Die falsche Freundin - Laura Martens - E-Book

Die falsche Freundin E-Book

Laura Martens

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Beschreibung

Dr. Baumann ist ein echter Menschenfreund, rund um die Uhr im Einsatz, immer mit einem offenen Ohr für die Nöte und Sorgen seiner Patienten, ein Arzt und Lebensretter aus Berufung, wie ihn sich jeder an Leib und Seele Erkrankte wünscht. Seine Praxis befindet sich in Deutschlands beliebtestem Reiseland, in Bayern, wo die Herzen der Menschen für die Heimat schlagen. Der ideale Schauplatz für eine besondere, heimatliches Lokalkolorit vermittelnde Arztromanserie, die ebenso plastisch wie einfühlsam von der beliebten Schriftstellerin Laura Martens erzählt wird. Helmut Kronmüller beschattete die Augen mit der Hand und blickte dem Segelboot nach, das wenige Meter vom Ufer entfernt in Richtung Rottach-Egern an ihm vorbeizog. Er dachte daran, wieviel Stunden er früher mit seiner Frau auf dem See verbracht hatte. Damals war seine Welt noch in Ordnung gewesen, da hatte ihn noch nicht der Spielteufel gepackt gehabt. Fast unhörbar stöhnte der Mann auf. Wie wünschte er sich, die Jahre zurückspulen zu können, noch einmal ganz von vorn anzufangen. Er hatte das Glück in den Händen gehalten und dennoch verloren, die Liebe seiner Frau und seines Töchterchens im wahrsten Sinne des Wortes verspielt. Helmut Kronmüller steckte die Hände in die Hosentaschen. Er fragte sich, ob es richtig gewesen war, nach Tegernsee zurückzukehren. Nach den langen Jahren in Amerika fühlte er sich hier fremd, obwohl der See derselbe geblieben war und auch die Gipfel der Berge um ihn herum sich nicht verändert hatten und es ihm vorkam, als würden sie ihm ein Willkommen zurufen. Langsam wandte er sich um und schaute zur Stadt. Ganz deutlich konnte er hinter den Bäumen die Türme des ehemaligen Klosters erkennen. Ein Lächeln erhellte sein Gesicht, als ihm einfiel, wie er während seiner Schulzeit mit seinen Kameraden durch das Tegernseer Schloß gestreift war. Keinen Winkel hatte es in dem weitläufigen Gebäude gegeben, den sie nicht untersucht hätten. Selbst die Kellergewölbe, die noch aus der Zeit des Klosters stammten, waren nicht vor ihnen sicher gewesen. »Wuw!« machte es plötzlich hinter ihm. Helmut Kronmüller drehte sich um. »Wer bist du denn?« fragte er den dunklen Mischlingshund, der vor ihm stand und herausfordernd mit seiner Rute wedelte. »Willst du spielen?«

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Der Arzt vom Tegernsee – 18–

Die falsche Freundin

Laura Martens

Helmut Kronmüller beschattete die Augen mit der Hand und blickte dem Segelboot nach, das wenige Meter vom Ufer entfernt in Richtung Rottach-Egern an ihm vorbeizog. Er dachte daran, wieviel Stunden er früher mit seiner Frau auf dem See verbracht hatte. Damals war seine Welt noch in Ordnung gewesen, da hatte ihn noch nicht der Spielteufel gepackt gehabt.

Fast unhörbar stöhnte der Mann auf. Wie wünschte er sich, die Jahre zurückspulen zu können, noch einmal ganz von vorn anzufangen. Er hatte das Glück in den Händen gehalten und dennoch verloren, die Liebe seiner Frau und seines Töchterchens im wahrsten Sinne des Wortes verspielt.

Helmut Kronmüller steckte die Hände in die Hosentaschen. Er fragte sich, ob es richtig gewesen war, nach Tegernsee zurückzukehren. Nach den langen Jahren in Amerika fühlte er sich hier fremd, obwohl der See derselbe geblieben war und auch die Gipfel der Berge um ihn herum sich nicht verändert hatten und es ihm vorkam, als würden sie ihm ein Willkommen zurufen.

Langsam wandte er sich um und schaute zur Stadt. Ganz deutlich konnte er hinter den Bäumen die Türme des ehemaligen Klosters erkennen. Ein Lächeln erhellte sein Gesicht, als ihm einfiel, wie er während seiner Schulzeit mit seinen Kameraden durch das Tegernseer Schloß gestreift war. Keinen Winkel hatte es in dem weitläufigen Gebäude gegeben, den sie nicht untersucht hätten. Selbst die Kellergewölbe, die noch aus der Zeit des Klosters stammten, waren nicht vor ihnen sicher gewesen.

»Wuw!« machte es plötzlich hinter ihm.

Helmut Kronmüller drehte sich um. »Wer bist du denn?« fragte er den dunklen Mischlingshund, der vor ihm stand und herausfordernd mit seiner Rute wedelte. »Willst du spielen?« Er schaute sich nach einem Stöckchen um und entdeckte ein abgebrochenes Aststück. Schwungvoll warf er es in die Richtung einer Bank, die am Ufer stand. Der Hund jagte dem Stöckchen kläffend nach, schnappte es, bevor es den Boden berührte, brachte es zurück und legte es ihm zu Füßen.

»Du bist ein braver Hund.« Helmut Kronmüller tätschelte ihm den Rücken.

»Franzl!«

Der Hund hob den Kopf und stellte die Ohren auf.

»Sieht aus, als würde man nach dir rufen«, meinte Helmut Kronmüller.

Franzl bückte sich nach dem Aststückchen, ergriff es mit der Schnauze und rannte auf Dr. Baumann zu, der in diesem Moment mit Katharina Wittenberg und Franziska Löbl um die Ecke bog. Schwanzwedelnd umkreiste er sie.

»Einen netten Hund haben Sie«, bemerkte Helmut Kronmüller.

Franzl rannte zu ihm zurück und stieß mit der Schnauze gegen das Bein des Mannes.

»Du scheinst jedes Wort zu verstehen.« Helmut Kronmüller kraulte ihn hinter den Ohren.

»Diesen Eindruck habe ich manchmal auch«, antwortete Dr. Eric Baumann. »Franzl sortiert nämlich sehr genau, was er hören möchte und was er lieber überhört.«

»Hoffentlich hat der Gauner Sie nicht belästigt«, warf Katharina Wittenberg ein.

»Ganz bestimmt nicht. Ich mag Hunde.« Helmut Kronmüller strich über Franzls Kopf. »Vermutlich ist er deshalb zu mir gekommen. Die meisten Tiere haben einen sicheren Instinkt für Leute, die sie mögen.«

»Verbringen Sie Ihren Urlaub hier?« erkundigte sich Eric.

»Mehr oder weniger«, gab Helmut Kronmüller Auskunft. Sein Gesicht verdüsterte sich. »Ich muß jetzt leider weiter. Hat mich gefreut, Sie und Ihren Franzl kennenzulernen.« Er nickte dem Arzt und den beiden Frauen zu, schlug liebevoll auf Franzls dickes Hinterteil und ging davon.

Katharina Wittenberg schaute ihm stirnrunzelnd nach. »Mit dem Mann stimmt was nicht, Eric«, meinte sie. »Außerdem kommt es mir vor, als sei ich ihm vor langer Zeit schon einmal begegnet.«

Franziska, die seit einem Unfall in ihrer Kindheit nicht mehr sprechen konnte, zog einen kleinen Block aus der Hosentasche und schrieb: »Er scheint Kummer zu haben.«

Dr. Baumann nickte. »Ja, diesen Eindruck habe ich auch«, bestätigte er und wandte sich seiner Haushälterin zu. »Streng dich an, Ka­tharina, überleg, woher du ihn kennst.«

Die ältere Frau verdrehte bekümmert die Augen. »Ihr wißt, wie stolz ich auf mein Personengedächtnis bin, doch im Moment stehe ich vor einem Rätsel. Ich weiß nur, daß ich das Gesicht dieses Mannes schon einmal gesehen habe.« Sie hob die Schultern. »Nun, es wird mir schon noch einfallen, um wen es sich handelt.«

»Da bin ich mir ganz sicher«, schrieb Franziska.

Dr. Baumann blickte auf seine Uhr. »Es wird Zeit, daß wir zurückkehren«, sagte er. »In einer halben Stunde beginnt die Nachmittagssprechstunde.« Er legte den Arm um Katharina Wittenberg. »Schön, daß du uns auf unserem Spaziergang begleitet hast.«

»Was tut man nicht alles für seinen Chef«, scherzte die Haushälterin und zwinkerte Franziska zu. Für Eric wäre sie ohne weiteres durchs Feuer gegangen. Sie liebte ihn wie einen eigenen Sohn. Manchmal, wenn sie abends nicht einschlafen konnte, dachte sie an die Zeit zurück, in der sie ihm die Mutter hatte ersetzen müssen. –

Helmut Kronmüller erreichte das kleine Ferienhaus, das er auf unbestimmte Zeit am Ufer des Tegernsees gemietet hatte. Er ging ins Wohnzimmer und schenkte sich einen Whisky ein. Statt ihn jedoch zu trinken, stellte er das Glas ab und schaute über die Terrasse hinweg zum jenseitigen Ufer. Er glaubte, sich mit seiner Frau am Ufer entlanggehen zu sehen. Vor ihnen rannte Larissa. Sie drehte sich um, streckte die Arme aus…

»Verdammt!« stieß er bitter hervor. Er konnte und er wollte nicht länger einem Zusammentreffen mit seiner Familie ausweichen. Josefine und Larissa waren einer der Gründe gewesen, weshalb er Amerika verlassen hatte.

Helmut Kronmüller bestellte sich ein Taxi. Das Autofahren hatte er schon vor einigen Monaten aufgegeben. Er fühlte sich nicht mehr sicher genug hinter dem Steuer und wollte nicht, daß womöglich ein anderer seinetwegen das Leben verlor.

Keine zwanzig Minuten später setzte ihn das Taxi in der Innenstadt von Tegernsee ab. An eine Kastanie gelehnt beobachtete er eine ganze Weile den Eingang des Stoffgeschäftes Firnhaber, das seit dem Tod ihrer Eltern seiner Frau gehörte. Es kostete ihn Mut, die Straße zu überqueren, die beiden Stufen zur Ladentür hinaufzusteigen und sie zu öffnen.

»Guten Tag.« Flüchtig nickte er den Leuten zu, die hinter und vor der Verkaufstheke standen.

Die beiden Verkäuferinnen erwiderten seinen Gruß. »Einen Moment bitte«, bat die jüngere von ihnen. »Ich kümmere mich gleich um Sie.«

»Lassen Sie sich ruhig Zeit«, antwortete Helmut Kronmüller und schaute sich um. Firnhaber gehörte zu den führenden Geschäften der Umgebung. Von jeher wurden nur teure, exquisite Stoffe verkauft, deren Preise sich an der obersten Grenze bewegten. Absatzschwierigkeiten hatten die Firnhabers dennoch nie gehabt. In der Umgebung vom Tegernsee gab es genügend Leute, die es sich leisten konnten, bei ihnen zu kaufen.

Die Verkäuferin wandte sich ihm zu. Erst jetzt bemerkte er, daß auf dem Namensschild, das sie an ihrer Bluse trug, Elke stand. »Soll es ein Anzugstoff sein?« fragte sie und schenkte ihm ein Lächeln.

»Nein, ich dachte an ein Dirndl für meine Tochter. Sicher können Sie mich beraten. Meine Tochter ist blond. Sie hat blaue Augen und…« Er unterbrach sich. »Ist Frau Kronmüller heute nicht im Geschäft?« erkundigte er sich.

»Meinen Sie Larissa Kronmüller?«

Er nickte.

»Fräulein Larissa kommt in letzter Zeit nur noch sporadisch ins Geschäft«, sagte Elke. »Ihre Mutter ist schwer krank, und sie kümmert sich fast ausschließlich um sie.«

»Krank«, wiederholte Helmut Kronmüller betroffen. »Was fehlt ihr denn?«

»Kennen Sie Frau Kronmüller?« fragte Elke.

»Ja, von früher«, erwiderte er. »Wir haben uns allerdings schon lange nicht mehr gesehen. Jetzt bin ich für einige Zeit in Tegernsee und da dachte ich, daß es ganz nett wäre, sie einmal zu besuchen.«

Elke schrieb etwas auf einen Zettel. »Das ist die Telefonnummer der Kronmüllers«, sagte sie, als sie ihm den Zettel reichte. »Am besten, Sie rufen erst einmal an. So krank, wie unsere Chefin ist, sollte man keine unangemeldeten Besuche machen.«

»Ja, ich werde vorher anrufen«, versprach er und steckte den Zettel in seine Jackettasche ein. »Danke.« Er wandte sich zum Gehen.

»Ich dachte, Sie wollten einen Dirndlstoff kaufen!« rief ihm die Verkäuferin entgeistert nach.

Helmut Kronmüller antwortete ihr nicht. Fast fluchtartig verließ er das Geschäft und eilte wie blind über die Straße. Er konnte nur noch daran denken, daß Josefine krank war, sehr krank sogar. Alles in ihm drängte ihn danach, sofort zu ihr zu fahren und sie zu bitten, ihm zu verzeihen.

Tief in seinem Inneren schien etwas zu explodieren. Helmut Kronmüller spürte einen entsetzlichen Schmerz, der seinen ganzen Kopf mit Hämmern und Bohren erfüllte und ihm das Gefühl gab, als würde hinter seiner Stirn ein gewaltiges Feuer lodern. Mit zitternden Fingern griff er nach dem Fläschchen mit den Tropfen, das er stets bei sich trug. Während er darauf wartete, daß das Medikament zu wirken begann, lehnte er sich an die Kastanie und schloß erschöpft die Augen. Er ahnte, das einige der Passanten ihn für betrunken hielten, doch das war ihm im Moment völlig egal. Er fieberte nur noch dem Augenblick entgegen, in dem die Schmerzen endlich wieder nachlassen würden.

*

»Ich werde heute nachmittag wieder nach Ihnen sehen, Frau Kronmüller«, sagte Dr. Eric Baumann und drückte die Hand der Kranken. »Nach der Spritze, die ich Ihnen gegeben habe, werden Sie ein paar Stunden schlafen.«

Josefine Kronmüller wollte ihm antworten, aber sie war zu erschöpft dazu.

Sie schaffte es nicht einmal, die Augen zu öffnen. Kraftlos sank ihr Kopf zur Seite.

»Schlaf gut, Mama.« Lariassa Kronmüller berührte die kalte Wange ihrer Mutter. Sie wußte, daß es keine Hoffnung mehr gab und ihre Mutter kaum die Woche überleben würde. Niedergeschlagen wandte sie sich dem CD-Player zu, um Musik einzuschalten. Die ersten Takte eines Strauß-Walzers wehten durch das Zimmer und veränderten seine düstere Atmosphäre. Es war, als würde mitten in der Nacht die Sonne aufgehen. Um die Lippen der Kranken huschte so etwas wie ein Lächeln.

Dr. Baumann ging mit der jungen Frau ins Wohnzimmer hinunter. Obwohl die leise Musik hier unten nicht mehr zu hören war, schien sie ihnen die Treppe hinunterzufolgen. »Es ist ein Glück, daß Ihre Mutter auch jetzt noch so sehr die Musik liebt«, meinte er zu Larissa. »Sie hilft ihr über vieles hinweg.«

»Und dennoch ist es gerade die Musik, die es mir besonders schwer macht, daran zu glauben, daß meine Mutter sterben wird«, erwiderte die junge Frau. »Manchmal würde ich die CDs am liebsten nehmen und aus dem Fenster werfen. Die fröhlichen Walzer klingen in meinen Ohren wie Hohn.«

»Ich kann Sie sehr gut verstehen, Frau Kronmüller.« Der Arzt stellte seine Tasche neben die Couch. »Sie wissen, wie es um Ihre Mutter steht. Ich muß Ihnen also nichts vormachen. Das einzige, was uns bleibt, ist, ihr einen ruhigen, würdevollen Tod zu bereiten.«

Larissa nickte. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie meine Mutter nicht ins Krankenhaus einweisen.«

»Schließlich habe ich Ihrer Mutter in die Hand versprochen, daß ich es nicht dulden werde, ihr Leben auf einer Intensivstation künstlich um zwei bis drei Wochen verlängern zu lassen«, antwortete er. »Würde ich einen Sinn darin sehen, dann hätte ich ein derartiges Versprechen nicht gegeben, doch Ihre Mutter wird ohnehin sterben. Wozu sie also noch ein paar Wochen an Apparate angeschlossen dahinvegetieren lassen?« Er legte die Hände auf Larissas Schultern und schaute ihr ins Gesicht. »Ich rechne damit, daß sie den morgigen Abend nicht mehr erlebt.«

»Im Moment kann ich es mir noch nicht vorstellen, ohne meine Mutter zu leben.« Larissa strich sich über die Augen. »Vor einigen Tagen hat sie plötzlich von meinem Vater gesprochen. Bis dahin hatte sie ihn jahrelang nicht mehr erwähnt.«

»Haben Sie eine Ahnung, wo Ihr Vater lebt?«

»Ich weiß nur, daß er nach Amerika gegangen sein soll.« Larissa starrte aus dem Fenster. »Ich bin knapp vier Jahre alt gewesen, als er uns verlassen hat. Von einem Tag zum anderen war er nicht mehr da. Anfangs hoffte ich, daß er wiederkommen würde, dann…« Sie schüttelte den Kopf. »Ich sehne mich nicht mehr nach ihm. In all den Jahren hat er es nicht einmal für nötig gehalten, uns zu schreiben. Meinetwegen soll er bleiben, wo der…« Sie unterbrach sich. »Trotzdem würde ich alles tun, um ihn zu finden, wenn mir noch genügend Zeit dazu bleiben würde.«

»Ich glaube zwar nicht, daß Ihre Mutter noch sehr viel sprechen wird, doch wenn sie nach Ihrem Vater fragen sollte, dann sagen Sie ihr ruhig, daß Sie versuchen werden, ihn zu finden«, riet Dr. Baumann. »Es wird ihr guttun.«

»Es gibt nichts, was ich nicht tun würde, um meiner Mutter die letzten Stunden noch so schön wie möglich zu machen«, meinte Larissa. »Kann ich Sie jederzeit anrufen?«

»Natürlich. Ich werde Tina sagen, daß Sie ein Gespräch von Ihnen auf jeden Fall durchstellen soll«, versprach Eric. »Wenn…«

Es klopfte.

»Ja, bitte!« Larissa wandte sich der Tür zu. »Ach, du bist es, Melanie«, bemerkte sie, als ihre Freundin eintrat. Sie hatte Melanie Weingold einen Schlüssel gegeben, damit ihre Mutter nicht durch etwaiges Klingeln gestört wurde.

»Ich wollte nur wissen, ob ich etwas für dich tun kann, Larissa.« Melanie Weingold wandte sich Dr. Baumann zu. »Wie geht es der Kranken? – Im übrigen ist es gut, daß ich Sie hier treffe. Ich habe in letzter Zeit sehr oft Kopfschmerzen.« Sie griff sich an die Schläfen. »Manchmal ist es, als würde ein eiserner Reifen um meine Stirn geschlossen. Könnten Sie mir ein Rezept geben?«

Eric Baumann mochte Frau Weingold nicht sonderlich, obwohl ihr Mann und sie zu seinen Patienten gehörten. Melanie hatte etwas an sich, das ihm sehr deutlich die Grenzen seiner Selbstbeherrschung zeigte. Ständig versuchte sie, sich in den Mittelpunkt zu spielen und über andere zu bestimmen. Er war überzeugt, daß das Magenleiden ihres Mannes damit zusammenhing. Hans Weingold spielte sozusagen die Rolle eines Prinzgemahls, der es nicht wagen durfte, in der Öffentlichkeit auch einmal seine Meinung zu äußern, wenn diese von der seiner Frau abwich.

»Tut mir leid, Frau Weingold, da müssen Sie schon in meine Praxis kommen«, erwiderte er ohne jegliches Bedauern. »Ich kann Ihnen nicht einfach etwas gegen Ihre Kopfschmerzen verschreiben, ohne ihnen auf den Grund zu gehen.«

»Woher meine Kopfschmerzen kommen, das weiß ich. Ich reibe mich zu sehr für andere auf, versuche ständig, ihnen zu helfen.« Sie lachte unfroh auf. »Nur Dank ernte ich kaum dafür. So etwas zerrt natürlich an den Nerven.«

»Dann wäre es vielleicht besser, Sie würden sich weniger um andere kümmern«, meinte der Arzt. »Jetzt muß ich weiter, sonst komme ich zu spät in die Sprechstunde.« Er reichte Larissa die Hand. »Scheuen Sie sich nicht, mich anzurufen, falls etwas sein sollte.«

»Ich werde daran denken«, versprach die junge Frau.

»Auf Wiedersehen, Frau Weingold. Am besten, Sie lassen sich von Tina einen Termin geben.«

»Mal sehen«, antwortete Melanie kühl. »Bis dann.« Sie wandte sich der Küche zu, um Kaffeewasser aufzusetzen. Daß Dr. Baumann nicht wenigstens ein paar bestätigende Worte für sie hatte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Ohnehin kam es ihr manchmal vor, als würde er sie nicht ernst nehmen.

Larissa brachte den Arzt zur Tür, danach huschte sie leise die Treppe hinauf und warf einen Blick ins Krankenzimmer. Ihre Mutter schien fest zu schlafen. Wenn sie nicht bis auf die Knochen abgemagert gewesen wäre, man hätte sie kaum für eine Sterbende halten können. Ihr Gesicht wirkte so ruhig und friedlich, daß es den Anschein hatte, als sei sie nur einmal kurz eingeschlafen, um in wenigen Minuten erfrischt zu erwachen und ihrer Arbeit nachzugehen.