Dem Wohle des deutschen Volkes - Carolin Helm - E-Book

Dem Wohle des deutschen Volkes E-Book

Carolin Helm

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Beschreibung

Ist eine Diktatur in Deutschland heute möglich? 2033, Deutschland wählt. Eigentlich sieht es gut aus für die Partei von Florian Pepperkorn. Doch nach einer medialen Schlammschlacht findet der Liberale Bund sich in der Opposition wieder. Erschüttert muss Florian zusehen, wie eine gewählte Regierung das Land ins Chaos stürzt. Eine Geschichte über den Niedergang der Demokratie.

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Seitenzahl: 299

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Ähnliche


Für Marcel, meinen Mann, zum Dank, dass du mir das Leben gerettet hast.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Über diese Geschichte

Danksagung

Prolog

Mit einem lauten Knall flog der Sektkorken an die Zimmerdecke. Wütend schäumte der Sekt über Florians Hände. Er lachte, setzte die Flasche an die Lippen und trank hastig einige Schlucke ab.

Eine der beiden jungen Frauen, mit denen er sich das Zimmer, das Bett und die Nacht teilte, erhob sich und kam dicht an ihn heran. Leuchtend rote Reizwäsche betonte ihre üppigen Rundungen und ihr dunkles Haar wallte über ihre Schultern. Sie nahm ihm die Flasche aus der Hand und fuhr mit der Zunge über den Flaschenhals. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, trank sie einen Schluck.

Der Satinmantel, den Florian trug, rutschte von seinen Schultern. Er näherte sich der Frau, legte seine Hände an ihre Hüfte, beugte sich zu ihr vor und küsste sie auf die Schulter. Schon näherte sich ihm die andere Dame wie ein Raubtier. Sie schmiegte sich an ihn und ließ die Fingerspitzen über seine Arme und seine Wirbelsäule wandern.

Florian schauderte wohlig, wandte ihr den Kopf zu und küsste sie. Sie strich über seine Haut. Dann löste sie sich von ihm. Ehe er sich versah, fand er sich mit der Sektflasche in der Hand auf dem Bett sitzend wieder. Verblüfft sah er die beiden Frauen an. Sie grinsten ihn verrucht an. Er hielt die Flasche hoch und beide kamen zu ihm auf das Bett. Eine nahm ihm die Flasche ab, die Andere sank mit dem Kopf zwischen seine Beine.

Er fuhr mit der Hand in ihr Haar, während er zurückfiel. Ich bin reich, dachte er, bevor ihm das Blut in die Lenden schoss.

Kapitel 1

Nur widerwillig hatte Florian sich von seinen Gespielinnen gelöst, um im Adam Smith Haus in Berlin an einer Wahlkampfveranstaltung teilzunehmen. Auch wenn er die Rede vor seiner eigenen Partei hielt, so war sie doch wichtig, denn sie wurde landesweit ausgestrahlt.

»Es ist mir eine außerordentliche Freude, den Redner des heutigen Abends zu begrüßen, unseren Spitzenkandidaten-« Die übrigen Worte des Moderators gingen im tosenden Jubel der Anwesenden unter.

Florian richtete seine leuchtend gelbe Krawatte. Einer der Organisatoren gab ihm mit einer flüchtigen Berührung an der Schulter das Zeichen, dass er jetzt auf die Bühne treten sollte. Die jungen Teilnehmer der Veranstaltung pfiffen und klatschten, als Florian an das Rednerpult trat. Er strahlte und winkte und wartete, bis der Jubel verhallt war.

Als endlich Stille im Saal herrschte, rückte er sich das Mikrofon zurecht und sah auf seine Rede hinab.

»Du bist großartig!«, rief eine einzelne Stimme.

Florian lachte.

»Dankeschön, für diesen herzlichen Empfang«, begann er und ließ den Blick durch die Reihe der Zuhörer wandern. Dann wurde seine Miene mit einem Mal ernst.

»Bei aller Feierlaune dürfen wir nicht vergessen, dass wir heute Abend hier sind, weil wir etwas für unser Land bewegen wollen. Unserer Nation geht es so schlecht wie nie. Von allen Seiten wird unser demokratisches Leben bedroht. Von Links …«

Zustimmende Pfiffe und Applaus wehten ihm entgegen.

»… von Links bedroht eine feministische Bewegung unsere Demokratie. Es geht ein Ruck durch unser Land! Viele Leute glauben, dass diese Bewegung harmlos sei. Dass sie das Land zum Besseren verändere. Aber ich versichere euch, dieser Feminismus ist gefährlich!

Die Feministen haben nicht die Gleichheit aller Menschen im Sinn. Sie haben vor, den Männern die Rechte zu nehmen! Die feministische Forderung nach einer Frauenquote heißt nicht, dass Frauen mit Männern gleichberechtig sein sollen, sondern das Gegenteil. Sie werden Männern gegenüber bevorzugt! Wir fordern, dass der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht sein Geschlecht. Qualifikation und Interessen müssen über die Position entscheiden, nicht was er zwischen den Beinen hat!«

Tosender Applaus unterbrach ihn. Florian hielt in seinen Worten inne, um den Applaus zu genießen. Im Halbdunkel, das zwischen den Zuschauern herrschte, war gelegentlich das Licht von Smartphonekameras zu erkennen. Offenbar wurde er gefilmt.

Gut so, dachte Florian.

Als der Jubel verhallte, sprach er weiter: »Doch es ist nicht nur diese Frauenquote, über deren Gefährlichkeit sich streiten lässt. Es die eindeutig antidemokratische Haltung dieser Bande, die mir den Schlaf raubt. Diese Leute fordern härtere Strafen für Sexualverbrecher.

Bitte versteht mich nicht falsch. Verbrecher gehören hinter Gitter und Nein heißt Nein, aber dieser Vorschlag«, seine Stimme schwoll an und er stützte sich auf sein Pult, »diese Forderung stellt das gesprochene Wort unter Strafe. Wir müssen uns Sorgen machen, ob der ungeschickte Flirt demnächst mit Gefängnis bestraft wird. Es kann doch nicht sein, dass diese Frauen wirklich wollen, dass unschuldige Männer für einen unbeholfenen Flirt hinter schwedische Gardinen gehen!«

Wieder pfiffen seine Anhänger und applaudierten ihm. Irgendwo in den hinteren Reihen wurden kleine Papierfähnchen geschwenkt, auf denen Liberaler Bund stand.

»Dieser Feminismus ist gefährlich und wir müssen ihm auf die Finger schauen. Heute sprechen wir von Frauenquoten und von haltlosen Gesetzesvorschlägen. Aber wir vergessen dabei, dass unser Land vor die Hunde geht!

Wir vergessen, dass unsere Schulden immer weiter wachsen! Wir vergessen unsere Verpflichtungen unseren Kindern gegenüber! Wir vergessen, dass wir das Land gestalten müssen, in dem wir leben wollen! Und morgen schon, morgen!« Er hob drohend den Zeigefinger in die Luft, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Morgen werden wir nicht mehr hier stehen und uns darüber unterhalten, dass es mehr Frauen in Führungspositionen geben muss. Morgen werden wir die demokratischen Strukturen unseres Landes beweinen. Wir werden uns fragen, wie das alles geschehen konnte.

Lassen wir das nicht zu. Lassen wir nicht zu, dass Menschen unseren wunderschönen Staat mit verqueren Gesetzen zerstören. Lassen wir nicht zu, dass unser Land zu Grunde geht!«

Als er von der Bühne hinuntersprang, wurde er von Lukas Gärtner, dem Generalsekretär des Liberalen Bunds, in Empfang genommen. Die Art und Weise, wie Lukas seine Hände knetete und hinter der Bühne auf und ab ging, war besorgniserregend. Selten hatte Florian ihn so unruhig erlebt.

»Was ist passiert?«, fragte er.

Lukas blieb stehen und sah ihn endlich direkt an. »Die Feministen haben einen Wahlkampfspot veröffentlicht.«

»Das sollten sie auch. Es ist schließlich Wahlkampf.« Florian sah Lukas belustigt an.

»Dieses Mal ist es wichtig. Wir müssen uns das Video ansehen.«

»Also schön«, sagte Florian und tastete über seine Brust nach einem Gegenstand in seinem Jackett. »Ach verdammt, ich hab keinen Terminkalender dabei. Dann müssen wir das wohl verschieben.«

Lukas verdrehte die Augen und packte ihn am Oberarm, als er sich an ihm vorbei schieben wollte. »Jetzt!«

Florian ließ die Schultern hängen. Er hatte keine Lust, sich ein Video der Feministinnen ansehen zu müssen. Er wollte zurück ins Hotel, sich eine Flasche Champagner bestellen und den Abend ausklingen lassen. Aber Lukas‘ Griff an seinem Oberarm duldete keinen Widerspruch. »Also schön, gut. Jetzt«, erwiderte er wenig begeistert. »Gleich hier?«

»Ja, gleich hier. Ich habe den Laptop hinten im Büro«, befahl Lukas.

»Manchmal hasse ich das Adam Smith Haus«, brummte er, während er Lukas in das Büro des Generalsekretärs folgte und sich an dessen Schreibtisch setzte. Lukas setzte sich daneben, raufte sein sandblondes Haar und öffnete den Laptop.

»Bereit?«, fragte er.

»Zeig schon her«, verlangte Florian unwirsch. Je schneller er das hinter sich brachte, desto eher konnte er die Füße hochlegen. Lukas presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und drückte den Playbutton.

Das Video startete mit einer Sequenz, in der ein Frauenhintern in knallroter Reizwäsche gezeigt wurde.

»Ja!«, stöhnte sie und warf den Kopf in den Nacken. Ihre Haut glitzerte im diffusen Licht, während sie dem Florian im Video ihren Hals darbot wie eine Frucht.

»Guckt euch an, wie sich dieses Schwein an einem jungen Mädchen vergreift!«, brüllte ein Mann aus dem Off. »Dieser Mann stellt sich hin und spricht über Freiheit und darüber, dass Frauen bereits gleichberechtigt sind. Und dann nimmt er sich unschuldige, blutjunge Dinger mit ins Bett, die ganz offenkundig nicht wissen, was sie da tun! Und diesem Mann rennen alle auch noch blind hinterher! Dabei beweist dieses Video, wie hinterhältig dieser liberale Geldhai ist!«

Florian starrte fassungslos auf den Bildschirm. Alexander Knitt, der blonde Schleimbeutel von einem Generalsekretär, stand an seinem Rednerpult. Statt des Parteilogos der Sozialfeministischen Partei, flimmerte ein Sextape von Florian und den beiden Damen vom Vorabend im Hintergrund. Immer wieder wurden Nahaufnahmen seiner Hände und seines Gesichts gezeigt, während die beiden Frauen, mit denen er im Video verkehrte, verpixelt waren.

»Was erlaubt sich diese Person«, flüsterte Florian entsetzt und lehnte sich vom Schreibtisch weg. Lukas pausierte das Video, um Florian zuzuhören. »Das ist das, was ich meine, wenn ich sage, dass dieser Feminismus gefährlich ist.«

»Weiß ich doch«, murmelte Lukas.

Florian blies die Wangen auf und starrte auf das Standbild von sich selbst. Das sah alles andere als zärtlich aus, wie er sich zurücklehnte und sich einen blasen ließ. Besonders, dass Lukas neben ihm saß und ihm beim Sex zusah, war ihm peinlich.

»Wie sind sie überhaupt an das Video gekommen?«, fragte er, während er wie beiläufig in dem Video vor und zurücksprang, um eine Stelle zu suchen, die ihn nicht dabei zeigte, wie er einen Frauenkopf in seinen Schoß presste.

»Erstmal ist viel schlimmer, dass dieses Video im Internet gelandet ist. Wir können froh sein, wenn dich überhaupt noch jemand wählt.«

Florian seufzte, ließ sich zurückfallen und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Sie hatten hervorragende Umfragewerte gehabt. Siebzehn Prozent der Wähler hatten sie bisher von ihren Ideen überzeugt. Davon, mehr Geld in Bildung zu investieren und die flächendeckende Überwachung abzubauen. Bisher waren sie mit der Konservativen gleich auf gewesen. Für eine so junge Partei wie den Liberalen Bund war das eine ganz beachtliche Leistung! Und jetzt dieses Video … »Dieses Video muss verschwinden«, schloss er.

»Ich fürchte, dafür könnte es zu spät sein. Das Video wurde inzwischen millionenfach angeklickt und geteilt. Vermutlich auch schon mehrfach heruntergeladen«, erwiderte Lukas.

»Scheiße!«, zischte Florian, erhob sich und ging im Zimmer auf und ab. Dieses Video war das Ende seiner kurzen Politikkarriere. »Diese beiden Frauen sind freiwillig mit mir ins Bett gegangen. Dass die Feministinnen mich jetzt so bloßstellen, ist Rufmord. Dafür müssen sie sich mindestens öffentlich entschuldigen.«

»Eigentlich ja. Aber uneigentlich ist das die feministische Partei. So leicht wird das nicht«, murmelte Lukas, beugte sich zu dem Laptop vor und ließ den Clip an der Stelle weiter laufen, an der Florian ihn unterbrochen hatte.

»Wisst ihr, womit dieser Verbrecher eigentlich sein Geld verdient? Dem gehört NEP. Ein Energiekonzern, werdet ihr jetzt sagen. Aber wisst ihr auch, wie die ihre Energie gewinnen? In Atomkraftwerken!«

»Strom erzeugen ist auch verboten«, bemerkte Florian, stützte sich auf die Rückenlehne des Schreibtischstuhls und betrachtete den Clip.

Lukas legte einen Finger an seine Lippen und nickte mit dem Kopf in Richtung des Laptops.

»Ja, richtig! Dieser Mann hat nicht nur zahllose Frauen vergewaltigt-«

»Vergewaltigt!«, wiederholte Florian verärgert. »Lukas, ich bitte dich. Sieht das aus wie eine Vergewaltigung?!« Lukas pausierte das Video und drehte sich zu Florian um. »Vergewaltigt. Dieser Lauch unterstellt mir öffentlich und vor laufender Kamera, eine Straftat begangen zu haben! Und untermauert das mit einem Video, in dem eine Frau ganz eindeutig freiwillig mit mir in die Kiste gestiegen ist! Was kommt als Nächstes? Das ich auch Leichen schände? Kinder?«

»Setz dich hin, Flo! Lass uns das Video zu Ende gucken. Du musst doch wissen, was man dir vorwirft und wogegen du dich wehren musst.«

Florian gehorchte widerwillig und Lukas setzte die Wiedergabe fort.

»Er ist auch verantwortlich für das Leid unzähliger Tiere und das des Ökosystems. Mit dem Dreck, den seine Atom- und Braunkohlekraftwerke produzieren, verseucht er unsere Umwelt. Ja! Wir haben geglaubt, dass Strom inzwischen sauber erzeugt wird. Aber dieser Kerl nimmt für billigen Strom gerne giftigen Atommüll und schmutzige Braunkohle in Kauf.«

Florian presste die Lippen aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten, um den Ärger zu unterdrücken. Heiße Galle stieg ihm in die Kehle, während er den Mann betrachtete, der da in die Kamera log.

»Ja, richtig, Herr Pepperkorn! Leute wie Sie gehören eingesperrt! Nur weil Sie reich sind, weil Sie es sich finanziell leisten können, treten Sie die Rechte der kleinen Leute mit Füßen. Sie lassen Bauern enteignen und zerstören Landschaften, um Braunkohle abzubauen. Sie verseuchen Salzminen für Jahrtausende mit Ihrem Atommüll und als wäre das nicht genug, beugen Sie unschuldige Mädchen gegen deren Willen über Ihren Schreibtisch. Menschen wie Ihnen muss das Handwerk gelegt werden! Lassen Sie sich von einem solchen Verbrecher nicht erzählen, der Feminismus sei gefährlich. Lassen Sie nicht zu, dass weiterhin das Geld die kleinen Leute vergewaltigt. Geben Sie Ihre Stimme der Sozialfeministischen Partei!«

Das Logo der Partei, ein lila Venussymbol mit Hörnern auf einer Regenbogenfahne, wurde zusammen mit einer Fanfare eingespielt. Florian fiel kraftlos zurück und vergrub das Gesicht in den Händen. Eine Weile saß er regungslos da und ließ das Gehörte auf sich wirken.

Dann nahm er die Hand herunter und sah Lukas an. »Meinen die das ernst?«, fragte er leise.

Lukas seufzte und beugte sich zu seiner Schreibtischschublade vor. Er öffnete sie und holte eine Schnapsflasche heraus. Dann stand er auf und füllte zwei Wassergläser mit deren Inhalt.

»Ich fürchte ja, mein Freund«, erwiderte er und stieß mit Florian an.

Der betrachtete seinen bernsteinfarbenen Schnaps erschöpft, gab sich mit einer plötzlichen Bewegung einen Ruck und kippte den Alkohol herunter. Lukas hatte sein Glas noch gar nicht gehoben, da hatte Florian das seine bereits geleert. Lukas schenkte ihm nach. Florian schüttelte den Kopf und trank weiter. Langsam dieses Mal. Der Alkohol brannte in seiner Kehle und in seinem Magen.

Er lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und betrachtete Lukas. »Was schlägst du mir vor?«, fragte er ihn. Er sprach bemüht ruhig und versuchte, seinen Zorn nicht an seinem Freund auszulassen. Aber er war wütend darüber, dass die Sozialfeministische Partei ihn in aller Öffentlichkeit einen Vergewaltiger nannte und damit auch noch durchkam!

Lukas antwortete nicht gleich, deshalb beugte Florian sich zu ihm vor. »Lukas, die ziehen mich mit ihrem Wahlkampfspot durch den Dreck. Das dürfen die nicht. Jedenfalls nicht so. Die dürfen sich nicht hinstellen und mir eine Straftat unterstellen. Ich werde die anzeigen. Schlimm genug, dass sie meinen höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt haben, indem sie öffentlich Videos von mir beim Sex ins Internet gestellt haben.«

»Ich weiß, Florian. Ich weiß.« Lukas atmete tief durch. »Eine Anzeige ist bereits erstattet. Das hat die Pressestelle sofort gemacht, als ich denen das Video gezeigt habe. Das Video wurde auch sofort von der Plattform entfernt und trotzdem-«

»Trotzdem was, Lukas?«, fragte er angespannt.

»Trotzdem kursiert das Video im Internet. Es wird immer wieder hochgeladen und tausendfach angeklickt, bevor wir es finden und löschen können.«

Florian legte den Kopf in den Nacken, blies die Wangen auf und ließ dann die Luft langsam über die Lippen strömen. »Was kann ich also tun?«, fragte er schließlich.

»Du könntest zurücktreten«, schlug Lukas vor.

»Ein Rücktritt? Hast du Drogen genommen? Wenn ich zurücktrete, ist das wie ein Schuldeingeständnis.«

Lukas presste die Lippen aufeinander.

Sein Schweigen machte Florian noch nervöser. Fieberhaft suchte er nach einer Möglichkeit, die Sache ungeschehen zu machen. Oder wenigstens den Schaden so gut es eben ging zu begrenzen. »Ich dachte, wir haben ein Gentlemanagreement? Ein stilles Versprechen, dass keine Affären in die Öffentlichkeit gezerrt werden? Woher kommt dieses Video und wer hat diesen Wahlkampfspot gedreht?«, fragte er Lukas. Warum sagte er denn nichts, um ihm zu helfen?

Lukas schüttelte den Kopf. »Das Gentlemanagreement gilt für die Presse. Aber dieser Spot ist von der Partei selbst gedreht worden. Und die dürfen dich leider durch den Kakao ziehen.«

»Aber doch nicht, indem sie mir eine Straftat unterstellen!«, wehrte er sich verzweifelt.

»Deswegen ist bereits Anzeige erstattet. Du solltest Stellung dazu nehmen. Ich lasse eine Pressemitteilung herausgeben und organisiere eine Pressekonferenz. Bis dahin hältst du dich bedeckt, hast du mich verstanden? Kein Alleingang.«

Florian nickte mutlos. Lukas klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

»Lass den Kopf nicht hängen. Wir schaffen das schon.«

Mitte August, zwei Wochen vor der Bundestagswahl, galt es, keine Zeit zu verlieren. Also setzte Lukas die Pressekonferenz für den nächsten Montag an. Florian hatte vorgeschlagen, die Medienvertreter in den Veranstaltungsraum eines Wuppertaler Hotels einzuladen. Dort war mehr Platz und wenn er ohnehin in der Stadt war, konnte er auf diese Weise Zeit sparen.

Am Montagmorgen hatte er nicht frühstücken können, so schwer lag ihm die Aussicht auf die bevorstehende Pressekonferenz im Magen. Jetzt saß er in der Limousine und starrte durch das getönte Fenster hinaus auf die fünfzehn Meter Weg zwischen dem Auto und der Glastür. Fünfzehn Meter, die von aufgeregten Journalisten und Aktivisten gesäumt waren.

Florian straffte den Körper, als bereite er sich darauf vor, sich in eine Sturmflut zu werfen. Der Chauffeur öffnete die Tür und Florian stieg aus.

»Herr Pepperkorn! Wollen Sie sich nicht zu den Vergewaltigungsvorwürfen gegen Sie äußern? Herr Pepperkorn! Ein Statement!«

»Kein Kommentar«, presste Florian hervor, während er sich zwischen den Menschen hindurch schob. Am liebsten hätte er dem Mann, der ihm diese Fragen stellte, die Nase gebrochen.

»Also geben Sie zu, dass Sie das Mädchen vergewaltigt haben?«, fragte der Journalist penetrant weiter.

»Kein Kommentar!«, zischte Florian.

»Hey, liberaler Ausbeuter! Was machst du heute im Büro? Überlegst du, wo du uns den nächsten Atommüll hinlädst, oder fickst du eine Praktikantin?«, griff eine Frau ihn über die Köpfe der Demonstranten hinweg an.

Florian presste die Zähne aufeinander, zwang sich zu schweigen und fixierte die Drehtür vor sich. Sie war nur noch fünf Meter entfernt. Fünf Meter, die ihm noch nie so lang vorgekommen waren. Noch eine Stufe steigen. Nicht dazu äußern. Warte auf die Pressekonferenz.

»Geldhai, wir reden mit dir! War das Mädchen, das dir den Schwanz gelutscht hat, überhaupt volljährig?«

Florian hielt inne, hob den Kopf und sah in die Richtung der Person, die ihn immerzu angriff. Eine gepiercte Aktivistin mit neonblauen Haaren grinste ihn an. »Bin ich etwa dein Typ, Kapitalistenarschloch? Aber ich bin dir doch viel zu alt, he?«

»Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen, Herr Pepperkorn?«, fragte der Journalist wieder und hielt ihm das Mikrofon unter die Nase.

Florian hob die Hand und lockerte seine Krawatte. Sie schnürte ihm die Luft ab. Er wandte sich der Drehtür wieder zu. Noch drei Stufen bis zum Eingang.

Lukas erschien hinter der Glastür und winkte ihm. Florian hörte die Auslöser der Kameras und wusste, dass Paparazzi Fotos von ihm machten, die morgen in der Zeitung erschienen. Er hatte die Wahl verloren.

Er hob den Kopf und sah Lukas hinter der Scheibe winken. Sie würden nicht in den Bundestag einziehen, sie hatten verloren. Kein Mensch würde sie wählen. Seine politische Karriere war vorbei, gescheitert an einem Frauenhintern in roter Reizwäsche.

Noch zwei Stufen. War die Treppe steiler? Seine Beine zitterten vor Anstrengung, wie nach einem zu harten Training. Er konnte die Füße kaum noch heben.

»Gefallen dir meine Titten?«, brüllte die Aktivistin mit den blauen Haaren.

Florian starrte die Drehtür an, darauf konzentriert, weiter zu gehen und sich bloß nicht umzudrehen. Noch eine Stufe.

»Herr Pepperkorn!«, rief der Journalist wieder. Noch ein Schritt und er hatte die Glastür erreicht.

Florian schlüpfte hindurch und augenblicklich dämpften sich die Anschuldigungen.

Er atmete schwer und schloss einen Moment die Augen. Lukas klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

Florian sah zurück. Draußen hatten mehrere Frauen ihre Shirts gehoben und schüttelten ihre nackten Brüste. Kapitalistenarsch, Kinderschänder, Umweltsünder hatten sie sich mit Edding auf die Haut gemalt.

Florian strich sich das Haar aus dem Gesicht. Er stellte seine Aktentasche ab, holte eine Schachtel blauer Gauloises aus seinem Jackett und zeigte sie Lukas, um ihm zu bedeuten, mit ihm eine zu rauchen. Lukas nickte.

Sie stiegen in den Aufzug und Lukas wählte die Dachterrasse an. Florian lehnte sich gegen den Spiegel und schloss die Augen.

»Ich wusste gar nicht, wie anstrengend es sein kann, sich nicht zu Vorwürfen zu äußern«, murmelte er und klang verschnupft.

Lukas lächelte. »Du bekommst in ein paar Minuten Gelegenheit, dich zu äußern«, erwiderte er, als sie auf die Dachterrasse traten. Florian zupfte eine Zigarette aus der Schachtel und steckte sie an. Entspannter als zuvor lehnte er sich an die Brüstung und nahm den ersten Zug. Langsam ließ er den Rauch durch die Nase ausströmen. Er öffnete die Augen und suchte den Platz vor dem Gebäude ab.

»Die Letzte, mit der ich eine Nacht verbracht habe, war militante Nichtraucherin. Das war ganz schön anstrengend«, erzählte er beiläufig, während sein Blick über die Köpfe der Menschen vor dem Gebäude glitt.

»Du solltest deine Affären vielleicht ein bisschen einschränken«, schlug Lukas vor.

»Wie meinst du das?«, fragte Florian, als er neonblaue Haare in der Menge ausmachte. Da war sie, diese Aktivistin, die ihn einen Geldhai genannt hatte. Dabei musste er für sein Geld nicht einen Finger krumm machen. Es fiel ihm in regelmäßigen Zahlungen einfach aus der Firma zu, die sein Vater ihm vermacht hatte. Er hatte auch kein Problem damit, wenn es mal weniger war als im Vormonat. Wichtig war ihm bloß, dass er davon leben konnte. Wenn er gut davon leben konnte, war es noch besser.

Lukas riss ihn mit seiner Erklärung aus den Gedanken: »Nun ja. Die SFP hat leichtes Spiel mit dir, weil du den Eindruck vermittelst, Frauen sind für dich nur Ware. Du solltest dich ein bisschen in Zurückhaltung üben. Wenigstens bis zur Wahl.«

Florian musterte ihn, zog wieder an der Zigarette und lachte dann spottend. »Am besten so wie du«, neckte er.

»Was soll das denn heißen?«, fragte Lukas mit gespielter Empörung.

Florian zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und drückte den Stummel zwischen den Geranien im Blumenkasten aus. »Nichts für ungut, mein schwuler Freund.« Er grinste und klopfte Lukas auf die Brust.

»Willst du jetzt etwa meine Sexualität zum Gegenstand der Diskussion machen?« Auch Lukas grinste und Florian wusste, dass er den Spaß keineswegs persönlich nahm. Dann wurde er ernst und mahnte: »Du musst während des Wahlkampfs mit solchen Witzen vorsichtig sein, Flo.«

Florian seufzte und nickte. »Ich weiß. Nach diesem Wahlspot kann ich mir keinen weiteren Fehltritt mehr leisten.«

Er stieg mit Lukas im Schlepptau in den Aufzug.

»Die Pressemitteilung ist schon fertig?«, fragte er, während er sein Jackett zurechtzupfte und das Revers glatt strich.

Lukas griff an ihm vorbei und wählte das Stockwerk aus.

»Ja, das ist erledigt. Du musst dich nur noch den Journalisten stellen.«

»Na, das sollte mir doch leicht fallen.« Er seufzte, dehnte die Nackenmuskulatur und ließ die Schultern nach hinten kreisen.

Lukas betrachtete ihn kritisch. »Versau es nicht, sonst werden wir nicht gewählt.«

»Hey … vertrau mir!«

»Wenn ich nur auf mein Vertrauen in dich bauen würde, dann müssten wir jetzt keinen Wahlkampf führen.«

»Du meinst, weil ich mit meinem überzeugenden, eloquenten Auftreten schon längst gewonnen hätte?«, fragte Florian grinsend.

Lukas rümpfte die Nase. »Nein, weil du ein grandioser Vollidiot bist, der die Kampagne schon längst so kolossal vor die Wand gefahren hätte, dass jeder Versuch eines Wahlkampfes im Keim erstickt worden wäre. Ich meine, wer will denn schon eine Dumpfbacke wie dich in der Regierung haben?«

Der Raum, in dem die Konferenz stattfand, summte wie ein Bienennest. Überall saßen und standen aufgeregte Leute, mit Stiften und Blöcken bewaffnet.

Florian wischte sich ein letztes Mal den imaginären Staub von der Kleidung. Dann trat er mit Lukas zusammen hinter die Tische, öffnete den Knopf seines Jacketts und nahm Platz.

Alle hoben gleichzeitig die Hände.

»Bitte schön, die Dame in dem roten Blazer«, nahm er die erste Journalistin dran. Sie schien ihm am freundlichsten. Bestimmt gehörte sie zu einer seriösen Zeitung, einer Zeitung, die ihm wohlgesonnen war. Doch als sie sich als Journalistin eines Boulevardblattes entpuppte, seufzte er innerlich.

»Herr Pepperkorn, wie erklären Sie sich die Vergewaltigungsvorwürfe?«

Florian beugte sich zu dem Mikrofon vor und antwortete: »Schauen Sie, es hat keine Vergewaltigung gegeben. Hier versucht einfach jemand, mich als Verbrecher darzustellen.«

»Also leugnen Sie die Tat, für die es offensichtliche Beweise gibt?«

»Ich weiß nicht, ob Sie das Video gesehen haben, aber es hat zu keinem Zeitpunkt eine Handlung stattgefunden, für die es kein Einverständnis gab. Es ist, wie ich schon sagte, so, dass jemand versucht, mich als Verbrecher darzustellen.«

Die Journalistin wollte noch etwas sagen, doch Florian nahm bereits den nächsten Journalisten dran. »Wie erklären Sie sich, dass das Video im Internet gelandet ist?«

»Ich wusste nicht, dass diese Aufnahmen überhaupt existieren.«

»Dann wurden diese Aufnahmen heimlich gemacht?«

»Richtig. Mir war zu keinem Zeitpunkt bewusst, dass ich gefilmt werde. Hier wurden ganz massiv meine Persönlichkeitsrechte verletzt.«

»Sie wollen uns also sagen, dass Sie das eigentliche Opfer sind?«, fragte die Journalistin in dem roten Blazer frech.

Florian lächelte liebenswürdig, obwohl ihn dieser Zwischenruf irritierte. »Ganz recht.«

»Dann wollen Sie uns wohl auch weismachen, dass NEP keinen Atommüll in Salzbergwerken lagert und keine Braunkohlekraftwerke betreibt?«

Florian schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Er wollte zurückfragen, was das eine mit dem anderen zu tun hatte, doch er biss sich auf die Zunge und lächelte weiter freundlich für die Kameras, die auf der anderen Seite des Raumes Fotos von ihm knipsten.

»NEP engagiert sich seit Jahren für ökologische Stromgewinnung. Allerdings braucht das alles seine Zeit. Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut.«

Die Journalistin presste die Lippen aufeinander und wollte erneut ein Widerwort geben, doch Florian erteilte bereits einen anderen Journalisten das Wort.

Die Artikel erschienen am nächsten Morgen. Florian las sie, während er sich anzog. In einer Hand hielt er sein Smartphone, mit der anderen knöpfte er sein Hemd zu.

Regieren bald Verbrecher unser Land?

Florian Pepperkorn muss sich derzeit mit Vergewaltigungsvorwürfen auseinandersetzen.

Die Sozialfeministische Partei (SFP) beschuldigt den Spitzenkandidaten des Liberalen Bundes, sich an jungen Frauen vergangen zu haben, und untermauert ihre These mit einem Sexfilmchen des Politikers. Der wehrte sich gestern auf einer Pressekonferenz gegen die Vorwürfe. Es habe »zu keinem Zeitpunkt eine Handlung stattgefunden, für die es kein Einverständnis gab«.

Alexander Knitt, Generalsekretär der SFP, wirft Pepperkorn vor, die Hilflosigkeit von Praktikantinnen auszunutzen, um sie zum Sex zu nötigen. Für ihn sei es nicht akzeptabel, dass ein reicher Mann wie Florian Pepperkorn seine Position als Inhaber eines großen Unternehmens nutzt, um sich Frauen gefügig zu machen.

Bislang ist gegen Florian Pepperkorn keine Strafanzeige gestellt worden. Den Damen kann man nur wünschen, dass sie sich gut von dem Schock erholen.

Liberaler Bund steht hinter Spitzenkandidat

Trotz des Skandals um den Spitzenkandidaten des Liberalen Bund, steht die Partei weiterhin geschlossen hinter Florian Pepperkorn. Das teilte Generalsekretär Lukas Gärtner am Sonntagabend in einer Pressemitteilung mit, die vielfach in sozialen Netzwerken geteilt wurde.

Demnach habe es eine Abstimmung gegeben, in der 63% der Stimmberechtigten den Kandidaten bestätigten. Trotzdem verlor Florian Pepperkorn im Vergleich zur vorangegangenen Wahl zwei Prozentpunkte.

Die Partei begründete in der Pressemitteilung die Wiederwahl mit der Unschuldsvermutung. Bisher wurde Florian Pepperkorn nicht angeklagt und es ist unklar, ob er sich vor Gericht verantworten muss.

Kommentar: Es gibt keine schlechte Publicity?

Der Sexskandal um Florian Pepperkorn zeigt einmal mehr, dass es keine schlechte Publicity gibt. Für eine aufstrebende Partei wie den Liberalen Bund sollte es das Todesurteil sein, wenn der Frontmann keine weiße Weste hat.

Trotzdem scheint es wichtiger zu sein, mit irgendwelchen Schlagzeilen im permanenten Fokus der Medien zu bleiben. Damit brennt man sich am besten in die Köpfe der Leute. Denn das menschliche Gedächtnis hat die erstaunliche Fähigkeit, Negatives auszublenden und zu vergessen.

So bleibt am Wahlsonntag nur der Name der Partei und des Kandidaten im Gedächtnis.

Böse Zungen behaupten, Florian Pepperkorn selbst habe das Video von sich und den beiden Frauen der SFP zugespielt, damit es in der Öffentlichkeit landet und er sich als das Opfer dieser Geschichte darstellen kann.

Dass die Partei an einem Kandidaten festhält, bei dem Vergewaltigungsvorwürfe im Raum stehen, ist unverständlich.

Das Urteil über Florian Pepperkorn fällen am Sonntag die Bürger an der Wahlurne.

Am Wahlabend war das Adam Smith Haus zum Bersten mit Leuten gefüllt, die gespannt auf das Ergebnis der Bundestagswahl warteten. Es war ein lauer Sonntagabend im September. Florian stand an einem Stehtisch, der in gelbes Papier gewickelt war, und hielt ein Sektglas in der Hand. Wie Lukas es vorhergesagt hatte, waren die Umfragewerte schlechter geworden, nachdem sein Sexskandal durch die Presse und sozialen Netzwerke gegangen war.

Natürlich hatte Lukas versucht, das Schlimmste zu verhindern. Die Presse hatte sich gegenseitig zerrissen. Es hatte Berichte über Florians Unschuld gegeben. Doch die Social Justice Warrior, die sich als Untergruppe der SFP verstand, hatte ihr Bestes gegeben, den diffamierenden Wahlspot wieder und wieder zu verbreiten. Und so stand zu erwarten, dass das Wahlergebnis schlechter ausfiel, als sie zu Beginn der Wahl erhofft hatten.

Ein Gong kündigte an, dass es nur noch wenige Sekunden dauerte, bis die Wahllokale geschlossen wurden. Lukas und Florian standen vor einem riesigen Bildschirm und drehten sich um. Auf dem Bildschirm lief ein Countdown.

Es folgten die ersten Hochrechnungen.

Fassungslos starrten die Liberalen auf den rosa Balken der Feministen, der gar nicht aufhören wollte zu wachsen. Gleich dahinter folgte Die Soziale. Florian setzte das Sektglas an die Lippen und leerte es in einem Zug.

Als er wieder auf die Hochrechnung sah, war schließlich auch ihr Ergebnis errechnet. Sie hatten die Fünfprozenthürde geknackt und zogen in den Bundestag ein.

»Knapp, aber immerhin.«

»Ja, immerhin«, knirschte Florian und stellte sein Glas ab.

»Du solltest eine Rede halten.«

»Was soll ich denn sagen?«, murmelte er und betrachtete die Parteimitglieder, die auf das Ergebnis starrten.

»Irgendetwas Aufbauendes«, erwiderte Lukas.

Florian schluckte trocken und sah noch einmal über die Gesichter. Genau in diesem Moment machte jemand ein Foto von ihm und Florian fiel wieder ein, dass die Presse anwesend war.

Er nickte Lukas zu und der reichte ihm ein Mikrofon. Mit dem Mikrofon in der Hand sprang er auf die Bühne wie ein Schlagerstar.

»Meine Freunde!«, rief er. »Ich weiß natürlich so gut wie ihr, von welchen Umfragewerten wir ausgegangen sind. Trotzdem sind wir in den Bundestag eingezogen und das ist ein Grund zum Feiern! Dass die Deutschen eine junge Partei wie uns wählen, zeigt uns, dass die Bürger sich nicht nur von Medien blenden lassen, sondern auch Inhalte überzeugend finden.

Niemand konnte einschätzen, mit welchem Ergebnis wir heute Abend abschneiden würden. Aber wir haben uns erhoben wie ein Phönix aus der Asche. Wir stehen für die Freiheit und die werden wir mit allen Mitteln verteidigen.

Und wenn es das Letzte ist, was wir tun!«

Kapitel 2

»Frau Fleischer, meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrem überwältigenden Wahlergebnis«, schleimte sich der Journalist zu fortgeschrittener Stunde bei der Spitzenkandidatin der SFP ein. »Bei diesem überragenden Wahlergebnis von 43% hat der Wähler Sie ja regelrecht zur Regierung genötigt. Ist der Feminismus die neue Konservative?«

Laura stand hinter dem Kameramann und beobachtete, wie Irene Fleischer triumphierend in die Kamera grinste. »Das Wahlergebnis zeigt uns, wie dramatisch sich die Lage in unserem Land entwickelt hat. Die Altparteien haben Deutschland zusammen mit der Konservativen jahrelang zu Grunde regiert. Die Leute fühlen sich auf den Straßen nicht mehr sicher. Haus und Hof sind von Einbrechern und Vandalen bedroht. Frauen und Transpersonen werden am helllichten Tag überfallen. Dass es so nicht weitergehen kann, hat der Bürger erkannt und zeigt das mit diesem Wahlergebnis.«

»Frau Fleischer, um eine entscheidungsfähige Regierung bilden zu können, müssen Sie eine Koalition eingehen. Mit welcher Partei können Sie sich eine Zusammenarbeit denn am ehesten vorstellen?«

Laura tippelte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Sie musste dringend mit Irene sprechen, konnte aber nicht einfach so in das Interview platzen. Immerhin war diese Sendezeit sehr wertvoll. Ganz davon abgesehen, dass Irene ihr die Leviten lesen würde, wenn sie sie unterbrach. Also musste sie warten. Wenn nur der Journalist schon fertig wäre!

Zuerst lachte Irene und antwortete dann: »Nun, ich denke, es liegt auf der Hand, dass Die Soziale als zweitstärkste Kraft mit uns koalieren wird. Ein feministischlinkes Bündnis wird-«

Laura fasste sich ein Herz und hob die Hand, um sie zu unterbrechen. Auf das Zeichen hin wandte sich Irene mit entschuldigendem Lächeln an den Journalisten. »Ein feministisch-linkes Bündnis wird die soziale Gerechtigkeit in Deutschland wiederherstellen, nachdem sie so zersetzt wurde.«

Der Mann hob an, um ihr noch eine Frage zu stellen. Wag es dich!, dachte Laura und sah Irene warnend an. Diese lächelte und entzog ihm damit so plötzlich ihre Aufmerksamkeit, dass er sich irritiert umdrehte. Sofort starrte Laura ihn bitterböse an. Er schluckte und wandte sich wieder an seine Interviewpartnerin.

»Frau Fleischer, herzlichen Dank für diese Einschätzung. Zurück ins Studio.« Er strahlte noch eine Sekunde in die Kamera, dann gab der Kameramann ein Zeichen.

Der Journalist entspannte sich. Irene ließ ihn sofort allein, um sich an Laura zu wenden. Gott sei dank, dachte sie erleichtert. Das wurde auch Zeit. Zwar hatte sie das Interview mit ihrer finsteren Miene sicherlich verkürzt, aber es hatte trotzdem noch lange genug gedauert.

»Was ist los?«, flüsterte Irene.

»Pepperkorn ist los. Ich habe gerade mit unserem Anwalt telefoniert und er hat mir gesagt, dass wir besser einlenken soll-«

Irene unterbrach Laura, indem sie sie fest am Arm nahm. Vor Schmerz blinzelte sie und legte ihre Hand über Irenes Finger, während diese sie in ein Nebenzimmer führte, um sich vor neugierigen Zuhörern zu schützen.

»Also nochmal von vorne«, verlangte sie, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Du hast mit unserem Anwalt telefoniert.«

Verstohlen rieb Laura über die Stelle an ihrem Oberarm, an der Irene sie gepackt hatte. Das tat immer noch verdammt weh!

»Genau. Und unser Anwalt sagt, dass wir vor Gericht keine Chance gegen Pepperkorns Klage haben werden. Wir sollten besser einlenken und uns öffentlich entschuldigen.«

Irene seufzte und stützte sich auf den Tisch. Sie sah Laura über den Rand ihrer Brille hinweg an.

»Hast du es denn immer noch nicht verstanden?«, fragte sie genervt. Sie funkelte Laura so wütend an, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. Der Schmerz war in dieser Sekunde vergessen. »Das war von vornherein so geplant. In unserem neuen Deutschland können wir keinen Mann in der Regierung dulden. Knitt ist ein Opfer, das ich gerne mache.«

Laura erstarrte. Vor Schreck wagte sie es nicht, Luft zu holen. Als die Bedeutung der Worte zu ihr durchgedrungen war, setzte sie zu einer Frage an: »Soll das heißen-«

»Dass ich die Situation vor Gericht eskalieren lasse?«, schnitt Irene ihr das Wort ab. »In der Tat. Knitt war uns während des Wahlkampfes nützlich, indem er diesem chauvinistischen Arschloch eine Falle gestellt hat. Aber er ruiniert die makellose Zukunft, in die wir dieses Land führen wollen. Soll Pepperkorn ihn doch verklagen, dann sind wir ihn los.«

***

Florian hatte schon am Wahlabend damit gerechnet, dass Die Soziale und die Sozialfeministische Partei zusammen regierten. Er selbst fand sich mit dem Liberalen Bund in einer Opposition unter der Führung der Konservativen wieder.

Florian mietete dauerhaft ein Hotelzimmer in Berlin an und verließ Wuppertal, um an der ersten Sitzungswoche teilzunehmen.

»Kann es sein, dass die Feministen und die Linken zusammen zwei Drittel aller Sitze geholt haben?«, fragte er Lukas, während er sich auf seinen Sitz im Bundestag fallenließ. Heute stellte ihnen Irene Fleischer ihr Kabinett vor und die Bundestagspräsidentin Dorothee Hart vereidigte die Ministerinnen.

Lukas sah ihn an und nickte langsam.

»Das kann ja heiter werden«, murmelte Florian und ließ einen Stapel Papier auf seinen Tisch fallen.

»Wem sagst du das«, erwiderte Lukas.

»Ich werde nun die Ministerinnen und Minister vereidigen«, begann Dorothee Hart. »Die Minister leisten bei der Amtsübernahme vor dem Deutschen Bundestag folgenden Eid: ‚Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.‘ Ich werde nun die Bundministerinnen und Bundesminister zum Vereidigungsmikrofon bitten. Der Eid wird mit den Worten ‚ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe‘ oder ‚ich schwöre es‘ geleistet.« Sie erhob sich von ihrem Platz und trat an das Vereidigungsmikrofon. »Ich rufe auf Frau Bundesministerin des Inneren, für Bau und Heimat, Laura Winkler.«