Ein stummer Hilfeschrei - Laura Martens - E-Book

Ein stummer Hilfeschrei E-Book

Laura Martens

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Beschreibung

Dr. Baumann ist ein echter Menschenfreund, rund um die Uhr im Einsatz, immer mit einem offenen Ohr für die Nöte und Sorgen seiner Patienten, ein Arzt und Lebensretter aus Berufung, wie ihn sich jeder an Leib und Seele Erkrankte wünscht. Seine Praxis befindet sich in Deutschlands beliebtestem Reiseland, in Bayern, wo die Herzen der Menschen für die Heimat schlagen. Der ideale Schauplatz für eine besondere, heimatliches Lokalkolorit vermittelnde Arztromanserie, die ebenso plastisch wie einfühlsam von der beliebten Schriftstellerin Laura Martens erzählt wird. »Sie müssen leider noch im Wartezimmer Platz nehmen, Frau Seitter«, meinte Tina Martens zu der jungen Frau, die vor wenigen Minuten die Praxis betreten hatte. »Wir sind heute mit unserem Zeitplan etwas durcheinandergeraten.« »Ein Notfall?« fragte Carola freundlich. Die Sprechstundenhilfe nickte. »Einer unserer Patienten hat einen Schlaganfall erlitten. Dr. Baumann ist erst vor einer halben Stunde zurückgekommen.« »Hat er dem Mann helfen können?« »Ich hoffe es«, sagte Tina. Carola Seitter öffnete die Tür zum Wartezimmer. In Gedanken seufzte sie auf, als sie Lina Becker entdeckte, die zusammen mit einer anderen Frau zwischen den Fenstern saß. Obwohl die Beckers zu ihren Kunden gehörten, vermied sie es, soweit es ging, mit ihnen zusammenzutreffen. »Guten Morgen«, grüßte sie und steuerte einen Stuhl auf der anderen Seite des Zimmers an. Sie nahm sich eine der Zeitschriften, die auf einem kleinen Tisch davor lagen. »Frau Seitter, wie schön, Sie zu sehen.« Lina Becker richtete sich auf.

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Der Arzt vom Tegernsee – 20–

Ein stummer Hilfeschrei

Laura Martens

»Sie müssen leider noch im Wartezimmer Platz nehmen, Frau Seitter«, meinte Tina Martens zu der jungen Frau, die vor wenigen Minuten die Praxis betreten hatte. »Wir sind heute mit unserem Zeitplan etwas durcheinandergeraten.«

»Ein Notfall?« fragte Carola freundlich.

Die Sprechstundenhilfe nickte. »Einer unserer Patienten hat einen Schlaganfall erlitten. Dr. Baumann ist erst vor einer halben Stunde zurückgekommen.«

»Hat er dem Mann helfen können?«

»Ich hoffe es«, sagte Tina.

Carola Seitter öffnete die Tür zum Wartezimmer. In Gedanken seufzte sie auf, als sie Lina Becker entdeckte, die zusammen mit einer anderen Frau zwischen den Fenstern saß. Obwohl die Beckers zu ihren Kunden gehörten, vermied sie es, soweit es ging, mit ihnen zusammenzutreffen.

»Guten Morgen«, grüßte sie und steuerte einen Stuhl auf der anderen Seite des Zimmers an. Sie nahm sich eine der Zeitschriften, die auf einem kleinen Tisch davor lagen.

»Frau Seitter, wie schön, Sie zu sehen.« Lina Becker richtete sich auf. »Wir haben gerade von der Beerdigung der kleinen Natalie Hofer gesprochen. Es muß entsetzlich sein, ein Kind unter solch tragischen Umständen zu verlieren.«

»Ist es nicht immer entsetzlich, wenn ein Kind stirbt?« fragte Carola. Sie hatte die kleine Natalie gut gekannt. Vor einem Jahr war die Vierjährige an Leukämie erkrankt. Nach einer erfolglosen Chemotherapie hatte man über ein halbes Jahr nach einem geeigneten Knochenmarkspender gesucht, da keiner aus der eigenen Familie als Spender in Frage gekommen war. Nicht einmal ihr Zwillingsbruder Nathan.

»Wie wahr«, meinte Jutta Bölzle. »Ich möchte nicht mitmachen müssen, was die arme Frau Hofer mitgemacht hat. All diese Warterei, dieses Bangen und Hoffen…«Sie seufzte auf. »Mit ansehen zu müssen, wie so ein kleines Kind mit jedem Tag etwas mehr stirbt, muß zu dem Schrecklichsten gehören, was einer Mutter widerfahren kann.«

»Deshalb bewundere ich ja auch so, wie gut sich Ingrid Hofer bei der Beerdigung gehalten hat«, warf Lina Becker ein. »Ehrlich, wenn mein Kind gestorben wäre, mich hätte man mit dem Krankenwagen vom Friedhof abholen müssen. Aber Frau Hofer hat die Beerdigung mit einer Bravour durchgestanden, die…«

Carola mußte an sich halten, um nicht aufzuspringen und Lina Becker durchzuschütteln. »Frau Hofer stand unter starken Beruhigungsmitteln«, fiel sie ihr ins Wort, obwohl sie sich da keineswegs sicher war. Ingrid Hofer hatte am Beerdigungstag auf sie den Eindruck einer Marionette gemacht. Nett und freundlich hatte sie mit jedem ein paar Worte gewechselt, unzählige Hände geschüttelt, sich später darum gekümmert, daß auch jeder der geladenen Trauergäste etwas zu essen und zu trinken bekam.

»Stimmt, Sie müssen es ja wissen.« Lina Becker sah sie neugierig an. »Schließlich sind Sie mit dem Bruder von Frau Hofer so gut wie verlobt.«

»Herr Rhode und ich sind miteinander befreundet«, stellte die junge Frau richtig und gestand sich im selben Moment ein, daß es bei weitem mehr als nur Freundschaft war, was Harald und sie füreinander empfanden, doch das ging Frau Becker nichts an.

»Soso«, bemerkte Lina Becker mit einem spöttischen Unterton. »Wie trägt Ihr Freund den Tod seiner Nichte? – Es ist doch sicher für alle nicht einfach.«

»Nein, es ist keineswegs einfach, Frau Becker«, erwiderte Carola, »aber bitte nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich nicht darüber sprechen möchte.«

»Das kann ich sehr gut verstehen.« Lina Becker nickte und wandte sich an die anderen Leute, die im Wartezimmer saßen: »Als vor einigen Jahren der Sohn meines Cousins starb, ging für uns alle fast die Welt unter. Wir hatten Ronny nie persönlich kennengelernt und kannten ihn nur von Bildern, trotzdem fühlten wir uns ihm verbunden.« Sie faltete die Hände im Schoß. »Er ist nur sieben Jahre alt geworden. Manchmal frage ich mich wirklich…« Entschlossen schüttelte sie den Kopf. »Nein, es ist besser, solche Fragen nicht zu stellen.« Ihren Lippen entrang sich ein tiefer Seufzer. »Es gibt eben Dinge, mit denen man fertigwerden muß, so schwer es einem auch wird. »Wenn…« Sie straffte die Schultern. »Ronny ist ein sehr begabter Junge gewesen. Er konnte schon mit drei Jahren lesen und rechnen. Wir hatten alle damit gerechnet, daß er auch eines Tages wie sein Großvater in Harvard studieren würde.«

»Ich stelle es mir sehr schwer vor, in Harvard aufgenommen zu werden«, meinte Frau Kienzle, die erst seit vierzehn Tagen bei Dr. Baumann in Behandlung war.

»Frau Becker, bitte«, tönte die Stimme von Tina Martens durch den Lautsprecher.

Lina Becker stand auf und nahm ihre Handtasche. »Bestellen Sie Herrn Rhode einen Gruß von mir«, bat sie Carola im Hinausgehen.

»Das werde ich«, versprach die junge Frau und vertiefte sich in ihre Zeitschrift. Sie hatte nicht die geringste Lust, das Gespräch fortzusetzen. Natalies Tod war tragisch genug. Es brachte nichts, mit Leuten darüber zu sprechen, von denen die meisten das kleine Mädchen nur aus der Zeitung gekannt hatten.

Es dauerte fast noch eine halbe Stunde, bis auch Carola aufgerufen wurde und kurz darauf Dr. Eric Baumann gegenüber saß. Der Arzt machte an diesem Vormittag einen etwas überanstrengten Eindruck auf sie, was sie nicht wunderte, schließlich hatte er auch schon alle Hände voll zu tun gehabt.

»Ja, heute geht es wirklich etwas hektisch zu, Frau Seitter«, sagte er, als sie ihn darauf ansprach. Er zwinkerte ihr zu. »Ich hoffe, Sie sind nicht beruflich zu mir gekommen, sondern als Patient.«

»Keine Angst, ich habe nicht vor, Ihnen eine Versicherung zu verkaufen«, scherzte sie, wurde dann jedoch gleich wieder ernst. »Seit einiger Zeit habe ich in meinem rechten Arm und im Handgelenk Schmerzen, die oft bis in die Fingerspitzen ausstrahlen. Außerdem kommt es mir vor, als würden sich die Gelenke aneinander reiben.«

»Das sieht mir ganz nach einer Sehnenscheidenentzündung aus«, bemerkte Dr. Baumann und untersuchte den betroffenen Arm und die Hand. »Aber um ganz sicher zu gehen, werde ich Sie zum Röntgen schicken. Bis die Beschwerden abgeklungen sind, sollten Sie Ihre Hand möglichst schonen. Eine Sehnenscheidenentzündung kann chronisch werden und zu erheblichen Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit Ihrer Hand führen.«

»Wie Sie wissen, habe ich viel am Computer zu tun«, erwiderte Carola bekümmert. »Hilft es nicht, wenn ich mein rechtes Handgelenk einbinde?«

»Ihr Handgelenk muß auf jeden Fall eingebunden werden, aber das A und O der Behandlung ist die Schonung.« Eric sah die junge Frau ernst an. »Für einige Wochen müßte es sich doch machen lassen, daß Sie weniger am Computer arbeiten. Sprechen Sie mit Ihrem Chef. Wenn Ihre Schmerzen schlimmer werden, muß ich Sie ohnehin krankschreiben.«

Carola nickte. »Herr Fischer wird schon einen Weg finden, um mir zu helfen«, meinte sie. »Ich könnte einen größeren Teil des Außendienstes übernehmen.«

Dr. Baumann schrieb die Überweisung für die Röntgenuntersuchung aus. »Wie geht es Frau Hofer?« erkundigte er sich, da er wußte, daß Carola und Harald Rhode befreundet waren. Er stand auf, um sie zur Tür zu bringen. »Ich habe sie seit Natalies Beerdigung nicht mehr gesehen.«

»Auf mich macht Frau Hofer einen sehr ruhigen und gefaßten Eindruck«, erwiderte Carola und erhob sich ebenfalls. »Um ehrlich zu sein, mein Freund und ich befürchten, daß sie über kurz oder lang zusammenbrechen wird. Ingrid…« Sie hob die Schultern. »Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll, Dr. Baumann. Ich möchte Ingrid nicht unrecht tun. Jeder reagiert auf den Tod eines geliebten Menschen anders.«

»Ja, nicht jedem ist es gegeben, seine Trauer offen zu zeigen«, sagte der Arzt.

Die junge Frau gab sich einen Ruck. »Tut mir leid, aber mir kommt es vor, als würde Frau Hofer es regelrecht genießen, momentan so im Mittelpunkt zu stehen. Ich bin überzeugt, daß nur das allein sie noch aufrecht hält. Nur, das Interesse der Leute wird irgendwann nachlassen. Noch ein, vielleicht auch zwei Wochen, dann wird sich nicht mehr alles um sie und Natalies Tod drehen. – Was ist dann?«

Dr. Baumann nickte. Er kannte Ingrid Hofer gut genug, um zu wissen, daß sich Carola vermutlich nicht irrte. Schon als Kind hatte Ingrid stets das Gefühl gehabt, im Schatten ihrer Familie, ihres Bruders und ihrer Freunde zu stehen. Die Rhodes waren bereits bei seinem Vater in Behandlung gewesen. Ingrid hatte sich mit acht und mit zwölf Jahren selbst verletzt, um Beachtung zu finden. Ingrid hatte Natalie über alles geliebt, doch sie wußte ganz sicher auch die Aufmerksamkeit zu schätzen, die ihr durch die Krankheit und den Tod ihrer Tochter entgegengebracht wurden.

»Wir dürfen Sie nicht allein lassen, sondern müssen unter allen Umständen versuchen, ihr beizustehen«, erwiderte er. »Frau Hofer braucht jetzt jeden einzelnen von uns.«

»Das ist wahr«, meinte Carola. »Und was ich dazu beitragen kann, daß sie über Natalies Tod hinwegkommt, werde ich auch tun.« Sie reichte dem Arzt zum Abschied die Hand.

Draußen traf die junge Frau mit Franziska Löbl zusammen, die als Krankengymnastin in der Praxis arbeitete. Sie sagte ihr, daß sie in den nächsten Tagen ihren Vater aufsuchen würde, weil sie etwas wegen einer Versicherung mit ihm klären mußte.

»Sie wissen, daß mein Vater sich immer freut, wenn er Sie sieht«, schrieb Franziska auf den kleinen Block, den sie stets bei sich trug. Durch einen Unfall in ihrer Kindheit konnte sie nicht mehr sprechen, trotzdem hatte sie nur selten Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen.

»Da sollte ich direkt versuchen, einen weiteren Versicherungsvertrag mit ihm abzuschließen«, scherzte Carola.

»Soweit geht die Sympathie meines Vaters nun doch nicht«, schrieb die Krankengymnastin. »Er wird dankend ablehnen.«

»Schade.« Carola verließ lachend die Praxis und wandte sich ihrem Wagen zu, den sie auf der Straße geparkt hatte. Im Büro wartete eine Menge Arbeit auf sie. Im Moment war es noch nicht möglich, daß sie den Rat von Dr. Baumann befolgte und ihren Arm schonte.

*

Harald Rhode schloß seinen Wagen ab und ging durch den schmalen, sehr gepflegten Vorgarten zum Haus. Er hatte noch nicht auf den Klingelknopf gedrückt, als ihm auch schon die Haustür geöffnet wurde. Eilig stieg er die Treppe zum ersten Stock hinauf. Carolas Wohnungstür stand halb offen. Er klopfte.

»Herein mit dir!« rief sie ihm aus dem Bad zu. »Ich bin gleich da!«

Harald schloß die Tür hinter sich und warf einen Blick in den Garderobenspiegel. Rasch fuhr er noch mit dem Kamm durch seine dunklen, meist wirren Haare.

»Wie kann man nur so eitel sein?« fragte Carola hinter ihm.

»So sind wir Männer halt«, meinte ihr Freund und nahm sie in die Arme, um sie auf beide Wangen zu küssen. »Scheint mir, als hättest du mein Kommen kaum noch erwarten können, oder wer hat schon die Türen geöffnet, bevor ich überhaupt klingeln konnte?«

»Ich habe dich vom Badezimmerfenster aus vorfahren sehen«, erwiderte Carola. »Wenn du willst, können wir gleich gehen. Ich freue mich schon, mal wieder mit dir unten am See zu sitzen, gemütlich zu essen…«

Harald ließ die Hände sinken. Er wirkte plötzlich ungemein schuldbewußt. »Würde es dir viel ausmachen, wenn wir unser gemeinsames Essen verschieben? – Ingrid ist heute so verzweifelt. Sie ist zweimal auf dem Friedhof gewesen, um Blumen auf das Grab zu legen. Ich würde sie wirklich nicht gern den ganzen Abend allein lassen.«

Der jungen Frau fiel es sehr schwer, ihm ihre Enttäuschung nicht zu zeigen. »Dann willst du also gleich wieder gehen?« fragte sie mit belegter Stimme.

»Nein, meine Schwester hat uns beide zum Abendessen eingeladen.« Er legte die Hände auf ihre Schultern. »Bitte, Carola, schlag diese Einladung nicht aus. Es lenkt sie ab, wenn sie für andere kochen kann. Außerdem weiß sie, wie gern du Natalie gehabt hast.«

»Einverstanden«, antwortete seine Freundin. »Ich kann deine Schwester sehr gut verstehen. Wir müssen in nächster Zeit eben etwas zurückstecken.«

»Kein Wunder, daß ich mich in dich verliebt habe.« Impulsiv nahm Harald die junge Frau erneut in die Arme. »Ich verspreche dir hoch und heilig, in ein paar Wochen werden wir wieder mehr Zeit für uns haben.«

Ingrid Hofer empfing sie in tiefem Schwarz. Ihre blonden Haare hatte sie im Nacken mit einer ebenfalls schwarzen Spange zusammengesteckt, was ihr ohnehin schmales Gesicht noch schmäler wirken ließ. Unter ihren Augen hatten sich tiefe Ringe eingegraben. Müde reichte sie der Freundin ihres Bruders die Hand.

»Danke für die Einladung, Frau Hofer«, sagte Carola. »Wie geht es Ihnen?«

»Wie soll es mir schon gehen?« fragte Ingrid. »Es gibt keine Minute, in der ich nicht an Natalie denke. Sie ist nur vier Jahre alt geworden, und ihr letztes Lebensjahr war einfach entsetzlich. Ich weiß, was es heißt, die Hölle zu sehen. Jeder Tag

in den vergangenen zwölf Monaten ist für mich eine Hölle gewesen.«

Nathan kam die Treppe hinunter. »Meine Schwester ist jetzt ein Engelchen, Tante Carola«, erzählte er und streckte die Ärmchen nach ihr aus.

»Ein besonders liebes Engelchen.« Carola nahm den Kleinen auf den Arm.

»Natalie schaut aus dem Himmel auf die Erde hinunter und sieht, wenn ich etwas Böses tu’«, erzählte der Bub, während er sich an sie schmiegte. »Ich muß immer ganz lieb zu meiner Mama sein, damit Natalie nicht traurig wird.«

Ingrid nahm ihren Sohn aus Carolas Armen. »Ich wüßte nicht, was ich ohne Nathan tun sollte«, sagte sie und strich ihm eine blonde Strähne aus der Stirn. »Es wäre schrecklich, wenn ihm auch noch etwas passieren würde.«

»Nathan wird nichts passieren«, warf Harald ein. »Wie weit ist das Essen? – Gibt es noch irgend etwas zu helfen?«

»Nein, wir können in fünf Minuten essen«, antwortete seine Schwester. »Den Tisch im Eßzimmer habe ich auch bereits gedeckt.« Sie nickte Carola zu. »Sie wissen ja, wo das Bad ist. Ich meine, falls Sie sich noch etwas frisch machen wollen.«

»Danke.« Die junge Frau schenkte ihr ein vages Lächeln. Obwohl sie sich dafür schämte, fühlte sie sich in Ingrids Gegenwart äußerst unwohl.

»Und du wirst dir auch die Hände waschen, Nathan«, befahl Ingrid. »Ich habe dir ja gesagt, wie wichtig es ist, sich vor Bazillen zu hüten.« Sie stellte ihren Sohn zu Boden und verschwand in der Küche.

Als Carola einige Minuten später das Eßzimmer betrat, sah sie sofort, daß der Tisch für fünf Personen gedeckt worden war. Auf dem Stuhl vor dem fünften Gedeck lag ein Strauß Vergißmeinnicht. Es war Natalies Platz gewesen.