Der Abgrund jenseits der Träume - Peter F. Hamilton - E-Book
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Der Abgrund jenseits der Träume E-Book

Peter F. Hamilton

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Beschreibung

Endlich kehrt Peter F. Hamilton zu seinem beliebtesten Universum zurück. Auf diesen Band, Teil des »Commonwealth«-Zyklus und zugleich idealer Einstieg für Neuleser, haben die Fans seit Jahren gewartet: Was liegt hinter der Leere, der gefährlichsten Anomalie der Galaxis, die niemand zuvor durchquert hat? Die Leere ist ein gewaltiges, machtvolles Gebilde, mysteriöser und gefährlicher als alles im Universum. Als ein selbsternannter Prophet von dort Traumbilder empfängt, die auf eine bevorstehende Katastophe hindeuten, wird Nigel Sheldon beauftragt, zur Leere zu reisen. Er soll alles über den Ursprung der Träume herausfinden und die letzte Grenze überschreiten. Und was er entdeckt, wird über das Schicksal aller Zivilisationen entscheiden ...

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Veröffentlichungsjahr: 2015

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Für meinen Agenten Antony HarwoodNach zwanzig Jahren ist es wohl allmählich an der Zeit, Danke zu sagen.Übersetzung aus dem Englischen von Wolfgang ThonISBN 978-3-492-97124-9Oktober 2015© Peter F. Hamilton 2014Deutschsprachige Ausgabe:© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2015Karte: ML DesignCovergestaltung: Guter Punkt, München unterVerwendung einer Vorlage von David G. StevensonCovermotiv: Chester OrwellDatenkonvertierung: Fotosatz Amann, MemmingenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Commonwealth-Zeitleiste

1000000 v. Chr. (Schätzwert)   Eine Armada der Raiel dringt in die Leere ein. Sie kehrt niemals zurück

n. Chr. 1200   Das Heimatsystem der Prime-Spezies und der Stern der abtrünnigen Prime-Kolonie (Dyson-Paar) werden von den Anomine hinter einem Kraftfeld isoliert

1900   Der Starflyer strandet auf Far Away, 400 Lichtjahre von Terra entfernt

2037   Erster Versuch einer menschlichen Rejuvenation durch Jeff Baker

2050   Nigel Sheldon und Ozzie Fernandez Isaacs öffnen ein Wurmloch auf den Mars

2057   Ein Wurmloch nach Proxima Centauri wird geöffnet. Beginn der interstellaren Kolonisation

2100   Acht neue Welten werden besiedelt. IntersolarCommonwealth Council, das »Parlament der Welten«, wird offiziell ins Leben gerufen

Seit 2100   Massive Expansion menschlicher Besiedlung auf H-kongruenten Planeten. Aufstieg der Big15-Industriewelten

2102   Huxley’s Haven wird gegründet

2150   Prime Star verschwindet vom Himmel – unbemerkt

2163   HIGH ANGELentdeckt Icalanise im Orbit

2222   Geburt von Paula Myo auf Huxley’s Haven

2270   Das Prime Star-Paar wird als Dyson Emission Spectrum-Zwillinge identifiziert

2380   Dudley Bose beobachtet das Verschwinden von Dyson Alpha

2381   Das Raumschiff SECOND CHANCEfliegt nach Dyson Alpha

2381–2383   Starflyer-Krieg

2384   Die erste Kolonisierungsflotte (Brandt-Dynastie) bricht auf, um eine Menschenkolonie außerhalb des Commonwealth zu gründen

Seit 2545   Einsatz von Großraumschiffen, um »Externe« Commonwealth-Welten zu etablieren

2550   Aufbau der Commonwealth-Navy-Explorationsflotte, um die Galaxie jenseits der Externen Welten (Phase-Fünf-Raum) zu erforschen

2552(–3450)   Kontakt zu 47 intelligenten (physikalische Entwicklungsstufe) Spezies in der Galaxie

2560   Das Commonwealth-Schiff ENDEAVOUR umrundet unter Captain Wilson Kime die Galaxie, Entdeckung der Leere

2603   Die Navy stößt auf das 7. HIGH-ANGEL-Typ-Schiff

2620   Die Raiel bestätigen ihre Identität als uraltes Volk der Galaxie, das einen Kampf gegen die Leere verlor

2833   Vollendung der ersten Stufe von ANA (Advanced Neural Activity) auf Terra; Mitglieder der Großen Familien beginnen, ihre Erinnerungen in ANA statt in die SI downzuloaden

2867   Das Gigalife-Projekt der Sheldon-Dynastie erweist sich als teilweise erfolgreich; es folgen erste biononische Ergänzungen des menschlichen Körpers zur Regeneration und zu allgemeinmedizinischen Zwecken

2872   Geburtsstunde des Higher-Menschen; biononische Ergänzungen ermöglichen eine Zivilisationskultur mit allmählich fortschreitend hoher Lebenserwartung; Abwendung von Wirtschaftsökonomie und alten politischen Ideologien

2913   Auf Terra beginnt man, »gereifte« Menschen aufzunehmen, die »Migration nach Innen« setzt ein

2984   Formierung radikaler Higher, die das Ziel verfolgen, die gesamte menschliche Spezies zu einer Higher-Kultur umzuwandeln

3001   Ozzie erzeugt einen einheitlichen neuralen Verschränkungseffekt, auch als GaiaField bekannt

3040   Die Explorationsflotte der Commonwealth-Navy wird eingeladen, sich Centurion Station anzuschließen, dem Leeren-Observationsprojekt unter Leitung der Raiel und der Beteiligung von mehr als 30 Alien-Spezies

3120   ANA wird offiziell Regierung von Terra, Planetenbevölkerung fünfzig Millionen (aktivierte Körper) und abnehmend

3126   Die Brandt-Dynastie startet ihre transgalaktische Kolonisierungsflotte

3150   Besiedlung der Externen Welt Ellezelin

3255   Kerry, Radikaler Angel, erscheint auf Anagaska, Inigos Empfängnis

Derzeitige Ära (genauer Zeitpunkt ungewiss)   Edeard wird in der Leere geboren

3320   Inigo begibt sich ins Centurion-Sonnensystem, sein erster Traum

3324   Inigo lässt sich auf Ellezelin nieder, gründet die Living-Dream-Bewegung und beginnt mit der Errichtung von Makkathran2

PERSONEN

Commonwealth

Nigel Sheldon – Erfinder der Wurmloch-Technologie

Paula Myo – Senior Investigator (Abtlg. Schwerverbrechen)

Inigo – Gründer der Living Dream Bewegung

Raumschiff Vermillion

Cornelius Brandt – Captain

Laura Brandt – Molekular-Physikerin

Ibu – Professor für Gravatonics

Joey Stein – Hyperraum-Theoretiker

Ayanna – Quantenfeld-Physikerin

Rojas – Shuttle-Pilot

Bienvenido

Slvasta – Soldat,Cham-Regiment, Revolutionsführer

Ingmar – Soldat, Cham-Regiment, Slvastas Freund

Quanda – Förster-/Farmertochter (Faller)

Bethaneve – Steuerbeamtin, Revolutionsführerin

Javier – Fleischfabrikarbeiter, Revolutionsführer

Coulan – Bürokrat, Revolutionsführer

Arnice – Major, Joint Regimental Council

Lanicia – Debütantin

Gelasis – Colonel, Joint Regimental Council

Bryan-Anthony – Anführer, Bürgermeister (Democratic Unity)

Philious – Captain (Regierungsoberhaupt)

Aothori – First Officer

Trevene – Chef der Captain’s Police

Gravin – Professor, Leiter des Faller Research Institute

Kysandra – Besitzerin der Blair-Farm (Blair-Hof)

Jaix – Verlobte von Arnice

Sarara – Kysandras Mutter

Ma Ulvon – Unterweltchefin

Akstan – Ma Ulvons Sohn

Julias – Ma Ulvons Sohn

Russell – Ma Ulvons Sohn

Madeline – Bordellmutter, Hevlin-Hotel

Proval – ein Faller

Demitri – ANAdroid

Marek – ANAdroid

Valeri – ANAdroid

Fergus – ANAdroid

Yannrith – Ex-Sergeant, Cham-Regiment

Andricea – Ex-Soldatin, Cham-Regiment

Tovakar – Ex-Soldat, Cham-Regiment

BUCH EINSSiebenundzwanzig Stunden und zweiundvierzig Minuten

Laura Brandt kannte die Ausstiegsprozedur aus einer Suspensionsröhre in- und auswendig. Diese ähnelte dem Ende des altmodischen Rejuvenations-Prozesses, dem Laura sich unterzogen hatte, bevor biononische Ergänzungen und Advancer-Gene in die menschliche DNA eingefügt worden waren und den Alterungsprozess praktisch ausgelöscht hatten. Zuerst kam die langsame, behagliche Reise zum Erwachen des Bewusstseins, während der Körper behutsam aufgewärmt wurde und Nährlösungen sowie Betäubungsmittel jedes Gefühl von Unbehagen und Orientierungslosigkeit dämpften. War man dann richtig wach und bereit, die Augen aufzuschlagen, erschien es einem, als erwachte man aus einem wirklich angenehmen Schlaf, bereit, dem Tag voller Begeisterung und erwartungsvoll entgegenzutreten. Ein reichhaltiges Frühstück mit Pfannkuchen, knusprigen Schinkenstreifen, Ahornsirup und gekühltem Orangensaft – kein Eis bitte, danke! – gab dann der ganzen Angelegenheit diesen zusätzlichen kleinen Touch, der die Rückkehr zum vollen Bewusstsein zu einer willkommenen Erfahrung machte. Wenn sie das diesmal erlebte, würde sie sich am Ende einer Reise zu einem Sternenhaufen außerhalb der Milchstraße befinden, bereit, mit anderen Angehörigen der Brandt-Dynastie ein neues Leben zu beginnen, eine neue Zivilisation zu gründen, und zwar eine, die ganz und gar anders wäre als die des übersättigten und abgestumpften alten Commonwealth, die sie hinter sich gelassen hatten.

Freilich gab es da noch die Notfall-Extraktions-Prozedur, die von der Schiffsbesatzung Tank-Yank genannt wurde …

Jemand schlug auf den roten Notfallknopf außen an ihrer Suspensionsröhre. Hochwirksame Revitalisierungsmedikamente wurden in einen Körper gejagt, der immer noch eiskalt war. Hämatologische Nabelschnüre zogen sich aus ihrem Hals und ihren Schenkeln zurück; die geschockten Muskeln verkrampften sich. Die Blase schickte verzweifelt Überdrucksignale an ihr Gehirn, aber die automatische Notfall-Extraktion hatte den Katheter bereits entfernt. Wirklich großartige Planung, Jungs! Aber das war längst nicht so schlimm wie die rasenden Kopfschmerzen oder wie sich die Spitze ihres Diaphragmas zusammenzog, als ihr Magen sich vor Übelkeit verkrampfte.

Laura öffnete die Augen, schrecklich buntes Licht stach ihr in den Kopf, gleichzeitig öffnete sie den Mund und übergab sich. Ihre Bauchmuskeln verkrampften sich so heftig, dass ihr Oberkörper sich aus dem Polster hob. Sie stieß sich den Kopf am Deckel des Sarkophags, wie die Suspensionsröhre genannt wurde, der sich noch nicht ganz geöffnet hatte.

»So’n Scheiß!« Zu dem verwirrenden Nebel aus bunten Farben und Formen gesellten sich kräftig rot schimmernde Sterne des Schmerzes. Sie drehte sich auf die Seite und erbrach sich erneut.

»Ganz ruhig«, empfahl ihr eine Stimme.

Hände packten ihre Schultern und stützten sie, während sie würgte. Jemand hielt eine Plastikschüssel hoch, die den größten Teil der widerlichen Flüssigkeit auffing.

»Kommt noch mehr?«

»Was?«, krächzte Laura.

»Müssen Sie noch mehr auskotzen?«

Laura fauchte ihn einfach nur an. Sie fühlte sich zu elend, als dass sie auch nur über eine Antwort hätte nachdenken können. Jede einzelne Zelle ihres Körpers teilte ihr unmissverständlich mit, wie miserabel sie sich fühlte.

»Atmen Sie ein paar Mal tief durch«, riet ihr die Stimme.

»Ach, zum …!«

Ihr Körper zitterte so heftig, dass es schon mühsam genug war, einfach nur Luft zu holen, auch ohne irgendwelche Yogameister-Atemtechniken auszuprobieren. Diese blödsinnige Stimme …!

»Sie machen das großartig. Die Wirkung der Wiederbelebungsmedikamente setzt gleich ein.«

Laura schluckte. Magensäure brannte ekelhaft in ihrer Speiseröhre, aber wenigstens fiel es ihr jetzt etwas leichter zu atmen. So mies hatte sie sich seit Jahrhunderten nicht mehr gefühlt. Kein besonders angenehmer Gedanke, aber zumindest war er kohärent. Warum helfen meine Biononics nicht? Die winzigen molekularen Maschinen, die jede ihrer Körperzellen anreicherten, sollten eigentlich ihren Körper dabei unterstützen, sich zu stabilisieren. Sie kniff die Augen zusammen, um die bunten Lichter zu fokussieren. Ihr war klar, dass einige davon ihre Exosicht-Icons sein mussten. Aber das alles kostete sie viel zu viel Mühe.

»Tank-Yank ist Scheiße, was?«

Jetzt endlich erkannte Laura die Stimme. Sie gehörte Andy Granfore, einem Mitglied der medizinischen Abteilung derVERMILLION. Er war ein anständiger Kerl. Sie hatten sich auf ein paar Pre-Flight-Partys getroffen. Bebend stieß sie den Atem aus. »Was ist passiert? Warum haben Sie mich mit der Notfall-Extraktion rausgeholt?«

»Anordnung des Captain. Und wir haben nicht viel Zeit. Sorry.«

Laura gelang es endlich, Andys Gesicht in den Fokus zu bekommen. Sie sah seine vertraute, dicke Nase, die dunklen Tränensäcke unter den hellbraunen Augen und das ergrauende, in alle Richtungen abstehende Haar. Ein solch altes, verlebtes Gesicht war im Commonwealth, wo sich jeder mit kosmetischer Gen-Sequenzialisierung ein makelloses Aussehen zulegte, ein ungewohnter Anblick. Laura fand sowieso, dass die Menschheit heutzutage aussah wie eine Rasse jugendlicher Supermodels – was nicht unbedingt eine Verbesserung bedeutete. Alles unterhalb von Perfektion war entweder ein Modestatement oder ein überzeugtes, individualistisches »Fick dich!« an die Konformität.

»Ist dieVERMILLION beschädigt?«

»Nein.« Er lächelte sie etwas gezwungen an. »Jedenfalls nicht direkt. Sie hat sich nur verirrt.«

»Verirrt?« Diese Antwort war möglicherweise noch beunruhigender. Wie konnte man sich auf einem Flug zu einem Sternenhaufen mit einem Durchmesser von mehr als 20000 Lichtjahren verirren? Etwas von dieser Größe verlor man ja wohl kaum aus den Augen. »Das soll bloß ein Witz sein, oder?«

»Der Captain wird es Ihnen erklären. Ich bringe Sie zur Brücke.«

Laura befahl ihrem U-Shadow, ihr einen allgemeinen Statusbericht zu geben. Die allgegenwärtigen, halbintelligenten Gebrauchsroutinen in ihren makrozellularen Clustern reagierten sofort und ließen eine Standardanordnung mentaler Icons aufflammen, dünne Linien aus blauem, zartem Licht, die sich über ihr etwas verschwommenes Blickfeld legten. Sie runzelte die Stirn. Wenn sie die Effizienzmodi richtig interpretierte, hatten ihre Biononics eine ernsthafte Macke davongetragen. Der einzige Grund, den sie sich für ein derartiges Ausmaß an Verfall vorstellen konnte, war schlichte Alterung. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie sich fragte, wie lange sie wohl in Suspension gewesen war. Sie warf einen Blick auf die Ziffern auf ihrem Zeit-Display. Was sie sah, verwirrte sie noch mehr.

»Zweitausendzweihunderteinunddreißig Tage?«

»Was?« Andy sah sie an.

»Wir sind zweitausendzweihunderteinunddreißig Tage unterwegs gewesen? Wo zur Hölle sind wir?« Eine so lange Reise mit UltraDrive-Geschwindigkeit musste sie fast drei Millionen Lichtjahre von Terra weg und damit sehr, sehr weit außerhalb der Milchstraße gebracht haben.

Sein altes Gesicht schien seinen bestürzten Ausdruck noch zu verstärken. »Es könnte so lange gewesen sein. Wir sind uns über die relative Zeitkompression hier drinnen nicht ganz sicher.«

»Was …?«

»Lassen Sie … Kommen Sie einfach mit zur Brücke, okay? Der Captain wird Ihnen eine angemessene Erläuterung geben. Ich bin nicht gerade der Richtige, um das hier zu erklären. Vertrauen Sie mir.«

»Okay.«

Er half ihr, die Beine aus dem Polster zu schwingen. Ihr wurde schwindlig, als sie aufstand, und sie wäre fast zusammengebrochen. Andy war darauf vorbereitet und hielt sie so lange fest, bis sie sich stabilisiert hatte.

Das Suspensionsareal selbst schien intakt zu sein: eine riesige, lange Höhle mit einem metallischen Gerippe, das tausend große, sarkophagähnliche Suspensionsröhren enthielt. Reihen von beruhigend grün blinkenden Monitorlichtern leuchteten an jeder Einheit, jedenfalls soweit sie sehen konnte. Sie nickte zufrieden. »Also gut. Ich mache mich kurz frisch, dann gehen wir. Sind die Waschräume schon aktiviert?« Aus irgendeinem Grund hatte sie Schwierigkeiten, direkt mit dem Netzwerk des Schiffs zu kommunizieren.

»Dafür haben wir keine Zeit«, beschied Andy ihr. »Zum Transportpod geht es hier lang.«

Es gelang Laura, ihre Gesichtsmuskeln so weit zu kontrollieren, um ihm einen pikierten Ausdruck zuwerfen zu können, bevor sie sich über das Deck zum Ende des Raumes führen ließ. Zwei Malmetall-Quad-Türen schälten sich auf. Der Pod dahinter war ein einfacher, runder Raum, um dessen Wand ringsum eine Sitzbank verlief.

»Hier«, sagte Andy, nachdem sie sich auf die Bank hatte sinken lassen. Sie war nach dem kurzen Weg, den sie mehr geschlurft als gegangen war, fast vollkommen erschöpft. Er hielt ihr ein Paket mit Kleidung und ein paar Sporentücher hin.

Sie musterte die Tücher abfällig. »Im Ernst jetzt?«

»Etwas Besseres kann ich nicht bieten.«

Während er ihr Ziel in die Kontrolltastatur des Pods tippte, reinigte sie sich Gesicht und Hände und streifte dann den ärmellosen medizinischen Kittel ab. Die meisten Menschen entwuchsen dem Schamgefühl vor Nacktheit, wenn sie ihr zweites Jahrhundert erreicht hatten und zu griechischen Göttern resequenziert wurden. Außerdem kümmerte Andy sie sowieso nicht; er war schließlich Mediziner.

Bestürzt registrierte sie, dass ihre Haut völlig blass geworden war. Ihre zweite größere biononische Wiederherstellung an ihrem neunzigsten Geburtstag hatte einige Sequenzierungen eingeschlossen, mit denen sie die nördlich-mediterrane Herkunft ihrer Mutter betont hatte. Sie hatte ihre Epidermis bis zu einem fast afrikanischen Schwarz verdunkelt. Diese Schattierung hatte sie die ganzen vergangenen dreihundertsechsundzwanzig Jahre beibehalten. Jetzt jedoch sah sie aus wie eine altersrissige Porzellanpuppe, deren Oberfläche jeden Augenblick zu bersten drohte. Die Suspension hatte ihre Haut zu einem furchtbaren Dunkelgrau verfärbt; mit einer Vielzahl von winzigen Waschfrauenfalten, nur dass ihre Haut so trocken wie Pergament war. Ich muss daran denken, Feuchtigkeitscreme aufzutragen, sagte sie sich. Ihr Haar hatte einen tiefdunklen Ingwerton, dank ihrer ziemlich kindischen Bewunderung für Grissy Gold, den Bluessänger aus Gulam, der sich ein verblüffendes Jahrzehnt lang im ganzen Commonwealth in seinem Erfolg hatte sonnen können … vor zweihundertzweiunddreißig Jahren. Aber die Farbe war gar nicht so schlecht, sagte sie sich, während sie an den hoffnungslos verfilzten Strähnen zupfte; sie würde einige Hektoliter Conditioner brauchen, um sie wieder zum Glänzen zu bringen. Dann warf sie einen Blick auf die polierte Metallwand des Transportpods, die nicht gerade den besten Spiegel abgab. Ihr normalerweise schmales Gesicht war schrecklich aufgedunsen und verbarg fast ihre Wangenknochen. Die smaragdgrünen Augen waren blutunterlaufen, als hätte sie einen elenden Kater, und ihre Tränensäcke waren fast so schlimm wie die von Andy. »Scheiße!«, stöhnte sie.

Als sie den tristen, einteiligen Schiffsanzug anlegte, bemerkte sie, wie schlaff ihre Haut nach dieser langen Suspension geworden war, vor allem an den Oberschenkeln. O nein, nicht schon wieder! Sie verzichtete darauf, ihren Hintern zu mustern. Es würde Monate dauern, um wieder in Form zu kommen. Laura schummelte nicht, indem sie ihre Gestalt mithilfe von Biononics modellierte, so wie die meisten anderen. Sie glaubte daran, dass man sich seine Fitness selbst verdienen musste, ein primitiver Stolz auf ihren Körper. Ein Stolz, den sie sich in jenen fünf Jahren angeeignet hatte, in denen sie sich vor der Welt in einem Ashram der Naturalisten-Fraktion in den Austria-Alpen versteckt hatte, nach dem besonders schmerzlichen Ende einer Beziehung.

Während die Medikamente endlich die schlimmsten Nachwirkungen des abrupten Tank-Yank vertrieben, schloss sie den Anzug und lockerte ihre Schultern, als bereitete sie sich auf eine anstrengende Gymnastiksession vor. »Ich kann nur hoffen, dass die ganze Sache wirklich wichtig ist«, knurrte sie, während der Pod langsamer wurde. Es hatte kaum fünf Minuten gedauert, um an der Längsachse derVERMILLION entlangzufahren, vorbei an den zwanzig anderen Suspensionsarealen, die die gesamten mittleren Sektionen des riesigen Raumschiffs ausfüllten. Und ihr U-Shadow konnte immer noch keine Verbindung zum Netzwerk derVERMILLION herstellen.

Die mehrschichtigen Türen des Pods öffneten sich zur Brücke des Raumschiffs. Allerdings hatte dieser Begriff im Zeitalter von homogenisierter Netzwerkarchitektur nur noch symbolische Bedeutung. Der Raum ähnelte mehr der behaglichen Coffee-Lounge eines Franchise-Unternehmens, mit langen Sofas, die zu einem Gesprächskreis arrangiert waren, und riesigen, hochauflösenden Hologramm-Feldern an den Wänden.

Es befanden sich fünfzehn Leute in dem Raum. Die meisten hockten in kleinen Gruppen auf den Sofas zusammen und unterhielten sich angeregt. Sie alle wirkten extrem gestresst. Laura sah einige, die ganz offensichtlich ebenso abrupt aus der Suspension gerissen worden waren wie sie, und erkannte sie augenblicklich; sie gehörten wie sie selbst zum Wissenschaftlerteam des Raumschiffs.

In diesem Moment registrierte sie eine äußerst merkwürdige Empfindung direkt in ihrem Kopf. Es war fast wie der emotionale Kontext eines Gesprächs innerhalb des GaiaFields, nur dass ihre GaiaMotes inaktiv waren. Ihr war das ganze GaiaField-Konzept noch nie richtig geheuer gewesen. Es war entwickelt worden, um dem Commonwealth die Fähigkeit zu direkter Kommunikation von Verstand zu Verstand zu verleihen, und fußte auf einer fremdartigen Adaption der Quanten-Verschränkungs-Theorie. Einige Leute liebten die Möglichkeit der intimen Gedankenübertragung, die das ermöglichte, und behaupteten, es sei die ultimative Evolution des Intellekts. Dadurch würde es jedem erlaubt, den Gesichtspunkt jedes anderen schätzen zu können. Auf diese Weise, so argumentierten sie, würden sämtliche Konflikte eliminiert. Laura hielt das für einen Haufen Mist. Für sie war das nichts weiter als das unheimliche Extrem des Voyeurismus. Und in höchstem Maße ungesund, um es vorsichtig auszudrücken. Sie selbst verfügte über GaiaMotes, weil sie ein gelegentlich sehr nützliches Kommunikationswerkzeug darstellten und sich – noch seltener – als hilfreich erwiesen hatten, an große Mengen von Informationen zu kommen. Aber alltäglicher Gebrauch? Vergesst es! Sie hielt an den guten, altmodischen und verlässlichen Unisphäre-Links fest.

»Wie ist das passiert?«, knurrte sie und runzelte die Stirn. Ihr U-Shadow bestätigte ihr, dass ihre GaiaMotes immer noch inaktiv waren. Niemand konnte sich direkt mit ihren neuralen Schichten verbinden. Und doch …

Torak, der Chef-Xenobiologe an Bord, grinste sie schief an. »Wenn Sie das schon sonderbar finden, was halten Sie dann davon?« Ein großer Plastikbecher mit Tee schwebte durch die Luft zu ihm und hinterließ zarte Dampffähnchen. Torak starrte ihn konzentriert an und streckte seine Hand aus. Der Becher segelte in seine Handfläche, und er schloss mit einem selbstgefälligen Grinsen die Finger darum.

Laura warf einen verblüfften Blick an die Decke der Brücke. Ihr praktischer Verstand überflog sofort die Parameter des IngravFeld-Projektorsystems. Rein theoretisch wäre es möglich gewesen, das Gravitationsfeld des Schiffs so zu manipulieren, um Objekte auf diese Art und Weise bewegen zu können. Aber es hätte einen absurden Aufwand an Mühe und Technik gebraucht, und das alles nur, um einen Trick vorzuführen. »Was für eine Art von Gravitationsmanipulation ist das?«

»Gar keine.« Toraks Lippen hatten sich nicht bewegt. Und doch klang seine Stimme ganz deutlich in ihrem Kopf, zudem mit genug emotionalem Druck, um zu bestätigen, dass er mit ihr »redete«.

»Wie haben Sie …?«

»Ich zeige Ihnen, was wir herausgefunden haben, sobald Sie mich das tun lassen«, unterbrach Torak sie.

Sie nickte ihm zu. Dann blubberte etwas wie eine Erinnerung in ihrem Verstand hoch. Es fühlte sich an wie eine kalte, sprudelnde Flüssigkeit – eine Erinnerung, die nicht von ihr stammte. Sie war einer GaiaField-Emission sehr ähnlich und war dennoch eindeutig keine. Laura konnte sie nicht kontrollieren, konnte die Bilder und Stimmen auf keine Art und Weise regulieren. Das machte ihr Angst.

Dann sickerte Wissen in ihr Hirn, verankerte sich und wurde Instinkt.

»Telepathie?«, kiekste sie, als sie begriff. Und gleichzeitig spürte sie, wie ihre Gedanken die erstaunte Frage über die gesamte Brücke sendeten. Etliche Angehörige der Mannschaft zuckten unter der Wucht zusammen, mit der sie in ihre eigenen Gedanken drang.

»Im reinsten Sinne des Wortes«, antwortete Torak. »Und außerdem auch Telekinese.« Er ließ den Teebecher los, der weiterhin in der Luft schwebte.

Laura starrte ihn in einer Art betäubter Faszination an. Neue Erkenntnisse in ihrem Kopf zeigten ihr, wie sie diese fantastische Fähigkeit verwenden konnte. Sie formte ihre Gedanken, einfach so, und griff nach dem Becher. Irgendwie fühlte sie ihn; sein Gewicht schien in ihr Bewusstsein einzudringen.

Der Becher tanzte ein wenig durch die Luft und sank zehn Zentimeter tiefer. Laura verstärkte ihren mentalen Griff um das physikalische Objekt, das noch immer mitten in der Luft schwebte. Sie lachte nervös, bevor sie den Becher vorsichtig auf dem Boden absetzte. »Das ist wirklich ernsthafter Scheiß«, murmelte sie.

»Wir alle beherrschen diese extrasensitive Wahrnehmung«, meinte Torak. »Sie sollten Ihre Gedanken vielleicht abschirmen. Denn sie sind … allgemein zugänglich, sozusagen.«

Laura warf ihm einen erschreckten Blick zu und errötete, während sie hastig versuchte, die Methode anzuwenden, ihre Gedanken – intime, schmerzlich private Gedanken – vor den anderen auf der Brücke abzuschirmen. »Also gut, das reicht! Würde mir jetzt bitte jemand erklären, was verdammt hier vorgeht? Wie machen wir das? Und was ist passiert?«

Captain Cornelius Brandt erhob sich. Er war nicht besonders groß, und die Last der Sorgen schien ihn niederzudrücken. Laura erkannte, wie erschöpft und verängstigt er war; trotz seiner Bemühungen, seine Gedanken abzuschirmen und ruhig erscheinen zu lassen, sickerte die Unruhe aus ihm heraus wie ätherische Pheromone. »Wir glauben, dass wir uns in der Leere befinden.«

»Unmöglich«, erwiderte Laura automatisch. Die Leere war der Kern der Galaxie. Bis zum Jahr 2560, als die ENDEAVOUR, ein Schiff der Navy-Explorationsflotte des Commonwealth, die erste Umrundung der Galaxie beendet hatte, hatten die Astronomen angenommen, es handelte sich dabei um ein ganz gewöhnliches, extrem hochverdichtetes Schwarzes Loch, wie es sich im Kern aller Galaxien findet. Es war extrem masseverdichtet und hatte auch einen Ereignishorizont, wie ein ganz gewöhnliches Schwarzes Loch. Nur war dieses trotzdem anders, denn es war nicht natürlichen Ursprungs.

Wie die Besatzung derENDEAVOUR bald feststellte, bewachten die Raiel, eine uralte Rasse, die technisch erheblich weiterentwickelter war als das Commonwealth, die Grenzen dieses Schwarzen Lochs seit über einer Million Jahren. Sie hatten der Leere sogar den Krieg erklärt. Seit ihre ersten, primitiven Raumschiffe zum ersten Mal auf sie gestoßen waren, hatten sie sie genau beobachtet und festgestellt, dass der Ereignishorizont unnatürliche Expansionsphasen durchlief. Es war angesichts von etwas – auf der kosmologischen Skala – so Großem zwar unglaublich, aber es schien ein Artefakt zu sein. Dessen Zweck unbekannt blieb. Angesichts der Stärke und Unberechenbarkeit der Expansionsphasen jedoch würde es sich irgendwann ausdehnen und die gesamte Galaxie verschlingen, und zwar lange vor der Zeit, in der ein natürliches Schwarzes Loch so etwas getan hätte.

Also starteten die Raiel eine Invasion. Tausende und Abertausende der größten Kriegsschiffe, die jemals gebaut worden waren, durchstießen die Grenzen der Leere und drangen in sie ein.

Kein einziges Schiff kehrte zurück. Die gesamte Armada hinterließ nicht den geringsten sichtbaren Effekt auf die Leere oder ihre atypische, unerklärliche Expansion. Das geschah, wie gesagt, vor einer Million Jahren. Seitdem bewachten die Raiel die Grenzen.

Wilson Kime, dem Captain derENDEAVOUR, wurde höflich, aber nachdrücklich befohlen, umzukehren und sich außerhalb der Wall-Sterne aufzuhalten, die einen dichten Ring um die Leere bildeten. Danach luden die Raiel das Commonwealth ein, sich wie schon viele andere Rassen zuvor der Mission anzuschließen, die die Leere ständig bewachten. Diese Mission existierte, seit die Armada der Raiel dort eingedrungen war. In dieser Million Jahre hatten sie nicht das geringste Wissen über das zutage gefördert, was auf der anderen Seite der Grenze dieses Ereignishorizonts lauerte.

»Unwahrscheinlich«, korrigierte Cornelius Laura. »Unmöglich nicht.«

»Also, wie sind wir hineingeraten? Ich dachte, unser Kurs würde uns um die Wall-Sterne herumführen.«

»Wir haben uns bis auf dreitausend Lichtjahre dem Wall genähert«, erklärte Cornelius. »Dann sind wir hineingefallen. Oder wurden gezogen, geschnappt oder eingesaugt. Wir wissen immer noch nicht genau, wie es passiert ist. Sehr wahrscheinlich hat sich innerhalb des Hyperraums eine Art von Teleportations-Verbindung geöffnet. Es erfordert eine ungeheuer fortschrittliche Technologie, um so etwas zu erzeugen. Andererseits, da wir plötzlich alle mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet sind, ist die Quanten-Hyperfeld-Theorie unser kleinstes Problem.«

Laura starrte ihn ungläubig an. »Aber warum?«

»Das ist nicht ganz klar. Den einzigen Hinweis lieferte uns Tiger Brandt. Kurz bevor wir reingezogen wurden, sagte sie, sie erlebe eine Art von mentalem Kontakt, wie ein Traum, der sie durch das GaiaField erreichte, nur viel schwächer. Irgendetwas hätte uns oder sie wahrgenommen. Und dann, bevor wir uns versahen … waren wir drin.«

»Tiger Brandt?« Laura kannte Tiger. Sie war mit Rahka Brandt verheiratet, dem Captain derVENTURA. »Moment, wollen Sie damit sagen, dass dieVENTURA mit uns zusammen hier drin ist?«

»Sämtliche sieben Schiffe der Flotte wurden in die Leere gezogen«, erwiderte Cornelius düster.

Laura warf einen Blick auf den Teebecher und ignorierte die unangenehmen Nachwirkungen des Tank-Yank. »Und das hier ist das Innere der Leere?« Sie konnte es immer noch nicht glauben.

»Ja. Soweit wir es verstehen, handelt es sich um eine Art von Mikrouniversum mit einer höchst unterschiedlichen Quantenstruktur im Vergleich zur Raumzeit außerhalb. Gedanken können auf einem fundamentalen Level mit der Realität interagieren, was der Grund dafür ist, warum wir plötzlich alle diese mentale Macht erlangt haben.«

»Durch die Handlung des Beobachtens beeinflusst der Beobachter die Realität des Beobachteten«, flüsterte sie.

Cornelius hob eine Braue. »Das ist noch drastisch untertrieben.«

»Also dann, wie kommen wir wieder hinaus?«

»Gute Frage.« Cornelius deutete auf eines der großen holografischen Images hinter ihm. Dieses zeigte ihr den Weltraum mit nur sehr wenigen Sternen und einer Vielzahl von exotischen und wundervoll fragilen Nebula. »Es ist kein Ende in Sicht. Das Innere der Leere scheint eine Art von multidimensionalem Möbiusband zu sein. Hier drin existiert keine Grenze.«

»Wohin fliegen wir dann?«

Cornelius’ Verstand strahlte eine Welle von Verzweiflung und Hilflosigkeit aus, bei der es Laura kalt überlief. »Der Skylord bringt uns zu einem, wie er behauptet, H-kongruenten Planeten. Unsere Sensoren bestätigen diesen Status.«

»Der was?«

Cornelius deutete auf ein anderes Holo-Feld. »Skylord.«

Steif drehte Laura sich herum. Das hochauflösende Image hinter ihr stammte von einem Sensor auf dem vorderen Teil des Raumschiffs, wo sich die UltraDrive-Einheit und die Kraftfeldgeneratoren drängten. Das untere Fünftel des Image zeigte die gekrümmte Hülle aus Carbotanium mit seiner dicken Schicht aus schmutziggrauem Thermalschaum. Am oberen Ende des Hologramms schimmerte ein kleiner, blauweißer Halbmond, ähnlich wie bei jeder H-kongruenten Welt im Commonwealth. Nur fehlten auf der Nachtseite sämtliche Lichter von Städten; und zwischen Hülle und Planet schwebte das sonderbarste Nebulum, das Laura sich hätte vorstellen können. Während sie hinsah, bemerkte sie eine Art soliden Kern in seinem Inneren, mit einer langen ovoiden Form. Es war nicht wirklich fest, das war ihr klar, aber es bestand tatsächlich aus etlichen Lagen einer kristallinen Substanz, die zu einer außergewöhnlichen vielschichtigen Calabi-Yau-Geometrie gekrümmt war. Auf den schimmernden Oberflächen schienen bunte Muster wie Flüssigkeit zu fließen, vielleicht war es aber auch die Struktur selbst, die unstabil war. Sie konnte es nicht erkennen, denn um den Kern herum schwebte eine Art Nebel, der sich ebenfalls in sonderbaren Strömungen bewegte. »Kein Scheiß!«, stieß sie hervor.

»Es handelt sich offenbar um eine Art Weltraumoriginäres Leben«, erklärte Cornelius. »Drei dieser Nebula sind zu uns gekommen, kurz nachdem wir in die Leere gezogen wurden. Sie sind intelligent und können mittels Telepathie mit Ihnen Kontakt aufnehmen, obwohl eine Unterhaltung einem Diskurs mit einem Gelehrten ähnelt. Ihre Denkprozesse entsprechen nicht so ganz den unseren. Aber sie können durch den Weltraum fliegen. Oder ihn zumindest irgendwie manipulieren. Sie haben uns angeboten, uns zu Welten innerhalb der Leere zu führen, auf denen wir leben könnten. DieVENTURA, dieVANGUARD, dieVIOLET und dieVALLEY sind zwei Skylords gefolgt, dieVERMILLION folgt zusammen mit derVISCOUNT und derVERDANT diesem hier. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir eine bessere Chance haben, einen passenden H-kongruenten Planeten zu finden, wenn wir die Flotte aufteilen.«

»Bei allem Respekt«, antwortete Laura, »warum folgen wir überhaupt einem dieser Wesen zu einem Planeten? Sollten wir nicht lieber alles in unserer Macht Stehende tun, um einen Weg hier hinaus zu finden? Wir alle sind doch letztlich nur aus einem einzigen Grund hier an Bord: außerhalb dieser Galaxie eine neue Zivilisation zu gründen. Zugegeben, das Innere der Leere ist äußerst faszinierend, und die Raiel würden zweifellos ihre rechte Arschbacke dafür geben, an unserer Stelle zu sein, aber Sie können diese Entscheidung nicht für uns treffen.«

Cornelius wirkte müde. »Wir versuchen einen H-kongruenten Planeten zu finden, weil die Alternative den Tod bedeutet. Haben Sie Ihren biononischen Funktionen zufällig bereits ein wenig Aufmerksamkeit geschenkt?«

»Ja. Sie sind sehr schwach.«

»Dasselbe gilt für selbst das kleinste Teilchen von Technologie hier an Bord. Die Raumzeit hier drin zersetzt unsere Systeme um ein Vielfaches schneller als außerhalb der Leere. Zuerst fiel der UltraDrive aus, wahrscheinlich weil er das komplizierteste System an Bord ist. Aber im letzten Jahr gab es auch Fluktuationen in den Masse/Energie-Konvertern, die zunehmend ernster wurden. Ich konnte doch nicht riskieren, sie online zu lassen. Wir benutzen jetzt Fusionsreaktoren für die IngravDrive-Einheiten.«

»Was?« Laura war schockiert. »Sie wollen damit sagen, wir fliegen die ganze Zeit langsamer als das Licht?«

»0.9 Lichtgeschwindigkeit, seit wir hier angekommen sind, vor mittlerweile fast sechs Jahren«, bestätigte Cornelius verbittert. »Glücklicherweise funktionieren die Suspensionsröhren problemlos, sonst hätten wir ein richtiges Desaster erlebt.«

Warum haben Sie mich nicht sofort aus der Suspension geholt? Ich hätte helfen können. Das war Lauras erste Reaktion, aber wahrscheinlich war es auch genau das, was jeder andere an Bord gedacht hätte. Soweit sie ihre Lage einschätzen konnte, hatte der Captain sich unter den gegebenen Umständen wacker geschlagen. Außerdem war ihr Spezialgebiet Molekularphysik wahrscheinlich nicht sonderlich hilfreich bei der Analyse einer anderen Raumzeitstruktur.

Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die helle Sichel vor sich. »Ist der Planet H-kongruent?«

»Das glauben wir, ja.«

»Haben Sie mich deshalb aus dem Tank gezerrt? Damit ich Ihnen bei einer Beurteilung helfe?«

»Nein. Wir sind noch sechs Millionen Kilometer von dem Planeten entfernt und bremsen mit voller Kraft. In etwa zwei Tagen werden wir den Orbit erreichen. Der Himmel allein weiß, wie wir die Landung hinbekommen sollen, aber darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist. Nein, Sie sind hier, weil unsere Sensoren etwas auf dem Lagrange-Eins-Punkt des Planeten gefunden haben.« Cornelius schloss die Augen. Das Image veränderte sich und fokussierte sich auf den Lagrange-Eins-Punkt, L1, etwa eine halbe Million Kilometer über der sonnenbestrahlten Hemisphäre des Planeten, wo die Anziehungskraft des Sterns vollkommen von der Gravitation des Planeten aufgehoben wurde. Das Gebiet wurde von einem verschwommenen Klecks ausgefüllt, den entweder die Sensoren oder Lauras Augen nicht ganz fokussieren konnten. Er schien gepunktet zu sein, als bestünde er aus Tausenden winziger Partikel.

»Was ist das?«, wollte sie wissen.

»Wir nennen es den Wald«, antwortete Cornelius. »Es handelt sich um eine Ansammlung von Objekten, die etwa elf Kilometer lang sind und eine ähnlich verzerrte Oberfläche haben wie unser Skylord-Freund.«

»Sind das vielleicht einfach mehr von seiner Sorte?«

»Nicht ganz. Die Form stimmt nicht. Diese Gegenstände sind schlank und haben verdickte Enden. Und da ist noch etwas. Der gesamte L1-Punkt strahlt eine andere Quantensignatur aus als der Rest der Leere.«

»Eine andere Quantenumgebung?«, fragte sie skeptisch.

»So sieht es aus.«

»Wie ist das möglich?« Laura ließ die Schultern sinken, als ihr plötzlich klar wurde, warum man sie so überhastet aus dem Tank geholt hatte, sie und die anderen Wissenschaftler, die auf den Bänken auf der Brücke herumsaßen. »Sie wollen, dass wir hinfliegen und herausfinden, was es ist, habe ich recht?«

Cornelius nickte. »Ich kann nicht verantworten, die VERMILLIONin einer möglicherweise feindlichen Umgebung zu stoppen, um eine wissenschaftliche Untersuchung durchzuführen. Meine Priorität muss darin bestehen, uns unversehrt auf eine H-kongruente Welt hinunterzubringen. Deshalb übergebe ich Ihnen das Kommando über ein kleines wissenschaftliches Team. Fliegen Sie in einem Shuttle zu diesem Wald und führen Sie alle Tests durch, die möglich sind. Das hilft uns vielleicht, oder auch nicht. Aber ehrlich gesagt müssen wir alles, was zu unserem Wissensfundus beitragen kann, in diesem Stadium als nützlich erachten.«

»Ja«, erwiderte sie resigniert. »Das verstehe ich.«

»Nehmen Sie Shuttle Vierzehn.«

Laura registrierte, dass dieses Shuttle offenbar eine besondere Bedeutung für ihn hatte. Das Gefühl von Erwartung in seinen Gedanken zeigte es an, aber ihr Verstand war der Aufgabe noch nicht gewachsen, herauszufinden warum. Sie befahl ihrem U-Shadow, die Datei aus ihrer Speicherlakune hochzuladen. Daten über das Shuttle huschten durch ihren Verstand, doch sie kapierte immer noch nicht. »Warum ausgerechnet dieses Shuttle?«

»Es hat Flügel«, erwiderte Cornelius leise. »Selbst wenn Sie einen ernsthaften Systemausfall erleiden, können Sie noch abbremsen und zur Oberfläche des Planeten hinabgleiten.«

Jetzt kapierte sie. »Na klar! Das Shuttle braucht keinen IngravDrive für die Landung.«

»Nein, dieses Shuttle nicht.«

Lauras Blut schien zu erkalten wie in der Suspensionsröhre. DieVERMILLION war über einen Kilometer lang und nicht im Entferntesten aerodynamisch. Deshalb war sie vollkommen auf den Regrav angewiesen, um ihre Geschwindigkeit relativ zu dem Planeten auf null zu reduzieren. Und sie benötigte den Ingrav, um eine butterweiche Landung hinzulegen. Natürlich war eine Vielzahl von Redundanz-Systemen eingebaut, und keinerlei bewegliche Teile, sodass ein Versagen schlicht unvorstellbar war. Im normalen Universum.

»Sobald wir den H-kongruenten Status bestätigt haben, werde ich alle dreiundzwanzig Shuttles aus dem Orbit starten«, fuhr Cornelius fort. »DieVISCOUNT und dieVERDANT werden diesem Beispiel folgen.«

Laura befahl ihrem U-Shadow, das Brückendisplay auf den Planeten zu zentrieren, doch der U-Shadow konnte immer noch keinen Kontakt mit dem Netz des Raumschiffs herstellen. »Sir … wie haben Sie Ihre Befehle in den Kommandokern geladen?«

»Über das GaiaField. Das Konfluenznest ist das einzige System, das von der Leere nicht beeinflusst worden ist.«

Und das Konfluenznest, welches das lokale GaiaField erzeugt, ist direkt mit dem Netzwerk des Schiffs verbunden, rief Laura sich in Erinnerung. Komisch, was so alles in der Leere funktionierte und was nicht.

Laura fand, dass die Exkursions-Präparations-Einrichtung derVERMILLION genauso aussah wie die Brücke; der einzige Unterschied war der deutlich hellere blaugraue Teppich. Vermutlich waren der Grund für diese Abweichung Kaffeeflecken von sechs Jahren. Offenbar hatte es einen Streit um das Budget gegeben, entweder was die Zeit oder das Design anging; eigentlich verblüffend bei einem Projekt, das transgalaktische Kolonieschiffe baute. Als es um die Sektionen in den Kommandosektoren der VERMILLIONging, hatte jemand offenbar einfach nur auf den Copy&Paste-Knopf gedrückt.

Fünf Personen, Laura mit einbezogen, bildeten die Crew von Shuttle Vierzehn. Sie wirkten wie ein Grüppchen von etwas verlegenen Freunden, die am Morgen nach einer besonders wilden Party zusammenkamen. Jeder von ihnen sah aus wie hingekotzt und starrte zweifelnd in seinen Becher mit Kräutertee, während er an Butterkeksen knabberte.

Laura saß neben Ibu, einem Professor für Gravatonics, der nahezu doppelt so groß war wie sie. Und der größte Teil seiner Körpermasse bestand aus Muskeln. Die Suspension hatte ihm nicht gerade gut getan. Sein Fleisch war schlaff, und er wirkte irgendwie eingefallen, und seine normalerweise bronzefarbene Haut war von einem noch blasseren Grau als die Lauras. Er betrachtete traurig seinen Körperzustand. »Das Versagen der Biononics dürfte das Schlimmste an diesem ganzen Mist hier sein«, vertraute er ihr an. »Es wird sicherlich eine Ewigkeit dauern, um wieder in Form zu kommen.«

»Ich frage mich, wie das Leere-Kontinuum den Unterschied zwischen natürlichen und biononischen Organellen erkennen kann«, erwiderte Laura. »Sie sind doch im Wesentlichen gleich.«

»Biononics sind nicht in unsere DNA sequenziert«, sinnierte Ayanna, die Quantenfeld-Physikerin. »Sie sind nicht natürlich. Irgendwie muss es möglich sein, die beiden zu unterscheiden.«

»Wohl eher, sie voneinander abzusondern«, meinte Joey Stein, der Hyperraum-Theoretiker. Seine eingefallenen Wangen zuckten unaufhörlich, Folgen des Tank-Yank, wie Laura vermutete. »Unsere mikrozellularen Cluster funktionieren alle unbekümmert weiter. Trotzdem sind sie kein natürlicher Teil des menschlichen Genoms.«

»Jetzt sind sie schon ein Teil von uns«, widersprach Ayanna. Sie kämmte sich ihr langes, kastanienbraunes Haar aus und zuckte zusammen, wenn die Bürste sich in verfilzten Strähnen verfing.

»Die Leere reagiert auf Gedanken«, meinte Laura. »Hat jemand zufällig schon einmal einfach nur gedacht, dass die Biononics funktionieren sollen?«

»Das ist kein Gedanke, das ist ein Gebet«, meinte Ibu.

Rojas, der Pilot des Shuttles, setzte sich neben Joey. Captain Cornelius hatte ihn schon vor einem Monat aus der Suspension geholt, um ihm dabei zu helfen, die Landung derVERMILLION zu planen. Seine nordisch weiße Haut sah gesund aus, und auf seinem kantigen Kinn zeigte sich bereits ein Bartschatten. Laura fand, er war der einzige von ihnen, der im Moment nicht wie ein drittklassiger Zombie wirkte.

»Es wurde bereits versucht, Systeme mit Gedanken wieder funktionsfähig zu machen«, antwortete Rojas mitfühlend. »Die Wach-Crew hat jahrelang versucht, mental die Ausrüstung an Bord zu beeinflussen. Völlige Zeitverschwendung. So funktioniert die Leere nicht. Es hat sich herausgestellt, dass wir unsere Maschinen nicht mit einem einfachen Wunsch reaktivieren können.«

»Die Leere hat eine Agenda?« Ayanna klang ungläubig. »Sie reden darüber, als würde sie leben. Oder hätte zumindest ein Bewusstsein.«

»Wer weiß«, erwiderte Rojas abweisend. Er deutete mit einem Nicken auf eines der großen holografischen Wandpaneele, das jetzt ein Image des Waldes zeigte. »Das da ist unser Auftrag, also konzentrieren wir uns bitte darauf.«

Ibu schüttelte den Kopf wie ein Bulle. »Also gut. Was wissen wir darüber?«

»Der Wald ist ein ovoidähnlicher Cluster von einzelnen Objekten, die wir Zerrbäume nennen. Er hat eine Länge von ungefähr siebzehntausend Kilometern an der Längsachse, und einen maximalen Durchmesser von fünfzehntausend. Angesichts der durchschnittlichen Größe eines Baumes von etwa neun Kilometern und der Anordnung, die wir aufgezeichnet haben, schätzen wir, dass es etwa fünfundzwanzig- bis dreißigtausend von ihnen sind.«

»Sind sie alle identisch?«, erkundigte sich Laura.

»Soweit wir wissen, ja«, antwortete Rojas. »Wenn wir uns ihnen nähern, können wir genauere Analysen durchführen.«

Ein weiteres Paneel wurde aktiviert und zeigte den länglichen Umriss eines Zerrbaums. Laura sah nur einen stromlinienförmigen Eiszapfen mit einem knollenförmigen Ende. Sein Profil schimmerte wellenförmig; trotz des sonderbaren Changierens wirkte die Oberfläche jedoch glatt.

»Sie sehen aus wie kristalline Raketen«, sagte Ayanna ehrfürchtig.

»Interessanter Gedanke«, meinte Ibu. »Weiß zufällig jemand, wie die Kriegsschiffe der Raiel aussehen?«

Joey warf ihm einen scharfen Blick zu. »Sie glauben, das könnte ihre verschollene Invasionsarmada sein?«

»Ich frage ja nur. Die Archenschiffe der Raiel, denen wir bisher begegnet sind, sind jedenfalls eine Art künstlicher Organismus.«

»Ihre Archenschiffe sind größer als diese Zerrbäume«, meinte Laura. »Sehr viel größer sogar.«

»Wir haben keinerlei Aufzeichnungen irgendeines Raumschiffs des Commonwealth über die Begegnung mit einem Kriegsschiff der Raiel«, mischte Rojas sich ein. »Wilson Kime hat berichtet, dass sich derENDEAVOUR ein Schiff näherte, das kleiner gewesen ist als ein Archenschiff, aber in etwa dieselbe Form hatte. Es sah aus wie ein Asteroid, auf dem überkuppelte Städte gewuchert waren.« Er deutete auf die schimmernde Spirale. »Nicht annähernd wie das da.«

»Was sagt ihr Albedo?«, fragte Ayanna.

Rojas grinste. »1.2. Sie strahlen mehr Licht aus, als die lokalen Sterne auf sie werfen. Genau wie die Skylords.«

»Das kann kein Zufall sein«, erklärte Joey. »Das wäre zu lächerlich. Es besteht eine Verbindung zwischen ihnen, eine andere Erklärung gibt es nicht. Dieselbe Technologie, oder aber Eltern und Kinder, was auch immer. Aber sie haben einen gemeinsamen Ursprung.«

»Dem stimme ich zu«, schloss Laura sich ihm an. »Die Skylords können das lokale Kontinuum so manipulieren, dass es ihnen ermöglicht, zu fliegen. Und diese Objekte verändern die Quantenstruktur um sich selbst. Der grundlegende Mechanismus muss derselbe sein.«

»Der Prüfungsausschuss des Captain ist bereits zu denselben Schlussfolgerungen gekommen«, meinte Rojas. »Wir müssen jetzt herausfinden, wie genau es funktioniert und warum das so ist.«

Joey versuchte zu lachen, seine zuckenden Wangenmuskeln erschwerten es ihm jedoch Er sabberte aus einem Mundwinkel. »Warum sie ihre Quantensignatur verändern? Wie wollen wir das herausfinden?«

»Wir fragen sie«, meinte Ibu. »Falls sie ebenfalls intelligent sind wie die Skylords.«

»Viel Glück dabei«, knurrte Rojas. »Unser Missionsziel lautet, die neue Quantenkomposition des Kontinuums innerhalb des Waldes zu begreifen. Wenn wir es definieren können, können wir daraus möglicherweise auch seinen Zweck ableiten.«

»Quantenmessung ist eine Standardprozedur«, hob Laura an, unterbrach sich dann jedoch. »Vorausgesetzt, unsere Instrumente funktionieren.«

»Ayanna, das ist Ihr Fachgebiet«, meinte Rojas. »Geben Sie mir eine Liste von Ausrüstung, die Sie benötigen. Wenn wir etwas davon nicht an Bord haben, finden wir heraus, ob die Fabrikationssysteme des Schiffs es herstellen können. Aber seien Sie nicht zu ehrgeizig; die Strangpressen haben ebenso gelitten wie alle anderen Systeme.«

Ayanna grinste ihn spöttisch an. »Ich werde versuchen, daran zu denken.«

»Laura.« Rojas drehte sich zu ihr herum. »Ihre Aufgabe besteht darin, zu determinieren, wie diese Anomalie erzeugt wird. Bis auf ihre Größe, die um ein paar hundert Meter abweicht, scheinen die Zerrbäume vollkommen gleich zu sein. Also gehen wir davon aus, dass diese Fähigkeit in ihrer Struktur integriert ist.«

»Verstanden«, gab sie zurück. »Soll ich Proben nehmen?«

»Falls dieser Wald uns nicht augenblicklich umbringt. Falls ich das Shuttle dorthin manövrieren und andocken kann. Falls die Bäume nicht intelligent sind oder Bewusstsein besitzen. Falls sie keine Verteidigungssysteme haben. Falls Ihre Raumanzüge funktionieren. Falls wir von ihrer Struktur überhaupt Proben nehmen können. Dann ja, vielleicht. Aber selbstverständlich bevorzugen wir eine Analyse vor Ort. Die Encounter-Vorschriften des Commonwealth gelten auch hier. Bitte denken Sie daran, Sie alle.«

Laura presste verstört die Lippen zusammen. »Also gut. Ich fertige eine Liste der entsprechenden Geräte an.«

Rojas stand auf. »Start in vier Stunden. Neben Ihrer Ausrüstung sollten Sie vielleicht auch etwas von Ihrem persönlichen Gepäck in Shuttle Vierzehn deponieren. Ich kann nicht garantieren, dass wir auch nur in der Nähe der VERMILLIONlanden, wenn die Mission vorbei ist.«

Nachdem Rojas den Raum verlassen hatte, drehte Laura sich zu Ibu herum. »War das eine Garantie dafür, dass er uns auf den Planeten runterbringt?« Sie versuchte, die Frage beiläufig klingen zu lassen.

Der hünenhafte Gravatonics-Professor rieb sich mit der zitternden Hand über eine Schläfe. »Glauben Sie etwa, dass wir es bis zum Planeten schaffen? Ich wünschte, ich könnte Ihren Optimismus teilen. Ich werde mich jedenfalls vergewissern, dass die Sicherungskopie meiner MemoryCell auf dem letzten Stand ist.«

»Ich bin weit zuversichtlicher, dass die Vierzehn den Planeten unbeschadet erreicht, als dass dieVERMILLIONes schafft«, sagte Laura. »Genau genommen überrascht es mich, dass Cornelius unserer Mission nicht mehr Spezialisten zugeteilt hat. Das Shuttle fasst wie viele Personen – sechzig?«

»Wenn alles funktioniert«, wandte Joey ein. »Ich glaube, dass er das Risiko ziemlich gut abwägt. Wenn wir es zum Wald schaffen, tragen wir vielleicht irgendetwas dazu bei, was uns hilft, einen Weg aus der Leere zu finden. Wenn nicht … Seien wir ehrlich, Leute wie wir dürften auf einer Pionierwelt, wo nur Maschinen aus dem zwanzigsten Jahrhundert funktionieren, nicht übertrieben schmerzlich vermisst werden.«

»Zwanzigstes Jahrhundert?«, spottete Ibu provozierend. »Noch so ein hoffnungsloser Optimist.«

»Ich bin auf einer Farm aufgewachsen«, protestierte Ayanna. »Wir haben das Land bestellt.« Sie verzog das Gesicht. »Zumindest habe ich Dad geholfen, die AgriBots zu programmieren.«

»Ich stelle meine Liste zusammen und überprüfe dann meinen Erinnerungsspeicher«, erklärte Laura. »Was nicht heißen soll, dass irgendeiner von uns in der Leere überhaupt je einen Relife-Klon bekommen könnte. Sieht aus, als hätten wir wieder nur ein einziges sterbliches Leben.«

Die Zeit war knapp, und es mussten viele Vorbereitungen getroffen werden. Darüber hinaus war alles auch noch erheblich problematischer, als es hätte sein sollen, dank des Ausfalls des Netzwerks und des Kommandokerns derVERMILLION. Dennoch konnte Laura ein paar Minuten abzweigen, um zum Suspensionsareal zurückzukehren. Ihr »Sarkophag« stand immer noch offen, die Mechanismen darin waren erkaltet und träge. Sie hatte eigentlich erwartet, dass MechBots darum herumschwärmten, aber nichts störte die Ruhe der langen Halle. Am Fuß der Suspensionsröhre befand sich ein schlichter Metallspind für ihre persönlichen Sachen. Glücklicherweise öffnete er sich, als ihr U-Shadow den Code sendete. Viel lag nicht darin: ein Beutel mit anständiger Kleidung und einer mit Erinnerungsstücken. Sie öffnete Letzteren.

In dem Beutel befand sich das hölzerne, geschnitzte Schmuckkästchen, das Andrze ihr auf ihrer Hochzeitsreise nach Tanyata gekauft hatte. Die bunte Farbe war nach drei Jahrhunderten mittlerweile verblasst. Der rostrote Schal mit dem Kunstdruck der Ureinwohner, den sie in Kuranda gefunden hatte. Die Flöte mit dem wundervollen, weichen Klang, die in Venice Beach hergestellt worden war. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, mit wem sie zusammen gewesen war, als sie sie gekauft hatte. Dann war da noch das phänomenal kostspielige – und auf dem Schwarzmarkt erstandene – Stück Silberkristall von dem Ma-hon-Baum aus New Yorks Central Park. Es war ein Beutel mit Erinnerungsstücken, ein kleines Museum von ihr selbst – und weit wichtiger als jede MemoryCell, die Erinnerungen speicherte, für die in ihrem Gehirn kein Platz mehr war. Es war sonderbar, wie diese konkreten Gegenstände ihr ein weit beruhigenderes Gefühl von Identität verliehen als ihre eigenen angereicherten, gesicherten und reprofilten Neuronen. Sie nahm ein lächerlich dickes und unpraktisches, sechshundert Jahre altes Schweizer Armeemesser aus dem Beutel, das mit etwa zwanzig verschiedenen Werkzeugen und Klingen bestückt war. Es handelte sich um ein Geschenk von Althea, daran erinnerte sie sich, der Künstlerin, die mit voller Absicht alle technologischen Errungenschaften abgelehnt hatte, die das Commonwealth seinen Bürgern bot.

Althea, die allein für die Idee eines Fluges in eine andere Galaxie nur Verachtung übrig gehabt hätte, falls Laura überhaupt den Mut gefunden hätte, ihr zu erzählen, dass sie das vorhatte. Laura grinste, als sie daran dachte, wie ihre alte Freundin sich über die Nachricht gefreut hätte, dass sie in der künstlichen Absonderlichkeit der Leere festsaßen. »Hybris!«, hätte sie zweifellos voller Freude gerufen. Und nun funktionierte dieses Taschenmesser wahrscheinlich als Einziges von all dem, was Laura besaß, noch am besten. Hätte Althea das erfahren, wäre sie vor lauter Selbstgefälligkeit förmlich explodiert.

Laura schob das antike Taschenmesser in die Brusttasche ihres Schiffsoveralls. Das Gewicht war irgendwie tröstlich, ebenso wie das Wissen, dass seine Schlichtheit sie nicht im Stich lassen würde. Es passte irgendwie in die Leere.

Shuttle Vierzehn besaß vage eine Deltaform und hatte glatte, abgerundete Flügelspitzen, die ihm irgendwie ein organisches Aussehen verliehen. Es war eine ungewöhnliche Maschine, eine Kreuzung zwischen einem altmodischen Fluggerät und den abgeflachten, ovoiden Formen der Standard-Regrav-Kapseln des Commonwealth. Das Shuttle war sowohl dafür ausgelegt, Passagiere zu einem Planeten zu transportieren, als auch im Mittelstreckenbereich vorbereitende Erforschung zu ermöglichen. Es konnte zwischen den Planeten eines Sonnensystems verkehren, genaue Beobachtungen starten sowie Forscher und wissenschaftliche Ausrüstung landen. Ein Artefakt im Weltraum zu untersuchen lag also durchaus im Bereich seiner Möglichkeiten.

Als Laura das Shuttle betrat, hatte sie den Eindruck, dass sie gerade fünf Jahrhunderte in der Entwicklung der Luftfahrt zurückgegangen war. Die Bugkabine war nicht direkt beengt, aber die zehn großen Beschleunigungsliegen, die in zwei Reihen angeordnet waren, füllten den größten Teil des Raumes aus. Ganz vorne stand isoliert die Liege des Piloten; darüber bog sich die große Frontscheibe. Sie sah die längst überflüssig gewordene, hufeisenförmige Konsole aus glänzendem dunklen Plastik, auf der für gewöhnlich ein paar Grundfunktionen des Fluggeräts angezeigt wurden. Wie bei allen technischen Geräten im modernen Commonwealth wurde Shuttle Vierzehn jedoch von einem kognitiven Array kontrolliert, und der menschliche Pilot diente nur als – hauptsächlich psychologisches – Back-up.

Heute jedoch hatte Rojas sämtliche manuell bedienbaren Notfallkontrollen aus der Konsole gefahren, die sie in ein verwirrendes Chaos aus Schaltern und Tasten verwandelte. Flugbahndaten glitten wie holografische Fische über die Frontscheibe. Auf kleineren Schirmen, die aus der Konsole hochgefahren waren, glühten komplexe Systemstatus-Symbole.

Laura beäugte sie misstrauisch, als sie sich auf ihrer Liege festschnallte. Die bunten 3-D-Glyphen ähnelten verdächtig jenen, die sie auf den Wandpostern in der Grundschule gesehen hatte, wenn sie ihre erste Bande Kinder morgens dort abgesetzt hatte. Das war vor dreihundertfünfzig Jahren gewesen. Ist ihnen seitdem nichts Fortschrittlicheres eingefallen?

Rojas ruhte gelassen auf der Pilotenliege und betrachtete die sich ständig ändernden Hologramme und die blinkenden Schalter wie ein Astronaut aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Seine Stimme war ein leises, von Zuversicht durchdrungenes Murmeln, als er in sein Array sprach.

»Sieht aus, als wäre unser glorreicher Chauffeur mit seiner Ausrüstung zufrieden«, sagte Ibu leise, als er sich auf die Liege neben Laura niederließ. »Fühlt sich großartig an, am Leben zu sein, wenn man sein Leben in seine Hände legt, stimmt’s?«

Sie grinste ihn an. Ibu hatte einen phlegmatischen Blick auf das Leben, den sie schätzte. Er war eine gute Wahl für das Team. Was Joey anging, hatte sie sich noch nicht entschieden. Wenn überhaupt, hatten sich die Krämpfe in seinen Gesichtsmuskeln verschlimmert. Ihr war klar, dass das ein bloßes Vorurteil war, aber er sah aus, als hätte er ein übles neurologisches Problem und nicht nur einen Schaden vom Tank-Yank davongetragen, der, wie er ihnen versicherte, keinerlei weitere Konsequenzen hätte. Abgesehen davon deuteten die Emotionen, die seinem abgeschirmten Verstand entschlüpften, darauf hin, dass er diese Mission missbilligte. Er war nicht von ganzem Herzen dabei.

Ayanna dagegen benahm sich perfekt professionell und schien nur an ihrer Wissenschaft interessiert zu sein. Das Problem mit ihren neuen mentalen Fähigkeiten hier in der Leere war, dass jeder das blanke Entsetzen registrierte, das aus den Rissen in der Abschirmung ihres Verstands sickerte.

»Zwei Minuten«, verkündete Rojas.

Fünf Meter vor der stumpfen Nase des Shuttles blinkten rote Warnlichter über den inneren Toren des Landehangars, während sie langsam zuglitten. Laura verzog das Gesicht, setzte die gepolsterte Kappe auf und schnallte sich an, damit sie nicht von der Liege schweben konnte. Sie schloss die Gurte einfach so zusammen, wie sie es aus ihrer Kindheit erinnerte. Niemand verließ sich darauf, dass die Liegenpolster aus Ply-Plastik sie halten konnten.

Als sich die Riemen in ihre Schultern gruben, versuchte sie, ihre Atmung zu kontrollieren. Abgesehen von den beiden obligatorischen Notfalltraining-Sessions, die durchgeführt worden waren, bevor die Kolonisierungsflotte den Commonwealth-Raum verließ, hatte sie seit Jahrzehnten keine Zeit in Null-Gravitation verbracht. Einige Leute liebten es, wegen der Bewegungsfreiheit. Aber sie brauchte in der Schwerelosigkeit jedes Mal die Hilfe ihrer Biononics, um die Übelkeit zu unterdrücken. Andy Granfore hatte ihr ein paar Medikamente gegeben, die ihr helfen würden, wie er versprochen hatte. Aber sie setzte keine großen Hoffnungen darauf. Außerdem stand sie immer noch unter der Wirkung der Tank-Yank-Supressoren. Wahrscheinlich würde man ihre Biochemie als Alien einstufen, wenn sie jetzt gründlich gescannt würde.

»Fusionskammern aktiv und stabil«, verkündete Rojas. »Bordsysteme vierundneunzig Prozent funktionsfähig. Versorgungsverbindungen werden geschlossen.«

Ein großer violetter Stern flammte auf einem der Displays auf der Konsole auf. »Sieht gut aus, Vierzehn!«, dröhnte Cornelius Brandts Stimme aus den Kabinenlautsprechern.

»Kein Scheiß«, murmelte Laura. Es war nur ein Shuttle-Start, um Himmels willen! Diese ganzen Versicherungen und Checks verstärkten ihre Anspannung immer mehr.

»Ich wollte nur noch einmal betonen, dass Ihre Mission zwar durchaus wichtig ist, aber sie ist es nicht wert, lebensgefährliche Risiken dafür einzugehen«, fuhr der Kapitän des Raumschiffs fort. »Sobald wir uns auf der Oberfläche eingerichtet haben, verwenden wir sämtliche Ressourcen darauf, einen Weg aus der Leere zu finden. Es liegen noch sehr viele sehr kluge Leute in Suspension. Jede Information, die Sie liefern, ist wertvoll, selbst wenn es eine negative ist.«

»Verstanden,VERMILLION«, sagte Rojas. »Und danke. Fünfzehn Sekunden bis zum Start. Trennung der Versorgungsverbindungen bestätigt. Fünf grüne Lichter für Lösung der Halteklammern. Regrav-Einheiten online. Initiiere Start.«

Alle roten Lampen im Hangar wurden violett und zeigten das Vakuum an. Die äußeren Türen glitten auf und gaben den Blick auf das mitternachtsschwarze Universum dahinter frei. Das Shuttle vibrierte leicht, als es sich aus den Verankerungen hob. Rojas steuerte es durch die Luftschleuse hinaus.

Unwillkürlich beugte Laura sich vor, um einen besseren Blick durch die Frontscheibe zu erhaschen. Der sonderbare Weltraum, den sie bisher nur in den Hologrammen derVERMILLION gesehen hatte, öffnete sich jetzt real vor ihr, als die Vierzehn aus dem Hangar glitt. Irgendwie gelang es der Leere, dunkler zu wirken als der normale Weltraum. Das ist der Kontrast, sagte sich Laura. Auf den Welten des Commonwealth waren in der Nacht so viele Sterne zu sehen, angefangen von dem schwachen Band der Milchstraße bis hin zu den hellen Lichtpunkten der Weißen Riesen. Sie waren ewig um sie herum. Hier allerdings waren nur sehr wenige Sterne zu sehen, wahrscheinlich nicht mehr als ein paar tausend, aber die Nebula entschädigten sie für die Abwesenheit von Sternen. Es mussten Hunderte sein, angefangen von großen Flecken schimmernden Plasmastaubs, der sich über Lichtjahre erstreckte, bis zu schwachen Klecksen, die in den unbekannten Tiefen glühten.

Die Gravitation verebbte allmählich, als sie dieVERMILLION hinter sich ließen. Vierzehn setzte zu einer langsamen Rolle an, und Laura sah, wie die gewaltige Klippe schaumbedeckten Metalls vorbeischwebte, als würden sie parallel dazu fallen. Das Raumschiff besaß keine besonders elegante Struktur, sondern ähnelte eher schweren, zusammengenieteten industriellen Modulen, die von dem allgegenwärtigen Schaum überzogen waren, der nach seiner langen Zeit im Vakuum ausgebleicht und pockennarbig geworden war. Auf dünnen Stangen ragten alle möglichen Gegenstände aus dem Schaum heraus: Sensoren, ComLinks, molekulare Kraftfeldröhren … Helle, neonorange Linien glühten in den tiefen Spalten, den Säumen zwischen den Modulen, wo die Thermalmüll-Radiatoren energisch die überschüssige Hitze des Raumschiffs ins Vakuum abstrahlten. Regrav- und IngravDrives bildeten Cluster von stumpfen Zylindern, die so groß waren wie das Shuttle. Sie bestanden aus dunklem Glas, durch das grüne Blitze zuckten. Das hintere Drittel derVERMILLION war wie ein geometrischer Darm in Frachtröhren unterteilt. Sie enthielten alles, was man brauchte, um auf einer jungfräulichen Welt eine technologisch fortgeschrittene menschliche Zivilisation einzurichten.

Und das alles ist hier absolut nutzlos, dachte Laura trostlos.

Rojas fuhr den RegravDrive von Vierzehn hoch, und das Shuttle entfernte sich zunehmend schneller von derVERMILLION. Lauras Gleichgewichtsgefühl veränderte sich rapide, als die Gravitation sich auf ein Drittel der Standardschwerkraft einpegelte. Ihrer Wahrnehmung nach stand das Shuttle jetzt auf dem Heck und sie lag flach mit dem Rücken auf der Liege, während der Boden zur Wand geworden war. Rojas war über ihr. Seine Liege knarrte, als sie die Gewichtsverlagerung absorbierte.

#Geht es euch gut?# Die mentale Stimme in ihrem Kopf klang weich.

Niemand brauchte Laura zu sagen, dass dies der Skylord war. Der Geist, den sie hinter diesen Gedanken spürte, war gewaltig und einschüchternd gelassen.

»Ja … danke.« Unwillkürlich verstärkte sie die Abschirmung ihrer eigenen Gedanken, sodass ihr emotionales Leck jetzt minimal war. Aus der Starrheit der Personen um sie herum schloss sie, dass die anderen an einer identischen telepathischen Konversation teilnahmen.

#Ihr verlasst den Weg.# In der Stimme des Skylords schwang ein Hauch Sorge mit. #Ist meine Führung nicht mehr akzeptabel? Wir sind so dicht an einer Welt, auf der ihr gedeihen werdet und Erfüllung findet.#

Rojas hob die Hand, damit niemand ihm mit einer Antwort zuvorkam, und aktivierte dann seine eigene telepathische Stimme für alle. #Wir danken dir für deine Führung und freuen uns darauf, schon sehr bald zu unseren Freunden auf die Welt zu gelangen, zu der du uns bringst.#

#Ich bin froh für euch. Warum zaudert ihr?#

#Wir möchten die Natur dieser Welt erforschen und alles, was ihr nah ist. Das ist unser Weg zur Erfüllung.#

#Ich verstehe. Eure derzeitige Flugbahn bringt euch dicht an unsere Gebärregion.#

#Meinst du diese Ansammlung von Objekten?# Rojas schickte ein mentales Bild des Waldes hinaus.

#Ja.#

#Kommen die Skylords von dort her?#

#Nicht aus dieser Gebärregion, wir stammen von einer anderen.#

#Was sind diese Objekte in der Gebärregion? Eier?#

#Die Gebärregion erschafft uns.#

#Wie?#

#Indem sie uns erschafft.#

#Erhebst du Einspruch dagegen, dass wir dorthin gehen?#

#Nein.#

#Diese Region ist anders als der Rest der Leere. Warum?#

#Es ist eine Gebärregion.#

#Sind diese Regionen wichtig für euch?#

#Wir kommen aus einer Gebärregion. Wir kehren nicht dorthin zurück. Wir führen jene, die Erfüllung erlangt haben, in das Herz der Leere.#

#Wo ist das?#

#Es ist an der Vollendung eurer Erfüllung.# Die Präsenz des Skylords zog sich aus der Kabine zurück.

Rojas schüttelte den Kopf und seufzte. Seine Gedanken verrieten eine gewisse Frustration. »So endet jedes Gespräch mit den Skylords«, sagte er dann. »Mit beschissenen Rätseln.«

»Das ist doch eine fantastische Entdeckung«, erklärte Joey. »Die Zerrbäume gebären sie oder erschaffen sie oder bringen sie irgendwie in die Existenz. Dort kommen sie her. Unsere Mission ist bereits halb vollendet, und wir sind erst zwei Minuten unterwegs.«

»Wenn man ihm denn glauben will«, sagte Rojas. »Sie sind schlüpfrige kleine Mistkerle.« Er aktivierte mit einem Schalter einen Kommunikationskanal zurVERMILLION und gab einen Bericht von der Unterhaltung durch.

Nachdem Shuttle Vierzehn drei Stunden und siebzehn Minuten lang mit 0.7 g beschleunigt hatte, drehte es um 180 Grad und bremste mit derselben Energie ab. Sechseinhalb Stunden, nachdem sie von derVERMILLION gestartet waren, glich Rojas mit den letzten Manövern ihre Geschwindigkeit an, und dann hing das deltaförmige Shuttle im Raum, zweieinhalbtausend Kilometer vom Wald entfernt.

Laura betrachtete ihn durch die Frontscheibe des Shuttles. Eine riesige Ansammlung silberner Punkte, die hell leuchteten und die Hälfte des Weltraums im Ausschnitt des Fensters blockierten. Ihre Augen spielten ihr einen Streich und ließen den Eindruck enststehen, dass jeder dieser Punkte frei umhertrieb. In Wirklichkeit jedoch flackerte und schimmerte nur das bizarre Muster ihrer Oberflächen. Dann sprangen die Sensoren an und lieferten ein vernünftiges Bild der Zerrbäume am Rand des Waldes.

»Sie sind nicht von diesem Nebel umgeben wie die Skylords«, sagte Joey undeutlich. Das Zucken in seinem Gesicht verschlimmerte sich immer mehr. Da sie jetzt in der Schwerelosigkeit trieben, sickerte Speichel aus seinen geöffneten Lippen und trieb in der Kabine herum. Es gefiel Laura gar nicht, wie sich seine Probleme entwickelten. Shuttle Vierzehn hatte zwar eine MedKapsel, aber die war nicht annähernd so hoch entwickelt wie die Kapseln auf der VERMILLION. Und sie musste zugeben, dass sie selbst sehr gut darauf verzichten konnte, sich einer Prozedur in der MedKapsel zu unterziehen. Die Systemausfälle des Shuttles häuften sich.

In derselben Geschwindigkeit wie Joeys Beeinträchtigungen?

»Ansonsten gibt es kaum Unterschiede«, erklärte Ayanna. »Die hier sind nur kleiner.«

»Und schmaler«, präzisierte Rojas. »Außerdem rotieren sie sehr langsam um ihre Längsachsen. In einem Neun-Stunden-Zyklus.«

»Eine Thermalrolle?«, wollte Laura wissen.

»Sieht zumindest so aus. Zumindest ist das die einfachste Möglichkeit, im Raum eine stabile Temperatur zu erhalten.«

»Also gibt es etwas, was sie rollen lässt«, folgerte Laura.

»Aber nichts Sichtbares. Es ist jedenfalls kein Reaktions-Kontrollsystem.«

»Vielleicht magnetisch?«, erkundigte sich Joey.

»Ich nehme kein signifikantes Magnetfeld wahr«, erwiderte Rojas. »Sie sind fast vollkommen passiv.«

»Was ist mit der anormalen Quantensignatur?«

Ayanna musterte kurz ein paar Displays, und ihre Miene verfinsterte sich. »Das ist sehr sonderbar. Die temporale Raumzeit-Komponente ist dort anders.«

»Temporal?«, fragte Ibu.

»Ich glaube, dass in diesen Dingern die Zeit langsamer fließt. Diese Annahme ist keineswegs absurd; unsere Wurmlöcher können den internen Zeitfluss ganz ähnlich manipulieren. Wir können sogar die Zeit in exotische-Materie-Käfigen anhalten, vorausgesetzt, sie sind richtig formatiert.«

»Sie meinen, da drin geschieht alles langsamer?«, erkundigte sich Rojas.

»Relativ zur Außenwelt des Waldes, ja.«

»Also bestehen die Bäume aus Exotischer Materie?« Das war Joey.

»Keine Ahnung. Aber negative Energie ist bisher das Einzige, das unseres Wissens nach Raumzeit manipulieren kann. Also muss irgendetwas davon irgendwo da drin sein.«

»Dann müssen wir dort reingehen und Proben nehmen«, erklärte Laura.

»Sie wiederholen sich«, erwiderte Ayanna trocken.

»Finden wir erst mal raus, ob wir das überhaupt können«, schlug Rojas vor. Er hantierte geschickt mit einigen Schaltern auf der Pilotenkonsole. Am unteren Drittel des Shuttle-Rumpfs glitt langsam eine Luke aus Malmetall auf. Vier Mk24-GSDs (General-Science-Drohnen) verließen ihren Silo und flogen in Richtung des Waldes. Sie sahen aus wie schwarze, mit sechseckigen Diamanten gespickte Fußbälle.

»Funktionen sind in Ordnung«, meldete Rojas. Jede Mk24 sendete ein Bild auf einen Konsolenschirm. »Ich schicke eine nach der anderen hinein.«

»Es gibt keine klare Barriere«, warf Ayanna ein. »Der Effekt verstärkt sich einfach, während man sich der äußersten Schicht der Bäume nähert.«

»Sie meinen, ich bekomme immer stärker verzögerte Telemetriedaten?«

»Das wäre möglich.« Die Unsicherheit war ihren Gedanken anzumerken.

»Die erste Drohne sollte die Bäume in vierzig Minuten erreichen«, erklärte Rojas.

Laura blickte weiter durch die Frontscheibe. Es war für sie einfacher, als ständig die Bilder der Mk24 neu auszuwerten. Sie bekamen von den Drohnen nicht viel mehr als die komplette Spektralaufnahme. Wissenschaftlich relevante Daten flossen eher spärlich. Der Solarwind war normal, ebenso wie die kosmische Strahlungsumgebung.

»Ich frage mich, ob sich so Schizophrenie anfühlt«, meinte Ibu nach zwanzig Minuten. »Ich wollte ein neues, aufregendes Leben; deswegen habe ich mich an dem Kolonieprojekt beteiligt.«

»Aber nicht so aufregend.« Laura lächelte.

»Absolut nicht. Trotzdem muss ich zugeben, dass die Leere faszinierend ist. Ich meine, von einem rein akademischen Standpunkt aus betrachtet.«

»Das ist mir immer noch lieber als Langeweile.«

Der Hüne legte den Kopf auf die Seite und betrachtete sie interessiert. »Sie haben sich entschieden, in eine andere Galaxie zu gehen, weil Sie sich gelangweilt haben?«

»Ich hatte sechs Ehepartnerschaften und erheblich mehr Spaßpartnerschaften. Ich habe zwölf Kinder, von denen nicht alle aus einem Bruttank stammen; ich bin zweimal richtig schwanger gewesen, was längst nicht so schlimm war, wie ich erwartet hatte. Ich habe auf den Externen und den Inneren Welten gelebt und jeden Lebensstil ausprobiert, der nicht ganz offenkundig hirnrissig war. Ich hatte erwartet, Wissenschaftler an der Speerspitze der Forschung zu sein, wäre unendlich faszinierend. Von wegen! Verdammt, wenn man nicht selbst drin steckt, hat man keine Ahnung, wie viel armselige Politik es in der Akademie gibt! Also hieß das für mich: Entweder ein wirklicher Neu-Start oder Download in ANA, um mich zu all den körperlosen Geistern zu gesellen, die bis in alle Ewigkeit miteinander streiten. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass das eine vernünftige Lösung ist.«

»Interessant. Welcher Fraktion hätten Sie sich denn angeschlossen?«

»Die Brandts stehen traditionellerweise auf der Seite der moderaten Advancer. Das klang auch nur nach mehr von demselben Scheiß. Also bin ich hier.«

Ibu deutete auf die riesigen silbernen Pünktchen jenseits der Scheibe. »Und das da ist nicht der unendliche Thrill, nach dem Sie gesucht haben? Sie müssen doch sehr zufrieden mit dem sein, was das Schicksal uns vor die Nase gesetzt hat.«

»Irgendwie sieht es für mich eher nach unendlichen Schwierigkeiten aus.«

»Vielleicht. Aber wir stecken mitten im größten Rätsel der Galaxie. Wenn wir es nicht lösen, werden wir niemals ins reale Universum zurückkehren. Ich glaube kaum, dass man eine größere Motivation finden kann.«

»Je mehr ich davon sehe und verstehe«, erwiderte Laura, »desto mehr habe ich das Gefühl, dass wir nur Laborratten sind, die in einem besonders bizarren Labyrinth herumrennen. Welche Art von Macht erfordert es, uns hier hereinzuziehen und uns anschließend ganz offenkundig zu ignorieren?«

»Sie glauben, wir werden beobachtet?«