Der Berater - Bentley Little - E-Book

Der Berater E-Book

Bentley Little

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Beschreibung

Etwas ist seltsam an dem skurril gekleideten Mann, der CompWare aus der Krise helfen soll und dessen Lächeln nie ganz seine Augen erreicht. Zunächst ist der Unternehmensberater lediglich lästig, doch bald gewinnt er so viel Macht, dass er die Firma zu leiten scheint. Er veranlasst einschneidende Veränderungen und bedroht die Angestellten und ihre Familien. Mitarbeiter, die sich ihm widersetzen, werden gefeuert ... oder schlimmer. Bald merken sie, dass es nicht allein um ihren Arbeitsplatz geht: Sie kämpfen um ihr Leben. Der Berater ist ein erstklassiger Thriller mit einem Hang ins Makabre, wie ihn nur Bentley Little bieten kann. Der Roman wurde 2023 unter dem englischen Originaltitel THE CONSULTENT 2023 als Amazon PRIME Serie mit Christoph Waltz als Regus Patoff. verfilmt.

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Aus dem Amerikanischen von

Heiner Eden

Grimma

Buchheim Verlag

2019

Deutsche Erstausgabe

ISBN: 978-3-946330-11-0

ISBN E-Book: 978-3-946330-12-7

© 2019 Buchheim Verlag, Olaf Buchheim, Grimma

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag unter Verwendung von Motiven von:

© beeboys/stock.adobe.com

Lektorat: Claudia Pietschmann

Satz im Verlag

www.buchheim-verlag.de

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

The Consultant

Copyright © 2015 by Bentley Little

Published by Arrangement with Bentley Little

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH,

30161 Hannover.

Für die Konefskys:

Bob, David und ganz besonders Natalie,

die die Schrecken der modernen Arbeitswelt nur allzu gut kennt.

EINS

Es war seine eigene Schuld.

Hätte Craig Horne, nachdem er aufgewacht war, nicht sofort seine E-Mails gecheckt, hätte er seine Arbeit einfach dort gelassen, wo sie hingehörte, so wie Angie es ihm immer wieder unter die Nase rieb. Dann hätte er von dem Team-Meeting überhaupt nicht gewusst.

Er hätte eine Dusche genommen, ein gemächliches Frühstück mit seiner Familie gehabt und erst nach seiner Ankunft im Büro um kurz nach acht erfahren, dass er ein Meeting verpasst hatte. Später am Vormittag hätte ihm schon irgendwer erzählt, was besprochen worden war.

Aber er hatte seine E-Mails gecheckt, und die Mitteilung, die ihn nach dem Log-in begrüßte, lautete ›Manager-Meeting um 7:30 Uhr‹. Also sprang er rasch unter die Dusche, zog sich an und kippte unter Angies missbilligenden Blicken eine Tasse Kaffee hinunter, bevor er aus der Haustür stürmte.

Um diese Uhrzeit war auf dem Highway noch längst nicht so viel Verkehr wie üblich, was seine Fahrtzeit auf eine halbe statt der üblichen Dreiviertelstunde verkürzte. Craig erreichte das Büro zwanzig Minuten zu früh. Vielleicht hätte er sogar noch genügend Zeit für ein hastiges Frühstück gehabt, dachte er, während er mit dem Fahrstuhl hinauf in den sechsten Stock fuhr. Aber davon würde er Angie lieber nichts erzählen oder sie würde ihm ständig damit in den Ohren liegen.

Er stieg aus dem Fahrstuhl, lief den Flur zu seinem Büro hinunter und begrüßte Lupe, seine Sekretärin, die, wie es aussah, selbst gerade erst angekommen war. Sie stand hinter ihrem Schreibtisch, nahm ein Croissant aus einer Bäckertüte und lächelte ihn an. »Sie sind aber früh dran«, sagte sie.

»Team-Meeting«, sagte er und fragte sich, worum es wohl gehen würde. Es war ungewöhnlich für Matthews, ein Meeting so kurzfristig anzusetzen und, was für den CEO noch ungewöhnlicher war, nicht einmal eine Tagesordnung zu benennen.

Craig setzte sich an seinen Schreibtisch, schaltete den Computer an und öffnete die Verkaufszahlen für die neueste Software. Er hatte sie schon vor einigen Tagen erhalten, bisher aber vermieden, sie sich anzuschauen, weil er eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, wie sie aussehen würden. Enttäuscht, aber nicht überrascht stellte er fest, dass er recht hatte: Das neue Business-Paket namens OfficeManager blieb nicht nur hinter den Erwartungen zurück – es war ein veritabler Flop.

Würden sie darüber in dem Meeting sprechen? Über die Verkaufszahlen? Sehr gut möglich. Er druckte ein paar Diagramme aus, die allgemeine Markttendenzen zeigten und die er, falls nötig, zu seiner Verteidigung heranziehen konnte.

Sein Tischtelefon summte, die rote Lampe leuchtete, und er warf einen Blick auf die Uhr. Es war nicht mehr lange bis zum Meeting. Er sammelte seine Unterlagen zusammen, ging hinaus und bat Lupe, die Stellung zu halten, bis er wieder da war.

Er nahm den Fahrstuhl hinunter in den ersten Stock und traf Phil Allen, der den Flur zum Konferenzraum entlanglief. »Hast du eine Ahnung, worum es geht?«, fragte Craig.

»Schadensbegrenzung«, erwiderte Phil und schob seinen Aktenkoffer von einer Hand in die andere.

Craigs Verwirrung musste sich auf seinem Gesicht abgezeichnet haben, denn sein Freund blieb plötzlich stehen und sagte: »Oh, mein Gott. Du hast noch gar nicht davon gehört.«

»Was gehört?«

Außer ihnen war niemand auf dem Flur. Doch Phil winkte Craig mit dem Finger zur Wand, beugte sich dicht an ihn heran und sprach im Flüsterton: »A. I. hat die Fusion abgeblasen. Steht heute auf der Titelseite des Journal. Sie wollen nicht einmal ein Angebot abgeben. Es wird gemunkelt, dass unsere Aktien in den Keller gehen, sobald es an der Börse klingelt. Anderson hat sich schon den goldenen Fallschirm umgehängt und ist abgesprungen. Würde mich nicht wundern, wenn sich andere an ihm ein Beispiel nehmen.«

Craigs Herz pochte wild. »Was ist denn passiert?«

»Niemand weiß es. Oder niemand sagt es. Ihre unabhängigen Wirtschaftsprüfer hatten uns letzte Woche noch einen Persilschein ausgestellt, aber irgendwie muss irgendwo eine Unregelmäßigkeit aufgetaucht sein, denn A. I. ist draußen.«

»Glaubst du, es wird Entlassungen geben?«

»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Aber du musst dir keine Sorgen machen. Du bist fürs Kreative zuständig. Wenn Köpfe rollen werden, dann in der Finanzabteilung. Schließlich waren sie es, die diese Strategie gefahren sind.«

»Mag sein, aber OfficeManager ist ein Totalreinfall. Ich habe mir vor fünf Minuten die Zahlen angesehen.«

»Dafür ist Zombie Air Force noch immer die Nummer eins bei den Spielen. Vertrau mir, du hast nichts zu befürchten. Sie werden dem Vertrieb die Schuld für OfficeManager in die Schuhe schieben. Wir sind immer der Sündenbock. Und außerdem: Ich glaube nicht, dass es um einzelne Produkte gehen wird. Es gibt keine Fusion, Anderson ist weg, die Firma ist im freien Fall. Das sind die Gründe für das Meeting.«

Vizepräsidenten, Manager und Abteilungs- und Fachbereichsleiter strömten in den Flur. Craig und Phil brachen ihr Gespräch ab, um gute Plätze in dem kinoähnlichen Konferenzraum zu ergattern. Matthews stand bereits vorne am Podium. Die Tatsache, dass die Wand hinter dem CEO nackt und nicht mit PowerPoint-Grafiken und Diagrammen übersät war, deutete definitiv auf ein unübliches Meeting hin.

Craig warf einen Blick hinüber zu Phil und entdeckte in dessen Gesicht einen Ausdruck von unterdrückter Angst. Es war, als würde er in einen Spiegel blicken.

Matthews sah niemandem in die Augen. Er starrte entweder auf das Podium oder an die Uhr an der Wand. Kein gutes Zeichen. Der CEO legte strikten Wert auf Pünktlichkeit und begann die Meetings auf die Sekunde zur vorgegebenen Zeit. Heute Morgen war es nicht anders.

»Fangen wir an«, verkündete er, während manche noch immer einen Sitzplatz suchten und andere noch nicht einmal den Raum betreten hatten.

Die nächsten zwanzig Minuten waren sie einer vernichtenden Analyse der Unternehmensleistung ausgesetzt, die in der Aussage gipfelte, dass, genau wie im Wall Street Journal geschrieben stand, Automated Interface nicht mehr an einer Fusion mit der CompWare interessiert war. Die beiden Architekten der Fusionsstrategie, CFO Hugh Anderson und Senior VP Russell Cibriano, hatten sich in ihre Schwerter gestürzt und die Firma aus freien Stücken verlassen, was aber mindestens genauso viele Probleme bereiten wie lösen würde.

»Zum jetzigen Zeitpunkt ist es unsere allererste Aufgabe, das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Industrie in unser Unternehmen zu stärken. Zu diesem Zweck haben wir eine externe Unternehmensberatung beauftragt, die innere Ordnung in unserem Haus wiederherzustellen. Die BFG Associates kommt mit besten Empfehlungen und ihre Erfolgsbilanz ist sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor überragend. Sie werden das Unternehmen von Kopf bis Fuß abklopfen. Dazu brauchen sie Zugang zu allem und jedem, und zwar so lange wie nötig. Ihre Abteilungen und Sparten werden noch im Einzelnen unterwiesen, sofern die Arbeit Ihrer Teams betroffen ist. Aber im Grunde ist es so: Die BFG ist beauftragt, das Unternehmen zu untersuchen, die Daten zu analysieren und Empfehlungen auszusprechen, wie wir den Personalbestand konsolidieren und unsere Arbeitsabläufe optimieren können, um heute und in Zukunft auf dem Markt zu bestehen.«

Den Personalbestand konsolidieren?

Craig blickte Phil an, als ein sorgenvolles Raunen den Konferenzraum erfüllte.

»Das bedeutet aber nicht, dass wir ihre Empfehlungen automatisch umsetzen werden«, betonte Matthews. »Der Bericht der BFG wird nichts weiter als ein Ansatzpunkt sein, von dem aus wir den Weg in die Zukunft für eine wieder erstarkte CompWare einschlagen können. Also gut, sollte es noch Fragen geben, werde ich gerne so viele wie möglich beantworten.«

Es gab Fragen. Matthews’ Antworten waren genauso vage und nichtssagend wie seine kleine Ansprache zuvor. Als Craig das Meeting verließ, wusste er nur, dass Berater engagiert worden waren, um nach Wegen zu suchen, die Kosten zu senken und die Gewinne zu steigern. Vermutlich durch Entlassungen.

Die Ereignisse hatten eine deprimierende Wendung genommen, eine, die er heute Morgen nach dem Aufwachen nicht einmal ansatzweise hätte vorhersehen können. Aber wenigstens war er zu dem Meeting gegangen, und Matthews hatte ihn gesehen. Vielleicht zählte das etwas, wenn es ans Eingemachte ging. Van Do und Josh Halberstram hatten sich gar nicht blicken lassen. Wahrscheinlich hatten sie ihre E-Mails nicht gecheckt, bevor sie zur Arbeit gekommen waren, und vielleicht war das eine Sache, an die der CEO sich erinnern würde, sobald die ersten Köpfe rollten.

»Interessantes Meeting?«, fragte Lupe, als er zurückkehrte.

Craig entschied sich, seine Sekretärin einzuweihen, auch wenn er wusste, dass Matthews von jedem Stillschweigen erwartete, bis es eine offizielle Ankündigung gab. »Die Fusion ist vom Tisch, Anderson und Cibriano sind schon weg, und wie’s aussieht, wird es Entlassungen geben.«

Lupes Gesichtsausdruck, der eigentlich immer unbekümmert war, verfinsterte sich.

»Viel mehr hat er nicht erzählt, außer dass ein Unternehmensberater angeheuert wurde, um irgendeine Art Untersuchung durchzuführen. Erst danach wird entschieden, wie’s weitergeht.«

Sie blickte sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie hören konnte. »Was glauben Sie?«

Er zuckte mit den Schultern. »Phil hat mir versichert, dass uns nichts passieren kann. Ich hoffe, er behält recht. Aber wir sollten uns von unserer besten Seite zeigen, nur für alle Fälle.«

Lupe nickte. »Gibt es etwas, das ich tun kann? Vielleicht …«

»Noch nicht«, unterbrach er. »Fürs Erste machen wir weiter wie gewohnt. Gut möglich, dass wir uns einen Plan zurechtlegen müssen, sobald die Berater hier sind. Aber darum kümmern wir uns erst, wenn es nötig wird.«

»Ich bin noch nicht allzu lange in der Firma«, sagte Lupe besorgt.

»Wenn ich bleibe, bleiben Sie auch«, versuchte Craig sie zu beruhigen, doch seine Worte schienen ihre Befürchtungen nicht so sehr zu verringern, wie er geglaubt hatte, und als er zurück in sein Büro ging, fragte er sich, ob es vielleicht etwas gab, das sie wusste und er nicht.

ZWEI

»Sie haben ihre Entscheidungen schon längst getroffen«, sagte Angie. »Wer gehen muss und welche Abteilungen zusammengelegt werden, das ist alles schon längst entschieden. Die Berater holen sie nur aus einem einzigen Grund dazu: um ihre Entscheidungen zu rechtfertigen und um sich selbst zu schützen.« Sie schüttelte den Kopf. »Gibt es auf diesem Planeten größere Gauner als Unternehmensberater?«

Sie bereitete das Abendessen zu. In einem Topf erwärmte sie Tomatensauce aus dem Glas, in einem zweiten kochte sie Nudeln. Craig saß am Küchentisch und nippte an einer Flasche Bier. »Ich weiß nicht so recht«, sagte er. »Du hast Matthews nicht gehört. Ich glaube wirklich, dass sie mit ihrem Latein am Ende sind. Ich glaube, sie suchen nach jemandem, der ihnen weiterhilft.«

»Das ist ja noch schlimmer.«

Dylan kam aus dem Wohnzimmer in die Küche und war angefressen. »Daddy! Du hast gesagt, du kommst zu mir! Ich warte schon ewig!« Craig lächelte, als sein Sohn seine Hand ergriff und versuchte, ihn von seinem Stuhl zu zerren. »Du sollst mir vorlesen!«

Craig warf Angie einen amüsierten Blick zu. Er ließ sein Bier auf dem Tisch stehen, stand auf und folgte seinem Sohn ins Wohnzimmer. Auf seinem Platz auf der Couch lag das Buch, das sie gerade lasen. Gänsehaut. Craig wusste, dass sein Sohn mit Karen, einem Mädchen aus seiner Klasse, darum wetteiferte, wer die meisten Stunden pro Woche mit Lesen verbrachte. Craig und Dylan wechselten sich bei jedem Kapitel ab, laut vorzulesen, bis Angie ihnen befahl, sich die Hände fürs Abendessen zu waschen.

Nach dem Essen lasen sie noch ein bisschen weiter und füllten wie jeden Abend das Lesetagebuch aus. Dann putzen sie sich zusammen die Zähne. Dylan zog sich seinen Schlafanzug an, Angie brachte ihn ins Bett und las ihm noch eine Geschichte vor.

Später, als Dylan schon schlief und sie den Abwasch erledigt hatten, sprachen sie darüber, was sie tun würden, falls Craig seinen Job verlieren würde. Angie hatte ihre Ganztagsstelle als Krankenschwester im St. Jude’s noch vor Dylans Geburt aufgegeben und arbeitete nur am Wochenende in der Notfallambulanz, die zum Krankenhaus gehörte. Sie wollten nicht, dass ihr Sohn in einer Kinderkrippe groß werden musste. Darum blieb sie unter der Woche zu Hause mit dem Jungen und Craig kümmerte sich am Wochenende um ihn. Aber das bedeutete, dass Craig der Hauptverdiener in der Familie war und dass sie ohne seinen Lohn nicht über die Runden kommen würden.

»Das wird nicht passieren«, sagte er.

»Woher willst du das wissen?«

Sie hatte recht. In Gedanken ging er ihre monatlichen Kosten durch und berechnete, wie hoch ihre Ausgaben waren und worauf sie vielleicht verzichten konnten. Die Hypothek fürs Haus machte den größten Brocken aus, aber sollte er plötzlich seinen Job verlieren, müssten sie sich auch noch nach einer Krankenversicherung umsehen. Bisher waren sie über seine Arbeit versichert. Angies Teilzeitstelle enthielt keine Sozialleistungen. Das wäre ein immenser Kostenfaktor. Sie hatten zwar noch ein paar Ersparnisse auf der Bank, aber er bezweifelte, dass sie auch nur für ein einziges Jahr reichten, wenn er nicht sofort eine neue Stelle finden würde.

Aber davon sagte er Angie nichts.

»Wird schon werden«, sagte er abweisend. »Und jetzt sei still. Ich will diese Sendung sehen.«

»Sag mir nicht, dass ich still sein soll.«

»Hey, ich halte auch die Klappe, wenn du Top Chef guckst.«

»Meinetwegen«, sagte sie. »Sieh dir deine bescheuerte Sendung an.«

Und damit war das Thema erledigt.

Phil wartete bereits auf ihn, als er am nächsten Morgen auf den Parkplatz bog. Die beiden liefen nebeneinanderher.

»Ich hab mich letzte Nacht mal schlaugemacht«, sagte Phil.

»Worüber?«

»Die BFG Associates.«

»Und?«

»Verdammt dicke Fische. Fortune-500-Unternehmen, die ganze Palette.« Er machte eine kurze Pause. »Wirklich beeindruckend.«

»Aber du bist nicht überzeugt.«

»Nun … nein, bin ich nicht.« Er blickte sich um, als hätte er Angst, belauscht zu werden. »Die Sache ist die: Sie hinterlassen jede Menge Kahlschlag. Klar, die Aktienkurse steigen wieder, aber dafür gehen haufenweise Jobs verloren. Außerdem machen sie etwas, das sie ›Neuordnung‹ nennen. Soweit ich es beurteilen kann, bedeutet es, dass sie Angestellten Aufgaben zuweisen, für die sie nicht wirklich qualifiziert sind. Angeblich geschieht das, um den Horizont der Mitarbeiter zu erweitern und ihnen einen umfassenden Überblick zu verschaffen, aber in Wahrheit passiert etwas ganz anderes: Die Leute sind ihren neuen Positionen einfach nicht gewachsen. Also werden sie entlassen, was rechtlich nicht zu beanstanden ist, und durch neue Leute mit viel kleineren Gehältern ersetzt.«

»Das hört sich überhaupt nicht gut an«, musste Craig zugeben.

»Und das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Ich bin mir sicher, dass es noch eine Menge mehr gibt, das ich nicht herausfinden konnte.«

Sie kamen an das Gebäude. Kurz vor dem Eingang blieb Phil stehen und ließ eine Gruppe von Frauen passieren. »Was hältst du denn von ihnen?«, fragte er, nachdem die Frauen im Gebäude verschwunden waren.

»Du meinst die Berater? Ich habe keine Ahnung. Angie glaubt, dass sie nur da sind, um Entscheidungen zu rechtfertigen, die schon lange gefallen sind. Aber du bist doch derjenige, der immer auf dem Laufenden ist. Was hast du gehört?«

»Nichts.«

»Du meinst, bisher nichts«, sagte Craig.

»Okay, bisher nichts«, erwiderte Phil.

Wie üblich saß Lupe schon an ihrem Schreibtisch, als Craig den sechsten Stock erreichte.

»Diese Berater verschwenden wirklich keine Zeit«, sagte sie. »Sie sind bereits hier. Ich habe eine E-Mail bekommen. Um halb sieben! Für den ganzen Tag sind Kennenlern-Treffen angesetzt worden, zuerst mit den Abteilungsleitern, dann mit den Fachbereichsleitern und Managern und sogar mit Arbeitssklaven wie mir. Ihr Meeting ist um elf. Wir Sekretärinnen sind um halb vier dran.«

Er ging um den Schreibtisch und las die E-Mail über ihre Schulter hinweg.

»Wie ist die Stimmung?«, fragte er. »Auf den Fluren, meine ich. Konnten Sie schon mit jemandem sprechen?«

»Niemand weiß etwas, und alle machen sich Sorgen.«

»Genauso geht’s mir auch.«

Lupes Stimme klang ungewöhnlich ernst. »Müssen wir uns denn Sorgen machen?«

»Ich weiß auch nur das, was ich Ihnen gestern schon erzählt habe.«

»Aber Sie lassen mich wissen, wenn Sie etwas Neues erfahren, okay?«

»Das werde ich«, versprach er.

Craig ging in sein Büro. Eigentlich hatte er vorgehabt, sich durch seine E-Mails zu lesen, bevor er sich anderen Dingen widmete, aber er konnte sich nicht konzentrieren und rutschte mit seinem Stuhl herum, um aus dem Fenster zu schauen. Er hatte sein Büro und das ganze Gebäude immer gemocht.

Es war schnurgerade und modern, hatte Oberlicht und große Fenster, und an den dicken, unbehandelten Betonwänden hingen genauso schnurgerade und moderne Kunstwerke. Bisher war es der ideale Ort für seine Art von Arbeit gewesen. Doch nun kam es ihm fast unnötig protzig vor. Auch unten auf dem Campus, wie sie den Bereich vor dem Gebäude nannten, bemerkte er die perfekt getrimmten Rasenflächen, die exotischen Pflanzen und die sauteuren Skulpturen. Sie hätten ihre Arbeit auch in einer weniger prahlerischen Umgebung verrichten können. Ein schlichtes Gebäude mit einfachen Zimmern und einem Großraumbüro zum Beispiel. Er hoffte, dass die Berater darauf schauen würden. Es wäre einfach nicht fair den hart arbeitenden und loyalen Mitarbeitern gegenüber, wenn sie ihren Job verlieren würden, weil viel zu viel Geld für teure Möbel und aufwendige Gartengestaltung verschwendet worden war.

Craig rutschte zurück hinter seinen Schreibtisch, ein überteuertes Monster aus Plexiglas, und schaltete den Computer ein. Ein billiger Holzschreibtisch wäre viel praktischer gewesen. Er scrollte sich durch seine E-Mails: jede Menge Spam; ein paar Updates der Chefentwickler von WarHammer III und Zombie Navy, den beiden nächsten Veröffentlichungen der Firma; eine verzweifelte Nachricht von Tyler Lang bezüglich der geplanten Veränderungen am unseligen OfficeManager; eine Mail mit der bizarren Betreffzeile ›Fotos von Frauen, die auf der CompWare-Weihnachtsparty Schwänze lutschen!!!‹.

Craig war auf der Party gewesen. Selten zuvor hatte er eine derart biedere Veranstaltung besucht. Er wusste, dass so etwas auf keinen Fall passiert war. Er runzelte die Stirn und öffnete die E-Mail. Darin stand nur ein einziger Satz geschrieben: »Während der Arbeitszeit sollten Sie sich lieber etwas anderes angucken.«

Schnell klickte Craig das Fenster weg. Sein Herz pochte. Eine Falle, die ihm wahrscheinlich von einem der Berater untergeschoben worden war. Zweifellos überwachten sie genau, welcher der Mitarbeiter die E-Mail geöffnet hatte. Nun würden sie ihn danach fragen, und er würde sich eine Erklärung überlegen müssen, warum er sich »Fotos von Frauen, die auf der CompWare-Weihnachtsparty Schwänze lutschen« ansehen wollte.

Diese Typen kämpften mit harten Bandagen.

Craig antwortete auf Mails, die einer Antwort bedurften, und sagte Lupe, dass er nach unten zu den Entwicklern gehen würde.

»Sie haben ein Meeting mit den Beratern.«

»Aber doch erst um elf.«

»Lassen Sie Ihr Telefon eingeschaltet«, sagte sie.

»Ich werde rechtzeitig zurück sein.«

»Lassen Sie es eingeschaltet.«

Sie kannte ihn nur allzu gut. Er stand inmitten einer Gruppe von Programmierern vor einem PC-Monitor und sah sich die Demo zu Zombie Navy an. Sie riefen dem technischen Redakteur Vorschläge und Anweisungen zu, und während sie das erst kürzlich gedebuggte zweite Level des Spiels testeten, piepte sein Telefon. Er blickte drauf und sah eine Nachricht von Lupe: »Meeting in zehn Minuten. Konferenzraum im dritten Stock.«

»Ich muss los«, sagte er. »Sagt Bescheid, wenn ihr irgendwas findet. Und das nächste Level muss bis Freitag fertig sein.«

»Es ist fertig«, sagte Huell. »Ich muss nur noch ein paar Kleinigkeiten bereinigen, und dann kann John-Boy sich an die Arbeit machen.«

Der technische Redakteur blickte nicht von seinem Bildschirm auf. »Mein Name ist Rusty, Dummbeutel.«

»Haltet mich einfach auf dem Laufenden«, sagte Craig.

Der Konferenzraum im dritten Stock war viel kleiner als der im ersten. Er sah auch nicht aus wie ein Kinosaal, sondern bestand lediglich aus drei großen Tischen, die einem frei stehenden Whiteboard vor einer nackten Betonwand gegenüberstanden. Die Plätze an den Tischen waren schon besetzt. Craig musste sich auf einen der stapelbaren Stühle setzen, die ganz hinten im Zimmer aufgereiht standen. Er sah sich nach Phil um, konnte ihn aber nicht entdecken. Nur eine Sekunde später huschte sein Freund in den Raum und setzte sich auf den Stuhl neben ihm.

»Ich hing noch mit diesem Penner von IBM am Telefon fest. Konnte ihn nicht abwimmeln. Hab irgendwann einfach aufgelegt und bin losgegangen. Wenn das hier vorbei ist, ruf ich ihn zurück und erzähl ihm, dass unser Telefonsystem zusammengebrochen war oder so etwas in der Art.«

Der Platz vorne am Whiteboard war leer, und Craig sah niemanden, den er nicht schon einmal gesehen hatte. Gerade als er Phil fragen wollte, ob es schon Gerüchte über die Meetings gab, die früher am Morgen stattgefunden hatten, kam Matthews durch die Seitentür in den Raum. Ein Mann begleitete ihn. Schweigend schritten sie durch die Tischreihen.

Die Gespräche verstummten und die versammelten Manager drehten die Köpfe nach vorne. Der Mann neben Matthews war groß und schlank. Er trug eine rote Fliege. Sein Haar war merkwürdig hellbraun, fast schon orange, und zu einem Bürstenschnitt frisiert, was seine ohnehin schon hohe Stirn noch riesiger erscheinen ließ. Seine Miene war ausdruckslos wie die eines Roboters, der darauf wartete, eingeschaltet zu werden. Bedächtig ließ er seine Augen über das sitzende Publikum schweifen, ohne an jemandem Bestimmtes hängen zu bleiben.

»Also gut«, sagte Matthews. »Fangen wir an. Das ist Mr. Patoff. Wie Sie vielleicht schon vermutet haben, wird er die Untersuchung der BFG Associates koordinieren, die uns helfen soll, einen Weg aus unserer, ähm, misslichen Lage zu finden.«

Der Mann lächelte. Ein warmes Lächeln, dachten vielleicht einige. Aber sie lagen falsch. Auf den ersten Blick erschien es warm, aber darunter lag etwas anderes, das genaue Gegenteil: eine Kälte, die Craig tiefes Unbehagen bereitete. Das Lächeln war nicht echt, sondern nur ein berechnender Versuch, die Anwesenden davon zu überzeugen, dass er ein guter Mann war, dem das Wohl der Mitarbeiter am Herzen lag, und kein seelenloser Haifisch, der nur entscheiden wollte, wer seinen Job verlieren würde und wer nicht.

Dieser Kerl ist gefährlich, befand Craig. Er musste auf der Hut sein und sich von seiner besten Seite zeigen.

»Mr. Patoff und sein Beraterstab werden …« Matthews hielt inne und lächelte. »Nun, vielleicht sollte er Ihnen besser selbst davon erzählen. Meine Damen und Herren, Mr. Patoff.«

Ein kurzer, schwacher Applaus.

»Lassen Sie uns nicht so förmlich sein«, sagte der Berater. Er machte einen Schritt zurück und schrieb mit einem schwarzen Filzstift seinen Namen auf das Whiteboard. »Nennen Sie mich einfach Regus. Wie der Typ aus dem Fernsehen, nur mit einem ›u‹ anstelle des ›i‹.«

Höfliches Kichern.

»Wie Mr. Matthews bereits erwähnte, wurden wir verpflichtet, um einen genauen Blick auf Ihren operativen Betrieb zu werfen. Ihr Unternehmen hat in letzter Zeit einige finanzielle Rückschläge erleiden müssen. Unser Job ist es, einen Weg zu finden, der es Ihnen erlaubt, erlittene Verluste zu kompensieren und den Blick in die Zukunft zu richten. Ob wir dafür lediglich die internen Prozesse optimieren oder die Produktpalette umgestalten müssen, wird sich zeigen.

Wir betrachten jedes Unternehmen in Gänze. In der Regel rieseln Probleme von der Führungsspitze hinunter oder sie verbreiten sich von unten nach oben. Deshalb werden wir jeden Aspekt Ihrer Organisationsstruktur sorgfältig untersuchen, bevor wir uns für eine bestimmte Umstrukturierungsmaßnahme entscheiden.«

Phil reckte seine Hand in die Höhe, wartete aber nicht, bis er aufgerufen wurde. »Es wird Umstrukturierungen geben?«

Matthews schaltete sich ein. »Für solche Spekulationen ist es noch zu früh. Wir wissen noch nicht, was passieren wird. Darum haben wir uns ja an Mr. Patoffs Firma gewandt. Sie werden die Lage beleuchten, und erst danach werden wir die notwendigen Maßnahmen treffen.«

»Aber er sagte Umstrukturierung«, drängte Phil.

Der Berater lächelte. Kalt, dachte Craig erneut.

»Ich habe mich falsch ausgedrückt«, sagte Mr. Patoff. »Mr. Matthews hat recht: Noch ist nichts entschieden, und wir werden erst eine Empfehlung aussprechen, wenn wir unsere Untersuchung beendet haben. Was ich eigentlich sagen wollte: Jedes Unternehmen ist anders und hat seine ganz eigenen Probleme, die aus ganz unterschiedlichen Quellen stammen. Darum führen wir viele Gespräche, machen Umfragen und erforschen die Besonderheiten des Unternehmens, das unsere Dienste in Anspruch nimmt.

Im Falle von CompWare beginnen wir damit, dass wir uns mit jedem einzelnen Mitarbeiter unterhalten. Wir werden die Gespräche auf Video aufzeichnen und sie mit den entsprechenden Abteilungs- und Fachbereichsleitern durchsehen, um sicherzustellen, dass die leitenden Angestellten über jeden Schritt der Untersuchung informiert sind. Es liegt nicht in unserer Absicht, irgendjemanden zu überrumpeln. Unsere Art des Vorgehens ist transparent, und unsere Empfehlungen werden nicht nur von einschlägigen Daten gestützt, sondern auch mit der jeweils zuständigen Stelle in der Vorgesetztenkette eingehend besprochen. Sollte es Veränderungen geben, werden diese nicht wie aus heiterem Himmel auf Sie niederprasseln.«

Der Berater erzählte noch ein paar Minuten in vagen Formulierungen darüber, wie seine Firma Unternehmen evaluierte, doch so gut wie nichts davon traf auf die Besonderheiten der CompWare zu. Zum Schluss erklärte er sich bereit, eventuelle Fragen zu beantworten, doch weder die Fragen, von denen es eine ganze Menge gab, noch seine Antworten waren besonders erhellend. Craig beteiligte sich nicht, sondern saß nur da, hörte zu und beobachtete. Er verließ das Meeting mit dem starken Gefühl, dass Angie recht hatte: Matthews und die Geschäftsleitung hatten längst beschlossen, was passieren musste, und brauchten die Berater lediglich, um ihre Entscheidungen zu rechtfertigen.

Auf dem Weg aus dem Konferenzraum teilte er seine Gedanken mit Phil und fragte laut, ob diese Berater wirklich so unabhängig waren und was geschehen würde, falls sie zu einem anderen Schluss als Matthews kämen.

»Das wird wohl nicht passieren«, sagte Phil trocken.

»Das denke ich auch.«

Craig musste in seiner Mittagspause noch ein paar Besorgungen erledigen. Angie hatte ihm aufgetragen, Briefmarken zu kaufen. »Niedliche«, hatte sie gesagt. »Nicht diese langweiligen mit Flaggen drauf.«

Er stand in einer langen Schlange, um für Briefmarken mit Motiven von Disney-Figuren zu bezahlen. Danach ging er eine Tür weiter ins Wendy’s und genehmigte sich einen Burger und einen Schoko-Shake.

Auf dem Rückweg tankte er voll, weil er gehört hatte, dass die Benzinpreise im Laufe der Woche steigen würden, und besorgte in einem Target-Discounter eine Flasche Drano und ein paar Rollen Küchenkrepp. Er hätte auch noch das SpongeBob-Monopoly-Spiel kaufen können, das Dylan seinem Freund Jamie auf dessen Geburtstagsparty am kommenden Samstag schenken wollte. Aber Craig ließ es bleiben, denn Dylan liebte es, dabei zu sein, wenn sie Geschenke kauften. Außerdem wollte sein Sohn die Karte selbst aussuchen.

Nach der Mittagspause traf er sich mit den Entwicklern, die an den Updates zum OfficeManager arbeiteten. Tyler Lang leitete das Projekt, nachdem er sich Craig immer wieder für den Posten aufgedrängt hatte. Jetzt steckte er in ernsthaften Schwierigkeiten, denn die Software verkaufte sich nur schleppend. Tyler war nicht nur ein verdienter Mitarbeiter, sondern auch ein guter Freund, und Craig machte sich Vorwürfe, ihm dieses Projekt übertragen zu haben. Es war durchaus möglich, dass die Berater Tyler und seinem Team die Schuld an den schwachen Verkaufszahlen in die Schuhe schieben würden. Craig versuchte, sie zu beschwichtigen, und versprach ihnen, sich für sie einzusetzen, sollte es hart auf hart kommen. Das Meeting war merkwürdig ernst und vorschriftsmäßig, und die Entwickler gingen früh, um sich dem Berater vorzustellen.

Den Rest des Nachmittages verbrachte Craig in weiteren Meetings und holte sich Updates zu den anderen Projekten seiner Abteilung ein. Er sah Lupe, nachdem sich die Sekretärinnen mit dem Berater getroffen hatten, und fragte sie, wie es gelaufen war.

Sie runzelte die Stirn. »Ganz ehrlich? Ich mag den Mann nicht und ich traue ihm nicht über den Weg.«

»Ich auch nicht!«, sagte Craig.

»Da ist etwas an ihm, das mir ziemlich gegen den Strich geht, und ich meine, abgesehen von der Tatsache, dass er nur hier ist, um die Firma gesundzuschrumpfen und meine Stelle zu streichen.«

»Mir geht es ganz genauso.«

Lupe blickte ihn mit großen Augen an. »Viele Gerüchte machen die Runde. Was, glauben Sie, wird geschehen?«

Er wollte sie nicht anlügen. Er konnte sie nicht einmal anlügen, denn sie kannte ihn viel zu gut. Also sprach er aus, was er wirklich dachte und was er sich bis zu diesem Zeitpunkt selbst nicht eingestanden hatte: »Ich glaube, uns wird nichts passieren. Vielleicht erwischt es einen kleinen Teil der Abteilung. Aber wir sind diejenigen, die den Laden am Laufen halten, stimmt’s? Besonders Sie und ich. Ich denke, wir sind in Sicherheit.«

Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein Ausdruck von Erleichterung ab. Er fühlte sich selbst erleichtert, nachdem er die Worte ausgesprochen hatte. Trotz allem, was momentan geschah, glaubte er tatsächlich, dass sein Job und der seiner Sekretärin sicher waren. Der Gedanke war inmitten des Chaos ausgesprochen tröstlich, und er und Lupe teilten ein Lächeln miteinander.

Nach der Arbeit ging er mit Tyler und ein paar der anderen Entwickler auf einen Drink. Früher waren sie regelmäßig zusammen ausgegangen, aber seit ein paar Jahren kam es immer seltener vor. Er genoss es, mit den Kollegen abzuhängen, und blieb ein wenig länger, als er eigentlich geplant hatte. Als er nach Hause kam, begrüßte ihn Dylan wutschnaubend.

»Wo warst du?«, schäumte sein Sohn. »Du solltest mir doch vorlesen!«

Craig konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, was den Jungen nur noch wütender machte.

»Ich habe dir doch gesagt, dass Daddy heute etwas später kommt«, versuchte Angie ihn zu beruhigen.

»Aber das soll er nicht tun!«

»Tut mir leid, Kumpel.« Craig hob seinen Sohn hoch und hievte ihn auf seine Schultern. Er bemerkte, wie schwer der Junge geworden war. Dylan wuchs schnell, und in einem Jahr würde er ihn nicht mehr so einfach auf den Arm nehmen können. Vielleicht würde Dylan es auch gar nicht mehr wollen. Der Gedanke stimmte ihn traurig. Der Abend mit den Kollegen hatte zwar Spaß gemacht, aber er beschloss, von nun an so viel Zeit mit seinem Sohn wie nur möglich zu verbringen.

»Lass uns lesen.«

DREI

Austin Matthews verließ die Arbeit früher als gewöhnlich. Weder die Panadol, die er schon vor zwei Stunden eingenommen hatte, noch die Ibuprofen von vor dreißig Minuten konnte etwas gegen seine rasenden Kopfschmerzen ausrichten. Eigentlich war er sehr gut darin, sich Stress nicht anmerken zu lassen, aber der schleichende Zusammenbruch der Firma war selbst für einen harten Hund wie ihn zu viel. Aber verdammt noch mal: Er hatte geholfen, das Unternehmen aufzubauen, und er würde nicht zulassen, dass die CompWare einfach so zugrunde ging. Er würde alles tun, was nötig war, um das Geschäft am Laufen zu halten, und wenn dafür Umstrukturierungen und Massenentlassungen gebraucht wurden, nun, dann war es eben so. Manchmal musste man einen Fuß abschneiden, um das Bein zu retten.

Er schloss die Augen. In seinen Schläfen pochte es schmerzvoll. Selbst wenn die Firma dieses ganze Fiasko überstehen würde, war ihm ein Magengeschwür sicher.

Am Anfang, als er und Josh Ihara ihr allererstes Büro in einem halb leer stehenden Gewerbegebiet bezogen hatten, war alles irgendwie einfacher gewesen. Sie hatten sich von ihren Eltern Geld leihen müssen, um die monatliche Miete aufbringen zu können. Sie beschäftigten nur einen einzigen Entwickler, und der arbeitete sogar auf eigenes finanzielles Risiko. Einmal mussten sie eine ganze Woche ohne Strom auskommen, weil sie beide vergessen hatten, die Rechnung zu bezahlen. Dann wurde auch noch eines Nachts eingebrochen und ein gerade angeschaffter Desktop-PC gestohlen. Sie konnten ihn nicht ersetzen, weil sie keine Diebstahlversicherung abgeschlossen hatten, und mussten sich zu dritt den verbliebenen gebrauchten Computer teilen. Aber irgendwie hatten sie auch diese Phase überstanden, und obwohl die Aussichten auf eine gesicherte Zukunft von Woche zu Woche schwankten und das junge Unternehmen mehr als einmal vor dem Aus stand, hatten sie vor allem eines: jede Menge Spaß. Weil sie nichts zu verlieren hatten, konnten sie es sich erlauben, Risiken einzugehen, die sich am Ende ganz groß auszahlten.

Matthews drückte den Knopf auf dem Armaturenbrett seines Jaguars, der das Eingangstor zu seinem Haus öffnete, und sah durch die Windschutzscheibe zu, wie es sich langsam zur Seite schob.

Wie so oft in den letzten fünfzehn Jahren wünschte er sich, dass Josh noch immer bei ihm wäre. Doch sein ehemaliger Partner hatte sich schon früh auszahlen lassen, um noch einmal etwas Neues zu wagen, und obwohl keines seiner späteren Projekte von Erfolg gekrönt war, weigerte er sich aufzugeben. Er tummelte sich noch immer auf dem Schlachtfeld der Start-up-Unternehmen und hoffte, dass ihn der Blitz ein zweites Mal treffen würde. Matthews war geblieben und versuchte trotz der enormen Last, die auf seinen Schultern lag, die Firma irgendwie zusammenzuhalten.

Er fuhr auf die Auffahrt und stellte den Wagen vor der Haustür ab, anstatt ihn in die Garage zu fahren. Als er das Haus betrat, verkündete er seine Ankunft, doch niemand antwortete ihm. Er nahm an, dass Rachel mit einer ihrer Freundinnen unterwegs war, was ihm recht war. Er wollte sich einfach nur einen Moment lang ausruhen, also ging er ins Schlafzimmer, schlüpfte aus den Schuhen, legte sich aufs Bett und schloss die Augen.

Als er sie wieder öffnete, war es draußen schon dunkel geworden. Seine Kopfschmerzen waren zu einem dumpfen Druck hinter seinen Augen abgeklungen. Er ging in die Küche, trank einen Schluck Wasser und lief durch das ganze Haus, um nach Rachel zu suchen. Wie es aussah, war seine Frau noch immer unterwegs. Er betrat sein Büro im ersten Stock, setzte sich an seinen Schreibtisch und öffnete den Laptop. Sein E-Mail-Programm startete, und in seinem Posteingang warteten dreihundert neue Nachrichten.

Dreihundert!

Matthews scrollte nach unten und sah, dass alle E-Mails von Patoff, dem Berater, stammten.

Wie war das nur möglich? Er verließ sein Büro nie, ohne seine E-Mails erledigt zu haben. In dieser Hinsicht war er geradezu besessen, und als er heute vor – er blickte auf die Uhr in der Ecke des Bildschirms – gut drei Stunden gegangen war, war sein Posteingang leer gewesen. Patoff hatte ihm einhundert E-Mails pro Stunde geschickt, was im Durchschnitt mehr als eineinhalb E-Mails pro Minute waren. Das hatte nichts mehr mit Besessenheit zu tun. Das war einfach nur verrückt. Und nahezu unmöglich.

Vielleicht waren die Nachrichten identisch. Vielleicht hatte der Berater eine Software installiert, die dieselbe Mail immer und immer wieder verschickte, bis er eine Antwort erhielt. Aber die Betreffzeilen waren allesamt verschieden, und als er zwei Mails stichprobenartig öffnete, sah er, dass sie nicht nur unterschiedliche Inhalte hatten, sondern auch mindestens zwei Absätze lang waren.

Es klingelte an der Tür und Matthews zuckte vor Schreck zusammen.

Warum hatte er sich erschreckt? War er nervös?

Und wie.

Aber warum nur?

Er wusste es nicht.

Wieder klingelte es. Matthews legte seine Stirn in Falten. Rachel hatte einen Schlüssel, und selbst wenn sie ihn vergessen hätte, wusste sie, dass er nie die Tür hinter sich abschloss. Es musste jemand anderes sein.

Aber das Tor war zu. Wie zum Teufel hatte jemand die Auffahrt heraufkommen können?

Noch ein Klingeln. Matthews eilte die Treppe hinunter, griff die Klinke der Haustür und zog sie auf.

Es war der Berater.

Patoff stand unter dem großzügigen Vordach vor seiner Haustür. Auf der Auffahrt stand kein anderes Fahrzeug außer seinem eigenen, und Matthews fragte sich, wie der Berater hierhergekommen war. Hatte er vielleicht unten an der Straße geparkt und war über die Pforte geklettert und die Auffahrt heraufgelaufen? Eine andere Möglichkeit fiel ihm nicht ein. Aber warum um alles in der Welt würde Patoff so etwas tun? Es ergab überhaupt keinen Sinn.

Der Berater stand nur da und verzog keine Miene. Die Anwesenheit des Mannes beunruhigte Matthews stärker, als er sich eingestehen oder zeigen wollte. Immerhin gelang es ihm, ein mürrisches Gesicht zu ziehen. »Was tun Sie hier?«, fragte er abfällig. »Dies ist mein Haus.«

Der Berater lächelte, und Matthews bemerkte, dass ihm das Lächeln überhaupt nicht behagte. Er hatte es schon einmal gesehen, im Büro während der Arbeit, doch zu jenem Zeitpunkt hatte er die Bedeutung dieses Lächelns nicht erkannt. Aber jetzt sah er die Dinge etwas deutlicher: Patoffs Miene sollte Unterwürfigkeit zeigen, war in Wahrheit aber voller Spott und Hohn.

»Ich habe gehört, dass Sie früher gegangen sind, weil Sie sich nicht wohlfühlten«, sagte der Berater mit samtweicher Stimme. »Ich wollte nur sichergehen, dass es Ihnen wieder besser geht. Außerdem hatte ich Ihnen einige E-Mails geschickt und mich gefragt, ob Sie schon einen Blick darauf werfen konnten.«

Einige E-Mails?

Sein Unbehagen wich dem Zorn. »Ich bin nach Hause gegangen, weil ich Kopfschmerzen hatte. Ich habe noch immer welche. Darum bin ich nicht mehr im Büro. Wenn ich noch im Büro wäre, würde ich gerne mit Ihnen über arbeitsbezogene Angelegenheiten diskutieren. Aber ich bin zu Hause. Ich habe Sie nicht zu mir nach Hause eingeladen, und wenn Sie auch weiterhin beratend für die CompWare tätig sein wollen, wäre es das Beste, wenn Sie umgehend verschwinden würden.«

Das Lächeln wurde immer unterwürfiger. Und immer spöttischer. »Ich verstehe, Sir. Entschuldigen Sie vielmals die Störung.« Patoff wandte sich ab, als wollte er gehen, drehte sich dann aber wieder um, als hätte er etwas vergessen. »Nur als kleine Erinnerung: CompWare hat einen Vertrag mit der BFG Associates abgeschlossen. Sie können uns nicht einfach feuern.« Sein Lächeln wuchs zu einem Grinsen. »Nun, natürlich könnten Sie das. Aber es würde Sie einen verdammt großen Haufen Geld kosten.« Patoff nickte. »Gute Besserung.«

Der Berater ging davon, und Matthews sah ihm mit steigender Nervosität hinterher.

Aber warum eigentlich?

Er wusste es nicht und stand nur in der offenen Haustür, während der Mann zielstrebig die Auffahrt hinunterstolzierte, ohne sich auch nur einmal umzusehen. Als er das Tor erreichte, reagierte der Bewegungsmelder und schob es beiseite. Der Berater lief hindurch und bog nach rechts auf die Straße, wo er sein Auto geparkt haben musste.

Er konnte unmöglich den ganzen Weg zu Fuß gekommen sein. Immerhin waren es mehr als zehn Kilometer.

Matthews verstand noch immer nicht so recht, was soeben vorgefallen war. Er dachte an die dreihundert E-Mails, die auf ihn warteten. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Er wünschte, er hätte den Aufsichtsrat nie dazu gedrängt, die Dienste der BFG Associates in Anspruch zu nehmen. Es war pure Panik gewesen, ein verzweifelter Versuch, die Investoren zu beruhigen. Er hätte stattdessen ein Team zusammenstellen sollen, um nach einem passenden Unternehmensberater zu suchen. Aber dafür hatte ihm die Zeit gefehlt. Er musste reagieren, Handlungsfähigkeit demonstrieren. Außerdem hatten die Chefs diverser Blue-Chip-Unternehmen auf diese Firma geschworen, und seine zugegeben kurze Recherche hatte ihn glauben lassen, dass die BFG perfekt zur CompWare passte und dem Unternehmen zumindest helfen würde, seine Probleme zu erkennen.

Und dann schickte ihm dieser Patoff Hunderte E-Mails.

Und tauchte vor seinem Haus auf.

Die Lösung seines Albtraums entwickelte sich langsam, aber sicher zu einem ganz eigenen Albtraum.

Er schloss die Haustür und drehte den Schlüssel herum, bevor er zurück in sein Büro ging, um sich durch die Mails des Beraters zu lesen.

Kurz darauf kehrte Rachel zurück, und er schloss die E-Mails – die auf den ersten Blick nur langweilige Beschreibungen von Erhebungsmethoden enthielten, die ihn weder interessierten noch von irgendeinem Nutzen waren –, um ihr zu erzählen, dass er früher nach Hause gekommen war, weil es ihm nicht gut ging. Sie begann sofort, ihn zu bemuttern, genau so, wie er es geahnt und gehofft hatte, und wies ihn an, sich auf die Couch zu legen, während sie ihm einen Tee kochte. Sie fragte ihn nach seinen Kopfschmerzen und nach anderen Wehwehchen.

»Nur Kopfschmerzen«, sagte er, verschwieg aber den Druck, unter dem er stand, und die merkwürdige Begegnung mit dem Berater vorhin. Er wünschte, er könnte mit ihr über Dinge sprechen, die seine Arbeit betrafen, aber so funktionierte ihre Beziehung nicht. Die Firma war ganz allein seine Angelegenheit. Rachel wäre die perfekte Frau für einen Mafioso gewesen: Sie war immer da, wenn sie gebraucht wurde, und stellte keine Fragen, wenn es ums Geschäft ging.

Wenn Josh noch in der Firma wäre, hätte er mit ihm reden können. Aber Josh war nicht mehr da. Die ganze Verantwortung lastete auf ihm, und Matthews entschied, dass es wohl das Beste wäre, die Berater ihren Job machen zu lassen. Patoff hatte recht: CompWare war vertraglich an die BFG gebunden. Das hieß aber nicht, dass er sich an die Empfehlungen der Berater halten musste. Er könnte sich für Patoffs Arbeit bedanken und den ganzen Bericht einfach in den Papierkorb werfen. Oder noch besser: Er könnte die von der BFG ermittelten Rohdaten an eine andere Unternehmensberatung weitergeben und gucken, welche Empfehlungen er dort erhalten würde.

CompWare hatte eine ganze Reihe von Optionen, und er musste sich nicht sofort für eine davon entscheiden. Allein die Tatsache, dass er sich an die BFG gewandt hatte, wirkte sich positiv auf den Aktienkurs des Unternehmens aus und vermittelte den Märkten und den Geschäftskunden das Gefühl, dass die CompWare nach einigen Umstrukturierungen stärker als je zuvor dastehen würde. Zum Glück verschaffte ihm die Spiele-Software, die sich nach wie vor gut verkaufte, etwas Luft zum Atmen.

Trotzdem: Der Berater war ihm nicht geheuer.

VIER

Craig war gerade einmal zehn Jahre alt gewesen, als sein Vater an einem Herzinfarkt starb. Der Verlust war zwar schmerzhaft, aber er war sich sicher, darüber hinwegzukommen. Schließlich hatte er seinen Vater nicht nur während der wichtigen frühen Jahre für sich gehabt, sondern auch für den größten Teil seiner Kindheit. Craig glaubte, alt genug zu sein, um sich an all die Dinge erinnern zu können, die sie zusammen unternommen hatten. In Gedanken würde sein Vater für immer bei ihm sein. Doch ein paar Jahre später, als sein Sozialkundelehrer ein Schulprojekt zur Ahnenforschung verkündete, stellte er schockiert fest, dass er nicht mehr wusste, wie die Stimme seines Vaters geklungen hatte. Er saß im Klassenzimmer und konnte vor seinem geistigen Auge nicht einmal mehr sein Gesicht erkennen. Dabei standen überall im Haus Fotos von ihm herum. Angst und eine tiefe Traurigkeit ergriffen ihn, und er fühlte sich inmitten von dreißig anderen Kindern allein und verlassen. Als er an jenem Tag nach der Schule nach Hause kam, schaute er sich jedes einzelne der gerahmten Fotos sorgfältig an und blätterte sich langsam durch sämtliche Familienalben.

Geholfen hatte es nicht. Der Mann auf den Bildern war ein Fremder, jemand, dem er vor langer Zeit einmal begegnet war, den er aber nicht wirklich kannte. Irgendwie waren ihm die Erinnerungen an seinen Vater verloren gegangen, ohne dass er es gemerkt hatte. All die Momente und Gefühle, von denen er glaubte, sie für immer bei sich zu haben, waren verschwunden und hatten ein tiefes Loch in seinem Leben hinterlassen.

Dieses Loch war noch immer da. Vielleicht war es Craig deshalb so wichtig, Zeit mit seinem Sohn zu verbringen. Und vielleicht war er daher so angefressen, als Scott Cho für den Mittwochnachmittag ein Fachbereichsleiter-Meeting einberief und jedem erklärte, dass es notwendig war, von nun an früher ins Büro zu kommen, später Feierabend zu machen und auch am Wochenende zu arbeiten, um bei den Beratern einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Craig war der Meinung, dass seine Freizeit nur ihm und seiner Familie gehörte. Klar, er und Angie hatten sich ihren Platz im Leben durch Fleiß und Ehrgeiz erkämpft, aber davon war seit Dylans Geburt nicht mehr viel übrig. Ihre Prioritäten lagen nun woanders. Angie arbeitete nur noch am Wochenende, und als ihr letztes Jahr zusätzliche Stunden am Donnerstagabend angeboten worden waren, hatte sie, ohne lange nachzudenken, abgelehnt. Natürlich schob sie noch manchmal Zehn-Stunden-Schichten und selbstverständlich war er so gut wie immer per Telefon oder E-Mail zu erreichen, aber am Wochenende arbeitete er schon lange nicht mehr und hatte auch keine Lust, es wieder tun zu müssen.

Er war nicht der einzige Fachbereichsleiter, der sich aus familiären Gründen gegen diese Mehrarbeit sträubte. Als ein paar von ihnen die Befürchtung aussprachen, nicht mehr so viel Zeit mit ihren Kindern verbringen zu können, versuchte Scott sie zu beschwichtigen.

»Mir geht es doch nicht anders. Aber wir müssen dieses Opfer bringen, zum Wohle aller in unserer Abteilung. Versucht doch mal, die wenige Zeit mit euren Kindern voll auszukosten. Stichwort ›Qualitätszeit‹!«

»Das ist doch vollkommener Blödsinn«, sagte Craig. »Kinder wollen Masse, nicht Qualität. Ihnen ist es egal, was sie mit ihren Eltern unternehmen. Sie wollen Zeit mit ihnen verbringen, und zwar je mehr, desto besser.«

»Nicht unbedingt.«

»Ach nein? Weißt du noch, wie es war, als du ein Kind warst? Wären dir zwei mit Spaß und Action vollgestopfte Stunden mit deinem Dad lieber gewesen, als den ganzen Tag mit ihm zu verbringen und banale Dinge zu machen wie Rasenmähen, tanken fahren, Sachen reparieren?«

»Ich verstehe, was du meinst«, räumte Scott ein. »Aber es ist doch nur vorübergehend, bis die Berater wieder verschwinden.«

»Und wann wird das passieren?«, fragte Elaine Hayman, die einzige Frau unter den Fachbereichsleitern. »In einer Woche? In einem Monat? Oder erst in einem Jahr? Ich habe von Unternehmensberatern gehört, die ihre Tätigkeit endlos hinauszögern, um den Unternehmen so viel Kohle wie nur möglich aus den Rippen zu leiern.«

Scott seufzte. »Ich bitte euch doch nur, ein bisschen mehr Engagement für die Firma zu zeigen und ein paar Überstunden zu leisten. Und jetzt ist Schluss mit der Debatte. Ich möchte, dass jeder von euch am nächsten Wochenende zum Dienst erscheint. Ist mir egal, ob ihr Pläne habt oder nicht. Keine weitere Diskussion.«

Damit endete das Meeting, und Craig verließ zusammen mit Elaine den Raum. Er hatte bereits für sich entschieden, dass er Lupe nicht zwingen würde, am Wochenende zur Arbeit zu erscheinen, und Elaine sagte, sie würde ebenfalls ohne ihre Sekretärin auskommen.

»Ich nicht«, sagte Sid Sukee, der hinter ihnen lief. »Wenn ich in die Firma muss, dann wird Carrie auch hier sein.«

»Mistkerl«, flüsterte Elaine, als er sich an ihnen vorbeizwängte.

»Das habe ich gehört«, sagte Sid, ohne sich umzudrehen. »Und es ist mir egal.«

Craig lächelte. »Was erwartest du von jemandem, der für die Handy-Apps verantwortlich ist?«

Elaine lachte.

Weiter vorne trat der Berater aus einem Büro und marschierte den Flur hinunter zum Fahrstuhl. Craig beobachtete ihn. Die Bewegungen des Mannes erschienen ihm unnatürlich. Jeder Schritt sah gewollt und wohlüberlegt aus, selbst wenn sein Gang den Anschein von Ungezwungenheit vermittelte.

»Hallo, Mr. Patoff«, sagte eine Frau, die Craig schon einmal gesehen hatte, aber nicht beim Namen kannte.

»Hallo, Natalie.« Er lächelte sie an. »Bitte nennen Sie mich Regus.« Patoff begrüßte die anderen Mitarbeiter, die er auf seinem Weg zum Fahrstuhl traf.

Er macht einen freundlichen Eindruck, aber er ist niemandem ein Freund, dachte Craig und fragte sich, ob er der Einzige war, der das begriff.

»Der Typ ist widerlich«, flüsterte Elaine. »Ich traue ihm nicht über den Weg.«

»Danke schön!«, sagte Craig.

Der Berater betrat den Fahrstuhl und schenkte jedem im Flur ein höfliches Lächeln, während sich die Türen vor seiner Nase schlossen.

»Was, denkst du, wird passieren?«, fragte Elaine. »Ich habe gehört, dass wir ohne erhebliche Einschnitte wohl Konkurs anmelden müssen.«

»Viele Gerüchte machen die Runde«, sagte Craig.

»Schon, aber was denkst du?«

»Wenn sie schon externe Berater ins Boot holen, wird es Einschnitte geben. Laut Phil haben diese Berater eine Menge Schaden in den Unternehmen hinterlassen, denen sie bisher ›geholfen‹ haben. Er hat sich ein wenig schlaugemacht und herausgefunden, dass die BFG dafür bekannt ist, massiven Stellenabbau zu empfehlen. Unter anderem.«

Elaines Lippen verzogen sich zu einer schmalen, zornigen Linie. »Darauf werde ich nicht warten. Ich schicke Bewerbungen raus. Noch heute.«

»Ich glaube wirklich, dass unsere Abteilung nicht in Gefahr ist. Ich habe lange darüber nachgedacht und versucht, die Situation zu analysieren. Sie brauchen uns. Die Einschnitte werden woanders passieren.«

»Sie brauchen niemanden. Und wer sagt dir, dass sie uns nicht auf die Straße setzen, um uns durch neue, jüngere Leute zu ersetzen, die den Job für den Bruchteil unseres Gehaltes erledigen?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich schicke Bewerbungen raus.«

Vielleicht ist das keine schlechte Idee, dachte er, nachdem er sich von ihr verabschiedet hatte. Vielleicht hätte er damit ein Druckmittel in der Hand, falls sein Job doch auf dem Spiel stünde. Vielleicht würden sie ihn behalten wollen, wenn sie wüssten, dass jemand anderes ihn haben wollte.

Seine Bauchmuskeln waren hart und verspannt, als er in sein Büro zurückkehrte. Er erzählte Lupe, dass Scott von den Fachbereichsleitern verlangte, am Wochenende zur Arbeit zu erscheinen, um die Abteilung gut aussehen zu lassen.

»Wann soll ich da sein?«, fragte sie.

»Sie müssen meinetwegen nicht kommen«, antwortete er.

»Es geht auch um meinen Job«, sagte Lupe. »Wenn ich mein Privatleben für die CompWare opfern muss, solange sie ihre Analyse durchführen, werde ich es eben tun. Ich werde kommen.«

»Ist vielleicht keine schlechte Idee«, gab er zu.

»Also: Wann soll ich da sein?«

»Früher Vormittag dürfte reichen. Es gibt für Sie nichts zu tun. Für mich übrigens auch nicht. Aber wir werden uns zur Schau stellen, bis uns eines der höheren Tiere gesehen hat. Dann verschwinden wir wieder.«

»Aber Mr. Cho …«

»Sollte Mr. Cho oder sonst wer sich beschweren, werde ich einfach sagen, dass wir unsere Arbeit schneller als die anderen erledigen konnten, weil wir verdammt tüchtig und effizient sind.«

Lupe kicherte.

»Keine Sorge. Wir werden nicht unseren ganzen Samstag im Büro vergeuden.«

Zu Hause musterte Angie ihn mit einem strengen Blick, als er erzählte, dass er am Samstag für eine oder zwei Stunden in die Firma müsse. Sie saßen in der Küche, während Dylan im Wohnzimmer die Hot-Wheels-Superbahn abbaute, mit der er den ganzen Nachmittag gespielt hatte.

Angie sprach mit leiser Stimme: »Du hast versprochen, dass du mit ihm und einem seiner Freunde ins Kindermuseum gehst.«

»Dafür wird genug Zeit bleiben.«

»Das ist nicht der Punkt. Du hast es versprochen. Er will den ganzen Tag mit dir verbringen.«

»Welchen Freund hat er sich überhaupt ausgesucht?«

»Zack.«

»Na, dann habe ich ja Glück, dass ich zur Arbeit muss.« Craig grinste.

Sie blickte ihn finster an. »Das ist nicht lustig. Du weißt, dass Dylan sich schon die ganze Woche darauf freut.«

»Ja, das weiß ich. Aber wie ich bereits sagte: Ich gehe früh ins Büro und werde zurück sein, bevor das Museum überhaupt geöffnet hat.«

»Verstehst du es nicht? Er will den Tag mit dir verbringen. Wenn du deinem Sohn ein Versprechen gibst, musst du es halten.«

»Was soll ich denn tun? Scott hat uns angewiesen, am Samstag in die Firma zu kommen. Er möchte den Beratern zeigen, wie engagiert wir sind.«

»Werden die Berater auch da sein?«, fragte sie.

»Das weiß ich nicht«, gab er zu.

»Aber du musst trotzdem hin.«

Craig atmete tief ein. »Er sprach auch davon, dass wir jeden Tag früher anfangen und später Feierabend machen müssen.«

»Herr im Himmel, Craig!«

Dylan steckte seinen Kopf durch die Tür. »Streitet ihr euch?«

»Nein, mein Schatz«, sagte Angie. »Ich bin nur sauer auf Daddys Arbeit.«

»Wir sind beide sauer.«

»Meine Hot Wheels passen nicht alle in die Kiste«, sagte Dylan. »Kannst du mir helfen?«

Angie nickte ihrem Ehemann zu. Craig nahm ihre Erlaubnis zu gehen dankbar an. »Aber klar doch«, sagte er zu seinem Sohn. »Und hinterher lesen wir, okay?«

»Okay!«

Er war wirklich sauer auf die CompWare. Weil sie den Deal mit Automated Interface verpfuscht und den Ruf der Firma ruiniert hatten. Und weil sie den OfficeManager, eine verdammt gute Software, nicht unter die Leute brachten. Und vor allem, weil sie Gott weiß wie viele Tausende Dollar an Berater verschwendeten, die über das Schicksal von vielen loyalen Mitarbeitern entscheiden würden. Es war nicht fair, es war nicht richtig, und Matthews und der Rest der Geschäftsleitung hätten es besser wissen müssen. Natürlich waren sie es auch gewesen, die die Firma in solch einen finanziellen Engpass manövriert hatten, dass die Unterstützung eines Unternehmens wie A. I. überhaupt nötig geworden war.

Er las Dylan vor und sah sich seine Hausaufgaben an. Nach dem Abendessen spielten sie alle zusammen eine Runde Karten, dann machte Angie Dylan bettfertig. Craig nahm seinen Sohn fest in den Arm und drückte ihm einen dicken Kuss auf die Stirn.

»Gute Nacht, mein Junge«, sagte er wie jeden Abend. »Schlaf schön und lass dich nicht von den Bettwanzen beißen.«

Dylan lachte, wie jeden Abend.

Angie hatte noch einen oscarprämierten Film aufgezeichnet, den sie noch nicht geguckt hatten, aber Craig war nicht nach einem Fernsehabend zumute. Er wollte lieber ein paar Nachforschungen über die BFG Associates anstellen und setzte sich an seinen Computer.

Phil hatte recht: Diese Unternehmensberatung war eine große Nummer. Er fand nicht nur bedeutende Unternehmen auf ihrer Kundenliste (sogar Automated Interface gehörte dazu), sondern auch mehrere Gemeinden und Kommunen, die die Berater angeheuert hatten, um ihre Abläufe so zu optimieren, dass eine verkleinerte Belegschaft mehr Arbeit in weniger Zeit verrichten konnte.

Er sah sich mehrere Webseiten von Unternehmen an, für die die BFG in der Vergangenheit tätig gewesen war, und suchte Statistiken heraus, die Gewinne, Stellenbesetzungen und andere Vorher-nachher-Angaben enthielten. Zum Schluss las er sich noch durch einige Bewertungsportale, auf denen man anonym seine Meinung zu Unternehmen hinterlassen konnte. Die BFG hatte sich tatsächlich immer wieder für weitreichende Entlassungen ausgesprochen, wurde dafür aber auf den entsprechenden Portalen kaum kritisiert. Craig hatte erwartet, auf scharfe Angriffe, wütende Abrechnungen oder zumindest abfällige Kommentare zu stoßen, aber die Handvoll Beschwerden, die er finden konnte, waren konfuse, ja fast schon bizarre Tiraden von frustrierten Mitarbeitern, die die Berater geradezu sympathisch erscheinen ließen.

Ganz schön merkwürdig, fand Craig. Er fragte sich, ob die BFG vielleicht einen Angestellten hatte, der nichts anderes tat, als nach negativen Kritiken zu suchen und den Verfassern mit Vergeltungsmaßnahmen zu drohen, falls sie ihre Aussagen nicht zurückzogen. Vielleicht gehörten ihnen sogar die Bewertungsportale.

Er hatte keine handfesten Beweise, sondern nur das Gefühl, dass die Leute, die wegen der BFG nun ohne Job dastanden, nicht so gleichmütig und widerstandslos waren, wie seine kleine Recherche ergeben hatte.

Er erzählte Phil am nächsten Morgen davon, während sie gemeinsam über den Parkplatz liefen.

Sein Freund nickte. »Es ist wie mit Quadrophenia und Tommy«, sagte Phil. »Als ich jünger war und das Rolling-Stone-Magazin las, weil damals noch die Musik im Mittelpunkt der kulturellen Gespräche stand, waren sich die Kritiker einig, dass Quadrophenia die bessere der beiden Rockopern sei. Sie sagten, die Story sei besser, die Musik sei besser, der Film sei besser. Ich habe mir das Album doppelt so häufig wie Tommy angehört, nur um zu verstehen, was allen anderen daran so sehr gefiel. Aber weißt du was? Ich mochte Quadrophenia nicht besonders. Hab’s versucht, bei Gott, aber ich war immer ein Tommy-Fan. Fantastische Platte, geniale Story, und den Film habe ich geliebt.«

»Ähm, worauf willst du hinaus?«, fragte Craig.

»Vertraue nicht darauf, was andere sagen, sondern einzig und allein auf dein Bauchgefühl. Wahrscheinlich liegst du damit richtig.«

»Das ist zwar nicht unbedingt das, was ich aus deiner wirren und wie üblich egozentrischen Anekdote schlussfolgern konnte, aber okay.«

»Ach, leck mich doch.«

Craig lachte.

»Ich gebe dir aber recht«, sagte Phil. »Ich wäre sicherlich nicht so gleichgültig, wenn sie mich auf die Straße setzen würden. Und es stimmt: Es ist wirklich nicht leicht, etwas Negatives über die BFG zu finden. Ich versuche mich gegen sie zu wappnen, seit ich das erste Mal hörte, dass sie für uns tätig werden. Aber es ist verdammt schwer, an genaue Informationen zu gelangen. Hab sogar einen alten Freund von mir kontaktiert, der für SPRINT arbeitet. Dort hat die BFG vor ein paar Jahren alles auf den Kopf gestellt. Er wollte mir aber nichts erzählen. Es gab wohl eine Vertraulichkeitsvereinbarung, und da er seinen Job retten konnte, wollte er auf gar keinen Fall frischen Staub aufwirbeln. Und trotzdem …«

Sie erreichten das Gebäude und stellten ihre Unterhaltung augenblicklich ein, ohne dass einer von ihnen darauf gedrängt hätte. Es war, als hätten sie Angst, gehört oder, noch schlimmer, belauscht zu werden. Craig blickte hinauf an die Decke der Eingangshalle. In den Ecken hingen Überwachungskameras. Wahrscheinlich waren sie schon immer dort gewesen, bemerkt hatte er sie bislang aber nicht. Er wusste auch nicht, ob sie nur Bilder oder auch Ton aufzeichneten.

Big Brother is watching you, dachte er und hätte vielleicht darüber gelächelt, wenn ihm der Gedanke nicht so verdammt schlüssig erschienen wäre.

FÜNF

Seit dem ersten Meeting mit dem Berater erhielt Craig jeden Tag zwei E-Mails von der BFG, die nichts weiter als langweilige Updates über ihre Methodik enthielten. Es dauerte nicht lange, bis er sie ungelesen in den Papierkorb schob und den Absender seinem Spamfilter hinzufügte. Heute jedoch hatte Matthews eine Rundmail verschickt, in der er jeden Mitarbeiter anwies, sich die morgendliche Mitteilung der BFG genau anzuschauen, und Craig erfuhr, dass die Berater mit den Einzelgesprächen beginnen wollten. Im Anhang fand Craig eine Terminliste für seine Abteilung, die Informationen zum Wer, Wann und Wo enthielt.

Craig konnte darin kein logisches Muster erkennen. Die Gespräche waren weder hierarchisch noch alphabetisch angesetzt worden, und wurden allesamt, zumindest in seiner Abteilung, von Regus Patoff durchgeführt. Craigs Gespräch sollte laut Plan um Punkt zwölf stattfinden. In seiner Mittagspause.

Bis jetzt hatte niemand einen anderen Berater als Patoff zu Gesicht bekommen, und Craig fragte sich, ob die BFG Associates vielleicht eine Mogelpackung war, in der es neben Patoff überhaupt keine Partner gab. Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe. Er mochte den Mann nicht und hoffte darauf, dass Patoff einen Boss hatte, einen Vorgesetzten, der ihn im Auge behielt.

Warum sollte ihn jemand im Auge behalten?

Craig wusste es nicht genau, aber er hatte das dumpfe Gefühl, dass es notwendig war.

Am späten Vormittag stattete Phil ihm einen Besuch ab. Craig sah auf der Terminliste nach, wer gerade befragt wurde – es war Tyler –, als Lupe sich über die Gegensprechanlage meldete und Phil ankündigte. Craig ging hinaus ins Vorzimmer, um ihn zu treffen.

»Ich wollte nur schnell in den Pausenraum gehen.«

Phil musterte ihn von unten nach oben. »Gute Idee. Du könntest ein bisschen Bewegung gebrauchen.«

»Sehr witzig.« Craig wandte sich Lupe zu. »Soll ich Ihnen etwas mitbringen?«

»Nein danke, nicht nötig.« Sie hielt eine silberne Thermoskanne hoch. »Ich hab meinen eigenen Tee dabei.«

»Ich bin in zehn Minuten zurück.«

»Und?«, fragte Phil, als sie sich auf den Weg machten. »Wann bist du dran? Morgen?«

»Heute noch«, sagte Craig. »Genau wie der Rest der Abteilung.«

Sein Freund blickte ihn überrascht an. »Ich auch! Bei wem? Patoff?«

»Jup.«

»Ich auch. Der Mistkerl hat ganz schön zu tun, was?« Außer ihnen war niemand auf dem Flur. Sie ließen sich Zeit, denn sie wollten den Pausenraum nicht zu schnell erreichen und lieber ungestört über die Dinge sprechen, die ihnen auf der Seele brannten. »Hast du dir schon überlegt, was du ihm erzählen wirst?«

Craig zuckte mit den Schultern. »Ich werde einfach seine Fragen beantworten.«

»Also ich weiß genau, was ich ihm erzählen werde.«

»Und das wäre?«

Phil grinste. »Wie das Unternehmen zu retten ist.«

»Das musste ja kommen.«

»Ich meine es ernst«, sagte Phil. »Das ist doch der einzige Grund, warum der Berater hier ist, oder etwa nicht? Er soll der CompWare den Arsch retten. Nun, ich finde, es ist außerdem eine gute Gelegenheit zu zeigen, was wir draufhaben. Warum sollte sich Matthews nur auf die Meinung von Außenstehenden verlassen? Bei uns gibt es genügend Leute, die gute Ideen haben und das Unternehmen bis ins Kleinste kennen. Warum verschwenden sie Gott weiß wie viel Geld an die BFG, wenn sie bereits talentierte Leute beschäftigen, die den Job intern erledigen können?«

»Da ist was dran«, gab Craig zu.

Sie erreichten den Pausenraum und waren froh, dass außer ihnen niemand dort war. Craig warf eine Münze in die Kaffeemaschine und füllte sich eine Tasse. Phil kaufte sich ein in Plastikfolie eingewickeltes Gebäckstück aus einem der Automaten.

Sie setzten sich an einen Tisch. Craig entdeckte eine Überwachungskamera in der Ecke des Raumes und senkte instinktiv seine Stimme.

»Und? Wie sieht dein Rettungsplan aus?«

»Wir produzieren.«

»Produzieren? Aber das tun wir doch schon.«

»Ich spreche nicht von Software. Die Zukunft liegt in proprietärer Hardware. Sieh dir nur Apple an. Ihre Hype-Maschine läuft so gut, dass schon ein paar winzige Veränderungen an ihren Produkten genügen, damit die Schäfchen sich in Reih und Glied aufstellen, um ihnen ihr Geld in den Rachen zu werfen. So machen es alle Smartphone-Hersteller. Sie hauen ein paar völlig sinnfreie technische Modewörter wie ›3G‹ und ›4G‹ raus, und schon plappern sämtliche College-Studenten und Sekretärinnen sie nach, um sich dafür zu rechtfertigen, dass sie die neueste Version eines Handys gekauft haben, das sie schon längst besitzen. Genau in diesen Markt müssen wir rein. Was wir brauchen, ist ein mobiles Gerät, auf dem nur unsere Spiele laufen.« Phil grinste. »Und weißt du was? Wir versehen es mit dem Zusatz ›5G‹, damit jeder glaubt, es haben zu müssen.«

»Aber es wäre doch gar nicht die fünfte Generation.«

»Wie viele von den Einfallspinseln dort draußen wissen denn schon, dass das ›G‹ für ›Generation‹ steht? Und kennen die anderen wirklich die genauen Unterschiede zwischen den ganzen Produktversionen? Wenn die Leute die Gelegenheit haben, ihren Nachbarn unter die Nase zu reiben, dass sie das neue ›5G‹ besitzen, werden sie es nur allzu gerne tun.«

»Mit anderen Worten: Du willst, dass wir unser eigenes NDS entwickeln.«