Denkwürdigkeiten eines englischen Edelmannes aus dem großen Kriege - Daniel Defoe - E-Book

Denkwürdigkeiten eines englischen Edelmannes aus dem großen Kriege E-Book

Daniel Defoe

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Beschreibung

Vom Einmarsch Gustav Adolfs von Schweden in Deutschland überschattet erlebt der Leser so manches pikante Abenteuer und aber auch die Folgen verheerender Kriegsspuren in Frankfurt, Magdeburg, Leipzig und Nürnberg. Es ist eine Parabel aus dem 30-jährigen Krieg und zugleich ein erschütternder Ereignisroman, der erlebnisnah auf abenteuerliche aber auch spielerische Weise Geschehnisse schildert.

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Daniel Defoe

Denkwürdigkeiten eines englischen Edelmannes aus dem großen Kriege

1

Es kann nach meiner Vermutung beim Leser nichts verschlagen, wenn ich ihm meinen Namen verberge, und es mag genug sein, wenn ich ihm sage, daß ich aus der Grafschaft Shrewsbury gebürtig bin. In welchem Gestirn meine Geburt gestanden, habe ich niemals nachgeforscht, bin auch kein Astrologe, eine Untersuchung darüber anzustellen, indes glaube ich, daß der Verlauf meines Lebens mich hinlänglich berechtigt, einen außerordentlichen Einfluß des Himmels bei meinem Erscheinen auf dieser Welt anzunehmen.

Die Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit der Träume mag sein, wie sie wolle, meine Mutter wenigstens gab sehr viel darauf und hatte, wie ich mit eigenen Augen auf dem ersten Blatte ihres Gebetbuches gesehen habe, sehr genau jeden besonderen Traum aufgezeichnet, den sie während ihrer Schwangerschaft mit mir als ihrem zweiten Sohne gehabt hatte.

Einmal, wie sie vermerkt, hatte sie geträumt, sie wäre von einem Regiment Reiterei entführt und unter freiem Himmel von einem Sohne entbunden worden; auf seinem Rücken wären zugleich zwei Flügel gewachsen, mit denen er nach einer halben Stunde davongeflogen wäre. Und gerade am Abend vor ihrer Niederkunft mit mir träumte ihr, daß sie einen Sohn zur Welt gebracht, und daß die ganze Zeit über während der Geburt ein Mann unter ihrem Fenster gestanden hätte, der die Feldpauken geschlagen und sie dadurch sehr beunruhigt hätte.

Mein Vater, ein Mann von einem sehr ansehnlichen Vermögen und aus einer Familie, die mit vielen Häusern des ersten Adels nahe verwandt war, lebte ungefähr sechs Meilen von Shrewsbury, wo er angesessen war. Meine Mutter hatte sich, ich weiß nicht zu welchem Geschäfte, in jener Stadt befunden und mich unvermutet dort im Hause einer Freundin frisch und gesund zur Welt gebracht.

Obschon ich der zweite Sohn meines Vaters war, genoß ich trotzdem einen größeren Anteil seiner Liebe und Achtung, als im allgemeinen die jüngeren Söhne der adeligen Familien in England zu genießen pflegen. Und da mein Vater überdies an mir besondere gute Anlagen wahrzunehmen vermeinte, so verwandte er eine ungewöhnliche Sorgfalt auf meine Erziehung.

Er suchte die fähigsten Männer aus, um mich in allen Kenntnissen und Wissenschaften unterrichten zu lassen, die man für nötig hielt, um einen jungen Edelmann für die Welt brauchbar zu machen. Als ich 17 Jahre alt war, brachte er mich in der Überzeugung, daß eine akademische Erziehung einem vom Stande besondere Vorzüge gäbe, und daß ich die nötigen Fähigkeiten dafür besäße, in das Wadham College nach Oxford, wo ich drei Jahre verblieb.

Obschon ich Geschmack an Büchern hatte, wollte mir doch das eintönige Leben ganz und gar nicht gefallen. Es war mir nicht zur Pflicht gemacht worden, Jurist, Mediziner oder Theologe zu werden, ich schrieb also meinem Vater, daß ich glaubte, für einen Edelmann lange genug in diesem College gewesen zu sein, und daß ich wünschte, ihn mit seiner Erlaubnis zu besuchen.

Ich nahm in Oxford zwar an jeder Art von Unterricht teil, meine Lieblingsgegenstände aber blieben Geschichte und Geographie, weil diese Wissenschaften meinem Geiste die beste Nahrung gaben, denn durch die eine erfuhr ich, welche großen Taten in der Welt vollführt, durch die andere, wo sie getan worden sind.

Mein Vater war mit meinem Wunsche nach Hause zu kommen sogleich einverstanden, denn außerdem daß er einen dreijährigen Aufenthalt auf der hohen Schule für lange genug hielt, liebte er mich mit einer so außerordentlichen Zärtlichkeit, daß er bereits ernstlich für mich auf eine Versorgung in seiner Nachbarschaft bedacht war.

Ich reiste nach Hause, mein Vater empfing mich mit der größten Zärtlichkeit, fand viel Vergnügen an allen meinen Antworten und schien sich gern mit mir zu unterhalten. Meine Mutter, welche nie etwas anderes wünschte als mein Vater und welche ihn ebenso herzlich liebte, als sie von ihm geliebt wurde, empfing mich ebenfalls sehr freudig. Ich fand die Zimmer schon für mich eingerichtet und Pferde und Bediente auf mich warten.

Mein Vater ging niemals ohne meine Begleitung auf die Jagd, die er in hohem Maße liebte, und ich wurde seinem Herzen beinahe noch teurer, als er fand, daß auch mir dieser Zeitvertreib viel Freude machte.

Auf diese Art hatte ich mit allen nur möglichen Vergnügungen, die ich genießen konnte, beinahe ein ganzes Jahr zugebracht, als ich eines Morgens mit meinem Vater auf die Hirschjagd ritt. Die Jagdbeute war an diesem Tage gering, da wir nur wenige Meilen vom Schlosse entfernt waren. Und da wir noch Zeit genug hatten, ritten wir ziemlich langsam nach Haus, währenddessen er die Gelegenheit ergriff, mit mir eine Unterhaltung zu beginnen, auf welchem Wege er mich zu versorgen gedächte.

Er erzählte mir mit einer unverkennbaren Zärtlichkeit, daß er mich von allen seinen Kindern am meisten liebe, und daß er deswegen gesonnen sei, etwas Besonderes für mich zu tun. Nachdem mein ältester Bruder bereits verheiratet und versorgt sei, so hätte er die nämliche Absicht mit mir und schlüge mir derhalb eine sehr vornehme Verbindung mit einer jungen Lady vor, die außer einem sehr großen Vermögen noch die seltensten persönlichen Vorzüge besäße. Er erbot sich außerdem, mir ein jährliches Einkommen von 2000 Pfund auszusetzen, und dies könne er tun, wie er mir sagte, ohne den Familienbesitz dadurch nur im geringsten zu vermindern.

Es war soviel Zärtlichkeit in diesem Vorschlage, daß ich dadurch im höchsten Grade gerührt wurde. Und ich antwortete, daß ich mich gänzlich nach seinen Anordnungen richten würde.

Mein Vater, der eine sehr feine Urteilskraft besaß, sah mich sehr aufmerksam an und wollte an mir, obwohl ich ohne die geringste Zurückhaltung geantwortet hatte, eine gewisse Unruhe bei seinem Vorschlage bemerkt haben. Er schloß daraus, daß meine Antwort und Bereitwilligkeit mehr eine Folge meiner Bescheidenheit und meines Gehorsams als meiner Neigung und meiner eigenen Wahl war.

Lieber Sohn, sagte er in einem etwas lebhaften Tone zu mir, ich habe dir zwar nur meine Gedanken kund tun wollen, allein ich kann es nicht verbergen, daß ich wünschte, sie möchten mit den deinigen übereinstimmen. Doch sollte deine Wahl eine andere sein, so sieh mich nur als deinen Ratgeber, nicht als deinen Befehlshaber an und entdecke mir freiwillig deine Gesinnung.

Ich glaube nicht Einsicht genug zu besitzen, Vater, erwiderte ich mit aller nur möglichen Ehrfurcht, eine so vorteilhafte Wahl für mich treffen zu können als du; trotzdem unsere Meinungen sehr verschieden sein mögen, so bin ich dennoch vollkommen davon überzeugt, daß es das rechte sein wird mich auf dein Urteil zu verlassen.

Aus allem, mein lieber Sohn, schließe ich, sagte mein Vater, daß du einen andern Plan hattest, trotzdem du jetzt in den meinigen einzuwilligen scheinst. Und deshalb möchte ich von dir erfahren, was du wohl von mir verlangt haben würdest, wenn ich dir meinen Vorschlag nicht gemacht hätte, und wenn du wünschest, daß ich in andern Dingen ebenso gern auf deine Bereitwilligkeit rechnen soll, so vertraue mir jetzt hierin.

Vater, sagte ich, unmöglich würde jemals meine Wahl auf das gefallen sein, was du mir gütigst vorgeschlagen hast, doch wären meine Wünsche den deinigen gerade entgegengesetzt, so wäre mir doch dein Befehl Grund genug, sie dir zu entdecken, doch erkläre ich im voraus, daß ich mich gänzlich deinem Willen unterwerfe. Ich kann nicht leugnen, daß ich noch nicht an eine Verheiratung noch an irgendeine andere feste Verbindung gedacht habe, ebensowenig, als ich an deiner gütigen Sorgfalt für mich zweifeln könnte, doch glaube ich immer, ein Edelmann müsse zuvor etwas von der Welt gesehen haben, ehe er sich für immer an irgendeinem Orte festsetze, und wenn ich dich jemals um irgend etwas bitten wollte, so wäre es nur um die Erlaubnis, eine Zeitlang reisen zu dürfen. Ich hätte dabei die Absicht verfolgt mich so zu bilden, daß ich als ein Sohn zurückkehren würde, der einem so guten Vater nicht ganz unähnlich wäre.

Aber als was willst du reisen, mein Sohn, als Privatmann, als Gelehrter oder als Soldat?

Könnte es als Soldat sein, so hoffe ich, daß ich dir keine Schande machen würde, doch bin ich keineswegs so fest entschlossen, als daß ich mich nicht deinem Ausspruch gänzlich unterwerfen würde.

Vorläufig sehe ich außer Landes keinen Krieg, erwiderte mein Vater, der es wert wäre, daß man ihn mitmachte. Und im Vertrauen gesagt, lieber Sohn, ich befürchte, du wirst nicht nötig haben, Abenteuer dieser Art allzuweit zu suchen, denn die Umstände sehen danach aus, als wenn wir bald in der Nähe alle Hände voll zu tun bekommen würden.

Mein Vater meinte damit ohne Zweifel wahrscheinlich die bevorstehenden Mißhelligkeiten zwischen England und Spanien wegen der zurückgegangenen Vermählung des Königs von England mit der Infantin von Spanien, und wegen des andauernden Streites über das Königreich Böhmen und über die Pfalz, denn ich glaube nicht, daß er damals schon an den Bürgerkrieg dachte.

Kurz, mein Vater, der mein heftiges Verlangen in fremde Länder zu reisen sah, gab mir endlich seine Einwilligung dazu, jedoch mit der Bedingung, spätestens in zwei Jahren, oder wenn er es noch früher verlangen würde, zurückzukehren.

Ich hatte in Oxford die Bekanntschaft eines jungen Mannes gemacht, der zwar aus gutem Hause und ebenso ein nachgeborener Sohn war, aber nur ein geringes Vermögen und weniger glänzende Aussichten zu erwarten hatte. Er hatte zuerst den Gedanken zu reisen in mir erweckt, denn er selbst kannte keinen anderen Wunsch, jedoch es war ihm nicht jährlich soviel ausgesetzt, daß er damit hätte standesgemäß reisen können.

Ich war sehr nahe mit ihm befreundet, unsere Ansichten waren ziemlich übereinstimmend, und wir wechselten fast täglich miteinander Briefe. Er besaß einen großzügigen offenen Charakter, war ohne Arglist und ohne Verstellung, von schönem ansehnlichem Wuchse, hatte einen nervigen gesunden Körper, ein einnehmendes Wesen: kurz er war ein Edelmann im besten Sinne.

Er hieß Fielding, aber wir gaben ihm den Beinamen Hauptmann, obwohl dies für ein Oxforder College ein etwas seltsamer Titel war, doch die Natur hatte ihre Schuld daran, denn sie hatte ihm ganz das Aussehen eines Soldaten gegeben.

Ich gab ihm Nachricht von meinem Entschluß zu reisen sowie von der Einwilligung meines Vaters und fragte ihn, ob er mich begleiten wolle. Er antwortete mir, daß er es mit dem größten Vergnügen tun möchte.

Ich ließ ihn abholen, und als mein Vater ihn sah, war er mit meiner Wahl ausnehmend zufrieden. Wir machten einen Reisewagen bereit und fuhren nach London. Am 20. April schifften wir uns in Dover ein, landeten nach wenigen Stunden in Calais und nahmen die Post nach Paris.

Ich will hier den Leser nicht mit einem Reisetagebuch, oder mit der Beschreibung von Orten ermüden, die ihm jeder Geograph besser liefern kann als ich. Überdies sollen diese Aufzeichnungen nur Erzählungen von dem enthalten, was uns entweder selbst begegnet ist, oder was sich doch wenigstens vor unseren Augen zugetragen hat. Ich werde mich also nur mit solchen Dingen befassen.

Wir hatten auf unserer Reise nach Paris in der Tat einige sehr merkwürdige Zwischenfälle. Das Pferd meines Begleiters machte einen Fehltritt und wurde dadurch so lahm, daß es keinen Schritt von der Stelle gehen konnte, sondern steif und fest auf seinem Platze stehen blieb. Unser Postillion behauptete, daß es kein anderes Mittel gäbe als in die Stadt zu reiten, die fünf Meilen entfernt sei, und ein neues Pferd zu holen. Er setzte also auf und ließ uns auf der Landstraße zurück, so daß wir alle beide zusammen nur ein Pferd hatten. Wir folgten ihm so gut wir konnten nach, da wir aber fremd in der Gegend waren, verloren wir bald den Weg und kamen von der Landstraße ab. Ob unser Postillion bald wiederkommen würde oder nicht, konnten wir nicht wissen, und wir würden ihn wahrscheinlich auch nie wiedergetroffen haben, ohne einen alten Priester, den wir durch einen glücklichen Zufall unweit eines kleinen Dorfes trafen, wo der Pfarrer war. Zum Glück konnten wir soviel Lateinisch, daß wir uns mit ihm verständigen konnten, doch auch er sprach es nicht viel besser als wir. Er führte uns mit sich ins Dorf nach seiner Wohnung, gab uns Wein und Brot und bewirtete uns mit bewundernswerter Güte. Er schickte hierauf ins Dorf, mietete ein Pferd für meinen Begleiter und bestellte einen Bauern, der uns wieder auf die rechte Straße bringen sollte.

Bei unserer Abreise machte er uns auf Französisch ein Anerbieten, das wir gerade zur Not verstehen konnten: nämlich daß wir ihm eine Frage verstatten möchten. Auf unsere Versicherung, daß er uns fragen möge, was er wolle, fragte er uns, ob wir wohl noch Geld genug zu unserer Reise bei uns hätten, und ob er uns – dabei zog er zwei Goldstücke heraus – dies als Geschenk oder als Darlehen anbieten dürfte.

Ich erwähne absichtlich die außergewöhnliche Güte dieses Priesters, denn obwohl die Höflichkeit der Franzosen gegen Fremde weltbekannt ist, so ist es doch gewiß etwas ganz Außergewöhnliches, daß man auch sogar mit ihrem Gelde rechnen kann.

Wir antworteten ihm, daß wir keinen Mangel an Geld hätten, daß wir aber durch seine Güte aufs äußerste gerührt seien. Ich für meine Person versprach ihm besonders, wenn ich am Leben bliebe, ihn wieder zu besuchen, um ihm meine Dankbarkeit zu beweisen.

Der Zufall mit unserem Pferde war, wie wir nachher erfuhren, wirklich ein Glück für uns gewesen. Wir hatten unsere beiden Bedienten in Calais zurückgelassen, damit sie unser Gepäck nachbringen sollten, weil zwischen dem Kapitän des Paketbootes und dem Beamten des Zollhauses ein Zwist entstanden war, der nicht gleich beigelegt werden konnte. Unsere Bedienten folgten uns, so schnell sie konnten, wurden aber zur selben Zeit, als wir uns verirrt hatten, von Straßenräubern angefallen, die ihnen unsere Reisesäcke abnahmen und alles, was ihnen gefiel, herausholten. Da aber darin kein Geld, sondern nur Wäsche und andere Gebrauchsgegenstände für die Reise waren, so war der Verlust nicht sehr groß.

Unser Begleiter brachte uns nach Amiens, wo wir wieder unsern Postillion und unsere Bedienten trafen, die sich auf der Landstraße gefunden und hierher zurückgekommen waren.

Wir sahen dies als eine gute Vorbedeutung einer sehr glücklichen Reise an, da wir einer Gefahr entgangen waren, die unzweifelhaft für uns größer gewesen wäre, als sie für unsere Bedienten war. Denn die Herren von der Landstraße in Frankreich besitzen nicht immer die Höflichkeit, den Reisenden zu bitten, stehen zu bleiben und ihnen sein Geld zu geben, sondern sie geben oftmals zuvor auf den Reisenden Feuer und nehmen ihm alsdann erst sein Geld ab.

Wir hielten uns einen Tag in Amiens auf, um den geringen Schaden wieder auszubessern, den wir durch die Straßenräuber erlitten hatten. Wir gingen durch die Stadt und in die Hauptkirche, fanden aber nichts Bemerkenswertes darin. Als wir aber quer über eine breite Straße neben der Kathedrale gingen, trafen wir auf einen Volksauflauf bei einem Marktschreier, der eine große Rede hielt, allenthalben Zettel, Tropfen und Pulver austeilte und ein gutes Geschäft zu machen schien. Mit einem Male entstand auf der anderen Seite der Straße ein gewaltiges Geschrei: Diebe! Diebe! Und der größte Teil der Zuhörer des Marktschreiers lief davon, um zu sehen, was eigentlich los wäre. Wir waren selbst mit unter dieser Menge, und die Sache schien ihre völlige Richtigkeit zu haben.

Drei britische Herren, zwei Engländer und ein Schotte, die ebenso wie wir auf Reisen waren, hatten gleichfalls dem prahlenden Doktor zugehört, als einer von ihnen einen Dieb ertappte, der ihm seine Taschen ausleerte und schon einen Teil der Barschaft erbeutet hatte, als er einige Stücke davon gerade neben sich auf die Erde fallen ließ. Das war die ganze Geschichte, aber ich muß meinen Lesern noch erzählen, wie sie endete.

Der Dieb hatte seine Helfershelfer so nahe bei sich aufgestellt, daß sie, sobald der Engländer ihn gepackt hatte, sich herzudrängten und taten, als wenn sie sich des Fremden annehmen wollten. Sie faßten den Burschen bei der Gurgel und machten einen unerhörten Lärm. Der Engländer, der nicht im geringsten daran zweifelte, daß sich der Kerl in guter Verwahrung befände, überließ ihn jenen. Während nun alles durcheinander rannte und die Spitzbuben selbst aufs neue Diebe! Diebe! schrien, verstanden sie es mit einer ihnen eigenen Geschicklichkeit, den Dieb entwischen zu lassen, und ergriffen einen anderen, der auch zu ihrer Bande gehörte.

Diesen brachten sie nach einer kleinen Weile vor den Engländer und fragten ihn, was der Kerl denn getan hätte. Auf die Versicherung des Engländers, daß es nicht der rechte wäre, stellten sie sich weit verlegener als vorher, zerstreuten sich durch alle Straßen, schrien aufs neue Diebe! Diebe! und taten, wie wenn sie den Spitzbuben suchten. Und so lief der eine hierhin, der andere dorthin, bis sie alle fort waren. Der Lärm hörte auf, die Herren sahen einander an, das Volk versammelte sich wieder in Haufen um den Doktor, der seine Predigt von vorne anfing.

Dies war der erste französische Spitzbubenstreich, den mitanzusehen ich Gelegenheit hatte, man hat mir aber erzählt, daß es deren noch weit feinere in großer Anzahl gäbe. Wir machten bald mit unsern Landsleuten Bekanntschaft, und da sie ebenfalls wie wir nach Paris wollten, so baten wir sie, unsere Gesellschaft zu vermehren, so daß wir nunmehr eine von fünf Herren mit vier Bedienten bildeten.

Es lag nicht in unserer Absicht, uns lange in Paris aufzuhalten, und in der Tat war auch, die Stadt selbst ausgenommen, eben nichts Bemerkenswertes darin zu sehen. Kardinal Richelieu, der nicht nur einer von den ersten Dienern der Kirche, sondern auch erster Minister im Staate war, hatte obendrein noch das oberste Kommando über die königlichen Armeen erhalten mit dem Titel: Generalleutnant an des Königs Stelle, ein Titel, von dem man zuvor niemals etwas in Frankreich gehört oder gewußt hatte.

Unter diesem Charakter behauptete er alle königliche Gewalt im Heere ausüben zu können, über ihn dürfte man aber nicht an den König appellieren, auch keine Befehle unmittelbar vom Könige erwarten. Er war schon den Winter zuvor von Paris fortgegangen und hatte schon mit dem Herzoge von Savoyen einen Krieg angefangen, in welchem er den Herzog von Mantua wieder einsetzte, dem Herzog von Savoyen Pignerol abnahm und es in einen solchen Verteidigungszustand versetzte, daß es ihm durch keine Gewalt wieder entrissen werden konnte. Überdies brachte der Kardinal den Herzog mehr durch List und Klugheit als durch Gewalt dahin, daß er diesmal auch ohne Pignerol Frieden machte.

Diese Festung war Frankreich stets ein Dorn im Auge gewesen und hatte fast immer den Frieden mit Savoyen unsicher und lahm gemacht. Nun aber wurde sie vom Kardinal Richelieu der Krone Frankreichs eingefügt und ist seitdem eine der stärksten Festungen der Welt.

Der Kardinal war im Felde, und der König, um näher bei ihm zu sein, war kurz zuvor mit der Königin und dem ganzen Hofstaat nach Lyon gegangen. Deshalb war nichts für uns in Paris zu tun, und die Hauptstadt kam mir vor wie ein Haus in der Stadt, wenn die Familie aufs Land gegangen ist. Überhaupt schien mir die Stadt ein ziemlich melancholisches Ansehen zu haben, wenn ich sie mit den Herrlichkeiten vergleiche, die ich von ihr gehört hatte.

Als wir eines Morgens vor dem Tore des Louvre auf- und abgingen in der Absicht, die Schweizer exerzieren und aufziehen zu sehen, was sie gewöhnlich alle Tage taten, ehe sie auf die Wache zogen, kam ein Page und sagte auf englisch zu mir: Sir, der Hauptmann hat unverzüglich Ihre Hilfe nötig.

Ich kannte außer meinem Gefährten Fielding keinen Menschen in Paris, der Hauptmann war, und glaubte also, dieser sei in Gefahr, nahm mir aber nicht soviel Zeit, nach der Ursache zu fragen, warum er nach mir geschickt hätte, sondern folgte so eilig als möglich dem Pagen nach. Durch mancherlei Gassen und Straßen, die mir alle unbekannt waren, führte er mich endlich durch ein Ballhaus in einen großen Saal, in dem drei Herren, allem Vermuten nach Edelleute, zwei gegen einen, sehr lebhaft im Handgemenge waren. Der Raum war etwas dunkel, so daß ich niemanden erkennen konnte. Mein Kopf war nun einmal mit der vermeinten Gefahr für Fielding angefüllt, und ich stürzte also, mit dem Degen in der Hand, ins Zimmer hinein. Ich war noch mit keinem besonders ins Handgemenge geraten und noch gegen keinen ausgefallen, als ich einen ziemlich tiefen Stich in meinen Schenkel bekam, woran aber wohl vielmehr mein hastiges Hineinstürzen als eine Absicht des Täters schuld sein mochte. Der Schmerz aber brachte mich so auf, daß ich, ohne zu untersuchen, wer mich verwundet hatte, auf einen losstürzte und ihm den Degen durch den Leib rannte.

Das Sonderbare bei dieser Begebenheit und die unerwartete Tötung des einen durch die Zwischenkunft eines Fremden – niemand wußte wie oder woher – hatte die beiden anderen wieder besänftigt, so daß sie wirklich innehielten und mich anstaunten. Nun entdeckte ich, daß Fielding gar nicht dabei war, und daß mich irgendein unbegreifliches Mißverständnis hierher gebracht hatte.

Ich konnte nur wenig französisch sprechen und hatte Ursache zu vermuten, daß sie ebensowenig Englisch verstanden. Ich ging an die Tür, um nach dem Pagen zu sehen, der mich hierher gebracht hatte, fand aber niemanden dort und sah nur, daß der Ausgang frei war. Ich verlor kein Wort und machte mich so eilig wie möglich davon, ohne daß die beiden Herren nur die geringste Miene gemacht hätten mich daran zu hindern.

Ich war aber in einer gewaltigen Bestürzung, als ich an die Durchgänge kam, durch welche mich der Page geführt hatte, und nun durchaus keinen Ausgang entdecken konnte; endlich ward ich eine offene Tür gewahr, die durch ein Haus auf die Straße führte. Ich ging hindurch und zur anderen Tür auf die Straße hinaus, wußte aber ebensowenig, was ich nun anfangen sollte, um zu erfahren, wo ich wäre und wie ich in meine Wohnung kommen sollte. Die Wunde am Schenkel blutete immer noch sehr heftig, so daß ich das Blut fühlen konnte.

Währenddessen kam eine leere Sänfte vorbei, ich rief sie an, stieg hinein und bat die Träger, so gut ich mich verständlich machen konnte, mich nach dem Louvre zu bringen. Der Name der Straße, in der ich wohnte, war mir zwar unbekannt, doch glaubte ich den Weg zu finden, wenn ich nur an der Bastille wäre.

Die Träger der Sänfte wurden endlich durch eine Kompagnie Garde aufgehalten, die dazwischenkam. Sie setzten mich nieder, um die Soldaten vorbeimarschieren zu lassen. Ich sah mich ein wenig aus der Sänfte um und ward zu meiner größten Freude gewahr, daß ich mich gerade vor meiner Wohnung befand, und sah Fielding in der Tür stehen und, wie er mir nachher sagte, nach mir Ausschau halten. Ich winkte ihm und sagte ihm heimlich, daß ich schwer verwundet wäre, bat ihn aber, jetzt keine Frage weiter an mich zu tun, sondern die Sänfte zu bezahlen und nur so bald wie möglich nachzukommen.

Ich vollendete meinen Weg, so gut ich konnte, hatte aber soviel Blut verloren, daß ich kaum Kräfte genug übrig hatte die Treppe hinaufzusteigen und zu warten, bis Fielding zurückkäme.

Er war in einer ebenso großen Bestürzung wie ich, mich in einer so traurigen Lage zu sehen, und rief sogleich den Wirt herbei, der wieder ebensobald einen Nachbar herbeirief, so daß in einer Viertelstunde mein Zimmer ganz voll von Menschen war.

Doch dieser Umstand hätte leicht für mich von schlimmeren Folgen sein können als der vorherige, denn zur selben Zeit forschte man sehr heftig nach dem Menschen, der im Ballhause einen erstochen.

Mein Hauswirt war über sein Versehen sehr unglücklich, bat mich um Verzeihung und erbot sich mit der größten Ehrlichkeit von der Welt, mich zu einem seiner Freunde zu bringen, wo ich vollkommen in Sicherheit sein würde. Bei diesen. hielt ich mich nun so lange auf, bis ich wieder hergestellt war, nahm dann einen Wagen nach Lyon und fuhr durch Savoyen nach Italien.

Die französischen Angelegenheiten schienen jetzt kein sonderliches Ansehen zu haben. Nirgend war Leben, außer da, wo der Kardinal war, der jede Sache mit einer außerordentlichen Klugheit und meist mit ebensoviel Glück betrieb. Durch seine Staatsklugheit wußte er die Sachen stets so einzuleiten, daß der Ruhm, wenn sie glücklich abliefen, stets auf seiner Seite war, liefen sie aber unglücklich ab, so wurde die Schuld allemal auf die Rechnung des Königs gesetzt. Dieses Verfahren in allen Unternehmungen durchzuführen war um so schwieriger und kitzliger, als gewöhnlich in ähnlichen Dingen das Gegenteil zu sein pflegt, indem die Könige den Ruhm von jeder glücklich abgelaufenen Unternehmung sich selber zueignen, wenn aber irgendeine einen unglücklichen Ausgang nimmt, ihre Minister und Günstlinge dem Klagen und Murren des Volkes preisgeben. Der Kardinal aber, ein listiger und verschlagener Staatsmann, wußte sich auch in diesem Punkte immer zu behaupten.

Man sprach ohne die geringste Ehrfurcht vom Könige und ging so weit, daß man ihn sogar allenthalben schmähte. Der Magistrat der Stadt durfte keinen Versuch machen sich drein zu mischen aus Furcht, das ganze Volk noch mehr zu reizen.

An einem Sonntage um die Mitternachtszeit wurden wir durch ein fürchterliches Lärmen auf der Straße aus dem Schlafe geweckt. Ich sprang aus dem Bette, lief ans Fenster und sah, daß die ganze Straße so voll von Pöbel war, als nur darin Platz hatte. Einige hatten sich mit Musketen und Hellebarden bewaffnet und marschierten in sehr guter Ordnung, andere streiften aber in ungeordneten Haufen umher und schrien unaufhörlich: Der König soll Brot schaffen!

Einer, der einen großen Haufen solcher Aufrührer anführte, hatte auf eine Pike ein Brot und verschiedene Brötchen gesteckt, welche die Kleinheit des Brotes anzeigen sollten, die durch die Teuerung verursacht worden war.