Demenz, Delir, Depression - Ingrid Hametner - E-Book

Demenz, Delir, Depression E-Book

Ingrid Hametner

0,0

Beschreibung

Nicht hinter jedem auffälligen Verhalten steht eine "Demenz“. Auch ein Delir, eine Depression oder ein wahnhafter Schub können ähnliche Symptome auslösen. Der Unterschied: Für den Behandlungsverlauf ist es extrem wichtig, Demenz, Delir, Depression und auch Wahn voneinander unterscheiden zu können. Dieses Buch hilft dabei. Es erklärt die Krankheitsbilder und ihre Unterschiede, beschreibt die Symptomatiken und gibt Tipps für den Umgang mit Betroffenen und ihren Angehörigen. Wichtig ist dabei auch der Blick auf innovative und leicht umsetzbare Konzepte aus Krankenhäusern und Pflegeheimen. Fallbeispiele zeigen, wie es Pflegekräften gelingt, einen Zugang zu psychisch veränderten Patienten bzw. Bewohnern zu erlangen. Dieses Buch macht Mut – und erweitert die pflegerischen Kompetenzen

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 155

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ingrid Hametner, ist Diplom-Pädagogin, Krankenschwester, Lehrerin für Pflegeberufe sowie ausgebildete Management- und Personaltrainerin. Sie unterrichtet seit über zehn Jahren u. a. beim Bildungswerk des ASB Köln »Gerontopsychiatrische Basisqualifikation« und leitete Projekte zur Qualifikation der Gerontopsychiatrischen Fachkraft inkl. Staatlichem Abschluss. Auch in der Schweiz ist sie zum Themenbereich tätig.

»Menschen mit Demenz haben andere Bedürfnisse als etwa Menschen mit Psychosen. So individuell die psychischen Erkrankungen sind, so unterschiedlich sind auch die Anforderungen an die professionell Tätigen.«

INGRID HAMETNER

pflegebrief

– die schnelle Information zwischendurchAnmeldung zum Newsletter unter www.pflegen-online.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8426-0833-7 (Print)ISBN 978-3-8426-9049-3 (PDF)ISBN 978-3-8426-9050-9 (EPUB)

© 2020 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Autoren und des Verlages. Für Änderungen und Fehler, die trotz der sorgfältigen Überprüfung aller Angaben nicht völlig auszuschließen sind, kann keinerlei Verantwortung oder Haftung übernommen werden.

Die im Folgenden verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen stehen immer gleichwertig für beide Geschlechter, auch wenn sie nur in einer Form benannt sind. Ein Markenzeichen kann warenrechtlich geschützt sein, ohne dass dieses besonders gekennzeichnet wurde.

Titelbild: Photographee.eu – stock.adobe.comCovergestaltung und Reihenlayout: Lichten, Hamburg

Inhalt

Vorwort

Einführung

1Was Sie zur Demenz wissen müssen

1.1Was ist eine Demenz?

1.2Diagnosestellung Demenz

1.3Symptome von Demenzen

1.4Formen der Demenz

1.5Demenz – Das Erleben der Betroffenen

1.5.1Demenz als Ursache einer Pflegebedürftigkeit

1.6Menschen mit Demenz und ihre Bedürfnisse

1.7Pflegerische Handlungsmöglichkeiten

1.7.1Pflegerische Qualifikationen

1.7.2Der Expertenstandard »Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz«

1.7.3Eine Haltung der grundsätzlichen Akzeptanz

1.7.4Die Beziehungsgestaltung

1.7.5Bewährte Interaktionsformen im Kontakt

1.7.6Rahmenbedingungen im Alltag

2Was unterscheidet eine Demenz von einer Depression?

2.1Depression und Demenz

2.1.1Demenz oder Depression? Die richtigen Interaktionsformen kennen

3Was Sie zum Delir wissen müssen

3.1Was ist ein Delir?

3.2Symptome eines Delirs

3.3Ursachen für die Entstehung eines Delirs

3.4Formen des Delirs

3.4.1Das präfinale Delir

3.4.2Delir durch Flüssigkeitsmangel

3.5Besonders gefährdete Patienten/Bewohner

3.5.1Delir-Prävention – Best practice-Beispiele

3.6Das Delir-Syndrom – eine spezielle Komplikation auf den Intensivstationen

3.6.1Die besondere Rolle der Pflegefachpersonen

3.6.2Was ist zu tun, wenn ein deliranter Zustand eintritt?

3.7Screening-Instrumente zur Delir-Einschätzung

3.8Pflegerische Maßnahmen der Delirprophylaxe und -therapie

4Was unterscheidet ein Delir von einer Demenz?

4.1Der Umgang mit delirgefährdeten Menschen

4.2Die besondere Rolle der Angehörigen

5Was Sie zur Depression wissen müssen

5.1Was ist eine Depression?

5.2Symptome einer Depression

5.3Diagnostik einer Depression

5.4Formen einer Depression

5.5Behandlung einer Depression

5.6Die pflegerischen Qualifikationen

5.6.1Das müssen Pflegepersonen wissen

5.6.2Der kluge Aushandlungsprozess

5.6.3Die professionelle Krankenbeobachtung

5.7Möglichkeiten der Beziehungsgestaltung

6Was unterscheidet eine Depression von einer Demenz?

6.1Die Pseudodemenz

6.2Die Gefahr der Fehldiagnose

6.3Depression oder Demenz – Der richtige Umgang

6.4Die professionelle Haltung

6.4.1Achten Sie auf Ihre Ressourcen

6.5Umgang mit Angehörigen

6.6Depression und Suizidalität

6.6.1Pflegerische Handlungsmöglichkeiten

6.6.2Die Suizidgefahr erkennen

7Was Sie zum Wahn wissen müssen

7.1Was ist Wahn?

7.2Symptome des Wahnerlebens

7.3Die Beziehung gestalten

7.4Wahn, Demenz, Depression und Delir

7.5Pflegerische Handlungsmöglichkeiten

8Was Sie zur Schizophrenie wissen müssen

8.1Symptome der Schizophrenie

8.2Pflegerische Handlungsmöglichkeiten

8.3Strukturelle Bedingungen in der Langzeitpflege

9Demenz, Delir & Depression – Berichte aus der pflegerischen Praxis

9.1Zwei gerontopsychiatrische Fachabteilungen

9.2Eine Spezialabteilung für Menschen mit Demenz

9.3Psychiatrie im klinischen Bereich

10Achten Sie auf sich selbst

Literatur

Register

Vorwort

Ingrid Hametner legt ein neues Buch vor, mit dem viel versprechenden Titel »Demenz, Delir, Depression mit einem Sonderkapitel Wahn« und dem ebenso viel versprechenden Untertitel »Symptome erkennen – schnell und individuell handeln«. Sie will damit aber kein neues und umfassendes medizinisch-wissenschaftliches Lehrbuch herausbringen, das alle im Titel genannten neurologisch-psychiatrischen Krankheitsbilder, etwa für Medizinstudenten und Ärzte, eingehend darstellen soll.

Mit ihrem Buch wendet Ingrid Hametner sich vor allen an Kranken- und Altenpflegepersonen und auch an pflegende Angehörige, die vor die Aufgabe gestellt sind, auf das oft befremdende, mitunter gar bedrohliche Verhalten psychisch gestörter Menschen angemessen reagieren zu sollen. Ihnen möchte Ingrid Hametner das dafür nötige Wissen über charakteristische Symptome und mögliche Ursachen und Zusammenhänge dieser verschiedenen Krankheitsbilder vermitteln, damit sie diese Krankheiten an ihren Symptomen erkennen und unterscheiden und auch in ihren Zusammenhängen verstehen können. Dadurch gewinnen sie pflegerisch-fachliche und auch zwischenmenschliche Sicherheit gegenüber den betroffenen kranken Menschen, deren Verhalten oft schwer zu begreifen und besonders für Angehörige manchmal schwer zu ertragen ist.

Dabei geht es Ingrid Hametner freilich um mehr als um bloße Wissensvermittlung über Krankheitsbilder. Sie möchte Pflegefachkräften und pflegenden Angehörigen das nötige Wissen an die Hand geben, damit sie besser verstehen können, wie ein psychisch gestörter Mensch sich selbst in dieser Welt erlebt. In einer Welt, die ihm durch seine Erkrankung im Wortsinn »verrückt« erscheint. Er hat Angst vor dieser Welt und ihren Bewohnern, seinen Mitmenschen.

Dadurch können Pflegepersonen den notwendigen persönlichen Abstand zum befremdenden Verhalten des Kranken bekommen, Versuche, ihn »umzuerziehen«, und fruchtlose Auseinandersetzungen mit ihm vermeiden, ihm unerschrocken und achtungsvoll begegnen, ihm seine persönliche Würde bestätigen und so sein Vertrauen gewinnen. Letztlich ist das Vertrauen des Kranken zu den Personen, auf die er angewiesen ist, der entscheidende Schlüssel für eine Krankenpflege, die beide Seiten befriedigt. Die vielen lebendigen Fallbeispiele in Ingrid Hametners Buch, die alle aus dem psychiatrisch-pflegerischen Alltag stammen, schildern dies anschaulich.

Ich bin Ingrid Hametner dankbar, dass sie mich teilhaben ließ an ihrer Arbeit, als sie ihr Buch schrieb. Ich glaube, dass ich, psychiatrischer Facharzt, nun im Ruhestand, ein besserer Psychiater geworden wäre, hätte ich Ingrid Hametner früher kennen gelernt und schon vor Jahren ihr heutiges Buch lesen können.

Frithjof Sahnwaldt

Einführung

Ich schreibe dieses Buch, weil ich in Gesprächen, in Beratungen, aber auch in der Bildungsarbeit immer wieder feststelle, wie schwer es ist, die Lebenssituation von Menschen mit psychiatrischen Krankheitsbildern nachzuvollziehen.

Ihre Verhaltensweisen sind häufig so fremd, und bekannte Kommunikationsmuster – beispielsweise die Validation bei der Demenz – führen im Umgang mit Menschen mit anderen psychiatrischen Erkrankungen nicht weiter oder schaden sogar. Pflegekräfte müssen also gut unterscheiden lernen, welche psychiatrische Erkrankung der pflegebedürftige Mensch hat. Ein Mensch mit einer Depression oder einer paranoiden Störung hat andere Bedürfnisse als eine Person mit einer Demenz.

So individuell der Weg mit psychischen Erkrankungen ist, so unterschiedlich sind auch die Anforderungen an Sie, die professionell Tätigen. Ihr Eingehen auf die Lebenssituation oder auf die durch die Krankheit entstandene Problematik beeinflusst die Lebensqualität der erkrankten Person.

Ich möchte Ihnen Wege zeigen, wie Sie trotz der Erkrankung die Lebensqualität sichern oder verbessern können. Einige Fallbeispiele können Ihnen dabei helfen, erkrankte Menschen besser zu verstehen, um dadurch die Situationen zu erleichtern.

Sie finden hier eine Lektüre, die für die Anforderungen in den unterschiedlichen praktischen Feldern sensibilisiert und weiterhilft.

In diesem Zusammenhang danke ich Vera Strech, Einrichtungsleitung, und Tatiana Milerman, Pflegedienstleitung der Heimstätte Ohlenhof des Sozialwerks der Freien Christengemeinde, Bremen, und Christine Doherr, Einrichtungsleitung, und Paulina Endler, Pflegedienstleitung vom Haus im Park, ein Zuhause für Menschen mit Demenz, Bremerhaven, die sich jeweils Zeit für ein Interview genommen haben, um ihre weiterführende Organisationsentwicklung mit Ihnen zu teilen.

Edgar Neuber – Fachpfleger für Sozialpsychiatrie – und Leiter der Akutstation in der Psychiatrie im Klinikum Bremerhaven gilt ebenfalls mein Dank. Er war bereit, das psychiatrische Setting im klinischen Bereich und die wichtige Verbindung zwischen Klinik und weiterführender Behandlung darzustellen.

Ich danke auch Regina Noack, Inhaberin des Ambulanten Pflegedienstes »Pflege to huus«, Otterndorf, für die intensiven Gespräche und Fallbeschreibungen aus dem Berufsalltag.

Psychiater Frithjof Sahnwaldt danke ich für seine Bereitschaft, mich an seinem reichen Erfahrungswissen als Arzt im Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt teilhaben zu lassen und mich in zahlreichen Gesprächen zu beraten. Ein besonderer Dank geht an ihn für das Vorwort zu meinem Buch.

Ich danke den zahlreichen Teilnehmern der Gerontopsychiatrischen Basisqualifikation beim Bildungswerk des ASB Köln für ihr großes Interesse, da sie mir durch ihre Fragen den Impuls zum Schreiben gegeben haben.

Last but not least danke ich zwei ganz wichtigen Menschen für mich, die entscheidend zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben:

Meinem Mann, der mir Mut und Kraft gegeben hat, meine Gedanken zu Papier zu bringen und Claudia Flöer, der großartigen Lektorin, die mir beim Ordnen der Gedanken eine wichtige Hilfe war.

Ich danke allen Lesern für ihr Vertrauen, und wünsche Ihnen, dass Sie hier nützliche Hinweise für Ihren Alltag finden.

Bremerhaven, im März 2020

Ingrid Hametner

1 Was Sie zur Demenz wissen müssen

BeispielDas fehlende Morgenritual

Ein 82jähriger Mann zieht wegen einer Demenz vom Alzheimertyp in eine Spezialeinrichtung für Menschen mit Demenz ein. Er weigert sich am nächsten Morgen, sich ins Bad begleiten zu lassen bzw. die Unterstützung durch eine Altenpflegerin bei der Körperpflege anzunehmen. Die Pflegefachkraft akzeptiert die Ablehnung und erkennt an, dass für den Bewohner eine völlig neue Lebenssituation entstanden ist, in der er erst einmal Vertrauen aufbauen muss.

Als die Weigerung am nächsten Morgen wieder erfolgt, entschließt man sich zu einem Gespräch mit dem Sohn, um zu erfahren, ob die Verweigerung vielleicht im Zusammenhang mit einer Scham vor der weiblichen Pflegekraft stehen könnte. Der Sohn kann allerdings nicht weiterhelfen, da er früh das Elternhaus verlassen hat und nicht weiß, ob seine Eltern besonders schamhaft waren. So bittet die Wohnbereichsleitung einen männlichen Pfleger, die Körperpflege bei dem 82-Jährigen zu unterstützen. Da wird die Abwehr des alten Mannes noch stärker. Er wird laut und ruft »Raus!«

Die WBL entschließt sich, nochmal den Sohn anzurufen, um von ihm Näheres über die Morgenrituale im Elternhaus zu erfahren. Der Sohn ist leicht genervt, da die »Fachleute« doch eigentlich wissen müssten, worauf es im Umgang mit seinem Vater ankommt… Aber er denkt nach und ihm fällt ein, dass die Eltern morgens, bevor sie ins Bad gegangen sind, erst einmal einen Kaffee getrunken haben.

Da liegt »der Schlüssel« zum Verstehen des Verhaltens. Der alte Herr bekommt morgens seine Tasse Kaffee und geht anschließend ohne Protest mit ins Bad. Er lässt sich vertrauensvoll von weiblichen oder männlichen Pflegekräften unterstützen.

Im Nachhinein wird deutlich, dass das fehlende Morgenritual den Bewohner in die Abwehr gebracht hat. Das Team ist erleichtert, dass durch ihre Haltung, das Vertrauen des alten Mannes nicht gefährden zu wollen, Aggressionen und Ängste vermieden werden konnten.

Durch die Zusammenarbeit mit dem Sohn ließen sich biografische Prägungen erfahren und für weiteres Vorgehen nutzen. Es zeigt auch hier, dass es immer eine Handlungslogik bei demenziell erkrankten Personen gibt. Die pflegenden und betreuenden Personen sind gefordert, die Motive herauszufinden.

BeispielLieber allein als in der Gruppe

Eine alte Frau mit einem Demenzsyndrom im fortgeschrittenen Stadium (Reisberg 6) lebt seit zwei Monaten in einer stationären Pflegeeinrichtung. Sie ist noch mobil und im eingeschränkten Maß sprachfähig. Heute hat sie sich auf dem Stuhl im Empfangsbereich der Einrichtungsleitung niedergelassen. Sie ist – wie immer – geschminkt und trägt eine schöne weiße Bluse mit Stehkragen. Auf ihren Oberschenkeln liegt ihr Fotoalbum; sie schaut darauf, fährt mit den Händen darüber und ist offensichtlich zufrieden.

Als die Einrichtungsleitung aus der Tür kommt, Kontakt zu ihr aufnimmt und fragt, ob sie etwas für sie tun könne, schüttelt die alte Dame mit dem Kopf und signalisiert mit ihrem gesamten Körperausdruck, dass sie »zu tun« habe. Nach etwa einer Stunde sitzt sie noch immer da und ist in ihr Fotoalbum, das auch Notizen enthält, vertieft. Sie zeigt keine Unruhe, sondern wirkt ganz gelassen.

Der Einrichtungsleitung fällt auf, dass es im Flur nicht sehr warm ist und die Bluse vielleicht ein wenig dünn sein könnte. So signalisiert sie, dass sie es als kühl empfindet, und fragt die alte Frau, ob ihr kalt sei. Die Frau schüttelt sich ein wenig, was sich als Bestätigung deuten lässt. Die Leitung entschließt sich, für die Frau eine Wolljacke bringen zu lassen und legt ihr diese um die Schulter. Damit ist offensichtlich »das Wohlgefühl« komplett. Die alte Frau lächelt und beginnt von neuem, sich konzentriert dem Album zuzuwenden. Sie lässt sich auch von mehreren Besuchern nicht stören und verbringt etwa drei Stunden »mit ihrer Arbeit«.

Die Einrichtungsleitung erfährt, dass diese Frau Gruppenaktivitäten ablehnt und sich auch an diesem Vormittag, ohne dass sie dazu ermuntert wurde, mit dem eigenen Fotoalbum »zurückgezogen« hat. Sie kommt später immer wieder in den Empfangsbereich und es scheint so, als wenn sie den Vormittag im Empfangsbereich wieder vergessen hätte, doch den übrigen beteiligten Personen hat sie viel über sich und ihr Bedürfnis mitgeteilt. Im Nachhinein wird deutlich, dass dieser Frau die Gruppenangebote im Wohnbereich nichts bedeuten und ihre Abwehr werden jetzt verstanden. Sie braucht den Rückzug und ist offensichtlich zufrieden. Sie beschäftigt sich auch weiterhin gern mit dem Fotoalbum, das sie sich an unterschiedlichen Orten im Haus anschaut oder mit den Händen berührt.

Sie wird nicht mehr zur Teilnahme an den Gruppenaktivitäten aufgefordert, stattdessen lässt man sie »durchs Haus gehen« und sich den Platz suchen, der ihr gefällt. Seit kurzem kommt sie gern in die Kreativgruppe und formt mit Ton. Da sie nicht mehr spricht, teilt sie nonverbal mit, was ihr gefällt.

In Verbindung zu diesen Fallbeispielen setze ich mich nun mit der Lebens-, Pflege- und Begleitungssituation von Menschen mit Demenz auseinander.

1.1Was ist eine Demenz?

Eine Demenz ist eine schwerwiegende neurologische Erkrankung, mit Auswirkungen auf die gesamte Lebenssituation des betroffenen Menschen.

Die Krankheitsbezeichnung »Demenz« kommt aus dem Lateinischen und bedeutet übersetzt so viel wie »ohne Geist« sein. Diese Bezeichnung ist eine Stigmatisierung an sich und wird dem Krankheitsbild bei weitem nicht gerecht. Die Krankheit hat zwar Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit des erkrankten Menschen, nimmt ihm aber nicht seine Würde. Gefühle und auch menschliche Bedürfnisse, wie etwa nach Identität und Zugehörigkeit, bleiben selbstverständlich erhalten und müssen erfüllt werden.

DefinitionDemenz

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat folgende Definition für das Krankheitsbild: »Demenz ist eine erworbene globale [umfassende] Beeinträchtigung der höheren Hirnfunktionen einschließlich des Gedächtnisses, der Fähigkeit, Alltagsprobleme zu lösen, sensomotorischer und sozialer Fertigkeiten der Sprache und Kommunikation, sowie der Kontrolle emotionaler Reaktionen, ohne Bewusstseinsstörungen.Meistens ist der Verlauf progredient (fortschreitend), nicht notwendigerweise irreversibel.«*

* WHO 1986, vgl. https://page-one.springer.com/pdf/preview/10.1007/978-3-531-19835-4_2

Eine Demenz ist, unabhängig von der Ursache, durch eine Abnahme der Gedächtnisleistungen und des Denkvermögens gekennzeichnet.

Die Besonderheit einer Demenz liegt darin, dass sich beim Betroffenen Gedächtnis und Intelligenz immer weiter verschlechtern, obwohl vorher keine Einschränkungen vorhanden waren. Die kognitiven Beeinträchtigungen werden gewöhnlich von Veränderungen der sozialen Kontrolle, des Sozialverhaltens und der Motivation begleitet.

Das »sich als Person vertreten können«, also die persönlichkeitsdefinierenden Eigenschaften von Autonomie und Selbstbestimmung gehen bei dieser Erkrankung immer mehr verloren. Diese Verluste lösen die großen Ängste aus, die mit einer Diagnose Demenz oft verbunden sind.

1.2Diagnosestellung Demenz

In der S3-Leitlinie Demenz wird sehr gut verdeutlicht, welche Verantwortung in der Diagnosestellung »Demenz« liegt. »Die Diagnostik von Demenzerkrankungen [hat] heute einen vergleichbaren Stellenwert wie z. B. die Diagnostik von Krebserkrankungen in der Onkologie. Sie dient dazu, den Erkrankten und den Angehörigen, über die Ätiologie [Ursache], die Symptomatik, die Prognose, die Therapie und über präventive Maßnahmen aufzuklären.«1

Es ist wichtig, frühzeitig klären zu lassen, ob als Ursache einer starken Vergesslichkeit wirklich eine Demenz vorliegt. Gerade im Frühstadium der Erkrankung können therapeutische Ansätze Belastungen mindern und Pflegebedürftigkeit verzögern.

Seit 1983 haben sich in Deutschland sogenannte »Memory Kliniken« entwickelt, die speziell auf die Diagnostik von Gedächtnisstörungen bei älteren Menschen ausgerichtet sind. Dort lassen sich auch differenziert andere Ursachen – als eine Demenz – für die körperlichen und geistigen Ausfälle herausfinden oder bei einer Demenzdiagnose zielgerichtete Hilfen entwickeln.

Tipp

Adressen von Gedächtnissprechstunden, Gedächtnisambulanzen finden sich beispielsweise auf den Internetseiten der Hirnliga (www.Hirnliga.de) oder der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (http://www.deutsche-alzheimer.de).

Sie können auch unter dem Stichwort »Gedächtnissprechstunden« oder »Gedächtnisambulanz« gefunden werden.

Zur Diagnostik wird ein zweistufiges Verfahren empfohlen, bei dem auf der ersten Stufe das demenzielle Syndrom zu klären und auf der zweiten Stufe die Ursache zu ermitteln ist.

1. Stufe 1, Diagnostik des demenziellen Syndroms: Anamnese/Fremdanamnese, psychopathologischer Befund, neuropsychologische Screeningverfahren (beipielsweise Mini-Mental-Status, Uhrentest, Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD), Demenz-Detections-Test (DemTec) etc.),

2. Stufe 2, Differenzialdiagnostik: bildgebende Verfahren wie cCt oder cMRT. Bei Verdacht auf eine vaskuläre Demenz sollte eine Dopplersonografie der hirnversorgenden Gefäße durchgeführt werden, außerdem EKG und umfangreiche Labordiagnostik einschließlich TSH, Folsäure und Urinteststreifen,

Fakultativ (im Bedarfsfall): Test des Urins auf Benzodiazepine oder ähnliche Stoffe, weitergehende neuropsychologische Untersuchung, EEG, Liquordiagnostik und weitere Labordiagnostik, z. B. HbA1, Lues-Serologie etc.

»Eine frühzeitige syndromale und ätiologische Diagnostik ist Grundlage der Behandlung und Versorgung von Patienten mit Demenzerkrankungen und deshalb allen Betroffenen zu ermöglichen.«2

Info

Bei der Durchführung diagnostischer Maßnahmen ist die Einwilligungsfähigkeit des Patienten zu prüfen und zu berücksichtigen. Es ist ggf. zu entscheiden, ob eine gesetzliche Vertretung des Betroffenen für Fragen der Gesundheitsfürsorge zu schaffen ist.*

* vgl. http://www.dgpp.de/documents/S3 Leitlinie-demenz-kf.pdf

1.3Symptome von Demenzen3

Ein Symptomkomplex

Bei der Demenz handelt es sich nicht um eine einzelne ursächliche Erkrankung, sondern um ein klinisches Syndrom (Symptomkomplex), das bei zahlreichen Erkrankungen, die das Gehirn primär oder sekundär schädigen, auftreten kann.

Zu den primären Schädigungen des Gehirns gehören die neurodegenerativen und vaskulären Ursachen, die Nervenzellen zerstören und damit zum Funktionsverlust in unterschiedlichen Hirnregionen führen. Wir kennen die Bezeichnungen Alzheimer-Demenz, vaskuläre Demenz, gemischte Demenz und Lewy-Körperchen-Demenz.

Auch schwere neurologische Erkrankungen, wie Parkinson, Creutzfeldt- Jakob-Krankheit oder Chorea-Huntington-Krankheit, können eine Demenz hervorrufen. Wir sprechen dann etwa von der Demenz bei Morbus Parkinson.

Bei den sekundären Einflüssen liegt die Ursache für die sogenannte »symptomatische Demenz« in einer anderen Erkrankung, die ihren Ursprung nicht im Gehirn hat. Diese Form der Demenz entsteht bei schweren Stoffwechselstörungen, schweren Vitaminmangelzuständen, Herz- und hämatologischen Erkrankungen, Intoxikationen (z. B. durch Benzodiazepine oder Alkohol) und Hypoxien (Sauerstoffmangel).

Die begleitenden Symptome müssen allerdings die Definition einer Demenz nach den anerkannten Kriterien erfüllen und dürfen nicht mit Delirien (vorübergehende Verwirrtheitszustände) verwechselt werden.

Info

Für die Diagnose einer Demenz müssen die Symptome nach ICD-10 über mindestens sechs Monate bestanden haben und die Funktion der Sinne (Sinnesorgane und Wahrnehmung) sollte im üblichen Rahmen liegen.

1.4Formen der Demenz

Es gibt neben der häufigen Demenz vom Alzheimer-Typ auch andere Formen von Demenzerkrankungen. Diese anderen Demenzen können in ihrem klinischen Erscheinungsbild zwar der Alzheimer-Demenz ähneln, sie werden aber durch andere Faktoren verursacht.

Man unterscheidet bei der Alzheimer-Demenz die präsenile und die senile Form. Bei der präsenilen Form sind die Betroffenen zum Zeitpunkt der Erkrankung unter 65 Jahre alt. Diese Form tritt verhältnismäßig selten auf, nur etwa 5 % der Erkrankungen vom Alzheimer-Typ entfallen auf diese Gruppe.

Zu den degenerativen Demenzformen gehören die Alzheimer-Demenz, die Lewy-Body-Demenz, die frontotemporale Demenz, die vaskulären Demenzen, das Demenzsyndrom bei Normaldruckhydrozephalus und die alkoholassoziierten Demenzen. Die degenerativen Demenzen machen über 90 Prozent der Demenzen aus, wobei davon etwa 60 Prozent auf die Alzheimer-Demenz entfallen.