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Helwig Schmidt-Glintzer

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Beschreibung

Der Buddhismus ist seit mehr als zweitausend Jahren einer der bestimmenden Faktoren in den Kulturen Asiens und übt bis heute eine ungebrochene Faszination aus. Helwig Schmidt-Glintzer beschreibt die Weltreligion vom Leben Buddhas über die Lehren des «Kleinen» und «Großen Fahrzeugs» und den Zen-Buddhismus bis zu modernen buddhistischen Reformbewegungen in der östlichen und westlichen Welt.

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Helwig Schmidt-Glintzer

DER BUDDHISMUS

C.H.Beck

Zum Buch

Der Buddhismus als eine der großen geistigen Bewegungen der Menschheit ist seit mehr als zweitausend Jahren einer der bestimmenden Faktoren in den Kulturen Asiens und übt weltweit eine ungebrochene Faszination aus. Die Lehre ist in ihrer Vielfalt kaum von einem Einzelnen zu überblicken, zumal die Zeugnisse in zahlreichen Sprachen überliefert sind. Und doch wird dem Buddhismus nur gerecht, wer auch seine historischen Dimensionen in den Blick nimmt. Die Grundeinsicht Gautama Buddhas in die prinzipielle Vergänglichkeit alles Seienden und das daraus folgende Leid gilt auch für die Geschichte und die Gegenwart des Buddhismus. In der Darstellung wird der Bogen gespannt von den Anfängen der Lehre als eine indische Reformbewegung in der auch als «Achsenzeit» (Karl Jaspers) bezeichneten Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends über die Ausbreitung der Lehre des «Kleinen» und des «Großen» Fahrzeugs in die verschiedenen Regionen Asiens bis hin zur Ausbildung des Chan (japanisch: Zen) in China und den Veränderungen der Lehre im Zuge der politischen und gesellschaftlichen Modernisierungen. Das Buch endet mit der Rezeption des Buddhismus in der westlichen Welt und Ausführungen über den Buddhismus als Laienbewegung, die es neben dem Mönchsweg seit ältester Zeit immer auch gegeben hat.

Über den Autor

Helwig Schmidt-Glintzer lehrt seit 1981 auf ostasienwissenschaftlichen Lehrstühlen in München und Göttingen und war bis 2015 Direktor der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Seither ist er Seniorprofessor an der Eberhard-Karls-Universität und Direktor des China Centrum Tübingen. Seit 50 Jahren beschäftigt er sich mit dem Buddhismus in Ostasien.

Inhalt

Vorwort zur vierten Auflage

Einleitung

I. Buddha: Sein Leben und seine Lehre

1. Eine indische Reformbewegung

Ausstieg aus dem Kreislauf der Wiedergeburten

Die Daseinsgruppen (skandha) und der Kreislauf der Existenzen

Der historische Buddha und die vielen Buddhas

Erfahrung von Leiden und Nichtigkeit der Welt

2. Buddha, Dharma, Saṅgha: Das dreifache Kleinod

Buddha

Die Lehre (dharma)

Die Gemeinde (saṅgha)

Raum, Zeit und Wirklichkeit

3. Heilswege, Textüberlieferung und die Entstehung einer Weltreligion

Alles ist Leiden

Meditation

Die Entstehung einer Weltreligion

Die Konzile, Reformbereitschaft und die Suche nach Einheitlichkeit

Die Ausbreitung des Buddhismus unter Aśoka

Die kanonische Überlieferung: das Tripiṭaka

II. Das «Kleine Fahrzeug»: Buddhismus in Indien, Sri Lanka, Hinterindien und Südostasien

1. Die frühe Vielfalt des Buddhismus

Entwicklung von Schulen

Vielzahl der Buddhas

2. Die philosophischen und die literarischen Traditionen

Die philosophische Tradition

Die poetische Seite der Lehre

Buddhistische Werke und Literatur unter indischem Einfluss

Zeugnisse buddhistischer Frömmigkeit

3. Der Theravāda-Buddhismus

Die «fünf Länder des Theravāda»

Sri Lanka (Ceylon)

Birma (Myanmar)

Thailand, Laos und Kambodscha

III. Das «Große Fahrzeug»: Zentralasien, China und Japan

1. Das «Große Fahrzeug» und die «Mittlere Lehre»

Die Anfänge des Mahāyāna

Die «Mittlere Lehre» Nāgārjunas

Die Bodhisattva-Vorstellung

Buddha Amitābha und die Verheißung des Paradieses

Leerheit und doppelte Nichtexistenz

2. Buddhismus in Zentralasien, Tibet und der Mongolei

Zentralasien

Tibet

Mongolei

Nepal

3. Buddhismus in Ostasien: China und Japan

Der chinesische Kulturkreis

Pilgerreisen

Buddhismus in Japan: Die Anfänge

Durchsetzung des Buddhismus

4. Einzelne Schulen und Sonderformen

Die Schulenbildung in China

Tantrismus

IV. Chan/Zen-Buddhismus

1. Meditationstraditionen und die Anfänge des Chan-Buddhismus

Traditionen der Versenkung

Bodhidharma

Die Erleuchtung

2. Die Schulen und Huineng

Die Linie der Patriarchen

3. Die Künste und die Sinne

Stūpa, Abbildungen und Skulpturen Buddhas

Zen-Kunst

V. Buddhismus und Moderne

1. Buddhismus und Gesellschaft

Zeitgebundenheit und Geschlechterrollen

Rituale und Feste

2. Erneuerungsbewegungen in der Neuzeit

Frühneuzeitliche Reformbewegungen

3. Buddhismus in der westlichen Welt

Frühe Rezeption des Buddhismus

Meditation und Zen im Westen

4. Laienbuddhismus

Die fünf Gebote

Die kulturelle Bedeutung des Laienstandes

Literaturhinweise

Allgemeine Darstellungen, historisch

Buddha: Sein Leben und seine Lehre

Einführungen in das buddhistische Denken

Das «Kleine Fahrzeug»: Buddhismus in Indien, Ceylon, Hinterindien und Südostasien

Das «Große Fahrzeug»: Zentralasien, China und Japan

Chan/Zen-Buddhismus

Buddhismus und Gesellschaft

Buddhismus und moderne Welt

Textsammlungen und wichtige Einzeltexte

Die Kunst des Buddhismus

Nachschlagewerke

Register

Vorwort zur vierten Auflage

Mit der Erleuchtung und den Lehrreden des Gautama Buddha vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren beginnt der Buddhismus. Dieser Vorgang einer vollkommenen Befreiung und Erleuchtung war das Ergebnis langen Nachdenkens und einer intensiven Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen im Indien jener Zeit. Die sich in alle Himmelsrichtungen allmählich ausbreitende Lehre prägte seither viele Kulturen. Dies spiegelt sich in vielgestaltigen Kunstwerken, Ritualen und einer über die Jahrhunderte entstandenen schier unüberschaubaren und vielsprachigen Textüberlieferung. Vor allem aber die Praxis des Buddhismus, der Mönchsweg ebenso wie die Laienfrömmigkeit, hat immer wieder Menschen in ihren Bann gezogen. Dies führte zu einem bis heute lebendigen Facettenreichtum des Buddhismus. Bereits Buddha selbst hatte sich in eine lange Tradition und in alle Weltalter einbeziehende Zeithorizonte gestellt. Durch Forschungen und Übersetzungen ist das Bild von den Ausprägungen des Buddhismus in Geschichte und Gegenwart und in seiner globalen Verbreitung immer detaillierter geworden.

Das vorliegende Buch will in einem Überblick über die historische Vielfalt den Zugang zum Kern der Lehre erleichtern, der gerade darin besteht, dass er nicht in einer dogmatisch auftretenden und Gefolgschaft einfordernden Doktrin besteht. Die Botschaft Buddhas war es, den Weg zur Erlösung aus der Verstrickung in die Welt und zur vollkommenen Befreiung zu eröffnen. Statt eine Weltanschauung sein zu wollen oder eine Philosophie zu lehren, geht es um eine neue Haltung gegenüber der Welt. Der Buddhismus war immer zunächst eine Lehre für den Einzelnen und hat dann aber stets auch auf die Bildung einer Gemeinde gezielt. Dies hat zu Konflikten mit anderen gesellschaftlichen Kräften geführt, und deswegen ist der Buddhismus oft als eine «fremde» Religion bezeichnet worden. Doch trotz aller Verstrickungen in die Welt hat die Lehre des Buddha ihre Anziehungskraft nicht verloren. Eine allgemeine Renaissance des Buddhismus innerhalb und außerhalb Asiens hat zu einem neuen Bild vom Buddhismus geführt. International vernetzte Lehr- und Forschungsarbeiten führen im Lichte veränderter Deutungshorizonte und neuer Lehrpraxis auch zu einem neuen Verständnis dieser Lehre. So hat sie wie kaum eine andere zur Bereicherung der Zivilisation der Menschheit beigetragen. Obwohl in ihren Anfängen nicht an Bilder geknüpft, ist sie in ihren künstlerischen Ausdrucksformen heute präsenter denn je und zu einem wohltuenden Inventar der Menschheit geworden, auch wenn sie vor allem in der islamischen Welt gelegentlich Ablehnung erfährt.

Der Fortschritt in der wissenschaftlichen und philologischen Durchdringung der Textüberlieferung trägt zu einer Erweiterung der buddhistischen Weltsicht und zum besseren Verständnis einzelner Teillehren bei. Die daraus resultierende intellektuelle Herausforderung ist nicht zu trennen von den aus den buddhistischen Lehren abzuleitenden Wertbezügen. Dadurch ist der über vielerlei Grenzen hinweg sich etablierende Buddhismus zu einem wichtigen Gestaltungselement zivilgesellschaftlicher Teilhabe in der sich globalisierenden Weltgesellschaft geworden.

Der Überblick über die historische Vielfalt soll einen reflektierten Zugang zur Geschichte der Lehre des Buddha, des «Erleuchteten», eröffnen, aus dem der Einzelne für sich selbst zu einer Erkundung der Welthaltung, der Lebenspraxis und des Erkenntnisprozesses gelangt, wie sie im Leben und der Lehre des Buddha vorgezeichnet sind. Die Darstellung soll eine erste Information geben oder auch eine kurze Vergewisserung für Menschen, die häufiger schon mit dem Buddhismus zu tun hatten. Zur vertiefenden Beschäftigung mit dem Gegenstand wird die Fortsetzung der Lektüre in anderen Fachbüchern empfohlen oder einfach ein aus der Haltung des Buddha zur Welt entstehendes Tun und Lassen.

Tübingen/Hannover, im Februar 2019

HSG

Einleitung

Was ist der Buddhismus, und was ist die Lehre des Buddha? Die Antwort wird vielfältig sein und auch nicht erschöpfend, denn in seiner etwa zweieinhalbtausendjährigen Geschichte hat der Buddhismus viele Gesichter gezeigt, so dass die Rede von dem Buddhismus nicht statthaft ist. Manche haben versucht, alles das, was sich als historische Ausprägung mit dem Buddhismus eng verwoben hat, als Beiwerk abzuwerten. Doch ist es wohl eher angemessen, den Buddhismus in seiner geschichtlichen Erscheinung wahrzunehmen, gerade weil die einzelnen durchaus unterschiedlichen Lehrrichtungen doch einen gemeinsamen Kern haben. So kann man dem Bild des großen Buddhismus-Gelehrten Edward Conze (1904–​1979), dass die Differenzen nichts anderes seien als Facetten eines Diamanten, nur zustimmen. Zunächst handelt es sich ja um die Lehre des Stifters Gautama Buddha, des historischen Buddha, von der wir nur durch spätere Überlieferung Kenntnis haben. Keinesfalls aber ist der Begriff des Buddhismus ein neuer Begriff wie etwa der des Hinduismus, der tatsächlich erst eine «Erfindung» der britischen Kolonialverwaltung des 19. Jahrhunderts ist, sondern sehr früh schon hat der Buddhismus bei aller internen Vielfalt eine Identität entwickelt, die nicht nur an die Lehren des Buddha anknüpfte, sondern auch mit bildlichen Repräsentationen verbunden war, die in weite Teile Asiens ausstrahlten. So wurde im fünften nachchristlichen Jahrhundert die «Lehre des Buddha» in China im Rahmen von religiösen Auseinandersetzungen der Lehre des Laozi und der Lehre des Konfuzius als die Lehre eines indischen Religionsstifters gegenübergestellt.

Der Buddhismus hat nicht nur dem Einzelnen einen oder mehrere Heilswege angeboten, sondern er hat auf vielfältige Weise ganze Epochen und Kulturen geprägt, ja sogar die Verfassung von Staaten beeinflusst. Zahlreiche Bauwerke, Tempel- und Stadtanlagen sowie Gärten von eigenwilliger Schönheit, aber auch Skulpturen aus verschiedensten Materialien und in reicher Formenvielfalt verdanken ihre Entstehung dem Buddhismus. Die frühe Ausbildung der Drucktechnik in Ostasien, zahlreiche Wissenschaften und nicht zuletzt viele Volksbildungstraditionen gehen auf den Buddhismus zurück. Der Buddhismus hatte sich durch seine Verbreitung nach Ostasien zu der in seiner Zeit wohl größten Buchreligion entwickelt, die sich mit ihren Texten an Laien richtete und bei der die Weitergabe und die Übersetzung von Texten in großem Stil ein zentrales Anliegen wurde. Verschiedene Philologien waren die Folge, und enzyklopädische Projekte sowie die Erstellung von Wörterbüchern wurden vorangetrieben. Vor allem aber prägte der Buddhismus geistige und soziale Strukturen in den Gesellschaften, in denen er stärker Fuß fassen konnte. Die Geschichte Ost- und Südostasiens jedenfalls ist ohne die Berücksichtigung der Rolle, die der Buddhismus dort gespielt hat und zum Teil noch spielt, nicht zu verstehen. Dies alles kann und soll hier nur angedeutet werden. Vor allem soll der Buddhismus in seinen Kerngehalten einerseits und im Hinblick auf seine Rolle in der Geschichte der letzten zweieinhalbtausend Jahre andererseits angesprochen werden. Denn ebenso wie die Geschichte des Christentums inzwischen ein Teil der Weltgeschichte geworden ist und Europa weitgehend nur noch historisch und zunehmend am Rande dabei eine Rolle spielt, so ist auch die Geschichte des Buddhismus ein Teil der Weltgeschichte, auch wenn diese Lehre bisher vorwiegend jene Weltgegenden geprägt hat, die wir Asien zurechnen.

Man kann sich dem Buddhismus auf vielen Wegen nähern, in der Beschäftigung mit seiner Geschichte ebenso wie in der unmittelbaren Begegnung mit einem Lehrer oder einem Text oder einer buddhistisch geprägten Lebenswelt wie einem Tempel, einer Meditationspraxis oder einem Andachtsbild. Immer aber wird man zu jenem Ergebnis kommen, welches Richard Gombrich in den Satz fasste: «Der Buddhismus beschäftigt sich mit dem Menschen, oder besser gesagt, mit allen lebenden, leidenden Wesen.» Konkreter: Der Buddhismus sucht dem Menschen eine Antwort auf sein Bedürfnis nach Seelenfrieden zu geben, denn die Lehre des Buddha will den Weg zur Erlösung zeigen.

Der Heilsweg des Buddha ist ein Weg zur Weisheit und zur Erlösung des Einzelnen. Davon soll hier die Rede sein, von den geschichtlichen Erscheinungsformen der Lehre des Buddha, die zum Teil allerdings auch wieder als Verlassen dieses Heilsweges gedeutet werden können. Am Anfang der Lehre stand eine Einsicht: dass die Welt in ihrer Vergänglichkeit ein Ort des Leidens sei. Es folgte eine Lehrtätigkeit aus unendlichem Mitleid, um Wege aus dem Kreislauf des Leidens zu finden, in dem alle Lebewesen durch ihre Begierden, vor allem aber durch Unwissenheit gefangen sind. Diese Einsicht hatte einen radikalen Bewusstseinswandel zur Voraussetzung. Erst die Erkenntnis der falschen Vorstellung von unserem Selbst und die Realisierung der Tatsache, dass es dieses Selbst gar nicht gibt, dass es eine Illusion ist, ermöglicht den ersten Schritt zur Befreiung, der zu einer Läuterung des Geistes führt, zur Zügelung der Begierden und zu Güte und Wohlwollen gegenüber jedem lebenden Wesen. Zugleich aber gilt: Obwohl es eigentlich kein Selbst gibt, findet doch eine Zurechnung der Taten statt, ist jedes Wesen verantwortlich für seine eigenen Taten, seinen eigenen Geist und seine eigene Erlösung.

Zunächst war der von dem historischen Buddha gestiftete Orden und der Weg mönchischer Askese und Entsagung der einzige Weg zur Erlösung. Später traten andere Wege hinzu, so dass seither auch Laienanhänger auf Erlösung hoffen konnten. Die mit dem Einschlagen des Mönchsweges verbundene Einsicht, dass die zur Erlösung führende Lehre des Buddha schwierig ist und anhaltender geistiger Bemühungen bedarf, blieb aber eine Grundlage aller Erlösungswege auch dann noch, als sich der Gedanke einer plötzlichen Erleuchtung und der Erlösungsfähigkeit jedes Menschen im «Großen Fahrzeug» durchgesetzt hatte. Die moralische Botschaft der Lehre Buddhas, die Ethik des Wohlwollens, der Wahrhaftigkeit und der Selbstbeherrschung, fand früh und rasch Anhängerschaft in weiteren Kreisen, und vermutlich über Kaufleute wurde die Lehre auf See- und Landhandelswegen weit über Indien hinaus verbreitet und erwies sich so als eine ortsungebundene Lehre mit universellem Charakter.

Allerdings trat sie in verschiedenen Formen auf. Dabei kam es zu gedanklichen Umkodierungen, die man auch als Reformationen oder gar als Revolutionen bezeichnen könnte. Zu solchen Umkodierungen gehört die erstaunliche Ersetzung des Ideals des asketisch-meditativen Heiligen durch die Gestalt des grenzenlos gütigen Bodhisattva, eine Wendung, die mit dem Aufkommen des Mahāyāna, des «Großen Fahrzeugs», einhergeht. In diesem Bodhisattva-Ideal, bei dem nicht mehr die Vermeidung oder Überwindung des eigenen Leidens im Vordergrund steht, sondern das Suchen nach Weisheit und vor allem das Mitfühlen, in diesem Bodhisattva-Ideal tritt der Einzelne von sich zurück. Die mystische Haltung, in welcher der Einzelne sich von der Welt her sieht, teilt der Bodhisattva mit dem Asketen, nur dass er vorwiegend altruistisch motiviert ist. Beiden geht es nicht um eine Transformation der Welt, sondern um eine Transformation des Selbstverständnisses als der entscheidenden Voraussetzung für eine Neubestimmung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft.

Wenn man überzeugt ist, dass das Bodhisattva-Ideal «die letztlich einzige konsistente Form der mystischen Haltung» ist (Ernst Tugendhat), so beanspruchen doch auch andere Formen der Religion und der Mystik ihre Geltung. Im Rahmen der historischen Rekonstruktion stellen wir einzelne Richtungen gegenüber, insbesondere das Hīnayāna, das sogenannte «Kleine Fahrzeug», und das Mahāyāna, das sogenannte «Große Fahrzeug». Dies bedeutet keine Wertung, sondern berichtet nur den historisch zu erklärenden Unterschied, dass das Kleine Fahrzeug in den meisten seiner Richtungen die Möglichkeit verneint, dass alle Menschen Buddha werden, während das Große Fahrzeug davon ausgeht, dass jedes Lebewesen die Buddhanatur in sich trägt und daher auch – im Prinzip jedenfalls – zum Buddha werden kann. Mit solchen Widersprüchen mussten sich die Exegeten und Kommentatoren des Buddhismus seit den frühesten Anfängen auseinandersetzen, und in der Tat ist die Gegenüberstellung gerade von Mahāyāna und Hīnayāna eine nachträgliche Etikettierung, die wir zum Zwecke der Darstellung auch befolgen. Doch soll dies das Gemeinsame der beiden Richtungen nicht verdecken, und wir müssen uns stets des Umstandes bewusst bleiben, dass diese Bezeichnungen auf polemische Absichten der Mahāyāna-Anhänger zurückgehen. Deswegen sprechen manche auch statt vom «Hīnayāna» vom «Theravāda» oder vom «älteren» Buddhismus.

Trotz universeller Verbreitung kann, wie gelegentlich erfolgt, weder für die Vergangenheit noch für die Gegenwart von einer «Welt des Buddhismus» gesprochen werden. Denn der Buddhismus setzt sich nicht grundsätzlich in Gegensatz zu anderen Religionen, auch wenn er sich in seinen Lehren natürlich durchaus gegen andere Religionen, insbesondere die brahmanischen Traditionen, profiliert. Ferner beschäftigt er sich in erster Linie mit der Erlösung und dem Entrinnen aus dem Kreislauf der Geburten und bezieht sich trotz aller Welthaltigkeit auf diesen Aspekt des Daseins. Und drittens ist den Anhängern der «Lehre des Erleuchteten» schon seit frühester Zeit bewusst, dass es neben dem eigenen Deutungshorizont durchaus andere Auslegungsrichtungen gibt. Dem Buddhismus ist es grundsätzlich nicht um die Regelung der Angelegenheiten in dieser Welt zu tun, sondern er konzentriert sich auf den Geist im weitesten Sinne. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Vertreter des Buddhismus zu Ratgebern von Herrschern wurden und dass gelegentlich von buddhistischer Seite für den Fortbestand eines Herrscherhauses gebetet wurde. Als ein Weg zur Erlösung steht der Buddhismus allen Kulturen offen, als ein Weg, der – ich betonte es – letztlich aber nur von dem Einzelnen beschritten werden kann.

Im Zentrum steht die Lösung aus den Verstrickungen in die Welt, die zumeist gleichbedeutend ist mit der wachsenden Einsicht in die Lehre vom Nicht-Selbst. Erst durch die Lösung von allem, was unbeständig ist, wird der Zustand der Vollkommenheit erreicht, und es kommt zu einer Stellung jenseits des Kreislaufs von Tod und Geburt, zur Todlosigkeit. Dabei führt diese Weltabwendung nicht zu einem missmutigen Pessimismus, der von manchen dem Buddhismus nachgesagt wurde, sondern kann durchaus – das zeigt die historische Erfahrung – geprägt sein durch freundliche Heiterkeit; und aus der Weltabwendung entsteht eine neue aufgeschlossene Weltzuwendung, die von Wohltätigkeit gekennzeichnet ist, oft auch Weltverbesserungsziele verfolgt und als engagierter Buddhismus neue Formen hervorbringt.

Das heutige Wissen über den Buddhismus ist infolge der Verwissenschaftlichung der Beschäftigung mit dieser Lehre in den letzten nahezu zweihundert Jahren nicht mit früheren Zeiten zu vergleichen. Die Entdeckung lange unbekannter oder unbeachteter Texte hat zu einer Renaissance des Buddhismus in vielen Ländern geführt, gelegentlich in Verbindung mit Bemühungen um eine Wiederbelebung nationaler Identität und eigener Geschichtlichkeit. Im Westen kann man geradezu von Erkenntnisschüben sprechen. Während zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur eine kleine Gruppe von Texten bekannt war, prägte das Bekanntwerden des Pāli-Kanons in Sri Lanka (Ceylon) bis weit in das 20. Jahrhundert das Bild des Buddhismus. Nur allmählich trat die Wahrnehmung des chinesischen buddhistischen Kanons hinzu, gefolgt von dem seit der Mitte des 20. Jahrhunderts stärker beachteten tibetisch geprägten Tantrismus, der in den letzten Jahren im Westen das Bild des Buddhismus besonders stark beeinflusste, was zum Teil mit dazu beigetragen hat, den Reichtum und die Vielfalt der Vergangenheit wieder zu überdecken.