür. Sie öffnete sich jetzt, und er kam herein. Trudie konnte es kaum glauben – in dieser intimen Atmosphäre mit dem gedämpften Licht sah er noch besser aus. Er war tadellos angezogen. Trudie erkannte, dass das schwarze Wolljackett von Pierre Cardin stammte und passend zur Hose von T. Gray, zum blass grauen Seidenhemd und der burgunderfarbenen Krawatte war. Und der Mann selbst: groß und schlank, mit einer überzeugenden Schulterpartie. Trudie fand, er hätte auch der Direktor einer großen Firma oder der Präsident einer wichtigen Universität sein können.

Er kam zu ihr herüber und sagte mit leiser, gepflegter Stimme: »Ich freue mich sehr, dass Sie heute Abend kommen konnten. Mit dem Essen wird es noch etwas dauern. Möchten Sie sich nicht setzen?«

Er berührte ihren Ellbogen und führte sie zu dem blauen, S‑förmigen Samtsofa. »Möchten Sie etwas trinken?« fragte er, während er zu der kleinen Bar hinüberging.

»Weißwein, bitte«, sagte sie und war selbst erstaunt, wie schüchtern ihre Stimme klang.

Er kam mit einem langstieligen Glas für Trudie und einem Becherglas mit einer braunen Flüssigkeit für sich selbst zurück. Dann setzte er sich in einen Ohrensessel. Dabei machte er es sich mit einer solchen Leichtigkeit und Gewohnheit bequem, als sei er in seinem eigenen Haus. Schließlich setzte er den Drink ab, ohne davon getrunken zu haben.

Trudie schaute auf ihr Weinglas. Sie fühlte sich plötzlich unter seinem grauäugigen Blick gehemmt. Sie war überrascht, feststellen zu müssen, dass sie keinen Schimmer davon hatte, was sie sagen, was sie als nächstes tun sollte; schließlich war das hier etwas anderes als ihre Wochenendbekanntschaften. Hierfür bezahlte sie!

»Ich lese zurzeit ein höchst interessantes Buch«, sagte er und griff nach dem Buch, das auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Ohrensessel lag. Er hielt es ihr entgegen, damit sie es sehen konnte. »Haben Sie es zufällig gelesen?« Trudie sah auf den Titel. Ja, sie hatte das Buch gelesen.

»Und wie hat es Ihnen gefallen?« fragte er.

»Es war gut. Allerdings nicht so gut wie seine früheren Werke.«

»Wie meinen Sie das?«

»Hm, nun …« Trudie nippte an ihrem Wein, um Zeit zu schinden, um sich zu sammeln.

Was war los mit ihr? Hitzige Debatten über Bücher und weltanschauliche Theorien hatten in all den Jahren mit ihrem Vater einen wichtigen Platz eingenommen. Er hatte ihr die Kunst und die Kniffe des Diskutierens beigebracht, und sie war so gut darin geworden, dass sie in dem Jahr vor seinem Tod gewöhnlich die Oberhand behalten hatte.

Plötzlich wurde Trudie klar, was mit ihr los war: sie war aus der Übung. Acht Jahre Pool-Fachsimpeleien und das Wie-ist-Ihr-Sternzeichen-Gerede in Aufreißerkneipen hatten ihre Fähigkeiten einrosten lassen, und jetzt forderte sie ihr Gesellschafter dazu auf, diese zu testen. Es war genau das, worum sie gebeten und was sie unten auf den Zettel geschrieben hatte.

»Ich denke, er ist dieses Mal zu weit gegangen«, sagte sie in Bezug auf den Autor. »Seine früheren Werke basierten auf konkreten Theorien und sorgsamen Recherchen. Aber diese Story scheint konstruiert. Man muss sich vergegenwärtigen, dass sein letztes Buch vor zehn Jahren erschienen ist. Als ich das hier gelesen habe, wurde ich das Gefühl nicht los, dass der Autor eines Morgens aufwachte und ihm klar wurde, dass er allmählich in Vergessenheit geraten war. Es ist so, als ob er all seine Freunde um sich versammelte und sagte: ›He! Ich brauche dringend eine neue Idee für einen populären Roman. Hat jemand irgendwelche Vorschläge zu machen?‹«

Er lachte zurückhaltend. »Sie könnten recht haben, obwohl ich das Buch noch nicht zu Ende gelesen habe. Ich werde mich mit meinem Urteil zurückhalten, bis die Geschworenen zusammentreten.«

»Wie heißen Sie?« fragte Trudie plötzlich. »Wie soll ich Sie nennen?«

»Wie würden Sie mich gerne nennen?«

»Thomas«, sagte sie. »Sie sehen wie ein Thomas aus.«

Er nippte an seinem Drink und sagte: »Wissen Sie, auch wenn ich das Buch noch nicht beendet habe, möchte ich trotzdem in Frage stellen, was Sie eben über die Arbeit des Autors gesagt haben. Sie behaupten, dass seine früheren Werke auf soliden Theorien basieren. Und was ist mit seinem ersten Roman? Eine frei erfundene Geschichte.«

Trudie zog die Augenbrauen hoch. »Aber das war sein erstes Buch! Und er hat es in den sechziger Jahren geschrieben. Er war jung und naiv, wurde sozusagen erst flügge. In diesem Fall sollten Sie wenigstens im Zweifel für den Angeklagten entscheiden.«

»Mir scheint, dass Sie im Falle dieses Buches nicht dieselben Zweifel für den Angeklagten sprechen lassen.«

»Sie haben es noch nicht ganz durchgelesen. Warten Sie, bis Sie beim zehnten Kapitel angelangt sind. Seine Geschichte wird dort sehr unglaubwürdig.«

»Ich hab Kapitel zehn bereits gelesen und muss Ihnen widersprechen …«

Die Diskussion kam voll in Gang. Durch das gewachsene Zutrauen zog sich Trudie jetzt die Schuhe aus und winkelte die Beine an. Thomas schenkte ihr Wein nach und zweifelte weiterhin ihre Meinung an. Irgendwann klopfte es diskret an der Tür, und ein Kellner kam mit einem Handwagen herein. Trudie fühlte sich nicht danach, etwas zu essen. Sie war zu überdreht, zu sehr in die Diskussion vertieft. Die beiden führten ihr Streitgespräch fort, während der Kellner den frischen Spinat und den Champignonsalat präsentierte und dann anrichtete. Trudie griff Thomas’ Schlussfolgerungen an, während saure Sahne und Kaviar auf gelierte Consommés gelöffelt wurde; er zwang sie in die Defensive zurück, während das Basilikum-Huhn und kleine, rote Rosmarinkartoffeln serviert wurden. Die Eierkrem-Nachspeise ignorierten sie völlig; den Kaffee ließen sie kalt werden. Trudies swimmingpoolgrüne Augen blitzten auf, sobald sie einen Treffer erzielte; ihre Stimme wurde lauter, wenn ein Punkt an ihn ging. Sie sprach schnell, unterbrach ihn häufig. Sie stützte sich auf ihren verschränkten Armen auf, spielte aufgeregt an den hin- und her schlenkernden Ohrringen herum, wurde mit jedem Widerstand, den er ihr entgegensetzte, zusehends lebendiger.

Sie wurde sich seiner brennend bewusst. Der schwache Geruch des English Leather, das Schimmern seiner goldenen Rolex, seine schön manikürten Fingernägel. Jeder Zentimeter an ihm bewies Klasse. Etwas ganz anderes als Schutzhelme und sexistische Anspielungen. Thomas hörte zu, wenn sie etwas sagte, und schenkte ihr Glauben, wo es angemessen war. Er hatte sein Jackett abgelegt und die Krawatte gelockert. Er beugte sich über den Tisch zu ihr herüber und beteiligte sich genauso engagiert an der Diskussion wie sie. Trudie spürte, wie ihr Herz schneller schlug; sie war wie rasend. Plötzlich war sie in Hochstimmung und völlig aufgedreht.

»Sie gehen von einem falschen Sachverhalt aus«, sagte er.

»Das tu ich nicht! Wenn es ein Thema gibt, von dem ich mehr verstehe als jeder andere Mensch, dann ist es das. Zum besseren Verständnis müssen Sie dazu Whittington lesen …«

»Whittington ist ein drittklassiger Außenseiter.«

Trudie sprang von ihrem Stuhl auf. »Thomas! Das ist doch wohl eher eine Ansichts- als eine Tatsache.«

Sie entfernte sich von ihm, warf sich herum und kam mit großen Schritten zurück. Sie konnte sich kurz im Spiegel sehen: ihre Wangen waren rot angelaufen, ihre Augen glänzten fiebrig. Ihr wurde plötzlich klar, dass sie diesen Mann mehr begehrte, als sie jemals zu

vor einen Mann begehrt hatte, und sie war davon überzeugt, sofort Feuer zu fangen, sobald er sie nur berühren würde.

Und dann stand Thomas auf und griff nach ihr. Mit einem heftigen Kuss schnitt er ihr das Wort ab. Die Debatte war endgültig beendet, und Trudie flüsterte: »O mein Gott, schnell, schnell!«

Sie liebten sich auf dem schweren Teppich. Als Trudie im Orgasmus laut schrie, glaubte sie, sie würde sterben – nie zuvor hatte sie einen Höhepunkt so intensiv, so gänzlich umwerfend erlebt. Und als es vorbei war und sie eine Weile in seinen Armen lag, wunderte sie sich über den soeben verbrachten Abend. Ihr war bewusst, dass das der beste Sex gewesen war, den sie seit langem erlebt hatte, vielleicht in ihrem ganzen Leben. Während Thomas sie in den Armen hielt und streichelte und küsste, konnte Trudie kaum glauben, dass es wirklich passiert war.

Und dann fiel ihr eine Frage ein. Sie wollte Thomas fragen, wollte aber den Zauberbann nicht brechen. Also fragte sie sich nur selbst, und sie fand keine Antwort.

Wer steckte hinter diesem magischen Betrieb in den Räumen über Fanellis Männerbekleidungsgeschäft? Wer dachte sich das alles aus? Wer hatte den Club eröffnet? Wer leitete ihn? Wer stand hinter dem Butterfly?

4

New Mexico, 1952

Rachels früheste Kindheitserinnerung war, mitten in der Nacht aufzuwachen und ihre Mutter weinen zu hören. Sie erinnerte sich, wie sie aus dem Kinderbett krabbelte und durch den Flur zu einem anderen Zimmer wackelte. Die Tür stand offen. Sie wusste, dass Mummy und Daddy drinnen waren. Sie konnte sich daran erinnern, wie sie hineinging und ihre nackte Mutter sah, auf Händen und Knien, und es sah so aus, als ob Daddy sie von hinten mit dem Bauch stieß, während Rachels Mutter weinte und ihn anflehte aufzuhören.

Erst als Rachel vierzehn Jahre alt war, hatte sie erfahren, was die beiden getan hatten.

Zwei Geheimnisse umgaben Rachel Dwyers Geburt. Von beiden hatte sie bis zu einem glühend heißen Tag nichts gewusst. Sie war zehn Jahre alt und allein im Wohnwagen zurückgelassen worden, während ihre Eltern zu einer nahe gelegenen Kneipe an der Landstraße gegangen waren, und sie langweilte sich.