Der Bergdoktor 1899 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1899 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Reni und Lorenz Hochecker sind sehr glücklich miteinander und freuen sich ungeheuer auf ihr erstes Kind. Sie können es beide kaum erwarten, das Kleine endlich in den Armen zu halten. Am liebsten würde ihr Mann sie vermutlich in Watte packen.

Doch dann, von einem Tag auf den anderen, verändert Lorenz sich plötzlich. Plötzlich ist er kalt und abweisend und interessiert sich kaum noch für seine Frau und das Kind, das in ihr heranwächst.
Wie, um alles in der Welt, ist das möglich? Reni kann sich das alles nicht erklären. In ihrer Not flüchtet sie in die Praxis des Bergdoktors ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Ein verlorener Kampf

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-5794-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Ein verlorener Kampf

Auf den Hochecker-Hof fallen Schatten

Von Andreas Kufsteiner

Reni und Lorenz Hochecker sind sehr glücklich miteinander und freuen sich ungeheuer auf ihr erstes Kind. Sie können es beide kaum erwarten, das Kleine endlich in den Armen zu halten. Am liebsten würde ihr Mann sie vermutlich in Watte packen.

Doch dann, von einem Tag auf den anderen, verändert Lorenz sich. Plötzlich ist er kalt und abweisend und interessiert sich kaum noch für seine Frau und das Kind, das in ihr heranwächst.

Wie, um alles in der Welt, ist das möglich? Reni kann sich das alles nicht erklären. In ihrer Not flüchtet sie in die Praxis des Bergdoktors …

»Was gibt’s, Mutterl?« Lorenz Hochecker warf einen kurzen Blick zur Tür seines Arbeitszimmers, wo seine Mutter wie ein aufgeregt flatternder Spatz stand. »Verspätet sich der Wagen von der Molkerei wieder einmal?«

»Net, dass ich wüsste.«

»Hat die Fedi Probleme beim Kalben?«

»Nein, bei ihr ist es erst in ein paar Tagen so weit.«

Nun schaute Lorenz doch von seinen Papieren auf.

»Lange wird es nimmer dauern, bis das Kalb kommt. Fedi stampft schon seit Tagen nervös im Stroh und wird immer unruhiger. Ich hoffe, das deutet net auf Komplikationen hin.«

»Sie packt das schon«, entgegnete seine Mutter, und wenn ihn nicht alles täuschte, betonte sie das erste Wort besonders, sodass er sie nun forschend ansah. Der Kiefer seiner Mutter schob sich vor und zurück, als wären ihr die Worte im Hals stecken geblieben. Kein gutes Zeichen.

»Stimmt etwas net, Mutterl?«, hakte er nach und schob in weiser Voraussicht die Rechnung des Futtermittel-Lieferanten von sich, die er überprüfen und bezahlen wollte. Er ahnte, dass er sich besser Zeit nahm für das Anliegen seiner Mutter.

Irmgard räusperte sich und deutete dann anklagend hinter sich, den Flur hinunter.

»Deine Frau will wieder auf Tour gehen.«

Lorenz registrierte zweierlei. Sie sagte weder Reni noch Schwiegertochter, sondern deine Frau, als wäre Reni ein Fremdkörper, den er mit heimgebracht hatte. Außerdem war ihr Tonfall so missbilligend, als wäre Renis Vorhaben ein Fall, den der Gendarm untersuchen sollte.

Er unterdrückte ein Seufzen.

»Hast du mich net gehört, Bub? Deine Frau will wieder in die Berge aufbrechen. Zum Spieljoch!«

»Das muss ein Missverständnis sein. Die Tour ist viel zu anstrengend für sie in ihrem Zustand.«

»Das hab ich ihr auch gesagt, aber meine Worte sind auf taube Ohren gestoßen. Sie hat sich meine Einmischung verbeten und packt in aller Seelenruhe weiter ihren Rucksack mit der Ausrüstung.« Seine Mutter stülpte die Lippen vor. »Dabei hab ich es nur gut gemeint!«

»Zum Spieljoch?« In Gedanken überschlug er die Strecke. Von St. Christoph aus wanderte man fünf Stunden dorthin. Unterwegs waren über eintausend Höhenmeter zu überwinden. Dann kam der Rückweg. »Das kann net wahr sein. Reni hat die Tour bestimmt net übernommen.«

»Frag sie, Lorenz.«

»Das werd ich machen.« Er stand hinter seinem Schreibtisch auf und machte sich auf die Suche nach seiner Frau. Lange musste er nicht suchen, denn aus der Küche drang gedämpftes Rascheln und Klappern, als würde jemand seine Siebensachen zusammensuchen.

Sein Blick schweifte kurz aus dem Fenster. Hinter seinem Hof erhob sich eine hügelige Weide, auf der Kühe weideten.

Die Morgensonne ging gerade hinter den Bergen auf und tauchte den Himmel in ein zartes Blau, das einen schönen Spätsommertag versprach.

Ein Bach plätscherte an dem Gehöft vorbei. Libellen kreisten am Ufer. Als Bub hatte Lorenz gern am Wasser gesessen, seine nackten Füße hineingetaucht und selbst gebastelte Boote aus Rinde und Papier schwimmen lassen.

Sein Vater hatte den Hof vor achtzehn Jahren gekauft. Damals war er eine halbe Ruine gewesen, aber mit harter Arbeit hatten sie das Anwesen hochgebracht. Nach dem viel zu frühen Tod seines Vaters hatte Lorenz den Hof übernommen und war seitdem von früh bis spät auf den Beinen.

Seine Frau stand am Kühlschrank und füllte gerade Mineralwasser in eine Thermoskanne. Diese verstaute sie in dem bereits gut gefüllten Rucksack, der auf dem Küchentisch stand.

Mit ihren dunkelblonden Haaren, dem fröhlichen Lächeln und den Sommersprossen auf der Nase, die lebhaft zu tanzen schienen, wenn sie lachte, war sie ein Sonnenstrahl in seinem Leben. Er war oft zu ernst. Sie dagegen glaubte fest an das Gute und besaß so viel Gottvertrauen, dass es ansteckend wirkte.

Reni war so zierlich, als könnte ein Windzug sie umpusten. Doch das täuschte. Sie besaß einen festen Willen und hielt an ihren Zielen fest. Noch sah man ihr die Schwangerschaft nicht an, aber im kommenden Frühjahr würde ein Baby ihre Familie komplett machen.

An die Kühlschranktür war mit einem Magneten das erste Ultraschallbild geheftet, das der Bergdoktor gemacht hatte, als er die Schwangerschaft bestätigt hatte. Reni hatte Lorenz damit geneckt, dass er das Bild von einem dunklen Fleck aufgehängt hatte, denn viel mehr erkannte man auf der Aufnahme noch nicht. Doch dieser »dunkle Fleck« war ihr Baby, und Lorenz liebte es bereits jetzt von ganzem Herzen.

Reni drehte sich zu ihm um und schenkte ihm ein inniges Lächeln. Prompt überschwemmte Liebe sein Herz.

»Ist dir aufgefallen, dass Lebensmittel aus unserem Kühlschrank verschwunden sind, Lorenz?«

»Falls du die Salami, den Camembert und die Mayonnaise meinst, ja, die hab ich unserem Knecht geschenkt.«

»Warum denn?«

»Weil diese Sachen net gut für dich sind. Ich hab mich informiert und herausgefunden, dass Camembert durch seinen Schimmelanteil das Wachstum bestimmter Bakterien begünstigt und eine Lebensmittelvergiftung auslösen kann. Mayonnaise enthält rohe Eier und damit eventuell auch Salmonellen. Und Salami kann Listerien-Infektionen und Toxoplasmose auslösen. Schwangeren wird empfohlen, darauf zu verzichten.«

Die Augen seiner Frau weiteten sich verblüfft.

»Aber Irmgard und du könntet die Sachen weiterhin essen.«

»Vor deiner Nase? Auf keinen Fall. Wir werden uns solidarisch zeigen und ebenfalls darauf verzichten, bis das Baby da ist.« Lorenz zog seine Frau in seine Arme und gab ihr ein liebevolles Busserl.

Sie schmiegte sich an ihn und strahlte ihn an.

Er deutete zu ihrem Rucksack.

»Willst du heute etwa los?«

»Ja, ein Urlauberpaar hat mich für eine Tour gebucht.«

»Aber du bist schwanger!«

»Na und?« Verständnislos sah sie ihn an. »Was hat denn das damit zu tun?«

»Was …« Er widerstand dem Impuls, die Augen zu verdrehen. Oh, seine Frau würde ihm noch die ersten grauen Haare bescheren!

Lorenz liebte Reni über alles und würde sie am liebsten in Watte packen, immerhin trug sie sein Kind unter dem Herzen, aber das war gar nicht so einfach. Sie dachte nämlich gar nicht daran, ihren Posten als Bergführerin aufzugeben. Dabei waren die Touren anstrengend und oft auch gefährlich.

»Mach dir keine Sorgen!« Sie lachte. »Ich kraxele in den Bergen herum, seitdem ich laufen kann. Das schadet mir gewiss net.«

»Aber du bist schwanger.«

»Eben. Ich bin schwanger, net krank.«

»Sag die Tour ab, bitte. Wir sind net auf das Geld angewiesen, das du nebenher verdienst.«

»Mag sein, aber es macht mir Spaß. Ich weiß schon, was ich mir zutrauen kann und was net, Lorenz. Bitte vertrau mir.«

Der Bauer presste die Lippen zusammen, als müsste er ein unbedachtes Wort zurückhalten. Seiner Frau vertraute er, dem Schicksal jedoch nicht. Die Berge konnten tückisch sein. Sie hatten ihm den Vater geraubt. Seiner Frau durfte nichts zustoßen. Um nichts in der Welt!

Lorenz zog Reni instinktiv näher an sich, als könnte er sie damit beschützen. Er war schon weit über dreißig gewesen, als er ihr begegnet war.

Als Landwirt hatte er tagein, tagaus auf seinem Hof zu tun und kam selten unter Menschen. Nicht viele Frauen waren bereit, auf freie Urlaubswochen und die Annehmlichkeiten von Geschäften, Museen und Theatern zu verzichten, um Mist zu schaufeln und Kühe zu melken.

Er hatte nicht mehr geglaubt, eine Frau zu finden, als er Reni kennengelernt hatte. Sie hatte ihm ihr Herz geschenkt, und er dankte dem Himmel jeden Tag dafür.

Reni war sein Ein und Alles und liebte die Berge ebenso wie er. Sie brauchte die Natur und den freien Himmel über sich wie die Luft zum Atmen. Er mochte ihr die Freude an ihrer Tour nicht verderben und kämpfte seine Sorgen nieder.

»Wo genau soll es denn hingehen?«

»Ich führe einen Zahnarzt und seine Frau über die Heubodenalm zum Spieljoch.«

»Ist die Strecke net zu weit für dich?«

»Der Weg ist bestens ausgebaut. Wir werden im Nu zurück sein.« Reni strich ihm zärtlich über die Wange. »Sorg dich net, Lorenz. Es kann überhaupt nichts passieren!«

***

»Autsch!« Reni sog scharf den Atem ein. Die Wunde an ihrer rechten Schulter brannte wie Feuer! Die Haut war blutig aufgerissen, und ein tiefblauer Fleck breitete sich ringsherum aus. Vorsichtig streifte die junge Bäuerin den Träger ihres waldgrünen Tops zur Seite und untersuchte die Verletzung.

Sie hatte Glück gehabt, dass der Stein sie nur an der Schulter getroffen hatte und nicht am Kopf, sonst wären bei ihr wohl für einige Zeit die Lichter ausgegangen. Doch auch so würde sie eine Weile etwas von dem Zwischenfall haben.

Durch das offene Fenster drang das Zirpen der Insekten herein. Irgendwo saß eine Amsel und sang ihr Abendlied.

Reni kramte im Badezimmerschrank und suchte nach dem Verbandszeug. Sie war erschöpft.

Die Wanderung zum Spieljoch hatte sie angestrengt, deshalb freute sie sich darauf, ihre Füße hochzulegen und zu entspannen. Aber erst musste sie sich verarzten. Es tat weh. Kurz vor dem Ende der Wanderung hatte das passieren müssen. Verflixtes Pech!

Die Tür wurde geöffnet und ihr Mann kam herein.

»Reni!« Erschrocken starrte Lorenz auf ihre blutende Schulter.

»Das sieht schlimmer aus, als es ist«, begütigte sie.

»Was ist denn passiert? Du blutest ja!«

»Mein Gast hat beim Abstieg einen Stein über mir losgetreten. Ich wurde an der Schulter getroffen.«

»Oh, ich wusste, dass die Tour gefährlich ist. Mei, Reni …« Er atmete hörbar ein, als hätte er die Luft angehalten und sich jetzt erst wieder erinnert, dass er Sauerstoff brauchte.

Reni wollte die Schublade am Spiegelschrank aufziehen, aber etwas schien sie zu blockieren.

»Hier klemmt etwas«, murmelte sie.

»Nein, es klemmt net. Ich hab eine Sicherung eingebaut.«

»Eine Sicherung?«

»Damit unser Kind die Schublade net einfach öffnen kann. Darin liegen unsere Scheren und verschiedene Medikamente. Nichts, was in die Hände eines Kindes fallen sollte.«

Reni wusste nicht, ob sie lachen oder die Augen verdrehen sollte.

»Bis unser Kind groß genug ist, um an den Schrank zu gelangen, werden noch Jahre vergehen.«

»Ich baue eben gern vor.« Ihr Mann öffnete die Schublade, holte Pflaster, Mull und Jod heraus. »Setz dich auf die Badewanne«, wies er sie an und machte sich daran, ihre Verletzung zu säubern.

Reni atmete scharf ein, weil das Jod in der Wunde brannte, aber der Schmerz verflog rasch. Lorenz faltete den Mull und klebte ihn behutsam mit dem Pflaster fest.

»Fertig. Wenn du nachher duschst, verbinden wir dich neu.«

»Danke, Liebling. Das war wirklich Pech.«

Er verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen.

»Mir wäre wohler, du würdest deinen Nebenjob während der Schwangerschaft aufgeben. Ich dränge dich wirklich net gern dazu, aber Gäste in die höheren Regionen zu führen ist nichts für eine Schwangere.«

»In ein paar Monaten werde ich zu rund für die Touren sein, aber im Moment fühle ich mich gut. Warum soll ich net in die Berge gehen? Sie gehören zu meinem Leben dazu!«

»Ich möchte net, dass dir etwas passiert.«

»Ich bin vorsichtig, versprochen.«

»Das glaub ich dir, aber deine Gäste haben oft keine Ahnung von den Gefahren, die da oben lauern.«

»Deswegen buchen sie mich. Damit ich sie sicher wieder ins Tal bringe.«

Lorenz brummte noch etwas, das nicht erfreut klang, aber Reni mochte sich ihre Arbeit nicht verbieten lassen. Sie brauchte die Berge wie das Wasser zum Trinken und die Luft zum Atmen.

Reni griff nach ihrer Strickjacke und kuschelte sich hinein. Abends wurde es schon recht kühl im Zillertal. Man spürte den Herbst nahen. Wenn man genau aufpasste, roch die Luft auch bereits nach den ersten Pilzen.

Ihr Mann ging in den Flur und schloss den Schrank auf. Zu ihrer Verblüffung war der Mülleimer darin untergebracht. Lorenz warf die Reste von Mull und Pflaster fort und schloss den Schrank wieder ab.

»Den Tipp hab ich aus dem Internet«, erklärte er ihr auf ihren erstaunten Blick hin. »Man soll seinen Müll wegschließen, damit das Kind net unbeobachtet damit spielt und womöglich etwas in den Mund steckt, das net gesund ist.«

Reni machte große Augen.

»Übertreibst du es net, Lorenz?«

»Ich gehe nur auf Nummer sicher.«

»Wir werden gut auf unseren kleinen Schatz aufpassen. Außerdem wird unser Kind bestimmt clever genug sein, um net im stinkenden Müll zu wühlen oder auf die Badewanne zu klettern, sich das Jod aus dem Schrank zu angeln und zu trinken.«

»Das kann man nie wissen. Ich hab so viele Jahre von einer Familie geträumt, dass ich net riskieren will, euch wieder zu verlieren. Das Kleine und du … ihr seid alles für mich. Ich liebe euch und möchte net, dass euch etwas zustößt.«

Seine Worte machten ihr das Herz weit und warm.

»Komm, Spatzerl.« Er nahm ihre Hand. »Ich möchte dir etwas zeigen …« Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als seine Mutter die Treppe heraufkam und ihm winkte.

»Kannst du nach der Fedi schauen, Lorenz? Ich glaube, sie ist bald so weit. Das Kalb kann jetzt jede Minute kommen.«

»Natürlich. Ich bin gleich wieder da.« Er zwinkerte Reni zu und wandte sich um. Wenig später verklangen seine festen Schritte auf der Treppe, und die Haustür schlug hinter ihm zu.

Die Bäuerin stapfte wieder nach unten, ohne Reni eines Blickes zu würdigen.

Reni folgte ihr in die Küche und schenkte sich ein Glas Wasser ein.

»Möchtest du auch etwas?«

»Ich brauche nix.« Ihre Schwiegermutter setzte sich auf die Eckbank und nahm ihre Näharbeit zur Hand. Eine Bluse war es, von der ein Knopf abgerissen war. Sie wollte einen weißen Faden einfädeln, verfehlte das Nadelöhr jedoch immer wieder.

»Kann ich dir helfen?«, bot Reni an und wollte nach der Nadel greifen.

»Lass das!«, fauchte Irmgard. »Ich sehe sehr gut!«

»Ja, aber …« Verdutzt schüttelte Reni den Kopf. Sie hatte auch gar nichts anderes behauptet, nur helfen wollen.

Ihre Schwiegermutter schob beharrlich den Faden am Nadelöhr vorbei, aber Reni hütete sich, ihre Hilfe noch einmal anzubieten. Endlich war es geschafft. Der Faden saß in der Nadel, und Irmgard beugte sich vor, um den Kopf anzunähen.

Die Tür, die hinaus in den Garten führte, stand offen. Ein kühler Abendwind wehte herein und brachte den Duft von Wald und Harz mit.

Im Frühling lege ich einen Kräutergarten an, nahm sich Reni vor. Und ich säe Blumen am Zaun aus. Ein Nutzgarten ist gut und schön, aber wir brauchen auch etwas fürs Auge. Vielleicht Ringelblumen, Wicken und ein paar Rosen?

Während sie noch überlegte, kehrte ihr Mann aus dem Stall zurück.

»Fedi geht’s gut«, verkündete er. »Sie hat noch keine Wehen. Nur nervös ist sie. Lange wird es nimmer dauern.«

»Dann ist es ja gut«, murmelte seine Mutter.

Lorenz streckte eine Hand nach Reni aus.

»Kommst du?«

»Natürlich.« Sie folgte ihm in die erste Etage, wo er die Tür zu dem Raum aufstieß, der das Kinderzimmer werden sollte. Früher hatte er als Arbeitszimmer gedient, aber dann hatte Lorenz das Dachgeschoss ausgebaut und war mit seinem Büro eine Etage höher gezogen. Das Schlafzimmer befand sich nebenan, deshalb war dieses Zimmer perfekt für ihr Kind.

Am Morgen war der Raum noch leer gewesen. Jetzt standen hier Farbeimer und Pinsel, ein Tapeziertisch und Kartons.

»Ich hab Farbe besorgt. Und Muster für eine Borte. Die können wir über dem Wickeltisch anbringen.«

Lorenz packte die Muster aus dem Karton aus. Sie waren unterschiedlich bedruckt: mit Bären, Autos, lustigen Schildkröten und Hasen.

»Such eine aus, die dir gefällt, dann verziere ich die Wand damit, sobald wir alles vorgerichtet haben.«