Der Bergdoktor 1905 - Andreas Kufsteiner - E-Book

Der Bergdoktor 1905 E-Book

Andreas Kufsteiner

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Beschreibung

Im Dorfladen von St. Christoph zerreißen sich die Klatschweiber die Mäuler über die jüngsten Ereignisse auf dem Firnthalerhof. Besonders die Leitnerin, deren zweite Natur es geworden ist, über andere zu tratschen, ist sich sicher, dass es auf dem Firnthalerhof nicht mit rechten Dingen zugeht. Vor Kurzem ist Roland Firnthaler von einer Leiter gestürzt und dabei tödlich verunglückt. Angeblich war es ein tragischer Unfall, aber die Leitnerin hat einen anderen Verdacht. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass es mit der Ehe der Firnthalers nicht zum Besten gestanden hat.

Und jetzt ist der Basti, der kleine Sohn von Verena und Roland, so schwer erkrankt, dass er in die "Mini-Klinik" von Dr. Burger eingewiesen werden musste. Ist es nicht vielleicht möglich, spekulieren die Klatschweiber, dass Verena Firnthaler auch hieran die Schuld trägt?

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Inhalt

Cover

Impressum

Dr. Burger und die Rabenmutter

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy / Bastei Verlag

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-5987-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Dr. Burger und die Rabenmutter

Ihr kleiner Sohn schwebt in höchster Gefahr

Von Andreas Kufsteiner

Im Dorfladen von St. Christoph zerreißen sich die Klatschweiber die Mäuler über die jüngsten Ereignisse auf dem Firnthalerhof. Besonders die Leitnerin, deren zweite Natur es geworden ist, über andere zu tratschen, ist sich sicher, dass es auf dem Firnthalerhof nicht mit rechten Dingen zugeht. Vor Kurzem ist Roland Firnthaler von einer Leiter gestürzt und dabei tödlich verunglückt. Angeblich war es ein tragischer Unfall, aber die Leitnerin hat einen anderen Verdacht. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass es mit der Ehe der Firnthalers nicht zum Besten gestanden hat.

Und jetzt ist der Basti, der kleine Sohn von Verena und Roland, so schwer erkrankt, dass er in die »Mini-Klinik« von Dr. Burger eingewiesen werden musste. Ist es nicht vielleicht möglich, spekulieren die Klatschweiber, dass Verena Firnthaler auch hieran die Schuld trägt?

»Du hörst mir ja überhaupt net zu«, sagte Tessa und warf ihrem Vater aus ihren Brombeeraugen einen vorwurfsvollen Blick zu.

Dr. Burger kehrte aus seiner Gedankenversunkenheit jäh in die Gegenwart zurück.

»Tut mir leid, Schneckerl. Ich hab die ganze Zeit an einen Patienten denken müssen«, erwiderte er.

Sofort zeigte sich auf dem reizenden Gesichtchen der beinahe Neunjährigen ein mitleidiger Ausdruck.

»Ist es arg schlimm?«, fragte sie.

»Es wird bestimmt bald besser«, gab der Vater ausweichend zur Antwort und lächelte dem Madel ermutigend zu.

Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er die tragische Seite seines Berufs in die Familie hineingetragen hatte, was er sonst immer vermied. Die Kinder, Tessa und ihr fünfjähriger Bruder Philipp, der Filli genannt werden wollte, sowie Nesthäkchen Laura sollten unbeschwert im Doktorhaus aufwachsen.

»Tessa hat gerade von einem Mitschüler erzählt, dem Bastian Firnthaler. Irgendetwas scheint mit dem Buben nicht zu stimmen«, nahm Sabine Burger den Gesprächsfaden wieder auf, was ihr einen dankbaren Blick ihres Mannes einbrachte.

Es war bei den Burgers üblich, dass sich die Familienmitglieder beim Nachtmahl lebhaft über alles unterhielten, was sie im Laufe des Tages bewegt hatte. Und das galt ganz besonders für die beiden älteren Kinder. Laura war um diese Zeit schon zu Bett gebracht worden.

Tessa und Filli schilderten anschaulich ihre Erlebnisse in Schule und Kindergarten, und auch die Bachhuber-Zenzi, der gute Geist des Hauses, sparte nicht mit entsprechenden Zwischenbemerkungen.

Sie war eine hagere Frau Anfang sechzig, deren strenger Haarknoten wie festgeleimt an ihrem Hinterkopf saß. Nicht weniger streng waren ihre Vorstellungen von Kindererziehung, die sie glücklicherweise nie anwandte.

Zenzi hatte Martin Burger nach dem frühen Tod seiner Mutter aufgezogen, und sie liebte »ihre Familie« über alles. Besonders aber die Kinder, auch Tessa, die von den Burgers adoptiert worden war, doch das spielte längst keine Rolle mehr.

Auch Pankraz Burger, der Großvater, mischte sich gerne ein. Er war für sein Alter erstaunlich rüstig, auch wenn seine Schwiegertochter fand, dass er mit dem Essen maßhalten sollte, da seine Leibesmitte ziemlich gewölbt war.

Er wohnte in dem Kabinettl, das sich an das Wohnzimmer anschloss, wo er auch unermüdlich an seiner Chronik des Zillertals schrieb. In der übrigen freien Zeit kümmerte er sich um die Enkel. Er brachte Filli zum Kindergarten und unternahm lange Spaziergänge mit ihnen. Auch Laura war stets mit von der Partie. Die Zweijährige schob er stolz im Buggy vor sich her.

Poldi, der treue Rauhaardackel, war ebenfalls ein begeisterter Spaziergänger. Jetzt allerdings hockte er unter dem Tisch in der Hoffnung, dass Pankraz ihn mit einem Leckerchen beglückte.

»Was soll mit dem Buben nicht stimmen?«, fragte Martin Burger, der sofort beunruhigt aufgehorcht hatte.

»Der Basti hat so oft blaue Flecken. Irgendwie scheint er immer Unfälle zu haben. Gestern ist er auf dem Schulhof hingefallen und hat sich am Knie verletzt. Das hat ganz arg geblutet«, berichtete Tessa.

»Ist ihm schwindlig gewesen?«, hakte ihr Vater nach.

»Nein. Anscheinend hat ihn jemand geschubst.«

»Sicher die freche Rita«, warf Zenzi ein.

Tessa schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr die dunklen Locken, die ihr den Kosenamen »Schneckerl« eingebracht hatten, um den Kopf tanzten.

»Das macht die Rita net! Sie vergreift sich nicht an Schwächeren. Dass du immer auf der Rita herumhacken musst«, verteidigte sie ihre beste Freundin.

Zenzi konnte die freche Rita, die gerne übermütige Streiche ausheckte, nicht leiden und fand, dass sie nicht der richtige Umgang für die Kinder aus dem Doktorhaus war. Sie murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, das nicht allzu freundlich klang.

»Wie verhält sich der Basti denn sonst?«, wollte Sabine wissen und warf Pankraz einen strafenden Blick zu, denn es war ihr nicht entgangen, dass seine Hand mit einem halben Würstl unter dem Tisch verschwunden war.

»Er ist halt nicht sehr sportlich, selbst Fußball mag er nicht. Und er fehlt auch immer öfters, und wenn er da ist, dann starrt er vor sich hin«, berichtete Tessa.

Das Ehepaar wechselte einen bedeutsamen Blick, doch alles Weitere würden sie erst besprechen, wenn sie allein waren.

»Was meint denn der Herr Werth dazu?«, fragte Sabine noch. »Er hat doch sicher bemerkt, dass sich der Basti so verändert hat.«

Die Burgers kannten Herrn Werth, der die unteren Klassen unterrichtete, als engagierten und verantwortungsvollen Lehrer, der über seine Schüler wachte und sich auch nicht scheute, den Eltern offen entgegenzutreten.

»Ich hab gesehen, dass er ein paarmal mit dem Basti geredet hat. Aber ich hab nichts davon mitbekommen«, fügte Tessa bedauernd hinzu.

»Das wundert mich aber«, meinte Zenzi.

Es war kein Geheimnis, dass die neugierige Tessa häufig Gespräche belauschte und mit ihrem Wissen schon für manche peinliche Überraschung gesorgt hatte.

»Dann wird er den Dingen ja auf den Grund gehen«, sagte Sabine abschließend, obwohl sie wusste, dass weder ihr Mann noch sie sich damit zufriedengeben würden.

»Der Basti scheint aber gar nicht froh darüber zu sein, dass der Herr Werth den Dingen auf den Grund geht«, befand Tessa und nahm sich noch eine Scheibe Brot zu dem leckeren Eintopf, bei dem sich Zenzi einmal wieder selbst übertroffen hatte.

»Woher willst du denn das wissen?«

Auch Pankraz schien sich nun seine Gedanken zu machen.

»Der Basti hat Angst danach gehabt. Das hat man richtig sehen können. Am liebsten hätt er sich irgendwohin verkrochen«, gab Tessa zurück.

Pankraz zog die Brauen zusammen, sagte aber nichts.

Das Gespräch wurde dadurch unterbrochen, dass Dr. Burgers Diensthandy sich bemerkbar machte und er aufstand, um das Gespräch entgegenzunehmen. Auch Sabine hatte sich erhoben und sah ihn auf dem Flur fragend an.

»Bei der Haushofer-Anni haben die Wehen vorzeitig eingesetzt. Da scheint Eile geboten zu sein«, erklärte er kurz.

»Dann hoffe ich, dass alles gutgeht«, rief sie ihm noch nach, doch ihr Mann war schon hinausgeeilt.

Dr. Burger war immer für seine Patienten da, und ihr Wohl lag ihm sehr am Herzen. Er kümmerte sich nicht nur um ihre Beschwerden, sondern er ging auch auf ihre Sorgen ein. Daneben betätigte er sich als Bergretter und hatte schon manchem allzu waghalsigen Kletterer zusammen mit Dominikus Salt, dem Leiter der Bergwacht, das Leben gerettet. Und so kam es, dass er den Ehrentitel »Bergdoktor« erhalten hatte und ihn alle im Tal bei diesem Namen nannten.

Die Mahlzeit wurde nun schweigend beendet, und dann saß man noch ein wenig zusammen, denn heute war der wöchentliche Spieleabend.

»Ohne den Papa macht es keinen rechten Spaß«, klagte Tessa, die auf dem besten Weg war zu verlieren.

»Ja, weil er dich meistens gewinnen lässt«, meinte Filli.

»Dich doch auch«, gab sie mit funkelnden Augen zurück.

Filli, der seinen blonden Haarschopf und sein friedliebendes Naturell von der Mutter geerbt hatte, gab das sofort zu.

»Das tät mir nie einfallen«, grummelte Zenzi.

»Das glaub ich. Deswegen gewinnst du auch immer beim Monopoly …«

»Ja, wollt ihr jetzt weitermachen, oder nicht?«, beendete Pankraz den Wortwechsel, und das Spiel wurde fortgesetzt, sodass der Abend vergnüglich zu Ende ging.

Tessa und Filli waren zu müde, um Widerstand zu leisten, als es später hieß, dass es nun an der Zeit sei, zu Bett zu gehen. Außerdem war heute ihr Großvater an der Reihe, den Kindern eine Gutenachtgeschichte vorzulesen, und das war immer besonders spannend. Denn die Zillertaler Chronik enthielt einige schauerliche Legenden, die gerade dafür empfängliche Kinder um den Schlaf bringen konnten.

»Aber lies ihnen nicht wieder so eine gruselige Geschichte vor, dass sie nicht einschlafen können. Das ist ja nicht der Sinn der Sache«, wurde er daher auch wieder einmal von seiner Schwiegertochter ermahnt.

»Nein, nein, nur ein ganz harmloses Märchen. Am Ende sind alle noch lebendig und glücklicher als vorher«, gab er zur Antwort.

Sabine musste lachen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Auch wenn es zwischen ihnen immer einmal wieder zu Wortgefechten kam, so waren sie und ihr Schwiegervater einander doch herzlich zugetan.

Die Kinder schliefen bald ein, und Pankraz zog sich in sein Kabinettl zurück, um über dem nächsten Kapitel zu brüten. Wie so oft jedoch schlummerte er über seinen Aufzeichnungen ein. Auch Zenzi war in ihr Kammerl unter dem Dach hochgestiegen und legte sich wohlig seufzend in ihre Federkissen.

***

Bald war im Doktorhaus nur noch Sabine Burger wach. Im blauen Schlafzimmer las sie beim matten Licht der Nachttischlampe ein wenig, denn es fiel ihr schwer, Schlaf zu finden, bis ihr Mann nach Hause zurückgekehrt war.

Sabine liebte dieses Refugium, in dem sich Martin und sie alles rückhaltlos anvertrauten, was ihnen auf der Seele lag. Sie hatte es mit großer Sorgfalt selbst ausgestattet, und es spiegelte die romantische Liebe des Paares wider, die beide immer noch verband.

Wie der Name schon sagte, herrschte in diesem Raum die Farbe Blau vor – Gardinen und Teppiche waren in diesem Ton gehalten. Der Bauernschrank war zudem kunstvoll mit roten Herzen bemalt, und das breite Himmelbett trug zu der trauten Atmosphäre bei.

Sabine wäre fast eingeschlafen, wenn sie nicht durch das Öffnen der Tür aufgeschreckt worden wäre.

»Du hast wieder auf mich gewartet, Schatzerl. Du weißt doch, dass du das nicht tun sollst«, sagte Martin tadelnd, doch seine Stimme klang zärtlich.

Sabine richtete sich auf und nahm ihren Mann in Augenschein. Er sah zwar erschöpft, aber dennoch sehr zufrieden aus.

»So ist alles gut verlaufen«, sagte sie erleichtert.

»Es war nicht leicht für die junge Frau, es war ihr erstes Kindl, und das Ganze kam sehr überraschend. Aber wenigstens ging die Geburt verhältnismäßig schnell vonstatten, und sie wird sich bald davon erholen. Die Freude war außerdem groß, weil es ein Buberl ist, der Hoferbe halt«, berichtete Martin, während er sich auskleidete.

Dann nahm er seinen Platz neben ihr ein, und sie löschte das Licht. Doch trotz seiner Übermüdung konnte er noch nicht einschlafen.

»Was die Tessa über den kleinen Basti Firnthaler erzählt hat, will mir nicht aus dem Kopf gehen«, begann er schließlich. »Das kann natürlich gesundheitliche Ursachen haben, dass sich der Basti immer verletzt.«

»An was denkst du?«, fragte Sabine.

»Beispielsweise kann es sein, dass er seine Bewegungen nicht richtig koordinieren kann und deshalb leicht stürzt.«

»Das wäre möglich. Man sollte aber auch wissen, ob das jetzt erst aufgetreten ist oder ob er schon immer Schwierigkeiten gehabt hat.«

»Ja, das ist wichtig. Aber es gibt auch noch andere Möglichkeiten …«

Sabine erschauerte, was ihm nicht entging.

»Weißt du, ich muss eh einmal wieder nach dem alten Firnthaler, seinem Großvater, sehen. Dann werde ich ganz beiläufig mit seiner Mutter sprechen und mich auch sonst ein wenig umschauen«, schlug Martin vor.

»Ja, damit du dir einen Eindruck verschaffen kannst.«

Sabines Stimme klang bereits schläfrig, und gleich darauf vernahm er regelmäßige Atemzüge neben sich. Er rückte näher an sie heran. Wie immer empfand er ihre Nähe als tröstlich, und seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit.

Niemals hätte er gedacht, dass er mit einer Frau noch einmal glücklich werden und sogar eine Familie gründen würde. Denn ein schwerer Schicksalsschlag lag hinter ihm, dem Jahre der Einsamkeit gefolgt waren.

Christl, seine erste Frau, war unerwartet bei der Geburt ihres ersten Kindes gestorben und hatte das Neugeborene mit in den Tod genommen. Das hatte Dr. Burger aus der geliebten Bergheimat fortgetrieben, er war nach München gegangen, um dort seine Facharztprüfung in Chirurgie abzulegen.

Erst als sein Vater die Praxis in St. Christoph nicht mehr bewältigen konnte, war er zurückgekehrt, um sie zu übernehmen. Er hatte sie um einen Anbau mit einem Labor, einem Röntgenraum und einem Operationssaal für kleinere Eingriffe erweitert. Für besondere Notfälle gab es sogar zwei Patientenzimmer, und nicht zu Unrecht nannten die Dörfler diese Einrichtung die »Mini-Klinik«.

Jahrelang hatte im Mittelpunkt seines Lebens nur die Arbeit gestanden. Dann jedoch hatte sich etwas ereignet, was zu einer Wende in seinem Leben geführt hatte.

Martin Burger war der Anästhesistin Sabine aus Wien begegnet, die ihrer Tante Rika in St. Christoph einen Besuch abgestattet hatte. Als sie ihn angelächelt und in ihren braunen Augen goldene Pünktchen gefunkelt hatten, war es um ihn geschehen gewesen. Er hatte sich heillos in die reizende junge Frau verliebt. Zwar bestand ein Altersunterschied von sechzehn Jahren zwischen ihnen, doch Sabine fand jetzt noch, dass er ungemein attraktiv und sportlich sei und ihm die silbernen Schläfen ausgezeichnet stehen würden.

Sabine hatte alles hinter sich gelassen, was ihr Leben in Wien ausgemacht hatte – ihre Stelle an einer Wiener Klinik, die zahlreichen Freundschaften und die Zerstreuungen und den Glanz der einstigen Kaiserstadt. Und sie hatte es, wie sie immer wieder beteuerte, nie bereut, ihn geheiratet zu haben.

Sie war nicht nur den Kindern eine liebevolle Mutter, sondern sie machte Martin auch zu einem glücklichen Mann. Sabine war seine Liebste, und gleichzeitig bewältigte er mit ihrer Hilfe den Alltag. Wenn es die Umstände erforderten, brachte sie ihre medizinischen Kenntnisse in die Praxis mit ein und war seine unverzichtbare Helferin. Immer hatte sie ein offenes Ohr für ihn, und Martin Burger schätzte ihren Rat.

Geliebte Sabine …

Seine Gedanken verwirrten sich, dann verlangte die Natur ihr Recht, und er schlief endlich ein.

Im Doktorhaus war es ruhig geworden, kein Laut störte den Schlaf seiner Bewohner. Nur einmal war der Schrei eines Käuzchens vom Krähenwald her zu hören, dann herrschte wieder Stille.

***

Verena Firnthaler stand nachdenklich am Fenster und hielt Ausschau nach ihrem Sohn Sebastian. Wahrscheinlich war er auf der weitläufigen Streuobstwiese, die von der Stube aus, von wo sie nur den Vorplatz des Firnthalerhofes überblicken konnte, nicht einsehbar war. Wie immer hatte es ihn nach draußen gezogen, weit weg von seiner Familie. Sie vermutete sogar, dass er sich dort in einem aufgelassenen Stadel verkrochen hatte und erst wieder hervorkam, wenn Zeit für das Nachtmahl war.

Sebastian, genannt Basti, war ihr einziges Kind, sehr zu ihrem Leidwesen. Denn vor allem ihr Mann hatte sich eine große Familie gewünscht mit mehreren Söhnen, die auf dem Hof mithelfen und ihm die Arbeit erleichtern würden. Aber vor allem auch, damit nie die Gefahr bestand, dass das alteingesessene Geschlecht der Firnthalers aussterben und der Hof in fremde Hände gelangen könnte.

Stattdessen hatte sie nur einem einzigen Sohn das Leben geschenkt, der zudem nicht den Vorstellungen ihres Mannes entsprach.

Damit verknüpft war auch ihr wachsendes Unbehagen über den Zustand ihrer Ehe. Roland Firnthaler, der in den ersten Lebensjahren des Kindes ein liebevoller Vater gewesen war, zeigte sich zunehmend enttäuscht über seinen Sohn. Das führte immer häufiger zu Auseinandersetzungen, denn Roland gab ihr die Schuld an der Entwicklung des Kindes.

Und in der letzten Zeit hatte sich noch etwas Dunkles, Drohendes in sein Verhalten gegenüber seinem Sohn geschlichen, was Verena aufgefallen war. Allein die Art, wie Roland das Kind manchmal ansah, wenn er sich unbeobachtet glaubte …

Wie so oft schweiften Verenas Gedanken in die Vergangenheit, wenn sie an diesem Punkt ihrer Überlegungen angelangt war.

Inzwischen war ihr schmerzlich klar geworden, dass sie sich viel zu früh gebunden hatte und blind in diese Ehe getaumelt war. Mit sechzehn schon hatte sie sich in den gut aussehenden, reichen Roland Firnthaler verliebt und sich nichts mehr gewünscht, als immer mit ihm zusammen zu sein. Heute dachte sie nur noch mit Wehmut daran, wie glücklich sie einst mit ihm gewesen war.

Auch Roland, der um einiges älter als sie und auch um einige Erfahrungen reicher gewesen war, hatte sich heftig in das junge Mädchen verliebt. Sie hatten eine rauschhafte Zeit miteinander verbracht, und alles andere, ihre Ausbildung und ihre Freundschaften, hatte an Bedeutung verloren. Sie waren unzertrennlich gewesen, und bald schon hatten sie heimlich manche Nacht zusammen verbracht, und noch ehe sie volljährig geworden war, hatte sich herausgestellt, dass sie ein Kind erwartete.