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Eine Dokumentation von Gefühlen und Gedankengängen aus der Sicht eines Depressiven, einhergehend mit der immerzu latent existierenden Gefahr der psychischen Überforderung der Partnerin. Der Depressive redet nicht gerne über sich und seine Erkrankung. Er schämt sich wegen seiner Antriebslosigkeit, hat Angst, dass man ihm nicht glaubt. Andererseits sehnt er sich Tag und Nacht nach Zuneigung, Austausch von Zärtlichkeiten und Zeichen von Liebe. Seine Sehnsucht erfüllt sich jedoch nicht. Mit der Zeit zieht er sich immer mehr in sein Schneckenhaus zurück, zerfließt in Selbstmitleid und leidet still. Die Partnerin zerbricht daran, weil die bedrückte und ständig angespannte Stimmung auf sie überspringt. Ursache ist, dass sie aus Empathie mitleidet, anstatt nur mitzufühlen. Es entstand eine nicht alltägliche Liebesgeschichte,
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Seitenzahl: 270
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Gefühle und Gedankengänge aus der Sicht eines Depressiven, einhergehend mit der immerzu latent existierenden Gefahr, dass er seine Ehefrau psychisch überfordert.
Der Depressive redet nicht gerne über sich und seine Erkrankung. Er schämt sich wegen seiner Antriebslosigkeit, hat Angst, dass man ihm nicht glaubt, sehnt sich Tag und Nacht nach Zuneigung, Austausch von Zärtlichkeiten und Zeichen von Liebe. Seine Sehnsucht erfüllt sich jedoch nicht. Mit der Zeit zieht er sich immer mehr in sein Schneckenhaus zurück, zerfließt in Selbstmitleid und leidet still.
Die Partnerin zerbricht daran, weil die bedrückte und ständig angespannte Stimmung auf sie überspringt. Ursache ist, dass sie aus Empathie mitleidet, anstatt nur mitzufühlen.
Es entstand eine nicht alltägliche Liebesgeschichte.
Der Autor ist 64 Jahre alt, verheiratet, Vater von zwei erwachsenen Söhnen und leidet seit Jahren an Depressionen.
Denke daran, dass Schweigen manchmal die beste Antwort ist.
Ohne Frauen geht es nicht, das hat sogar Gott einsehen müssen.
Lustige Leute begehen mehr Torheiten als traurige. Aber traurige Leute begehen die größeren.
Reue ist Verstand, der zu spät kommt.
Miteinander zu sprechen ist besser, als gegeneinander zu schweigen.
Aufs eigene Glück kann man notfalls verzichten, wenn man die glücklich macht, die man liebt.
Vorwort zur Entstehung des Buches
Eine Zustandsbeschreibung der Gedanken und Gefühle
Der Leidensweg oder eine Liebe ohne Happy End
Schlussbetrachtungen
Epilog
Entsprechend der Definition der WHO (Weltgesundheitsorganisation), zeichnen sich Depressionen durch einen länger anhaltenden Zustand psychischer Niedergeschlagenheit aus. Zu den Symptomen gehören neben dem Gefühl der Traurigkeit unter anderem auch Ängste, Schlafstörungen, Ermüdungserscheinungen, innere Unruhe, Appetitlosigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, reduziertes Selbstbewusstsein, eine Neigung zum Nachdenken (Grübelneigung), Schuldgefühle oder körperliche Beschwerden, wie zum Beispiel Magen-, Kopfoder Rückenschmerzen.
Die Ursachen können vielfältig sein und sind in der Regel im Lebensumfeld des Erkrankten zu suchen.
Konflikte in der Familie, dem Bekanntenkreis oder am Arbeitsplatz, eine dauerhafte berufliche Über- oder Unterbelastung, sie alle können zu einer Depression führen. Doch trotz klarer Symptome ist der Grund für die Erkrankung nicht immer offensichtlich.
Viele Betroffene verspüren außerdem ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, der Sinn-Leere, das sich bei starker Ausprägung auch in suizidalen Tendenzen äußern kann. Schwer depressive Menschen empfinden ihr Leben dann nicht mehr als lebenswert, sehen im Tod die vermeintliche Erlösung.
So die nüchterne wissenschaftliche Beschreibung einer Krankheit, die inzwischen weit verbreitet ist.
Sie bedeutet nicht nur eine große Belastung für die betroffene Person selbst, sondern auch für ihr Umfeld. Eine besondere Herausforderung stellt sie für eine Partnerschaft dar. Das gemeinsame Durchstehen kann die Beziehung zweifellos festigen. In vielen Fällen jedoch zerbricht der Partner daran, weil die bedrückte oder gar aggressive Stimmung auf ihn überspringt. Die Ursache liegt dann häufig darin, dass er/sie aus Empathie mitleidet, anstatt nur mitzufühlen. Obwohl es mit Fortdauer der Erkrankung immer schwerer fallen dürfte, bleiben trotz allem die meisten Partnerinnen und Partner bei den Betroffenen. Anteilnahme und Hilfsbereitschaft sowie die emotionalen Probleme gemeinsam zu meistern, helfen die Schwierigkeiten zu überwinden. Doch man darf auf keinen Fall die latente Gefahr außer Acht lassen, sich immer wieder hilflos und überfordert zu fühlen und dass unbewusste Schuldgefühle aufkommen.
Doch was geht in einem Depressiven vor? Wie denkt und fühlt er? Was für Wünsche und Bedürfnisse hat er? Wie kann man ihm helfen? Welche Auswirkungen hat die Erkrankung auf ihn selber? Diese Fragen hielten mich lange gefangen und führten nach intensivem Überlegen zu dem Entschluss, meine Gefühle von innen nach außen zu kehren und in Art einer Tagebuchaufzeichnung zu dokumentieren. Das ist mir beileibe nicht leichtgefallen, vor allem anfangs nicht. Immer mit dem Hintergedanken, dass meine Aufzeichnungen von Fremden und Unbekannten gelesen werden, hat mich oftmals gelähmt, authentisch das zu beschreiben, was ich fühlte und in meinem Kopf vorging. Manchmal musste ich mich selber hinterfragen, ob ich nicht auf dem Wege bin, verrückt zu werden.
Das Innenleben eines Depressiven ist für die Angehörigen häufig ein Buch mit sieben Siegeln. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, dieses Buch zu öffnen, so dass jeder, den es interessiert, darin lesen kann.
Wenn das Band der Liebe fest und die Beziehung intakt ist, kann ein starker Partner dem Kranken helfen, zuversichtlich der Zukunft entgegenzusehen. Man muss sich aber bewusst sein, dass es zu vielen Rückschlägen kommen wird, die sich ungeachtet aller Bemühungen nicht vermeiden lassen. Geduld und Ausdauer sind neben der uneigennützigen Liebe die grundsätzlichen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Ausgang. Doch leider kann ein Happy End nicht garantiert werden.
Was aber, wenn der Partner nicht belastbar ist, weil er/sie auch psychische Probleme hat und selbst professionelle Hilfe benötigt? So, wie in meinem Fall.
Anfangs war ich felsenfest davon überzeugt, die Distanziertheit meiner Frau ist das Ergebnis einer erloschenen Liebe. Ich sah sie nur noch als gefühlskalte egoistische Täterin und mich als das bemitleidenswerte Opfer. Als Folge dieser Entwicklung sank mein Selbstwertgefühl ins Bodenlose. Selbstmitleid wurde mein ständiger Begleiter.
Dank der intensiven Therapiegespräche während meines letzten Klinikaufenthalts, musste ich schmerzvoll erkennen - leider viel zu spät - dass meine Frau nicht Täterin, sondern ebenfalls Opfer ist. Nur deswegen konnte es geschehen, dass wir uns gegenseitig das Leben schwer gemacht und unsere Leidenszeit unnötig verlängert haben. Auf der Strecke blieben zwei traumatisierte Geschädigte. Täter gab es nicht. Ich kann nur inständig hoffen, dass es trotz der vielen Kränkungen und gegenseitig zugefügten seelischen Schmerzen nicht zu spät ist, in ein normales Leben zurückzukehren und in den restlichen Jahren, die uns noch verbleiben, noch einmal glücklich zu werden. Ich wünsche es mir aus ganzem Herzen und werde da sein, wenn meine Frau Hilfe benötigt.
Ich lebe in einem Tunnel. Ein winziges Elementarteilchen, in einem endlos kalten und finsteren Raum. Meine neue Heimat. Für immer? Ich kann nicht mehr, schreit es in mir. Ich habe keine Freude mehr am Leben. Nur noch negative Gedanken, kein Antrieb mehr zu irgendwas. Selbst bei dem, was mir bisher Spaß gemacht hat, ist das Feuer weg. Nur noch lästige Pflichtaufgaben. Sogar das Waschen in der Früh. Ich komme mir immer weniger wert vor. Ein Ausgestoßener. Eine Belastung für die Familie. Einer, der das unbeschwerte Leben seiner Nächsten stört. Meine Stimmung ist dauerhaft im Keller. Schon lange. Ich will nur noch schlafen. Nichts mehr reden, nicht zuhören, nichts sehen. Ich verkrieche mich zu Hause, meide Menschen. Ich habe nicht mehr die Kraft zu lügen, kann keine heile Welt mehr vorspielen. Alles ist eine unheimliche Belastung für mich. Für meine Mitmenschen auch. Bin ich krank? Verrückt? Versinke ich nur in Selbstmitleid? Liegt es an der fehlenden Selbstkontrolle? Wer kann mir helfen? Will ich überhaupt Hilfe? Ja! Ich brauche unbedingt professionelle Unterstützung. Ich suche und bekomme sie. Vom Besten seines Fachs. Ist er aber auch gut genug für mich? Kann er mich heilen? Kann er mein Leben wieder lebenswert machen? Kann er mich von dem abhalten, was mein Bewusstsein Tag und Nacht beschäftigt? Von dem Drang, dem Leiden endlich ein Ende zu bereiten? Von den immer häufiger aufkommenden Gedanken an den Tod, der meine Überlegungen beherrscht? Fragen auf Fragen und keine Antworten.
Der Psychiater ist kompetent. Ich merke es sofort. Er ist ein Profi und kann sich in mich hineinversetzen. Ich fasse Vertrauen zu ihm. Er hört zu, erklärt und beschreibt zutreffend meine Lebenslage. Ich verstehe, dass ich krank bin. Depression. Depressionen sind das berüchtigte Schwarze Loch, das alle Freude, jedes Glück, verschlingt. Das Totenreich der Lebendigen! Aber nichts Unheilbares, versichert er mir. Hoffnung kommt auf. Er übernimmt die Zügel und lenkt mich. Zurück auf die Straße, zurück ins Leben. Er zeigt mir Wege auf, trotz der Schwermütigkeit ein lebenswertes Dasein zu führen. Schon bald wird er für mich zum Beschützer. Wenn mir einer helfen kann, dann er. Die Besuche bei ihm, die Gespräche mit ihm, laden meine Lebensbatterien ein ums andere Mal auf. Manchmal funktioniere ich wieder wie früher.
Dank ihm erkenne ich am Ende des dunklen Horizonts einen Lichtpunkt. Ist es auch ein Lichtblick? Licht bedeutet Leben. Ich setze mich in Bewegung, will erneut Teil dieses Lebens werden. Ich will in den Schoss meiner Familie zurückkehren. Euphorie verdrängt Apathie. Hoffnung und Zuversicht, statt Resignation und Verzweiflung. Das tot geglaubte Gefühl der Liebe kehrt zurück und entfacht im Herzen das Feuer der Leidenschaft und Zuneigung. Es muss nur noch jemand kommen, um sich daran zu wärmen. Die Gedanken setzen sich wieder mit der Zukunft auseinander. Mein Denken geht über den nächsten Tag hinaus. Zukunfts- und Urlaubspläne entstehen. Projekte kommen mir in den Sinn, die ich angehen will. Der Kopf ist frei. Die Erleichterung verdrängt das Belastende. Lebensfreude erweckt meine gequälte Seele. Ich bin zurück. Ich bin endlich wieder Teil des pulsierenden Lebens. Die alles beherrschenden Gedanken an den Tod kommen mir auf einmal unendlich lächerlich vor. Ich will leben, schreit es in mir. Ich will ab sofort nur noch positiv Denken und andere glücklich machen. Ich will meiner Familie und den Freunden mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ich spüre, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Es gelingt mir sogar, meine Gefühle offen zu zeigen. Die Augen lachen wieder, die Seele erfreut sich des Lebens. Alles ist gut!
Aber ist es das wirklich? Bedarf es dazu nicht mehr? Braucht es dazu nicht auch Menschen, die diese Freude mit mir teilen? Die mich auf dem schwierigen Weg begleiten und unterstützen? Mich nicht allein lassen?
Die Söhne sind aus dem Haus. Nur meine Frau habe ich noch. Sie ist mein ein und alles. Ich liebe sie. Ich bin bereit, für sie alles auf mich zu nehmen, jede Entbehrung und jeden Schmerz. Ich bin bereit, sie mit meinem Leben zu verteidigen und zu beschützen, selbst wenn ich ein Verbrechen begehen müsste. Aber. Liebt sie mich auch? Weiß sie, dass sie mich dreifach in Besitz genommen hat? Mein Herz, den Verstand, die Seele?
Den Verstand hat sie mit ihrem Desinteresse besiegt, mein Herz hat vor ihrer Frigidität kapituliert und die Seele hat infolge ihrer Teilnahmslosigkeit aufgegeben. Aber. Gibt es überhaupt eine menschliche Seele?
Verstand, Vernunft und Gefühle sind real. Daran glaubt jeder und muss nicht erst von deren Existenz überzeugt werden. Aber eine Seele? Handelt es sich bei ihr um etwas Alleinstehendes, Einzigartiges, etwa um die Gesamtheit aller Gefühlsregungen und geistigen Vorgänge beim Menschen? Oder hat sie eine mythische, religiöse, philosophische Bedeutung oder handelt es sich um die Sichtweise der Überlieferung, Sitten und Gebräuche aus der Frühzeit und ihrer Lehren? Einem Sammelbegriff für die vielfältigen Empfindungen, Gemütsbewegungen, Stimmungen, Emotionen usw., die das Handeln und die Vorgänge in unserm Körper und Geist steuern? Oder ist sie gar die Grundvoraussetzung zur Wahrnehmung von Mitleid, Moral und persönlicher Verantwortlichkeit?
Egal. Was ich mit Bestimmtheit sagen kann, ist, dass familiäre Ereignisse meine Seele quälen. Wie spitze Nägel drücken sich diese gewaltsam in die Erinnerung, verursachen Schmerzen, sie formen aber auch und sorgen sowohl für positive als auch negative Lebenserfahrungen.
Lassen wir das Metaphysische und kehren zur Realität zurück. Meine Frau ist die Siegerin, ich der Unterlegene. Das bedeutet eine erhebliche Zäsur in unserer Beziehung. Auch eine Chance für einen Neuanfang? Besitzt sie die für eine lebenswertere Zukunft erforderliche ethische Haltung, die ihr derzeitiges gefühlloses Handeln mir gegenüber anders werden lässt? Habe ich nicht einen Anspruch auf Empathie? Auch wenn sie mich als Feind ansieht? Meine letzte, mir verbliebene Waffe, was zu verändern, ist mein emotionales Elend. Inzwischen eine stumpfe Waffe.
Abweisend ist sie mit den Jahren geworden. Gefühlskalt und mitleidslos. Bin ich schuld daran? Ist es meine Depression? Sie interessiert sich nicht mehr für mich. Fragt nicht, wie es mir geht. Lebt neben mir her. Ihre Blicke sind kalt, ihr Wesen reserviert. Sie hat die Traurigkeit unserer Beziehung in sich aufgesogen. Ihre matten Augen strahlen sie nun aus.
Ich schaue sie ein ums andere Mal flehentlich an. Die Augen als Spiegel meiner beklagenswerten Seele. Erkennt sie, wie sie nach Hilfe schreit? Wie sie ruft: „Umarme mich, nimm mich in die Arme. Sag was Nettes, lächle mich an“. Mehr verlange ich gar nicht. Ihre Miene bleibt dennoch unverändert. Hart und abweisend. Die Distanziertheit zwischen uns nimmt von Tag zu Tag zu. Am Anfang nur wenige Schritte, inzwischen eine unüberbrückbare Distanz. Wir streben keinem gemeinsamen Ziel mehr zu, entfernen uns mehr und mehr voneinander, sowohl körperlich als auch seelisch. Ich will meinen Frieden und sie den ihren. Dass es sich dabei um den gleichen handeln könnte, kommt uns mit unseren geistigen Scheuklappen nicht in den Sinn. Auch wenn wir uns inzwischen gleichgültig sind, können wir uns nicht in Ruhe lassen. Warum nur?
Ich mime den Gelassenen, obwohl es in meinem Inneren brodelt. Mein nachsichtiger Blick muss für sie die größte Provokation enthalten. Ich frage mich, ob nicht eine innere Glut ihre gespielte Kälte überzieht. Wir spielen uns die seelischen Kränkungen wie in einer Ping-Pong Partie zu. Partner, die sich innig hassen, so wie sie sich einst geliebt haben.
Mein Existieren ist Ballast für sie geworden und diesen hat sie, vermutlich ohne es zu wissen, längst abgeworfen. Ich habe es schon lange geahnt, mittlerweile ist es zur Gewissheit geworden. Trotzdem warte ich jeden Tag auf die Gelegenheit, eine Brücke zwischen uns zu bauen. Wenn nur das Fundament tragfähig genug wäre.
Liebe, Toleranz, Harmonie, Freude am Leben, Lachen. Nichts dergleichen.
Was habe ich ihr angetan? Was für einen Anlass habe ich ihr gegeben, mir gegenüber so kalt zu werden? Ich brauche sie doch. Ohne sie schaffe ich es nicht. Ich benötige ihre Zuneigung, wie die Pflanzen die Sonnenstrahlen. Ihre Liebe gibt meinem Dasein Sinn und Substanz, ihre Gegenwart lässt den Verstand wie wild tanzen, das Herz unkontrolliert atmen und die Augen füllen sich mit unendlicher Liebe. Ihre Nähe verleiht blassen Blumen Farbe. Ihre Umarmungen machen aus geschmacklosen Früchte süße. Ihr Lachen klingt wie das Zwitschern der Vögel. Ihre Zuneigung ist mir wertvoller als alles Gold der Erde. Ihr zartes Antlitz lässt alle Edelsteine neben ihr verblassen. Sie ist der Magnet, der mich am Leben hält. Aber die Anziehungskraft schwindet. Weshalb duldet Gott solche Antagonismen? Einerseits so schön, andererseits so kalt und unnahbar. Warum nur?
Sie erkennt die flehenden Blicke nicht. Kann sie nicht erkennen, weil sie mir den Rücken zukehrt. Meine Lebensenergie schwindet, weil mich niemand hält und mir die Wärme vermittelt, die ich zum Leben brauche. Wie die meisten an Depression erkrankten Menschen treibt mich die Angst vor der geistigen Leere um, die sich mit der Isolation auftut und mir ein freudloses Dasein bestimmt. Doch ich bin machtlos und habe nicht die Kraft, dagegen, was zu unternehmen. Aber, allein gelassen, kann ich nicht überleben.
Soll ich um Unterstützung betteln? Nein. Auf keinen Fall. Das Fundament für uneigennützige Hilfe ist Liebe. Sie wäre das rezeptfreie Heilmittel, Depressionen zu kurieren. Nur werden Depressive selten geliebt. Betteln heißt erniedrigen. Erniedrigen bedeutet aber Entwürdigung, das Ende jeder Beziehung.
Ich demütige mich trotzdem und bitte sie um Hilfe. Ich tue alles, um nicht erneut in die depressive Phase zu verfallen. Umsonst. Das Resultat ist niederschmetternd. Sie will nicht meine Krankenschwester sein, sagt sie, obwohl ich das nicht verlangt habe. Ich habe nur nach zärtlichen Berührungen, nach einem warmen Lächeln, nach aufmunternden Worten gebeten. Nein, sagt ihr Blick unbarmherzig. Sie lässt meine Bitte abprallen, wie eine Steinmauer einen Fußball. Ein Herz aus Eis. Unausgesprochen bleiben die Äußerungen, die ihre Augen mir sagen: „Plane deine Zukunft ohne mich, denn ich wünsch mir ein Leben ohne Probleme. Und du bist mein größtes Problem.“
Vor langer Zeit haben wir uns versprochen, zusammenzuhalten und uns zu unterstützen, in guten, wie in schlechten Zeiten. Worthülsen ohne Inhalt. Ausgesprochen aufgrund Tradition. Nicht aus Liebe und innerer Überzeugung.
Diese Erkenntnis ist bedrückend. Ich bleibe einsam und auf mich allein gestellt. Mein optimistischer Ausflug zurück ins Leben wird jäh beendet. Mein Weg führt mich dorthin, wo ich hingehöre. In ein Zuhause ohne Familie, zurück in den dunklen Tunnel. Aus einem Subjekt aus Fleisch und Blut, mit Gefühlen und Bedürfnissen, wird ein seelenloses Objekt, ein winziges Elementarteilchen in der großen weiten Welt der Dunkelheit. Unerkannt und unbeachtet. Alles um mich herum wird abermals schwarz. Der helle Punkt am Ende des Tunnels wird unerwartet schnell kleiner. Es dauert nicht lange, dann hat er die Größe eines Atoms erreicht. Nur mehr zu erahnen, anstatt wahrzunehmen. Die Dunkelheit hat mich wieder. Dieses Mal unwiderruflich. Das macht mir Angst. Angst davor, ein für alle Mal verloren zu sein. Angst vor dem Tod, auch wenn sich das Leben nicht mehr lohnt. Eine endgültige Absage an das irdische Dasein. Mein Urteil über die abgestumpfte Welt mit seinem Egoismus fällt hart aus. Jede Besserung erscheint unrealistisch und aussichtslos. Ich kapituliere. Ich entscheide mich für den Freitod.
Ich will aber noch nicht aufgeben. Ich weiß, dass ich noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft habe. Ich muss unbedingt zurück ins Leben. Ich werde bis zur Erschöpfung kämpfen. Nur die Schwachen geben sich der Verzweiflung hin. Doch etwas Unsichtbares lähmt meine Bewegungen, entleert meine Lebensbatterie. Die Depression hat mich mit ihren unzähligen Fangarmen umschlungen. Ich schlage um mich. Will mich von dem Ungeheuer befreien. Je mehr ich Widerstand leiste, desto fester hält es mich. Mein einsamer Kampf ist hoffnungslos. Ist das das Ende? Endgültig?
Ich benötige immer öfters professionelle Hilfe. Dringend. Denn ich will leben. Allein schaffst du es nicht, schreit mein Innerstes. Der Psychiater ist die letzte Chance. Er muss mir die Energie zurückgeben, die ich im Kampf um meine Frau und gegen die Depression verbraucht habe und die nicht mehr zurückkehren will. Aber dazu bedarf es eines Wunders. Diese gibt es nur in Märchen, nicht in der Wirklichkeit. Er kann den psychischen Zusammenbruch verzögern, aber nicht verhindern. Allerdings, ohne die Mitwirkung meiner Frau, ist auch er machtlos.
Doch auf die kann ich nicht zurückgreifen, obwohl sie vor mir steht. Sie wendet mir den Rücken zu, wie so oft und beachtet mich nicht. Man kann aber nicht, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben, unbeirrt und ohne Erwiderung in einen zugekehrten Rücken reden. Ich schweige also besser. Das Bösartige dabei ist, dass ich insgeheim hoffe, dass gerade dieses Schweigen mehr auffällt, als die Worte, die ich bisher gesprochen habe. Dass sie in ihrem Rücken etwas spürt und sie sich umdreht, um nachzusehen, welche Ruhe sie da stört. Mein letzter verbliebener Verbündete. Der Effekt der Stille.
Doch das Aushalten und Ausnutzen der Stille muss erst erlernt und trainiert werden. Schweigen ist der Ausstieg aus der zwischenmenschlichen Kommunikation und kann in verschiedenen Formen auftreten. Es kann hartnäckig und zustimmend sein, schmollend, bedeutsam, gleichgültig, lustlos, fassungslos, eisig, verschämt, diskret, erzwungen oder gar tödlich. Jeder suche sich das seine aus. Japaner sind uns da weit voraus. Deren zen-buddhistische Tradition beruht fast gänzlich aus Stille-Training. Sie wissen daher am besten, wann sie richtig eingesetzt wird. Leider bin ich kein Japaner, der den Effekt der Stille passend zu gebrauchen weiß.
Egal, denn auch diese Hoffnung zerplatzt wie eine Seifenblase. Meine Frau ist unbarmherzig und gnadenlos. Verzweiflung und unendliche Traurigkeit bemächtigen sich meiner. Schmerzhaft muss ich akzeptieren, dass ich lange einer Illusion nachgejagt bin. Ich gebe niedergeschlagen auf. Etwas, das ich an mir bisher nicht gekannt habe. Weitere Anstrengungen lohnen sich nicht. Für wen denn? Nur für mich? Ich bin mir inzwischen schon längst egal. Gekämpft habe ich immer nur um die Zuneigung meiner Frau. Liebe ist die seelische Grundvoraussetzung für ein glückliches Leben. Ist sie erloschen, wird sie zu einer Last des Daseins, denn unerfüllte emotionale Bedürfnisse empfinde ich als unangenehm und bedrohend. Aber ohne ihr Zutun, ohne ihre Hilfe, ist mein Kampf aussichtslos. Das ist das Ende. Ich verliere endgültig die Angst vor dem Tod, sehe in ihm das allergrößte Glück. Ich habe vor nichts und niemandem mehr Respekt. Auch vor Gott nicht und dem Glauben.
Die Erkenntnis ist beängstigend. Unlösbar gekettet an die Finsternis. Eine Symbiose mit dem Tod. Es gibt keinen Weg zurück ins Leben. Alleingelassen und aufgegeben. Vergessen auch?
Ich schließe die Augen und denke an den Tod. Die Erlösung des Leidens? Eine bedeutungsvolle Dunkelheit legt sich um mich. Umarmt und streichelt mich liebevoll. Eine sanfte, liebliche Stimme sagt: „Komm zu mir, ich liebe dich.“ Der Tod zeigt sich von seiner angenehmen Seite. Ich bin ihm dankbar dafür. Keine Schmerzen, keine Traurigkeit. Sehnsucht durchströmt mich.
In meinen, durch Hoffnungslosigkeit aufkommenden Gedanken, nehme ich trotz allem einen winzigen Silberstreifen am Horizont wahr. Unendlich weit weg. Ich beobachte den immer kleiner werdenden Punkt. Gleichzeitig spüre ich, wie mein Lebensmut mit ihm erlischt. Ich strebe nicht mehr nach einem irdischen Dasein. Wieder einmal. Leben bedeutet Enttäuschung, Verzweiflung, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Belastung. Außerdem Kampf und Niederlage, Schmerzen und Leid, Krankheit und Qual, Trauer und Depression. Nur der Tod kann mich von dem quälenden Elend erlösen. Ein Ende mit Schrecken? Nein, nur ein Ende. Ich schließe die Augen und erwarte den Kuss des Todes.
Die Würfel sind gefallen. Ich habe verloren. Ich treffe eine Entscheidung. Gegen das Leben, für den Tod. Endlich kann ich den unsichtbaren Rucksack mit meinem schweren Ballast ablegen. Es wird mir gleich leichter um die Seele. Ich fühle mich mit einem Mal befreit und unbeschwert. Ich muss mich nicht mehr verstellen. Ich darf der sein, der ich bin, der ich sein will. Niemand nimmt Anstoß daran. Das tut gut. Ich kann lachen, wenn es mir danach zumute ist, kann weinen, wenn ich traurig bin. Ich weine oft. Leise und einsam.
Ich kapsle mich ab und ziehe mich immer mehr in mein Schlafzimmer und Büro zurück. In Gedanken forme ich mir die Welt, von der ich stets geträumt habe. Eine Welt ohne Schimpfen, ohne Vorwürfe, ohne Aggression, ohne Krieg, ohne Einsamkeit, ohne Sehnsüchte, aber mit Bedürfnissen wie Zärtlichkeit und Liebe, Respekt und Toleranz. Eine heile Welt. Utopisch? Unerreichbar? Im realen Leben ja. In der Welt der Phantasie nicht.
In meiner naiven Gedankenwelt verdränge ich die Probleme. Ich wünsche mich auf eine einsame Insel der Glückseligkeit. Dort enttäusche ich keinen mehr. Ich bin für niemanden eine Belastung. ICH darf ICH sein. Mein Traum macht mich glücklich. Ein wunderbares Konstrukt. Irreal und phantastisch. Statt Illusionen nun Halluzinationen? Flüchte ich von einer Sinnestäuschung in die nächste? Lässt sich meine Seele irreführen? So simpel? Nein. Sie spielt nur einen Moment mit. Dann holt mich die Realität wieder ein.
Die Welt ohne Schatten hält mich weiterhin gefangen. Ich wehre mich nicht mehr, ich gebe mich ihr willenlos hin. Sie liebkost mich. Ich spüre ihr Streicheln, ihre leidenschaftlichen Küsse. Die langentbehrte Zärtlichkeit. Endlich erhalte ich, was ich mir so sehnlichst gewünscht habe. Bekomme ich Wahnvorstellungen?
Je dunkler es in meinen Gedanken wird, desto heller wird es im Herzen. Kommt das Leben zu mir zurück? Nein. Die Erinnerung löscht das aufflackernde Feuer sofort wieder. Abrupt und gnadenlos. Sie vergisst nichts. Eine Fata morgana, verursacht durch einen illusorischen Wunsch nach Liebe. Der Wahnsinn lässt grüßen. Egal.
Es wird Zeit, mich zu verabschieden. Ohne Schmerzen und Wehmut. Aber für immer. Meine Gedanken und Gefühle sind nun eins. Sie ergänzen und verstehen sich. Ohne Worte, wie ein glückliches Paar. Kein Glück auf Zeit, nein, ein Glück für die Ewigkeit. Ein unerfüllbarer Traum im hier und jetzt, nicht in der Welt der Gedanken. Ich liebe die Düsternis. Sie liebt mich. Selbstlos und treu bis ins Jenseits. Ein beneidenswertes Sein in geistiger Umnachtung. Nie wieder will ich sie verlassen. Sie ist das Glück, für das es sich gelohnt hat, zu kämpfen.
Sie ist meine Geliebte, sie hilft mir. Sie umhüllt mich schützend mit ihrem undurchdringlichen Mantel und gibt mir das Gefühl der Geborgenheit, auf die ich so lange verzichten musste. Ich bin nicht mehr allein. Das beruhigt mich. Ich habe eine kreative Gefährtin.
Gemeinsam sind wir stark und unbesiegbar. Nie wieder Leben. Ewige Nacht. Wir umarmen uns. Wir lassen nie mehr voneinander los. Wir gehören zusammen.
Ich bin am Ziel. Endlich vereint mit meiner Geliebten. Für immer glücklich. Der Tod vermählt uns.
Apathisch liege ich im Bett. Die Augen geschlossen. Empfindungslos, gleichgültig und lethargisch. Die Brust hebt und senkt sich gleichmäßig. Ich atme, also lebe ich. Wie lange noch?
Mein Körper ist gefühllos. Ich nehme ihn nicht wahr. Dafür die gequälte Seele umso mehr. Sie ist verletzt und blutet. Man sieht es nicht. Nur äußerliche Wunden kann man sehen. Die psychischen bleiben verborgen. Körperliche Schmerzen kann man einer Behandlung unterziehen. Sie vergehen wieder. Werden geheilt, auch wenn Narben zurückbleiben. Die Seele kann man nicht behandeln. Deren Wunden heilen nie. Sie bleiben ewig, um zu erinnern. Die Seele weint lautlos. Ihre Tränen kann man nicht sehen, ihre Schmerzensschreie nicht hören. Martyrium ohne Ende.
Die Gedanken rasen, lassen sich nicht einfangen und sortieren. Sie entwischen mir immer wieder, weil sie nicht greifbar sind. Leider gibt es in meinem Kopf keine Hände, die zupacken und sie festhalten. Sie foppen mich und rufen mir zu: „Hier bin ich. Fang mich doch.“ Ein Spiel, bei dem der Verlierer von Anfang an feststeht. Mir fällt es daher schwer, mich auf etwas zu konzentrieren. Deswegen fokussiere ich mich auf das Gehör. Nehme Vogelgezwitscher und das Rauschen des Windes durch die Baumwipfel wahr. Vertraute und angenehme Geräusche, die mich ablenken. Für einen Moment kommt Freude auf. Wir haben Herbst. Für mich die abwechslungsreichste Jahreszeit. Sie veranschaulicht die Vergänglichkeit allen Lebens. Auch in meinen Gedanken und im Herzen. Wird es mein letzter Herbst werden? Erlebe ich noch einen Winter, Frühling oder Sommer? Unwichtig.
Ich wühle mich tief in mein Kissen. Will nichts mehr hören und sehen. Nur allein sein. Ich, und meine Empfindungen. Mir gelingt es, alles um mich herum auszublenden. Bleierne Müdigkeit umfängt mich. Mein Gehirn passt sich diesem entspannten Zustand dankenswerterweise an. Für einen Moment wünsche ich mir, allein auf der Welt zu sein. Ein Traum. Wie lange kann ich ihn halten?
Die Blase stört mein Wohlbehagen. Wie prosaisch und lächerlich. Ich stehe auf, erleichtere mich, schaue in den Spiegel. Ich erschrecke. Ein alter Mann schaut mir entgegen. Bleiches Gesicht, verquollene Augen, strähnige Haare. Traurig und müde sieht er aus. Sein Blick schreit nach Hilfe. Ich brauche selber Hilfe. Wir teilen unsere Schmerzen. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ich habe Mitleid mit ihm. Ich fühle mit ihm. Mein Leib lebt noch, die Seele auch, solange sie noch Mitgefühl empfindet.
Ich verlasse den alten Mann und stelle mich erneut der erbarmungslosen Wirklichkeit. Es kostet mich unheimlich viel Kraft und Überwindung. Ich erwarte nichts mehr vom Diesseits. Es ist grausam zu mir, quält mich. Was habe ich verbrochen? Ist es eine Prüfung Gottes? Eine Strafe? Egal. Leid ist ein Zustand und keine Krankheit. Man muss es aushalten oder die Konsequenzen ziehen. Ich habe es lange ausgehalten und gegen die Widrigkeiten gekämpft. Umsonst.
Wenn ich Schuld auf mich geladen habe, welche? Weil mir der Zusammenhalt der Familie und ein harmonisches Eheleben wichtiger sind, als meine persönliche Freiheit? Weil ich versuche, Konflikte zu vermeiden, anstatt sie offen auszutragen? Weil ich das Recht meiner Frau gebrochen habe? Welches Recht, das ich nicht auch für mich in Anspruch nehmen könnte? Weil ich ihr meine Zuneigung entzogen habe, so, wie sie mir? Weil ich sie ignoriere, wie sie mich? Weil ich sie kränke, wie sie mich? Weil ich sie bestrafe? Weil ich ein ausgeprägtes Bewusstsein habe und mir das Recht nehme, mich selbst zu gestalten und nicht gestaltet zu werden, mich mitzuteilen und Anerkennung zu suchen? Kann es sein, dass ich Rache als Verdrängter, als Ausgestoßener nehme?
Jeder Mensch definiert Moral, Persönlichkeit und Werte unterschiedlich. Liegt darin die Ursache für unsere Gegensätzlichkeiten, für unsere andauernde Streitereien?
Hat nicht jedes Individuum seine Rechte? Vielleicht nicht so sehr einen Anspruch auf Glück, denn es gibt kein institutionelles Anrecht, um einen Menschen glücklich zu machen, aber doch ein Recht, nicht unglücklich gemacht zu werden. Was aber bedeutet Recht. Gab es Rechte schon immer oder erfinden wir sie nur eins nach dem anderen? So, wie wir sie gerade brauchen und sie uns nützlich sind? Ich frage mich, ob das ständige Gerede über Rechte nicht sogar die moralische Vorstellungskraft in uns abtötet. Oder anders ausgedrückt: Die Existenz der Rechte tötet alle anderen moralischen Erwägungen ab.
Eine weitere Frage tut sich auf. Wie soll man agieren, wenn sich zwei scheinbar unvereinbare Rechte gegenüberstehen? Wenn jeder meint, „sein“ Recht sei das fundamentalere? Dann ist zu befürchten, dass die Auseinandersetzung auf der Stelle tritt und man nicht weiterkommt, geschweige denn zu einer Entscheidung, mit der beide Seiten leben können. Dann braucht man einen Vermittler, was unweigerlich bedeutet, dass man unbeteiligte Dritte in seinen Streit hineinziehen muss.
Ich gleite wieder einmal ins Philosophische ab. Ich sollte mich mehr mit den realen Umständen befassen. Wenn sich was ändern soll, dann helfen keine tiefsinnigen Gedanken, dann muss man handeln und Fakten schaffen.
In einer Paarbeziehung gibt es reinigende Rituale, die zum Erhalt des Glücks beitragen. Entschuldigungen waschen die Schuld ab. Zärtlichkeit und Einsicht als Buße. Wieso nicht bei uns? Diese tollen Chancen, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Warum lassen wir sie ungenutzt verstreichen? Unerfüllbare Illusionen?
Ich fühle mich als Verräter an der Liebe. Meine Strafe ist die seelische Qual. Ist diese Bestrafung zu mild? Muss ich erst restlos zerstört und den Elementen übergeben werden? Dem Feuer, das mich verbrennt. Dem Wasser, das mich ertränkt. Der Luft, die man mir nimmt. Kann erst Friede einkehren, wenn mich die Erde bedeckt?
Bin ich mit einer Xanthippe verheiratet, einer unentwegt kreischenden Megäre, die meint, mich erziehen zu müssen und mir dadurch das Leben zu Hause schwer macht? Will sie aus mir den perfekten Mann machen? Nach ihren Vorstellungen geformt, indem sie mir alle Freiheiten entzieht und meine Gefühle ignoriert? Warum entscheidet sie sich für Hass, Schimpfen und Bestrafen, anstatt mit Liebe ihr Ziel zu erreichen? Der Urheberin allen Begehrens zweier Menschen nach vollkommener Zweisamkeit sowie körperlicher und geistiger Vereinigung? Erkennt sie überhaupt, dass es Alternativen für ihren belastenden Weg gibt?
Meinen mahnenden Worten schenkt sie keinerlei Beachtung. Aber, auf wen könnte sie hören? Sie braucht ebenso professionelle Hilfe wie ich. Ihr fehlt jedoch die Einsicht, etwas falsch zu machen. Sie sieht keine Veranlassung, an sich und ihrem Auftreten und Verhalten was zu ändern. Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit. Ein Teufelskreis.
Es bereitet mir daher Unbehagen, in derselben Welt zu leben, wie sie, dieselbe Luft zu atmen, wie sie. Ihre Anwesenheit irritiert mich und macht mich unsicher. Äußerlich wirkt sie immer so beherrscht, aber auch von Kummer gezeichnet. Ihre kontrollierte Härte überdeckt sie mit einer großen Bedürftigkeit nach Anlehnung. So jedenfalls lese ich ihren Gesichtsausdruck. Ihr fehlt jedoch der Mut, dies mir gegenüber zu äußern. Mich hält der Stolz und gekränkte Gefühle davon ab, sie in den Arm zu nehmen. Verlierer auf beiden Seiten.
Meine Existenz scheint ihr unerträglich geworden zu sein. Das macht mich unglücklich. Ich muss sie von mir befreien, verschwinden, damit sie endlich ihren Frieden finden kann. Ich bin bereit, mein Leben zu geben. Ein letzter Liebesbeweis. Ich liebe sie trotz aller Probleme und bin entschlossen, alles zu tun, was sie glücklich macht.
Wenn es mir besonders schlecht geht und ich mit meinem Schicksal hadere, denke ich an einstmals glückliche Zeiten. Ich kann mich noch genau erinnern, wann und wie ich meine Frau vor vierzig Jahren kennengelernt habe. Als Polizist hatte ich regelmäßig im Gericht zu tun. Mit der Zeit freundete ich mich mit Sekretärinnen und jungen Staatsanwälten an. Jeden Freitag trafen sie sich nachmittags in einem Café in unmittelbarer Nähe des Gerichtsgebäudes. Eines Tages bekam ich eine Einladung, mich dieser Runde anzuschließen. Gerne sagte ich zu, denn die Gruppe bestand hauptsächlich aus Frauen. Mit der Zeit lernte man sich näher kennen und erfuhr einiges über die einzelnen Mitglieder der Runde.
Eines Tages machte eine Protokollführin den Vorschlag, mich mit einer neuen Kollegin der Schreibkanzlei bekannt zu machen. Sie meinte, dass wir ideal zusammenpassen würden. Natürlich lehnte ich dieses Ansinnen mit der Begründung ab, nicht auf Partnersuche zu sein. Meine Neugier war jedoch geweckt worden. Man beschrieb die Kollegin aufs Genaueste und zählte nur positive Seiten auf. Am Freitag darauf begann der Weihnachtsmarkt. Man entschied, die Caférunde dorthin zu verlegen. Eine halbe Stunde vor der ausgemachten Zeit befand ich mich bereits ein, nervös und mit klopfendem Herzen. Nach und nach trudelten alle ein, nur die Hauptperson wollte nicht kommen. Mit der Zeit fand man sich damit ab, dass ich versetzt worden sei. Nur ich nicht. Ständig starrte ich dort hin, wo sie herkommen musste. Es fiel mir schwer, mich am Gespräch der anderen zu beteiligen. Schließlich sah ich eine junge bildhübsche Frau, die schnellen Schrittes in Richtung Weihnachtsmarkt marschierte. Ihre Augen schweiften hektisch hin und her, offensichtlich jemanden suchend. Für mich war sofort klar, das musste sie sein. Zumindest handelte es sich um den Wunsch, dass es sich bei ihr um diejenige handle, derentwegen ich so nervös war. Impulsiv hob ich den Arm und winkte zaghaft. Tatsächlich erkannte sie mein Zeichen, sah ihre Kolleginnen, winkte zurück und setzte das bezauberndste Lächeln auf, das ich je bei einer Frau bis dahin gesehen hatte.