Der alte Hof von Averøya: Die geheime Hoffnung, Zeit des Schicksals & Ein neuer Anfang - Harriet Hegstad - E-Book

Der alte Hof von Averøya: Die geheime Hoffnung, Zeit des Schicksals & Ein neuer Anfang E-Book

Harriet Hegstad

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Beschreibung

Der Traum eines anderen Lebens … DIE GEHEIME HOFFNUNG: Eine Insel vor der Küste Norwegens, Anfang des 20. Jahrhunderts: Obwohl die junge Emma ihre Familie liebt, hat sie sich immer nach mehr gesehnt als dem Leben auf einer Farm. Als der Künstler Nicolai in die Gegend kommt, scheint es, als würde ihr Traum der Malerei in greifbare Nähe rücken. Doch schon bald ziehen dunkle Wolken über dem Hof auf, als Emmas junge Nachbarin Synnøve überfallen wird … ZEIT DES SCHICKSALS: Emma hat ihren Traum vom Malen nicht aufgegeben, aber als man sie zu ihrer Tante im nahegelegenen Kristiansund in die Lehre schickt, um Schneiderin zu werden, will sie dennoch das Beste daraus machen. Immerhin kann sie so dem Nachbarssohn Olav nahe sein, der ihr Herz höher schlagen lässt. Doch schon bald drängt sich ein Geheimnis aus der Vergangenheit vor ihr neues Glück … EIN NEUER ANFANG: Emmas Talent als Schneiderin hat sich in Kristiansund herumgesprochen – doch viele Sorgen überschatten ihr Glück: Ihr geliebter Olav arbeitet für seinen Onkel Kåre Dal, dem Emma zutiefst misstraut. Zuhause weigert sich ihr ältester Bruder, den Familienhof zu übernehmen – und ihr Zwillingsbruder Johannes begibt sich auf die gefährliche Suche nach dem Mann, der die junge Nachbarstochter angegriffen hat ... Der Beginn der bewegenden Averøya-Saga jetzt in einem Band – für alle Fans von Ines Thorn und Charlotte Jacobi.

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Seitenzahl: 740

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

DIE GEHEIME HOFFNUNG: Eine Insel vor der Küste Norwegens, Anfang des 20. Jahrhunderts: Obwohl die junge Emma ihre Familie liebt, hat sie sich immer nach mehr gesehnt als dem Leben auf einer Farm. Als der Künstler Nicolai in die Gegend kommt, scheint es, als würde ihr Traum der Malerei in greifbare Nähe rücken. Doch schon bald ziehen dunkle Wolken über dem Hof auf, als Emmas junge Nachbarin Synnøve überfallen wird …

ZEIT DES SCHICKSALS: Emma hat ihren Traum vom Malen nicht aufgegeben, aber als man sie zu ihrer Tante im nahegelegenen Kristiansund in die Lehre schickt, um Schneiderin zu werden, will sie dennoch das Beste daraus machen. Immerhin kann sie so dem Nachbarssohn Olav nahe sein, der ihr Herz höher schlagen lässt. Doch schon bald drängt sich ein Geheimnis aus der Vergangenheit vor ihr neues Glück …

EIN NEUER ANFANG: Emmas Talent als Schneiderin hat sich in Kristiansund herumgesprochen – doch viele Sorgen überschatten ihr Glück: Ihr geliebter Olav arbeitet für seinen Onkel Kåre Dal, dem Emma zutiefst misstraut. Zuhause weigert sich ihr ältester Bruder, den Familienhof zu übernehmen – und ihr Zwillingsbruder Johannes begibt sich auf die gefährliche Suche nach dem Mann, der die junge Nachbarstochter angegriffen hat ...

Über die Autorin:

Harriet Hegstad, Jahrgang 1944, ist eine norwegische Autorin. Bevor sie sich dem Schreiben widmete, arbeitete sie als Kindergärtnerin. Viele ihrer populären Kurzgeschichten und Romane sind bereits in skandinavischen Wochenzeitschriften erschienen und sie hat an mehreren nordischen Roman- und Kurzgeschichtenwettbewerben erfolgreich teilgenommen. Harriet Hegstad liebt die Natur, das Angeln und Bücherlesen, Handarbeiten und auf Reisen gehen. Sie hat vier erwachsene Kinder und sieben Enkel.

Harriet Hegstad veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Averøya-Reihe mit den Bänden »Der alte Hof von Averøya: Die geheime Hoffnung«, »Der alte Hof von Averøya: Zeit des Schicksals«, »Der alte Hof von Averøya: Ein neuer Anfang«, »Der alte Hof von Averøya: Tage des Sturms« und »Der alte Hof von Averøya: Wandel des Herzens«.

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Sammelband-Originalausgabe Februar 2025

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane, die im Sammelband enthalten sind, finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98952-775-1

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Harriet Hegstad

Der alte Hof von Averøya: Die geheime Hoffnung, Zeit des Schicksals & Ein neuer Anfang

Die ersten drei Bände der norwegischen Saga in einem eBook

dotbooks.

Der alte Hof von Averøya:Die geheime Hoffnung

Aus dem Norwegischen von Marius Merian

Eine Insel vor der Küste Norwegens, Anfang des 20. Jahrhunderts: Obwohl die junge Emma ihre Familie liebt, hat sie sich immer nach mehr gesehnt als dem einfachen Leben auf einer Farm. Als der Künstler Nicolai in die Gegend kommt, scheint es, als würde ihr Traum, der Leidenschaft für die Malerei nachzugehen, in greifbare Nähe rücken. Doch schon bald ziehen dunkle Wolken über dem Hof auf, als Emmas junge Nachbarin Synnøve überfallen wird ... Kann es sein, dass Emma den Mann kennt, der Synnøve Unaussprechliches angetan hat?

Personen

Emma Vik

Johannes Vik: Emmas Zwillingsbruder

Jacob Vik: Emmas älterer Bruder

Ragna Vik: Emmas jüngere Schwester

Karen und Peder Vik: Emmas Eltern

Serine und Einar Dal: Nachbarn der Viks

Olav, Tore, Synnøve,

Dagny und Grete Dal: Kinder der Dals

Augusta Vik: Emmas Tante, Näherin

Nicolai Thorp: Künstler

Averøya

Averøya ist die größte Insel des Bezirks Averøy und liegt in Nordmøre, dem nördlichsten Teil der Provinz Møre und Romsdal. Averøy umfasst mehrere große und kleine Inseln, liegt am Nordmeer und ist von Fjordarmen umgeben. Im Osten liegt die Stadt Kristiansund. Die Geschichte von Emma und Johannes spielt an einem fiktiven Ort auf Averøya, irgendwo zwischen Bremsnes und Bruhagen. Der Hof, den ich Vik genannt habe, liegt an einem Fjord im Nordwesten der Insel. Die Serie handelt von den Zwillingen Emma und Johannes. Sie stehen einander sehr nahe, wie es bei Zwillingen oft der Fall ist. Die Geschichte beginnt im Jahr 1911, als die meisten Inselbewohner von Ackerbau und Fischfang lebten.

Prolog

»Wie schön sie sind.« Peder streichelte die kleinen Pausbäckchen andächtig mit einem Finger. Die Kinder lagen dicht aneinandergeschmiegt im Bett.

Karen betrachtete ihren Ehemann mit einem warmen Blick.

»Sie halten sich im Schlaf an der Hand, ich bringe es nicht übers Herz, sie zu trennen.«

Peder betrachtete die beiden Wiegen neben dem Bett. Die eine war ein Familienerbstück, die andere hatte er selbst gebaut. Es fehlten nur noch die Initialen. Das Mädchen sollte Emma heißen, der Junge Johannes.

»Wollen wir nicht versuchen, sie wieder in die Wiegen zu legen? Ich habe es langsam satt, im Gästezimmer zu schlafen.«

»Ich weiß, Liebling«, seufzte Karen. »Aber sie werden nur anfangen zu weinen, und sie sind doch noch so klein. Glaubst du, sie werden immer so eng verbunden sein?«

»Wer weiß«, sagte er voller Stolz. »Sie sind ja Zwillinge.«

Kapitel 1

Averøya, Mai 1911

»Emma!« Karen schirmte ihre Augen mit der Hand gegen das gleißende Licht ab. Der Fjord glitzerte, und die Sonne schien so stark, als wäre es schon mitten im Sommer. »Emma!« Sie schob sich eine Haarsträhne unter das Kopftuch und spürte, wie sie langsam ärgerlich wurde. Sie hatte ihre Tochter gebeten, ihr beim Zusammenlegen des Bettzeugs zu helfen, das an der Wäscheleine im Wind flatterte, aber die hatte offensichtlich anderes im Sinn. Von Emma war mal wieder keine Spur zu sehen.

Karen horchte eine Weile, doch bis auf den Wind, der Stunde um Stunde zunahm, und die Wellen, die mit gewaltiger Kraft gegen die Klippen krachten, war nichts zu hören. Weiße Gischt hing in der Luft und wurde vom heftigen Wind Richtung Land getragen.

Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, schmeckte Salz. Ihre Gedanken wanderten wieder zur Wäsche, mit der sie sich stundenlang unten am Fluss geplagt hatte, mit krummem Rücken über dem Zuber. Jetzt würde sich das Salz darin festsetzen und sie steif und ungemütlich machen. Sie beobachtete, wie sich im Westen die Wolken türmten. Obwohl der Hof gut geschützt ganz am Ende des Fjordarmes lag, würde es nicht mehr lange dauern, bis das Unwetter bei ihnen wäre.

Die Stalltür ging auf, und ihr jüngster Sohn Johannes trat heraus. Er hielt inne und musterte die Tür. Schwang sie vor und zurück, bevor er sich mit der Schulter gegen sie stemmte und sie zudrückte. Dann kam er auf Karen zugeschlendert, die Hände in den Hosentaschen.

»Die Tür hängt schief. Man bekommt sie kaum mehr zu.«

»Ja …«, seufzte Karen schwer. »Ich schaffe es auch nur mit aller Kraft. Sie muss repariert werden, bevor der Winter kommt.«

»Oder wir bauen eine neue. Sie ist sowieso undicht und morsch. Ich werde Vater fragen, ob wir etwas von dem Holz in der Scheune dafür nehmen können.«

»Mach das. Ein neuer Stall wird daraus wohl sowieso nicht mehr, man kann es also ruhig benutzen.« Ihre Stimme klang verbittert. Sie bemerkte es selbst und fügte hinzu: »Dein Vater hat mal so etwas verlauten lasse, ich denke also, dass das kein Problem ist.«

»Ich rede mit ihm.« Er stellte sich neben sie und sah auf den Fjord hinaus. »Heute Abend kommt ein Unwetter.«

»Sieht so aus.« Sie fuhr sich über die Stirn, als wollte sie alle Gedanken wegstreichen. »Weißt du, wo Emma ist?«

»Nein. Als ich sie zuletzt gesehen habe, war sie im Trockenhaus und hat die Melkeimer ausgewaschen.« Er schob sich die Mütze in den Nacken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Sie ist sicher bei Vater«, sagte er gleichgültig und zuckte mit den Schultern.

Karen sah ihn an, ihre Lippen wurden zu einem schmalen Strich.

»Ist er denn nicht im Stall?«

»Nein. Wahrscheinlich ist er auf dem Kartoffelacker. Wir sollten die Kartoffeln bald stecken. Ich hab sie mir gestern angesehen und sie haben eigentlich schon zu sehr getrieben. Es wird schwierig, sie in die Erde zu kriegen, ohne die zarten Triebe abzubrechen.«

»Draußen auf dem Acker also«, schnaubte sie verächtlich. »Da müsste er aber dann mit bloßen Händen graben. Die ganzen Geräte lehnen noch an der Stallwand.« Sie besann sich. »Hilfst du mir mit dem Bettzeug? Emma hat offensichtlich Besseres zu tun, als ihrer Mutter zur Hand zu gehen.«

»Natürlich.« Er sah sie von der Seite an. »Emma hat etwas davon gesagt, dass sie Vater mit den Ködern helfen wollte.«

»So, hat sie das.« Karen ging mit schnellen Schritten zur Wäscheleine und begann, mit hitzigen Bewegungen die Wäsche abzunehmen. »Hier.« Sie reichte Johannes das eine Ende des Lakens. »Ich kann reden, so viel ich will. Alles perlt von ihr ab. Sie ist bald eine erwachsene Frau, und nur die Götter wissen, wie sie eines Tages selbstständig einen Haushalt führen soll.«

»Sie hat wohl noch ein paar Jahre Zeit, Mutter«, lachte Johannes. »Du willst sie doch nicht schon verheiraten wollen?«

»Nein, Gott bewahre …« Karen musste lachen. Ihr Ärger war verflogen.

Johannes war ruhig und besonnen. Es musste viel geschehen, damit er einmal die Beherrschung verlor. Emma und Johannes unterschieden sich so sehr, dass es kaum zu glauben war, dass sie Zwillinge waren. Johannes war großgewachsen, mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Sein Haar war genauso blond wie das seiner Mutter und kringelte sich in der feuchten Meeresluft. Er hatte ein wohlgeformtes Gesicht mit markanter Nase, blauen Augen und geraden Augenbrauen. Jetzt sah er sie mit einem Lächeln auf den Lippen an.

»Emma ist bald siebzehn und interessiert sich überhaupt nicht für Kochen, Abwasch und Hauswirtschaft. Sie träumt nur den ganzen Tag, genau wie ihr …« Sie kniff die Lippen zusammen, zog das Laken an sich, legte es zusammen und verstaute es im Korb.

»Wie wer?«

»Lass gut sein, Johannes. Nimm das hier, und jetzt ganz sorgfältig und straff. Genau so, ja.« Karin spürte, wie sich ihre Wangen röteten, als ihr Sohn sie prüfend ansah.

»Wie geht es Flecki?«, fragte sie, um ihn abzulenken. »Kommt das Kalb bald?«

»Ja, vielleicht schon heute Abend … oder heute Nacht.« Er nahm die letzten Wäscheklammern ab und legte die Handtücher in den Korb. »Wenn sich bis heute Abend nichts tut, schlafe ich im Stall. Ich fürchte, dass es ein ziemlich großes Kalb ist, so dick, wie sie ist.«

»Es wird sicher alles gut gehen. Es ist ja schon ihr drittes, und sie hat es immer gut überstanden.« Sie seufzte und warf einen langen Blick hinüber zum Bootsschuppen. Von hier aus konnte man nur das Dach sehen. Ein paar Möwen saßen oben auf dem Giebel, einige kreisten mit heiseren, schrillen Schreien in der Luft. »Sie sind wohl immer noch mit den Ködern beschäftigt«, sagte sie leise. Sie hielt einen Moment inne und kämpfte gegen ihren Zorn und ihre Erschöpfung an. Was half es denn, verärgert zu sein? Das kostete nur Kraft und zehrte einen aus. »Weißt du, was wir machen? Wir bringen ihnen Kaffee. Dein Vater kann bestimmt einen vertragen.«

»Das machen wir.« Johannes lächelte, griff nach dem Korb mit der frischen Wäsche und trug ihn ins Haus. »Während du Kaffee kochst, gehe ich kurz zur Scheune und sehe nach Holz für die Tür.«

»Ja, mach das. Ich gebe Bescheid, wenn er fertig ist.«

Karen stellte den Wäschekorb in die Kammer neben der Küche, während sie Gott dafür dankte, dass Johannes nicht vom selben Schlag war wie sein Vater. Er war vernünftig und würde mal ein guter Bauer werden. Jacob dagegen … Es versetzte ihr einen Stich und sie schämte sich für ihre Gedanken, konnte sich aber nicht gegen sie wehren. Jacob interessierte sich gar nicht für den Hof, dabei war er der Hoferbe. Es gab Sicherheit, Ackerbau betreiben zu können, Tiere zu haben und sich selbst zu versorgen. Träume brachten weder Essen auf den Tisch noch Kleider zum Anziehen. Die Erde war Gottes Geschenk und musste mit Umsicht behandelt werden. Sie sollten jeden Tag dafür danken, was sie ihnen bescherte, und zufrieden damit sein. Ein zärtliches Gefühl beschlich sie. Zufrieden, ja. Das war sie, und sie liebte Peder, selbst wenn sie sich öfter über ihn ärgerte, als ihr lieb war. Aber niemand hatte ein so freundliches Gemüt wie er, niemand so gute, warme Hände.

Kapitel 2

»Autsch!« Emma steckte sich den Zeigefinger in den Mund und saugte daran. Das Blut tröpfelte aus der kleinen Wunde.

»Du musst vorsichtig sein, Emma. Die Haken sind scharf.« Ihr Vater sah sie mit einem Lächeln um die Mundwinkel an. »Den Rest schaffe ich allein. Deine Mutter braucht sicher bei irgendetwas deine Hilfe.«

»Wie immer.« Emma nahm eine neue Angel und befestigte einen Köder am Haken. Die kleinen Fischstückchen rochen streng. »Ich bin viel lieber hier unten als am warmen Herd.«

»Jemand muss auch das machen, wenn wir Essen auf dem Tisch haben wollen.« Ihr Vater legte den Haken mit dem Köder vorsichtig zur Seite. Man musste behutsam sein, damit sich die Schnur beim Auswerfen nicht verhedderte.

»Ja, ich weiß. Aber es ist so ungerecht, dass Männer den ganzen Tag draußen sein dürfen, während wir Frauen an die Küche gebunden sind.«

»Jetzt übertreibst du aber«, lachte er. »Das klingt ja, als ob ihr Frauen Sklaven wärt.«

»Sind wir das denn nicht?«, antwortete sie. »Die Männer bestimmten alles.« Sie blickte ihn ernst an. »So lernen wir es jedenfalls vom Pfarrer. Was für ein Hornochse!«

»Na, na«, murmelte ihr Vater. »Du darfst den Pfarrer nicht Hornochse nennen, mein Schatz. Er ist doch von Gott auserwählt.«

»Pah!«, schnaubte Emma. »Er ist dumm wie ein Rindvieh, stinkt und hat schlechte Zähne. Mir ist immer richtig übel geworden, wenn er sich so über mich gelehnt hat.«

»Sicher wollte er nur um überprüfen, ob du auch richtig aus der Bibel liest.«

»Wozu?« Emma sah auf. »Ich kann ja lesen. Das konnte ich schon mit acht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ärgerlich das war, wenn er mit seinem fetten Zeigefinger auf den Text gedeutet und gesagt hat, ich würde die Wörter falsch aussprechen. Und wie er geschwitzt hat! Der Schweiß ist ihm von den Wangen geflossen und seine Stirn war voller Tropfen. Brrr!«

»Es musstest ja wohl nicht nur du aus der Bibel lesen.«

»Nein, das nicht, aber er hat nur uns Mädchen so geplagt. Wenn die Jungen gelesen haben, hat er sich neben sie gestellt und gesagt: Sehr gut, sehr schön gelesen. Sogar wenn Tormod gelesen hat, und der kann wirklich fast gar nicht lesen. Ich werde richtig wütend, wenn ich nur daran denke. Ich habe überhaupt keine Lust mehr, in die Kirche zu gehen.«

»Der Pfarrer tut, was er kann. Ich höre immer nur Lob über ihn.«

»Kann schon sein, aber ich muss ihn ja nicht mögen.«

Ihr Vater lächelte.

»Ich hatte leider noch nicht das Vergnügen, ihn kennenzulernen, kann also eigentlich gar nichts dazu sagen.«

»Leider?« Emma lachte neckisch. »Du kannst Mutter ja nächsten Sonntag in die Kirche begleiten. Da freut sie sich bestimmt.«

Der Vater schüttelte seufzend den Kopf.

»Lieber nicht, Emma. Meine Kirche ist die Natur, und der Himmel ist ihr Dach. Dort schöpfe ich Kraft und Ruhe.«

Emma sah ihn an, und ein warmes Gefühl der Sicherheit breitete sich in ihr aus. Sie genoss diese Stunden mit ihrem Vater. Mit ihm konnte sie über alles Mögliche reden. Nichts war zu unbedeutend oder zu gewichtig. Ihr Vater hatte eine Antwort auf fast alles, und sie saugte seine Weisheit auf. Ihn konnte sie immer um Rat fragen, ganz egal, worum es ging.

Sie betrachtete ihn, wie geübt er mit den Ködern umging. Die Jahre hatten an ihm kaum ihre Spuren hinterlassen. Seine Stirn war glatt wie die eines Jungen, seine Haut das ganze Jahr über goldbraun. Ein paar tiefe Furchen neben seiner Nase und Lachfalten rund um die Augen waren die einzigen Anzeichen für sein Alter. Ihr Vater war noch immer ein gut aussehender Mann.

Sie zuckten beide zusammen, als ein Windstoß durch den Bootsschuppen und die Gerätschaften an der Wand fuhr.

»Das sieht nicht gut aus, Emma.« Ihr Vater legte vorsichtig einen Köder in den Eimer und ging zur Türöffnung. Die Wolken türmten sich noch immer draußen über dem Meer, näherten sich aber langsam dem Fjordinneren. Zwar bremsten die Holme und Schären die gewaltigen Kräfte, trotzdem schlugen die Wellen so heftig gegen die Klippen, dass die Gischt hoch in die Luft gepeitscht wurde. Das Boot tanzte im Spiel der Wellen. »Da war unsere Arbeit mit den Ködern wohl umsonst. Da braut sich ein Sturm zusammen.«

»O nein!« Emma sprang auf und trat neben ihn. »Und ich hatte mich so darauf gefreut, hinaus auf den Fjord zu fahren. Das Unwetter zieht bestimmt schnell vorbei.«

»Gut möglich, aber so unruhig, wie das Meer gerade ist, können wir nicht raus.«

»Wir könnten uns zwischen den Schären halten.«

»Das bringt nichts. Sieh nur, wie hoch die Wellen sind!« Er zeigte hinaus. »Wir machen die Köder fertig und sehen dann weiter.« Er betrachtete missmutig den vollen Eimer. Der Fisch war kurz vor dem Verrotten. Noch einen Tag würde er nicht halten.

Emma lehnte sich an den Türrahmen und sah über den schäumenden Fjord. Weit draußen lag das offene Meer. Sie liebte das Meer und seine jähen Umschwünge, aber sie fürchtete es auch. Wenn der Sturm da war, war es dort draußen gefährlich. Rund um die Inseln lagen viele Schiffwracks, zermalmt von den mächtigen Kräften. Viele Seeleute hatten dort draußen ihr nasses Grab gefunden. Doch an den ruhigen Tagen war der Fjord wie ein Spiegel, in dem man sich betrachten und mit der Hand Wellen schlagen konnte, sodass das eigene Gesicht seltsam fremd aussah. Manchmal sah sie kleine Kräuselungen mit goldenen Tropfen, die so stark glitzerten, dass sie die Augen zusammenkneifen musste. Abends lag das Meer dunkel wie Öl da und wogte sachte gegen die Klippen. Vor und zurück, vor und zurück. Kleine Lichtpunkte wurden von der dunklen Oberfläche reflektiert, wenn am Bootsschuppen die Öllampe angezündet wurde. Das Gluckern unter den Stegbalken klang, als würde jemand unter den morschen Planken sitzen und lachen. Der Geruch nach Tang, Teer und Salz juckte in der Nase, aber nicht unangenehm. Eher vertraut und freundlich, wie ein lieber Freund. Es gab keinen besseren Ort zum Leben.

Emma und ihr Vater fühlten in all dem gleich. Ihre Mutter dagegen hatte Angst vor dem Meer. Die Erinnerungen an jene Nacht, in der sie ihren Vater an die Wellen verloren hatte, hatte sich für alle Zeit in sie eingebrannt. Ihre Mutter war damals noch ein junges Mädchen gewesen, aber sie hatte Emma erzählt, dass sie immer noch ab und zu nachts aufwachte und das verzweifelte Weinen ihrer Mutter hören konnte, wie damals, als sie mit ihren Kindern um sich dagesessen hatte. Drei Mädchen, die Vater und Versorger verloren hatten.

Emma spürte den Wind im Haar. Ihr einfaches Baumwollkleid schmiegte sich angenehm kühl an ihren Körper. Sie kratzte sich am Bein. Die Wollstrümpfe waren bei dieser Hitze unangenehm. Am liebsten hätte sie sie abgestreift und die Füße von der Stegkante ins Wasser baumeln lassen. Alle Verpflichtungen vergessen.

»Ich glaube, Mutter und Johannes kommen mit Kaffee«. Das Gesicht ihres Vaters hellte sich auf, als wäre das eine große Überraschung.

Emma beobachtete, wie ihre Mutter mit Mühe ihr Kopftuch festhielt. In der anderen Hand trug sie den Essenskorb. Hinter ihr kam Johannes mit dem Kaffeekessel.

»Meine Güte, was für ein Wind.« Ihre Mutter schob sich in den Bootsschuppen und stellte den Korb ab. Sie rümpfte die Nase. »Ködert ihr mit verwestem Fisch?«

»Halb verwest.« Peder lachte sie mit blitzenden Augen an. »Damit die Dorsche ihn auch riechen.«

»Das hast du dir doch ausgedacht.«

Peder stellte den Eimer mit den Ködern nach draußen.

»Nur für dich, meine Liebste!«, sagte er ernst. »Komm, setz dich hier hin, da ist es windgeschützt«.

»Danke.« Ihre Mutter reichte Emma den Korb. »Ich habe Brote geschmiert. Ihr habt sicher Hunger.«

»Ich auf jeden Fall.« Emma roch an ihren Fingern und verzog den Mund. »Ich muss mir nur schnell die Hände waschen.« Sie ging hinaus, kniete sich auf einen Felsen am Ufer und tauchte die Hände ins Wasser. Eine hereinrollende Welle spritzte sie nass. Niedergeschlagen sah sie hinaus auf den Fjord. Heute würden sie nicht hinausfahren können. Sie ging wieder nach drinnen, griff gierig nach einem Käsebrot und biss hinein.

Mutter zupfte ihre Kleider zurecht und setzte sich vorsichtig auf eine wackelige Kiste, während Johannes Kaffee einschenkte.

»Ah, das tut gut.« Peder lächelte Karen an. »Wie viel Uhr ist es?«

»Fast eins.«

Emma bemerkte den scharfen Tonfall. Warum ärgerte sich ihre Mutter schon wieder? Sie sah sie an, und für einen Moment kreuzten sich ihre Blicke. Ein schwaches Rot schlich sich auf die Wangen ihrer Mutter.

»Johannes meint, dass Flecki noch heute oder morgen kalbt. Wir sollten im Laufe des Tages noch nach ihr sehen. Vielleicht braucht sie dieses Mal unsere Hilfe, so dick, wie sie ist.«

»Ja, es wird wohl bald Zeit. Aber Flecki hat ja Erfahrung.« Vater lächelte warm. »Es wird auch dieses Mal gut gehen, Karen.« Er sah an ihr vorbei aufs schäumende Meer. »Hoffen wir, dass der Wind sich bis zum Abend legt, sonst können wir die Köder nicht aussetzen.«

»Dann musst du es lassen.« Karen sah ihn bestimmt an. »Es wäre wichtiger, die Kartoffeln zu stecken, Peder. Der Fisch ist das ganze Jahr da draußen, aber die Kartoffeln können nicht länger warten.«

»Ich kümmere mich morgen darum.«

»Morgen?« Johannes sah seinen Vater mit einer tiefen Falte zwischen den Augen an. »Wir können es auch heute machen. Der Acker ist gepflügt. Wir müssen nur anfangen.«

»Es wird regnen.«

»Vielleicht auch nicht. Vielleicht zieht das Unwetter vorbei. Schau …«, Er deutete mit dem Finger. »Die Wolken ziehen nach Osten. Vielleicht schaffen wir zumindest einen Teil. Oder, Emma?«

»Ja, natürlich, aber wenn Vater meint, dass …«

»Morgen kann es auch regnen, und wir müssen uns mit den Kartoffeln beeilen!«, unterbrach Johannes sie. »Du bringst die Setzlinge raus, ich spanne solange das Pferd an.«

»Ich soll die schweren Kisten tragen? Das schaffe ich nicht.«

»Aber ja doch, Vater hilft dir.« Johannes räusperte sich und sah seinen Vater an.

»Natürlich.« Peder stellte die Tasse ab, strich sich übers Haar und warf einen sehnsüchtigen Blick aufs schäumende Meer hinaus. »Du hast recht, wir dürfen mit den Kartoffeln keine Zeit mehr verlieren.« Er streichelte seiner Frau über den Kopf, und ihr Blick wurde weicher.

Emma sah die beiden mit liebevollem Blick an. Vater war kein Bauer und würde auch nie einer werden. Sein Herz war groß und warm, und er tat alles für seine Familie. Aber sie sah auch, dass ihre Mutter häufig zornig wurde, weil er nicht alles erledigte, was auf dem Hof anfiel.

»Wir können die Leinen mit den Ködern ja heute Abend zwischen den Schären auslegen, oder, Vater?«

Ihr Vater fuhr sich erneut durchs Haar und schüttelte den Kopf.

»Wenn das Wetter so bleibt, müssen wir es sein lassen. Wir können nicht für ein paar Fische Leib und Leben riskieren.«

»Das sehe ich genauso.« Johannes sah seine Schwester streng an. »Hast du vergessen, worüber wir gerade geredet haben? Wir werden Kartoffeln setzen, ob du willst oder nicht.«

»Jaja«, seufzte Emma. »Dann machen wir das eben. Wo ist Ragna?«

»Sie ist nach Dal gegangen mit den Eiern, aber …« Ihre Mutter runzelte die Stirn und blickte durch die Türöffnung nach draußen. »Eigentlich sollte sie längst zurück sein. Kannst du ihr entgegengehen, Emma? Ich möchte nicht, dass sie bei diesem Sturm alleine an den Klippen entlangläuft. Ich helfe Vater und Johannes mit den Kartoffeln, und Ragna und du, ihr könnt dann mitanpacken, sobald ihr zurück seid.«

»Das mache ich gerne.« Emma erhob sich schnell, dankbar über den Aufschub.

Johannes sah sie schelmisch an.

»Und grüß Olav von mir … Er soll doch mal wieder vorbeikommen.«

Emma wandte sich von ihrem Zwillingsbruder ab, um die Röte zu verbergen, die ihr ins Gesicht schoss. Und sie wurde wütend.

»Wahrscheinlich sehe ich ihn gar nicht, Bruderherz, und wenn du etwas mit ihm zu besprechen hast, dann geh selber hin.«

Johannes lehnte sich an die Wand des Bootschuppens. Es blitzte schelmisch in seinen blauen Augen.

»Du kannst ihm ausrichten, dass die Leiter nächsten Samstag so steht, dass er sich nicht ums Haus schleichen muss. Da hinten ist ja alles voller Brennnesseln.«

»Idiot!« Emma musste lachen. »Ich glaube nicht, dass es Olav war, den du gehört hast. Das war bestimmt nur irgendein Tier.«

»Dann muss es ein aufrechtgehendes Tier mit zwei großen Füßen gewesen sein. Gibt es hier so was?« Er sah Vater unschuldig an, der lachend den Kopf schüttelte.

»Ich glaube nicht, nein, aber man weiß ja nie, was sich in der Dunkelheit verbirgt.« Er holte tief Luft und erhob sich. Dann reichte er Karen die Hand und half ihr auf. Bevor er sie losließ, zog er sie für einen Moment an sich. »Danke für den Kaffee. Gehen wir in den Keller und sehen nach den Kartoffeln. Wenn es nicht regnet, kommen sie in den Boden.«

Als sie sich aus seinen Armen befreite, entfuhr ihr ein tiefer Seufzer.

»Gut, Peder. Beten wir, dass der Regen nach Osten zieht und der Wind abnimmt. Wir müssen alle mithelfen.«

Kapitel 3

Emma sprang leichtfüßig den Pfad nach Dal entlang. Sie hätte auch die Landstraße nehmen können, aber die war doppelt so lang. Sie nahmen immer den Pfad, wenn sie Besorgungen machen mussten. Als sie auf eine Anhöhe kam, hielt sie inne und blickte zurück zum Hof, der pittoresk in einer Bucht am Ende des Fjords lag. Das Haupthaus hatte zwei Etagen und war weiß getüncht. Die eine der Querseiten war grau vom Alter und aus schweren Holzstämmen gebaut, aber das konnte sie von dort, wo sie stand, nicht sehen. Vater hatte davon geredet, die Wände zu vertäfeln, aber das war noch nicht geschehen, wie so viel anderes auf dem Hof, dachte sie seufzend und wandte ihren Blick zum Stallgebäude. Das Dach hing durch und hätte schon lange erneuert werden müssen, auch wenn es den Winterstürmen bisher tapfer trotzte. Auf der anderen Seite lagen das Trockenhaus und der Vorratsspeicher. Mitten auf dem Hofplatz erhob sich ein kleiner Hügel. Ahnenbaum, nannte ihr Vater ihn geheimnisvoll. Unten am Meer konnte sie das Dach des Bootsschuppens schimmern sehen.

Mit einem Lächeln auf den Lippen machte sie sich wieder auf den Weg. Der Hof Vik war vielleicht nicht der wohlhabendste, aber einen schöneren Ort gab es nirgendwo. Jedenfalls nicht für sie.

Der Wind riss und zerrte an ihr, und sie hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Das Meer schlug über die Klippen, schnappte nach den Wachholdersträuchern, die sich in den tiefen Spalten und Hohlräumen der Felsen festklammerten, und spie kleine Krabben, Tang und zerbrochene Muscheln aus.

Ein großes Stück Treibholz wurde hochgeschleudert und rutschte den Berg hinunter. Es war grauweiß verwittert und von seiner langen Reise vom Salzwasser gebleicht und poliert. Vielleicht kam er sogar aus Amerika? Sie mochte den Gedanken, und so ganz unwahrscheinlich war das auch gar nicht. Sie hatte noch nie so einen großen Stamm gesehen, und hatte ihre Zweifel, ob es auf Averøya so große Bäume gab. Wenn Vater und Johannes ihn an Land schaffen könnten, hätten sie etwas für die Wand vom Bootsschuppen, oder sie könnten Brennholz aus ihm schlagen. Nein, kein Brennholz. Für die Axt war er zu schön.

Sie versuchte, sich den Baum so vorzustellen, der er einmal gewesen war. Hoch und mächtig, mit Ästen, die sich in alle Richtungen ausbreiteten und Tieren einen Unterschlupf boten. Sie bekam Lust, ihn zu zeichnen, so wie er einmal gewesen war, mit feuchtglänzenden, grünen Nadeln, und Ästen, dick wie Männerarme, auf denen Vögel saßen. Und am Fuß des Baumes: ein Löwe … Aber gab es überhaupt Löwen in Amerika? Vielleicht schon. Sie würde Vater fragen, der wusste fast alles.

Eine neue Woge brach sich am Felsen, und sie schmeckte Salz und Tang in der Luft. Als die Gischt sie traf, geriet sie aus dem Gleichgewicht und griff nach einem Wachholderbusch, um auf den Füßen zu bleiben. Sie spürte, wie die spitzen Nadeln ihre Handfläche aufritzten. Ein eisiges Schrecken durchfuhr sie. Wenn Ragna hier gegangen war, könnte sie aufs Meer hinausgeweht worden sein, so klein, wie sie war.

Der Gedanke trieb sie weiter. Worüber dachte sie nur nach? Jetzt war keine Zeit zum Träumen. Ihre Schwester war vielleicht in Gefahr. Der Rest des Pfades verlief ein gutes Stück abseits der Klippen, und es war auch nicht mehr weit bis Dal. Sie versuchte, sich selbst einzureden, dass Ragna sicher nur die Zeit vergessen habe, wie sie es so oft tat, und mit Grete spielte, die genauso alt war wie sie.

Mit klopfendem Herzen lief sie einen flachen Hügel hinauf, vorbei an einer kleinen Gruppe Birken. Ein satter Geruch von Erde, Laub und Heidekraut lag in der Luft und überdeckte für einen Moment den Duft des Meeres. Sie bückte sich unter einer Eberesche hindurch und nahm die Abkürzung über den Hügel, um ein paar Minuten zu sparen. Sie würde keine Ruhe finden, ehe sie nicht wusste, dass ihre Schwester sicher war.

Und da kam Ragna genau auf sie zu, Hand in Hand mit Olav. Emma spürte die Erleichterung und konnte ihre Freude nicht verbergen.

»Ragna!« Sie lief den beiden entgegen und schloss ihre kleine Schwester in die Arme. »Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Wo warst du nur so lange?«

»Ich hab mit Grete gespielt, und es hat so viel Spaß gemacht. Olav hat die Kinderhütte repariert und jetzt tropft es nicht mehr durchs Dach, und wir haben …«

»Wir reden später«, unterbrach sie Emma, die Olavs Blick im Nacken spürte. »Komm jetzt.«

»Tut mir leid, Emma. Wenn wir bemerkt hätten, dass ein Sturm aufzieht, hätte ich sie früher nach Hause gebracht.«

Sie sah ihn an, senkte aber schnell wieder den Kopf, als sie merkte, wie ihr die Hitze in die Wangen schoss. Da war etwas an seinen dunklen Augen. Etwas, das sie nicht benennen konnte, das sie aber unsicher machte. Sie hatte mit Olav gespielt, als sie klein gewesen waren. Nicht nur mit ihm, auch mit seinem älteren Bruder Tore und den zwei Mädchen, Synnøve und Dagny.

Nach langen Arbeitstagen, wie sie die Hofarbeit gewöhnlich mit sich brachte, hatten sie immer Zeit gefunden, zusammen zu sein. Sie hatten im Meer gebadet und sich zwischen Tang und Treibholz das Schwimmen beigebracht, bei Ebbe hatten sie Sandschlösser gebaut und Krabben gefangen. Sie vertrugen sich nicht immer, manchmal stritten sie sich bis aufs Blut, aber am nächsten Tag war immer alles vergessen.

Olav war fast wie ein Bruder für sie gewesen, aber jetzt schaffte sie es nicht mehr, normal mit ihm zu reden. Olav war groß und schlank mit markanten Zügen und einem schön geschwungenen Mund. Wenn er lachte, leuchteten seine Augen und bekamen einen bernsteinfarbenen Glanz. Als Kind war er dünn und schwächlich gewesen. Zwei Monate zu früh war er auf die Welt gekommen. Das hatte seine Kindheit geprägt. Wenn die Spiele zu grob geworden waren, hatte er sich oft zurückgezogen.

Tore war derjenige, der bestimmte, und Olav protestierte selten, als wäre Tore die Sonne und Olav musste in seinem Schatten leben. Emma hatte früher nie darüber nachgedacht, aber mit der Zeit hatte sie begriffen, dass es nicht immer so leicht gewesen sein konnte, der Schattenbruder zu sein. Einer, der hinterhertrottete und den anderen bestimmen ließ. Die beiden waren verschieden wie Tag und Nacht.

»Ich kann euch noch ein Stück begleiten.« Olav sah sie unsicher an, verwundert über ihre Schweigsamkeit.

»Das musst du nicht«, sagte sie schnell und sah hinaus aufs Meer. »Schau, die Wolken ziehen nach Osten. Vielleicht entkommen wir dem Regen«.

»Sieht so aus.« Er schob die Hände in die Hosentaschen und sah ziellos umher. »Gehst du auf den Tanz am Samstag?«

»Vielleicht.« Sie sah ihn von der Seite an. »Du?«

»Ich glaube schon, ja.«

»Tore auch?«

»Davon gehe ich aus. Du kennst ja Tore, er …«

Den Rest des Satzes ließ er in der Schwebe. Emma wusste, was er meinte. Es war bekannt, wie gerne Tore feierte, und er war ein sehr guter Tänzer. Trinken konnte er auch, auch wenn er selten wirklich betrunken war. Es war, als hätte nichts auf ihn eine Wirkung, groß und stark, wie er war.

»Kommst du?« Ragna stand auf einem Hügel ein Stück vor ihnen und wartete auf sie.

»Ja, ich komme. Danke, dass du Ragna begleitet hast.« Emma warf Olav ein warmes Lächeln zu. »Jetzt muss ich mich beeilen.«

»Es macht mir nichts aus, euch noch das Stück an den Klippen entlang zu begleiten. Da ist es sicher gerade ziemlich rutschig.«

»Das kannst du laut sagen. Mich hat beinahe eine Welle erwischt.«

»Was?« Er sah sie erschrocken an. »Weht es so heftig?«

»Wir nehmen lieber den Hauptweg zurück. Sicher ist sicher.«

»Macht das.« Er stand immer noch wie angewurzelt da, zog eine Hand aus der Hosentasche und strich sich das Haar aus der Stirn. »Dann bis Samstag.«

»Jetzt komm schon, Emma.« Ragna verlor allmählich die Geduld. »Mir ist kalt.«

»Ich komm ja schon.« Emma sah Olav an. »Mach’s gut und richte Grüße aus.«

»Danke, das mache ich.«

Sie drehte sich um und ging rasch zu Ragna.

»Wir nehmen die Straße zurück. Unten am Wasser ist es zu gefährlich.«

»Ach nein! Das will ich nicht.«

»Das ist mir egal.« Sie packte ihre kleine Schwester an der Hand. »Beeilen wir uns, wir müssen daheim noch mit den Kartoffeln helfen. Sie haben sich bestimmt schon an die Arbeit gemacht.«

»Müssen wir?«

»Ja, alle müssen helfen, das weißt du doch.«

»Grete muss nie auf dem Acker helfen. Sie darf immer machen, was sie will.«

Emma lachte.

»Das glaube ich nicht. Sie muss bestimmt auch mithelfen, auch wenn sie jünger ist.«

»Sie sagt einfach, sie möchte nicht, und dann muss sie nicht.« Ragna schob die Unterlippe vor und sah sie schmollend an. »Sie hat auch ein neues Kleid bekommen, aus dem Laden. Ich will auch eins.«

»Jetzt hör auf zu zetern, Ragna«, antwortete Emma scharf. »Kleider aus dem Laden kosten eine Menge Geld. Und niemand näht so schön wie Tante Augusta. Das weißt du genau.«

»Trotzdem«, seufzte Ragna, lachte dann aber strahlend. »Sie könnte mir so ein Kleid nähen, wie Grete es jetzt hat. Meinst du nicht?«

»Da musst du sie fragen.« Sie drückte die Hand ihrer kleinen Schwester und sah sie liebevoll an.

Sie konnte sie gut verstehen und erinnerte sich, wie neidisch sie selbst als kleines Mädchen immer auf Synnøve und Dagny gewesen war. Der Hof der Familie Dal war groß und vermögend, dort musste man nicht jede Krone zweimal umdrehen wie bei ihnen. Etwas in ihr sagte ihr, dass auch sie mehr Geld zu Verfügung hätten, wenn ihr Hof besser geführt wäre. Was das Land anging, waren beide Höfe ungefähr gleich groß, aber Dal nutzte auch die Wiesen. Die Äcker trugen gut und waren groß, und sie besaßen zwölf Kühe. Sie selbst hatten sechs Kühe und ein paar Kälbchen. Jedes Jahr bekamen sie ein Ferkel, das sie aufzogen und zu Weihnachten schlachteten. Das war jedes Mal wieder traurig, weil das Schwein mit Liebe und Sorgfalt aufgezogen wurde. Es war fast ein Familienmitglied, aber wenn der Schinken auf den Tisch kam, war das alles vergessen. Zumindest dachte man nicht länger an das Schwein, denn Fleisch gab es nicht jeden Tag. Fisch dagegen aßen sie mehrmals die Woche. Gekocht und geräuchert, gesalzen und gepökelt. Fisch auf alle möglichen Arten, denn der kostete nichts. Sie hatten auch ein paar Hühner, und die überzähligen Eier verkauften sie an die Nachbarshöfe. Ihnen ging es gut. Emma hatte keinen Grund zu klagen. Trotzdem …

»Sollen wir um die Wette laufen?« Ragna sah zu ihr auf, riss sich los und rannte davon wie der Wind.

»Ich bin zuerst da!«, rief Emma ihr hinterher.

Sie spürte den Wind im Gesicht, den Duft von Gras und Blumen, während sie ihrer kleinen Schwester hinterherjagte. Bald ist Samstag, sang es in ihr.

Kapitel 4

»Ich sage einfach nur, dass Olav nicht der richtige für unsere Emma ist.« Karen wischte mit dem Putzlappen hitzig über die Tischplatte. »An dem Jungen ist nichts falsch, er ist nur zu schwach für sie.«

Peder hob die Kaffeetasse und sah sie verwundert an.

»Schwach? Warum?«

»Warum?« Karen stützte sich mit den Händen auf die Tischplatte und lehnte sich vor. »Du hast das selbst gesagt, Peder. Hast du das vergessen?«

»So habe ich das wohl nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass Olav immer in Tores Schatten stehen wird. Nicht, dass er schwach ist.

»Das ist fast dasselbe.«

»Nein.« Peder schüttelte den Kopf. »Ich verstehe auch gar nicht, warum dich das so beschäftigt. Sie sind ja kein Liebespaar.«

»Vielleicht noch nicht, aber ich kenne unsere Tochter. Wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat, können wir nichts mehr dagegen machen.«

Peder schmunzelte und sah sie schelmisch an.

»Da hast du recht. Sie soll selbst wählen, wen sie …«

Karen schnaubte.

»Sie ist noch keine siebzehn. Viel zu jung, um sich an jemanden zu binden.«

»Davon ist doch auch gar nicht die Rede.« Peder sah sie erschöpft an. »Kleine Liebeleien haben wir in dem Alter doch alle gehabt, ganz unschuldig. Mach dir um Emma keine Sorgen. Sie kann auf sich selbst aufpassen.« Peder lächelte unbekümmert. »Setzt dich, Karen, und lass uns in Ruhe unseren Kaffee trinken.«

Karen ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf den Stuhl fallen.

»Sicher hast du recht.« Sie griff mit zitternder Hand nach der Tasse. Ein paar Tropfen schwappten über. Sie wischte sie rasch fort. »Ich habe nur Angst, dass sie etwas tut, was sie später bereut.«

»Hast du mit Emma über deine Sorgen geredet?«

Sie lachte trocken.

»Das perlt alles an ihr ab. Sie lacht einfach nur, wenn ich sie darum bitte, vorsichtig zu sein. Du weißt ganz genau, dass sie auf mich nie hört. Kannst du nicht mit ihr reden?«

»Über Olav?«

»Ja. Um ihn geht es doch, oder?«

Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und faltet die Hände. »Wäre es doch nur Tore«, brach es aus ihr heraus.

Peders Gesichtszüge verhärteten sich und seine blauen Augen blitzten.

»Da würde ich mir Sorgen machen«, sagte er betont ruhig. »Er ist ein richtiger Schürzenjäger, das weißt du ganz genau.«

»Vielleicht, aber als Hoferbe hat er einer Frau wenigstens etwas zu bieten. Olav dagegen …« Sie sog scharf die Luft ein. »Was kann er Emma schon bieten? Nichts. Aus ihm wird nie etwas anderes werden als ein Junge auf dem Hof des Vaters.«

»Ach, Schluss jetzt …« Peder stand jäh auf, schob den Stuhl an den Tisch und sah seine Frau kühl an. »Das weißt du nicht, Karen. Olav ist erst achtzehn und hat sein ganzes Leben noch vor sich. Er ist ein schlauer Junge und kann werden, was er will. Ich versteht dich nicht, du … du …« Er schüttelte verärgert den Kopf, drehte ihr den Rücken zu und ging.

Karen hörte die Tür ins Schloss krachen, bevor sie ihn hinunter zum Bootsschuppen gehen sah. Sein Rücken war stramm und wirke abweisend.

»Wenn du nur wüsstest, warum ich mir um Emma Sorgen mache«, sagte sie zu sich selbst. Sie konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. Wenn du wüsstest, Peder. Sie schob die Kaffeetasse beiseite und warf einen Blick auf die Uhr. Wo blieb Emma nur?

Emma lief leichten Schrittes mit einem Skizzenblock unter dem Arm die Klippen entlang. Endlich hatte sie ein wenig Zeit für sich. Der Tag war voller Pflichten gewesen. Brotbacken und Freitagswäsche. Sogar die Wohnzimmervorhänge hatten sie gewaschen und zum Trocknen in den lauen Wind gehängt.

Emma verstand den Sinn dieser Waschfreitage nicht, aber so wollte es Mutter: Das Haus sollte blitzblank sein, bevor das Wochenende kam. Da blieb einem nur, die Arme hochzukrempeln und nicht zu protestieren, denn das würde sowieso nichts ausrichten.

Ragna murrte oft über die Aufgaben, die ihr zugeteilt wurden, was Mutter mit einem leichten Lächeln überhörte, bevor sie ihr den Kopf tätschelte und sagte, sie wäre ein gutes Mädchen.

Sie waren gerade dabei, die frischgewaschenen Gardinen aufzuhängen, als Emma Olav zusammen mit Grete kommen sah. Ragna stieß einen Schrei aus, ließ einen Waschlappen fallen und lief ihnen freudestrahlend entgegen. Emma reckte den Hals, um aus dem Fenster zu sehen, ließ die Vorhangstange fallen und errötete schuldbewusst, als ihre Mutter den Kopf schüttelte und murmelte, die Gardinen bekämen Falten.

Olav hatte mit dem Rücken zum Fenster gestanden. Sie hatte gesehen, wie er sich die Haare aus der Stirn strich, und seine schlanken Hände bewundert. Bald würden sie ihre Taille umfassen, wenn Olav sie im Walzer wiegte. Denn das wollte er doch?

Ihr Herz klopfte unruhig, und ihr Magen zog sich zusammen, als hätte sie Bauchschmerzen. Aber die hatte sie nicht, sie spürte etwas anderes, ein erwartungsvolles Sehnen, gleichzeitig furchteinflößend und schön.

Ihre Mutter hatte sie mit zusammengekniffenen Lippen angesehen. Vielleicht ahnte sie etwas, vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls hatte sie sie zurückgehalten, und als sie endlich hinausgekonnt hatte, um Olav zu begrüßen, war er schon wieder weg.

Emma hatte ein bestimmtes Ziel. Sie wollte hinauf an die Spitze der Felsen, wo ein verlassenes kleines Haus lag. Sie war dort schon viele Male gewesen und hatte Skizzen angefertigt. Heute aber, das hatte sie sich vorgenommen, würde sie es aus einem anderen Winkel zeichnen. Sie wollte das Meer mit im Bild haben, das gegen die grauen Felsen brandete, und die Gischt, die sie über Jahrtausende hinweg glatt gespült hatte. Die Farbnuancen des braungrünen Daches und die Blumen in den Felsspalten wollte sie malen. Es war schwierig, nie sah es auf dem Blatt so aus, wie sie es sich vorstellte. Doch vielleicht gelang es ihr ja heute?

Sie lächelte vor sich hin und spürte, wie die Freude ihren Körper durchdrang, während sie die ganze Zeit vor ihrem inneren Auge Olav im flimmernden Sonnenlicht sah. Das Lachen ließ seine Augen leuchten wie der Bernsteinschmuck, den sie von Tante Augusta bekommen hatte. Die Steine stammten aus Dänemark, von einem Strand. Eines Tages wollte sie dorthin fahren und die Steine sammeln, die sie so an Olavs Augen erinnerten. Was für Gedanken sie hatte! Sie lachte laut und schreckte einen Vogel auf, der sich leicht in den Himmel schwang. Sie folgte ihm mit den Augen, bis er verschwunden war, dann wanderte sie zufrieden weiter.

Der Weg führte durch ein Waldstück. Sie zögerte einen Augenblick, fühlte etwas in ihrem Herzen, etwas Unheimliches und Fremdes, aber gleichzeitig Wohlbekanntes. Der Ort bescherte ihr ein ungutes Gefühl, aber es war der einzige befestigte Weg zur Spitze. Sonst hätte sie um Dal herumgehen gehen müssen, und das würde doppelt so lang dauern.

Sie schüttelte sich und ging weiter. Das Waldstück war nicht groß, aber die Bäume waren hoch und uralt. Es gabt dort einen Nussbaum, von dem niemand wusste, wie alt er war, denn er war schon immer dort gewesen. Die Äste erstreckten sich über eine Lichtung, in deren Mitte ein Stein stand. Er war länglich, glatt und dunkelbraun, aber wenn die Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Zweige fanden, glänzte er, als wäre er vergoldet. Die Erwachsenen sagten, es wäre eine alte Opferstätte, aber sie war sich nicht sicher, ob sie das nur behaupteten, um die Jungen von dem Stein fernzuhalten. Doch eines wusste sie: dass sie sich hier nicht wohlfühlte. Es lag eine Kälte über diesem Ort, als würde ihn auch die Sonne nicht wärmen können. Außerdem war es merkwürdig still, selbst die Vögel mieden die Lichtung.

Plötzlich erinnerte sie sich an einen Tag vor vielen Jahren. Sie war noch keine zehn Jahre gewesen. Sie wusste noch, dass ihre Mutter damals mit Ragna schwanger gewesen war. Also musste es kurz vor ihrem neunten Geburtstag gewesen sein. Es war ein schöner Sommertag gewesen, und sie hatten lange im Watt gespielt, aber dann hatte Tore vorgeschlagen, woanders hinzugehen. Das hatte ihnen niemand erlaubt, aber das machte es wahrscheinlich auch so verlockend. Sie erinnerte sich, dass sie sich zurückziehen und nach Hause gehen wollte, aber ihre Meinung änderte, als Tore sagte, sie sei ein Angsthase. Wer war das schon gerne? Auf jeden Fall gingen sie schließlich in das Wäldchen. Obwohl es nur aus wenigen Bäumen bestand, wirke es riesig auf sie. Besonders der uralte Nussbaum machte ihr Angst. Sie konnte immer noch die Furcht spüren, die sie befiel, als sie nach oben in das dichte Blätterwerk blickte, das sich voller Nüsse über die Lichtung wölbte. Auch im dichtem Laub lagen Nüsse, aber sie trauten sich nicht, sie zu sammeln. Als hätten sie etwas Gefährliches an sich.

Was dann geschehen war, wusste sie nicht mehr, aber sie erinnerte sich, dass Olav und Tore anfingen zu streiten. Es war sicher nichts Bedeutendes gewesen, denn die beiden stritten oft. Doch es endete damit, dass Tore seinen kleinen Bruder hochhob und auf den Opferstein drückte, während Olav schrie wie am Spieß. Er hatte Todesangst und versuchte, sich aus dem Griff seines Bruders zu befreien. Hier sollst du liegen, du Schwächling! Ich werde dich festbinden, und dann kannst du hier warten, bis der Teufel kommt. Das hatte Tore gerufen. Im selben Augenblick erhob sich ein Vogel in die Luft und stieß einen krächzenden Schrei aus. Wo er herkam, sahen sie nicht, und auch nicht, was für ein Vogel es war, aber er war schwarz wie die Nacht. Sein Schrei mischte sich mit Olavs Rufen und hallte von den Felsen wider. Hörst du den Teufel kommen?

Emma schüttelte sich. Hatte Tore das wirklich gesagt? Ja, sie erinnerte sich genau, genau wie an die Angst, die sie hatte schreiend davonrennen lassen. Sie erinnerte sich nur vage daran, dass Johannes sie gebeten hatte, niemandem etwas zu erzählen, die Brüder hätten sich wieder vertragen. Kinderstreiche, nichts weiter, hatte er sie beruhigt. Typisch Brüder. Damit hatte sie sich zufriedengegeben. Aber jetzt hatte sie Zweifel. Sie erinnerte sich an die angsterfüllten Schreie, als hätte der Wald sie in sich bewahrt, und glaubte kaum, dass Olav das vergessen hatte. Schattenbruder … Nein, nein. Olav war hundertmal besser als Tore. Tausendmal …

Sie folgte weiter dem Pfad, bis sie endlich das Häuschen erreichte. Es lag wunderschön, von hier konnte man weit über die Holme und Scheren sehen. Aber sie wusste auch, wie ungemütlich es hier war, wenn die Winterstürme über das Land fegten. Das Haus lag geschützt hinter einem Bergkamm. Ein paar Wacholdersträucher hatten sich in den Spalten festgekrallt wie ein grüner Schmuck. Vom Haus bis zum Ende der Klippe gab es nur grauen Fels mit einigen Streifen von Gras und Moos. Eine Birke lehnte sich über den Weg, windschief und knorrig klammerte sie sich fest. Sie trug kaum mehr Laub, weigerte sich aber standhaft, ihren Platz aufzugeben.

Der Bewohner des Hauses war vor vielen Jahren gestorben, und seine Angehörigen waren nur einmal dagewesen, um ein paar Einrichtungsgegenstände zu holen. Das Haus selbst interessierte sie nicht. Was sollte man mit so einer verfallenen Hütte, weit abgeschieden am Ende der Insel?

Aber Emma sah seine Schönheit, und hätte sie Geld gehabt, hätte sie es gerne gekauft, um einen Ort zu haben, wo sie ihre Träume leben könnte. Sie drückte sich den Skizzenblock an die Brust und betrachtete das Haus eine Weile. Sie legte den Kopf schief, studierte Licht und Schatten, die Sonne, die im Moos auf dem Dach spielte und es in den klarsten Farben leuchten ließ. Es war wunderschön. Wenn sie das nur auf eine Leinwand bekommen könnte!

Bedächtig legte sie die Farbstifte neben sich, wählte den Bleistift und setzte sich auf einen von der Sonne aufgewärmten Stein. Sie wollte das Haus zunächst nur zeichnen, bevor sie mit den Farben begann. Das Haus gelang ihr gut, aber das hinter dem Haus brausende Meer aufs Papier zu bannen, war unmöglich. Sie hatte es schon so oft versucht und war immer wieder gescheitert.

Sie hob den Blick und zeichnete die Fenster mit ruhiger Hand. Es glitzerte darin, bernsteinfarben, wie Olavs Augen, dachte sie lächelnd. Die Tür war früher einmal grün gewesen, aber die Farbe war längst abgeblättert. Das starke eisernere Schloss war verrostet, ebenso wie die Türklinke. Welche Farbe hatte sie? Ocker? Oder eher …?

Sie erstarrte und blinzelte mehrmals, um zu sehen, ob sie sich täuschte. Aber das tat sie nicht. Die Türklinke senkte sich, und die Tür glitt langsam auf.

Kapitel 5

Karen sah aus dem Fenster. Ein paar Stunden waren schon vergangen, seit Emma mit ihrem Zeichenblock unter dem Arm auf der Suche nach einem Motiv verschwunden war. Karen spürte, wie sie von Minute zu Minute wütender wurde. Es gab mehr als genug zu tun. Das Brot musste gebacken werden. Die Wäsche lag eingeweicht im Zuber und wartete nur darauf, ins warme Trockenhaus zu kommen. Emma hatte versprochen, bei der Wäsche zu helfen, aber jetzt blieb Karen wohl nichts anderes übrig, als es wieder einmal alleine zu machen. Es war nicht das erste Mal, und es würde auch nicht das letzte Mal sein.

Von hinter dem Stall hörte sie Hammerschläge. Peder und Johannes waren dabei, eine neue Stalltür zu zimmern. Sie hatten nach dem Frühstück begonnen und versprochen, sie werde noch heute fertig werden. Eine Weile war es still, dann kamen die beiden hinter dem Stall hervor, die neue Tür zwischen sich.

Sie ging die Treppe mit einem Lächeln auf den Lippen hinunter, warf einen langen Blick zum Bootsschuppen und noch weiter den Weg entlang, aber von Emma keine Spur. Sie ging schnell über den Hofplatz und betrachtete die beiden Männer. Peder warf ihr ein stolzes Lächeln zu, hielt die Tür mit einer Hand und wischte sich mit der anderen den Schweiß von der Stirn.

»Jetzt, meine liebe Karen, ist die Tür bald an ihrem Platz. Ist sie nicht schön?«

»Das ist sie.« Sie legte den Kopf schief. Das helle Holz strahlte in der Sonne. Die vor ein paar Jahren gekauften Beschläge passten hervorragend. Endlich konnten sie sie benutzen.

»Komm …« Johannes spannte seine Muskeln an und zusammen mit seinem Vater hob er die Tür in die Angeln. »Schau, jetzt sieht das doch schon ganz anders aus.« Er schwenkte die Tür auf und wieder zu. »Kein Knarzen und Knirschen mehr. Sieh nur, Vater, wie gut sie passt. Nirgendwo ein Spalt.«

Peder nickte.

»Jetzt müssen wir sie noch ein paarmal mit Teer streichen, dann hält sie viele, viele Jahre lang.«

»Sehr schön.« Karen nickte zufrieden und streichelte Peders Arm. »Ihr wart sehr fleißig. Kommt mit rein, dann trinken wir Kaffee und essen eine Kleinigkeit.«

»Ja, das wird jetzt guttun.« Peder lächelte warm, reckte die Arme in die Luft und verzog das Gesicht. »Ahhh, man spürt die Arbeit im Körper.«

»Der Tag ist noch jung.« Johannes musterte seinen Vater. »Vielleicht gehen wir später, wenn du dich ausgeruht hast, noch mal raus und sammeln etwas Holz für den Winter?«

»Mh.« Peder warf einen sehnsüchtigen Blick über den Fjord. »Eigentlich wollte ich mit dem Boot rausfahren. Noch dauert es ja ein bisschen, bis der Winter kommt, Johannes.«

»So lange auch nicht mehr.« Johannes schob die Hände in die Hosentasche und schlenderte hinter seinem Vater her.

»Vater …«

»Ja?« Peder hielt mitten auf dem Hofplatz inne und sah ihn an.

»Ich habe die Dicke der Erde unterhalb der Felsen untersucht. Sie reicht mehr als einen Arm. Wenn wir den Wald roden würden, könnten wir das Land dort nächstes Frühjahr bestellen.«

Karen nickte zustimmend.

»Vater hat darüber auch nachgedacht, bevor er …« Sie hielt jäh inne, spürte eine Kälte in den Knochen. Ein Bild von jener schicksalsträchtigen Nacht, in der ihr Vater im Meer umgekommen war, stieg in ihrem Inneren empor. »Mutter war nicht stark genug, den Plan weiterzuverfolgen«, sagte sie leise.

»Nächstes Frühjahr?« Peder sah Johannes erstaunt an. »Weißt du, wie viel Arbeit das ist, Junge? Mit dem Waldroden ist es nicht getan, auch die Stümpfe müssen entfernt werden. Und all die Steine, die jetzt noch unter der Erde liegen, und das sind sicher viele, müssen wir von Hand ausgraben und wegschleppen. Das Land da urbar zu machen, wird Jahre dauern, Johannes.«

»Wir könnten ja mal anfangen. Vielleicht könnten wir ein paar Kühe dort grasen lassen …«

»Vielleicht fragen wir erst einmal Jacob«, antwortete Peder ausweichend. »Er hat da ja auch noch ein Wörtchen mitzureden.«

»Jacob?« Johannes sah ihn wütend an. »Es ist doch dein Hof, Vater. Und was soll er denn dagegen haben. Der Hof, den er einmal übernehmen wird, wird dadurch an Wert gewinnen. Da ist der Hoferbe bestimmt froh!«

Karen sah ihn verdutzt an. Johannes erhob selten die Stimme oder wurde verletzend, aber hinter diesen Worten lauerten starke Gefühle. Es war sicher nicht leicht für ihn, all seine Arbeitskraft in einen Hof zu stecken, der niemals ihm gehören würde. Vielleicht war es an der Zeit, endlich ein ernstes Wort mit Jacob zu reden. Ihr graute davor, aber sie mussten wissen, wie er sich die Zukunft vorstellte. Wieder dachte sie, dass eigentlich Johannes den Hof übernehmen sollte. Er war Bauer mit Leib und Seele.

Karen rührte hitzig in der Hafergrütze.

»Emma kann zumindest sagen, wo sie hingeht. Ich kann es nicht leiden, wenn sie draußen herumstromert und wir nicht wissen, wo sie ist.«

»Emma ist eben gerne alleine. Das weißt du doch, Mutter.« Johannes verteidigte Emma. Wie immer.

»Ja, aber sie ist jetzt schon seit Stunden unterwegs. Und dabei ist sie heute mit Melken dran. Hat sie dir nicht gesagt, wo sie hinwill?«

»Nein. Oder warte mal …« Johannes dachte nach. »Sie hatte ihren Skizzenblock dabei und etwas von dem Haus an der Inselspitze erwähnt.«

»Also wirklich«, Karens Stimme klang harsch. »Ich verstehe sie einfach nicht.«

»Emma hat eben einen Künstlerkopf.« Peder kam aus der Waschküche und setzte sich auf die Bank. »Sie hat so viel Freude am Zeichnen. Warum lassen wir sie nicht?«

»Ich verbiete es ihr doch gar nicht, Peder.« Karen schob die Grütze beiseite. »Aber mitten am Tag haben wir andere Dinge zu tun. Sie könnte zumindest warten, bis alle Arbeiten mit den Tieren erledigt sind.«

Peder massierte seinen Arm und Karen begriff, dass seine Muskeln nach der Arbeit mit der Tür schmerzten. »Wisst ihr, ob Jacob heute Abend heimkommt?«

»Keine Ahnung.« Karen drehte sich zu ihm. »Er kommt und geht ja, wie er will. Warum fragst du?«

»Ach …« Peder zögerte und sah dann rasch zu Johannes, der am Küchentisch saß. »Ich habe gedacht, ich frage ihn mal, ob er mit uns Brennholz schlagen kommt.«

»Das Holz muss im April eingelagert sein, wenn die Bäume im Saft stehen. Ich erinnere mich an letztes Jahr. Das Holz ist bis weit nach Weihnachten nicht trocken gewesen. Es hat im Ofen geraucht, als hätten wir eine Katze verbrannt.«

Peder lachte laut auf. »Da hast du recht, Karen. Wir gehen heute noch raus und suchen die Bäume aus.«

Johannes runzelte die Stirn.

»Du glaubst doch nicht, dass Jacob Zeit fürs Baumfällen hat?«

»Dann muss er sie sich nehmen.« Karen stellte die Teller klirrend auf den Tisch. »Es ist an der Zeit, dass er sich um den Hof kümmert. Er ist seit Wochen nicht hier gewesen. Er kommt nicht einmal mehr am Wochenende, und ich kann mir nicht vorstellen, dass da im Steinbruch gearbeitet wird. Iver Eide gibt ihnen zumindest sonntags frei, soweit ich weiß. Er ist ein anständiger Mann und passt auf seine Arbeiter auf.« Sie reichte Johannes die Grütze. »Ich verstehe einfach nicht, warum er lieber den ganzen Tag in Dreck und Staub steht, als sich hier zu Hause um den Hof zu kümmern.« Karen schüttelte den Kopf. »Das geht über meinen Verstand.«

»Er hat wohl auch einen Künstlerkopf«, sagte Johannes lächelnd. »Er formt und erschafft gerne Dinge.«

»Und was kann er aus Findlingen groß formen? Wenn er Bildhauer werden wollte, müsste er nach Nidaros gehen und mit Speckstein arbeiten. Er hat das einmal erwähnt, aber das hat sich wohl inzwischen erledigt.« Karen stellte die Grütze zurück auf den Ofen, um sie warm zu halten. »Ich dachte, heute könnten wir frisches Brot und gebratenen Fisch essen, aber der Brotteig geht immer noch, also gibt es heute Grütze. Emma backt die Brote, wenn sie wiederkommt. Wenn sie denn kommt, bevor es dem Teig zu dumm wird und er selbst in den Ofen wandert.«

Peder sah Johannes an und beide lachten.

»Sei nicht so streng mit ihr, Karen. Emma ist ein tüchtiges Mädchen.« Peder nahm ein Stück Flachbrot und legte eine Scheibe Speck darauf.

»Ja, ich weiß, aber es fehlt wohl der Wille.« Sie nahm sich etwas Grütze und starrte eine Weile vor sich hin. »Ich werde Augusta fragen, ob Emma im Herbst eine Lehre bei ihr anfangen kann. Dann kommt sie vielleicht auf andere Gedanken.«

Johannes sah sie finster an.

»Glaubst du, Emma ist damit zufrieden, den ganzen Tag hinter der Nähmaschine zu sitzen?«

»Augusta ist zufrieden, warum nicht auch Emma?«

»Die zwei kann man nicht vergleichen, Mutter. Weiß Emma schon davon?«

»Natürlich.«

»Und?«

»Sie wollte den Sommer über nachdenken.«

»Was ist mit der Hauswirtschaftsschule?«

»Ja, das könnte sie gebrauchen, aber daran hat sie kein Interesse. Am besten wäre es, sie wäre ein Junge, dann hätte sie Fischer werden können. Das würde ihr passen.«

»Vielleicht sollte Emma dabei sein, wenn wir über ihre Zukunft reden«, sagte Peder und stand auf, bevor er den Teller zur Seite schob. »Ich ruh mich kurz aus, dann können wir in den Wald, Johannes.« Er strich Karen über den Kopf. »Danke für das Essen.«

Kapitel 6

Emma wagte kaum, sich zu rühren. Da war jemand im Haus, aber wer? Vor lauter Schreck glitt ihr der Skizzenblock aus der Hand, aber sie schaffte es gerade noch, ihn aufzufangen, bevor er in einer Felsspalte verschwand. Als sie wieder aufblickte, schob sich eine dunkle Gestalt vor die Sonne.

»Habe ich dich erschreckt?« Die Stimme war tief, aber freundlich.

Sie wandte den Blick ab. Da stand ein Mann mit Bart, das sah sie. Aber mehr nicht, denn sie traute sich nicht, ihn genauer anzusehen.

»Entschuldigung …« Sie klemmte den Skizzenblock unter den Arm und erhob sich mit zitternden Beinen. »Ich habe nicht gewusst, dass jemand hier ist. Ich gehe wieder.«

»Nein, nein.« Er trat einen Schritt auf sie zu. »Die Natur gehört allen.« Er lachte leise. »Du hast geglaubt, du wärst hier alleine und dann kam ich.« Er streckte ihr die Hand hin. »Nicolai.«

Emma zögerte einen Augenblick, bevor sie seine Hand nahm und einen Knicks machte.

»Emma … Emma Vik.«

»Ah.« Er machte eine Bewegung mit dem Kopf. »Von dem Hof dort drüben?«

»Ja.« Sie sah ihn wieder an und begegnete einem undurchdringlichen Blick. Vielleicht war er ein Landstreicher, der sich in verlassene Hütten schlich, um dort zu übernachten?

»Ich wollte dich nicht erschrecken, ich bin nicht gefährlich.«

»Das habe ich auch nicht geglaubt«, antwortete sie mit zitternder Stimme. »Aber ich muss jetzt gehen.«

»Bleib doch noch. Ich möchte gerne meine Nachbarn kennenlernen.«

»Nachbarn?« Emma riss die Augen auf. »Wohnst du hier?«

»Ja. Ich habe das Haus gekauft, oder …« Er verzog das Gesicht. »›Hütte‹ trifft es wohl eher. Sie hat Charme, ist aber in einem schlechten Zustand.« Er lachte und zeigte eine Reihe weiße Zähne. »Und jetzt bin ausgerechnet ich hier gelandet, dabei kann ich nicht einmal einen Hammer halten. Wie soll das gutgehen?«

Was sollte sie dazu sagen? Sie trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Irgendetwas sagte ihr, sie sollte, so schnell sie konnte, nach Hause laufen, aber sie war auch neugierig. Und er wirkte harmlos, auch wenn man das nie wissen konnte. Jahre von Ermahnungen, sich ja bloß in Acht zu nehmen, hatten sie tief geprägt.

Er sah sie mit einem kleinen Lächeln an, sicher bemerkte er die Furcht in ihrem Blick.

»Du zeichnest«, sagte er und nickte in Richtung ihres Skizzenblocks. »Ich habe durchs Fenster beobachtet, wie leicht du den Bleistift führst. Darf ich es sehen?«

Emma spürte, wie sie errötete.

»Ach nein … da gibt es nichts zu sehen.«